Vorwort zum JOHANNEUM-JAHRESHEFT 2006 (Ausgabe ...
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<strong>Vorwort</strong> <strong>zum</strong> <strong>JOHANNEUM</strong> -<strong>JAHRESHEFT</strong> <strong>2006</strong><br />
(<strong>Ausgabe</strong>: Weihnachten <strong>2006</strong>)<br />
„Gute Bildung stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Diese Erkenntnis<br />
finden wir bei Humboldt und Kant, bei Goethe und Pestalozzi. … Gute Bildung<br />
geht nicht in erster Linie von gesellschaftlichen Bedürfnissen oder den<br />
Anforderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes aus. Zuallererst hilft gute<br />
Bildung uns, das zu entwickeln, was in jedem einzelnen von uns steckt; was uns<br />
von Gott gegeben ist.“ (III)<br />
Diese programmatischen Aussagen über die Bedeutung und das Ziel von Bildung lese<br />
ich im dritten Kapitel der „Berliner Rede“ unseres Bundespräsidenten Horst Köhler vom<br />
21. September <strong>2006</strong>. „Bildung für alle“ lautet der Titel dieser Rede, und es war kein<br />
Zufall, dass der Bundespräsident sie in einer Hauptschule im Berliner „Problembezirk“<br />
Neukölln gehalten hat, im gleichen Stadtviertel, das vor wenigen Monaten wegen der<br />
Vorgänge um die „Rütli-Schule“ traurige Berühmtheit erlangt hatte.<br />
Traditionell lädt der Bundespräsident einmal im Jahr zu einer „Berliner Rede“ ein, in<br />
deren Mittelpunkt jeweils eine wichtige Zukunftsfrage unseres Landes steht. So warb<br />
Roman Herzog 1997 in seiner berühmten „Ruck“-Rede um mehr Mut und Reformgeist<br />
in Deutschland; Johannes Rau setzte sich unter anderem mit den ethischen<br />
Herausforderungen der Bioethik auseinander, und Horst Köhler beschäftigte sich nun in<br />
seiner ersten „Berliner Rede“ mit der Situation unseres Bildungswesens, für das er<br />
dringenden Handlungsbedarf sieht: Zu viele Jugendliche stehen ohne Abschluss oder<br />
ohne Ausbildungsplatz auf der Straße; zu wenige machen das Abitur oder schließen ein<br />
Studium ab; zu groß ist der Unterschied zwischen den Bildungschancen von Kindern<br />
aus einfachen Verhältnissen und solchen aus Akademikerfamilien. Dazu der<br />
Bundespräsident wörtlich:<br />
„Bildungschancen sind Lebenschancen. Sie dürfen nicht von der Herkunft<br />
abhängen. Darum werde ich immer auf der Seite derer sein, die leidenschaftlich<br />
eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig ist und dem Ziel gerecht<br />
wird: Bildung für alle.“ (I)<br />
Natürlich verfolgt gerade ein Schulleiter solche Gedanken mit besonderem Interesse<br />
und sicher auch mit der persönlichen Anfrage: Wie weit entspricht die eigene Schule<br />
den Vorstellungen und Ansprüchen, die in dieser Rede entwickelt und aufgezeigt<br />
werden?<br />
Ein <strong>Vorwort</strong> ist nicht der Ort für Gewissenserforschung. Ein <strong>Vorwort</strong> darf allerdings auch<br />
der Nach-Denklichkeit und der Künftigkeit Raum geben und dabei sollen mich<br />
Aussagen aus der diesjährigen Berliner Rede des Bundespräsidenten begleiten.
Ich fange zunächst mit einem Auszug aus dem Protokoll unserer Lehrerkonferenz vom<br />
1. Juni <strong>2006</strong> an. Diese Sitzung leitete ich ein mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit<br />
einer „renovatio in capite et membris“, zu Deutsch einer „Erneuerung an Haupt und<br />
Gliedern“. Dann weiter:<br />
„Ich bin mir bewusst, dass die Erneuerung beim Haupt beginnt.<br />
Wir haben eine Zeit hinter uns, in der Erneuerung von uns nicht gesucht werden<br />
musste, sondern in der wir Erneuerungen als Änderungen <strong>zum</strong> Teil annehmen<br />
mussten, die manchmal schmerzten, aber diese Schule in summa doch auch<br />
entscheidend weiter gebracht haben. Das Schuljahr 2005/<strong>2006</strong> hat mir bewiesen,<br />
dass wir als Schulgemeinschaft keine statische Masse, sondern eine mobile<br />
Gruppe sind.<br />
Ich persönlich habe gerade in 2005/<strong>2006</strong> für viel Beistand, für viel Vertrauen, für<br />
echte Mitarbeit zu danken - und tue das gern und aufrichtig. Was Sie als<br />
Lehrerkollegium in diesem Schuljahr an Herausforderungen ertragen,<br />
mitgetragen und durchgetragen haben, ist beachtenswert, wäre nicht möglich<br />
ohne das ‚Wir-Gefühl’, das uns bei allen Differenzen zusammen unterwegs sein<br />
lässt.“<br />
Hier könnte ich nahtlos mit dem anschließen, was Bundespräsident Köhler in seiner<br />
Bildungsrede über die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern sagt:<br />
„Getragen wird die Arbeit in den Schulen von Menschen - vor allem von<br />
Lehrerinnen und Lehrern. … Sie haben eine große Verantwortung für die ihnen<br />
anvertrauten Jugendlichen und für unsere Gesellschaft insgesamt. Lehrer zu<br />
sein, das ist weit mehr als ein Job. Der Lehrerberuf verlangt solides Fachwissen -<br />
er verlangt aber auch Liebe zu Kindern und die Überzeugung, dass in jedem<br />
einzelnen Schüler etwas Besonderes steckt.“ (XII)<br />
Im Protokoll unserer Lehrerkonferenz folgt nun eine Bestandsaufnahme dessen, was<br />
das Johanneum ist - und was es nicht sein kann:<br />
● Wir sind keine ideale Schule, waren es nie, aber wir sind eine Schule mit<br />
Ideen.<br />
● Wir sind keine Schule mit lauter Weltmeistern, aber wir sind eine<br />
„Weltmeisterschule“ (s. dazu Beitrag im Jahresheft).<br />
● Wir sind keine Schule der Heiligen, aber wir sind eine Schule, die miteinander<br />
das Heil will:<br />
im geistig-rationalen,<br />
im geistlich-spirituellen,<br />
im humanen, das meint hier den ganzmenschlichen Bereich.<br />
Was ist das Ziel einer solchen Schule und einer solchen Bildung? Bei Bundespräsident<br />
Köhler lese ich dazu:
„Erst wenn Wissen und Wertebewusstsein zusammenkommen, erst dann ist der<br />
Mensch fähig, verantwortungsbewusst zu handeln. Und das ist vielleicht das<br />
höchste Ziel von Bildung. … Übrigens ist auch Demokratie auf Bildung<br />
angewiesen. Unsere freiheitliche Gesellschaft lebt davon, dass mündige<br />
Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl<br />
übernehmen. Eine Diktatur kann sich ungebildete Menschen leisten - nein: sie<br />
wünscht sie sich sogar. Eine Demokratie dagegen braucht wache und<br />
interessierte Bürger, die Ideen entwickeln und Fragen stellen. Wo die<br />
Staatsgewalt vom Volk ausgeht, da kann es nicht gleichgültig sein, in welcher<br />
geistigen Verfassung sich das Volk befindet.“ (III)<br />
„Geistige Verfassung“ - das ist nicht nur eine Frage der Intelligenz. Zur „geistigen<br />
Verfassung“ eines Menschen gehören auch seine Mitmenschlichkeit, die Bereitschaft,<br />
mit anderen zu teilen, sich für die Gemeinschaft und für andere zu engagieren. Dazu<br />
einige Beobachtungen, die ich eben am Unterrichtsvormittag unserer oben erwähnten<br />
Lehrerkonferenz im Johanneum gemacht habe:<br />
Der Schulmorgen heute:<br />
● Schon vor Schulbeginn arbeitet einer der Kunstlehrer am Schulfestbild.<br />
● Mit Schulbeginn - Unterrichtsalltag in den Klassenräumen<br />
● Gegen 9.00 Uhr bereitet Herr Schäfer Beamer, Laptop und Leinwand in der<br />
Johanneskapelle vor.<br />
● Im Gang „unter der Mensa“ treffe ich Herrn Spiegel an. Er richtet das<br />
Fotolabor ein und teilt mir konkrete Fotoprojekte mit.<br />
● Gleich nebenan treffe ich eine Gruppe von Schülern, die mit offensichtlich<br />
großer Freude die wellenförmigen Holzwände der Sockel vormalen, damit die<br />
Bilder später entsprechend eingefräst werden können.<br />
● Bruder Schürer arbeitet im „Silleclub“ an den Lautsprechern und verlegt Kabel.<br />
● In der Johanneskapelle steht eine Bildwand <strong>zum</strong> Thema: „Lama Lima - laufen<br />
für Peru“.<br />
● Punkt 9.40 Uhr kann Padre Eugenio (Lima) vor rund 100 Schülern der<br />
Klassenstufe 11 mit seinem Bildervortrag über Peru beginnen, wobei er die<br />
Schüler in den ersten 20 Minuten mit hinein nimmt in die faszinierende<br />
Hochkultur dieses Landes.<br />
● Punkt 11.30 Uhr hält Padre Eugenio seinen Bildvortrag vor ca. 100 Schülern<br />
der Klassenstufe 12.<br />
● Gegen 12.30 Uhr stellt ein Reporter in der Aula Fragen zur „WM-Schule<br />
Johanneum.“
Am Beispiel eines solchen - nicht ausgesuchten - Schultages wird sichtbar, was<br />
Bundespräsident Köhler gemeint haben könnte, als er in seiner „Berliner Rede“<br />
formulierte:<br />
„Bildung bedeutet nicht nur Wissen und Qualifikation, sondern auch Orientierung<br />
und Urteilskraft. … Bildung hilft, die Welt und sich selbst darin kennen zu lernen.<br />
Aus dem Wissen um das Eigene kann der Respekt für das Andere erwachsen.<br />
Und sich im Nächsten selbst zu erkennen, heißt auch: fähig sein zu Empathie<br />
und Solidarität. Bildung ohne Herzensbildung ist keine Bildung.“ (III)<br />
Es bereitet immer wieder Freude zu sehen, wie Lehrer und Schüler zusammen, oft<br />
umrahmt von vielen Zuschauern, das 5,50 m mal 12,50 m große und phantasievolle<br />
Bild <strong>zum</strong> Schulfest zunächst auf dem Boden unserer großen Aula in wochenlanger<br />
Arbeit anfertigen, um es dann an der Rückwand aufzuhängen und zu präsentieren. Es<br />
gehört in unseren Schulalltag, dass ein Ordensbruder dort kompetent und unentgeltlich<br />
anfasst, wo nach Möglichkeit sofort ein Sondereinsatz erforderlich ist. Es bereichert in<br />
vieler Hinsicht und hilft, über den schulischen Tellerrand zu schauen, wenn ein<br />
Missionar mit 40 Jahren priesterlichem Einsatz in Peru, überzeugend von der<br />
Hochkultur und der religiösen Originalität Lateinamerikas erzählt und man an seinen<br />
Beiträgen sieht, dass heute Mission und Entwicklungshilfe eins sind. - Am Johanneum<br />
verstehen wir Bildung als einen ganzheitlichen Prozess. Und wir versuchen, den<br />
Schülerinnen und Schülern zu vermitteln und auch konkret vorzuleben, dass Bildung<br />
eine Aufgabe ist, die nicht mit dem Abitur oder dem Studium endet, sondern uns<br />
während des ganzen Lebens begleitet.<br />
Zum christlichen Bild vom Menschen gehört die Einsicht in die eigene Schwäche und<br />
Unvollkommenheit. Diese Einsicht ist weder fatalistisch noch darf sie als bequemes<br />
Ruhekissen missverstanden werden. Sie beinhaltet vielmehr einen klaren Auftrag -<br />
genauer, einen Bildungsauftrag: Jeder hat das Recht, Fehler zu machen; aber jeder hat<br />
auch die Pflicht, immer neu dazuzulernen. Wir alle müssen danach streben, dass wir<br />
unsere Talente nicht brach liegen lassen und nicht hinter unseren eigenen<br />
Möglichkeiten zurückbleiben. Das gilt für die Sextanerin genauso wie für den<br />
Schulleiter.<br />
Ich lese dazu beim Bundespräsidenten:<br />
„Umso wichtiger ist es, das Lernen selbst zu lernen, damit man sein Wissen<br />
immer wieder auffrischen und erneuern kann. Lernen ist mehr denn je eine<br />
Lebensaufgabe.“ (IV)<br />
Auf die Frage „Was brauchen wir, um in unserem Land mehr und bessere Bildung zu<br />
erreichen?“ (VI), antwortet Horst Köhler mit drei knappen Thesen:<br />
1. „Bildung braucht Anerkennung!“<br />
2. „ Bildung braucht (…) Anstrengung!“<br />
3. „Bildung braucht Vorbilder!“
ad 1. Anerkennung: Für unseren Bundespräsidenten ist Anerkennung „immer noch der<br />
stärkste Motivationsfaktor“ (IV). Das gilt ganz eindeutig für die Schüler, aber nicht<br />
weniger auch für die Lehrer und die Schule als Institution. Hier möchte ich ein<br />
Dankeschön an meine Ordensgemeinschaft und ein Dankeschön an die Diözese<br />
Speyer richten, die nicht zuletzt durch große finanzielle Unterstützung dem Johanneum<br />
ihre Anerkennung bewiesen haben und beweisen. Apropos: Beim Thema „Bildung und<br />
Geld“ zitiert Horst Köhler in seiner „Berliner Rede“ den ehemaligen US-Präsidenten<br />
John F. Kennedy:<br />
„Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die teuerer ist als Bildung - keine Bildung!“<br />
(XV)<br />
ad 2. Anstrengung: Dieses Jahresheft dokumentiert wiederum die große Palette von<br />
Aktivitäten an unserer Schule. In Jugendgruppen, Arbeitsgemeinschaften und den<br />
Aktivitäten der Freiwilligen Ganztagsschule zeigt sich, dass Freude, ja Spaß zu bereiten<br />
und zu erleben originär mit unserem Verständnis von Schule zu tun hat. Gerade unsere<br />
überdurchschnittlich guten Abiturergebnisse des Jahres <strong>2006</strong> belegen, dass<br />
Anstrengung und Leistung am Johanneum keine Begriffe aus dem Wörterbuch des<br />
Unmenschen sind. So heißt auch beim Bundespräsidenten die Belohnung für alle<br />
Anstrengungen „Freude am Erfolg“.<br />
ad 3. Vorbilder: Der Theologe und Psychologe, Bischof und Kirchenlehrer Aurelius<br />
Augustinus (354-430) stellt dazu in aller gebotenen Knappheit fest: „In dir muss<br />
brennen, was du in anderen entzünden willst.“<br />
Gerne überlasse ich unserem Bundespräsidenten auch das Schlusswort in diesem<br />
<strong>Vorwort</strong>, weil er mir nicht nur aus dem Herzen spricht, sondern weil er für eine<br />
katholische Schule Sinnhilfestellung und Sinnhorizont von Bildung aufweist:<br />
„Und noch ein Schulfach liegt mir am Herzen: der Religionsunterricht. Er bietet<br />
jungen Menschen Antworten auf ihre Sinnfragen. … Ich finde es wichtig, dass<br />
auch in der Schule die Frage nach Gott gestellt wird. Deshalb halte ich den<br />
Religionsunterricht für unverzichtbar“ (IX).<br />
Römische Zahlenangaben im Text beziehen sich auf die Kapitelnummern der „Berliner<br />
Rede“ des Bundespräsidenten. Den Wortlaut der Rede finden Sie im Internet unter<br />
http://www.bundespraesident.de