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Zusatzfälle (ErlaubnisTbI)

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Fälle zum Erlaubnistatbestandsirrtum<br />

Fall 1<br />

T, ein aus- und eingebildeter Rettungssanitäter, wohnt in einem dem E gehörenden Mietshaus.<br />

Eines Morgens erhält er von seinem Nachbarn N einen Anruf, der keuchend stammelt, er habe<br />

einen Herzinfarkt – nunmehr seinen siebten – erlitten und brauche dringend Hilfe; da er sich<br />

kaum mehr bewegen könne, solle der T einfach die Wohnungstür eintreten. Da er weiß, dass<br />

die Alarmierung eines Notarztes wertvolle Minuten kosten, und das Risiko des Todes des N<br />

somit erheblich gesteigert würde, tut T wie geheißen, und bricht die Tür zur von N bewohnten<br />

Wohnung auf, wobei das Türschloss zerstört wird. Freilich befindet sich niemand in der<br />

Wohnung des N, da dieser, was T nicht wusste, am Tag zuvor einen längeren Urlaub<br />

angetreten hatte, und sich bester Gesundheit erfreut. Die Stimme am Telephon war die eines<br />

überaus lustigen Spaßvogels, der den T wegen dessen ständiger Prahlerei mit seinen<br />

Heldentaten“ ein wenig ärgern wollte.<br />

Strafbarkeit des T nach § 303 StGB?<br />

Lösung Fall 1<br />

Strafbarkeit des T gem. § 303 I StGB durch Eintreten der Tür<br />

A. Tatbestand<br />

I. objektiver Tatbestand (+), durch das Eintreten der Tür beschädigte der T<br />

fremdes Eigentum; Kausalität und obj. Zurechnung unproblematisch (+)<br />

II. subjektiver Tatbestand (+), T wusste, was er tat<br />

B. Rechtswidrigkeit (+), es lagen objektiv keine rechtfertigenden Umstände vor; weder<br />

hatte der N den T tatsächlich zur Sachbeschädigung aufgefordert, noch hatte er sich<br />

wirklich in Lebensgefahr befunden. Die Tat war folglich rechtswidrig, denn<br />

gerechtfertigt könnte sie nur beim gleichzeitigen Vorliegen objektiver und subjektiver,<br />

nach einem Rechtsfertigungsgrund relevanter Umstände sein.<br />

C. Erlaubnistatbestandsirrtum<br />

Hinweis: An welcher Stelle im Deliktsaufbau der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum zu prüfen<br />

ist, ist umstritten. Folgte sie der Aufbauregel, Probleme dort zu prüfen, wo sie auftauchen,<br />

müsste die h.L. ihn bereits im subjektiven Tatbestand bei der Frage eines möglichen<br />

Vorsatzausschlusses ansprechen. Da dies aber nach wohl einhelliger Ansicht zu früh ist, wird<br />

der ETI zum Teil im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft, weil er bereits das Unrecht des<br />

Vorsatzdeliktes und damit die Rechtswidrigkeit (bezogen auf das Vorsatzdelikt) ausschließe.<br />

Dies kann allerdings nicht richtig sein, weil zum einen zu einer vollständigen Rechtfertigung<br />

objektives und subjektives Rechtfertigungselement vorliegen müssen (s.o.). Und zum anderen<br />

hätte das Opfer dann kein Notwehrrecht gegen den Täter, falls dieser auch kein<br />

Fahrlässigkeitsunrecht verwirklicht. Aus Sicht des Opfers, das für den Irrtum des Täters ja<br />

u.U. nichts kann, ist dies kaum hinnehmbar. Andere prüfen den ETI wiederum erst in der<br />

Schuld; doch ist dieser Irrtum gerade nicht schuldrelevant, wie sich noch zeigen wird. Am<br />

überzeugendsten ist es daher, nach Bejahung der Rechtswidrigkeit, aber vor der Schuld eine<br />

„Extra-Prüfungsstufe Erlaubnistatbestandsirrtum“ einzuschieben. Freilich sollte man, wenn<br />

man der h.M. folgt, dann nicht im subjektiven Tatbestand davon sprechen, es habe Vorsatz<br />

vorgelegen, sondern lediglich, dass der Täter in Kenntnis bzw. Voraussicht aller nach dem<br />

objektiven Tatbestand relevanten Umstände gehandelt habe; anderenfalls setzte man sich dem<br />

Vorwurf aus, einen zunächst konstatierten Vorsatz nun doch wieder im Nachhinein<br />

systemwidrig zurückzunehmen.


„Der T könnte sich aber in einem sog. Erlaubnistatbestandsirrtum befunden haben. Ein<br />

solcher liegt dann vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat irrigerweise von Umständen<br />

ausgeht, die, wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, ihn nach einem anerkannten<br />

Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt hätten.“<br />

I. ETI bzgl. rechtfertigender Einwilligung<br />

„Der T könnte von Umständen ausgegangen sein, die, wären sie tatsächlich<br />

vorgelegen, ihn nach dem ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund der<br />

mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt hätten.<br />

Dann müsste der T auf der Grundlage seiner Vorstellungen vom Inhaber des<br />

disponiblen Rechtsguts ‚Eigentum’ bewusst und freiwillig vor der Tat zu dieser<br />

aufgefordert worden sein.<br />

Vorliegend ging der T davon aus, der N habe ihn darum gebeten, die Tür<br />

einzutreten. Diese Bitte geschah vor der Tat, und T ging auch davon aus, dass<br />

der N freiwillig handelte. Aber: T und folglich auch sein Nachbar N wohnen in<br />

einem Mietshaus, was T auch wusste. Damit ging er gerade nicht davon aus, dass<br />

der Inhaber des Rechtsguts ‚Eigentum an der Tür’ ihn zu der Beschädigung<br />

derselben aufgefordert hat; denn über dieses Rechtsgut konnte nur der E als<br />

Eigentümer, nicht aber der N als Mieter disponieren.“<br />

? ETI bzgl. rechtfertigender Einwilligung (-)<br />

Hinweis: Es ging hier zunächst einmal darum klarzustellen, dass keinesfalls vorschnell das<br />

Vorliegen eines ETI bejaht werden darf, um sich so schnell als möglich auf den Theorienstreit<br />

stürzen zu können. Vielmehr ist bei der Frage, ob der Täter überhaupt in einem ETI gehandelt<br />

hat, äußerst sorgsam der vermeintliche subjektive Rechtfertigungstatbestand unter einen<br />

anerkannten Rechtfertigungsgrund zu subsumieren. Erst wenn hier vollständige Kongruenz<br />

festgestellt wurde, d.h. wenn der Täter bei Begehung der Tat auch wirklich von Umständen<br />

ausgeht, die, wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, ihn nach einem anerkannten<br />

Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt hätten, kann von einem ETI gesprochen, und dürfen die<br />

altbekannten Theorien dann ins Spiel gebracht werden.<br />

II. ETI bzgl. § 904 S. 1 BGB (Aggressivnotstand)<br />

„T könnte sich aber Umstände vorgestellt haben, die, wenn sie vorgelegen<br />

hätten, ihn nach § 904 S. 1 BGB gerechtfertigt hätten.“<br />

1. Subsumtion: erfüllt das, was T sich vorstellte, den<br />

Rechtfertigungstatbestand des § 904 BGB in objektiver und subjektiver<br />

Hinsicht?<br />

a. Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr (+), T geht von akuter<br />

Lebensgefahr für N aus<br />

b. Einwirkung auf eine Sache, die aus der Sphäre eines<br />

unbeteiligten Dritten stammt (Aggressivnotstand) (+), T<br />

beschädigt die Tür des E, der mit der (vermeintlichen) Gefahr<br />

nichts zu tun hat<br />

c. Notwendigkeit (= „Erforderlichkeit“) (+)<br />

i. Geeignetheit (+),das Eingreifen des T als Rettungssanitäter<br />

wäre im Falle eines wirklichen Herzinfarktes ex ante<br />

betrachtet geeignet gewesen, die Gefahr abzuwenden<br />

ii. Notwendigkeit ieS (+), aus Sicht des T bestand keine<br />

andere, gleich effektive Möglichkeit der Gefahrenabwehr


d. Interessenabwägung (+), der vermeintlich drohende Schaden,<br />

der Tod des N, ist unverhältnismäßig größer als die<br />

Beschädigung der im Eigentum des E stehenden Tür<br />

e. Angemessenheit (+)<br />

f. subjektives Rechtfertigungselement (+), T handelt, um N zu<br />

retten<br />

→ „Zwischenergebnis: Der T geht bei seiner Tat von Umständen aus,<br />

die, wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, ihn nach § 904 S. 1 BGB<br />

gerechtfertigt hätten; er handelt folglich in einem<br />

Erlaubnistatbestandsirrtum.<br />

Wie ein solcher zu behandeln ist, ist umstritten.“<br />

2. Streitdarstellung<br />

a. Nach den verschiedenen Vorsatztheorien entfällt bei einem<br />

Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund - gleichwie, ob ein<br />

Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt - der Vorsatz.<br />

Kennzeichen aller Vorsatztheorien ist, dass sie das Bewusstsein<br />

der Rechtswidrigkeit (Unrechtsbewusstsein) als Bestandteil des<br />

Vorsatzes ansehen. Vorsatz erfasst so verstanden neben dem<br />

Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung auch das<br />

Unrechtsbewusstsein als sog. dolus malus.<br />

[Diese Theorien gelten heute als durch § 17 StGB erledigt, weil<br />

hierdurch klargestellt wird, dass eine Bestrafung aus Vorsatztat<br />

auch ohne aktuelles Unrechtsbewusstsein möglich ist (bei<br />

vermeidbarem Irrtum), mithin das Unrechtsbewusstsein kein<br />

Bestandteil des Vorsatzes sein kann.]<br />

b. Die Gegenposition zu den Vorsatztheorien nehmen die durch<br />

§ 17 StGB Gesetz gewordenen Schuldtheorien ein.<br />

Kennzeichen der Schuldtheorien ist es, dass das<br />

Unrechtsbewusstsein nicht als Vorsatzbestandteil, sondern als<br />

selbständiges Schuldelement angesehen wird. Mit dieser<br />

Zuordnung ist aber nur eine Aussage über das<br />

Unrechtsbewusstsein als solches verbunden. Ob auch die<br />

Rechtfertigungsirrtümer uneingeschränkt den Regeln des<br />

Verbotsirrtums folgen oder ob sie eine differenzierte<br />

Behandlung verdienen, ist innerhalb der Schuldtheorien<br />

umstritten. Dementsprechend werden die<br />

Rechtfertigungsirrtümer auch verbrechenssystematisch ganz<br />

unterschiedlich eingeordnet.<br />

i. Die strenge Schuldtheorie sieht jeden Irrtum über die<br />

Rechtswidrigkeit der Tat als Verbotsirrtum mit den in<br />

§ 17 StGB normierten Folgen an. Sie fragt also nicht<br />

danach, ob der Täter seine Handlung generell für verboten<br />

gehalten hat oder ob er infolge seines Irrtums über<br />

Bestehen, Art oder Umfang eines Rechtfertigungsgrundes<br />

erst indirekt zu der Ansicht gelangt ist, dass sein Verhalten<br />

erlaubt sei. Dies sei nur auf Schuldebene im Rahmen von<br />

§ 17 StGB zu berücksichtigen. Bei Unvermeidbarkeit des<br />

Irrtums entfällt die Schuld; bei Vermeidbarkeit wird aus der<br />

fraglichen Vorsatztat schuldig gesprochen, nur die Strafe<br />

kann nach § 17 S. 2 StGB gemildert werden.


ii. Die eingeschränkte Schuldtheorie ist dadurch<br />

gekennzeichnet, dass sie zwischen dem Irrtum über die<br />

sachlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes<br />

(Erlaubnistatbestandsirrtum) und dem Irrtum über die<br />

Existenz eines Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnisirrtum)<br />

unterscheidet. Beim Erlaubnistatbestandsirrtum sei der Täter<br />

nicht wegen Vorsatztat zu bestrafen. Beruht der Irrtum auf<br />

Fahrlässigkeit, so wird der Täter wegen fahrlässiger<br />

Begehung bestraft, soweit die fahrlässige Tat mit Strafe<br />

bedroht ist. Beim Erlaubnisirrtum, bei dem der Täter<br />

lediglich über die rechtlichen Grenzen eines anerkannten<br />

Rechtfertigungsgrundes irrt oder einen nicht existenten<br />

Rechtfertigungsgrund annimmt, finden dagegen<br />

ausschließlich die Grundsätze des Verbotsirrtums<br />

Anwendung. Bei der Begründung dieser differenzierten<br />

Behandlung von Erlaubnistatbestandsirrtum und<br />

Erlaubnisirrtum werden wiederum verschiedene Ansätze<br />

vertreten.<br />

• Nach der Lehre von den negativen<br />

Tatbestandsmerkmalen sind die Voraussetzungen<br />

von Rechtfertigungsgründen negative<br />

Tatbestandsmerkmale eines<br />

Gesamtunrechtstatbestandes. Danach umfasst der<br />

Vorsatz nicht nur die Merkmale des gesetzlichen<br />

Tatbestandes. Vielmehr muss sich der Täter auch der<br />

Nichteinschlägigkeit von Rechtfertigungsgründen<br />

bewusst sein. Diese Meinung ermöglicht folglich die<br />

direkte Anwendung des § 16 I StGB, indem sie zu<br />

den Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes<br />

auch das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen<br />

rechnet. Die Konsequenz ist, dass in den Fällen der<br />

Putativrechtfertigung der Vorsatz ausgeschlossen ist.<br />

• Nach der Lehre vom Ausschluss des<br />

Vorsatzunrechts behandelt § 16 I StGB allein den<br />

Tatbestandsirrtum. Allerdings beinhaltet der<br />

Handlungsunwert insgesamt die rechtlich missbilligte<br />

Willensbetätigung, d.h. die auf die Herbeiführung<br />

eines Erfolgsunwertes gerichtete Willensbetätigung.<br />

Dieser Unwert ist nun jedoch im Falle eines<br />

Erlaubnistatbestandsirrtums ausgeschlossen bzw. auf<br />

die Sorgfaltswidrigkeit reduziert, da der Täter in<br />

seinem Verhalten (im Gegensatz zum<br />

Erlaubnisirrtum) eigentlich rechtstreu ist. Dieser<br />

Unrechtsausschluss entspricht der Situation des<br />

§ 16 I StGB und nicht dem Schuldausschluss des<br />

§ 17 StGB, da bereits das Unrecht und nicht die<br />

(Vorsatz-)Schuld betroffen ist. Folglich ist nach<br />

dieser Ansicht die analoge Anwendung des<br />

§ 16 StGB geboten mit der Folge des<br />

Vorsatzausschlusses.


• Nach der rechtsfolgenverweisenden<br />

eingeschränkten Schuldtheorie (oder Lehre vom<br />

Ausschluss der Vorsatzschuld) ist der Vorsatz in<br />

Tatbestandsvorsatz und Vorsatzschuld aufgeteilt. Da<br />

beim Erlaubnistatbestandsirrtum der Täter bewusst<br />

gegen den gesetzlichen Tatbestand verstoße und von<br />

der Warnfunktion des Tatbestandes erreicht werde,<br />

könne der Erlaubnistatbestandsirrtum nur auf der<br />

Ebene der Vorsatzschuld relevant sein. Damit<br />

entspricht er der Kategorie des Verbotsirrtums. Da<br />

der Täter allerdings grundsätzlich rechtstreu sei,<br />

stelle sein Verhalten keine (vorsätzliche) Auflehnung<br />

gegen die Rechtsordnung dar, so dass die<br />

Vorsatzschuld im Gegensatz zum Erlaubnisirrtum<br />

stets entfalle. Es verbleibe nur die Möglichkeit einer<br />

Fahrlässigkeitsschuld. Mithin sei die Rechtsfolge des<br />

§ 16 die adäquate Reaktion auf das Verhalten des<br />

Täters, so dass nach dieser Ansicht zwar nicht direkt<br />

der Vorsatz, aber zumindest die Strafe wegen<br />

Vorsatzdeliktes nach analoger Anwendung des<br />

§ 16 StGB nur hinsichtlich der Rechtsfolge<br />

entfällt.<br />

3. Anwendung auf den Fall und Streitentscheid<br />

→ Bis auf die strenge Schuldtheorie kommen vorliegend alle<br />

Auffassungen dazu, dass T nicht vorsätzlich handelte. Die strenge<br />

Schuldtheorie ist zwar im Ansatz konsequent, jedoch führt sie insgesamt<br />

zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen, da sie den rechtstreuen Täter dem<br />

Gesinnungstäter gleichstellt.<br />

Die strenge Schuldtheorie übersieht, dass es sich beim<br />

Erlaubnistatbestandsirrtum nicht eigentlich um einen Bewertungsirrtum<br />

handelt, d.h. einen Irrtum, bei dem der Täter bei zutreffender<br />

Sachverhaltskenntnis ein anderes Urteil über seine Tat fällt als die<br />

Rechtsordnung. Ein solcher Irrtum, betrifft er die Rechtswidrigkeit der<br />

eigenen Handlung, wäre tatsächlich auf der Schuldebene anzusiedeln. Ein<br />

Täter im Erlaubnistatbestandsirrtum aber erfasst schon den das Unrecht<br />

seiner Tat konstituierenden Sachverhalt nicht richtig und kommt dann<br />

erst und deswegen – und auch nur möglicherweise, vgl. Fall 2 –zu einer<br />

Fehlbewertung seiner Tat als „rechtmäßig, weil gerechtfertigt“. Diese<br />

Wertung stünde dann „im Einklang mit der geltenden Rechtsordnung“,<br />

weil der Täter bei Zugrundelegung der von ihm fälschlicherweise<br />

angenommenen Umstände ja tatsächlich gerechtfertigt wäre; das wäre<br />

wiederum ein Unterschied zum Täter im Verbotsirrtum, dessen<br />

Rechtsauffassung von der geltenden Rechtsordnung abweicht. Damit ist<br />

festgestellt, dass der Erlaubnistatbestandsirrtum seiner Struktur nach als<br />

Irrtum über den Lebenssachverhalt zumindest analog § 16 I StGB zu<br />

bewerten ist, und nicht nach § 17 StGB.<br />

Somit ist die strenge Schuldtheorie abzulehnen, während es zu den<br />

übrigen Auffassungen keiner Stellungnahme bedarf.<br />

→ Ergebnis: § 203 (-), (grundsätzlich an Fahrlässigkeitsdelikt denken -<br />

§ 16 I 2 – das es freilich für den Fall der Sachbeschädigung nicht gibt; ist<br />

eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit grundsätzlich möglich, so ist in deren


Rahmen zu fragen ob der Täter den Irrtum über die rechtsfertigenden<br />

Umstände hätte vermeiden müssen und können)<br />

→ Exkurs : Es ist für den Streit um den Erlaubnistatbestandsirrtum<br />

typisch, dass es bis auf die Ablehnung der strengen Schuldtheorie keiner<br />

weiteren Stellungnahme bedarf. Dieses sollte auch in Klausur und vor<br />

allem Hausarbeit beachtet werden – es ist meistens gar nicht notwendig,<br />

sich explizit für nur eine Auffassung zu entscheiden!!! Von echter<br />

Relevanz ist der Streit nur im Falle der Teilnahme (vgl. Wortlaut<br />

§ 26 StGB: „vorsätzliche“). Nur dann muss ein Streitentscheid zwischen<br />

den eingeschränkten Schuldtheorien vorgenommen werden! Indes wird<br />

es sich meistens um Fälle mittelbarer Täterschaft nach § 25 I 2. Alt<br />

handeln, so dass sich die Bedeutung weiter verringert.<br />

D. Ergebnis<br />

Der T hat sich nicht gem. § 303 StGB strafbar gemacht.


Fall 2<br />

Der etwas weltfremde, da fernsehabstinent lebende Philosophie-Professor P verlässt – das<br />

erste Mal in seinem Leben –seine Heimatstadt Erlangen, um in Köln einen Vortrag zu halten.<br />

Als er, eben im Bahnhof angekommen, gerade aus dem ICE steigt, sieht er den ihm<br />

unbekannten M auf sich zurennen. In seiner Hand schwingt der M ein großes Messer. P geht<br />

davon aus, dass er – wie er es ja von Anfang an schon geahnt hatte – mit seiner Reise sein<br />

Leben auf’s Spiel gesetzt hat, und nun gleich gewissermaßen zur Begrüßung erstochen<br />

werden soll. Um sich zu verteidigen, rammt er dem M die Spitze seines Regenschirm in den<br />

Bauch (glücklicherweise hatte P’s Mutter, bei der dieser noch immer wohnt, ihm geraten, den<br />

Regenschirm mitzunehmen – „Es könnt’ ja regnen!“). Der M geht verletzt zu Boden. Freilich<br />

hatte dieser niemals vor, den P zu verletzen; vielmehr war gerade Karneval in Köln, und M<br />

wollte sich einen kleinen, lokal üblichen Scherz mit einem Gummimesser erlauben.<br />

Auf der Grundlage seiner Vorstellung jedoch war die Verletzung des M für P die einzige<br />

Möglichkeit, den Angriff aktiv handelnd abzuwehren; allerdings hätte der P auch fliehen<br />

können, und er ging auch davon aus, hierzu verpflichtet zu sein, hatte dazu aber keine rechte<br />

Lust, weil sich die jahrelang bei ihm angestauten Aggressionen endlich einmal entladen<br />

mussten.<br />

Strafbarkeit des P gem. § 223 I StGB?<br />

Lösung Fall 2<br />

A. Tatbestand<br />

I. objektiver Tatbestand (+)<br />

II. subjektiver Tatbestand (+)<br />

B. Rechtswidrigkeit (+), es lagen keine objektiv rechtfertigenden Umstände vor; der P<br />

wurde von M nicht angegriffen, oder zumindest nicht so, dass eine derartige<br />

Verteidigung erforderlich gewesen wäre<br />

C. ETI<br />

P stellte sich einen Sachverhalt vor, der ihn nach § 32 StGB gerechtfertigt hätte → P<br />

handelte in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, dessen rechtliche Behandlung<br />

umstritten ist (vgl. oben).<br />

In diesem Sonderfall ist aber zu beachten, dass der P zusätzlich mit<br />

Unrechtsbewusstsein handelte, weil er – fälschlicherweise – davon ausging, in einer<br />

Notwehrsituation sei der Verteidiger zum Ausweichen verpflichtet, und folglich nicht<br />

zur aktiven Gegenwehr berechtigt, solange er die Möglichkeit zu fliehen hat.<br />

Hier zeigt sich, dass die „strenge Schuldtheorie“ keinesfalls richtig sein kann, weil sie<br />

schon auf einer falschen Prämisse aufbaut, nämlich der, dass der Täter im<br />

Erlaubnistatbestandsirrtum immer ohne Unrechtsbewusstsein handle, was eine<br />

Gleichstellung mit einem Täter im Verbotsirrtum nach § 17 StGB erfordere. Dass<br />

diese Prämisse nicht richtig ist, zeigt Fall 2. Hier handelt der Täter per definitionem in<br />

einem Erlaubnistatbestandsirrtum, und nimmt überdies fälschlicherweise an, er handle<br />

rechtswidrig, was an einer falschen rechtlichen Wertung seinerseits liegt. Diese aber<br />

kann im Bereich des Erlaubnistatbestands ebenso wenig eine Rolle spielen, wie im<br />

Bereich des Deliktstatbestandes, wo sie ja auch allenfalls nur ein Wahndelikt<br />

begründen würde. Die Frage, wie ein ETI rechtlich zu behandeln ist, ist demgegenüber<br />

von der rechtlichen Beurteilung seitens des Täters völlig unabhängig. Folglich können<br />

nur die „eingeschränkten Schuldtheorien“ richtig sein.<br />

→ Lösung wie oben, d.h. P handelt nicht vorsätzlich; in Betracht kommt<br />

gem. § 16 I S. 2 StGB (analog) eine Strafbarkeit nach § 229 StGB, nach der aber nicht<br />

gefragt ist


Beachte: Diese Situation darf also nicht mit dem Doppelirrtum verwechselt werden, bei dem<br />

der Täter zum einen einem ETI unterliegt und zum anderen die Grenzen seines Notwehrrechts<br />

überschreitet. Anders als der einfache ETI wird dieser Irrtum nach § 17 gelöst.

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