Olympische Kongress von Baden-Baden - Der Deutsche ...
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Das verlorene Paradies:<br />
Eine kleine Skandal-Geschichte des Sports<br />
Von Andreas Höfer<br />
Am Anfang war der Skandal. Schenkt man dem großen<br />
Geschichtsbuch christlicher Provenienz und der darin<br />
kolportierten Version der Entstehung der Menschheit<br />
Glauben, begann dieselbe mit einem Eklat, dessen Wirkung<br />
fataler nicht hätte sein können: der Verbannung aus dem<br />
Paradies.<br />
Nun muss man sicher nicht bei Adam und Eva anfangen,<br />
wenn man sich der Geschichte des Sports zuwenden und<br />
dabei den Blick auf gravierende Verfehlungen mit Skandal-<br />
Potenzial lenken möchte. Schließlich sparen die überlieferten<br />
Nachrichten aus jenem gern beschworenen paradiesischen<br />
Urzustand jedwede Hinweise auf sportliche Betätigungen der<br />
Beteiligten aus. Andererseits wirft die kleine Reminiszenz an<br />
die beiden fiktiven Urahnen des Menschengeschlechts und ihr<br />
absurdes, geradezu tragikomisches Schicksal ein bezeichnendes<br />
Licht auf ein psychologisches Grundmuster, das auch und<br />
gerade im Sport zum Tragen kommt, nämlich die anscheinend<br />
naturgegebene Ambivalenz <strong>von</strong> Stärke und Schwäche, die<br />
sich unter anderem in einem gleichzeitigen Streben nach<br />
Freiheit und Sicherheit ausdrückt, was wiederum die Unvereinbarkeit<br />
bestimmter menschlicher Bedürfnisse und damit<br />
die Widersprüchlichkeit unseres Daseins, also auch unserer<br />
sportlichen Ambition offenbart.<br />
Vielleicht ist - jenseits moralischer Bewertungen - eben dies<br />
die noch heute nutzbringende Botschaft der im ersten Buch<br />
Mose überlieferten Genesis, dass jede Option eines Lebens-<br />
Laufes ebenso mit Chancen wie mit Risiken und Nebenwirkungen<br />
verbunden ist und dass jeder die Verantwortung für<br />
sein Tun und Lassen - also auch für das Einhalten oder Missachten<br />
<strong>von</strong> Regeln - zu übernehmen hat.<br />
Zugleich wird aber auch offenkundig, dass der homo sapiens<br />
seit jeher auch ein homo ludens war, dem es stets auch<br />
darum zu tun ist, die ihm innewohnenden Möglichkeiten<br />
auszuloten und dabei potenziell in der Versuchung steht, die<br />
ihm <strong>von</strong> der Natur oder anderweitig vorgegebenen Grenzen<br />
14<br />
zu überschreiten. Ohne diesen immanenten Drang, über sich<br />
hinauszuwachsen, wäre vielleicht niemals das Rad erfunden<br />
worden, vom Rennrad zu schweigen. Niemand wäre wohl<br />
freiwillig ins kalte Wasser gesprungen, schon gar nicht aus<br />
zehn Metern Höhe und mit Salto und/oder dreifacher Schraube.<br />
Keine Latte wäre höher als nötig gelegt worden, nur um<br />
sie mit oder ohne Zuhilfenahme eines biegsamen Stabes zu<br />
überqueren. Und viel lieber hätte man eine ruhige Kugel<br />
geschoben, als selbige mit äußerster Kraftanstrengung so<br />
weit wie möglich <strong>von</strong> sich zu stoßen. Wer wäre je gerannt,<br />
der auch hätte laufen, wer je gelaufen, der auch hätte gehen<br />
können, sofern der Gang <strong>von</strong> A nach B nicht überhaupt als<br />
vermeidbar angesehen worden wäre. Kurzum: Das Faszinosum<br />
des Sports hätte sich im Paradies nie zu entfalten vermocht.<br />
Vielleicht hätte man sich mit einem fröhlichen Lied auf den<br />
Lippen einen Ball zugeworfen oder wäre zur Not im versammelten<br />
Trab durchs Gelände geritten und äußerstenfalls wäre<br />
auch noch Synchronschwimmen denkbar gewesen, die <strong>Olympische</strong>n<br />
Spiele aber zum Beispiel oder die Vierschanzen-<br />
Tournee wären bestimmt nicht erfunden worden, und ganz<br />
sicher wäre uns die Formel I und die Tour de France erspart<br />
geblieben. So gesehen muss man wohl - trotz allem - froh<br />
sein, dass das Paradies <strong>von</strong> allem Anfang an verloren war.<br />
Gerade dieser Verlust aber hat zu allen Zeiten die Phantasien<br />
über Ersatz-Paradiese auf Erden beflügelt - wobei nicht<br />
zuletzt dem Sport entsprechendes Potenzial attestiert wurde<br />
und wird. Die entsprechende Indienstnahme <strong>von</strong> Bewegung<br />
und Wettkampf geht auf Pierre de Coubertin zurück, der<br />
seine Ende des 19. Jahrhunderts propagierte Idee einer Wiederbelebung<br />
der <strong>Olympische</strong>n Spiele mit der Absicht verband,<br />
zum Aufbau einer friedlichen und besseren Welt beizutragen.<br />
Mit diesem selbst gewählten Anspruch gab er dem Sport<br />
einen bis dahin nicht gekannten ideologischen Überbau,<br />
gleichsam eine Mission, die im Übrigen auch dazu diente,<br />
seinem Unterfangen eine Legitimation zu verleihen, die