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Toleranz - Kiz-hamburg.de

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TOLERANZ<br />

Das alles<br />

hat sich in mein Herz gebrannt<br />

Sie ist eine junge, weltoffene<br />

Mutter. Doch dass unsere Gesellschaft<br />

teilweise noch lernen muss,<br />

dass <strong>Toleranz</strong> nicht nur ein Wort<br />

mit acht Buchstaben ist, hat sie<br />

schmerzhaft erfahren müssen.<br />

Wie unterschiedlich die Gesellschaft<br />

Menschen mit und ohne<br />

Behin<strong>de</strong>rung behan<strong>de</strong>lt, habe ich<br />

gleich nach <strong>de</strong>r Geburt meines Sohnes<br />

zu spüren bekommen.<br />

Während<br />

die Babys<br />

an<strong>de</strong>rer Mütter<br />

besucht wor<strong>de</strong>n<br />

sind, Komplimente<br />

gegeben<br />

wur<strong>de</strong>n, die<br />

Babys auf <strong>de</strong>n<br />

Arm genommen<br />

wor<strong>de</strong>n sind,<br />

so interessierte<br />

sich niemand für<br />

mein behin<strong>de</strong>rtes<br />

Kind. Die Kommentare,<br />

die ich<br />

statt<strong>de</strong>ssen bekam<br />

reichten von<br />

mitleidigen Äußerungen<br />

über<br />

unsensible Aussprüche:<br />

„<strong>de</strong>r hat aber einen großen<br />

Kopf“ zu eiskalter Ablehnung „ich<br />

wusste gar nicht, dass man in <strong>de</strong>r<br />

heutigen Zeit noch ein behin<strong>de</strong>rtes<br />

Kind bekommen muß!“<br />

Das alles tat unglaublich weh. Zu<br />

alle <strong>de</strong>m kam auch noch die Ungewissheit,<br />

was überhaupt mit meinem<br />

Sohn ist. Die Diagnostik dauerte<br />

Monate. Ständig mussten wir<br />

zum Arzt und auf <strong>de</strong>m Weg dorthin<br />

in <strong>de</strong>n Bussen und Bahnen kamen<br />

dann die Kommentare von Menschen,<br />

die ich noch nie zuvor gesehen<br />

habe und wahrscheinlich auch<br />

nie wie<strong>de</strong>r sehen wer<strong>de</strong>.<br />

Das wur<strong>de</strong> auch nicht an<strong>de</strong>rs, als<br />

mein Sohn größer wur<strong>de</strong>. Irgendwie<br />

scheinen einige Menschen zu<br />

glauben, dass sie überall ihren Senf<br />

dazu geben müssen.<br />

Mit <strong>de</strong>m Alter wur<strong>de</strong>n seine Auffälligkeiten<br />

<strong>de</strong>utlicher. Er sprach<br />

nicht, son<strong>de</strong>rn brabbelte und<br />

schrie.<br />

Mein Sohn hatte teilweise keine<br />

Kontrolle über seine Bewegungen.<br />

Wenn er dann einen Fahrgast im<br />

Bus getreten hat, gab es feindselige<br />

Bemerkungen über so ein Kind. Ich<br />

habe mich zwar immer entschuldigt<br />

und versucht zu erklären, dass er es<br />

nicht mit Absicht tut, doch das fiel<br />

Spielplätze wer<strong>de</strong>n zu Orten <strong>de</strong>r Einsamkeit<br />

nicht ins Gewicht. Er wur<strong>de</strong> böse<br />

angeguckt und mir wur<strong>de</strong> geraten,<br />

doch besser ein Taxi zu nehmen.<br />

Lei<strong>de</strong>r fiel mir zu spät die passen<strong>de</strong><br />

Erwi<strong>de</strong>rung dazu ein: „klar, wenn<br />

Sie es bezahlen!“ In Einkaufslä<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong> er von <strong>de</strong>r Seite angeguckt,<br />

und Eltern haben ihre Kin<strong>de</strong>r auf<br />

<strong>de</strong>m Spielplatz mit <strong>de</strong>m Kommentar<br />

„mit <strong>de</strong>m spielst du nicht“<br />

weggenommen. Das alles hat sich<br />

in mein Herz gebrannt. Was hatte<br />

mein Sohn <strong>de</strong>nn getan, um so eine<br />

Ablehnung zu verdienen? Die Antwort<br />

ist leicht: Gar nichts! Ich habe<br />

mich lange gefragt, wie er in so einer<br />

Gesellschaft leben soll, und ich<br />

habe gebetet!<br />

Und dann kamen sie, die vielen<br />

kleinen Momente. Ein Passagier<br />

<strong>de</strong>r nicht mich, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n<br />

meckern<strong>de</strong>n Fahrgast zusammenstaucht.<br />

Die Verkäufer die ihn in<br />

Schutz nehmen, die Teenagerin die<br />

ihm einen Kin<strong>de</strong>rriegel gibt, damit<br />

er nicht mehr weint. Die Nachbarn,<br />

die sich <strong>de</strong>utlich auf seine Seite<br />

stellen „Wenn jemand ein Problem<br />

mit ihm hat, dann müssen die eben<br />

wegziehen…“.<br />

Der Busfahrer, <strong>de</strong>r aussteigt, und<br />

seine Fahrgäste anmeckert weil sie<br />

es nicht schaffen Platz für ihn zu<br />

machen. Der nette<br />

junge Mann, <strong>de</strong>r<br />

ohne zu zögern<br />

seine nicht gera<strong>de</strong><br />

leichte Reha-Karre<br />

die Treppe von<br />

Bahnhof runter<br />

trägt.<br />

Ich kann noch<br />

unzählige Ereignisse<br />

dieser Art<br />

aufzählen, <strong>de</strong>nn<br />

ich habe gemerkt,<br />

das es lei<strong>de</strong>r immer<br />

noch Menschen<br />

gibt, die<br />

mit Menschen,<br />

mit einer Behin<strong>de</strong>rung<br />

nicht gut<br />

umgehen können.<br />

Aber mittlerweile<br />

bin ich zu <strong>de</strong>r Überzeugung gekommen,<br />

das zumin<strong>de</strong>st hier in Bramfeld,<br />

die an<strong>de</strong>ren überwiegen. Die,<br />

die alle Menschen so nehmen wie<br />

sie sind, die nicht die Nase rümpfen,<br />

weil jemand an<strong>de</strong>rs ist. Und<br />

die vor allem ein Kind nicht für<br />

etwas verurteilen, für das es überhaupt<br />

nichts kann.<br />

Mein Sohn ist genauso liebenswert<br />

wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Mensch<br />

auch. Er ist ein richtiger Sonnenschein,<br />

er freut sich über je<strong>de</strong> Kleinigkeit<br />

und er macht immer mehr<br />

Fortschritte. Ich freue mich auf die<br />

Zukunft mit ihm und weiß, dass er<br />

seinen Platz in unserer Gesellschaft<br />

fin<strong>de</strong>n wird.<br />

Juila M.*<br />

* Name von <strong>de</strong>r Redaktion geän<strong>de</strong>rt<br />

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