Dom-Magazin - Der Dom
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Das Hemd des Zufriedenen<br />
Es war einmal ein König, der konnte vor lauter Sorgen<br />
des Nachts nicht schlafen. Er machte sich viele unnötige<br />
Gedanken, so dass er am Ende nicht mehr zur Ruhe kam<br />
und sein Zustand so bedenklich wurde, dass er den Räten<br />
des Landes sein Leid klagte. Nach einer langen Sitzung<br />
erhob sich einer der weisen Männer und sagte: „Ich wüsste<br />
wohl einen Rat. Es müsste dem König nämlich das Hemd<br />
eines zufriedenen Menschen angezogen werden, das er<br />
beständig auf seinem Leib trüge. Damit könnte ihm sicher<br />
geholfen werden.“<br />
Als der König diesen Rat vernahm, sandte er sofort eine<br />
Anzahl Männer in alle Richtungen seines Reiches aus, ihm<br />
das Hemd eines zufriedenen Menschen zu besorgen. Die<br />
Boten zogen in die Städte, in die Dörfer, in das Gebirge und<br />
in die weite Ebene, sie durchkämmten die letzten Winkel<br />
des Königreiches und sie erfuhren viel über die Leute –<br />
aber einen von Herzen zufriedenen Menschen fanden sie<br />
nicht. Schließlich machten sich die Männer sorgenschwer<br />
auf den Heimweg. Während sie in Gedanken versunken<br />
dahinzogen, gewahrten sie abseits einen Schweinhirten,<br />
der seelenruhig bei seiner Herde lag und vergnügt vor sich<br />
hin pfiff. Die Boten traten heran und beobachten ihn eine<br />
Weile. Die Frau des Schweinehirten kam, um ihrem Mann<br />
das Morgenbrot zu bringen. Sie sahen, wie er gemächlich<br />
frühstückte und anschließend munter mit seinem Kind<br />
spielte. Die Männer fragten<br />
den Schweinehirten,<br />
warum er so fröhlich<br />
aussähe. „Das kommt<br />
daher“, erwiderte er,<br />
weil ich mit dem, was ich<br />
habe, zufrieden bin.“<br />
Da freuten sie sich, dass<br />
sie endlich einen zufriedenen Menschen gefunden hatten.<br />
Sie erzählten dem Schweinehirten von ihrem König und<br />
baten ihn inständig, ihnen für teures Geld sein Hemd zu<br />
überlassen. Da lächelte der Schweinehirt und sagte: „So<br />
gern ich eurem König dienen und euch einen Gefallen<br />
erweisen möchte, ich fürchte, ich kann euch nicht helfen.<br />
Denn ich besitze wohl die Zufriedenheit, aber ich trage<br />
kein Hemd am Leibe.“<br />
So mussten die Männer unverrichteter Dinge vor<br />
ihren König treten, und sie berichteten ihm, dass sie wohl<br />
manchen Menschen mit teurem Hemd, aber ohne Zufriedenheit,<br />
und schließlich nur einen Menschen mit Zufriedenheit,<br />
aber ohne Hemd angetroffen hätten. Dem König<br />
konnte in seinem Leid nicht geholfen werden ...<br />
<br />
Hermann Multhaupt<br />
(Dieses Märchen hat zum ersten Mal der Dichter, Zeichner<br />
und Philosoph Wilhelm Busch (1832-1908) erzählt.)<br />
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