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Script 1: Horizonte des Sammelns - Wolfsberg

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WOLFSBERG<br />

<strong>Horizonte</strong> <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong><br />

Beiträge von Christina Weiss und Adrian Koerfer<br />

... ... ...<br />

SCR PT 1


WOLFSBERG<br />

<strong>Horizonte</strong> <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong><br />

Beiträge von Christina Weiss und Adrian Koerfer<br />

... ... ...<br />

SCR PT 1


Eine Begleitpublikation zum <strong>Wolfsberg</strong> Arts Forum 2006/2007<br />

Herausgeber: Dr. Toni Schönenberger<br />

Redaktion: Dr. Karolina Jeftic<br />

Gestaltung: Urs Stuber, Frauenfeld<br />

Lektorat: Miriam Seifert-Waibel<br />

Satz:<br />

Daniela Bieri-Mäder, Niederbüren<br />

Herstellung: Heer Druck AG, Sulgen<br />

© 2007 für die Texte bei den Autoren.<br />

© für die Abbildungen (Sammlung Mondstudio):<br />

alle Fotos, soweit nicht anders benannt:<br />

© Wolfgang Günzel, Offenbach am Main, Deutschland.<br />

© 2007 für die Abbildungen bei den Kunstschaffenden<br />

oder bei deren Verwertungsgesellschaften.<br />

Jegliche Reproduktion der Texte ist nur mit ausdrücklicher<br />

schriftlicher Genehmigung <strong>des</strong> Herausgebers erlaubt.<br />

<strong>Wolfsberg</strong> –The Platform for Executive & Business Development<br />

CH-8272 Ermatingen<br />

Phone +41 71 663 51 51, Fax +41 71 663 55 90, www.wolfsberg.com<br />

A subsidiary of UBS AG


<strong>Horizonte</strong> <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong><br />

5 Im Kraftfeld der Kunst. Die Verantwortung <strong>des</strong> Sammlers.<br />

Christina Weiss<br />

23 «Hättest Du geschwiegen…»<br />

Adrian Koerfer


ˆ<br />

´


Im Kraftfeld der Kunst.<br />

Die Verantwortung <strong>des</strong> Sammlers.<br />

Christina Weiss<br />

Im Kraftfeld der Kunst entwickelt sich das Zusammenspiel von Sammler und<br />

Kunstwerk, ein Prozess, eine Energie, die in die gesellschaftliche Wertschätzung<br />

von Kunst ausstrahlt. Die positivste Motivation, Kunstwerke zu sammeln,<br />

entsteht, wenn ein Werk den Betrachter in seinen Bann geschlagen hat<br />

und Besitzbegehren auslöst. Dieser Prozess entspricht der Dynamik <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong>,<br />

wie sie Walter Benjamin für sich entwickelt hat: Den Sammler beschreibt<br />

er in seinen Denkbildern als einen, der «ein Verhältnis zu den Dingen<br />

hat, das in ihnen nicht den Funktionswert, also den Nutzen sieht, ihre Brauchbarkeit<br />

in den Vordergrund rückt, sondern sie als den Schauplatz, das Theater<br />

ihres Schicksals studiert und liebt. Es ist die tiefste Bezauberung <strong>des</strong> Sammlers,<br />

das einzelne in einen Bannkreis einzuschließen, in dem es, während<br />

der letzte Schauer – der Schauer <strong>des</strong> Erworbenwerdens – darüber hinläuft, erstarrt.<br />

Alles Erinnerte, Gedachte, Bewusste wird Sockel, Rahmen, Postament,<br />

Verschluß seines Besitztums. Zeitalter, Landschaft, Handwerk, Besitzer, von<br />

denen es stammt – sie alle rücken für den wahren Sammler in jedem seiner<br />

Besitztümer zu einer magischen Enzyklopädie zusammen, deren Inbegriff das<br />

Schicksal seines Gegenstan<strong>des</strong> ist.» 1<br />

Auch wenn dies das Geständnis <strong>des</strong> Büchersammlers Walter Benjamin ist<br />

und nicht das eines Kunstsammlers, so sind doch zwei Momente in unserem<br />

Kontext von Belang: die Bezauberung durch das einzelne Objekt auf der<br />

einen Seite und das Begehren enzyklopädischer Fülle auf der anderen, Leidenschaft<br />

und Wissensanhäufung, Sehnsucht nach Weltaneignung. Beim<br />

Sammler wird die Begegnung mit einem Kunstwerk, das er besitzen möchte,<br />

zur eigenen Geschichte. Die Erinnerung an den Moment <strong>des</strong> ersten Aufeinandertreffens<br />

wird zum Teil <strong>des</strong> eigenen Lebens, eine emotionale Erfahrung,<br />

die seine Weltsicht und sein Begehren nach weiteren ähnlichen Begegnungen<br />

auch in Zukunft prägen wird. Selbstverständlich rede ich hier von der<br />

Sammlerin bzw. dem Sammler aus Leidenschaft. Von Menschen, die sich auf<br />

die Begegnung mit der Kunst wirklich einlassen, so weitgehend einlassen,<br />

dass sie sich in dieser Begegnung und durch diese Begegnung verändern, dass<br />

ihre Subjektivität, ihre emotionale und rationale Innenwelt, eine bleibende<br />

Spur erfährt. Es gibt eine Gedichtzeile bei Helmut Heißenbüttel, dem grossen<br />

5<br />

Endnoten auf Seite 21


– leider nicht mehr häufig genug erinnerten – deutschen Dichter der zweiten<br />

Hälfte <strong>des</strong> zwanzigsten Jahrhunderts, die dieses Ereignis der Erfahrung von<br />

Kunst sehr poetisch und sehr eingängig metaphorisch beschreibt: Die Zeile in<br />

Heißenbüttels Gedicht Phantasie mit Joseph von Eichendorff lautet: «Etwas<br />

knackt auf im Gehirn und färbt nach innen». 2<br />

Je<strong>des</strong> bewusste und gefühlte Erleben, jede intensive Erfahrung prägt<br />

sich uns ein und verändert bemerkt oder unbemerkt alle folgenden Wahrnehmungen.<br />

Das künstlerische Zeichen ist nie auf Eindeutigkeit angelegt,<br />

<strong>des</strong>halb zieht es uns in einen andauernden Prozess zwischen sinnlicher Wahrnehmung,<br />

der Reflexion dieser Wahrnehmung und der möglichen Bedeutungsgebung,<br />

die weitgehend demjenigen obliegt, der sich auf den Dialog<br />

mit dem Kunstwerk einlässt. Die Kommunikation mit Kunst muss erlernt<br />

werden. Harry Mulisch sprach in einem Interview einmal davon, dass man<br />

«ablernen» muss. Die Kunst fordert ein neugieriges, offenes Sich-Einlassen<br />

mit Herz und Hirn. Wir müssen unser Selbst dieser neuen Erfahrung, die uns<br />

das Kunstwerk anbietet, voll und ganz preisgeben, sonst kann der Prozess <strong>des</strong><br />

Austausches nur ein reduzierter oder oberflächlicher sein. Der amerikanische<br />

Soziologe Richard Sennett hat für den modernen Grossstadtmenschen die<br />

Notwendigkeit einer «Kunst der Selbstpreisgabe» gefordert. Er meint damit<br />

die Ausbildung einer Haltung, die es möglich macht, mit aufgeschlossener<br />

Sympathie Fremdem und Ungewöhnlichem zu begegnen – was der Alltag<br />

in zunehmendem Masse gerade vom Stadtmenschen verlangt. Die Künste<br />

sind das ideale Trainingsfeld für diese Fähigkeit. Sie eröffnen Spielräume der<br />

Gefühlsbildung, eingefahrene Wahrnehmungsmuster werden irritiert, Vorurteile<br />

blossgestellt. Die Regeln der Kunst entsprechen nicht denjenigen <strong>des</strong><br />

Alltags. Diese Prämisse muss man akzeptiert haben. Wahrnehmend erfahren<br />

wir, wie subjektiv unsere Wahrnehmung ist, wie vorgeprägt durch frühere<br />

Erfahrungen, wie eingefahren durch Routine. Die ästhetische Erfahrung konfrontiert<br />

uns besonders unmittelbar mit uns selbst, weil sie die Reaktion auf<br />

die eigene Erfahrung mit einschliesst. Wir reagieren emotional auf die sinnliche<br />

Wahrnehmung von Bild, Bewegung, Klang zum Beispiel und reflektieren<br />

zugleich das Gefühl, das in uns ausgelöst wird. Ob die Begegnung uns<br />

6


anrührt, zum Lachen bringt oder zum Weinen, ob sie uns ratlos oder geschockt<br />

abstösst, ob sie die Entdeckerlust in uns weckt oder uns – bildlich<br />

gesprochen – am Schlafittchen packt und durchrüttelt, weil uns etwas Unerwartetes<br />

und So-noch-nie-Erfahrenes widerfährt: In jedem Fall ist der künstlerische<br />

Appell zur Selbstpreisgabe gekoppelt an die Aufforderung zum Ausprobieren.<br />

Neugieriges und spielerisches Umgehen mit einem künstlerischen<br />

Objekt heisst experimentieren: Wahrnehmungsvarianten durchspielen, wechselnde<br />

Regeln erproben und sich mit Lust auf die Vielfalt möglicher Bedeutungen<br />

einlassen. Deshalb ist das Kommunikationsspiel, das ein Kunstwerk<br />

in Gang setzt, immer wieder neu aufladbar zu unterschiedlichen Zeiten<br />

und in unterschiedlichen Kontexten. Darin liegt natürlich u.a. der Anreiz, mit<br />

Kunstwerken leben zu wollen – die Möglichkeit zu haben, sie immer wieder<br />

neu und anders ins Augenmerk zu nehmen und in anderen Erlebenszusammenhängen<br />

immer wieder unterschiedlich auf sie zu reagieren. Es geht<br />

bei der Kunst nicht um einmaliges eindeutiges Verstehen, sondern um den<br />

immer wieder neu aufgeladenen Energieaustausch zwischen Betrachter und<br />

Objekt – um das Leben mit einer ständigen Herausforderung, die uns mit<br />

den eigenen Grenzen konfrontiert, unseren Horizont und Gefühlsradius beständig<br />

erweitert. George Steiner verweist auf das Gedicht von Rainer Maria<br />

Rilke Der Archaische Torso Apollos: «Der archaische Torso in Rilkes Gedicht<br />

sagt zu uns: ‹Du musst Dein Leben ändern›. Und das sagen alle Gedichte,<br />

Romane, Dramen, Gemälde, Musikstücke, denen zu begegnen sich lohnt. Die<br />

Stimme nachvollziehbarer Form, <strong>des</strong> Bedürfnisses nach direkter Ansprache,<br />

dem eine solche Form entspringt, fragt: ‹Was empfin<strong>des</strong>t Du, was hältst<br />

Du von den Möglichkeiten <strong>des</strong> Lebens, von alternativen Daseinsformen, die<br />

unserer Begegnung, die dem Moment, da Du mich erfährst, innewohnen?›<br />

Die Indiskretion ernstzunehmender Kunst und Literatur und Musik ist total.<br />

Sie forschen bis in die letzten privaten Sphären unserer Existenz … Die Befragung<br />

… hat es auf Veränderung abgesehen … Die Begegnung mit dem<br />

Ästhetischen ist neben bestimmten Arten religiöser und metaphysischer<br />

Erfahrung der ‹ingressivste› Aufruf zur Wandlung, zu dem menschliche Erfahrung<br />

fähig ist.» 3<br />

7


Kunst ist immer eine Gegenaussage zur Welt. Sie macht deutlich, dass alles<br />

auch ganz anders sein könnte oder aus einem anderen Blickwinkel anders<br />

begreifbar ist. Darin liegt ihre Provokation – auch und gerade hinsichtlich der<br />

Alltagswahrnehmung. Die Leidenschaft der meisten Sammlerinnen und Sammler,<br />

die sich gerade für die Herausforderung der zeitgenössischen Kunst begeistern,<br />

gilt gerade diesem Kick, dass das Kunstwerk sie in keinem Moment<br />

gleichgültig lässt, sondern sie immer wieder neu konfrontiert mit dem Werk<br />

und sich selbst. Der Berliner Sammler Hartwig Piepenbrock nimmt Bezug auf<br />

Picassos Satz: «Kunst ist die Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt.» 4<br />

Immerhin hat er auf dieser Bekenntnisbasis nicht nur seine Sammlung geschaffen,<br />

sondern auch den grossen Piepenbrock Preis für Skulptur ins Leben<br />

gerufen, der eine wirklich mäzenatische Tat darstellt: Eine Fachjury wählt den<br />

Preisträger aus, dem Nachwuchspreisträger wird eine Ausstellung im Hamburger<br />

Bahnhof, dem Museum für Gegenwart in Berlin, ermöglicht und er<br />

erhält eine Gastprofessur an der Universität der Künste.<br />

Peter Raue, Sammler und Vorsitzender <strong>des</strong> mächtigen Vereins der Freunde<br />

der Nationalgalerie in Berlin, spricht von der «kleinen Irritation, ein Farbtupfer,<br />

eine Applikation. Eine kleine delikate Verfremdung. Und schon hat<br />

sich alles verändert.» 5 Der leidenschaftliche Sammler will Neues entdecken,<br />

sucht das Abenteuer. Christian Boros sagt, «mich interessiert Kunst, die ich<br />

erst einmal nicht verstehe, die mich aufregt, mit der ich zu kämpfen habe.» 6<br />

Es geht also um die geistige Bereicherung, um die Lebendigkeit, die in der<br />

Auseinandersetzung entsteht. Der Hamburger Sammler Harald Falckenberg,<br />

den das Kunstfieber besonders heftig gepackt hat, spricht sogar von seinem<br />

«Pakt mit der Subversion» 7 . Er will verunsichert sein angesichts der Kunst, aus<br />

den eingefahrenen Denkbahnen geworfen, provoziert werden. Diese Sammler<br />

aus Leidenschaft verbindet eine Suchsucht; sie sind abhängig geworden<br />

von der Wirkung der Kunst und von ihrer Beziehungsqualität. Sie sind die<br />

Rezipienten, die für sich begriffen haben, dass Kunst sich erst im Wahrnehmungsprozess<br />

entfaltet, und sie haben erfahren, dass die Momente der Rezeption<br />

eines Kunstwerks für sie selbst eine Bereicherung darstellen – besonders<br />

im Vergleich mit anderen ähnlichen Erlebnissen. Sammeln bedeutet ja<br />

8


immer die Mehrzahl, die Wiederholung, die Differenz anstreben. Man sichtet<br />

und vertieft sich in eine Arbeit und setzt ein Kunstwerk mit anderen in Beziehung,<br />

entdeckt Zusammenhänge und Unterschiede. Es ist eine vergleichende<br />

Auseinandersetzung mit der Wirkung von Kunst. Die Sammlerin bzw. der<br />

Sammler, der oder dem die Entdeckung, die Weltaneignung, die Selbsterkenntnis<br />

wichtig ist, befasst sich intensiv mit der Sache, braucht Kenntnis,<br />

braucht Mut zum eigenen Urteil. In dieser Erfahrung von Wahrnehmungstraining<br />

und vergleichender Betrachtung erschliesst sich erst die Fähigkeit,<br />

die besondere Sprache und Wirkung der Kunst zu begreifen. Marcel Duchamp<br />

– der erste, der Alltagsgegenstände als Kunstwerk signiert hat, und damit<br />

auch der erste Künstler, der offenbart hat, dass die Betrachtung der Kunst,<br />

das heisst: die zweckfreie Wahrnehmung eines Objektes als Form und Idee,<br />

eine Kerndefinition <strong>des</strong>sen berührt, was Kunst ist – äusserte sich in diesem<br />

Sinne geradezu euphorisch über die Sammler: «Die eine Hälfte <strong>des</strong> Kunstwerks<br />

macht der Künstler, die andere Hälfte vollendet der Sammler.» 8 Und<br />

ergänzte: «Der wahre Sammler ist ein Künstler – im Quadrat. Er wählt Bilder<br />

aus und hängt sie an seine Wände; mit anderen Worten, er malt sich selbst<br />

eine Sammlung.» 9 Ich stelle dem ein Zitat von Ernst Beyeler, dem grossen<br />

Schweizer Sammler, zur Seite: «Immer, wenn Sie kreativ tätig sein konnten,<br />

haben Sie Glücksgefühle erlebt und den Alltag überwunden. Kreativität kann<br />

in eigener Aktivität geschehen, aber auch im Erleben und Verarbeiten von<br />

künstlerischen Werken oder Ereignissen.» 10<br />

Diese Sammler aus Leidenschaft sind die idealen exemplarischen Rezipienten<br />

der Kunst. Ihre Rolle in der Gesellschaft prägt wesentlich die Wertschätzung<br />

von Kunst mit. Die Sammler sind hoch angesehen und beeindrucken<br />

mit ihrem Engagement, ihrer Obsession, auch diejenigen, denen diese<br />

fruchtbare, bereichernde Erfahrung im Umgang mit der Kunst fehlt. Ich habe<br />

in meinen 14 Jahren Kulturpolitik häufig erlebt, wie sehr die Sammler mithelfen,<br />

die üblichen politischen Missachtungen der Künste zu mildern.<br />

Sammler sind – könnte man sagen – die inkorporierte Werbung im<br />

besten Sinne für die Kunst und die Notwendigkeit von Kunst für ein bereichertes,<br />

vervielfältigtes Leben.<br />

9


Peter Weibel gerät ins Schwärmen: «Die Positionierungsleistung <strong>des</strong> Sammlers<br />

macht ihn zum wichtigen sozialen Faktor für die Konstruktion von Kunst<br />

… so ein Sammler wird im Namen der Demokratie gegen die Logik <strong>des</strong> Marktes<br />

kämpfen und sich von seinem Bann, von der Verehrung der Einschaltquote<br />

und dem Kniefall vor den Besucherzahlen, dem sich die staatlichen<br />

Museen unter dem Druck der Massenmedien beugen, befreien.» 11 Ich habe<br />

die Medienkunstsammlung von Ingvild Goetz in ihrer Ausstellung 12 im ZKM<br />

in Karlsruhe 2003 gesehen und kann unter diesem Eindruck Peter Weibel,<br />

dem Direktor dieser Institution, nur zustimmen. Diese Sammlerin ist ein besonderes<br />

Beispiel für den Mut zum eigenen Urteil. Sie ist sehgeübt, verfügt<br />

über Fachkenntnis, kuratorische Fähigkeit und Leidenschaft für ihre Sache:<br />

die Kunst. Sie ist eine Sammlerin, die mit Medienkunst ein Argument setzt<br />

gegen die schier nur noch konsumorientierte, einschaltquotenhörige Haltung<br />

in den Massenmedien. Und dieser Aspekt der Kreativität einer Sammlerin,<br />

sich einzumischen in gesellschaftliche Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit<br />

mit der ganzen Aussagewucht und Spiellust der Kunst, gilt sicher als die<br />

oberste Tugend <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong> schlechthin.<br />

Sammler sind aber auch Selbstdarsteller. Natürlich stellen sie sich im Zeigen<br />

ihrer Sammlung auch selbst dar. Sie demonstrieren die Kontinuität, die<br />

ihre Sammlung dem eigenen Leben verleiht, sie setzen sich aber natürlich<br />

mit der Sammlung auch möglicher Kritik aus. Dennoch zollt die Gesellschaft<br />

dem Sammler Anerkennung und Bewunderung. Das Ansehen seiner Person<br />

erhöht sich mit dem Ansehen seiner Sammlung. Der Sammler, die Sammlerin<br />

sind öffentliche Persönlichkeiten, auch dann, wenn sie nicht oder nur selten<br />

öffentlich auftreten. Sie spielen eine wichtige Rolle im Kunstleben, sie erringen<br />

die Freundschaft von Künstlerinnen und Künstlern, gehören salopp gesagt<br />

zur «Szene», sind gefragt als Gesprächspartner von Museumsleuten<br />

und im gesamten Kulturbetrieb, und sie sind gern gesehene Gäste bei gesellschaftlichen<br />

Veranstaltungen aller Art. Ich spreche mit Freude bisher immer<br />

von Sammlern aus Leidenschaft und Wissensengagement, von Sammlern, die<br />

sich zu Experten gebildet haben und zugleich die Kunstrezeption lieben. Sie<br />

sind aus sich heraus brennend neugierig auf das Neue, lassen sich beraten<br />

10


durch – niemals nur einen einzigen – Galeristen, sie suchen das Fachgespräch<br />

und vertrauen dann aber dennoch auf das eigene Urteil, riskieren Mut beim<br />

Ankauf von neuer, junger, noch nicht im Konsens etablierter Kunst. Diese<br />

Sammler sind oft die Entdecker und Förderer dieser Kunst. Also ist ihr Handeln<br />

ein durchaus mäzenatisches Wirken im besten Sinn, in Verantwortung<br />

für die Kunst und damit auch in Verantwortung für die Gesellschaft und das<br />

geistige Klima einer Zeit.<br />

Harald Falckenberg spricht vom Sammler-Sammler: Für ihn «ist der Prozess<br />

<strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong> und die sich daraus ergebende Auseinandersetzung mit<br />

der bildenden Kunst massgebend. Er ist typischerweise in der Szene verwurzelt,<br />

hält engen Kontakt zu Programmgaleristen und jungen Künstlern,<br />

fördert Projekte und engagiert sich in den lokalen Kunstinstitutionen. Er entscheidet<br />

selbst, entwickelt Konzepte und ist bereit, Risiken einzugehen. Er<br />

will Neues entdecken oder Altes wiederentdecken. Auch hat er zu Geld und<br />

Vermögen ein eher entspanntes Verhältnis. Seine Sammlung hat dezidiert<br />

persönlichen Charakter.» 13 Es wird klar, dass der Sammler hier von sich selbst<br />

spricht, aber er verkörpert den Typus <strong>des</strong> mäzenatischen Sammlers, von dem<br />

ich gesprochen habe. Es gibt natürlich auch Profisammler wie Galeristen oder<br />

Hochschulprofessoren, denen in den meisten Fällen aber ähnliches Engagement<br />

in der Sache unterstellt werden kann. Sie sind die Partner von Museen<br />

in Notfällen, sie sind die Energieträger auch im Freun<strong>des</strong>kreis und stiften<br />

zudem andere zum Engagement für die Kunst an – gerade auch für jene<br />

Kunst, die sperrig ist, noch unbekannt und ungesichert.<br />

Problematischer wird der gesellschaftliche Einfluss von Sammlerinnen<br />

und Sammlern, die sich ausschliesslich durch einen Galeristen oder eine Galeristin<br />

beraten lassen. Da ist die Gefahr, den Kunstmarkt – ich sage hier schon<br />

mal: kurzfristig – zu manipulieren, erheblich grösser, weil nicht Begeisterung<br />

entscheidet, sondern jemand mit Geschäftssinn einen Auftrag erfüllt und sich<br />

möglicherweise stärker an reinen Trends und Moden orientiert als an fachlichen<br />

Urteilen, um den Kunden zufrieden zu stellen. Der Auftrag kann selbstverständlich<br />

auch dahin gehen, Kunst zu kaufen, deren Wert steigen wird.<br />

Letztlich aber wird die Wertung von Kunst international und langfristig vor-<br />

11


genommen. Eine Mode ist in der Regel kurzlebig, Kunst steht im internationalen<br />

Vergleich und unter ständiger kritischer Beobachtung von Fachleuten.<br />

Ich denke, die Angst vor der Manipulation <strong>des</strong> zeitgenössischen Kunstmarktes<br />

kann relativ gering bleiben. Orientiert sich der Sammler nicht selbst an Vergleichen<br />

und an qualitativer Beurteilung, kann es ihm passieren, am Ende<br />

nicht mit einer Sammlung, sondern mit einem Sammelsurium aus zeitlich<br />

bedingten Trendbildern dazusitzen. Für diesen Fall hat Martin Kippenberger<br />

den Titel einer seiner Arbeiten parat: «Selbstjustiz durch Fehleinkäufe». 14<br />

Der Auftrag an eine Galerie kann natürlich auch lauten, Kunst zu kaufen, die<br />

bereits international anerkannt ist und von der man fast die Gewissheit<br />

haben kann, dass ihr Wert nicht mehr fallen wird. Auf die Problematik <strong>des</strong><br />

rein gewinnsteigernden Kunstsammelns komme ich später zurück. Hier soll<br />

zunächst interessieren, dass es nicht nur wichtig ist, ein Gespür für künstlerische<br />

Qualität zu entwickeln, sondern eben auch evident, beurteilen zu können,<br />

wer einen berät und wie derjenige in die Interessenverflechtungen <strong>des</strong><br />

Kunstbetriebs verstrickt ist oder sein könnte. Der berühmt berüchtigte Druck<br />

auf den Markt, den Sammler ausüben könnten, ist trügerisch, die internationale<br />

Pluralität in der Beurteilung von Kunst ist ein starker Gegendruck. Letztlich<br />

kommt es immer doch darauf an, ob ein Bild, ob Arbeiten eines Künstlers<br />

den Weg ins Museum finden – und somit dauerhaft sichtbar bleiben, also<br />

auch nicht nur über eine Strecke von wenigen Jahren, um danach nur noch<br />

im Depot unsichtbar zu verkümmern.<br />

Die Beziehung zum Museum ist ein entscheidender, wichtiger Knotenpunkt<br />

im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung von Sammlern. Ich<br />

möchte an diesem Punkt eine kleine Abschweifung riskieren über Sponsoring<br />

und mögliche gute Partnerschaften zwischen Firmen und Museen. Firmensammlungen<br />

werden häufig initiiert vom Firmeninhaber, um die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter <strong>des</strong> Unternehmens zu motivieren. So entstand etwa<br />

auch die Sammlung Würth von Picasso bis Kiefer, von altdeutschen Meistern<br />

bis Max Ernst, um zunächst in Künzelsau ein hauseigenes Museum im Firmensitz<br />

zu etablieren. Später wurde dann die Kunsthalle Würth in Schwäbisch<br />

Hall daraus und eine durch die Welt tourende Sammlung. Den Mitarbeitern<br />

12


<strong>des</strong> Hauses sollte also die Begegnung mit der Kunst nahe gelegt werden, und<br />

jeder kann bis heute in der hauseigenen Akademie Kurse aller Art belegen.<br />

Fortbildung zur Kreativität als Motivation zum Arbeiten für die Firma.<br />

Ich habe aber auch nicht selten in der Politik erlebt, dass Firmen als<br />

«Sponsor» oder selbstverstanden als Mäzene Kunst angekauft haben nach<br />

eigenem Gusto, nach dem Geschmack der Entscheider in der Firma also, und<br />

diese dann mit grosser Geste und Abendveranstaltung einem Museum geschenkt<br />

haben – wobei die Gedrücktheit <strong>des</strong> Museumsdirektors, sich nicht<br />

wirklich über diese Auswahl freuen zu können, peinlich spürbar wurde. Ich<br />

nehme dieses Beispiel, weil ich gleich auch über das Verhältnis Sammler und<br />

Museen zu sprechen kommen werde. Ich habe nämlich auch erleben dürfen,<br />

wie sich die Verantwortlichen eines Unternehmens im Willen, für Kunst und<br />

Kultur hilfreich zu sein, von ausgewiesen kompetenten Museumsdirektoren<br />

und Kuratoren beraten liessen. Wie sie allmählich von den Fachleuten den<br />

Mut gelernt haben, den Faktor Kreativität wirklich anzuerkennen und das<br />

Energiefeld Kunst auch für die eigene Mitarbeiterschaft und die eigenen<br />

Kunden auf höchster Qualitätsstufe zu nutzen. Zwei Beispiele will ich kurz<br />

ansprechen, weil sie deutlich machen, wie ein gutes Miteinander als Gewinn<br />

für beide Seiten zu aktivieren sein kann. Erlauben Sie mir, Beispiele aus der<br />

Kaufmannsstadt Hamburg zu nehmen, wo Mäzenatentum und Sponsoring<br />

traditionell stark ausgeprägt sind, und wo ich während fast elf Jahren als<br />

Kultursenatorin natürlich intensive Erfahrungen mit privatem Engagement<br />

machen konnte.<br />

Punkt eins: Eine grosse Firma möchte das kreative Potenzial für Kundenbindung<br />

nutzen und beschliesst statt <strong>des</strong> Ankaufs von Kunstwerken, grosse<br />

Ausstellungen <strong>des</strong> Museums auf Vorschlag <strong>des</strong> Direktors hin zu fördern und<br />

im Gegenzug Führungen und besondere Abendveranstaltungen für Kunden<br />

und Mitarbeiter zu erbitten. Unter solchen Kooperationsbedingungen konnte<br />

unter vielen anderen eine wunderbare, grosse Bruce-Nauman-Ausstellung<br />

stattfinden. Die Firma brachte ihre Kunden und Mitarbeiter ins Museum, die<br />

Museumskuratorinnen und der Direktor gaben ihr charmantestes Bestes bei<br />

den Führungen. Die Besucherinnen und Besucher konnten das kreative Ge-<br />

13


fühl erleben, vom eigenen verzweifelten Versuch <strong>des</strong> unangemessenen eindeutigen<br />

Verstehens zu einem spielerischen, selbstbewussten Wahrnehmen<br />

der irritierenden Arbeiten dieses Künstlers zu finden. Ein positiver, kreativer<br />

und <strong>des</strong>halb befriedigender Akt.<br />

Der zweite Fall, von dem ich berichten will, ist folgender: Eine Firma möchte<br />

etwas für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun – kreativitätsfördernd.<br />

Sie möchte über die Kunst erwirken, dass künstlerische Qualität und<br />

der Wert von Kreativität und Flexibilität bewusst werden können und dass<br />

der kreative Akt der Kunstrezeption, den ich vorher beschrieben habe, als Wert<br />

gesehen werden kann. Diese Firma hat einen Vertrag geschlossen – wieder<br />

mit dem Direktor der Kunsthalle –, dass sie alle zwei Jahre ein Werk ankauft,<br />

<strong>des</strong>sen Erwerb er für die Sammlung der Kunsthalle für unbedingt und begründet<br />

wünschenswert hält. Im Gegenzug darf das Werk für zwei Jahre im<br />

Ausstellungsraum <strong>des</strong> Unternehmens bleiben und die Fachleute der Kunsthalle<br />

geben für Kunden und Mitarbeiter zu jeder Tageszeit, zum Beispiel auch in<br />

der Mittagspause, Erläuterungen zur künstlerischen Arbeit – mit ansteckendem<br />

Charme und spürbarer Lust am Vermitteln künstlerischer Sprache.<br />

Sammlungen können also auch aus Firmenraison entstehen und dennoch<br />

in gutem Einvernehmen mit den Museumsfachleuten und zum Nutzen der<br />

Öffentlichkeit, die später die Werke im Museum betrachten kann.<br />

Natürlich kennen wir auch vielfach die schwierige Konkurrenz, die entsteht,<br />

wenn eine wohlhabende Stiftung, ein Sponsor oder ein Sammler sein<br />

oder ihr eigenes Museum bzw. die eigene Ausstellungshalle als populären<br />

Gegenspieler zu den staatlichen Institutionen einsetzt. Unfair <strong>des</strong>halb oft,<br />

weil die staatlichen Museen in Deutschland in ihrer Beamtenbehäbigkeit mit<br />

freien, nach unternehmerischen Gesichtpunkten betriebenen Kulturinstitutionen<br />

nur schwer mithalten können. Fair allerdings dann auch als Konkurrenz,<br />

die wachrüttelnd wirken kann, wenn die Herausforderung in der staatlichen<br />

Einrichtung angenommen wird.<br />

Ich denke, die Beispiele aus dem Bereich <strong>des</strong> Sponsorings haben deutlich<br />

machen können, wie wichtig gute Kooperationen für beide Seiten sind, wie<br />

sehr die eine, die private, die staatliche anregen und befeuern kann und wie<br />

14


sehr sie aber auch die negativen Seiten der trägen Behördlichkeit eines Museums<br />

im Konkurrenzkampf abhängen und damit die gesamte kulturpolitische<br />

Atmosphäre empfindlich treffen kann. Das Miteinander von privatem (kaufmännischem)<br />

Leidenschaftsdenken und staatlicher Kontinuität in Sachen Kunstförderung<br />

ist dringend gefragt und notwendig. Ich will ein, zwei historische<br />

Beispiele nennen, wie ein solches gegenseitiges Sich-Unterstützen in der Vergangenheit<br />

ausgesehen hat – jetzt wieder rein auf den Sammler, die Sammlerin<br />

bezogen –, und auch heute sind Sammler und Museumsleute unbedingt<br />

und für die Museen existenziell aufeinander angewiesen. Meine Beispiele<br />

bringen uns aber eher zum Schmunzeln, weil sie etwas zeigen, was heute<br />

kaum mehr denkbar ist – denkbar ist natürlich noch die Verfügung, mit<br />

der Johann Heinrich Wilhelm Wagener in seinem Testament 1861 durch die<br />

Schenkung seiner Sammlung von 262 Gemälden die Gründung und auch den<br />

Namen der Nationalgalerie in Berlin verursachte.<br />

Aber ich will zwei Briefe an Wilhelm von Bode zitieren – an den Museumsmann,<br />

der es meisterhaft verstand, wohlhabende und wirtschaftlich erfolgreiche<br />

Bürger zu Sammlern zu machen –, die einen heute erschaudern<br />

lassen ob der Wertschätzung <strong>des</strong> Fachmannes, <strong>des</strong> Museumsdirektors. Ich<br />

zitiere nach Thomas W. Gaethgens zwei Briefe <strong>des</strong> grossen Sammlers James<br />

Simon; mögen Sie sich durchaus darüber amüsieren, es ist beeindruckend<br />

als Appell für ein gutes Miteinander. Ich zitiere: «Geehrter Herr Direktor! …<br />

Ihr freundliches letztes Schreiben kam mir gestern zu Hand, nun bin ich in<br />

Erwiderung … bereit, das von Ihnen (genannte) Bild von Vermeer zugunsten<br />

<strong>des</strong> Museums zu erwerben. Haben Sie gef. die Freundlichkeit, mir den genauen<br />

Betrag anzugeben … Ich möchte nur daran die Bitte knüpfen, dass mein<br />

Name bei dieser Angelegenheit nicht figuriert, sondern dafür NN gesagt wird<br />

… Mit bestem Gruß, Ihr ergebenster James Simon.» Und der nächste Brief:<br />

«Sehr geehrter Herr Direktor! Herr W. offeriert mir ein männliches Portrait<br />

von A. v. [Anthonis van] Dyck. Ich erlaube mit Ihrer gütigen Zusage … Ihren<br />

Rath einzuholen u. um Ihren Ruf zu bitten betreffs der folgenden Punkte:<br />

1. ob das Bild unzweifelhaft ein Dyck ist; 2. ob es gut erhalten, überhaupt<br />

guter Qualität ist; 3. ob der Preis von 12 000 M. angemessen, gfs. ob Wahr-<br />

15


scheinlichkeit ist, billiger einzukaufen … Im Voraus aufrichtigen Dank. Ihr ergebenster<br />

James Simon.» 15<br />

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie verbunden, ehrfürchtig vor der<br />

Wissenschaft und kooperativ – würden wir heute sagen – das Zusammenwirken<br />

von Sammler und Museen sein kann. Die Geschichte beweist uns auch,<br />

wie notwendig diese Beziehung sein kann, als Pro und Contra der Kulturpolitik.<br />

Sammlerinnen und Sammler haben immer schon dem Staat geholfen,<br />

seine Kunstsammlungen zu ergänzen und zu verfeinern im Sinne <strong>des</strong> Konzeptes,<br />

das die jeweiligen Direktorinnen und Direktoren auf der Basis der vorhandenen<br />

Sammlung weiter entwickeln. Zu einem solchen Miteinander gehört<br />

Vertrauen in die wissenschaftliche Kompetenz <strong>des</strong> Direktors, aber auch in die<br />

politische Unabhängigkeit <strong>des</strong> Museums. In der Geschichte gibt es auch viele<br />

Beispiele, wie Sammler zeitgenössische Kunst gegen politisches Verdikt gerettet<br />

haben, als Zeichen intellektueller Befreiung von staatlich gelenkter Kulturpolitik.<br />

Das geschah in Berlin um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert<br />

durch Paul Cassirer, der als Kunsthändler mit seinem intellektuellen Kunstsalon<br />

viele seiner Zeitgenossen zu Kunstsammlern machte durch die Überzeugungskraft<br />

ästhetischer Einsicht, und der mit Hilfe der Sammler den Künstlern<br />

<strong>des</strong> Impressionismus vor allem eine Plattform verschaffte. Und natürlich<br />

wissen wir von etlichen Sammlern, die während <strong>des</strong> Naziregimes verfemte<br />

Kunst kauften, um sie vor dem Vergessen und Untergang zu bewahren.<br />

Heute ist die Situation im Allgemeinen kulturpolitisch offen und liegt<br />

ohne Einflussnahme in den Händen der Museumsdirektoren, dennoch gibt es<br />

zwei pragmatische Problempunkte, die das Miteinander von Sammlerinnen<br />

und Sammlern und Museen erschweren: Die meisten Museen sind nach wie<br />

vor staatlich in dem Sinne, dass sie auch immer noch als Abteilungen der Kulturverwaltungen<br />

in völlig überholten Organisationsstrukturen betrieben werden<br />

– ohne kaufmännische Geschäftsführung und ohne unternehmerisches<br />

Denken. Solche Partner sind für private Sammler nicht eben attraktiv. Museen<br />

sind wirtschaftlich handlungsfähiger und verhandlungsfähiger mit potenziellen<br />

Partnern von privater Seite, wenn sie, dort wo sie als Stiftung organisiert<br />

sind, eine klare Trennung zwischen Staatsfinanzierung und eigen erworbe-<br />

16


nen Mitteln haben und die Möglichkeit erhalten, Rücklagen zu bilden und<br />

Zustiftungen zu erhalten. Dies ist der Fall bei den Hamburger Museen, beim<br />

Jüdischen Museum in Berlin oder bei den Museen der Stiftung preussischer<br />

Kulturbesitz. Heutige Museumsdirektoren müssen wie Unternehmer denken<br />

und handeln, Visionen entwickeln und kommunizieren, inspirieren, mit viel<br />

Fantasie und mitreissender Energie Neues riskieren. Die Verhandlungen mit<br />

Sammlern, an deren Sammlung das Museum interessiert ist oder die ihrerseits<br />

einen Museumspartner suchen für ihre Sammlung, sind langwierig und erfordern<br />

Geduld, müssen übrigens auch von gegenseitiger Sympathie getragen<br />

sein. Die stark ausgeprägte Subjektivität einer privaten Sammlung bringt es<br />

häufig mit sich, dass sie einfach nicht als Ganzes in ein bestehen<strong>des</strong> Kunstmuseum<br />

passt. Und die Auflage, die Objekte nie auseinanderzureissen, macht es<br />

so unmöglich, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es muss also<br />

besprochen werden, welche Objekte wie, wann und in welcher Kombination<br />

zu sehen sein sollen und wie der Sammler als Stifter kenntlich gemacht werden<br />

will. Gewiss, viele Sammler wünschen sich als Zielort für ihre Sammlung<br />

das Museum, den öffentlichen Ort, und übertreten damit die Schwelle zur<br />

Verantwortung für die Öffentlichkeit: für den Ort Museum und für die Präsentation<br />

ihrer Kunstwerke – und zwar denjenigen, die nicht durch das Sammeln<br />

zur Rezeption motiviert worden sind, sondern das Recht darauf reklamieren,<br />

eine Ausstellung zu sehen. In dieser will jenes Publikum Kunstwerken<br />

begegnen, die es bannt; in dieser Ausstellung möchte es aber auch Erläuterungen<br />

erhalten und Führungen, Vermittlungen und Veranstaltungen aller<br />

Art. Es ist also eine Verantwortung gegenüber denjenigen, die immer wieder<br />

neu Kunstwerke in Beziehung zu anderen Kunstwerken betrachten wollen,<br />

im stetigen Wechsel von Ausstellungen. Museen mit bestehender Sammlung<br />

können im Grunde nur einzelne Werke oder Werkgruppen aus einer Sammlung<br />

richtig aufnehmen; oder Teile der Sammlung in jeweils unterschiedlichen<br />

Kontexten, also niemals oder nur einmal als Sammlung geschlossen<br />

zeigen. Es gibt viele Notwendigkeiten zur Vertrauensbildung, damit ein<br />

Sammler seine von ihm geliebte Sammlung einem Museum überlässt. Auf der<br />

anderen Seite sind viele kommunale Museen in Deutschland, die zwar noch<br />

17


gebaut werden konnten, aber über keinerlei Ankaufsetat verfügen, auf die<br />

privaten Sammlerinnen und Sammler existenziell angewiesen – aber auch in<br />

diesen Fällen gilt: Das Publikum will Wechselausstellungen, immer wieder<br />

neue Blickrichtungen, also den Wandel der Präsentation. Die Museen heute<br />

sind also, wie Harald Falckenberg es vorsichtig formuliert, «nur noch bedingt<br />

aufnahmebereit». 16 Diese Einschränkung muss man im Zusammenhang mit<br />

dem – politisch zum Glück – immer noch bestehenden Verdikt sehen, dass ein<br />

staatliches Museum keine Kunstwerke verkaufen darf, um völliger Willkür zu<br />

entgehen. Es dürfte kaum einen Finanzminister geben, der nicht schon einmal<br />

von solchen Verkaufsmöglichkeiten geträumt hat – in Baden-Württemberg<br />

war es sogar der Ministerpräsident selbst, der es auch noch öffentlich<br />

vorgeschlagen hat. Ein Museumsdirektor muss dem Konzept seines Hauses<br />

entsprechen, wie der Sammler es für sich ja ebenfalls beansprucht. Es hat<br />

immer wieder Sammler gegeben, die Kommunen, Politik und Museumsleute<br />

unter Druck zu setzen versuchten und alle gegeneinander ausspielten. Es muss<br />

wohl kaum erläutert werden, dass solches Bestehen auf Eigeninteressen ein<br />

verheerender Eingriff in kulturpolitische Zusammenhänge und damit auch<br />

nicht zu rechtfertigen ist. Sammler, die auf solch statischer Präsentation ihrer<br />

Sammlung bestehen und die dem Staat ein Museum abfordern, das er nicht<br />

bezahlen kann, handeln gegen jede gesellschaftliche Verantwortung. Die Museen<br />

brauchen dennoch dringend die privaten Partnerinnen und Partner, die<br />

ihnen helfen, ihre Funktion zu erfüllen.<br />

Jean-Christophe Ammann, langjähriger Leiter <strong>des</strong> Museums für moderne<br />

Kunst in Frankfurt und derjenige, der dem Museum eine Basis geschaffen hat,<br />

formuliert die Notwendigkeit zur Kooperation sehr eindringlich: «Das Museum<br />

als kollektives Gedächtnis ist nicht eine statische Größe per se. Dieses<br />

Gedächtnis muss immer wieder neu definiert und vermittelt werden und es<br />

muss sich in Sammlung und Präsentation als konkurrenzfähig erweisen. Ein<br />

Museum ist ein Ort der Öffentlichkeit, an dem Forschung in Form von Kunstwerken<br />

jedem zugänglich ist. Entscheidend ist, die Lust und Kompetenz der<br />

Sammler auf diesen Auftrag einzustimmen. Ich behaupte: Ohne die Sammler<br />

und Stiftungen schaffen wir es nicht, das Museum weiterhin als ein kollekti-<br />

18


ves Gedächtnis und als einen Ort, wo das Denken von Gegenwart praktiziert<br />

wird, am Leben zu erhalten.» 17<br />

Wenn sich ein Sammler also seiner gesellschaftlichen Verantwortung<br />

stellen will, muss er bereit sein, als Partner der Museen zu agieren und nicht<br />

als Erpresser – im härtesten Fall.<br />

Es gibt natürlich andere Modelle der Präsentation von privaten Sammlungen,<br />

die mit Fantasie zu tun haben, oft natürlich auch mit der Finanzkraft<br />

<strong>des</strong> Sammlers, der Sammlerin. Das eigene Museum, von der eigenen Stiftung<br />

betrieben, beweist natürlich eine besonders generöse Haltung im Ziel, die<br />

Sammlung zu veröffentlichen, sie also zugänglich zu machen für alle, die sie<br />

sehen wollen. Aber auch das eigene Museum, wie das von Frieder Burda zum<br />

Beispiel, ist natürlich auf den Wechsel von Ausstellungen angewiesen; doch<br />

es ist unabhängig und ergänzt die öffentlichen Angebote der staatlichen<br />

Museen. Christian Boros plant ebenfalls sein eigenes Museum in einem Bunker<br />

in der Berliner Reinhardstrasse – oben wohnen, unten die Kunstwerke für<br />

alle. Dann gibt es pfiffige andere Lösungen: Erika Hoffmann macht ihre und<br />

Rolf Hoffmanns Sammlung in den Privaträumen zeitlich befristet öffentlich<br />

zugänglich – mitten im touristischen Herzen von Berlin. Ingvild Goetz folgt<br />

ihrem Credo, das sie in einem Interview folgendermassen äussert: «Es ist mir<br />

einfach ein großes Bedürfnis, ständig mit meiner Kunst in Kontakt zu sein,<br />

Ausstellung zu kuratieren, Kataloge herauszubringen. Außerdem möchte ich<br />

andere Menschen daran teilhaben lassen … Ich denke schon auch, dass Kunst<br />

sozialkritisch sein soll. Dass sie Menschen dazu bringen soll, über etwas nachzudenken.»<br />

18 Um der Kunst, die sie nicht missen will, die Chance zu geben, in<br />

Auseinandersetzung mit einem Publikum, mit Rezipienten, zu treten, öffnet<br />

Ingvild Goetz ihre Sammlung, die sie auf privatem Gelände in einem Bau<br />

von Herzog & de Meuron unterbringen liess, «by appointment». Es kommen<br />

diejenigen, die sich auf die Kunst einlassen, die sich in einzelne Werke vergucken<br />

oder sich auch mal ärgern, die aber in jedem Fall darüber nachdenken,<br />

warum sie begeistert oder warum sie irritiert oder gar geschockt sind.<br />

Eine besonders originelle Art, Kunst in die Öffentlichkeit zu bringen, praktiziert<br />

die Familie Grässlin in St.Georgen im Schwarzwald. Die leidenschaft-<br />

19


lichen Sammler in einer provinziellen Umgebung nutzen immer wieder leer<br />

stehende Ladenräume, um Passanten plötzlich und ohne Erklärung Begegnungen<br />

mit Kunstwerken zu verschaffen.<br />

Ich bin also wieder bei den Leidenschaftssammlern angekommen, die<br />

uns alle so viel Anregung und fruchtbare Konfrontation geben, die Verantwortung<br />

spüren für die kulturelle Bereicherung der Gesellschaft, in der sie<br />

leben, die sie möglicherweise auch zu einem gewissen Reichtum kommen<br />

liess. Dennoch möchte ich meinen Vortrag nicht beenden, ohne darauf hinzuweisen,<br />

dass es natürlich auch eine reine Marktorientierung beim Sammeln<br />

von Kunst gibt, an die ich wegen der langwierigen internationalen und fachkundigen<br />

Beurteilungsprozesse beim Festlegen <strong>des</strong> Wertes von Kunst schlicht<br />

nicht zu glauben vermag. Die Angelegenheit ist kompliziert. Man kann gewinnen<br />

und verlieren. Auch wenn es inzwischen schon regelrechte Kunstfonds<br />

gibt, in die man investieren kann, ohne die Kunstwerke überhaupt wahrnehmen<br />

zu müssen, auch wenn es inzwischen Beratungen und die Erziehung<br />

zum Kunstkenner im «Xalt TV» zum Beispiel gibt. Ratschläge und eindeutige<br />

Empfehlungen an die Kunden, Kunst zu kaufen und rasch wieder zu veräussern<br />

im Streben nach Gewinn. Aus meiner Erfahrung ist der Kunstmarkt, nur<br />

als Markt genommen, dauerhaft viel zu riskant, weil er unberechenbar und<br />

sperrig ist gegen den Warencharakter von Kunst. Und in jedem Fall gilt: Wie<br />

viel leichter wiegt es, zu verlieren, wenn man in die eigene Leidenschaft investiert<br />

hat, als der Verlust, den ein Anlageberater, <strong>des</strong>sen Fachkenntnis man<br />

nicht einmal zu beurteilen versucht hat, einem zufügte. Es entspricht der allgemeinen<br />

Erfahrung: Niederlagen sind erträglich, wenn man selbst voll und<br />

ganz für die Entscheidung einstehen kann, weil sie das Ergebnis eines intensiven<br />

Auseinandersetzungsprozesses ist. Niederlagen sind hingegen äusserst<br />

schmerzlich, wenn man sie erleidet aufgrund unkundiger oder illoyaler Berater,<br />

die nur eigenen Interessen gefolgt sind.<br />

In diesem Sinn beende ich mein Plädoyer für den Sammler aus Leidenschaft,<br />

der in der Gesellschaft eine grosse Verantwortung trägt und zu tragen<br />

bereit ist für die Vermittlung der Wirkung von Kunst.<br />

20


1 Walter Benjamin: Denkbilder. In: Walter Benjamin:<br />

Gesammelte Schriften, Band IV.1. Frankfurt am Main 1991,<br />

S. 389.<br />

2 Helmut Heissenbüttel: Textbuch 8. Stuttgart 1985, S. 53.<br />

3 George Steiner: Von realer Gegenwart. Hat unsere<br />

Sprache Inhalt? Aus d. Engl. v. Jörg Trobitius. München 1989,<br />

S. 46.<br />

4 Zit. nach Thea Herold: Auf meine Art. Vom privaten<br />

Sammeln zeitgenössischer Kunst in Berlin. Berlin (2. Aufl.)<br />

2001, S. 25.<br />

5 Ebd., S. 32.<br />

6 Zit. nach Handelsblatt, 8.3.2005.<br />

7 Zit. nach Handelsblatt, 29.3.2005.<br />

8 Zit. nach Gerhard Theewen: Obsession. Collection.<br />

Köln 1994, S. 5.<br />

9 Zit. nach Peter Weibel: Der Sammler und die Logik<br />

<strong>des</strong> Marktes. In: Kunst Sammeln. Hg. von Götz Adriani,<br />

Katalog ZKM. Karlsruhe 1999, S. 199.<br />

10 Zit. nach Theewen, a.a.O., S. 25.<br />

11 Weibel, a.a.O., S. 201.<br />

12 »fast forward. Media Art Sammlung Goetz.<br />

ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Karlsruhe.<br />

11.10.2003 – 29.2.2004. Katalog hg. von Ingvild Goetz<br />

und Stephan Urbaschek.<br />

13 Harald Falckenberg: Ziviler Ungehorsam.<br />

Kunst im Klartext. Regensburg 2002, S. 21.<br />

14 Zit. nach ebd., S. 34.<br />

15 Zit. nach Thomas W. Gaethgens: Die großen Anreger<br />

und Vermittler. In: Eberhard Roters: Die Nationalgalerie<br />

und ihre Stifter. In: Mäzenatentum in Berlin. Bürgersinn und<br />

kulturelle Kompetenz unter sich verändernden Bedingungen.<br />

Hg. von Günter und Waldtraut Braun. Berlin/New York 1993,<br />

S. 101 und 102.<br />

16 Falckenberg, a.a.O., S. 21.<br />

17 Jean-Christophe Ammann: Bewegung im Kopf.<br />

Vom Umgang mit Kunst. Regensburg 1993, S. 48.<br />

18 Interview mit Silke Lemmes. Art-in.de.<br />

21


«Hättest Du geschwiegen…»<br />

Adrian Koerfer<br />

Wer von Ihnen die grossartige Novelle Die Panne von Friedrich Dürrenmatt<br />

kennt, in der ein vermutlich ziemlich unbescholtener Textilhandelsreisender<br />

vor dem Privatgericht dreier pensionierter Justizsachverständiger aufgrund eigener<br />

Geschwätzigkeit zum Tode verurteilt wird – und auch zu Tode kommt –,<br />

der wird ahnen, wie es mir jetzt vor Ihnen allen geht. Unterschlagung ist<br />

ja meist das Min<strong>des</strong>te, was einem Sammler vorgeworfen werden kann, und<br />

Festhalten am falschen Glauben ebenso wie der Abfall vom richtigen. Hochstapelei,<br />

ja, selbst die Unterstützung eines eher mediokren Geheimbun<strong>des</strong><br />

wurde mir schon im Zusammenhang mit meinem Sammler-Dasein unterstellt.<br />

Sie wollen bestimmt wissen, wie alles anfing. (Oder wollen Sie wissen,<br />

wie alles aufhört? Die zweite Frage kann ich nicht beantworten.) Logischerweise<br />

fing es mit meiner Geburt an, und der Zufall oder das Schicksal wollte<br />

es, dass ich, sobald ich sehen konnte, auch gleich Bilder sah, oder besser:<br />

Gemälde. Ein Altdorfer hing im Wohnzimmer, im Esszimmer schaute eine<br />

gestrenge Amazone von Manet auf die Manieren der Kinder, im Arbeitszimmer<br />

<strong>des</strong> Vaters gab es einen Bonnard, einen Van Gogh und weitere Preziosen<br />

der klassischen Moderne zu bewundern – so man denn Augen dafür hatte.<br />

Seltsamerweise sammeln von den acht Kindern unseres Vaters drei, und noch<br />

erstaunlicher ist dabei die Ähnlichkeit der drei Sammlungen in vielen ihrer<br />

Inhalte – sieht man von der grandios besessenen Fotografie-Sammlung meines<br />

Bruders Thomas ab. Jenseits der unbestreitbaren Prägung durch Gene<br />

behaupte ich einfach mal, dass wir drei, Marlies, Thomas und ich, auch durch<br />

die gleiche Schule <strong>des</strong> Sehens gegangen sind, und dass das Virus <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong><br />

schon vor dieser Schulbankdrückerei in uns schlummerte, ohne dass<br />

wir es wussten, lange Zeit. (Wie wir natürlich auch nicht bemerkten, dass da<br />

grossartige Malerei beständig vor unseren Augen hing, wie zu hoch hängende<br />

Kirschen für uns Kinder.)<br />

Es vergingen einige Jahre bis ich ca. 1982 in einem dieser damals noch<br />

finsteren und übel riechenden West-Berliner Winter beinahe zufällig dem<br />

Maler Ingo Meller begegnete. Ingo und Simon Linke, der mit dem Malen von<br />

Anzeigen aus dem Artforum für kurze Zeit bekannt geworden war, wurden<br />

zu meinen ersten Künstlerfreunden. Die Freundschaft zu den Künstlern war<br />

23


Jos Van Merendonk, o.T., 2002, 200 x200cm<br />

Courtesy Galerie VOUS ETES ICI, Amsterdam<br />

24


immer schon ein wesentlicher Antrieb meines <strong>Sammelns</strong>. Und sehen Sie, da<br />

verplappere ich mich schon, verrate etwas. Geht es denn bei meiner Sammlung<br />

nicht um eine Unterabteilung zeitgenössischer Kunst, um den Versuch<br />

eines Verständnisses für die Malerei nach dem Tod der Malerei, um ein Festhalten-Wollen<br />

an Bildern, die nach dem sogenannten und immer wieder<br />

prophezeiten letzten Bild entstanden sind? Kann es überhaupt ein Festhalten<br />

geben, ein finales Haben-Wollen oder Haben-Müssen? Selbstverständlich<br />

nicht, dem allem sind die deutlichsten aller natürlichen Grenzen gesetzt.<br />

Worum geht es dann?<br />

Mir war und ist immer sehr an einem persönlichen Verhältnis zum Bild<br />

wie zu <strong>des</strong>sen Autor oder <strong>des</strong>sen Autorin gelegen. Das macht die Sache nicht<br />

unbedingt einfacher, gleichzeitig ist es doch ein unbestreitbarer Vorteil <strong>des</strong><br />

Interesses an gegenwärtiger Kunst. Kennt einer von Ihnen noch, sagen wir,<br />

Goya persönlich?<br />

Als ich ein paar Arbeiten <strong>des</strong> holländischen Malers Jos van Merendonk in<br />

der Amsterdamer Galerie VOUS ETES ICI gesehen hatte, wollte ich mich unbedingt<br />

mit ihm treffen, zu einem Aben<strong>des</strong>sen. Jos van Merendonk verstand<br />

mein Ansinnen so gar nicht, und wir haben beinahe den ganzen Abend darüber<br />

diskutiert, ob die vermeintliche Kenntnis der Person <strong>des</strong> Künstlers beim<br />

möglichen Erkenntnisgewinn in Bezug auf eine Arbeit <strong>des</strong>selben von Bedeutung<br />

– oder auch nur hilfreich – sein könnte. Aber sehen Sie, selbst diese relativ<br />

einfache Frage habe ich für mich noch nicht abschliessend klären können.<br />

Erwarten Sie also bitte nicht zu viel vom Fortgang dieses Vortrags. Festhalten<br />

möchte ich an dieser Stelle nur, dass viele der Künstler, deren Werke ich<br />

sammle und damit dem öffentlichen Blick fast dauerhaft entziehe, mir eben<br />

das verziehen und mir zudem mit Rat und Hinweisen auf andere, mögliche<br />

Gegenstände meines Interesses beim Aufbau der Sammlung geholfen haben.<br />

Unvergesslich wird mir bleiben, wie ich mit Ingo Meller, meinem mir in der<br />

Zwischenzeit ans Herz gewachsenen Freund, so um 1996 auf dem Kölner<br />

Kunstmarkt umherging und eine dieser Drehscheiben-Malereien von Damien<br />

Hirst entdeckt hatte. Sie sollte bei White Cube, wenn ich mich recht entsinne,<br />

etwas weniger als 30.000 US-Dollar kosten, und Ingo riet entschieden vom<br />

25


Kauf einer solch zufälligen Geste ab. Ich habe seinen Rat befolgt, wie so oft,<br />

und nie bereut.<br />

Selbstverständlich gibt es im Leben eines von der Sammelleidenschaft<br />

geschüttelten Menschen auch immer wieder Unerreichbares oder Unmögliches<br />

oder ganz einfach auch das Zu-spät-Kommen, das bestraft wird. Diese<br />

Arbeiten, die man nicht haben darf – was vielleicht auch wieder ganz gut so<br />

ist –, diese Arbeiten bleiben seltsamerweise ebenso wie jene im eigenen<br />

Besitz befindlichen im optischen Gedächtnis haften. Da macht der Kopf keinen<br />

Unterschied. Immer noch erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen,<br />

an diese herrliche Vermalung Gerhard Richters, die mir auf der Art Basel vor<br />

ein paar Jahren durch ein dummes Missverständnis enthalten blieb. Es ging<br />

um eine halbe Stunde. Immer noch glaube ich, die schönste Vermalung Richters<br />

gesehen zu haben. Und bekanntlich gibt es doch sehr viele davon …<br />

Damit bin ich bei einem weiteren Aspekt <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong> angelangt, der<br />

aber noch nicht das Versammeln meint, dieses Verspinnen von Fäden, das<br />

vielleicht nur im eigenen Kopf möglich ist. Meiner Ansicht nach ist das Sammeln<br />

– auch wenn es manchmal ernsthaft gemeint ist und nicht ganz so offensichtlich<br />

wie bei einigen meiner Kollegen zum Ruhme der eigenen Biografie<br />

gedacht –, im Grunde bleibt das Sammeln Kopf-, Geld- und Fleissarbeit an<br />

einer Verkettung von Zufällen. Diese beginnt, wieder zufällig, mit einer Geburt<br />

in eine Zeit hinein, also mit dem Beginn der eigenen Zeitgenossenschaft.<br />

Wer weiss, vielleicht hätte ich vor vierzig Jahren Zero gesammelt, vor dreissig<br />

Neo Geo, in zwanzig Jahren wäre ich eventuell in Indien und Vietnam unterwegs,<br />

jetzt allerdings müsste ich in China sein, who knows?<br />

Heute wandert der Kunstgeschmack von West nach Ost, und das Geld<br />

schon sehr vermehrt in umgekehrter Richtung. Eines weiss ich sicher, wäre ich<br />

mein Vater gewesen, Picasso hätte ich nicht gekauft (höchstens als Kubist),<br />

aber wie er Cézanne, Bonnard, Matisse. So, schon wieder habe ich etwas verraten,<br />

legen Sie es bitte später nicht gegen mich aus, wenn ich Ihnen dann<br />

mit Marioni komme, mit Reed, mit Katz und Meller, mit Ryman und Umberg,<br />

mit Frize und Brandl, und mit all den anderen, die auf den ersten Blick so gar<br />

nichts zu tun haben mit den Helden: Cézanne, Bonnard, Matisse.<br />

26


Simon Linke, der Beginn meiner Geschichte. Ein einfaches Abbild einer einfachen<br />

Anzeige im amerikanischen Artforum. 2 mal 2 Meter, nichts Gewaltiges.<br />

Schwarzweiss noch dazu. Und dennoch übte die Arbeit, die ich auf einer Londoner<br />

Art Fair bei Lisson entdeckte, einen eigentümlichen Reiz auf mich aus.<br />

Ich fand sie ehrlich, lakonisch, humorvoll, und für mich stellte sie den damals<br />

noch gar nicht so gewaltig aufgeblasenen Markt zeitgenössischer Kunst unspektakulär<br />

auf einen Prüfstand. Nie allerdings wäre mir eingefallen, dass mit<br />

dem Ankauf dieser Arbeit der Grundstein für meine jetzige Sammlung gelegt<br />

würde. Und nicht verschweigen möchte ich, dass es um drei der grösseren<br />

Formate von Simon Linke auf der Artfair einen regelrechten Hype gegeben<br />

hatte. Jeder verstand, dass es sich hier um eine interessante Arbeit handelte,<br />

um eine der wenigen interessanten Darstellungen auf jener Messe, um etwas<br />

Neues. Um eine gemalte Frage, um eine ironische Infragestellung durch einfache<br />

Vergrösserung. Linke hatte ein Brennglas angelegt. Und heute? Hat man<br />

meinen Freund schon fast wieder vergessen.<br />

Das kann wohl auch exemplarisch sein für den Aufbau einer Privatsammlung,<br />

diese amateurhafte Hingabe ohne den Blick in die Zukunft. Mein Blick<br />

endet zwar immer zunächst vor dem Bild, vor der jeweiligen Arbeit; aber ich<br />

will auch gerne gestehen, dass es bei mir stets weder eine klare Kopfentscheidung<br />

war, die zu einem Ankauf führte, noch jemals allein der sogenannte<br />

Bauch entschied. Schon sehr bald war die Kaufentscheidung eine Abstimmung<br />

der Transmitter zwischen Hirn, Herz und weiteren Sinnen, früh schon<br />

gab es die Frage nach der Ergänzung, Erweiterung, Vertiefung. Es sollten sich<br />

freie Dialoge ergeben, von deren Vokabeln ich etwas ahnen konnte – von<br />

deren Semantik ich aber noch Genaueres wissen wollte.<br />

Als ich begann, mich selbst für die bildenden Künste zu interessieren,<br />

waren Barnett Newman, Morris Louis, Clyfford Still, Mark Rothko und Ad<br />

Reinhardt meine neuen Helden. Lange stand ich vor ihren Arbeiten, in vielen<br />

Museen dieser Welt. Ich hielt ihre Malerei für eine direkte Fortführung, eine<br />

Weiterentwicklung der Malerei nach (eben) Cézanne, Matisse und Bonnard.<br />

Besonders Cézanne und Bonnard haben die Farbe als solche schon derartig<br />

verdichtet, dass es nicht mehr um eine, irgendeine mögliche (täuschende)<br />

27


Simon Linke, o.T., 1985, 153,5 x153,5cm<br />

Courtesy One In the Other, London<br />

28


Darstellung ging, sondern vielmehr um die Wiedergabe einer ehrlichen Wahrnehmung,<br />

mehr noch, um die Sichtbarmachung einer Idee, eines Gedankens.<br />

Plötzlich ging es nicht mehr um die Wiedergabe einer Empfindung, sondern<br />

um die Empfindung selbst, die nachvollziehbar wurde, für mich. Es geht<br />

mir um das ehrliche Bild. Nicht eines, das hinter einem Vorhang im Kabinett<br />

dem Wunsch <strong>des</strong> Kunden entsprach oder einer späten Männerrunde gezeigt<br />

wurde, nicht eines, das den ikonografischen und zumeist auch theologischen<br />

Anforderungen der jeweiligen Zeit entsprechen sollte, nicht eines, das den<br />

entsprechenden ästhetischen Vorgaben gehorchte, sondern eines, das sich<br />

vielmehr selbst infrage stellte, diese Frage formulierte, offenbarte, und gerade<br />

auch damit erfolgreich war. Ich nenne De Kooning in diesem Zusammenhang.<br />

Und Courbet, viel früher. Vielleicht war Courbet der Erfinder der Ehrlichkeit.<br />

Zumin<strong>des</strong>t war keiner vor ihm radikaler. Der grosse Schritt in die<br />

Abstraktion der Malerei war von ihm schon angedacht – ich wage diese These<br />

–, zumin<strong>des</strong>t aber die Befreiung von einem bestellten Gegenstand. Ein Schritt<br />

in Richtung künstlerischer Autonomie war getan worden.<br />

Zu Beginn meiner Beschäftigung mit der Malerei meiner Zeit interessierte<br />

mich vor allem die sogenannte radikale Malerei, die sogenannte monochrome<br />

Malerei, die sogenannte gegenstandslose oder auch ungegenständliche<br />

Malerei, die sogenannte Farbfeldmalerei, die abstrakte Malerei, die<br />

konkrete Malerei, die essenzielle Malerei usw. Aber ich tappte in eine Falle.<br />

Plötzlich war ich ein Gefangener all dieser Begriffe, wo es mir so gar nicht um<br />

Begrifflichkeiten ging; wenn schon, ging es mir darum, etwas zu begreifen.<br />

Das war ein langer Weg. Heute sind mir all die oben aufgeführten Schubladen<br />

zu klein. Mich interessiert nicht mehr, aus welcher Schule eine Haltung<br />

kommt, mich interessiert vielmehr, ob die Suche <strong>des</strong> Künstlers nach Haltung,<br />

Ausdruck, Sinn in etwa meiner gleichen könnte, meiner Suche nach dem –<br />

jetzt platz ich mal raus mit dem Begriff – Spirituellen, nach dem Geistigen in<br />

der Kunst, und nach Schönheit. Fast alle Bilder der Sammlung sind für mich<br />

auf sehr unterschiedliche Art und Weise schön. Natürlich, alles was man liebt,<br />

unterschiedlich liebt vielleicht, schaut einen schön an: eine Frau, ein Mann,<br />

ein Kind, ein Auto, ein Haus, ein Bild, ein Buch. You name it.<br />

29


Apropos Buch. Das ist eine hübsche Geschichte, die ich Ihnen nicht unterschlagen<br />

darf. Eine Geschichte, wie sie untypischer nicht sein könnte, und doch<br />

recht typisch für mein Gesammel ist. Im Rahmen meiner Tätigkeit für einen<br />

Frankfurter Verlag hatte ich auch das Vergnügen, Gerhard Richter kennenzulernen.<br />

Gemeinsam mit dem Geschäftsführer <strong>des</strong> Insel-Verlags fuhr ich eines<br />

Tages nach Köln und besuchte Richter in seinem sehr, sehr ordentlichen<br />

Atelier. Kein Bild war zu sehen. Wir besprachen ja auch die Veröffentlichung<br />

<strong>des</strong> wunderbaren Ban<strong>des</strong> Gerhard Richter: Text und bekamen nach kurzen,<br />

sehr zügig geführten Verhandlungen Frankfurter Würstchen zum Mittagessen<br />

vorgesetzt. Ich schätze seitdem diese professionelle, respektlose Ironie<br />

bei Richter, aber ich schätze natürlich noch mehr an ihm. Und <strong>des</strong>halb fragte<br />

ich ihn, ob ich eventuell nochmals wieder kommen dürfte, um mir ein paar<br />

seiner Arbeiten anzusehen.<br />

Ein paar Monate später war ich wieder in Köln, bei Richter, und fand eine<br />

völlig andere Situation vor. Richter hatte in seinem Studio sechs Bilder aufgehängt,<br />

keines mehr und keines weniger. Mir war völlig klar, dass die mir sonst<br />

so geläufige Frage, ob ich noch ein wenig im Studio herumstöbern dürfte,<br />

hier vollkommen unangebracht, ja geradezu obsolet war.<br />

Only what you see is what you can get. That’s it. Anders als viele meiner<br />

Künstlerfreunde, die immer noch irgendetwas mehr zeigen, erklären, illustrieren<br />

wollten, hatte Richter seine Auswahl für mich schon getroffen. Eine<br />

wunderbare, sehr Richter’sche Arbeit durfte ich aussuchen, und glücklich<br />

über die Wahl habe ich den Abend mit Freunden lange verfeiert.<br />

Irgendwann kam eine Rechnung – und ich hatte kein Geld. Hier ist der<br />

Hochstapler also wieder, hier stehe ich mit leeren Taschen und entsinne<br />

mich eines Satzes meines sehr geschätzten Kollegen Dr. Speck. Der sagte, ein<br />

Sammler müsse sich verschulden – für die Kunst –, sonst sei er kein Sammler.<br />

Also, nach einem Jahr <strong>des</strong> Nachdenkens, nach einer sehr dezenten Frage <strong>des</strong><br />

Künstlers – «Möchten Sie das Bild überhaupt noch haben?» –, entschloss ich<br />

mich, einen Kredit aufzunehmen, mein Hausbau hatte nämlich, wie üblich –<br />

manche von Ihnen werden auch das kennen –, alle meine Mittel aufgezehrt,<br />

aber es gab jetzt etwas zu beleihen. Für eine Arbeit Gerhard Richters hätte<br />

30


Gerhard Richter, Abstraktes Bild 725-5, 1990, 200 x 200cm<br />

© Gerhard Richter<br />

31


ich kein Geld bekommen. Damals. Richter hatte Verständnis, selbst langjähriger<br />

Knecht, Büttel eines Architekten, schrieb er mir: «Bauen ist wie Krieg.»<br />

Wie wahr. Aber, und auch <strong>des</strong>halb ist mir Gerhard Richter so sehr wichtig, er<br />

schrieb ebenso das Folgende in seinem Text für den Katalog der documenta 7,<br />

1982: «Mit der abstrakten Malerei schufen wir uns eine bessere Möglichkeit,<br />

das Unanschauliche, Unverständliche anzugehen, weil sie in direktester<br />

Anschaulichkeit, also mit allen Mitteln der Kunst, ‹nichts› schildert. Gewohnt,<br />

etwas Reales auf Bildern zu erkennen, weigern wir uns mit Recht, nur Farbe<br />

(in aller Mannigfaltigkeit) als das Veranschaulichte anzusehen, und lassen uns<br />

statt <strong>des</strong>sen darauf ein, das Unanschauliche zu sehen, das, was vordem nie<br />

gesehen wurde und was nicht sichtbar ist. Das ist kein kunstvolles Spiel, sondern<br />

Notwendigkeit; weil alles Unbekannte uns ängstigt und gleichzeitig<br />

hoffnungsvoll stimmt, nehmen wir die Bilder als Möglichkeit, das Unerklärliche<br />

vielleicht etwas erklärlicher, auf jeden Fall aber umgänglicher zu machen<br />

‹… Die Kunst ist die höchste Form von Hoffnung›.» (Gerhard Richter: Text,<br />

Frankfurt am Main 1993)<br />

Damit, meine Damen und Herren, ist eigentlich alles gesagt. 1982 schon,<br />

von Gerhard Richter. Ich stimme dem vollumfänglich zu und könnte sie jetzt<br />

schnellstens an die Gläser entlassen. Oder? Wissen wir jetzt nicht alles, fast<br />

alles vielleicht? Mag sein, aber ich zumin<strong>des</strong>t, meinerseits, habe leider noch<br />

weiteres zu gestehen.<br />

Als ich, auch um 1982 herum, mit meinem Sammeln, das damals allerdings<br />

noch gar keines war, begann, da wurde die Malerei gerade von einigen,<br />

die selbst nicht malen konnten, aber reden und schreiben, von denen also<br />

wurde jegliche Malerei für tot erklärt. Welchen Tod sie gestorben war, wurde<br />

nie rechtmässig geklärt, aber es gehörte zum guten Ton damals, keine Malerei<br />

zu machen, keine Malerei auszustellen und schon gar keine Malerei zu<br />

kaufen. Kulturpolitisch korrekt wurden während den Leichenschmäusen am<br />

offenen Grab der Malerei Videos gezeigt, Fotografien gehängt und Installationen<br />

aufgebaut. Und, um das Bild vollständig zu machen, man sah in den<br />

grossen Möbel- und Sanitätsläden West-Berlins, in deren Schaufenstern am<br />

Kurfürstendamm, die Exponate der sogenannten Jungen Wilden. Zugege-<br />

32


en, angesichts dieser Malerei und ihrer Ausstellungsorte begann auch ich,<br />

damals Student der Kunstgeschichte, den Abgang der Malerei zu beklagen.<br />

Bis mir eben Ingo Meller begegnete, Simon Linke auch und – Noir.<br />

Ich habe Sie also belogen. Vorsätzlich. (Sie sehen, hier kommt einiges an<br />

Tatbeständen zusammen, jetzt also diese uneidliche Falschaussage …) Nein,<br />

nicht eine Arbeit Simon Linkes war das erste Bild, das ich erstand – es hätte<br />

auch zu gut gepasst! –, tatsächlich war es eine kleine Pappe von eben diesem<br />

Noir. Er, der zwischenzeitlich wohl bekannteste und vielleicht auch bedeutendste<br />

Mauermaler (West-)Berlins, zog abends mit einigen seiner Bilder auf<br />

Karton durch die Kneipen und versuchte dank kleiner Verkäufe zu überleben.<br />

«Bestimme den Preis selbst», sagte er, und ich glaube, er bekam für dieses<br />

wunderschöne, leichte Porträt im Profil 80 DM von mir. Auch dieses Bild mag<br />

ich immer noch, obwohl es nicht abstrakt, nicht ungegenständlich, nicht<br />

monochrom usw. ist. Noir hat den Grundstein für einen anderen Teil meiner<br />

Sammlung gelegt, eine Umgebung, in der sich heute die Damen Baer und<br />

Milroy tummeln, Mister Opie, der Meister Richard Allen Morris und ein paar<br />

andere mehr. Nur, auch darauf muss ich kurz zu sprechen kommen, Neo<br />

Rauch ist hier nicht dabei. Ihn hatte ich schon kurz nach der sogenannten<br />

Wende in Leipzig kennengelernt, auch seinen Galeristen, und beide konnten<br />

mich nicht überzeugen. Es war eine Situation damals, in der auch Harry Lübke<br />

beinah noch sagte «bestimme den Preis selbst», aber diese melancholisch<br />

betrübte, comichafte Historienmalerei war und ist einfach nichts für mich.<br />

Manch einer würde jetzt vielleicht sagen: dumm gelaufen. Ich nicht. Hier<br />

bereue ich nichts.<br />

Von meinen amerikanischen Heroen habe ich Ihnen ja schon berichtet.<br />

Ich war ein Freund Amerikas, mein Blick hatte sich sehr gen Westen verfestigt,<br />

von Frankreich über den Atlantik hinweg, durch Besuche dort. Zwei<br />

Reisen habe ich gemacht durchs grosse weite Land, Museumsbesuche und so<br />

weiter. Anders als beim Freund Jolles, der bekanntlich eine grossartige Sammlung<br />

zeitgenössischer russischer Kunst aufbaute, gehörte mein Interesse für<br />

einige Zeit fast hermetisch-entschlossen den Amerikanern. Mit Ausnahmen<br />

natürlich, aber im Grunde interessierten mich lange und interessieren mich<br />

33


Thierry Noir, o.T., o.J., 49 x 29,5cm<br />

© 2007 Pro Litteris, Zurich<br />

34


immer noch: Robert Ryman, David Reed, Joseph Marioni, Winston Roeth,<br />

Alex Katz, Stephen Rosenthal, Brice Marden, John Wesley, Sherrie Levine und<br />

– irgendwann dann doch auch – Andy Warhol. Auf ihn möchte ich später zu<br />

sprechen kommen.<br />

Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück, die Ehre und Gelegenheit, in<br />

dem schönsten neueren Museumsbau und noch dazu in einem der engagiertesten<br />

Malereimuseen Deutschlands, im Kunstmuseum Bonn eben, eine Ausstellung<br />

mit Werken aus meiner Sammlung zu zeigen. Unter anderen: Reed,<br />

Marioni, Katz und Ryman. Gemeinsam mit Christoph Schreier, dem Kurator<br />

<strong>des</strong> Museums, entwickelten wir dialogische Räume, versuchten also jene Gespräche<br />

zu organisieren, die ich auch innerhalb meiner Sammlung gelegentlich<br />

im Hause, im kleinen Kreis sozusagen, stattfinden lasse, ohne Gerichtsverhandlungen<br />

allerdings, also ohne Wertung – das ist mir auch wichtig.<br />

Den grössten, den zentralen Raum bekamen Joseph Marioni, David Reed<br />

und Wilhelm Mundt. David und Joseph, das wusste ich, waren sich – obwohl<br />

beide in New York leben – nie wirklich nahe gekommen, es gab zwischen<br />

ihnen nicht die theoretischen Auseinandersetzungen wie sie zwischen Marioni<br />

und Günter Umberg zum Beispiel in den achtziger Jahren stattfanden.<br />

Dafür waren und sind die beiden Maler auch in ihrem Temperament und<br />

in ihrer Haltung zu unterschiedlich. Marioni – The Painter, wie er sich selbst<br />

an seinem Hauseingang und auf seinem Briefpapier tituliert – und David<br />

Reed, ein Maler der Theorie, der sich oft um die Förderung anderer Künstler<br />

kümmert und sehr selbstlose, auch vollkommen Reed-freie Ausstellungen<br />

kuratiert. Natürlich prallten hier zwei Gegensätze der ungegenständlichen<br />

Malerei zusammen, wurden von uns sozusagen aufeinander losgelassen. Einmal<br />

der Farbmaler Marioni, dem es mehrheitlich um die Wahrnehmung von<br />

«paint» geht, der jede Geste und beinahe auch jeden Eingriff vermeidet, um<br />

einzig die Autonomie der Farbe zur Geltung kommen zu lassen. Malerei<br />

für Kontemplationen also, eine Malerei jenseits jeglicher Erzählung. Dann<br />

die gestisch-expressive Malerei in fast filmischer Geschwindigkeit, wie Reed<br />

sie erfunden hat, ausufernd, barockisch überlagert, vielschichtig, minutiös,<br />

klar architektonisch geplant und in lange währenden Prozessen ausgeführt.<br />

35


David Reed, 5 Arbeiten, Wilhelm Mundt, 3 Trashstones,<br />

Kunstmuseum Bonn, Still Mapping the Moon, 2004<br />

Seite 37 oben: Alex Katz, 2 Arbeiten, Ingo Meller, 2 Arbeiten,<br />

Kunstmuseum Bonn, Still Mapping the Moon, 2004<br />

Seite 37 unten: Ingo Meller, 5 Arbeiten<br />

Kunstmuseum Bonn, Still Mapping the Moon, 2004<br />

36


Lisa Milroy, Lace, 1993, 193 x 249cm<br />

Courtesy Galerie Lelong, Zürich<br />

(Foto Jörg Hejkal, Köln)<br />

38


Zwischen den «Image-Painter» und den «Material-Painter» (Zitat David Reed)<br />

legten wir ein paar Trashstones von Wilhelm Mundt, deren glatte Oberflächen<br />

an die beinahe hermetischen Acryl-Bilder Marionis erinnerten, deren<br />

amorphe und pigmentierte Formen aber wiederum eine Bewegung aus den<br />

Bildern David Reeds aufzunehmen schienen. Mundt als Katalysator, sozusagen,<br />

hat gute Arbeit geleistet.<br />

Ein anderer Raum wurde von den Herren Meller und Katz bespielt. Auch<br />

eine ungewöhnliche Kombination, aber im Gegensatz zu der oben dargestellten<br />

Konstellation erwies sich diese als eine fast schon romantisch liebevoll<br />

funktionierende Beziehung. Das war für alle, die es sehen konnten, eine<br />

erfreuliche Überraschung. An zwei Wänden <strong>des</strong> quadratischen Raumes hingen<br />

die nur grundierten, ungerahmten, spröde entschieden und doch sinnlich<br />

bemalten Leinwände von Ingo Meller direkt auf weissem Putz. Auf den<br />

anderen beiden Wänden fanden sich die grossformatigen, schnellen Naturdarstellungen<br />

von Alex Katz wieder, Bilder, die in ihrer genialen Vermischung<br />

von Flächigkeit und Tiefe bei allem Realismus auch an frische Trompe l’œil-<br />

Malerei erinnern. Die Verbindung zwischen dem cool-realistischen Katz und<br />

dem material-realistischen Meller hat ganz offensichtlich funktioniert, wegen<br />

der jeweils einfachen Lesbarkeit einer Malerei, die sich aus dem Medium<br />

speist und sich damit vorbehaltlos an die Sinne <strong>des</strong> Betrachters wendet – fast<br />

schon programmatisch für die Sammlung <strong>des</strong> Mondstudios.<br />

Der nächste Raum vereinte den Österreicher Herbert Brandl mit der aus<br />

Kanada stammenden, in England lebenden Malerin Lisa Milroy. Brandl trat<br />

auf mit grossformatiger, oft sehr kraftvoll und zügig gemalter «Hybrid-Malerei»,<br />

changierend zwischen Naturdarstellung und autonomer Farbschüttung,<br />

in jedem Fall monumentale Malerei, herrlich bewältigte Fläche, rau, mächtig,<br />

aber nicht dominant, unabhängig, frei. Frei ist auch Lisa Milroy, sehr frei in<br />

der Wahl ihrer Motive, manchmal arbeitet sie mit Klischees, so wie hier in der<br />

sozusagen sehr «weiblichen» Auseinandersetzung mit den Laces oder auch<br />

in ihrer ironischen Abarbeitung an kleinsten Farbflächen zur Entwicklung<br />

eines Bil<strong>des</strong>. Irgendwann begann Lisa Milroy ihre Liebe zur japanischen Kultur<br />

zu entdecken, davon zeugen die drei wunderbar gemalten Miniaturen<br />

39


Bernard Frize, Suite Segond 120F N3, 1980, 130 x195cm<br />

© Bernard Frize<br />

40


aus der japanischen Küche. Akribisch oder sehr frei darstellend, hält Lisa<br />

Milroy jeden Gegenstand einer genaueren Untersuchung für würdig. (Wie ich<br />

auch.) Deshalb möchte ich mir den Hinweis auf die inzwischen noch viel<br />

ausgefeilteren, wunderbar seltsamen und herrlich gemalten Darstellungen<br />

japanischer Geishas von Lisa Milroy nicht versagen. Ich mache sonst keine<br />

Werbung für einen oder eine Künstlerin meiner Sammlung, hier soll es eine<br />

Ausnahme sein: Lisa Milroy bei Luis Campana, Köln, oder bei Lelong, Zürich.<br />

Sehr empfehlenswert. Jederzeit.<br />

Wir gehen weiter und treffen auf die Gegenüberstellung von Bernard<br />

Frize und Günter Umberg. Auch hier könnte der Unterschied in Malweise und<br />

Auffassung zunächst nicht grösser sein. Von Günter Umberg hängten wir eine<br />

seiner inzwischen schon klassisch zu nennenden schwarzen Pigmentarbeiten<br />

auf Aluminium. Diese Arbeiten von Umberg üben einen eigentümlichen Reiz<br />

auf viele Museumsbesucher aus, aber nicht nur auf jene. Die Arbeiten bergen<br />

ein Geheimnis. Direkt, ungerahmt auf die Wände montiert, schaut man mit<br />

ihnen in eine (auch manchen Objekten von Anish Kapoor eigene) Tiefe, in<br />

einen Abgrund oder in eine dunkle Weite, ganz wie man möchte. Dieses Bild,<br />

das ich von ihm in Bonn zeigte, trug – unrestauriert – die Fingerabdrücke<br />

meiner Tochter. Im Alter von drei Jahren wollte auch sie schon wissen, worin<br />

der eigentümliche Reiz dieser Arbeit liegt, und konnte nicht anders, als diesen<br />

durch ihr Abtasten zu ergründen.<br />

Eine ganz andere Form von Rätsel geben einem die Arbeiten von Bernard<br />

Frize auf. Man fragt sich bei ihnen oft, wie sie zustande kommen. Die<br />

Wege <strong>des</strong> Pinsels führen jeweils in einer Form dargestellter Gleichzeitigkeit<br />

über und untereinander her, oder aber es spiegeln sich zwei Oberflächen<br />

eines Bil<strong>des</strong> in den Strukturen, nicht aber in den darunterliegenden Farben.<br />

Nochmal anders verhält es sich bei der frühen Arbeit von Frize: Suite Segond.<br />

Kaum eine Arbeit könnte ehrlicher sein. Das grossformatige Bild entsteht<br />

durch das Bekleben der Leinwand mit den getrockneten Farbschichten aus<br />

unverschlossenen Farbtöpfen. Hier wurde, und damit ist auch diese Arbeit<br />

kein ungewöhnlicher Bestandteil meiner Sammlung, zunächst sehr offensichtlich<br />

agiert, Material und Auswahl werden sogar überdeutlich formuliert,<br />

41


dennoch entsteht etwas anderes als bloss das Abbild aufgeklebter Farbschichten<br />

– ein Bild nämlich, ein neuer, ganz und gar unromantischer Zusammenhang,<br />

sich seiner Geschichte bewusst, radikal und unabhängig sich einen<br />

neuen Weg suchend. Die Farbe als Material gibt auch hier nur einen Hinweis<br />

zur persönlichen Wahrnehmung.<br />

Einen Raum weiter haben wir Jerry Zeniuk und Alan Uglow einander<br />

gegenübergestellt. Auch wieder eine Kombination, die ihren Reiz aus der<br />

Divergenz bezieht. Alan, der älteste Punk, den ich noch kenne, der grösste<br />

Fan <strong>des</strong> FC Chelsea. Ein grosser Kenner der Kunstgeschichte, hört laut Musik,<br />

wenn er malt, Sex Pistols zum Beispiel, The Clash, und macht dabei diese wunderbaren,<br />

fein differenzierten Arbeiten, in denen schon ein kleiner Unterschied<br />

von einem Weiss zum anderen eine bedeutende Rolle spielt oder das<br />

Changieren einer Farbe in eine andere im selben Strich. Alan Uglow schult,<br />

trainiert unsere Wahrnehmung auf sehr differenzierte, subtile Weise und verheimlicht<br />

dabei den Ursprungsgedanken vieler seiner Arbeiten, das Sportoder<br />

Fussballfeld, nur auf den ersten Blick.<br />

Auch in Jerrys Studio läuft während <strong>des</strong> Malvorgangs häufig Musik, allerdings<br />

klassische Musik, Opern oder Sinfonien, oder Jazz, Free Jazz. Für mich<br />

ist Jerry Zenuik einer dieser Maler, die sehr schwer zu kategorisieren sind.<br />

Kaum einer hat sich bislang daran gewagt, diese seltsame Symbiose aus experimenteller<br />

Malerei und dem sicheren Auffinden von Schönheit zu beschreiben.<br />

(«Herzerwärmend, aber höchst differenziert» nennt der Galerist Rupert<br />

Walser die Arbeiten Zeniuks.) Jerry kommt aus der Kaste der monochromen<br />

oder eben radikalen Maler, hat sich im Laufe der Zeit sehr befreit, was Format<br />

und Umgang mit Farbe angeht, und ist für mich ein grosser Meister der<br />

ernsthaften Untersuchung von Farbe und Komposition. Eine sehr sinnliche<br />

Lakonie, vielleicht sogar auch eine erfreulich schöne Unsicherheit, ein wagemutiges<br />

Tasten sehe ich in den Bildern von Jerry Zeniuk.<br />

Diese Unsicherheit findet sich bestimmt nicht in der wunderbaren Serie<br />

<strong>des</strong> leider schon verstorbenen Rémy Zaugg. Seine Schriftbilder, hier grossartige<br />

Aufforderungen zum Sehen in kaltem Weiss und kühlem Blau auf<br />

Emaille, sind Teil seiner vielen Frage- und Forderungsbilder, mit denen er<br />

42


um die Wahrnehmung jeder künstlerischen Äusserung kämpfte. Auch Rémy<br />

war ein grosser Theoretiker, ich vergesse nicht den Besuch mit ihm am Isenheimer<br />

Altar, ich vergesse nicht die vielen Gespräche über Architektur (Rémy<br />

Zaugg hatte sich früh schon ein Atelier von Herzog & de Meuron bauen lassen),<br />

ich vergesse nicht seine seltsame Liebe zu Eiben, die er zu Hunderten<br />

auf seinem Grundstück im Elsass pflanzte und pflegte. Ich vergesse nicht die<br />

Tausenden kleinen Farbmuster, die möglichen Farbkombinationen auf Papier,<br />

die in seinem Atelier zu sehen waren, und nichts anderes als die, denn seine<br />

Arbeiten wurden in einer Autolackieranstalt ausgeführt, gefertigt, beinahe<br />

eben seriell gefertigt, ohne die Hand <strong>des</strong> Künstlers, aufgeladen aber durch<br />

den Geist, und zu Ende formuliert im Denken von Rémy Zaugg – den ich<br />

vermisse.<br />

Stephan Baumkötter arbeitet ganz anders, und muss doch froh gewesen<br />

sein, dass seine Untersuchungen in einem Raum mit Rémy Zaugg zusammen<br />

hingen, denn Rémy forderte ultimativ genaues Sehen, genaues Hinsehen,<br />

und nach eben dem verlangen die meist kleineren Formate von<br />

Stephan Baumkötter. Baumkötter erarbeitet auf den ersten Blick monochrome<br />

Bilder. Schaut man aber genauer hin, geht es auch ihm um eine subtile<br />

Differenzierung. Was zunächst wie eine blank polierte, eindimensionale<br />

Fläche aussieht, entpuppt sich später als das Bild einer Handschrift, als die<br />

sehr persönliche Darstellung vieler, sehr vieler sich gegenseitig verdichtender<br />

Bewegungen. Baumkötters Bilder entwickeln mir gegenüber eine grosse,<br />

zaghafte Poesie, wie man sie jetzt – noch deutlicher – in seinen neueren<br />

Arbeiten wiederfindet. Inzwischen hat Stephan sein Visier – sozusagen – noch<br />

weiter geöffnet.<br />

In einem kleineren, dreieckigen Raum <strong>des</strong> Museums baten wir Gerhard<br />

Richter und Robert Ryman zum Dialog. Ein alter Traum von mir, und wie es<br />

mit Träumen oft so ist, weiss ich gar nicht, weshalb ich darauf gekommen bin.<br />

Aber es hat funktioniert zwischen den beiden.<br />

Ryman formuliert ebenso präzise Gedanken und Bilder wie Gerhard Richter.<br />

Von Ryman stammen die folgenden Sätze: «Darstellung ist Illusion, und<br />

sie ist ein Abbild von Dingen, die wir kennen. Und weil wir das Bild kennen,<br />

43


erzählt es immer eine Geschichte. Manchmal ist die Erzählung sehr direkt,<br />

und manchmal subtiler, aber immer gibt es eine Geschichte … Das zweite Verfahren<br />

ist die Abstraktion … Ich benutze Abstraktion im Sinne ‹von etwas<br />

abstrahieren› und in diesem Sinne hat die Abstraktion den Malern sozusagen<br />

eine neue Dimension gegeben, sie hat ihnen einen Weg geöffnet, die Malerei<br />

zu erweitern.» Und weiter: «… obwohl durch die Abstraktion von Dingen,<br />

die wir kennen, neue Möglichkeiten eröffnet wurden, ist die Abstraktion im<br />

Wesentlichen der darstellenden Malerei noch sehr nahe. Auch hier ist die<br />

Ästhetik eine nach innen gerichtete.» Ryman aber zieht es nach dem Formulieren<br />

solcher Gedanken vor, seine Arbeiten nicht abstrakt oder konkret<br />

oder ungegenständlich zu nennen, vielmehr spricht er von einem «Realismus»<br />

in seinem Zusammenhang. Und diese Bezeichnung, wie die eben gehörten<br />

Worte, könnte auch auf die Malerei Richters zutreffen, sie könnte auch<br />

von Richter stammen.<br />

Wie ich schon gestand, ist die Kenntnis <strong>des</strong> Künstlers für mich ebenso<br />

wichtig wie die Ansicht der Arbeiten. Robert Ryman konnte ich in seinem<br />

Studio in New York besuchen.<br />

Es begegnete mir ein ziemlich kleiner Mann mit ziemlich grossen Augen.<br />

An den Wänden <strong>des</strong> Ateliers hing eine komplett fertige Ausstellung für Pace<br />

Wildenstein, und auf der Palette <strong>des</strong> Malers befanden sich so viele unterschiedliche<br />

Farben, dass es mich überraschte, hatte Ryman, soweit ich weiss,<br />

doch sein letztes Bild mit Rot und Weiss 1964 gemacht … Ich durfte mir eine<br />

Arbeit aussuchen. Eine Arbeit, an der auch, wie ich später erfuhr, Richard<br />

Serra grosses Interesse hatte. Hier aber hatte ich gewonnen. Erster, einmal!<br />

Option ist eine wunderschöne klassische Arbeit Rymans, und bezeugt, wie<br />

intensiv er immer noch an der Weiterentwicklung seiner völlig unsentimentalen<br />

– ich nenne sie – Partituren mit Materialien aus dem Heimwerkermarkt<br />

arbeitet. Es ist zu den Arbeiten von 1965 beinahe kein Unterschied feststellbar.<br />

Das spricht – so finde ich – für Konsequenz: Ryman ist mitnichten als<br />

ein «One-Trick-Pony» anzusehen, wie Nicolaus Schafhausen Künstler nennt,<br />

die «nur eine Idee haben und diese dann im Laufe der Jahre endlos ausbauen,<br />

variieren.»<br />

44


Robert Ryman, Option, 2002, 28,5 x 28,5cm<br />

Courtesy Peter Blum Gallery, New York<br />

45


Leuchtkasten und 3 Bootaris von Kim Sooja, Fotografien (Falten) von Tamara Grcic, ´<br />

Kunstmuseum Bonn, Still Mapping the Moon<br />

ˆ<br />

46


Zwei Künstlerinnen folgten in einem weiteren Kabinett: Tamara Grcic ´ und<br />

Kim Sooja. Beiden ist für meine Begriffe etwas eigen: ihre vorsichtige künstlerische<br />

Annäherung an die verschiedensten Formen <strong>des</strong> Seins. Die Fotoarbeit<br />

ˆ<br />

von Tamara Grcic ´ trägt den Titel Haare und entstand während eines Aufenthaltes<br />

in New York. Auch hier findet sich wieder, was in vielen Arbeiten der<br />

Sammlung zu erkennen ist: unbewertete, unkommentierte Darstellung und<br />

ˆ<br />

eine durchaus gewollte Ferne zur erzählerischen Komposition. Ein Offenlassen,<br />

ein Freibleiben. Tamara Grcic ´ findet einen ungewöhnlichen Ansatz<br />

für ihre «Porträts». Sie fotografiert wie beiläufig, aber auch schüchtern – im<br />

Wortsinn zurückhaltend –, anonyme Passanten von hinten. Sie ist seltsamerweise<br />

an ihren Haaren interessiert, und schafft damit, in enge Reihung<br />

gehängt, ein Menschenbild der Möglichkeiten, und nebenbei etwas, das für<br />

mich auch aussieht wie Malerei: Farben, Kontraste, Schatten, Flächen – alles<br />

das eben.<br />

Kim Sooja, in Südkorea geboren, heute in New York lebend, ist auch eine<br />

Spurensucherin. Vor Jahren reiste sie mit einem alten kleinen Lkw durch ihre<br />

Heimat und sammelte gebrauchte Stoffe, Decken, Kleider, um sie in traditionelle<br />

Stoffbündel, die sogenannten Bootaris, zu verpacken, aufzuladen und<br />

mit all dieser geschichtsvollen Ware um die halbe Welt zu reisen. Ein Museum<br />

in Italien bekam dann den staubigen Truck und die geheimnisvollen Bündel<br />

vor den Eingang gestellt. Seitdem sind die Bootaris Bestandteil der Arbeit von<br />

Kim Sooja, aber auch Fotografien und Videos. Mich interessiert an der Arbeit<br />

Kims nicht bloss die fernöstliche Farbigkeit, die sich in den Stoffen findet,<br />

eine Fröhlichkeit der Farben, sondern auch diese – ja – demütige Haltung<br />

gegenüber allem, was da ist, was stark ist und schwach, und die Freude an<br />

allem, auch die Freude an der Schönheit, die durchaus Geschichten überdecken<br />

oder Geheimnisse verbergen kann, so wie hier.<br />

Das kann der nächste auch. Federle lesen – nicht einfach, aber auch Helmut<br />

Federle ist ein wichtiger Pfeiler meiner Sammlung. Und gleichzeitig ist es<br />

für mich ein Statement, Federle nicht bloss anlässlich dieser einen grossen<br />

Arbeit, die ich Ihnen hier vorführe, zu verstehen (zu versuchen). Ich weiss<br />

noch um die groben Diskussionen, die Federle auslöste, als er ein als Haken-<br />

ˆ<br />

47


kreuz erkennbares Ornament in eines seiner früheren Bilder malte. Federle<br />

ging und geht es nun einmal auch um das Ornament, um das Ornament als<br />

Figur, als mögliche abstrakte Ordnungsfigur – jeder Buchstabe ist so eine<br />

Figur! –, nicht aber als Repräsentant für eine Gesinnung. Ganz im Gegenteil,<br />

meiner Ansicht nach ist Federles Malerei geradezu befreiend gesinnungslos,<br />

aber natürlich nicht: besinnungslos. Federle ist einer der bewusstesten Maler,<br />

die mir begegnet sind, einer der unablässig Fragen stellt, und nicht umsonst<br />

(umsonst sowieso nicht) kommen immer nur sehr wenige Arbeiten p.a. aus<br />

seinem Atelier. Das grossformatige Bild von Federle in Bonn ist als solches<br />

kaum zu fassen. Wo immer man hinschaut auf dieser Fläche, ergibt sich ein<br />

neuer Eindruck, eine Aufforderung zur Meditation. Ich bin – ich schwöre es –<br />

mit drei Fotografen vor Ort gewesen, bis endlich einer, Wolfgang Günzel,<br />

dem wir alle Darstellungen hier verdanken, das Bild so aufnehmen konnte,<br />

dass es zumin<strong>des</strong>t seinem äusseren Wesen entsprach. Das Innere der Arbeiten<br />

von Helmut Federle zu ergründen, bedeutet, sich auf einen zenischen Weg zu<br />

begeben, so meine ich, und der dauert länger.<br />

Wo Helmut Federle mit den tradtionellen Mitteln <strong>des</strong> Malers und mittels<br />

einer grösstenteils bewusst wahrgenommenen, tradierten Technik seine<br />

Wege eruiert, gehen Katharina Grosse und Adrian Schiess auf ganz anderen,<br />

erst schmal oder gar nicht explorierten Pfaden. Katharina Grosse, eine Meisterschülerin<br />

von Gotthard Graubner, hat sich mittlerweile fast ganz von den<br />

traditionellen Tafelmalerei emanzipiert und arbeitet hauptsächlich grossflächig,<br />

konzentriert freigeistig an ihren Raum- und Szenenbildern. Mehr und<br />

mehr empfindet Katharina Grosse den Pinsel als ein antiquiertes, vielleicht sogar<br />

unzeitgemässes Instrument und greift, in einen beeindruckenden Schutzanzug<br />

gehüllt, zur Sprühpistole. So sind also ihre Bilder auf Keilrahmen<br />

beinahe schon die Ausnahme in ihrem Œuvre, und bestätigen dennoch die<br />

Grösse dieser Künstlerin, ihren Er- und Findungsreichtum. Ihr weitreichender,<br />

viel Fläche und Raum umfassender, erneuernder Einfluss auf die zeitgenössische<br />

Malerie ist meines Erachtens noch gar nicht richtig absehbar – und doch<br />

schon so sehr präsent. Weltweit übrigens. Katharina Grosse ist omnipräsent,<br />

und das ohne jede Assistenz. Ihre Spray- oder Sprühtechnik kommt natürlich<br />

48


von der Strasse und hat auch dort immer schon etwas mit einem schnellen<br />

Auftauchen, mit einem schnellen Auftrag zu tun. Insofern wirken auch die<br />

nach innen übertragenen Graffiti von Katharina Grosse auf den ersten Blick<br />

spontan und weniger komponiert als beispielsweise die Arbeiten von Keith<br />

Haring – mit dem sie aber auch gar nichts verbindet. Katharina betont mittlerweile<br />

aber die Nichtzufälligkeit ihres Tuns noch mehr, indem sie weisse<br />

Flächen, Rechtecke, in den Raumbildern ausspart, unerwartete Gegenstände<br />

wie Betten, Regale oder Steine in die Installationen mit hineinnimmt und<br />

diese gleichberechtigt wie die herkömmlichen Malgründe behandelt, also<br />

besprüht, und sie somit zum paritätischen Bildinhalt macht. Die erste grössere<br />

Arbeit, die ich von Katharina erwerben konnte, war eine überhaupt nicht<br />

zum Verkauf gedachte, dennoch erarbeitete, mittels Rolle bemalte Tapete<br />

auf einer Holzwand der alten Kölner Messe. Dass sich diese Arbeit trotzdem<br />

jetzt in der Sammlung befindet, bezeugt den freien Geist von Katharina.<br />

(Nichts scheint ihr unmöglich.)<br />

Wie Katharina Grosse arbeitet auch Adrian Schiess, der im französischen<br />

Exil lebende Schweizer, mit Bodenflächen, und damit mit der individuellen<br />

Raumwahrnehmung. Im Unterschied zu Katharina aber bringt Schiess den<br />

skulpturalen Aspekt noch stärker in seine Malerei mit ein. Wo Katharina den<br />

Stein, das Bett oder was auch immer zum skulpturalen Bestandteil ihrer malerischen<br />

Arbeit macht, bestimmt Adrian Schiess eine Skulptur zum Träger seiner<br />

Malerei. Frühe Arbeiten allerdings bestehen oftmals lediglich aus einer<br />

stärkeren Sperrholzplatte, manns- oder auch frauhoch, grundiert, dann mit<br />

Autolack besprüht und wie gerade gebogene Fragezeichen an eine Wand<br />

gelehnt. Aufgrund ihrer überaus glatt polierten Oberfläche werden die Stelen<br />

damit zu einem sowohl Farblicht abstrahlenden wie Umfeld spiegelnden<br />

Objekt, zu einer dialektischen Arbeit also. So verhält es sich auch heute noch<br />

mit den inzwischen sehr viel weiter elaborierten Arbeiten von Adrian. Das<br />

Kunstmuseum Bonn zeigt eine ganz wunderbare freie Bodenarbeit, im Ausmass<br />

variierbar, die, vor einem der grossen Fenster <strong>des</strong> Museums platziert,<br />

sowohl die jeweilige Lichtstimmung von aussen hereinholt als auch die der<br />

Arbeit selbst eigene Stimmung und Farbigkeit, ihren präzise kalkulierten Ver-<br />

49


Andy Warhol, Eggs, 1982, 228,5 x177,8cm<br />

© 2007 Andy Warhol Foundation /Pro Litteris, Zurich<br />

50


lauf wiedergibt. Es ist faszinierend, dem natürlichen Lichtspiel im Spiegel der<br />

Arbeiten von Adrian Schiess zu folgen. Man schaut auf zweierlei, min<strong>des</strong>tens.<br />

Das kann sehr schön sein.<br />

Themawechsel. Here comes the big name: Andy Warhol. Meines Erachtens<br />

nach Picasso und Duchamp der bedeutendste bildende Künstler <strong>des</strong><br />

zwanzigsten Jahrhunderts. Ich konnte seine Blumensiebdrucke nicht mehr<br />

sehen, ich konnte seine Marilyns nicht mehr sehen, und auch die Dollarzeichen<br />

nicht. Die halbe Art Basel war zeitweise voll mit Dollarzeichen, Marilyns<br />

und Stiefmütterchen. Warhol all over. Plötzlich aber, wieder auf einer Art<br />

Basel, sah ich bei Rafael Jablonka dieses eine, relativ grosse Ding. Zwölf bunte<br />

eiförmige Farbflächen auf schwarzem Grund. So ganz anders als alles zuvor<br />

wahrgenommene, mir von Warhol bekannte. Rafael gab mir eine halbe<br />

Stunde Zeit, mich zu entscheiden.<br />

Da war sie wieder, die bekannte halbe Stunde. Und dazu noch war da<br />

etwas Neues. Der Preis nämlich. Nie zuvor hatte ich in solchen Höhen, in<br />

dieser dünnen Luft nachdenken müssen. Herzklopfen, Schweissausbrüche,<br />

Pulsrasen. Ich sah wieder Dollarzeichen, in allen Farben. Geld, ich gestehe es,<br />

oder besser: der Preis einer Arbeit, war mir bislang so egal gewesen wie beispielsweise<br />

einem Maulwurf das Wetter. Jetzt plötzlich kam der Wertgedanke<br />

ins Spiel und der Werterhaltungsgedanke und der Geldvernichtungsgedanke.<br />

Manche nennen einen solchen Gedankengang schon spekulativ. Aber wer<br />

sonst ausser Warhol sollte mir diese halbstündigen Kopfschmerzen bereiten?<br />

Das Magengrimmen, das Zittern der Knie? Wer, wenn nicht Warhol, der alles,<br />

aber auch wirklich alles mögliche für wichtig genug erachtete, um es zur<br />

Kunst zu erheben, und Geld damit zu verdienen, ausgerechnet er, der Dollarzeichendrucker?<br />

Viel Geld wurde verlangt für ein buntes Dutzend Eier. Aber<br />

gerade weil man Warhol nicht erkannte, weil er mit semi-abstrakten Formen<br />

spielte, weil ich sein Bild als einen ironischen Kommentar zur Farbfeldmalerei<br />

verstand, weil es einer von nur zwölf verwandten Siebdrucken ist, der mir<br />

da gerade gross vor die Augen gehalten worden war, brauchte ich lediglich<br />

29 Minuten, um mich für diese Arbeit zu entscheiden, die eben doch auch<br />

sehr gut in die Sammlung passt. Von Warhol kenne ich den Satz: I wish I’d be<br />

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a painter. Genau das ist er hier, und in zwei weiteren Arbeiten aus seiner<br />

grossartigen Shadow-Serie, die ich später noch erwerben konnte, zeigte er<br />

ebenfalls fantastische, fast noch jugendlich zu nennende malerische Qualitäten.<br />

Und könnte ich mir heute eine Arbeit von Andy Warhol leisten – es wäre<br />

eine Platte aus der Oxydation-Serie, vulgo bekannt als Pisspaintings. Tatsächlich<br />

sind diese Arbeiten eben Beweisstücke eindrucksvoller Malerei. (Wie die<br />

wunderbare Serie der kritisch-magnetischen Little Electric Chair Paintings<br />

beispielsweise auch.)<br />

Nochmals zurück zu der Schau in Bonn. Sie trug den Titel «Still Mapping<br />

the Moon», ein Satzfragment, das aus dem Gedanken resultierte, dass jede<br />

künstlerische Arbeit einem beinahe unerreichbaren Ziel folgt, dass fast jeder<br />

Gedanke, fast jede Arbeit eben in dem Sinn eine unvollendete Äusserung<br />

bleibt, als dass ihm oder ihr immer noch etwas weiteres folgen kann. Es ist<br />

dieser Fortentwicklungsdrang, diese Neugier, diese Experimentierfreude,<br />

ohne die wir alle vermutlich nicht mal mehr leben würden. Im Übrigen war<br />

der Titel für Kenner natürlich auch ein kleiner Hinweis auf die Adresse, aus<br />

der die Ausstellung gespeist wurde. Das bringt mich zur Rezeption der Ausstellung,<br />

die überwiegend positiv, manchmal enthusiastisch, einmal aber<br />

auch mir völlig unverständlich war.<br />

Es gibt bekanntlich viele Verschwörungstheorien. Eine davon, eine die<br />

sich hartnäckig hält, ist jene, dass die Amerikaner niemals auf dem Mond<br />

gelandet seien. Eine meiner Ansicht nach unhaltbare Theorie, aber das tut<br />

hier gar nichts zur Sache. Viel interessanter ist in unserem Zusammenhang die<br />

Kritik einer Journalistin namens Johanna Di Blasi, die sie im Kölner Stadt-<br />

Anzeiger zur Kenntnis brachte. Darin schreibt sie u.a.: «Eine gewisse Faszination<br />

scheint immer noch von dem apokalyptischen Moment kurz vor dem<br />

Ausstieg aus dem Bild auszugehen.» Frau Di Blasi stimmt also wieder einmal<br />

das altbekannte Totenliedchen an, und sie outet sich als Hellseherin, wenn<br />

auch als eine nur scheinbar kenntnisreiche, vor allem aber politisch korrekte<br />

Gesinnungsträgerin. Ich darf zitieren: «Seit Ende der 90er bekannt geworden<br />

ist, wie massiv die Amerikaner ungegenständliche Kunst im unmittelbaren<br />

Nachkriegseuropa in Stellung (sic!) gebracht haben, kann heute Abstraktion<br />

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kaum noch als Ausdruck staatsbürgerlicher Freiheit in Anspruch genommen<br />

werden … Die internationale Sprache der Kunst ist heutzutage nun mal nicht<br />

abstrakt, sondern basiert auf den Bildmedien Fotografie und Video. Diese<br />

werden weltweit akzeptiert, nicht das westliche Kulturexportgut Tafelbild.<br />

Die Videokunst ist internationaler als es die CIA-gestützte abstrakte Kunst je<br />

war.» Es hat mir die Sprache fast verschlagen. Was verkaufen die chinesischen<br />

Künstler heute mehrheitlich? Ich kann nur noch zusammenfaseln: Alles von<br />

den blöden Amis, guck doch lieber Video!<br />

Folgt man Frau Di Blasi, haben Sie jetzt gute fünfzig Minuten ihres<br />

Lebens vollkommen vertan. Sie haben vielleicht ein wenig mehr gesehen als<br />

lediglich «CIA-gestützte abstrakte Kunst», aber Sie haben doch auch nur<br />

einen Vortrag über zeitgenössische Tafelbildmalerei gehört – und derweil<br />

kein einziges internationales Video gesehen. Dafür muss ich mich entschuldigen,<br />

gerne mit dem Wort Frieder Burdas: «Kunst, die eine Steckdose braucht,<br />

interessiert mich nicht.» Nun, ganz so radikal bin ich nicht, denke an Klaus<br />

vom Bruch oder Bruce Nauman oder auch an Fischli und Weiss, an Douglas<br />

Gordon und viele andere mehr. Nur, im Wesentlichen besteht meine Sammlung<br />

eben aus Bildern, die nicht laufen können, aus Bildern, vor denen man<br />

auch still sein kann.<br />

Zu Frau Di Blasi nur noch so viel: Tatsächlich gibt es zwei Bücher, die eine<br />

Idee der CIA beschreiben, besser: deren Versuch, Kunst zu funktionalisieren.<br />

Die beiden einschlägigen Publikationen aber zeigen auch, wie sich die mächtige<br />

CIA an diesem Paradoxon ihre Zähne ausbeisst. Die gemeinte Aktion,<br />

oder besser: diese CIA-Idee <strong>des</strong> Kulturimperialismus, stellt zweifellos das sympathischste<br />

unter ihren unzähligen mörderischen Eigentoren dar. Die «Durchsetzung»<br />

<strong>des</strong> Abstrakten Expressionismus, auf dem meine Sammlung historisch<br />

fusst, ist natürlich praktisch in keiner Weise der CIA zu verdanken,<br />

sondern u.a. der Tatsache, dass junge amerikanische Künstler, frech und clever<br />

wie junge Künstler überall und zu allen Zeiten, die Botschaften der aus<br />

Europa vertriebenen «Väter», Josef Albers, Hans Hofman u.a., aufgeschnappt<br />

und weiterentwickelt haben. Kann sich jemand vorstellen, wie ein dunkel<br />

gekleideter Herr mit Mantel und Hut zum Beispiel bei Ad Reinhardt ins<br />

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Atelier kommt, oder bei Mark Rothko oder bei Jackson Pollock, und so etwas<br />

sagt wie «Ich gebe Dir 5000 Dollar (war damals viel Geld!), wenn Du dieses<br />

oder dieses oder das da nur nach Europa verkaufst! You’re serving our country!»<br />

Genug mit diesem Unsinn gegen Zeilengeld. Flipper, Lassie, Fury und<br />

Bambi waren sicherlich einflussreicher, bedeutsamer für die europäische<br />

Werteentwicklung nach 1945 als es die wenigen in Europa auffindbaren Bilder<br />

Barnett Newmans und seiner Kollegen jemals sein konnten – hunderttausendmal<br />

einflussreicher auch als die erste documenta in Kassel!<br />

Immerhin wird die Frage laut, ob es sich bei der sogenannten gegenstandslosen<br />

Kunst wirklich nur um L’art pour l’art handelt, werden ihr doch<br />

wenigstens politische Fähigkeiten unterstellt. Ich verrate hier aber nochmals<br />

ein weiteres Geheimnis gerne – mich interessiert diese Frage so gar nicht.<br />

Mich interessiert zeitgenössische Malerei, und zwar aus aller Herren Länder.<br />

Freie Malerei eben. (Ganz abgesehen davon, dass das Gemälde eine Tradition<br />

von ca. 2400 Jahren hat, Videokunst aber gerade mal für ca. 34 Jahre auf die<br />

ihr eigene Geschichte zurückschauen kann.)<br />

Einer, der an der Fortentwicklung malerischer Traditionen virtuos arbeitet,<br />

ist Dirk Skreber, vielleicht der beste Maler seiner Generation. Wenn Sie<br />

noch eine Empfehlung von mir wollen: Interessieren Sie sich für Skreber,<br />

Sie machen garantiert nichts falsch damit. Vergessen Sie den Osten, schauen<br />

Sie nach Westen, nach Köln, wenn Sie wirklich an Qualität interessiert sind.<br />

Eine Alternative wäre: Sie investieren in einen Hedge-Fonds, die kaufen dann<br />

für Sie Arbeiten von Richard Prince, Elisabeth Peyton oder Marlene Dumas.<br />

Keine schlechte Kunst, aber Sie haben wenig davon … und können sie sich<br />

schon bald nicht mehr leisten.<br />

Welche Fragen bleiben offen? Viele, ich weiss. Das Unsichtbare zu begreifen,<br />

das Dazwischen-Liegende zu fassen, die Fantasie aufzuladen, die<br />

Auffüllung <strong>des</strong> Offengelassenen also durch einen selbst, die Sehnsucht nach<br />

dem Unbestimmbaren, wie auch immer die Sehnsucht nach dem letztgültigen<br />

Bild, das es nie geben wird – all das steht wie selbstverständlich im Raum.<br />

Jederzeit.<br />

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Dirk Skreber, o.T., 1988, 50 x70cm<br />

© 2007 Pro Litteris, Zurich<br />

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Über die Autoren<br />

Prof. Dr. Christina Weiss, *1953 in St.Ingbert /Saar, Deutschland.<br />

Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft,<br />

Germanistik, Italienischen Philologie und Kunstgeschichte an<br />

der Universität Saarbrücken. 1982 Promotion als Literaturwissenschaftlerin<br />

an der Universität <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong>. Danach<br />

Arbeit als Redakteurin beim Hamburger Kunstmagazin ART<br />

und freie Literatur- und Kunstkritikerin, u.a. für die Süddeutsche<br />

Zeitung, Die Zeit, den damaligen Südwestfunk,<br />

den NDR und den Deutschlandfunk. 1991 bis 2001 Kultursenatorin<br />

der Hansestadt Hamburg. 2002 bis 2005 Staatsministerin<br />

für Kultur und Medien im Bun<strong>des</strong>kanzleramt.<br />

Als Kulturstaatsministerin hat sich Christina Weiss besonders<br />

für die experimentelle Kunst und die Kultur in der Hauptstadt<br />

stark gemacht. Zudem konnte sie Erfolge bei der<br />

Reform der Filmförderung verbuchen, die sie auf den Weg<br />

gebracht hat und mit der die Gründung der Deutschen<br />

Filmakademie einhergeht. Seit 2005 ist Christina Weiss wieder<br />

als freie Publizisten tätig. 2006 wurde sie zur Honorarprofessorin<br />

der Universität <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> ernannt.<br />

Adrian Koerfer, *1955 in Bern, Schweiz.<br />

1977 bis 1979 Verlagsbuchhändlerlehre in Stuttgart.<br />

1980 bis 1985 Studium der Germanistik und Kunstgeschichte (MA).<br />

1985 bis 1993 stellvertretender Werbeleiter, später<br />

Werbeleiter und Prokurist in den Verlagen Suhrkamp, Insel<br />

und Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt/M. Seitdem Teilnahme<br />

am Wiederaufbau Ostdeutschlands. Immer mal wieder<br />

Mitglied im Vorstand der Freunde der Kunsthalle Schirn,<br />

Frankfurt/M. Mitglied im engeren Freun<strong>des</strong>kreis <strong>des</strong> Portikus,<br />

Frankfurt/M. Gegenwärtig Mitglied im Vorstand der Freunde<br />

<strong>des</strong> MMK, Frankfurt/M. Aufbau einer Sammlung seit 1985.<br />

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