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860<br />

REPETITORIUM<br />

Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />

Heft 11/2012 JURA<br />

bot des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit besteht nicht 26 .<br />

Soll ein derartiges Verbot rechtswirksam für einen best<strong>im</strong>mten<br />

Ort und/oder für einen best<strong>im</strong>mten Zeitraum bzw. für ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Ereignis verhängt werden können, bedarf es sowohl<br />

für die entsprechende administrative Rechtsetzung (Verordnung,<br />

Satzung) als auch für die behördliche Einzelfallregelung<br />

(»normaler« VA, Allgemeinverfügung) einer parlamentsgesetzlichen<br />

Grundlage. Nach Art. 2 I GG sind Beschränkungen<br />

der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Maßgabe des Übermaßverbots<br />

(»Schranken-Schranke«) zulässig, wenn sie zum<br />

Schutz eines best<strong>im</strong>mten Rechtsguts geeignet und erforderlich<br />

sind und zur Art und Intensität der Rechtsgutgefährdung in<br />

einem angemessenen Verhältnis stehen 27 .<br />

2. Alkoholkonsumverbot nach Polizei- und Ordnungsrecht<br />

Fall 2: Die Stadt F hat zur Eindämmung von Straftaten in best<strong>im</strong>mten<br />

Bereichen der Innenstadt auf Grund vorangegangenen Alkoholkonsums<br />

formell ordnungsgemäß eine Polizeiverordnung (PolVO) 28 erlassen.<br />

§ 1 definiert den räumlichen Geltungsbereich der PolVO durch<br />

Bezeichnung best<strong>im</strong>mter Straßen und Plätze (»Bermuda Dreieck«).<br />

§ 2 PolVO best<strong>im</strong>mt: »Im Geltungsbereich dieser Verordnung ist es<br />

auf den öffentlich zugänglichen Flächen außerhalb konzessionierter<br />

Freisitzflächen verboten, alkoholische Getränke jeglicher Art zu konsumieren<br />

sowie alkoholische Getränke jeglicher Art mit sich zu führen,<br />

wenn auf Grund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist,<br />

diese <strong>im</strong> Geltungsbereich der Verordnung konsumieren zu wollen.« § 3<br />

PolVO begrenzt die zeitliche Geltung des § 2 PolVO auf die Zeit zwischen<br />

22 Uhr und 6 Uhr vor Wochenenden (Freitag, Samstag) und<br />

Feiertagen. Die PolVO wurde auf Grund polizeilicher Erfahrungen<br />

erlassen, wonach der Konsum alkoholischer Getränke <strong>im</strong> »Bermuda-<br />

Dreieck« mitursächlich für die Begehung von Körperverletzungen und<br />

Sachbeschädigungen ist. Seit dem Inkrafttreten der PolVO ist die Gewaltkr<strong>im</strong>inalität<br />

<strong>im</strong> »Bermuda-Dreieck« um 16% gesunken. Student T<br />

ist mit dem Alkoholkonsumverbot nicht einverstanden und fragt nach<br />

der Rechtswirksamkeit der PolVO 29 .<br />

a) Polizei-/Gefahrenabwehrverordnung<br />

Das Verbot des Alkoholkonsums <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> durch<br />

den Erlass einer Verordnung nach dem allgemeinen Polizeiund<br />

Ordnungsrecht 30 gehört zu den üblichen Vorgehensweisen<br />

der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden. Rechtsgrundlage<br />

für die Verordnungsgebung ist – soweit keine spezielle Regelung<br />

31 besteht – die Generalermächtigung zum Erlass von Polizei-/Gefahrenabwehrverordnungen<br />

32 . Danach können zur<br />

Gefahrenabwehr (Aufgabenwahrnehmung) Gebote oder Verbote<br />

erlassen werden, die für eine unbest<strong>im</strong>mte Anzahl von<br />

Fällen an eine unbest<strong>im</strong>mte Anzahl von Personen gerichtet<br />

sind.<br />

Kaum problematisch ist in den einschlägigen Fällen in Bezug<br />

auf den Tatbestand das Schutzgut. Es geht vornehmlich um den<br />

Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) insbesondere<br />

von Bewohnern und Gästen der betroffenen<br />

(Stadt-)Gebiete und um den Schutz des (Sach-)Eigentums<br />

(Art. 14 I 1 GG), durch die (auch strafrechtlich bewehrte) Abwehr<br />

von Sachbeschädigungen (vgl. § 303 StGB). Problematisch<br />

ist hingegen das Vorliegen einer »Gefahr«. Gefordert ist<br />

eine abstrakte Gefahr für das Schutzgut. Diese 33 setzt eine nach<br />

allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen<br />

bestehende Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf<br />

mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Eintreten<br />

einer konkreten Gefahr als möglich erscheinen lässt; es geht<br />

dabei um einen regelmäßig und typischerweise (wenn auch<br />

nicht ausnahmslos) zu erwartenden Schadenseintritt 34 . Kein<br />

Unterschied besteht zwischen konkreter und abstrakter Gefahr<br />

be<strong>im</strong> Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Abzugrenzen<br />

ist die »Gefahr« vom bloßen »Gefahrenverdacht« und<br />

von Vorsorgemaßnahmen auf Grund eines gewissen Besorgnispotentials<br />

<strong>im</strong> »Gefahrenvorfeld«; derartige Sachlagen erlauben<br />

nach dem Tatbestand der Generalermächtigung den Erlass einer<br />

Verordnung nicht 35 .<br />

Zu den durch Verordnung verhängten Alkoholkonsumverboten<br />

konnten die Behörden in den gerichtlich entschiedenen<br />

Fällen den Ursachenzusammenhang zwischen Alkoholkonsum<br />

und regelmäßig sowie typischerweise auftretender Gewalt<br />

(mit der Gefahr von Körperverletzungen, Sachbeschädigungen<br />

etc.) bislang nicht belegen. Die Gerichte sehen in derartigen<br />

Verboten bloße Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher<br />

Beeinträchtigungen <strong>im</strong> Gefahrenvorfeld, die von der Ermächtigungsgrundlage<br />

nicht gedeckt sind 36 . Das Schrifttum teilt diese<br />

Auffassung ganz überwiegend 37 . Soweit die Behörden auf sonstige<br />

Folgeerscheinungen des Alkoholkonsums wie z. B. Verunreinigungen<br />

öffentlicher Straßen, Wege und Plätze und Zurücklassung<br />

von Gegenständen verweisen, bestehen bereits<br />

gesetzliche Verbots- und (überwiegend auch) Sanktionsnormen<br />

38 . Unabhängig von den materiellen Anforderungen<br />

scheitern Verordnungen <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang <strong>im</strong>merwiederauchandenGebotenderBest<strong>im</strong>mtheitundNormenklarkeit<br />

39 .<br />

26 OVG LSA BeckRS 2010, 47490; K. Faßbender NVwZ 2009, 563.<br />

27 BVerfG-K DVBl 2002, 1265 = NJW 2002, 2378 ? Schoch JK 11/02, GG Art. 2<br />

I/36; BVerfG-K NJW 2005, 349 (350) ? Geppert JK 7/05, StVG § 24 a II/1. –<br />

Ein »Recht auf Rausch«, das den Beschränkungen des Art. 2 I GG entzogen<br />

wäre, gibt es also nicht; BVerfGE 90, 145 (172) ? Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26.<br />

28 In Ländern mit einem Trennsystem (dazu Schoch in: BesVwR [Fn. 4] 2. Kap.<br />

Rdn. 91): ordnungsbehördliche Gefahrenabwehrverordnung; die Sachprobleme<br />

sind identisch.<br />

29 Fall in Anlehnung an VGH BW NVwZ-RR 2010, 55 = VBlBW 2010, 29 ?<br />

Schoch JK 6/10, PolG BW § 10/1; dazu Bespr. Pewestorf DVBl 2009, 1396 und<br />

Hecker NVwZ 2010, 359.<br />

30 Vgl. Fallbearbeitung von Riegner JURA 2012, 646 ff. – Allg. zu Gefahrenabwehrverordnungen<br />

Schoch JURA 2005, 600 ff.; vgl. ferner Fallbearbeitung<br />

von Groh/Kaplonek JURA 2006, 304 ff.<br />

31 Beispiel: § 9 a SächsPolG (Ermächtigung zum Erlass örtlich und zeitlich begrenzter<br />

Alkoholkonsumverbote durch Polizeiverordnung); Verfassungswidrigkeit<br />

dieser Regelung annehmend Brückner LKV 2012, 202 ff. (Verstoß gegen<br />

Best<strong>im</strong>mtheitsgebot, unverhältnismäßige Einschränkung des Art. 2 I GG).<br />

32 § 10 PolG BW; § 55 ASOG Bln; §§ 25, 26 BbgOBG; §§ 10 I 2, 48, 49 BremPolG;<br />

§ 1 HbgSOG; §§ 71 ff. HessSOG; § 17 I SOG MV; § 55 NdsSOG; §§ 25 ff. OBG<br />

NW; § 43 POG RP; § 59 PolG SL; § 94 SOG LSA; § 175 I LVwG SH; § 27<br />

ThürOBG. – Vgl. zu Hamburg auch: GlasflaschenverbotsG.<br />

33 Legaldefinitionen enthalten § 2 Nr. 2 NdsSOG; § 3 Nr. 3 lit. f SOG LSA; § 54<br />

Nr. 3 lit. e ThürOBG.<br />

34 VerfGH RP NVwZ 2001, 1273 (1274); VGH BW VBlBW 2002, 292 (293);<br />

VBlBW 2002, 423 (424); BayVGH NVwZ-RR 2011, 193 f.; OVG Bremen<br />

NVwZ 2000, 1435 (1436); OVG SH NVwZ 2001, 1300 (1301) ? Schoch JK<br />

3/02, GG Art. 3 I/34.<br />

35 BVerwGE 116, 347 (352 f.) ? Ehlers JK 3/03, Pol-. u. OrdR/Gefahrenbegriff/6.<br />

– Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen <strong>im</strong> Gefahrenvorfeld<br />

müssten vom (Landes-)Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt werden.<br />

36 VGH BW VBlBW 1999, 101 (103); NVwZ-RR 2010, 55 (56 f.) = VBlBW 2010,<br />

29 (31 f.); OVG LSA BeckRS 2010, 47490.<br />

37 Frühzeitig Kohl NVwZ 1991, 620 (621); ferner Hecker NVwZ 2009, 1016<br />

(1017); ders. NVwZ 2010, 359 (362); Pewestorf DVBl 2009, 1396 (1397);<br />

Hebeler/Schäfer DVBl 2009, 1424 (1426); Finger Offene Szenen (Fn. 15)<br />

S. 196 f.; Köppert Alkoholverbotsverordnungen in der Rechtspraxis, 2011,<br />

S. 154 ff.; z. T. a. A. K. Faßbender NVwZ 2009, 563 (565 f.); krit. dazu Hefendehl<br />

NVwZ 2009, Heft 11 S. IX.<br />

38 §§ 42 S. 1, 54 I Nr. 6 StrG BW; Art. 16, 66 Nr. 1 BayStrWG; §§ 14 I, 28 I Nr. 5<br />

BlnStrG; §§ 17, 47 I Nr. 1 BbgStrG; §§ 40, 48 I Nr. 3 BremLStrG; §§ 23 I, 72 I<br />

Nr. 5 HbgWG; §§ 15, 51 I Nr. 2 HessStrG; §§ 25, 49, 61 I Nr. 7 u. Nr. 8 StrWG<br />

MV; § 17 NdsStrG; § 17 I StrWG NW; §§ 40 I, 53 I Nr. 4 LStrG RP; § 16 StrG SL;<br />

§§ 17, 20, 52 I Nr. 1 u. Nr. 5 SächsStrG; §§ 17, 48 I Nr. 1 StrG LSA; §§ 46, 56 I<br />

Nr. 9 StrWG SH; §§ 17, 50 I Nr. 1 ThürStrG.<br />

39 VGH BW VBlBW 2010, 33 (m. Bespr. Winkelmüller/Misera LKV 2010, 259);<br />

OVG LSA BeckRS 2010, 47490.<br />

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