skandale 8 Das LPPW 2012
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© Kallejipp / photocase.com<br />
„Bunt statt Braun“<br />
braucht einen stärkeren Gelbanteil<br />
Man muss nicht gleich ein Linker werden, um „gegen Rechts“ zu sein. Ein Plädoyer.<br />
Von Dennis Rademacher<br />
Streng geheim!<br />
Verfassungsschutz besser kontrollieren und Sicherheitsarchitektur reformieren<br />
Von Gisela Piltz MdB<br />
Denkt man an Geheimdienste, kommen einem wilde Verfolgungsjagden<br />
und geschüttelter Martini in den Sinn. In<br />
der Realität allerdings ist die Arbeit der Nachrichtendienste<br />
deutlich nüchterner. <strong>Das</strong> Bundesamt sowie die Landesämter für<br />
Verfassungsschutz sammeln und bewerten Informationen zu verfassungsfeindlichen<br />
– etwa rechts- oder linksextremen oder islamistischen<br />
– Personen und Organisationen, um Gefährdungspotentiale<br />
frühzeitig zu erkennen.<br />
Neben der Auswertung offener Quellen wie dem Internet gewinnt der<br />
Verfassungsschutz über verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie etwa<br />
Telefonüberwachung oder V-Leute Informationen. Selbstverständlich<br />
darf keine Behörde willkürlich im Leben der Menschen schnüffeln.<br />
Der Verfassungsschutz im Bund unterliegt der Kontrolle einerseits<br />
durch die G10-Kommission, so benannt nach Art. 10 Grundgesetz,<br />
also der Telekommunikationsfreiheit, und andererseits durch das Parlamentarische<br />
Kontrollgremium (PKGr).<br />
Der Verfassungsschutz ist in die Kritik geraten, weil jahrelang die<br />
rechtsextreme sog. „Zwickauer Zelle“, die zehn Menschen in Deutschland<br />
ermordet hat, unterhalb des Radars der Behörden agieren konnte<br />
und Informationen nicht vernünftig verarbeitet wurden. Erst im<br />
Untersuchungsausschuss in Land und Bund werden nach und nach<br />
die Fakten offengelegt.<br />
Es gehört zu den Grundfesten unseres Rechtstaats, dass wer alles<br />
weiß, nicht alles darf, und wer alles darf, nicht alles weiß. Deshalb<br />
gibt es eine strikte Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten.<br />
Sobald eine konkrete Gefahr einer Straftat im Raum steht,<br />
übernimmt die Polizei. Der Verfassungsschutz kann und muss<br />
dann schon nach geltendem Recht an die Polizei abgeben. <strong>Das</strong> ist<br />
nicht passiert. Die Rufe von konservativer Seite, deshalb das Trennungsgebot<br />
abzuschaffen, ist aber die falsche Antwort. Die von<br />
den Linken geforderte Abschaffung des Verfassungsschutzes geht<br />
ebenfalls fehl und würde das Kind mit dem Bade ausschütten.<br />
Wir brauchen keine Geheimpolizei. Wir brauchen einen rechtstaatlich<br />
kontrollierten Geheimdienst und Zusammenarbeit mit der Polizei so<br />
gut wie rechtstaatlich möglich und nötig. Wir brauchen eine bessere<br />
Kontrolle des Verfassungsschutzes und eine effiziente Sicherheitsarchitektur.<br />
Deshalb will die FDP-Fraktion das PKGr und die<br />
G10-Kommission stärken. Zugleich müssen die Sicherheitsbehörden<br />
besser zusammenarbeiten. Dazu gehört zuallererst eine klare Aufgabentrennung<br />
zwischen den einzelnen Behörden und auch im föderalen<br />
System. Zu viele Sicherheitsbehörden, die für dasselbe zuständig<br />
sind, arbeiten nicht miteinander, sondern gegeneinander. Daraus<br />
folgt, dass der Militärische Abschirmdienst überflüssig ist. Seine Inlandsaufgaben<br />
kann der Verfassungsschutz, seine Auslandsaufgaben<br />
die „Strategische Aufklärung“ der Bundeswehr übernehmen.<br />
Für uns Liberale steht der Föderalismus nicht in Frage. Der Verzicht<br />
auf zentrale und allzuständige Sicherheitsbehörden ist nicht nur eine<br />
Lehre der Geschichte. Es ist vor allem eine Frage der Vernunft: Denn<br />
es brennt immer nebenan. Und die besten Brandlöscher sind diejenigen<br />
vor Ort. Die jüngst am Widerstand der Länder gescheiterten<br />
Vorschläge des Bundesinnenministers, die Landesämter zu entmachten,<br />
gingen deshalb in die falsche Richtung. Aber die Länder müssen<br />
auch ihren Teil beitragen: Gerade kleine Länder müssen über eine<br />
Fusion ihrer Nachrichtendienste mit anderen Ländern nachzudenken,<br />
damit sie ihre Aufgaben auch wirklich erfüllen können.<br />
Gisela Piltz (47) ist stellvertretende Vorsitzende<br />
der FDP-Bundestagsfraktion<br />
und innenpolitische Sprecherin. Die Düsseldorferin<br />
ist Mitgründerin der Jungen<br />
Liberalen und heute stellvertretende Vorsitzende<br />
der FDP NRW aktiv. Ihr erreicht<br />
sie unter gisela.piltz@bundestag.de.<br />
A<br />
m 24. Juni 1922 wurde der liberale Außenminister Walther<br />
Rathenau durch mehrere Schüsse und durch die Explosion<br />
einer Handgranate von Rechtsextremisten getötet. 78 Jahre<br />
später, nach den Verbrechen des Dritten Reiches, verübt der „Nationalsozialistische<br />
Untergrund“ eine Mordserie an türkischstämmigen<br />
Mitbürgern. Verbrechen gegen die Menschlichkeit richten sich nicht<br />
nur gegen Einzelpersonen oder Minderheiten. Sie haben jeden von<br />
uns zum Ziel. Die Verteidigung unserer Werte liegt darum nicht allein<br />
im Schoß bürokratischer Strukturen und keinesfalls in den geballten<br />
Fäusten der Linksextremisten, sondern ruht in den Händen zivilgesellschaftlichen<br />
Engagements. Der beste Verfassungsschutz sind Bürger,<br />
die für Menschlichkeit, Vielfältigkeit und Toleranz sichtbar werden.<br />
Bleiben wir Liberale fern, so sind wir und unsere Ideale unsichtbar.<br />
Die Ablehnung des Nationalsozialismus ist zudem auch der wohl<br />
kleinste politische Nenner, der eine breite Mehrheit von Jugendlichen<br />
verbinden kann. Oftmals erhält die politische Sozialisation auf einem<br />
„Rock gegen Rechts“ Konzert, oder auf einer Demonstration ihren ersten<br />
ausschlaggebenden Spin. Anlaufstellen für die just in Bewegung<br />
gesetzte jugendliche Masse erschöpfen sich dann bislang im Gruselkabinett<br />
aus DGB Jugend, Falken, Grüne Jugend, JuSos, Linksjugend,<br />
Antifa, oder gar noch Schlimmeren. Der breiten jugendkulturellen<br />
Nachfrage steht ein fast ausschließlich linkes Angebot gegenüber,<br />
während die politische Mitte vor allem durch Abwesenheit glänzt.<br />
Wir sollten nicht lamentierend zuschauen, wie das löbliche Engagement<br />
gegen Rechtsextremismus mit gefährlichen kapitalismus- und<br />
freiheitsfeindlichen Hirngespinsten vermengt und verfremdet wird.<br />
Als JuLis haben wir die Möglichkeit, jungen Menschen eine vernünftige<br />
Alternative zu bieten. Die Alternative für alle, die nicht nur gegen<br />
Nazis sind, sondern ebenso in einer freien, toleranten und marktwirtschaftlichen<br />
Gesellschaft leben wollen. Und wir haben nicht nur<br />
die Möglichkeit - wir stehen als einzige liberale Jugendorganisation<br />
viel mehr in der Pflicht, denen ein politisches Zuhause zu geben, die<br />
friedlich und ohne Weltrevolutionsgelüsten für eine vielfältige Gesellschaft<br />
stehen wollen, oder die als Verfassungspatrioten keinen<br />
radikalen Nationalisten die Deutungshoheit über unsere Kultur und<br />
unser Land überlassen wollen.<br />
Es kann so einfach sein. Im bürgerlichen Lager gibt es keine Konkurrenz<br />
auf diesem Parkett. Die Junge Union hat sich viel von einer<br />
gewissen Angela Dorothea Merkel, geborene Kasner, abgeschaut<br />
und macht… nichts. Die gelegentlichen Erklärungen, man müsse immer<br />
zeitgleich gegen Linksextremismus demonstrieren, wirken da wie<br />
die Entschuldigungen eines Grundschulkindes. Liebe JU, wir können<br />
gerne an jedem weiteren der 365 Tage gemeinsam mit Verve auf die<br />
Gefahren der Linken hinweisen. Aber in solchen Stunden, in denen<br />
Kameradschaften durch Innenstädte grölen, da ist es gebotene Notwendigkeit,<br />
ein Zeichen für die Menschlichkeit zu setzen.<br />
Als Walther Rathenau sterben musste, brachten allein in Berlin mehr<br />
als 400 000 Menschen ihre Empörung und Trauer zum Ausdruck.<br />
Auch das war eine Demo gegen Nazis.<br />
Dennis Rademacher (26) studiert Rechtswissenschaft<br />
an der Ruhr-Universität<br />
Bochum und ist Bezirksvorsitzender der<br />
Jungen Liberalen im Ruhrgebiet. Seit Jahren<br />
nimmt er an „Demos gegen Rechts“ im<br />
Ruhrgebiet teil. Ihr erreicht ihn unter dennis.rademacher@julis.de.<br />
© John Krempl / photocase.com