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WellHotel 2-2014

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Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Mythen im Tourismus ]<br />

h<br />

Mythos 2:<br />

Gästebefragungen<br />

liefern zuverlässige<br />

Informationen<br />

darüber,<br />

was Gäste<br />

wirklich<br />

wollen.<br />

«««<br />

äufig finden Hotelgäste auf ihren<br />

Zimmern kleine Kärtchen oder Fragebögen<br />

vor, auf denen sie Unterkunft,<br />

Service, die Qualität des Essen<br />

und einiges mehr beurteilen<br />

sollen. Viele tun dies; manche, weil<br />

sie nichts Besseres zu tun haben,<br />

manche in der Erwartung, auf diese<br />

Weise womöglich etwas zur Verbesserung<br />

des Angebotes (oder exakter:<br />

zur Ausrichtung des Hotelangebotes<br />

gemäß ihren persönlichen Vorlieben)<br />

beitragen zu können.<br />

Manche Gäste freuen sich, durch<br />

solche Aktionen ihrer Zufriedenheit<br />

Ausdruck zu verleihen und Lob auszusprechen,<br />

und andere nutzen die<br />

Gelegenheit, um sich ihren Ärger<br />

von der Seele zu kreuzeln (soll angeblich<br />

häufiger vorkommen). Und<br />

viele Hotelbetreiber verbinden damit<br />

vor allem die Hoffnung, mit Hilfe<br />

von in der Regel kurzen, auswertungsfreundlichen<br />

und vor allem<br />

kostengünstigen Befragungen mögliche<br />

Schwachstellen und Verbesserungspotenziale<br />

zu entdecken.<br />

Dagegen wäre gar nichts einzuwenden,<br />

nur ist ziemlich strittig,<br />

inwieweit sich mit solchen Fragebogen<br />

repräsentative, gültige oder<br />

gar tiefere Einsichten gewinnen lassen.<br />

Zumindest sollte man sich ihrer<br />

Grenzen bewusst sein. Sozialforscher<br />

weisen gerne auf einige Probleme<br />

hin:<br />

Zum einen sind diejenigen, die<br />

die Kärtchen ausfüllen, kaum repräsentativ<br />

für alle; in der Regel beteiligen<br />

sich dabei vor allem die, die sehr<br />

zufrieden oder sehr unzufrieden<br />

waren. Das breite Mittelfeld der mäßig<br />

Zufriedenen ist zugunsten der<br />

stark Begeisterten oder stark Frustrierten<br />

unterrepräsentiert. Die Befragung<br />

ist mehr oder weniger nicht<br />

repräsentativ, taugt also streng genommen<br />

nichts.<br />

Es gibt keine Kontrolle der Erhebungssituation.<br />

Es wird nicht berücksichtigt,<br />

ob der Gast die Kreuzchen<br />

alleine oder in Absprache mit<br />

dem Partner macht.<br />

Je länger der ausliegende Fragebogen<br />

ist, um so eher ist auch ein<br />

Abflauen der Motivation nach wenigen<br />

Minuten bzw. bei der ersten<br />

nicht ganz so einfach zu beantwortenden<br />

Frage bzw. Formulierung<br />

zu befürchten. Schlimmer noch, es<br />

kann auch Ärger angesichts von Unzulänglichkeiten<br />

dieser Fragebogen<br />

(z. B. wegen schwer verständlicher,<br />

etwa abstrakter Formulierungen)<br />

entstehen, die gar nichts mit der<br />

Qualität der eigentlichen Dienstleistung<br />

zu tun haben, wodurch wiederum<br />

das Ergebnis „verzerrt“ wird.<br />

Methodentechnisch ist es übrigens<br />

keineswegs egal, ob man etwa<br />

drei feste Antwortvorgaben (z. B.<br />

„zufrieden“ - „neutral“ – „unzufrieden“)<br />

einbaut, vier, fünf, oder sogar<br />

sieben, denn: je mehr Antwortvorgaben,<br />

um so feiner die Ergebnisse.<br />

Achtung: Auch wenn viele Hoteliers<br />

die Kategorie „kann ich nicht beurteilen“<br />

lieber weglassen wollen,<br />

ist das problematisch, weil, wie man<br />

in der Sozialwissenschaft weiß, es<br />

überhaupt keine leichte Aufgabe für<br />

den durchschnittlichen Gast ist, etwa<br />

die Freundlichkeit des aus mehreren<br />

Personen bestehenden Personals<br />

unterschiedlicher<br />

Abteilungen (Rezeption,<br />

Spa, Restaurant<br />

etc.) summarisch einzuschätzen.<br />

Und was<br />

soll der Gast etwa machen,<br />

wenn die Qualität<br />

nicht genutzter Angebote<br />

zur Bewertung<br />

ansteht? Er sollte also<br />

die Möglichkeit haben,<br />

„weiß ich nicht“ o. ä.<br />

anzukreuzen.<br />

Die häufig den Befragten<br />

zugesicherte<br />

Anonymität hat zwar<br />

den möglichen Vorteil,<br />

mehr Antworten zu generieren,<br />

aber auch ihre Nachteile: Oft<br />

fühlen sich „Spaßvögel“ zu witzigen<br />

Bemerkungen herausgefordert und<br />

produzieren nur Blödsinn.<br />

Hoteliers aufgepasst! Befragte<br />

tendieren häufig dazu, in Richtung<br />

(vermuteter) sozialer Erwünschtheit<br />

zu antworten, vor allem dann,<br />

wenn der ausliegende Fragebogen<br />

vorsieht, dass der Gast Namen<br />

oder Adresse hinterlassen möge<br />

(was ja sinnvoll sein kann, um ihn<br />

werbetechnisch zu kontaktieren,<br />

oder aber auf Beschwerden zu antworten).<br />

Diese seit Jahrzehnten als<br />

grundsätzliches Defizit von Fragebogen<br />

bekannte soziale Erwünschtheit<br />

bedeutet zum einen, dass der<br />

Antwortende beim Initiator bzw.<br />

Auftraggeber einen guten Eindruck<br />

von der eigenen Person hinterlassen<br />

will (egal, was er wirklich meint)<br />

und zum anderen, dass er sich gut,<br />

d. h. in Übereinstimmung mit dem<br />

eigenen (in der Regel positiven)<br />

Selbstbild darstellen will. In jedem<br />

Fall werden die Antworten verzerrt.<br />

Ein typisches Beispiel dafür sind<br />

Fragen dazu, wie aktiv man sein will<br />

oder gewesen ist, konkret solche zur<br />

Nutzung des Fitness- / Sport- / Aktivitäts-Angebotes.<br />

Unterstellt man<br />

wie der österreichische Kriminologe<br />

Hans Gross (1847-1915), dass (neben<br />

Egoismus und Faulheit) die Eitelkeit<br />

zu den drei wichtigsten Triebfedern<br />

menschlichen Handelns gehört,<br />

so bedarf es keiner weiteren<br />

Erklärung, dass auch etwas unsportliche<br />

Gäste selten zugeben werden,<br />

die vorhandenen Sportmöglichkeiten<br />

nicht bewerten zu können, obwohl<br />

sie diese schlicht überhaupt<br />

nicht genutzt haben.<br />

Nicht unproblematisch sind<br />

auch die Reaktionen auf die häufig<br />

gestellte Frage, ob die Zimmer- und<br />

Restaurantpreise für zu hoch gehalten<br />

werden: Viele Gäste werden dies<br />

nicht zugeben, weil sie befürchten,<br />

als geizig, arm oder provinziell angesehen<br />

zu werden. Da Verreisen,<br />

Hotelaufenthalt und Genießen vielfach<br />

prestigehaltige Angelegenheiten<br />

sind, wird man also auch aus<br />

diesem Grund bei Befragungen immer<br />

von einem starken Trend in<br />

Richtung sozialer Erwünschtheit<br />

ausgehen müssen – was letztlich die<br />

sog. Validität, also die Gültigkeit der<br />

Ergebnisse, erheblich infrage stellt.<br />

Wie gültig also die erlangten Ergebnisse<br />

sind, ist höchst fraglich.<br />

20<br />

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