Antrag - DIE LINKE. Landesverband Hamburg
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Drucksache 20/9338<br />
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt <strong>Hamburg</strong> – 20. Wahlperiode<br />
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 855 – Drucksache 17/14600<br />
in zahlreichen Waffen- und Sprengstofffunden in der<br />
neonazistischen Szene und mehreren (auch tödlichen)<br />
Angriffen auf Migranten und politische Gegner zeigt, ist<br />
nicht nachvollziehbar, wieso das Gefahrenpotential nicht<br />
höher eingeschätzt wurde und wieso seitens der Fachaufsicht<br />
diese Bewertungen nicht angezweifelt wurden.<br />
Offenbar überrascht wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz<br />
in seiner Terrorismusanalyse auch durch eine<br />
Serie von Brandanschlägen auf sieben türkische und asiatische<br />
Imbisse und Geschäfte von August 2003 bis Mai<br />
2004 im Land Brandenburg. Der Verfassungsschutzbericht<br />
hat die Möglichkeit eines rechtsterroristischen Hintergrunds<br />
dieser Taten zunächst nicht erwähnt. Erst als<br />
eine sich „Freikorps Havelland“ nennende zwölfköpfige<br />
Gruppierung für diese Taten wegen Bildung einer terroristischen<br />
Vereinigung im Jahr 2005 zu teils mehrjährigen<br />
Jugendstrafen verurteilt wurde, erwähnte das BfV diesen<br />
Vorgang in seinem Jahresbericht. Im bereits genannten<br />
BfV Spezial Nr. 21 zur rechtsterroristischen Gefahr von<br />
Juli 2004 sucht man diesen Fall vergeblich. Gleichzeitig<br />
spielte das BfV andere mögliche rechtsterroristische Gefahren<br />
herunter: „Anhaltspunkte für terroristische Absichten<br />
weiterer Rechtsextremisten lagen 2005 nicht vor“,<br />
schreibt das Amt im Verfassungsschutzbericht 2005 nahezu<br />
wortgleich, wie im Bericht von 2003 nach dem vereitelten<br />
Münchner Anschlag durch die „Kameradschaft<br />
Süd“. Als Frühwarnsystem hat das BfV damit mehrfach<br />
kläglich versagt.<br />
Aus den ausgewerteten Akten und Zeugenvernehmungen<br />
gewann der Ausschuss den Eindruck, dass Vorurteile und<br />
eingefahrene Denkmuster in den Verfassungsschutzbehörden<br />
auf allen Ebenen das Erkennen neonazistischer<br />
terroristischer Bedrohungen behinderten. So äußerten<br />
verschiedene Verfassungsschutzmitarbeiter, sie hätten<br />
Rechtsextremisten solche Morde und Sprengstoffanschläge,<br />
wie sie nun dem NSU zur Last gelegt werden, gar<br />
nicht zugetraut. Weder die Logistik, die Handlungsfähigkeit<br />
noch ein Konzept des bewaffneten Kampfes sah das<br />
BfV in der neonazistischen Szene als vorhanden. Sich<br />
bewaffnende Neonazis wurden stattdessen als Waffennarren<br />
und Bombenbastler verharmlost. Dass die in den Berichten<br />
immer wieder attestierte „hohe Affinität“ von<br />
Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff dazu führen<br />
würde, dass diese auch eingesetzt werden, wurde zwar<br />
abstrakt nie ausgeschlossen, aber auch nicht ernst genug<br />
genommen. Zudem herrschte beim Verfassungsschutz<br />
(und der Polizei) die irrige Auffassung, dass (rechts-<br />
)terroristische Taten stets von Bekennerschreiben oder<br />
Ähnlichem begleitet werden.<br />
Blaupause für NSU-Taten übersehen<br />
Versäumt wurde damals vom BfV auch ein Vergleich mit<br />
ähnlichen Taten im europäischen Ausland. Obwohl das<br />
BfV darüber informiert war, dass deutsche Neonazis enge<br />
Verbindungen zum internationalen Netzwerk von Blood&<br />
Honour und Combat 18 in Großbritannien und Skandinavien<br />
hatten und dass Aktivisten dieses Netzwerks 1999 in<br />
London Bombenanschläge gegen Minderheiten verübt<br />
und in Schweden im gleichen Jahr bewaffnete Banküberfälle<br />
sowie Autobombenanschläge gegen politische Gegner<br />
und die Polizei verübt sowie zwei Polizisten und einen<br />
Gewerkschafter erschossen hatten, behauptete das<br />
BfV, Combat 18 existiere in Deutschland nicht und habe<br />
keinen Einfluss auf die deutsche Neonaziszene. Entsprechend<br />
hielt das BfV eine Nachahmung des Prinzips<br />
rechtsterroristischer Kleingruppen im Stil von Combat 18<br />
in Deutschland nicht für möglich. Erst im Januar 2012 –<br />
und damit Jahre zu spät – stellte das Bundesamt bei einer<br />
Recherche zum Fall des rassistischen Serientäters John<br />
Ausonius aus Schweden fest, dass es deutliche Parallelen<br />
zu den Mord- und Raubtaten des „Nationalsozialistischen<br />
Untergrundes“ gebe und jene Taten als Blaupause für den<br />
NSU gedient haben könnten. Der als „Lasermann“ bekannt<br />
gewordene Ausonius hatte in den Jahren 1991/1992<br />
in Stockholm und Uppsala mit einem Gewehr bei zehn<br />
Anschlägen auf elf ihm zuvor unbekannte Migranten<br />
geschossen und dabei einen Menschen getötet und weitere<br />
zum Teil schwer verletzt. Er finanzierte sich durch zahlreiche<br />
Banküberfälle und flüchtete stets mit einem Fahrrad.<br />
Dem BfV hätte der Fall Ausonius bereits ab dem Jahr<br />
2000 auffallen können, als die einschlägige „Blood &<br />
Honour“-Publikation „Field Manual“, veröffentlicht wurde,<br />
die das Konzept des führerlosen Widerstandes propagiert<br />
und sich anerkennend auf die Serienmorde an Migranten<br />
durch den Lasermann bezieht. Diese Publikation<br />
war dem BfV im Rahmen der Aufklärungen für ein Verbot<br />
der Deutschen „Blood & Honour“-Sektion bekannt.<br />
Dass das untergetauchte Trio damals ebenfalls starke<br />
Verbindungen zu „Blood & Honour“-Strukturen hatte und<br />
von diesen nach der Flucht unterstützt wurde, war dem<br />
BfV ebenfalls bekannt. Das BfV tauschte sich im Jahr<br />
2000 sogar mit Vertretern des schwedischen Partnerdienstes<br />
über die dortigen rechtsterroristischen Mord- und<br />
Brandanschläge aus.<br />
Eine zeitnahe Analyse des Falles Ausonius (die im Übrigen<br />
auch die Staatsschutzabteilungen der Polizeien hätten<br />
vornehmen können) hätte zumindest Hinweise auf übereinstimmende<br />
Merkmale und die Motivlage der „Česká“-<br />
Mordserie liefern können, möglicherweise auch auf einen<br />
Zusammenhang mit in der Illegalität lebenden Rechtsextremisten<br />
und einer ungeklärten Serie von Banküberfällen.<br />
Inwieweit dies tatsächlich zu einer Ergreifung der Täter<br />
geführt hätte, kann der Ausschuss nicht beurteilen. Eine<br />
mögliche Chance wurde jedenfalls nicht genutzt.<br />
Schwächung des Bereichs Rechtsextremismus im BfV<br />
Im Untersuchungszeitraum von 1992 bis 2011 stellte der<br />
Ausschuss innerhalb des BfV mehrere Umstrukturierungen<br />
in der Organisation des Bereichs Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus<br />
fest. Die Gravierendste erfolgte im<br />
August 2006 durch eine Zusammenlegung der Abteilungen<br />
Links- und Rechtsextremismus zu einer Abteilung<br />
„Deutscher Extremismus“, um mittels erhoffter<br />
Synergieffekte den Bereich „Islamismus und islamischer<br />
Terrorismus“ personell verstärken zu können. Der damalige<br />
Staatssekretär im Bundesinnenministerium Hanning<br />
setzte die Umstrukturierung mit Billigung von Innenminister<br />
Schäuble gegen den fachlichen Widerspruch des<br />
BfV-Präsidenten Fromm durch. Der Ausschuss sieht in<br />
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