RetteR des - Robert Kropf
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Sterne für die<br />
Pasta Seine<br />
Eltern führten<br />
ein Michelin-<br />
Stern-Restaurant<br />
in Corgeno,<br />
Italien. Giorgio<br />
eröffnete seine<br />
sternedekorierte<br />
Locanda<br />
Locatelli 2002<br />
in London.<br />
Retter<br />
<strong>des</strong><br />
Geschmacks<br />
Früher kochte er in seiner eigenen<br />
TV-Show, heute gilt er als einer der<br />
grössten kritiker von KochsendUNGEN.<br />
Starkoch GIorgio Locatelli über<br />
den Druck der Lebensmittelindustrie,<br />
gut bezahlte Kochsoldaten und WARUM<br />
Supermärkte DIE eRNÄHRUNG RUINIEREN.<br />
text: ROBERT KROPF<br />
32 schaufenster
Mit<br />
freundlichen<br />
Grüßen …<br />
Fotos: Christian Verlag<br />
Telefoninterview mit Giorgio Locatelli, einem der<br />
besten italienischen Köche Londons. Der Sous-<br />
Chef seiner „Locanda Locatelli“ hebt ab, sagt<br />
„pronto, un momento“, und legt den Hörer auf<br />
den Tisch. Dann fünf Minuten Stille. Oder besser gesagt:<br />
Im Hintergrund läuft eine lautstarke Diskussion über Romano<br />
Prodi, die italienische Politik und die Dummköpfe,<br />
die auf der Regierungsbank sitzen. Dann greift Locatelli<br />
zum Telefon.<br />
Das waren eben keine hübschen Worte über die<br />
Politiker Ihrer Heimat Italien, oder?<br />
Die italienische Politik kocht immer dieselbe Suppe mit<br />
den gleichen schlechten Zutaten. Die alte politische Riege<br />
gehört ausgetauscht, es braucht einen klaren Schnitt.<br />
Wenn Italiens Politiker arbeiten würden, würden sie die<br />
Probleme verstehen. Aber sie arbeiten nicht, die sitzen<br />
seit ihrem 20. Lebensjahr in der Politik und haben keine<br />
Ahnung von Arbeit. Wenn ich jeden Tag in die Küche gehe<br />
und mir die Finger verbrenne, dann weiß ich am Abend,<br />
was ich geleistet habe und warum mir alles wehtut. Ich<br />
bezweifle, dass das bei Politikern auch so ist.<br />
Warum gehen Sie dann nicht selber in die Politik?<br />
Weil ich jeden Tag selbst entscheiden will, was ich tue<br />
oder nicht. Das kann ein Politiker nicht.<br />
Sie haben mit Ihrer eigenen TV-Show aufgehört.<br />
Warum? Die Quoten waren in Ordnung, das war<br />
doch gutes Geschäft, oder?<br />
Ja und nein. Tatsache ist, dass Kochsendungen in den<br />
letzten zehn Jahren die Qualität und das Bewusstsein zum<br />
Thema Essen gestärkt haben. Das ist gut so. Aber: Das<br />
Produzieren solcher Serien ist mittlerweile ein Horror, es<br />
gibt eine Überdosis davon, die Köche verkommen immer<br />
mehr zu Kochsoldaten, die funktionieren müssen und<br />
dafür viel Geld<br />
bekommen.<br />
Aber man bekommt<br />
auch<br />
Bekanntheit,<br />
und das eigene Lokal ist dauernd ausgebucht.<br />
Ja, aber Kritik in solchen Sendungen ist nicht gefragt. Wir<br />
haben etwa in Supermärkten gefilmt und immer wieder<br />
auf Missstände hingewiesen. Oder wir waren auf Hühnerfarmen,<br />
um ein wenig hinter die Kulissen zu blicken. Das<br />
ganze Material landete im Mistkübel <strong>des</strong> Schneideraums<br />
der BBC, das will keiner sehen, das will keiner senden.<br />
Das gefällt der Industrie nicht.<br />
Ständig kritisieren Sie die Supermärkte. Warum sind<br />
Sie denn mit ihnen so auf Kriegsfuß?<br />
Erstens, weil sie uns mit ihrem Marketing glauben machen<br />
wollen, dass wir keine Zeit haben zu<br />
kochen und Fertigprodukte brauchen.<br />
Es gibt genug Beispiele, wo die<br />
Verpackung mehr kostet als das Gericht<br />
darin. Das ist Wahnsinn. Zweitens,<br />
weil Supermärkte regionales Essen<br />
und regionale Produkte in kleiner<br />
Dosis führen, damit aber nur von ihrer<br />
Industrieware ablenken wollen.<br />
Regionale Produkte sind einfach frischer<br />
und damit schmackhafter – vor<br />
allem im Sommer. Für mich ist es verrückt,<br />
tiefgefrorene, bestrahlte oder<br />
sonstwie haltbar gemachte Produkte<br />
aus einem Supermarkt zu holen, die<br />
über den halben Kontinent gekarrt<br />
wurden, wenn man auf dem lokalen<br />
Wochenmarkt Gemüse kaufen kann.<br />
Je mehr man vom Essen versteht, <strong>des</strong>to<br />
mehr hasst man Supermärkte mit<br />
ihren geschmacklosen Gurken, wässrigen<br />
Tomaten und Fertiggerichten.<br />
Es stellt sich die Frage, warum man<br />
nicht mehr weiß, wie man mit regionalen,<br />
saisonalen Produkten umgeht.<br />
Supermärkte mögen praktisch<br />
und wirtschaftlich erfolgreich sein,<br />
für unsere Ernährung bedeuteten sie<br />
den Ruin.<br />
Ist das nicht alles ein bisschen<br />
einfach: Locatelli als Retter <strong>des</strong><br />
guten Geschmacks?<br />
Es geht hier vordergründig nicht um<br />
Moral, sondern um das Wissen über<br />
Wir müssen über Produkte reden,<br />
nicht über den Lifestyle <strong>des</strong> Essens.<br />
das Essen. Mein Koch-Kollege Gordon<br />
Ramsay etwa hat in einer seiner<br />
Kochsendungen eine Ziege und einen<br />
Hasen geschlachtet. Es gab einen<br />
Riesen-Skandal in England, die<br />
Titelseiten waren voll. Das dürfe man<br />
doch nicht, man verunsichere die<br />
Kinder, denn Hasen kommen nur<br />
in Gute-Nacht-Geschichten für Kinder<br />
vor. Dass alles, was man zum Essen<br />
in den Mund nimmt, vorher <br />
Tel 02252 427 10, Fax 02252 427 12<br />
office@sachershelmut.at<br />
www.sachershelmut.at
Essen mit Plan<br />
Der ganz große<br />
Hype ist vorbei,<br />
aber man sollte<br />
trotzdem zwei bis<br />
vier Wochen vorher<br />
reservieren,<br />
wenn man in<br />
Giorgio Locatellis<br />
Locanda essen<br />
will.<br />
Italien auf dem Teller<br />
<br />
sterben muss, darf man nicht zeigen. Kochsendungen –<br />
mit Ausnahmen – helfen da nicht viel. Sie spielen zu sehr<br />
der Industrie zu, sie klären zu wenig auf, sie fördern den<br />
Absatz, nicht das Wissen. Sie sind konformistisch, kritikscheu<br />
und manchmal einfach schlecht.<br />
Wie lautet die Locatelli-Lösung dafür?<br />
Die Lösung ist, dass wir über Zutaten, Produkte und regionale<br />
Küche, nicht über den Lifestyle <strong>des</strong> Essens reden.<br />
Ein gutes Beispiel dafür ist Radio 4 in England, Sonntag<br />
vormittags. Da informieren Experten im Detail über Produkte<br />
und nicht über schicke Lokale oder trendy Bars.<br />
Das höre ich mir jeden Sonntag an. Da lerne auch ich je<strong>des</strong><br />
Mal davon.<br />
Jetzt führen Sie selbst ein Trend-Restaurant der<br />
Stadt, in Ihrer Locanda Locatelli trifft sich die<br />
Society. Wie passt das zusammen?<br />
Supermärkte sind praktisch, aber<br />
sie ruinieren unsere Ernährung.<br />
Das passt <strong>des</strong>wegen, weil wir nur traditionelle Küche kochen,<br />
keinen Schnickschnack, keine Molekularküche.<br />
Mein jüngstes Kochbuch, das ich verwende, ist 45 Jahre<br />
alt. Und ich koche, wie meine Großmutter gekocht hat,<br />
von der ich alles gelernt habe: bodenständig, großzügig,<br />
mit hervorragenden Produkten.<br />
Neben der Rettung <strong>des</strong> guten Geschmacks, welche<br />
anderen Pläne schmieden Sie derzeit?<br />
Wir arbeiten gemeinsam mit der Kerzner-Hotelgruppe<br />
an einem Hotelprojekt<br />
in Dubai, bei dem wir für das<br />
Essen sorgen werden. Es ist ja spannend,<br />
Italiener reisen wie verrückt<br />
um die ganze Welt, um dann vor Ort<br />
nur in italienische Restaurants essen<br />
zu gehen. Und in Dubai ist die Qualität<br />
der Pasta zum Fürchten.<br />
Dann arbeiten wir mit dem Modekonzern<br />
Missoni zusammen, der Ende<br />
<strong>des</strong> Jahres Hotels in Kuwait, Edinburgh<br />
und Dubai aufsperrt. Auch<br />
dort sind wir als Food-Consultant mit<br />
an Bord.<br />
Gibt es neue TV-Projekte?<br />
Nein, nicht im TV, definitiv keine<br />
Koch-Show. Wir reden gerade über<br />
einen Film, 80 Minuten lang. Eine<br />
Dokumentation, die das Team produzieren<br />
wird, das auch „Vier Hochzeiten<br />
und ein To<strong>des</strong>fall“ gedreht<br />
hat.<br />
Ein Ess-Film zum Schmunzeln?<br />
Nein, man erlaubt uns, mit dem Essen<br />
alles machen zu dürfen. Nicht so<br />
wie bei anderen Aufnahmen, wo 25<br />
Leute rumstehen und sagen, das geht<br />
nicht und das geht nicht. u<br />
Sterne für den Italiener<br />
Giorgio Locatelli wurde 1963 in<br />
Italien geboren. Er arbeitete in Italien,<br />
der Schweiz und in Frankreich,<br />
1986 übersiedelt er nach London<br />
und erkochte sich mehrere Michelin-<br />
Sterne in der Stadt an der Themse.<br />
Der Koch, das TV und das Lokal<br />
Die Locanda Locatelli eröffnete<br />
er im Februar 2002 gemeinsam mit<br />
seiner Frau Plaxy. Locatelli ist auch<br />
Kolumnist in britischen Medien und<br />
seit seiner TV-Show lan<strong>des</strong>weit bekannt.<br />
Locanda Locatelli, 8 Seymour<br />
Street, London W1H 7JZ.<br />
www.locandalocatelli.com<br />
Made in Italy<br />
Das neue Kochbuch <strong>des</strong> Italieners<br />
kommt dieser Tage in die Buchhandlungen.<br />
Mit 200 Rezepten,<br />
Warenkunde, Zubereitungs- und<br />
Küchentechniken, Schritt-für-<br />
Schritt-Angaben. Christian Verlag,<br />
624 Seiten, 41,10 Euro.<br />
Fotos: Christian-Verlag 5<br />
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