Referat - Wolfsberg
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<strong>Wolfsberg</strong> Arts Forum<br />
Arts and Business: Neue Wege zu Kreativität und Innovation<br />
5./6. April 2004<br />
<strong>Referat</strong> von Karolin Timm, Siemens Arts Program, München<br />
"Warum sich Kultur lohnt: Eine Analyse der wirtschaftlichen Produktivität"<br />
(Einleitung)<br />
Die Anzahl der Veranstaltungen, Neuerscheinungen und Workshops über die Wechselwirkung von<br />
Kunst und Wirtschaft ist in den letzten Jahren rapide gestiegen. Das Thema scheint über die<br />
Fachbereiche hinweg en vogue. (Folie 2) Universitäten erstellen Evaluationsstudien,<br />
Unternehmensberater führen Umfragen durch, Künstleinnen und Künstler suchen in der Wirtschaft<br />
Kooperationspartnern und Öffentliche Institutionen realisieren Veranstaltungen zu diesem Thema. Als<br />
Beispiel ist hier das Symposium „Ökonomie der Kunst“ der Friedrich Ebert Stiftung im vergangenen<br />
November ebenso zu nennen wie das Diskussionsforum „Über das Zusammenspiel von Kunst und<br />
Wirtschaft“ für Künstler, Unternehmer und Wissenschaftler, das der Badische Kunstverein Karlsruhe<br />
seit Februar diesen Jahres veranstaltet, oder die jüngst in der Edition Solitude erschienene Publikation<br />
„Neue Freunde. Zum akutellen Stand von art, science & business“.<br />
Nach noch hitzig geführten Debatten Ende der 90er Jahre über die Einverleibung oder<br />
Instrumentalisierung der Kunst durch die private Wirtschaft – auch das Siemens Arts Program wurde<br />
mit Zensurvorwürfen konfrontiert – wird heute nach dem Verhältnis von unternehmerischem und<br />
künstlerischem Denken und Handeln gefragt. Auf der Suche nach neuen Formen der Zusammenarbeit<br />
sollen Konsequenzen aufgezeigt und Modelle für neue Kooperationen entwickelt werden. Grundlage<br />
für die Beschäftigung ist die aktuelle Praxis mit ihren jeweiligen Strategien. Den regen Austausch über<br />
das Thema befürworte ich natürlich, auch wenn ich der häufig prognostizierten „Allheilmittelwirkung“<br />
von Kultur und Kunst in Unternehmen durchaus skeptisch gegenüber stehe.<br />
Ich bin neugierig, mit welchen diesbezüglichen Erkenntnissen wir <strong>Wolfsberg</strong> verlassen, freue mich<br />
sehr auf Gespräche und bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für die freundliche Einladung an<br />
diesen prächtigen Ort.<br />
Mein Vortrag trägt den Titel „Warum sich Kultur lohnt: Eine Analyse der wirtschaftlichen<br />
Produktivität“. Ich hoffe, Sie erwarten keine Rechtfertigung im ökonomischen Sinne, denn dann muss<br />
ich Sie gleich zu Beginn enttäuschen. Was ich Ihnen anbiete, ist eine Vorstellung des kulturellen<br />
Engagements der Siemens AG (Folie 3), das sich aus Stiftungsarbeit, Sponsoring und den Projekten<br />
des Siemens Arts Program zusammensetzt. Den Fokus lege ich im folgenden auf den Aktivitäten des<br />
Siemens Arts Program, für das ich seit etwas mehr als fünf Jahren arbeite und dessen Ausrichtung ich
in diesem Rahmen für besonders interessant erachte. Ich hoffe, meine Ausführungen geben Ihnen<br />
abschließend Antwort auf den ersten Teil des Vortragstitels: Warum sich Kultur lohnt.<br />
(kulturelles Engagement bei Siemens)<br />
Die Geschichte von Siemens ist 157 Jahre alt. Inzwischen sind 425.000 Mitarbeiter in 190 Ländern für<br />
das Unternehmen tätig und Corporate Social Responsibility ist ein fester Bestandteil des<br />
Geschäftsberichts. Aber schon die Firmengründer, die Brüder Werner, Karl und Ernst von Siemens<br />
nahmen ihre gesellschaftliche Verantwortung sehr ernst und unterstützten neben Bildungs- und<br />
sozialen Einrichtungen auch die Kultur. Somit ist die Förderung von Kunst und das Wissen über die<br />
Wechselwirkung zwischen unternehmerischer und gesellschaftlicher Entwicklung traditionell bei<br />
Siemens verankert. „Wir tun das, weil wir das schon immer getan haben“, hat der<br />
Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer jüngst in einem Gespräch über Kulturförderung durch das<br />
Unternehmen gesagt, und es ist fast selbstverständlich, dass Siemens nicht nur auf dem<br />
technologischen Feld Forschung betreibt, sondern auch im kulturellen Umfeld den Anspruch hat,<br />
Neues zu entwickeln und mitzugestalten.<br />
Dass die Förderung von Kunst und Kultur schon lange zum unternehmerischen Denken gehört, zeigen<br />
auch die vier Siemens Stiftungen (Folie 4), deren Aufgabe die Pflege der Kultur und Wissenschaft ist.<br />
Der 1916 gegründete Werner-von-Siemens-Ring nimmt sich der technischen Wissenschaften an, für<br />
die Geisteswissenschaften engagiert sich die seit 1958 bestehende Carl Friedrich von Siemens<br />
Stiftung. Die in der Schweiz ansässige private Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt seit 1972<br />
Preise an Künstler und Wissenschaftler aus der Musikwelt. Vielleicht haben Sie es ja schon in den<br />
Medien erfahren, der diesjährige Preisträger ist der Pianist Alfred Berndl. 1983 gründete man zudem<br />
den Ernst von Siemens Kunstfonds, der Museen bei Ankäufen und Publikationen unterstützt.<br />
Neben den Stiftungsaktivitäten ist (Folie 5) Kultursponsoring im Unternehmen dezentral organisiert.<br />
Jeder Unternehmensbereich und jeder Standort kann gegenüber Dritten als Sponsor auftreten und<br />
Ausrichtung und Umfang seines Förderengagements frei bestimmen. Gefördert werden fast alle<br />
Sparten zeitgenössischer, arrivierter Kunst. Auch regional ist die Sponsoringtätigkeit nicht beschränkt;<br />
so vergibt etwa die australische Landesgesellschaft regelmäßig Stipendien an Kunststudenten und<br />
veranstaltet in Zusammenarbeit mit den jungen Künstlern Workshops für Mitarbeiter. Die<br />
Entscheidungen für Sponsoring werden im Unternehmen unter Marketinggesichtspunkten gefällt und<br />
folgen geschäftlichen Gesetzmäßigkeiten.<br />
Für die Siemens AG ist Kulturförderung seit 17 Jahren jedoch mehr als Stiftungs- und<br />
„konventionelle“ Sponsoringarbeit. (Folie 6)
Die Öffnung des Unternehmens für kulturelle Fragestellungen und Denkprozesse ermöglicht neue, oft<br />
ungewöhnliche Perspektiven auf das eigene Handeln. Ein Unternehmen, das sich allein auf seine<br />
Geschäftsfelder konzentriert, verliert den Bezug zur gegenwärtigen Welt und ihren komplexen<br />
Einflussfaktoren. Gerade für ein internationales Unternehmen – oder wie es inzwischen heißt, einen<br />
Global Player – ist die eigene geistige Flexibilität ein großes Kapital. Kunst und Kultur helfen,<br />
Neugierde auf Unbekanntes zu wecken. Und die Beschäftigung damit schafft wertvolle Freiräume, aus<br />
denen sich kreative, auch geschäftsgebundene Gedanken entwickeln können.<br />
Die hieraus resultierende Aufgabe der Grenzüberschreitung zwischen Wirtschaft und Kultur bildet die<br />
Basis für das (Folie 6a) 1987 gegründete Siemens Arts Program, vormals Siemens Kulturprogramm.<br />
Um dem Eigenwert der Kultur gerecht zu werden, hat Siemens mit diesem Programm sein<br />
Engagement in einen (Folie 6b) unabhängigen Unternehmensbereich für kulturelle Forschung<br />
institutionalisiert. Die nach wie vor gültige Positionierung der Abteilung wurde im Projektbericht<br />
1992 wie folgt zusammengefasst: „Die Unterscheidung zwischen einem altruistischen Mäzen und<br />
einem marketingorientierten Sponsor hebt das Siemens Arts Program zugunsten der Einführung einer<br />
dritten Kategorie auf: der institutionalisierten und programmatischen Kulturarbeit im Unternehmen.“<br />
Das Siemens Arts Program ist als eigenständige Abteilung unmittelbar an die Unternehmensleitung<br />
(Folie 6c), das Chief Executive’s Office, angebunden. Unsere Strategien und Pläne besprechen wir<br />
demnach mit der Firmenleitung und nicht mit den Marketingfachleuten des Unternehmens. Ich erlaube<br />
mir diese scheinbare „strukturelle Kleinigkeit“ zu betonen, da sie uns die Grundlage für unsere<br />
programmatische, internationale Projektarbeit liefert.<br />
Meine Kolleginnen und Kollegen sind Fachleute auf ihrem Gebiet: Kunsthistoriker,<br />
Theaterwissenschaftler, Musiker, eine Germanistin, eine Historikerin und ein Betriebswirt. In einem<br />
Team (Folie 6d) von 11 Personen konzentriert sich das Siemens Arts Program unter der Leitung von<br />
Michael Roßnagl in eigen (Folie 6e) initiierten Projekten auf Experimente und Neuansätze im Bereich<br />
der zeitgenössischen Kunst. Aus dem Blickwinkel von Kunst und Kultur werden Entwicklungen der<br />
Gesellschaft untersucht, die nach öffentlicher Diskussion im Spannungsfeld zwischen Kultur,<br />
Wirtschaft und Wissenschaft verlangen. Es ist uns dabei immer ein Anliegen, neue Ansätze und<br />
Themen der Kunst aufzuspüren und diese zusammen mit Partnerinstitutionen in die aktuelle Debatte<br />
ein zu binden. Um hierbei verschiedene Blickwinkel einnehmen zu können, engagiert sich das<br />
Siemens Arts Program in fünf verschiedenen Fachbereichen (Folie 7):<br />
Der Bereich (Folie 7a) Bildende Kunst erarbeitet heute Kunstprojekte und Ausstellungen bzw.<br />
Ausstellungsreihen – insbesondere Themenausstellungen zur aktuellen Kunst – gemeinsam mit<br />
Kunstinstitutionen für die öffentliche Präsentation in deren Räumen. Die von meinen Kollegen<br />
initiierten Projekte möchten neuen künstlerischen Ausdrucksformen und Themen Rechnung tragen.
Darüber hinaus übernehmen wir die Aufgabe, Werke der Bildenden Kunst als feste Installationen oder<br />
temporäre Leihgaben in die Arbeitswelt des Unternehmens zu integrieren.<br />
Im Bereich Musik (Folie 7b) konzentrieren wir uns auf außergewöhnliche Projekte der<br />
zeitgenössischen Musik und suchen gemeinsam mit den Künstlern nach unentdeckten Formen des<br />
musikalischen Ausdrucks. Dazu vergeben wir etwa Kompositionsaufträge, veranstalten Konzertreihen<br />
oder bieten Nachwuchsmusikern einen Ort für ihr Schaffen. Neue Projekte galten der Erprobung<br />
interaktiver elektronsicher Klangerzeugungs- und Kompositionsformen.<br />
Die Projektleitung Darstellende Kunst (Folie 7c) realisiert Veranstaltungsprojekte und<br />
Programmreihen, häufig in Form von Netzwerkmodellen, die Themen der Zeit aufgreifen und<br />
Prozesse anstoßen wollen. Gemeinsam mit Künstlern und Veranstaltern entwickelt sie Projekte, die<br />
neue Ansätze der Produktion, Präsentation und Diskussion von zeitgenössischem Tanz, Theater und<br />
Performance erproben und den internationalen Austausch über aktuelle künstlerische Entwicklungen<br />
fördern. Neben Initiativen zu Festivals, Symposien oder Themenveranstaltungen wurden bereits<br />
verschiedentlich künstlerische Beiträge als Reaktion auf ein bestimmtes kulturelles Umfeld realisiert.<br />
Die Projektbeispiele, die ich im anschließenden Teil meiner Ausführungen geben werde, verdeutlichen<br />
das.<br />
Im Projektbereich Zeit- und Kulturgeschichte (Folie 7d), werden Ausstellungen, Tagungen und<br />
Publikationen erarbeitet, die größere Zusammenhänge von kulturellen Phänomenen beleuchten. Zu<br />
den Kooperationspartnern zählen, neben anderen Unternehmensbereichen bei Siemens,<br />
gesellschaftlich orientierte Museen, wissenschaftliche Institutionen oder Fachverlage.<br />
Die Vermittlung zeitgenössischer Kunst bei den Mitarbeitern der Siemens AG (Folie 7e) ist eine<br />
zentrale und gleichzeitig eine der spannendsten Aufgaben des Siemens Arts Program. Exklusive<br />
Veranstaltungsangebote, Aktionen und speziell für einzelne Unternehmensstandorte konzipierte<br />
Projekte ermöglichen interessierten Mitarbeitern eine intensivierte Teilnahme am kulturellen Leben<br />
der jeweiligen Stadt. Wir bemühen uns durch die Projekte der Innerbetrieblichen Kulturarbeit das<br />
Thema Kultur ins Unternehmen zu tragen und die Auseinandersetzung über die aktuellen Strömungen<br />
zu fördern. Indem der unmittelbare Kontakt zu Künstlern, ihren Werken und Arbeitsmitteln hergestellt<br />
wird, lassen sich vorhandene Berührungsängste reduzieren und die Scheu vor dem Neuen,<br />
Unbekannten oder vermeintlich Unverständlichen abbauen.<br />
All unsere Projekte vermitteln wir durch unterschiedlichste Maßnahmen der internen und externen<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Folie 7f). Zu bemerken sei hier, dass diese Abteilung – zuzüglich<br />
zu Corporate Communications des Unternehmens – eigenständig arbeitet und veröffentlicht.
Die externen Projekte der einzelnen Bereiche realisieren wir im In- und Ausland – meist in Städten mit<br />
Siemens Niederlassungen – stets in Kooperation mit öffentlichen Kulturinstitutionen. Es ist ein<br />
Kennzeichen des Siemens Arts Program, dass wir mit Projektthemen in eigener Initiative auf Künstler<br />
und öffentliche Institutionen zugehen und im Dialog die jeweilige Idee vorantreiben. In der<br />
prozessorientierten Zusammenarbeit ist die inhaltliche Beteiligung beider Partner genauso<br />
selbstverständlich wie die paritätische Teilung des Budgets bei der Realisierung, d. h. wir tragen nicht<br />
mehr als 50 % des Projektetats.<br />
Nach Erläuterung der inhaltlichen Ausrichtung und der Strukturbeschreibung des Siemens Arts<br />
Program möchte ich Ihnen nun anhand einer Auswahl von aktuellen Projektbeispielen aus allen<br />
Bereichen einen Einblick in die konkrete Arbeit des Siemens Arts Program geben.<br />
„Auf eigene Gefahr“ (Folie 8) hieß eine Ausstellung, die wir in Kooperation mit der Schirn<br />
Kunsthalle in Frankfurt am Main vom 27. Juni – 7. September 2003 veranstaltet haben. Vor dem<br />
Hintergrund der Risikokultur beschäftigte sich die Ausstellung mit einer speziellen Form der Kunst<br />
seit den 90er Jahren. Die gezeigten Werke forderten den Besucher auf, aus seiner konsumierenden<br />
Passivität herauszutreten und sein eigenes Risikoverhalten zu reflektieren. Die Ausstellung hatte 5.000<br />
Besucher und war ganz besonders bei jungen Menschen und Familien sehr beliebt, die das Museum<br />
als Erfahrungsraum nutzten. Dass die Presse unser Engagement ebenso zahlreich beschrieb,<br />
verschaffte uns hinzukommend eine breite Präsenz in der Medienlandschaft.<br />
„Performative Installation“ (Folie 9) ist ein gutes Beispiel für eine Ausstellungsreihe unserer<br />
Abteilung. Unter dem Arbeitsbegriff „Performative Installation“ werden in Innsbruck, Köln, Siegen,<br />
Wien und Leipzig Arbeiten internationaler Künstlerinnen und Künstler gezeigt, die sich als Synthese<br />
von Ereignis und Werk, von Präsenz und Repräsentation, von Immaterialität und Materialität<br />
definieren. Der flüchtige Moment dient dabei als gleichermaßen generiertes und konstituierendes<br />
Element der Installation.<br />
Im Projektbereich Musik konfrontiert aktuell das Projekt „ABOUT BAROQUE“ Neue Musik mit<br />
historischer Aufführungspraxis. Das Siemens Arts Program ermöglicht hier in Kooperation mit dem<br />
Freiburger Barockorchester und dem Lucerne Festival fünf jungen Komponisten einen<br />
außergewöhnlichen musikalischen Diskurs mit der Alten Musik. Auf der Suche nach dem „Neuen in<br />
der Neuen Musik“ haben Komponisten des vergangenen Jahrhunderts bis heute die spieltechnischen<br />
und klanglichen Möglichkeiten des Orchesterinstrumentariums ausgeschöpft und durch ganze<br />
Arsenale an technischen und elektronischen Materialien ergänzt. Auch historische Instrumente wurden<br />
zur Erweiterung der Klangwelt in der Neuen Musik wiederholt zum Einsatz gebracht. ABOUT<br />
BAROQUE wird nun über den Aspekt der exotischen Klangkomponenten hinaus die spezifische
Spiel- und Phrasierungsweise, die ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten der historischen<br />
Aufführungspraxis für zeitgenössische Komponisten nutzen.<br />
Ein Projekt ganz anderer Ausrichtung wird vom 13. – 22. April 2004 am Staatstheater Stuttgart<br />
gezeigt: (Folie 10) „Zwischen den Kriegen. Gesellschaften im Umbruch. Theatrale<br />
Interventionen“.<br />
Gesellschaftliche Räume sind geprägt von Inszenierungsweisen, die nicht zuletzt durch die mediale<br />
Aufbereitung der jüngsten Kriege zusehends an Glaubhaftigkeit verlieren. Mit einem Festival neuer<br />
Theaterformen richten die Veranstalter – das Siemens Arts Program und das Staatstheater Stuttgart –<br />
den Blick auf Umbruchsituationen, die Gesellschaften erfahren und die auch in der Theaterlandschaft<br />
neue Affinitäten, Gegensätze und Utopien hervorbringen. Theatermacher reagieren auf diese<br />
Veränderungen mit dem Erkunden neuer Darstellungsformen. Die amerikanische Choreographin Meg<br />
Stuart zum Beispiel zeigt in einer Live-Installation die Zerrissenheit des Individuums am Körper. Das<br />
Spektrum der eingeladenen künstlerischen Positionen reicht von Performance, Installation, Sprach-<br />
Theater oder Video bis hin zu Körpertheater und Choreographie und steht im Dialog mit<br />
Inszenierungen des Schauspiels am Staatstheater Stuttgart<br />
Das jüngste Projekt aus dem Bereich „Zeit- und Kulturgeschichte“ heißt „Corporate Cultural<br />
Responsibility“ (Folie 11) und ist unter der notierten Homepageadresse seit Januar online.<br />
Hier wird, ausgehend von der Diskussion über die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von<br />
Unternehmen, erstmals nach Hintergründen, Sinn und Nutzen einer Pflege der kulturellen Umwelt<br />
durch Unternehmen gefragt. Ziel des Projekts ist es, einen Diskurs zu diesem Themenfeld zu initiieren<br />
und praktische Möglichkeiten der Realisation von Corporate Cultural Responsibility aufzuzeigen. Die<br />
Seite bietet nicht nur diskursive Beiträge von Fachleuten aus Universitäten, Beratungsgesellschaften<br />
und kulturellen Initiativen, sondern auch Reportagen über das kulturelle Engagement ganz<br />
unterschiedlicher Unternehmen.<br />
Abschließend möchte ich die Zeit nutzen, Ihnen, verehrte Damen und Herren, noch zwei<br />
exemplarische Projekte der Innerbetrieblichen Kulturarbeit vor zu stellen. (Folie 12)<br />
„Kulturzeiten“ heißen die Reihen, die wir inzwischen mit ca. 50 Veranstaltungen in 9 Städten des<br />
Unternehmens durchführen. Hier laden wir die Kolleginnen und Kollegen ein, sich mit dem Siemens<br />
Arts Program auf Entdeckungsreise durch die jeweilige Kulturlandschaft zu begeben. Besuche von<br />
zeitgenössischen Ausstellungen stehen genauso auf dem Program wie Besuche von Tanz- und<br />
Theateraufführungen, Lesungen und Konzerten. Dabei geht es uns immer darum, die Diskussion und<br />
das Gespräch über Kultur ins Unternehmen zu tragen und gedankliche Freiräume für die<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen. Durch originelle Vermittlungsangebote ermöglichen wir<br />
einen unkonventionellen Umgang oft auch mit sperrigen Themen, denen sich der häufig „ungeübte<br />
Betrachter“ sonst nicht nähern würde.
Projekte anderer Ausrichtung sind die In Situ- oder Partizipationsprojekte (Folie 13), die das Siemens<br />
Arts Program im Unternehmen für Mitarbeiter anbietet. Hier erhalten junge Künstler die Möglichkeit<br />
in enger Kommunikation mit Mitarbeitern, frei von finanziellen, zeitlichen oder sonstigen Zwängen<br />
eine eigene Arbeit zu entwickeln. Die Mitarbeiter haben wiederum die Möglichkeit die Entwicklung<br />
eines Kunstwerkes in allen Schaffensphasen unmittelbar mitzuverfolgen und zu beobachten, wie<br />
Künstler, Werk und industrielles Umfeld abhängig von den jeweiligen Bedingungen und auch von<br />
ihren eigenen Reaktionen interferieren.<br />
In der Reihe „What are they doing here?“ suchen wir die lebendige Kommunikation zwischen<br />
chinesischen Künstlern und Angestellten von Siemens Joint Ventures in China. Zusammen mit der<br />
Künstlerin Yin Xiuzhen realisierten wir vor zwei Jahren unter großem Engagement der Beteiligten das<br />
Pilotprojekt „Clothes Airplane – Made in Siemens“. Über neun Monate hat sich die Künstlerin mit der<br />
Teamstruktur und der individuellen Arbeitsmotivation der Mitarbeiter beschäftigt. Nach<br />
Einzelgesprächen mit jedem der 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gemeinschaftlichen Events<br />
entstand ein 7 Meter langes Flugzeug, das drei Monate lang das Großraumbüro schmückte. Material<br />
für das Objekt waren abgelegte Kleidungsstücke der Mitarbeiter. Auf ihnen verewigten sie in einer<br />
gemeinsamen Aktion in kurzen Reimen, philosophischen Gedanken oder auch lustigen Aussprüchen<br />
ihre privaten und beruflichen Visionen. So entstand unter Beigabe eines Jeden die Skulptur, die nur<br />
durch Beteiligung eines Jeden komplett wurde. Kurz vor der kleinen Präsentationsfeier, zu der auch<br />
Familienangehörige und Kollegen eingeladen waren, platzierten alle zusammen (Folie 14) ihre<br />
Portraits an den Fenstern des Flugzeuges. Dass hierbei die Dame, die für die Reinigung der<br />
Büroräume und für das Zubereiten des Tees verantwortlich ist, im Cockpit ihren Platz fand, war für<br />
mich ein Zeichen der produktiven Auseinandersetzung der Mitarbeiter mit diesem Kunstprojekt. Auch<br />
deshalb lohnt sich Kultur.<br />
Beim morgigen Panel haben Sie die Gelegenheit, eine weitere künstlerische Arbeit der „Projektreihe<br />
What are they doing here“ kennen zu lernen. Dort werde ich das Video „S10“ vorstellen, das Yang<br />
Fudong zusammen mit 20 Mitarbeitern bei Siemens Business Communication System in Shanghai<br />
realisiert hat.<br />
Ich hoffe die Beispiele haben Ihnen gezeigt, dass sich das Siemens Arts Program zusammen mit<br />
seinen wechselnden Partnern der Förderung von Innovativem, Irritierendem und Kreativem<br />
verschrieben hat. Die Vermittlung von Positionen, die genau das vermögen, an die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter des Unternehmens bildet das zweite Standbein unserer Aktivitäten. Wir wollen das<br />
Wagnis ermöglichen, von dem die Kunst lebt und das Freiraum und Visionen entfaltet. Es gilt, sich<br />
um die Offenheit und Vielfalt zu bemühen und künstlerische Positionen zu unterstützen, die neuen<br />
Ansätzen und Ideen folgen. Dabei steht die Nutzung von Kultur als Kreativitäts-, Identifikations-,
Image- oder Standortfaktor nicht im Vordergrund unserer Konzeptionen. Ein nur an ökonomischen<br />
Zielen orientiertes Denken und Handeln führt in die geistige Leere. Kultur muss sich eigentlich gegen<br />
andere gesellschaftliche Felder behaupten, wenn die Gesellschaft nicht elementare Substanzverluste<br />
(Utopieverluste, Humanitätsverluste, Phantasieverluste, Freiheitsverluste) erleiden soll. Oder wie<br />
Walter Benjamin sagte: „Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine<br />
Nachfrage zu erzeugen für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist.“<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.