IMIS-BEITRÄGE - Universität Osnabrück
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Umweltmigranten und Klimaflüchtlinge – zweifelhafte Kategorien<br />
Wissenschaft einerseits und von auf wissenschaftliche Expertisen angewiesener<br />
Politik anderseits, in welchem die Debatte um Umweltmigranten und<br />
Klimaflüchtlinge ohne kritisches Hinterfragen floriert.<br />
Diese transdisziplinäre Debatte kann als ein typisches Beispiel für das,<br />
was die beiden Wissenschaftstheoretiker Jerome Ravetz und Silvio Funtowicz<br />
»post-normal science« nennen, aufgefasst werden. 29 Eine postnormale<br />
Situation ist dann gegeben, wenn wissenschaftliche Aussagen aufgrund methodologischer<br />
oder epistemischer Probleme unsicher bleiben müss(t)en, aber<br />
dennoch von erheblicher praktischer Bedeutung für die Ausformulierung<br />
von Politik und Entscheidungen sind. In einem solchen Fall wird Wissenschaft<br />
immer stärker von der Verwendbarkeit der möglichen Aussagen in<br />
außerakademischen Kontexten bestimmt. Nicht mehr die Wissenschaftlichkeit,<br />
also beispielsweise die methodische Qualität oder die Eingebundenheit<br />
in disziplinäre Theoriezusammenhänge steht im Zentrum, sondern die Nützlichkeit.<br />
30 Die enorme Karriere, die das Konzept der umwelt- oder klimabedingten<br />
Migration – ungeachtet aller kritischen akademischen Schriften – vor<br />
allem im letzten Jahrzehnt erfahren hat, ist wohl maßgeblich auf diesen postnormalen<br />
Charakter des Forschungsthemas zurückzuführen. Dabei ist neben<br />
der transdisziplinären Verschränkung des politischen und wissenschaftlichen<br />
Diskurses die alltagsweltliche Plausibilität der aufgestellten Thesen und deren<br />
mediale Inszenierung wirksam. Da es in erster Linie um die soziale Akzeptanz<br />
von Aussagen und nicht zuvorderst um deren Richtigkeit geht, werden<br />
Wissensansprüche nicht mehr nur von ›ausgewiesenen‹ Migrationsforschern<br />
erhoben, sondern auch von allerlei anderen Experten, die unter<br />
Umständen (z.B. als Mitarbeiter einzelner Unterorganisationen der Vereinten<br />
Nationen oder Vertreter von Menschenrechts-, Umweltschutz- oder ›Sicherheits‹-NGOs)<br />
weiteren Interessen verpflichtet sind. Vor diesem Hintergrund<br />
überrascht die prominente Stellung kaum, die das Konzept der umweltbedingten<br />
Migration in internationalen Organisationen wie UNEP oder der<br />
United Nations University (UNU) sowie den global agierenden NGOs einnehmen<br />
konnte.<br />
Tabelle 1 gibt einen Überblick über einige thematisch einschlägige Publikationen<br />
internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen<br />
und die darin formulierten Schätzungen und Prognosen hinsichtlich der<br />
quantitativen Bedeutung des Phänomens Umweltflucht in Gegenwart und<br />
Zukunft. Obwohl die in der Tabelle aufgeführten Publikationen uneinheitliche<br />
Definitionen von Umwelt-/Klimaflüchtlingen/-migranten zugrunde le-<br />
29 Silvio O. Funtowicz/Jerome R. Ravetz, Science for the Post-normal Age, in: Futures,<br />
25. 1993, H. 7, S. 739–755.<br />
30 Zum Thema Klimaforschung als Postnormale Wissenschaft siehe: Hans von Storch,<br />
Klimaforschung und Politikberatung, in: Leviathan, 37. 2009, H. 2, S. 305–317.<br />
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