nächstes Kapitel - Georg Britting
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94 SANKT-ANNA-PLATZ 10<br />
so lange hatte leben dürfen.) Die Anziehungskraft, die von<br />
ihm ausging, kam aus <strong>Britting</strong>s Natur, aus der für jeden spürbaren<br />
Wärme und seinem bis in die allerletzten Lebensstunden<br />
nicht versiegenden Humor. Wie konnte <strong>Britting</strong> lachen!<br />
Neben ihm zu sitzen, bei ihm zu sein, das behagte Frauen und<br />
Männern; man lebte stärker in seiner Gegenwart, er wirkte<br />
wie Urgestein, schreibt Hohoff, und Clemens Podewils: Er<br />
war der Baum, um den man sich versammelt. Aber natürlich<br />
empfand jeder, der ihm nahekam, hinter der Sinnenlust und<br />
Daseinsfreude die hamletische Melancholie, die Sensibilität.<br />
Er konnte schroff sein (wie ihn auch Hohoff zeigt), brüsk,<br />
sarkastisch, wenn ihm jemand mit falschen Tönen kam. Mir<br />
war er ein strenger, unbestechlicher Kritiker. Wenn er mich<br />
auf der Bühne sah, gabs keine falsche Rücksicht. Er ließ nicht<br />
Gnade für Recht ergehen, das habe ich erfahren - und das galt<br />
nicht nur fürs Theater - auch wenn seine Offenheit weh tat,<br />
sein Lob, so es kam, machte es wieder wett.<br />
<strong>Britting</strong> war kein lauter Mensch, hatte aber eine kräftige<br />
Stimme, und er war auch mitunter derb. So zum Beispiel in<br />
manchen Briefen an Wetzlar mit ihren Bajuvarismen oder in<br />
der Erzählung vom „unflätigen Hirten“ aus der „Kleinen Welt<br />
am Strom“. Nicht nachvollziehbar ist mir, daß <strong>Britting</strong> bei einem<br />
Auto-Ausflug in die Innstädte, wobei die drei Freunde<br />
auch durch Zwickledt kamen, zum Hause von Kubin gegangen<br />
sein und dort geläutet haben soll? Das widerspricht ganz<br />
und gar der Zurückhaltung, die zu <strong>Britting</strong>s ausgeprägtesten<br />
Eigenschaften gehörte. Ist Hohoff da einem Scherz aufgesessen?<br />
<strong>Britting</strong>s Scherze waren mitunter, wie schon gesagt, seltsam<br />
genug. Einer, der nie Vorträge gehalten, nie Essays geschrieben,<br />
nie eine Redaktion aufgesucht hat, wie Hohoff in<br />
seinem Essay „Kein Zugeständnis an den Zeitgeist“ <strong>Britting</strong><br />
charakterisiert, versucht nicht, nur weil er durch Zwickledt<br />
kommt, Kubin zu überfallen (wie <strong>Britting</strong> selbst es genannt<br />
haben würde). Es war nicht Hohoffs Absicht, das Zarte, Zu-