Wirtschaftliche Elitenkulturen im neuzeitlichen China : eine ... - KOPS
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200 Jiirgen Osterhammel<br />
<strong>Wirtschaftliche</strong> <strong>Elitenkulturen</strong> <strong>im</strong> <strong>neuzeitlichen</strong> <strong>China</strong> 201<br />
Dazu ist es ntitig, ins 19. Jahrhundert zuriickzukehren. Die merkantile Kultur<br />
der spaten Ming-Zeit wurde zum Teil in den Wirren der mandschurischen Eroberung<br />
wabrend der mittleren Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts in Mitleidenschaft gezogen,<br />
konnte aber wabrend des prosperierenden 18. Jahrhunderts iiberleben, ohne<br />
gesamtgesellschaftlich ihren kulturellen Einfluss weiter auszubauen. Ein Indikator<br />
dafiir ist der Niedergang der literarischen Form des Romans, des asthetischen Aquivalents<br />
der Kommerzkultur der Ming-Zeit. Kl<strong>eine</strong> Gruppen von Kaufleuten, in der<br />
Regel staatlich privilegiert, erlangten graBen Reichtum: die fur den AuBenhandel<br />
mit den Europaern allein zustandigen Hong-Kaufleute in Siidchina, die Salzhandler<br />
von Yangzhou und Tianjin oder die Bankiers (eigentlich Spezialisten fur weitraumigen<br />
Zaltlungsverkehr) aus der Provinz Shanxi. 17 Hinter ihnen standen, weniger<br />
sichtbar, ausgedehnte kommerzielle Netzstrukturen, die vom 18. in das 19. Jahrhundert<br />
hinein fortbestanden und sich mtiglicherweise ( dariiber ist bisher wenig<br />
bekannt) in dieser Zeit weiter diversifizierten und stabilisierten.<br />
Zeitgeniissische westliche Beobachter <strong>im</strong> 19. Jahrhundert klagten <strong>im</strong>mer wieder<br />
iiber die Undurchdringlichkeit des chinesischen Marktes, der jenseits weniger<br />
groBer Hafenstadte fiir auslandisches business verschlossen sei. Der objektive<br />
Grund dafiir lag in der Leistungsfahigkeit landesweiter Kaufmannsnetze, die in der<br />
Lage waren, nicht nur einhe<strong>im</strong>ische Produkte, sondern auch hnporte in allen Provinzen<br />
des Reiches zu vertreiben. Diese Netze waren zumeist auf landsmannschaftlicl1cr<br />
Grundlagc organ.i~icrt. 151<br />
Eiu uml Jie::::.dbt: llnmch.; lag in gau£ <strong>China</strong> in J~u<br />
Handen von Kaufleuten aus jeweils <strong>eine</strong>r best<strong>im</strong>mten Provinz. Sie unterhielten in<br />
den groBen Handelsmetropolen gemeinsame Organisationen der geschaftlichen<br />
Kooperation und der gegenseitigen Hilfe. Eine solche regionale Partikularisierung<br />
entlang von Handelsprodukten und Metiers machte die Kaufmannschaft <strong>eine</strong>rseits<br />
zu <strong>eine</strong>r integrativen Klammer des Reiches, verhinderte andererseits aber auch die<br />
Herausbildung <strong>eine</strong>r landesweiten, quasi-biirgerlichen Elitenkultur iiber regionale<br />
Loyalitaten hinweg. 1 9<br />
In der Mille des 19. Jahrhunderts kam ein neues Element hinzu: die Implantation<br />
<strong>eine</strong>r europaischen Geschaftswelt an der <strong>China</strong>kiiste. Bis zum Opiumktieg war<br />
der chinesische Mark! Auslandern physisch verschlossen. Seit etwa 1760 war- mit<br />
Ausnalune des kl<strong>eine</strong>n portugiesischen, faktisch von chinesischer Duldung abhangigen<br />
Stiltzpunkts Macau - die Ansiedlung europaischer Kaufleute nur in <strong>eine</strong>m<br />
winzigen Areal an der Hafenkante der siidchinesischen Millionenstadt Guangzhou<br />
(ftilher: Kanton) gestallet 20 Mit dem Ende des Opiumkrieges 1842 wurden auBer<br />
17 Cheong Weng Eang, The Hong Merchants of Canton: Chinese Merchants in Sino-western<br />
Trade, Richmond 1997; Man Bun Kwan, The Salt Merchants ofTianjin: State Making and Civil<br />
Society in Late Imperial <strong>China</strong>, Honolulu 2001.<br />
18 Bryna Goodman, Native Place, City, and Nation: Regional Networks and Identities in Shanghai,<br />
1853-1937, Berkeley 1995; mehrere Fallstudien in: Frederic Wakeman I Yeh Wen-hsin<br />
(Hrsg.), Shanghai Sojourners, Berkeley 1992.<br />
19 William T. Rowe, Hankow. Bd. 1: Commerce and Society in a Chinese City, 1796-1889; Bd. 2:<br />
Conflict and Community in a Chinese City, 1796-1895, Stanford 1984-89.<br />
20 Paul A. Van Dyke, The Canton Trade: Life and Enterprise on the <strong>China</strong> Coast, 1700-1845,<br />
Hong Kong 2005; Fallstudie: Robert Gardella, Harvesting Mountains: Fujian and the <strong>China</strong><br />
Tea Trade, 1757-1937, Berkeley 1994.<br />
Kanton vier weitere Hafenstadte vertraglich fur auslandische Geschaftsleute ,getiffnet",<br />
die sogenaunten Vertragshafen oder Treaty Ports, darunter als wichtigster<br />
Shanghai. 21 In den folgenden Jahrzehnten steigerte sich die Zahl dieser Treaty Ports<br />
auf urn die hundert. Erstrangige wirtschaftliche Bedeutung erlangten neben Shanghai<br />
aber nur Hankou (heute: Wuhan), in Millelchina am graBen Fluss Yangzi gelegen,<br />
sowie Tianjin in Nordchina, daneben zwei koloniale Hafenstadte: Hongkong<br />
(seit 1842 britisch) und Qingdao (1898 his 1914 deutsch), die juristisch gesehen<br />
k<strong>eine</strong> Vertragshafen waren.<br />
Die ausllindische Prasenz, darunter an erster Stelle britische und US-amerikanische<br />
Geschaftsleute, konzentrierte sich in diesen graBen Handelsmetropolen, unter<br />
denen Shanghai schon bald <strong>eine</strong> stetig ausgebaute Spitzenstellung genoss. 22 Bis<br />
zum Jahre 1898, als in der Folge von <strong>China</strong>s Niederlage <strong>im</strong> Chinesisch-Japanischen<br />
Krieg die Privilegien der Auslander weiter ausgebaut wurden, war in den Vertragshafen<br />
die Ansiedlung auslandischer Industriebetriebe nicht gestallet. Auch in der<br />
britischen Kronkolonie Hongkong, wo diese Einschrankung nicht galt, spielte his<br />
zur Jahrhundertwende die Industrie k<strong>eine</strong> nennenswerte Rolle, sieht man vom<br />
Schiffbau ab. Die sino-westlichen Kontakte waren mithin lange Zeit rein kommerzieller<br />
Natur. In den Hafenmetropolen siedelte sich <strong>eine</strong> britisch gepragte auslandische<br />
Kaufmaunsbourgeoisie an, die teilweise aus selbststandigen Unternehmern,<br />
gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend auch aus Reprasentanten groBer, zumeist<br />
von LonJuu au~ g~::.tcucrtcr Konzcrnc bcst:md. Llngc Zeit bildeten spez!3.Es-ierte<br />
<strong>China</strong>handelshauser mit <strong>eine</strong>m breiten Interessenspektrum wie zum Beispiel Jardine<br />
Matheson & Co. und John Swire & Sons den Mittelpunkt dieser Strnktur 23<br />
Jardine Matheson, <strong>eine</strong> heute <strong>im</strong>mer noch weilhin von der schollischen Griinderfamilie<br />
kontrollierte Holding mit Sitz in Bermuda und brei! diversifizierten Geschaftsinteressen,<br />
begann 1832 <strong>im</strong> Opiumhandel, den sie his 1870 schwungvoll<br />
betrieb, und wurde zur wichtigsten und politisch einflussreichsten aller britischen<br />
<strong>China</strong>firmen. Und die Swire Group, heute als Eigenti<strong>im</strong>erin der Fluggesellschaft<br />
Cathay Pacific bekannt und iiberall <strong>im</strong> pazifischen Raum vielfiiltig engagiert, fiihrt<br />
ihre Geschichte als die britische Nr. 2 in <strong>China</strong>, allerdings ohne das Opiumstigma<br />
des graBen Konkurrenten, auf das Jahr 1866 zuriick, als der legendare John Samuel<br />
Swire, auch er ein Scholle, in Shanghai in Schifffahrt und hnport-Export einstieg.<br />
Alhnahlich traten Hanken hinzu, allen voran die Hongkong and Shanghai Banking<br />
Corporation, heute <strong>eine</strong> der griiBten Hanken der Welt 24<br />
21 JUrgen Osterhammel, Shanghai, 30. Mai 1925. Die chinesische Revolution, Miinchen 1997.<br />
22 Die Standardgeschichte ist Marie-Claire Bergere, Histoire de Shanghai, Paris 2002; vgl. auch<br />
Jeffrey N. Wasserstrom, Global Shanghai, 1850-2010: A History in Fragments, London 2009;<br />
Jiirgen Osterhammel, British Business in <strong>China</strong>, 1860s-1960s, in: R.P.T. Davenport-Hines I<br />
Geoffrey Jones (Hrsg.), British Business in Asia since 1860, Cainbridge 1989, S. 189-216.<br />
23 Edward LeFevour, Western Enterprise in Late Ch'ing <strong>China</strong>: A Selective Study of Jardine,<br />
Matheson&Company's Operations, 1842-1895,Cambridge,Mass.1968; Cheong Weng Eang,<br />
Mandarins and Merchants: Jardine, Matheson & Co., a <strong>China</strong> Agency of the Early Nineteenth<br />
Century, London 1978.<br />
24 F.H.H. King, The History of the Hongkong and Shanghai Banking Corporation, 4 Bde., Cambridge<br />
1987-91.