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Antrag - DIE LINKE. Landesverband Hamburg

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Drucksache 20/9338<br />

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt <strong>Hamburg</strong> – 20. Wahlperiode<br />

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 829 – Drucksache 17/14600<br />

Dritter Teil:<br />

Gemeinsame Bewertungen<br />

Mindestens zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und<br />

mehr als ein Dutzend brutaler Überfälle: Diese in den<br />

Jahren 1998 bis 2011 begangenen Straftaten werden der<br />

Terrorzelle, die sich selbst als „Nationalsozialistischer<br />

Untergrund“ (NSU) bezeichnet hat, zur Last gelegt. Sie<br />

stellen eine der schwersten Verbrechensserien in der Geschichte<br />

der Bundesrepublik Deutschland dar.<br />

Dass diese Taten weder verhindert noch die Täter ermittelt<br />

werden konnten, obwohl aufgrund der bei neun der<br />

zehn Morde verwendeten Waffe des Typs Česká schon<br />

nach dem zweiten Mord erkannt wurde, dass es sich um<br />

eine Serie handelt, ist eine beschämende Niederlage der<br />

deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden.<br />

Die Opfer und ihre Angehörigen haben unfassbares Leid<br />

erfahren:<br />

Enver Şimşek wird am 9. September 2000 in Nürnberg an<br />

seinem Blumenverkaufsstand von acht Schüssen aus zwei<br />

Pistolen getroffen. Die Täter schießen auch dann noch<br />

weiter, als er bereits zusammengebrochen in seinem<br />

Kleintransporter liegt. Zwei Tage später stirbt er im<br />

Krankhaus. Abdurrahim Özüdoğru wird am 13. Juni 2001<br />

in Nürnberg in seiner Änderungsschneiderei mit zwei<br />

Kopfschüssen getötet. Die Täter schießen auch noch dann<br />

auf ihn, als er zu Boden gesunken ist. Süleyman Taşköprü<br />

wird am 27. Juni 2001 in <strong>Hamburg</strong> im Lebensmittelgeschäft<br />

seiner Familie mit drei Schüssen getötet. Habil<br />

Kılıç wird am 29. August 2001 in München in seinem<br />

Lebensmittelgeschäft mit zwei Kopfschüssen ermordet.<br />

Mehmet Turgut wird am 25. Februar 2004 in Rostock in<br />

einem Imbiss von drei Kopfschüssen getroffen. Er stirbt<br />

noch im Rettungswagen. İsmail Yaşar wird am 9. Juni<br />

2005 in Nürnberg in seinem Imbiss mit fünf Schüssen<br />

getötet. Die Täter schießen auch dann noch weiter, als<br />

dieser bereits getroffen zu Boden stürzt und dort liegen<br />

bleibt. Theodoros Boulgarides wird am 15. Juni 2005 in<br />

München im Ladenlokal seines Schlüsseldienstes mit drei<br />

Kopfschüssen ermordet. Mehmet Kubaşık wird am<br />

4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund getötet. Zwei<br />

Kopfschüsse lassen jede Hilfe zu spät kommen. Halit<br />

Yozgat wird am 6. April 2006 in Kassel in seinem Internetcafé<br />

mit zwei Kopfschüssen ermordet. Er verblutet in<br />

den Armen seines Vaters. Alle neun Opfer werden mit<br />

derselben Waffe erschossen, einer Česká 83 mit verlängertem<br />

Lauf. Die Polizistin Michèle Kiesewetter wird am<br />

25. April 2007 in Heilbronn mit einem Kopfschuss in<br />

ihrem Dienstwagen ermordet, ihr Kollege wird lebensgefährlich<br />

verletzt.<br />

Bei den mindestens 15 brutalen Überfällen, die zwischen<br />

1998 und 2011 in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern<br />

und Thüringen zumeist auf Geldinstitute begangen werden,<br />

kommen Angestellte und Kunden zu Schaden, indem<br />

sie mit dem Tode bedroht, geschlagen und in einem Fall<br />

in Zwickau im Jahre 2006 mit einem Bauchschuss lebensgefährlich<br />

verletzt werden.<br />

Zwei heimtückische Sprengstoffattentate haben Menschen<br />

in Köln getroffen: Beim Sprengfallenanschlag auf ein<br />

Lebensmittelgeschäft iranischer Zuwanderer am 19. Januar<br />

2001 in der Probsteigasse kommt die damals 19-jährige<br />

Tochter des Ladeninhabers schwer verletzt knapp mit<br />

dem Leben davon. Am 9. Juni 2004 jagt eine Nagelbombe<br />

des NSU mehr als 700 zehn Zentimeter lange Zimmermannsnägel<br />

durch die Kölner Keupstraße, die von einer<br />

Vielzahl türkischer und kurdischer Geschäfte geprägt ist.<br />

Dabei werden 22 Menschen verletzt, drei davon lebensbedrohlich.<br />

Dies alles ist nur ein Ausschnitt des Leids, das die Toten<br />

und Verletzten, ihre Angehörigen und alle anderen Opfer<br />

getroffen hat – die meisten von ihnen, weil sie türkische,<br />

kurdische, griechische oder iranische Wurzeln hatten und<br />

dadurch in den Fokus einer neonazistischen Terrorgruppe<br />

gerieten.<br />

Die Taten gehen uns alle an<br />

Die neun Opfer der Česká-Mordserie wurden kaltblütig<br />

und aus rassistischer Motivation heraus auf menschenverachtende<br />

Weise hingerichtet. Die Täter sprachen ihnen<br />

ebenso wie den Opfern der Sprengstoffanschläge aufgrund<br />

ihrer Herkunft das Lebensrecht ab. Neun Männer<br />

wurden stellvertretend für alle Menschen ermordet, die<br />

aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Namens oder ihrer Muttersprache<br />

tatsächlich oder vermeintlich nicht-deutscher<br />

Herkunft sind.<br />

Diese Hintergründe der Mordserie brachte erst die Verbreitung<br />

des NSU-Videos im November 2011 ans Licht,<br />

in dem sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ auf<br />

zynische Art und Weise der begangenen Verbrechen<br />

rühmt und die Opfer der Straftaten verhöhnt und verächtlich<br />

macht. Durch das menschenverachtende NSU-Video<br />

erfuhren die Angehörigen, dass ihre Verwandten sterben<br />

mussten, weil unter dem Motto „Taten statt Worte“ rassistische<br />

Verbrecher ihre Ideologie mit Mord und Gewalt<br />

durchsetzen wollten.<br />

Der NSU hat seine Verbrechen gerade auch dort ausgeführt,<br />

wo ihm die deutsche Wirklichkeit am fremdesten<br />

war. Dort, wo das friedliche Miteinander Hunderttausender<br />

unterschiedlichster Herkunft einer rechtsextremen<br />

Ideologie am meisten widerspricht: in Großstädten der<br />

Vielfalt.<br />

Genauso macht das NSU-Video deutlich: die Täter wollten<br />

mit Morden und Bombenanschlägen den demokratischen<br />

Rechtsstaat und das friedliche, vielfältige Miteinander<br />

in unserer Gesellschaft angreifen. Der NSU kannte<br />

keine Bedenken, seine Waffen gegen jedermann zu richten.<br />

Die ermordete Polizistin und ihr schwer verletzter<br />

Kollege standen im Dienst des demokratischen Rechts-<br />

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