Download Leseprobe - Universität Vechta
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Runde. Auch ein Labeling-Verständnis, innerhalb dessen Zuschreibungen als von<br />
Defintionsmächtigen betriebenes Sprachspiel operieren, verliert demnach an Erklärungskraft, wenn<br />
Sicherheit ubiquitär wird. Stellenweise mündete diese Krise in eine Abkehr von einer antiessentialistischen<br />
oder kritischen Annäherung an Kriminalität und Kontrolle. Verstärkt wurden Fragen<br />
von Anomie, Desintegration und gesellschaftlicher Exklusion, also soziale Strukturen, als<br />
unabhängige Variablen wiedereingeführt oder in Popularisierungen einer antagonistischen „Winner-<br />
Loser-Kultur“ thematisiert. Die neue Kultur der Kontrolle oder aber der „transgressionalism“ (Rigakos<br />
2008) erschließen aus der Sicht der bundesdeutschen Kriminologie relativ einheitlich und eben nicht,<br />
wie in der weiter oben angedeuteten Leseweise der Cultural Studies als umkämpfte Räume zwischen<br />
unterschiedlichen Lebensweisen. Schaut man allerdings über den bundesdeutschen Tellerrand hinaus<br />
nach Großbritannien oder in die Vereinigten Staaten, lassen sich, neben den sicherlich dominierenden<br />
Großtheorieversuchen im Sinne einer veränderten Gouvernementalität oder Regulation (Garland 2001,<br />
Simon 2007, Wacquant 2000), kulturwissenschaftliche und ethnographische Annäherungen an das<br />
Themenfeld auffinden, die ihrerseits an die klassischen Studien der Chicago School oder die New<br />
Criminology andocken. Weiterhin rekurrieren sie auf unterschiedlichen Theoriesträngen der Cultural<br />
Studies. Kriminalität, Abweichung und soziale Kontrolle werden entlang ihrer unterschiedlichen, zum<br />
Teil widersprüchlichen Formierungen im spätmodernen Alltag rekonstruiert. Alltag oder eine<br />
Veralltäglichung von Abweichung und Kontrolle werden zu neuen Schlüsselkategorien der<br />
Kriminologie. Die möglichen Definitionsversuche, was denn genau Alltag und eine entsprechend<br />
reflexive Sozialwissenschaft umfassen könnte, sind in Gänze kaum zu rekonstruieren. Entsprechend<br />
soll hier eine Arbeitsdefinition vorgeschlagen werden, die zwar nicht der Cultural Criminology<br />
entstammt, aber dennoch offensichtlich macht, was denn nun Alltag auch in kriminologischen<br />
Fragestellungen meinen könnte. Folgt man dem Historiker Alf Lüdtke (1989, ähnlich de Certeau 1988,<br />
Maffesoli 2004) könnte eine für den Alltag sensible Sozialwissenschaft das Deuten, Handeln und<br />
Leiden derer in den Mittelpunkt stellen, die man gemeinhin als die „kleinen Leute“ beschreibt: „Es<br />
geht um ihr Arbeiten und Nicht-Arbeiten. Geschildert werden Wohnen und Wohnungslosigkeit,<br />
Kleidung und Nacktheit, Essen und Hungern. Das Interesse gilt dem Lieben und Hassen, dem Streiten<br />
und Kooperieren, den Erinnerungen, Ängsten und Zukunftserwartungen. Bei Alltagsgeschichte richtet<br />
sich die Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die Taten (oder Untaten), auf das Gepränge der<br />
>>GroßenVerausgabung