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Wirtschaftliche Elitenkulturen im neuzeitlichen China : eine ... - KOPS

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202 Jiirgen Osterhammel<br />

<strong>Wirtschaftliche</strong> <strong>Elitenkulturen</strong> <strong>im</strong> <strong>neuzeitlichen</strong> <strong>China</strong> 203<br />

Womit wurde gehandelt? Seit dem 18. Jahrhundert gibt es auf westlicher Seite<br />

zahllose hiibsche Belege fiir die Hoffnungen von Europaem auf <strong>eine</strong>n schier grenzenlosen<br />

<strong>China</strong>markt. Wennjeder Chinese nur einmal <strong>im</strong> Jahr ein Schnupftuch aus<br />

den Webereien von Lancashire kaufte, sei die Zukunft der britischen Baumwollindustrie<br />

fur aile Zeiten garantiert. Diese Utopie des Massemnarktes zerschellte <strong>im</strong>mer<br />

wieder an der harten Realitat: <strong>eine</strong>rseits der konstant niedrigen Kaufkraft auf<br />

dem Lande, andererseits der Fahigkeit der Dorfbevolkerung, sich selbst zu versorgen,<br />

etwa durch die Selbstausbeutung der Familien in Spinnerei und Weberei. Nur<br />

fur ein einziges westliches Produkt hat sich vor 1949 nachhaltig ein landlicher<br />

Markt erschlieBen lassen: fur das Kerasin, also Lampenol, das Standard Oil of New<br />

Jersey schon vor der Jahrhundertwende in <strong>China</strong> eingefuhrt hatte. In der Zeit davor<br />

hatte allerdings Opium, in Britisch-Indien produziert und von britischen Handlem<br />

nach <strong>China</strong> gebracht, <strong>eine</strong> beinahe ahnlich weite Verbreitung gefunden, bis chinesische<br />

Importsubstitution diesem Handel ein Ende setzte. 25<br />

Ver!asslicher als der Massenmarkt war seit dem letzten Quartal des 19. Jahrhunderts<br />

das G~schaft mit dem Staat. Als erstes verkaufte man den chinesischen<br />

Regierungen Waffen. Dann kamen die Schienen und das rollende Inventar fiir Eisenbahnen<br />

hinzu, die iiberwiegend von Auslandem finanziert, aber von Chinesen<br />

betrieben wurden. In <strong>eine</strong>r dritten Phase, die nach dem Ersten Weltkrieg ihren Hohepunkt<br />

erreichte, modemisierten sich die groBten chinesischen Stadte durch den<br />

Import von Infrastruktur aus d.;m \Vc~h.::n: Ga:-.- uuJ YVa~~t:rvcr~orgung, Eleku·iziti:i.t,<br />

StraBenbahnen, usw. Solche Regierungsgeschafte waren Ieichter und billiger zu organisieren<br />

als ein flachiger Massenvertrieb. Auch war das Risiko geringer. Gegen<br />

betriigerische Geschaftspartner in den Provinzen vermochten Auslander wenig auszurichten<br />

(mit <strong>eine</strong>m Kanonenboot lassen sich Privatschulden schlecht eintreiben);<br />

der chinesische Staat hingegen konnte es sich schwerlich leisten, Rechnungen nicht<br />

zu bezahlen und Schnlden nicht piinktlich zu tilgen.<br />

Dies also waren die Geschafte, auf denen die Existenz der ausliindischen expatriate<br />

community in <strong>China</strong> beruhte, die zurnindest in Shanghai die Attribute <strong>eine</strong>r<br />

kolonialen Elite annahm. Seit einigen Jahren entdecken Historikerinnen und Ristoriker<br />

<strong>eine</strong> andere Facette des chinesischen Marktes: <strong>eine</strong> in den 1920er J ahren aufbliihende<br />

Konsurnkultur in den graBen Stadten, durch die sich einige Beobachter<br />

sogar zu Vergleichen mit dem New York oder Berlin derselben Epoche hinreiBen<br />

lassen. Man muss allerdings sehen, dass dieser frlihe chinesische consumerism auf<br />

die <strong>eine</strong> Metropole Shanghai beschriinkt war, in der er auch in der Gegenwart wieder<br />

s<strong>eine</strong> groBten Triumphe feiert. In Shanghai (und insbesondere <strong>im</strong> von der auslandischen<br />

Geschaftsbourgeoisie regierten International Settlement; dessen Bevolkerung<br />

zu 97 Prozent aus Chinesen hestand) entwickelten sich in der Tat binnen<br />

kurzer Zeit Elemente <strong>eine</strong>r westlichen Konsurnkultur mit chinesischem Antlitz. 26<br />

Demonstrativer Konsum wurde, was er <strong>im</strong> alten <strong>China</strong> nicht gewesen war, sozial<br />

25 Zorn graBen Komplex von Opium in <strong>China</strong> vgl. als Dberblick Zheng Yangwen, The Social Life<br />

of Opium in <strong>China</strong>, Cambridge 2005.<br />

26 Vgl. vor allem Yeh Wen-hsin, Shanghai Splendor: Economic Sent<strong>im</strong>ents and the Making of<br />

Modem <strong>China</strong>, 1843-1949, Berkeley 2007; einfUhrend dies., Shanghai Modernity: Commerce<br />

and Culture in a Republican City, in: <strong>China</strong> Quarterly 150, 1997, S. 375-94.<br />

respektabel _27 Die offentlichen Raume wurden zu Arenen modischer Selbstdarstellung,<br />

neu entstandene Kaufhauser mit <strong>eine</strong>m breiten Angebot aktuellster Errungenschaften<br />

des Westens zu vie! besuchten Tempeln des Konsums 28 Selbst der neue<br />

chinesische Nationalismus konnte ein Stiick weit darnit Ieben, denn neben denImporten<br />

gab es auch die schnell konkurrenzfahig werdenden Prodnkte von chinesischem<br />

Handwerk und einhe<strong>im</strong>ischer Industrie zu kaufen. 29 Uberall entstanden<br />

kommerzielle Mischformen, auch etwa in der nun sehr popular werdenden Werbung3o<br />

Es erwies sich schnell, dass sie fiir westliche Erzeugnisse nur dann ilu Publikum<br />

erreichte, wenn sie Elemente der chinesischen Symbolsprache einbezog,<br />

zum Beispiel vertraute graphische Elemente (z.B. Drachemnotive auf <strong>eine</strong>m Siemens-Schaltpult,<br />

ahnlich wie den modemistischen Hochhiiusem der Gegenwart<br />

geme chinesische Dacher aufgesetzt werden).' 1<br />

Der Konsummodemismus der Zwischenkriegszeit war ein singuliires Phanomen<br />

in Asien- <strong>eine</strong> spezifische Form von wirtschaftlicher Elitenkultur <strong>im</strong> Rahmen<br />

<strong>eine</strong>s von Laissez-faire-Prinzipien getragenen Semikolonialismus an der <strong>China</strong>kiiste.<br />

Nirgendwo sonst, auch nicht <strong>im</strong> eher spartanischen Tokio oder in den Kolonialmetropolen<br />

Indiens und Siidostasiens, lieB sich Ahnliches beobachten. Aber<br />

man muss die Proportionen wahren. AuBerhalb von Shanghai hat es dergleichen<br />

offenbar nicht gegeben. Und aus der Sicht aus!andischer Geschiiftsleute war die<br />

winzige chinesische Mittel- und Oberschicht Shanghais <strong>eine</strong> quantitativ wenig erheblidle<br />

unJ suL.ial (wie ilic R~voluLion balJ L.dgcn solltc) durchaus vcnv"G:ndbarc<br />

Kundschaft.<br />

Lasst sich in <strong>eine</strong>m engeren Sinne von <strong>eine</strong>r ,hybriden" sino-ausHindischen<br />

Elitenkultur in den Vertragshafen sprechen? Europiiische Firmen hatten, wie bereits<br />

bemerkt, niemals <strong>eine</strong>n urunittelbaren und unverstellten Zugang zu ihren chinesischen<br />

Kunden. Stets waren sie auf einhe<strong>im</strong>ische Mittelsmiinner angewiesen 32 Im<br />

klassischen Import-Export-Handel von den vierziger bis zu den neunziger Jahren<br />

des 19. Jahrhunderts kamen die meisten auslandischen Geschaftsleute tiber Shanghai<br />

und <strong>eine</strong> Handvoll anderer GroBstiidte nie hinaus. Die Verbindung zwischen den<br />

beiden Geschaftswelten stellte ein neuer Typus von chinesischem Kaufmann her,<br />

27 Vgl. die Fallstudien in Shennan Cochran (Hrsg.), Inventing Nanjing Road: Commercial Culture<br />

in Shanghai, 1900--1945, Ithaca 1999; von grundsatzlicher Bedeutung ist Frank Dikiitter,<br />

Exotic Commodities: Modern Objects and Everyday Life in <strong>China</strong>, London 2006.<br />

28 Wellington K.K. Chan, Selling Goods and Promoting a New Commercial Culture: The Four<br />

Premier Department Stores on Nanjing Road, 1917-1937, in: Cochran (Hrsg,), Inventing Nanjing<br />

Road, S. 19-36; auch mehrere Beitrage in: Karrie MacPherson (Hrsg.),Asian Department<br />

Stores, Honolulu 1998.<br />

29 Karl Gerth, <strong>China</strong> Made: Consumer Culture and the Creation of the Nation, Cambridge 2003.<br />

30 Sherman G. Cochran, Transnational Origins of Advertising in E'arly Twentieth-Century <strong>China</strong>,<br />

in: ders. (Hrsg.), Inventing Nanjing Road, S.19-36.<br />

31 Abbildung in Mathias Mutz, ,Ein unendlich weites Gebiet fiir die Ausdehnung unseres Geschafts".<br />

Marketingstrategien des Siemens-Konzems auf dem chinesischen Markt (1904 bis<br />

1937), in: Zeitschrift fiir Unternehmensgeschichte 51,2006, S. 93-115, bier 103.<br />

32 Dies betont, Ieicht fibertreibend, <strong>eine</strong> inzwischen klassische Studie: Rhoads Murphey, The Outsiders:<br />

The Western Experience in India and <strong>China</strong>, Ann Arbor 1977-

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