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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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MENSCHENRECHTSJAHR '98<br />

EINE REPLIK<br />

Die Europäische Union und die Menschen<strong>recht</strong>e<br />

"Menschen<strong>recht</strong>srhetorik"<br />

oder "Menschen<strong>recht</strong>ssäule"?<br />

VON HANNES TRETTER<br />

In nicht wenigen europäischen Staaten werden heute Menschen<strong>recht</strong>e massiv<br />

und systematisch verletzt - in militärischen Konflikten, durch "ethnische<br />

Säuberungen", politische Verfolgung bis hin zu Mord und Folter und ausbeuterische<br />

wirtschaftliche Praktiken. In anderen Staaten, auch "alten<br />

Demokratien", erfolgen polizeiliche Übergriffe, werden Daten mißbraucht,<br />

führen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu Diskriminierungen, werden<br />

Frauen und Minderheiten benachteiligt, bewirkt eine restriktive AsylpoHtik<br />

Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen. Mit Staaten inner- und außerhalb Europas, die<br />

die Menschen<strong>recht</strong>e mit Füßen treten, werden ungeniert<br />

Wirtschaftsbeziehungen gepflogen, Waffen werden von und über EU-Staaten<br />

in kriegführende Regionen geliefert. Angesichts dieses Befunds muß sich die<br />

zukünftige Menschen<strong>recht</strong>spolitik Europas noch einiges einfallen lassen, um<br />

uropa hat zur Sicherung von Menschen<strong>recht</strong>en,<br />

Demokratie und Rechtsstaat­<br />

E<br />

lichkeit 1948 den Europarat gegründet und<br />

1950 die Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention<br />

(EMRK) verabschiedet, der mittlerweile<br />

alle 40 Mitgliedstaaten des Europarats<br />

beigetreten sind. Mit ihr wurde das im weltweiten<br />

Vergleich effektivste juristische Instrument<br />

zum Schutz ziviler und politischer<br />

Menschen<strong>recht</strong>e geschaffen, über dessen Einhaltung<br />

der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschen<strong>recht</strong>e wacht. Weitere menschen<strong>recht</strong>liche<br />

Spezialübereinkommen, etwa zur<br />

Verwirklichung sozialer Rechte, gegen Datenmißbrauch,<br />

zur Verhütung von Folter und<br />

"menschen<strong>recht</strong>sreif' zu werden.<br />

zum Schutz von Minderheiten folgten. Und<br />

die KSZE/OSZE entwickelte seit der politischen<br />

Wende 1989/90 - vor allem mit ihrer<br />

"Menschlichen Dimension", dem "Hochkommissar<br />

über nationale Minderheiten"<br />

und anderen Instrumenten der friedlichen<br />

Streitbeilegung und der Zusammenarbeit bei<br />

Gefährdungen des Friedens und der Sicherheit<br />

- Möglichkeiten, Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen<br />

präventiv durch Beobachtung und<br />

Vermittlung zu begegnen und am Aufbau<br />

von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mitzuwirken.<br />

Welche Rolle kommt aber der Europäischen<br />

Union (EU) in der Gewährleistung<br />

und Verwirklichung der Menschen<strong>recht</strong>e zu?<br />

Derzeit hat die EU im menschen<strong>recht</strong>lichen<br />

Bereich trotz etlicher Verbesserungen durch<br />

den Vertrag von Amsterdam (I) nicht viel zu<br />

bieten: Neben den sogenannten "vier Freiheiten"<br />

(Freiheit des Waren-,(2) Personen-,(3)<br />

Dienstleistungs-(4) und Kapitalverkehrs (5»,<br />

dem Kommunalwahl<strong>recht</strong> (6) und dem Wahl<strong>recht</strong><br />

zum Europäischen Parlament (7) sowie<br />

dem Diskriminierungsverbot (8) verfügt die<br />

EU über keine unmittelbar durchsetzbaren<br />

individuellen menschen<strong>recht</strong>lichen oder<br />

menschen<strong>recht</strong>sähnlichen Garantien.(9) Daran<br />

ändert auch die Tatsache nichts, daß sich<br />

Art 6 Abs 2 des EU-Vertrags (10) ausdrücklich<br />

zur Achtung der Grund<strong>recht</strong>e bekennt, wie<br />

sie in der Europäischen Menschen<strong>recht</strong>skonvention<br />

(EMRK) gewährleistet sind und wie<br />

sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen<br />

der Mitgliedstaaten als allgemeine<br />

Grundsätze des Gemeinschafts<strong>recht</strong>s<br />

ergeben,(ll) und daß Art 46lit d des EU-Vertrags<br />

den Europäischen Gerichtshof (EuGH)<br />

für zuständig erklärt, Handlungen der EU­<br />

Organe auf ihre Übereinstimmung mit Art 6<br />

Abs 2 zu überprüfen. Diese Bestimmung<br />

macht die EMRK nämlich nicht zu einem Bestandteil<br />

des EU-Rechts, sondern bestätigt<br />

auf primär<strong>recht</strong>licher Ebene lediglich die bisherige<br />

Rechtsprechung des EuGH, die sich<br />

schon früh an den europäischen menschen<strong>recht</strong>lichen<br />

Standards orientiert hat, wie sie<br />

vor allem in der EMRK niedergelegt sind.(12)<br />

Eine Möglichkeit, sich unmittelbar auf die<br />

Rechte der EMRK vor dem EuGH zu berufen,<br />

gibt es also nicht.<br />

Einen bemerkenswerten Schritt zur Ahndung<br />

schwerwiegender und anhaltender<br />

Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen (und sonstiger<br />

in Art 6 Abs 1 des EU-Vertrags genannten<br />

Grundsätze) durch einen Mitgliedstaat stellt<br />

der Art 7 des EU-Vertrags dar: Aufgrund<br />

dieser Bestimmung kann der Rat (in der Zusammensetzung<br />

der Staats- und Regierung-<br />

(1) Siehe dazu Thun-Hohenstein, Der Vertrag<br />

von Amsterdam, 1997,25 ff; sowie Hummer, Der<br />

Schutz der Grund- und Menschen<strong>recht</strong>e in der<br />

Europäischen Union, in: Hummer (Hrsg), Die<br />

Europäische Union nach dem<br />

Vertrag von Amsterdam, 1998, 71 ff<br />

(2) Siehe Art 23 ff EG-Vertrag.<br />

(3) Siehe Art 18, 39 ff und 43 f EG-Vertrag.<br />

(4) Siehe Art 49 ff EG-Vertrag.<br />

(5) Siehe Art 56 ff EG-Vertrag.<br />

(6) Siehe Art 8b Abs 1 EG-Vertrag.<br />

(7) Siehe Art 8b Abs 2 EG-Vertrag.<br />

(8) Siehe Art 12 iVm Art 13 des EG-Vertrags in<br />

der Fassung des Vertrags von Amsterdam, wonach<br />

der Rat im Rahmen der Zuständigkeit der Gemeinschaft<br />

auf Vorschlag der Kommission und<br />

nach Anhörung des Parlaments einstimmig geeig-<br />

40<br />

nete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen<br />

aus Gründen des Geschlechts, der Rasse,<br />

der ethnischen Herkunft, der Religion oder der<br />

Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters<br />

oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.<br />

Darüber hinaus enthält der E G-Vertrag noch<br />

weitere, spezielle Diskriminierungsverbote in Art<br />

34Abs 2 und Art 119.<br />

(9) Siehe aber darüber hinausgehende Neuerungen,<br />

die den erhöhten Stellenwert der Grund- und<br />

Menschen<strong>recht</strong>e im Vertrag von Amsterdam zeigen,<br />

bei Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam,<br />

1997, 25 ff<br />

(10) In der Fassung des Vertrags von Amsterdam.<br />

Diese Bestimmung entsprach schon dem Art F Abs<br />

2 des Vertrags von Maastricht.<br />

(11) Schon früh hat der EuGH in Luxemburg eine<br />

Rechtsprechung entwickelt, die sich an den europäischen<br />

menschen<strong>recht</strong>lichen Standards orientiert,<br />

wie sie vor allem in der EMRK niedergelegt<br />

sind.<br />

(12) Eine diesbezügliche ausdrückliche Zuständigkeit<br />

fehlte im Vertrag von Maastricht und<br />

wurde erst im Vertrag von Amsterdam eingefügt.<br />

Vgl dazu aus der Literatur: Thun-Hohenstein,<br />

Der Vertrag von Amsterdam, 1997, 22; Griller,<br />

Grund<strong>recht</strong>sschutz in der EU und in Österreich,<br />

in: Verhandlungen des Zwölften Österreichischen<br />

Juristentages Wien 1994, Verfassungs<strong>recht</strong> -<br />

Rechtssetzung unter besonderer Bedachtnahme<br />

auf den demokratischen und <strong>recht</strong>sstaatlichen<br />

Aspekt, 1995, 20f; Rodriguez Iglesias, Grund<strong>recht</strong>sschutz<br />

im Europäischen Gemeinschafts<strong>recht</strong><br />

nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der<br />

Juridikum 1/99

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