Wir bewegen - Landesturnverband Sachsen-Anhalt
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Verbandsleben<br />
Olympische Spiele<br />
London 2012 – eine Bilanz<br />
DTB-Präsident Rainer Brechtken zur Diskussion um die Weiterentwicklung<br />
des deutschen Spitzensports nach London und über grundlegende<br />
Herausforderungen in der Struktur des Spitzensports (Auszug)<br />
Nach dem unerwarteten Ausbleiben von<br />
Medaillenerfolgen in einigen Sportarten<br />
kam es im Verlauf der Olympischen Spiele<br />
2012 in London zu Diskussionen, die Strukturen<br />
des Sports in Deutschland grundlegend<br />
auf den Prüfstand zu stellen, um die internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
Deutschlands im Nationen-<br />
Medaillenspiegel zu erhöhen.<br />
Ich plädiere sehr entschieden<br />
für eine ruhige, überlegte und<br />
nicht in erster Linie von Einzelinteressen<br />
getragenen Analyse der<br />
Ergebnisse von London. Dabei<br />
muss auch sehr genau unterschieden<br />
werden, ob unzureichende<br />
sportliche Leistungen<br />
Ergebnisse von strukturellen Defiziten des<br />
Sports sind oder aber im Einzelfall auch auf<br />
individuelle Fehler auf der Ebene Team, Trainer/in<br />
und Athlet/-in zurückzuführen sind,<br />
etwa bei der optimalen Vorbereitung auf den<br />
Saisonhöhepunkt. Die saubere Trennung ist<br />
deshalb notwendig, weil sonst gegebenenfalls<br />
durch individuelle, trainingswissenschaftliche<br />
Fehlleistungen Strukturdiskussionen in Gang<br />
gesetzt werden, die zu Fehlschlüssen führen.<br />
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich<br />
bin immer dafür zu haben, Entwicklungen<br />
und Strukturen hin und wieder zu überprüfen<br />
und grundlegend in Frage zu stellen. Nur<br />
sollte dies fundiert und nicht oberflächlich<br />
und schlagzeilenträchtig erfolgen.<br />
In diesem Zusammenhang sind die vom<br />
Bundesministerium des Innern (BMI) veröffentlichten<br />
Zielvereinbarungen des Deutschen<br />
Olympischen Sportbundes (DOSB) als „Instrument<br />
der Planwirtschaft“ in die Schlagzeilen<br />
geraten, weil dort als Ziel eine Vielzahl von<br />
Medaillen prognostiziert wurden, die bei den<br />
Olympischen Spielen nicht realisiert werden<br />
konnten. Ich bin damit einverstanden, dass<br />
man auch hier das eine oder andere Verfahren<br />
überprüft auf Optimierung, aber zunächst<br />
muss man sich der Mühe unterziehen, das<br />
System als Ganzes nachzuvollziehen.<br />
Der Deutsche Olympische Sportbund hat<br />
seine Förderstruktur durch Beschluss seiner<br />
Mitgliederversammlung – also aller Verbände<br />
– bereits vor dem letzten Olympiazyklus<br />
grundsätzlich geändert. Damit hat der<br />
organisierte Sport in Wahrung seiner Autonomie<br />
ein Instrumentarium entwickelt,<br />
das den Anforderungen der<br />
Leistungsentwicklung im Sport<br />
durch Förderung mit öffentlichen<br />
Mitteln gerecht werden sollte.<br />
Die Förderstruktur basiert auf<br />
dem Prinzip einer Grundförderung<br />
und Basis bisher erbrachter<br />
Leistungen sowie Förderung auf<br />
der Grundlage erkennbarer Leistungsentwicklung<br />
und konkreter<br />
Projekte für die Leistungsentwicklung. Die<br />
vieldiskutierten Zielvereinbarungen sind hier<br />
das Instrument, um eine Objektivierbarkeit<br />
des konkreten Handelns der einzelnen Verbände<br />
zu erreichen.<br />
Die Zielvereinbarungen sind eine Absprache<br />
zwischen dem DOSB, der die Gesamtkoordination<br />
der zur Verfügung gestellten Mittel<br />
innerhalb des Sportsystems garantiert, und<br />
den einzelnen Fachverbänden. Der Geldgeber<br />
Bund prüft seinerseits zu Recht die<br />
Plausibilität der prinzipiellen Fördergrundsätze.<br />
Und wenn er diese nachvollziehen<br />
kann, dann fördert er entsprechend den<br />
Vorschlägen der zwischen DOSB und den<br />
Fachverbänden vereinbarten Maßnahmen.<br />
Insofern ist die Zielvereinbarung eine im inneren<br />
Verhältnis liegende Absprache über<br />
die Arbeitsweise und ein notwendiges Instrument<br />
der Überprüfung der Professionalität<br />
der Arbeit der Verbände.<br />
Dass bei der Verabredung der Ziele auch<br />
Medaillenzahlen angegeben werden, halte<br />
ich dabei nicht für falsch. Man muss schon im<br />
internationalen Vergleich, natürlich ausgehend<br />
von einer realistischen Vergleichsbasis,<br />
derartige Ziele festlegen. Dabei darf man sie<br />
gleichzeitig nicht überbewerten. Gegebenenfalls<br />
muss festgehalten werden, dass der<br />
Verband seine Ziele und seine professionelle<br />
Arbeit nachweisen kann, auch wenn mal ein<br />
vierter Platz statt einer Medaille erreicht<br />
wird.<br />
Für völlig abwegig halte ich es, auf ein<br />
solches Instrument zu verzichten oder zu<br />
fordern, der Bund solle jeden einzelnen Verband<br />
direkt fördern. <strong>Wir</strong> müssen als organisierter<br />
Sport schon unsere Hausaufgaben<br />
machen. Die Autonomie des Sports muss<br />
sich hier bewähren. Deshalb brauchen wir<br />
jetzt einen offenen, transparenten Diskussionsprozess<br />
im Sport. <strong>Wir</strong> können durchaus<br />
auch innerhalb des Sports voneinander<br />
lernen. Für die Diskussion empfehle ich dringend,<br />
die einzelnen Sportarten sehr differenziert<br />
zu betrachten. Probleme im einen<br />
Bereich dürfen durch Erfolge im anderen<br />
Bereich nicht überdeckt werden. Turnen und<br />
Rhythmische Sportgymnastik sind völlig unterschiedliche<br />
Bereiche. Werfen, Mehrkampf<br />
und Lauf sind in der Leichtathletik unterschiedlich<br />
zu betrachten. Auch ein Blick auf<br />
die Zahl der Wettbewerbe in Relation zu der<br />
Zahl der Medaillen in den Sportarten ist aufschlussreich.<br />
Gefordert ist jetzt der kritische<br />
Blick auf den eigenen Bereich im Sport.<br />
Völlig unabhängig von einzelnen Ergebnissen<br />
im Spitzensport ist die Frage zu beantworten,<br />
warum wir uns im Spitzensport<br />
engagieren? Was ist die Grundausrichtung?<br />
Erster Aspekt: Spitzensport in unserer<br />
Gesellschaft ist ein Bekenntnis zur Leistung.<br />
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Probleme sind nur mit Leistungsbereitschaft<br />
zu lösen. Allerdings Leistung mit Verantwortung<br />
und Regeln!<br />
Zweiter Aspekt: das Prinzip der Talentförderung.<br />
Jeder junge Mensch mit einem sportlichen<br />
Talent hat Anspruch auf Förderung.<br />
Maßstab ist die Weltspitzenleistung. In der<br />
Musik, der Kunst, der Wissenschaft ist dies<br />
selbstverständlich, und das muss auch für<br />
den Sport gelten. Deshalb ist eine Medaille<br />
das Ergebnis von Talentförderung und nicht<br />
Selbstzweck.<br />
Diese Kern-Aussage ist eine wichtige<br />
Richtschnur in der öffentlichen Diskussion<br />
für die Beantwortung der Grundfrage, die<br />
lautet: Sollen wir uns auf einige wenige Sportarten<br />
in der Förderung konzentrieren, in<br />
denen möglichst viele Medaillenerfolge<br />
kurzfristig zu erwarten sind? Andere Länder<br />
arbeiten nach diesem Prinzip. Wer nur auf<br />
den Medaillenspiegel schaut, wird möglicherweise<br />
zu dieser Antwort kommen.<br />
4<br />
TURN-Magazin 2/2012