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nächstes Kapitel - Georg Britting

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96 SANKT-ANNA-PLATZ 10<br />

Europa, ein höheres Gut gewesen als die fortschreitende E-<br />

manzipation. Gegenüber Eugen Roth bekannte er, sein Leben<br />

lang von den Frauen verwöhnt worden zu sein.<br />

<strong>Britting</strong>s Phantasie war unerschöpflich. Immer saßen imaginäre<br />

Figuren bei uns mit am Tisch, am längsten der „illegitime<br />

Abkömmling der Gonzagas, Bennö“ [vgl. S.15], der die<br />

Gabe hatte überall sein zu können und alles von uns zu wissen,<br />

aber recht subjektiv für <strong>Britting</strong> Partei nahm, daß die für<br />

mich unangenehmen Dinge häufig in seinem Namen ausgesprochen<br />

wurden. Ich hielt Bennö für hinterhältig. Manchmal<br />

war er aber auch gnädig und rügte seinen Herrn! Wir hatten<br />

so viel Zeit für solchen Un-Sinn und noch mehr Zeit fürs Lesen,<br />

denn <strong>Britting</strong>s Arbeitsstunden hielten sich in Grenzen.<br />

Jede Neuerscheinung (die meisten Bücher waren ausgeliehen)<br />

lasen wir miteinander, das heißt, erst <strong>Britting</strong>, dann ich oder<br />

umgekehrt. Die eigenen Bücher blieben strikt getrennt, ich<br />

brachte eine beachtliche Klassiker-Bibliothek an den Annaplatz<br />

mit, die in meinem Zimmer und im Flur stand, <strong>Britting</strong><br />

hatte die seine. Er erlaubte keinen Radioapparat in der Wohnung,<br />

von Plattenspieler oder gar Fernseher zu schweigen. Er<br />

brauchte Ruhe und er brauchte Ordnung, Ordnung, die sich<br />

bis ins Pedantische steigern und wo sie gestört wurde, seinen<br />

Jähzorn hervorrufen konnte. Der Neigung zu übergroßer<br />

Pünktlichkeit erlagen wir beide; es gab keine Einladung, zu<br />

der wir nicht so frühzeitig an Ort und Stelle waren, daß wir<br />

nicht noch einen Rundgang ums Haus machen oder eine Straße<br />

auf und ab pilgern mußten, bis es Zeit war, um Einlaß zu<br />

läuten.<br />

<strong>Britting</strong> verlor sein Leben lang nichts von seiner Naivität,<br />

erinnerte an seinen „Held“ Achill, der vor Freude schrie, in<br />

Schmerz und Wut erbebte - das bezog sich allerdings nur auf<br />

sein körperliches Befinden - seelische Schmerzen behielt er<br />

für sich.

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