Klausur Nr. 1 - Sw-cremer.de
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GK2 13/1 Sozialwiss./Wirtschaft<br />
-CREMER-<br />
Köln, <strong>de</strong>n 25.09.2009<br />
<strong>Klausur</strong> <strong>Nr</strong>. 1<br />
Thema: For<strong>de</strong>rungen an die WTO<br />
Aufgabenstellung:<br />
1. Beschreibe die vermeintlichen Vorteile <strong>de</strong>s Freihan<strong>de</strong>ls und erläutere, wie diese durch die klassischen<br />
Theorien begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. (max. 16 Punkte)<br />
2. Analysiere die Position, die <strong>de</strong>r bolivianische Präsi<strong>de</strong>nt in seinem Offenen Brief formuliert. (max.<br />
30 Punkte)<br />
3. Untersuche, ob die For<strong>de</strong>rungen von Morales mit <strong>de</strong>n Prinzipien <strong>de</strong>r WTO in Einklang stehen.<br />
(max. 24 Punkte)<br />
4. Beurteile die For<strong>de</strong>rungen von Morales aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lskommissars <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Union. (max. 30 Punkte)<br />
Viel Glück und Erfolg!!
Die Län<strong>de</strong>r müssen <strong>de</strong>m Konsum <strong>de</strong>r lokalen Produktion<br />
Priorität einräumen<br />
Offener Brief von Juan Evo Morales Ayma, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Republik Bolivien,<br />
im Juli 2008<br />
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«Der internationale Han<strong>de</strong>l kann eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle bei <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Entwicklung<br />
und <strong>de</strong>r Lin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Armut spielen. Wir erkennen die Notwendigkeit an, dass allen unseren Völkern eine<br />
Vergrößerung <strong>de</strong>r Chancen und Wohlstandsfortschritte zuteil wer<strong>de</strong>n müssen, die das multilaterale Han<strong>de</strong>lssystem<br />
hervorbringt. Die Mehrheit <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r WTO sind Entwicklungslän<strong>de</strong>r. Wir streben an,<br />
ihre Bedürfnisse und Interessen in das Zentrum <strong>de</strong>s Arbeitsprogramms zu rücken, das in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Erklärung angenommen wird.»<br />
Aus <strong>de</strong>r WTO-Erklärung in Doha am 14. November 2001<br />
Mit diesen Worten begann die Verhandlungsrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welthan<strong>de</strong>lsorganisation (WTO) vor sieben Jahren.<br />
Stehen tatsächlich die wirtschaftliche Entwicklung, die Lin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Armut, die Bedürfnisse aller unserer<br />
Völker und die Vergrößerung <strong>de</strong>r Chancen für die Entwicklungslän<strong>de</strong>r im Zentrum <strong>de</strong>r gegenwärtigen Verhandlungen<br />
<strong>de</strong>r WTO in Genf?<br />
Wenn es so wäre, dann müssten die 153 Mitgliedsstaaten, vor allem die große Mehrheit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r,<br />
eine führen<strong>de</strong> Rolle spielen. Tatsächlich müssen wir in Genf erleben, wie Vertreter von 35 Län<strong>de</strong>rn<br />
durch <strong>de</strong>n WTO-Generaldirektor eingela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n, um die Abkommen dieser «Entwicklungsrun<strong>de</strong>» vorzubereiten.<br />
Die Verhandlungen in <strong>de</strong>r WTO haben sich in eine Schlacht <strong>de</strong>r entwickelten Län<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>ren<br />
große Unternehmen um die Marktöffnung <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r verwan<strong>de</strong>lt.<br />
Die Agrarsubventionen <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns, die hauptsächlich in die Taschen US-amerikanischer und europäischer<br />
Agrarunternehmen fließen, wer<strong>de</strong>n nicht nur aufrechterhalten, son<strong>de</strong>rn sie wer<strong>de</strong>n sogar aufgestockt, wie das<br />
jüngste Landwirtschaftsgesetz <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten zeigt. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r setzen die Zölle für ihre<br />
landwirtschaftlichen Erzeugnisse herab, während die Subventionen, die die USA o<strong>de</strong>r die EU für ihre Agrarprodukte<br />
gewähren, nicht verringert wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei <strong>de</strong>n Industriewaren versucht man in <strong>de</strong>n Verhandlungen <strong>de</strong>r WTO zu erreichen, dass die Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
Zollkürzungen von bis zu 60 Prozent vornehmen, während die entwickelten Staaten ihre Zölle nur um<br />
25 bis 33 Prozent verringern müssen. Für Län<strong>de</strong>r wie Bolivien wür<strong>de</strong> dies negative Effekte auf die Wettbewerbsfähigkeit<br />
ihrer Exporte haben. Diese Asymmetrie wird von <strong>de</strong>n entwickelten Län<strong>de</strong>rn nicht anerkannt<br />
und eine Politik zugunsten <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rt.<br />
In <strong>de</strong>n Verhandlungen wird darauf gedrängt, dass immer weitere Dienstleistungssektoren liberalisiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Dabei sollten solche grundsätzlichen Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung<br />
sowie Telekommunikation aus <strong>de</strong>m Allgemeinen Abkommen <strong>de</strong>r WTO über Dienstleistungen <strong>de</strong>finitiv<br />
ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Der Zugang zu diesen Bereichen ist ein Menschenrecht, das nicht Gegenstand von<br />
Han<strong>de</strong>ls- und Liberalisierungsregeln, die auf eine Privatisierung abzielen, sein kann.<br />
Die Deregulierung und Privatisierung <strong>de</strong>r Finanzmärkte ist eine <strong>de</strong>r Ursachen <strong>de</strong>r gegenwärtigen Weltfinanzkrise.<br />
Größere Liberalisierung in diesem Bereich wird nicht mehr Entwicklung zur Folge haben, son<strong>de</strong>rn<br />
eine größere Gefahr von Spekulation und Krisen in lebenswichtigen Bereichen wie <strong>de</strong>r Nahrungsmittelbranche.<br />
Die Regeln zu intellektuellem Eigentum, die von <strong>de</strong>r WTO etabliert wur<strong>de</strong>n, sind vor allem <strong>de</strong>n transnationalen<br />
Unternehmen zugute gekommen. Sie sichern sich Monopole auf Patente, weil sie dadurch die Preise<br />
von Medikamenten und an<strong>de</strong>ren wichtigen Produkten in die Höhe treiben können. Die Privatisierung und<br />
Vermarktung <strong>de</strong>s Lebens selbst wird geför<strong>de</strong>rt, wie die verschie<strong>de</strong>nen Eigentumsrechte auf Pflanzen, Tiere<br />
und selbst menschliche Gene beweisen.<br />
Überholte Dogmen<br />
Die ärmsten Län<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n Verlierer dieser Entwicklung sein. Die wirtschaftspolitischen Ausblicke auf ein<br />
mögliches WTO-Abkommen, selbst die <strong>de</strong>r Weltbank, zeigen, dass die akkumulierten Kosten durch <strong>de</strong>n<br />
Verlust von Arbeitsplätzen, die Beschränkungen nationaler politischer Autonomie und <strong>de</strong>n Verlust von Zolleinnahmen<br />
höher sein wer<strong>de</strong>n als <strong>de</strong>r Nutzen aus <strong>de</strong>n «Wohltaten» <strong>de</strong>r «Entwicklungsrun<strong>de</strong>».<br />
Nach sieben Jahren hängt die sogenannte WTO-Entwicklungsrun<strong>de</strong> noch immer Dogmen <strong>de</strong>r Vergangenheit
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an, anstatt <strong>de</strong>m Weltgeschehen gerecht zu wer<strong>de</strong>n, das sich vor unseren Augen abspielt: mit <strong>de</strong>r Ernährungskrise,<br />
<strong>de</strong>r Energiekrise, mit <strong>de</strong>m Klimawan<strong>de</strong>l und <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r kulturellen Vielfalt. Man macht die<br />
Welt glauben, dass man ein Abkommen brauche, um eine neue Lage zu bewältigen. Aber dieses Abkommen<br />
wi<strong>de</strong>rspiegelt die Realität nicht. Es ist nicht geeignet, die Probleme zu lösen.<br />
Studien <strong>de</strong>r Welternährungsorganisation (FAO) zeigen, dass es mit <strong>de</strong>n gegenwärtigen landwirtschaftlichen<br />
Produktivkräften möglich wäre, 12 Milliar<strong>de</strong>n Menschen zu ernähren, also beinahe das Doppelte <strong>de</strong>r gegenwärtigen<br />
Weltbevölkerung. Aber es gibt eine Ernährungskrise, weil nicht für das menschliche Wohl produziert<br />
wird, son<strong>de</strong>rn für <strong>de</strong>n Markt, die Spekulation und die Rentabilität <strong>de</strong>r großen Nahrungsmittelkonzerne.<br />
Um <strong>de</strong>r Ernährungskrise Herr zu wer<strong>de</strong>n, muss man die bäuerliche und kommunitäre Familienwirtschaft<br />
stärken. Wir, die Entwicklungslän<strong>de</strong>r, müssen das Recht zurückerobern, unsere Importe und Exporte zu regulieren,<br />
um die Ernährung unserer Bevölkerung zu sichern.<br />
Wir müssen auch Schluss machen mit <strong>de</strong>m Konsumstreben, <strong>de</strong>r Vergeudung und <strong>de</strong>m Luxus. Im ärmsten<br />
Teil <strong>de</strong>r Welt sterben je<strong>de</strong>s Jahr Millionen Menschen an Hunger. Im reichsten Teil <strong>de</strong>r Welt wer<strong>de</strong>n Millionen<br />
US-Dollar ausgegeben, um die Wohlstandskrankheiten zu bekämpfen. Wir leben im Überfluss, wir vergeu<strong>de</strong>n<br />
die natürlichen Ressourcen, und wir produzieren Müll, <strong>de</strong>r die Mutter Er<strong>de</strong> vergiftet.<br />
Die Län<strong>de</strong>r müssen <strong>de</strong>m Konsum <strong>de</strong>r lokalen Produktion Priorität einräumen. Ein Gut, das um die halbe<br />
Welt geht, um seinen Bestimmungsort zu erreichen, ist heute unter Umstän<strong>de</strong>n billiger als ein lokales Produkt.<br />
Aber wenn wir die Umweltkosten <strong>de</strong>s Transports dieser Ware mit in Rechnung stellen, <strong>de</strong>n Energieverbrauch<br />
und die Menge <strong>de</strong>r CO2-Emissionen, dann können wir nur zu <strong>de</strong>r Schlussfolgerung gelangen,<br />
dass es gesün<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Planeten und die Menschheit wäre, <strong>de</strong>m Verbrauch <strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>n Vorrang zu geben,<br />
was vor Ort produziert wird. […]<br />
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Damit die laufen<strong>de</strong>n WTO-Verhandlungen <strong>de</strong>r Entwicklung dienen, müsste die Welthan<strong>de</strong>lsorganisation die<br />
Beteiligung <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r an allen Treffen garantieren und mit <strong>de</strong>n exklusiven Zusammenkünften<br />
Schluss machen. Sie müsste Verhandlungen zugunsten <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r zulassen, in <strong>de</strong>nen die entwickelten<br />
Län<strong>de</strong>r effektive Zugeständnisse machen; sie müsste die Interessen <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r respektieren,<br />
in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>ren Fähigkeit zur Definition und Umsetzung nationaler Politik auf <strong>de</strong>n Gebieten Landwirtschaft,<br />
Industrie und Dienstleistungen nicht eingeschränkt wird; die WTO müsste wirksam die protektionistischen<br />
Maßnahmen und die Subventionen <strong>de</strong>r entwickelten Län<strong>de</strong>r reduzieren; das Recht <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
sichern, ihre entstehen<strong>de</strong>n Industrien so lange wie notwendig zu schützen, in <strong>de</strong>r gleichen Weise, wie<br />
es in <strong>de</strong>r Vergangenheit die industrialisierten Län<strong>de</strong>r getan haben; das Recht <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r garantieren,<br />
ihre Politik auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Dienstleistungen zu regulieren und zu <strong>de</strong>finieren, wobei ausdrücklich<br />
die genannten sozialen Grunddienstleistungen aus <strong>de</strong>m entsprechen<strong>de</strong>n Abkommen <strong>de</strong>r WTO ausgenommen<br />
sein sollen; die Monopole <strong>de</strong>r großen Unternehmen über das intellektuelle Eigentum begrenzen, <strong>de</strong>n Technologietransfer<br />
för<strong>de</strong>rn und die Patentierung jeglicher Lebensform verbieten; die Ernährungssouveränität <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r gewährleisten, in<strong>de</strong>m jegliche Beschränkung von Staatskompetenzen zur Regulierung <strong>de</strong>r Exporte<br />
und Importe von Nahrungsmitteln beseitigt wird; Maßnahmen ergreifen, die dazu beitragen, die Konsumsucht,<br />
die Vergeudung von Naturressourcen, <strong>de</strong>n Ausstoß von Treibhausgasen und die Produktion von Müll,<br />
<strong>de</strong>r die Mutter Er<strong>de</strong> schädigt, zu beschränken.<br />
Im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt kann eine «Entwicklungsrun<strong>de</strong>» nicht ausschließlich <strong>de</strong>m «Freihan<strong>de</strong>l» dienen. Sie muss<br />
einen Han<strong>de</strong>l för<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r zum Ausgleich zwischen <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>n Regionen mit <strong>de</strong>r Mutter Natur beiträgt.<br />
Der Han<strong>de</strong>l muss zugunsten <strong>de</strong>r nachhaltigen Entwicklung bewertet und korrigiert wer<strong>de</strong>n. Als Regierungen<br />
haben wir eine enorme Verantwortung für unsere Völker. Abkommen wie die <strong>de</strong>r WTO müssen breit<br />
bekanntgemacht und von allen Bürgern diskutiert wer<strong>de</strong>n, nicht nur von Ministern, Unternehmern und «Experten».<br />
Wir, die Völker <strong>de</strong>r Welt, müssen aufhören, uns zu Opfern dieser Verhandlungen machen zu lassen.<br />
Wir müssen zu Protagonisten unserer eigenen Gegenwart und Zukunft wer<strong>de</strong>n. •<br />
Quelle und Übersetzung: Botschaft <strong>de</strong>r Republik<br />
Bolivien, Berlin