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2013-40_Von der Lein-Pflanze zum Stoff.pdf - Dr. Neinhaus Verlag AG

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30<br />

Aktuell: Handwerk<br />

Landpost <strong>40</strong>/<strong>2013</strong><br />

<strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Lein</strong>-<strong>Pflanze</strong> <strong>zum</strong> <strong>Stoff</strong><br />

Anbau und Verarbeitung von Flachs<br />

Alte Kulturpflanze<br />

Anbau und Verarbeitung von<br />

Flachs sind anspruchsvoll<br />

und gehörten früher <strong>zum</strong><br />

Alltag <strong>der</strong> Bauernfamilien.<br />

Im Landwirtschaftsmuseum<br />

Ruggisberg in <strong>der</strong> Schweiz<br />

kann man sehen, wie das<br />

gemacht wurde und in Kursen<br />

heute noch gelehrt wird.<br />

Praktisch überall in <strong>der</strong><br />

Umgebung pflanzten die<br />

Bauern früher Flachs,<br />

auch <strong>Lein</strong> genannt, an“, sagt<br />

Edwin Germann, <strong>der</strong> Kustos<br />

des Museums nicht weit von<br />

St.Gallen. Auch die Verarbeitung<br />

zu <strong>Lein</strong>en fand meistens<br />

auf dem Bauernhof statt. Die<br />

Menschen verwendeten die<br />

Flachsfaser nicht nur für Seile,<br />

Säcke und Fischernetze, son<strong>der</strong>n<br />

insbeson<strong>der</strong>e auch für<br />

Klei<strong>der</strong>, Bettwäsche und Tücher.<br />

Sehr bedeutsam war <strong>Lein</strong>en als<br />

Aussteuer für die Braut. Oft war<br />

gerade diese Mitgift entscheidend,<br />

wie ein Mädchen „unter<br />

die Haube“ kam, schreibt Ruth<br />

Läng in ihrem Büchlein „Vom<br />

<strong>Lein</strong>samen <strong>zum</strong> <strong>Lein</strong>enfaden“.<br />

Noch heute ist <strong>Lein</strong>en ein geschätzter<br />

<strong>Stoff</strong>. „<strong>Lein</strong>en war und<br />

ist nicht billig“, sagt Gertrud<br />

Schni<strong>der</strong>, welche Flachsanbaukurse<br />

leitet und auf dem Ruggisberg<br />

die Verarbeitung des<br />

Flachses zeigt. Die Herstellung<br />

von <strong>Lein</strong>en ist anspruchsvoll.<br />

Sie erfor<strong>der</strong>t nicht nur viel Sorgfalt,<br />

son<strong>der</strong>n setzt sich aus vielen<br />

Arbeitsgängen zusammen.<br />

Mitte März werden die <strong>Lein</strong>samen<br />

ausgesät. Im Juni blüht die<br />

<strong>Pflanze</strong> in blauer Farbe. Dass<br />

es früher große Flachs- o<strong>der</strong><br />

<strong>Lein</strong>fel<strong>der</strong> gegeben hat, lässt<br />

sich aus <strong>der</strong> Redensweise: „Eine<br />

Fahrt ins Blaue machen“ o<strong>der</strong><br />

aus dem Ausdruck: „Das blaue<br />

Allgäu“ ableiten. Ein Quadratmeter<br />

Flachs ergibt etwa einen<br />

Quadratmeter <strong>Lein</strong>enstoff.<br />

Praktisch keinen Abfall<br />

Etwa vier Monate nach <strong>der</strong> Aussaat<br />

<strong>der</strong> <strong>Lein</strong>samen lässt sich die<br />

<strong>Pflanze</strong> ernten. Dazu reißt man<br />

sie mit den Wurzeln aus und<br />

hängt sie in Garben an einem<br />

luftigen, trockenen Platz auf.<br />

Die exakt aufgehängten Garben<br />

waren früher <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong><br />

Bäuerin. Nach dem Trocknen<br />

kommt das Riffeln. Die Bäuerin<br />

zieht die Garben mit einem<br />

Ruck durch den Riffelkamm,<br />

wobei die Samenkapseln in den<br />

darunter stehenden Korb fallen.<br />

Sie werden gedroschen o<strong>der</strong> gewalzt,<br />

damit die <strong>Lein</strong>samen herausfallen.<br />

Aus ihnen wird das<br />

<strong>Lein</strong>öl gewonnen. Dieses diente<br />

früher als Grundlage für Ölfar-<br />

Die Aussteuer einer Braut<br />

Die Aussteuer einer „besseren“<br />

Braut Mitte des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts (aus Ruth<br />

Läng 2001): 24 Oberlein- und<br />

24 Unterleintücher, 24 Bettdeckenanzüge,<br />

48 Kissenbezüge,<br />

24 feine Handtücher,<br />

60 Geschirrtücher, 36 große<br />

Chu<strong>der</strong>handtücher (Chu<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> Kurzfaserflachs), 24 Stallhandtücher,<br />

6 Tischtücher und<br />

Vorhangstoff für circa sechs<br />

Fenster.<br />

Es wohnten nicht nur mehr<br />

Menschen auf einem Bauernhof<br />

als heute, son<strong>der</strong>n man<br />

wusch seltener und nur an speziellen<br />

Waschtagen. mg<br />

ben. Heute hat man den Wert<br />

von <strong>Lein</strong>öl als Nahrungsmittel<br />

entdeckt. <strong>Von</strong> unseren üblichen<br />

<strong>Pflanze</strong>nölen besitzt es den<br />

höchsten Gehalt an Omega-3-<br />

Fettsäuren, welche dem Herzinfarkt<br />

vorbeugen und die Immunabwehr<br />

stärken. Kaltgepresstes<br />

St.Galler <strong>Lein</strong>öl hat sich in den<br />

vergangenen Jahren einen Namen<br />

als gesundes und schmackhaftes<br />

Speiseöl gemacht. <strong>Lein</strong>samen<br />

finden als Abführmittel<br />

beim Menschen und als Säuberungstrunk<br />

bei Kühen nach<br />

dem Kalben Verwendung. Das<br />

Beson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Verarbeitung<br />

von Flachs ist, dass es praktisch<br />

keinen Abfall gibt. „Aus allem<br />

kann man etwas machen“, sagt<br />

die <strong>Lein</strong>enweberin. So dient<br />

selbst <strong>der</strong> ausgepresste <strong>Lein</strong>kuchen<br />

als Tierfutter.<br />

Rösten, brechen, hecheln<br />

Im Herbst kommen die geriffelten<br />

Garben zur Rotte o<strong>der</strong><br />

Tauröste. Damit sich die <strong>Lein</strong>enfasern<br />

von <strong>der</strong> Rinde löst, muss<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflanze</strong>nleim abgebaut<br />

werden. Dies geschieht, indem<br />

man die Flachsgarben auf eine<br />

gemähte Wiese legt und sie<br />

dort Regen und Sonne sowie<br />

Wärme und Kälte aussetzt. Die<br />

Tauröste dauert bei günstigem<br />

Wetter etwa zehn Tage. Es ist<br />

die Kunst <strong>der</strong> Flachsbäuerin,<br />

den Zeitpunkt zu erkennen,<br />

wann genug geröstet ist. Der<br />

trockene Flachs wird <strong>zum</strong> Brechen<br />

gebracht. Früher war das<br />

eine Gemeinschaftsarbeit des<br />

ganzen Dorfes. Der Flachs wird<br />

zuerst auf einem Rost über einer<br />

Feuersglut erhitzt. So lange<br />

er warm o<strong>der</strong>, wie man früher<br />

sagte, „klingeldürr“ ist, lässt er<br />

sich am besten brechen. Am<br />

Brechbock schlägt man mit einem<br />

Holzarm so lange auf die<br />

Stängel, bis sich das Holz löst.<br />

„Nach <strong>der</strong> Brächete kommt das<br />

letzte und schönste Erlebnis <strong>der</strong><br />

Ein Getreidesack aus <strong>Lein</strong>en.<br />

Flachsbäuerin, das Hecheln des<br />

Flachses“, schreibt Läng. Die<br />

Bäuerin zieht die Flachsbüschel<br />

über die Nägel des Hechels.<br />

Alles, was nicht als Langfaser<br />

taugt, bleibt im Hechel zurück.<br />

Nicht von ungefähr sage man<br />

von einem Menschen, über<br />

den man herzieht: „Er wird<br />

durchgehechelt, bis nichts Gutes<br />

mehr an ihm ist.“ Das, was<br />

im Hechel zurückbleibt, heißt<br />

„Chu<strong>der</strong>“, o<strong>der</strong> Kurzfaserflachs.<br />

Dieser diente früher zur Herstellung<br />

grober Handtücher. Hiervon<br />

lässt sich wahrscheinlich<br />

<strong>der</strong> Ausdruck „Chu<strong>der</strong>-“ beziehungsweise<br />

„Kau<strong>der</strong>welsch“,<br />

ein unverständliches Gerede,<br />

ableiten.<br />

Spinnen, weben, färben<br />

Nachdem die Fasern nun sauber<br />

geordnet sind, kann die Flachsbäuerin<br />

sie am Spinnrad zu einem<br />

Faden spinnen. Dies war<br />

früher eine typische Winterarbeit.<br />

Während vor allem Frauen<br />

das Spinnen übernahmen, war<br />

das Weben oft die Arbeit von<br />

Männern. Der Webstuhl befand<br />

sich meistens im Keller, wo die<br />

Luft etwas feucht war, so dass<br />

das Weben leichter von statten


Landpost <strong>40</strong>/<strong>2013</strong> Aktuell: Handwerk 31<br />

Foto 1 Foto 2 Foto 3<br />

ging. „Der Flachs beschäftigte<br />

die Bauernfamilien während<br />

des ganzen Jahres“, sagt Schni<strong>der</strong>.<br />

Flachsverarbeitung war eine<br />

sehr wichtige Arbeit. Kaum,<br />

dass eine junge Frau ihr erstes<br />

Kind zur Welt brachte, begann<br />

sie schon, das <strong>Lein</strong>en für die<br />

Aussteuer anzufertigen. Je besser<br />

ein Mädchen diese Arbeit<br />

beherrschte, desto mehr wurde<br />

sie geschätzt. Vom Dorf kam die<br />

<strong>Lein</strong>en in die Stadt St.Gallen,<br />

welche eine Hochburg für <strong>Lein</strong>en<br />

war. Name wie „Kreuzbleiche“<br />

deuten noch heute auf die<br />

Arbeit <strong>der</strong> Bleicher und Färber<br />

hin. Es war eine hochgeachtete<br />

Kunst, einen guten <strong>Lein</strong>enstoff<br />

von gleichmäßiger Qualität herzustellen.<br />

Michael Götz<br />

Foto 1: Der Flachs wird in Garben<br />

<strong>zum</strong> Trocknen aufgehängt.<br />

Foto 2: Der Riffelkamm trennt die<br />

Samenkapseln von den Fasern.<br />

Foto 3: Brechen <strong>der</strong> Flachshalme<br />

am Brechbock.<br />

Foto 4: Das Hecheln trennt die kurzen<br />

von den langen Fasern.<br />

Foto 5: Am Spinnrad entsteht <strong>der</strong><br />

Faden.<br />

Foto 6: Der Flachs wird zu <strong>Lein</strong>en<br />

Foto 4 verwoben.<br />

Fotos: Götz<br />

Foto 5<br />

Das Museum befindet sich in<br />

Ruggisberg bei Lömmenschwil.<br />

Wegbeschreibung im Internet<br />

unter: www.landwirtschaftsmuseum.ch<br />

Foto 6

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