28.04.2014 Aufrufe

Gicht und Bekenntnis oder - Luther in Braunschweig

Gicht und Bekenntnis oder - Luther in Braunschweig

Gicht und Bekenntnis oder - Luther in Braunschweig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

63. Jg./Nr. 6 ISSN 2192-1474 Okt. /Nov. 2013<br />

- Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe -<br />

Zum Reformationsgedenken: <strong>Luther</strong> am Altar


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

„Der Gerechte ist#auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Tod getrost.“<br />

Sprüche 14, 32<br />

Wenn der Tod nicht wäre, würde die Sünde nimmer untergehen;<br />

darum wird eben damit der Sünde endlich gewehret,<br />

<strong>und</strong> ist sonst ke<strong>in</strong> Rat, sie los zu werden. Solche gnädige<br />

<strong>und</strong> heilsame Strafe gibt er uns, daß die Sünde durch den Tod<br />

erwürget werde. Darum sollen wir solches mit Freuden auf-ehmen<br />

<strong>und</strong> tragen als von e<strong>in</strong>em gnädigen Vater, wie denn auch tun die<br />

Gläubigen. Denn so gut ist der Vater, daß auch der Tod muß dienen<br />

zu töten <strong>und</strong> auszurotten alles Unglück.<br />

Derhalben der Tod nun nichts ist denn lauter Gnade, ja e<strong>in</strong> Anfang<br />

des Lebens. Denn nachdem er machet, daß die Seele geneset, so muß<br />

das leibliche Wesen, was da ist Krankheit, Fährlichkeit (=Gefahr),<br />

Mühe <strong>und</strong> Arbeit, alles dienen zum Besten, das nicht besser zu wünschen<br />

wäre.<br />

Denn Adam der muß sterben <strong>und</strong> verwesen, ehe denn Christus ganz<br />

erstehe; <strong>und</strong> das hebet an das bußfertige Leben, <strong>und</strong> wird vollbracht<br />

durch das Sterben. Darum ist der Tod e<strong>in</strong> heilsames D<strong>in</strong>g allen denen,<br />

die an Christum glauben; denn er tut nichts anders denn (=als)<br />

verweset <strong>und</strong> zerpulvert alles, was aus Adam geboren ist, auf daß<br />

Christus alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> uns sei.<br />

aus e<strong>in</strong>er Predigt Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong>s<br />

BRÜDERN - RUNDBRIEF für Christen Augsburgischen <strong>Bekenntnis</strong>ses -<br />

verantwortlich herausgegeben von Pfarrer Frank-Georg Gozdek,<br />

Alter Zeughof 3, D-38100 <strong>Braunschweig</strong> - Tel.: 0531/44223<br />

E-Mail: bruedern@luther-<strong>in</strong>-bs.de - Internet: http://www.luther-<strong>in</strong>-bs.de/<br />

Der Brüdern-R<strong>und</strong>brief ersche<strong>in</strong>t zweimonatlich. Interessenten können ihn auch auf<br />

dem Postweg beziehen. Zur F<strong>in</strong>anzierung wird e<strong>in</strong>e Spende erbeten (etwa 16,-<br />

Euro jährlich). Bestellungen an den Herausgeber.<br />

Neues Konto des Brüdern-R<strong>und</strong>briefes:<br />

Postgiroamt Hannover (BLZ 25010030), Nr.276409-309<br />

Kontobezeichnung: „Frank-Georg Gozdek - Sonderkonto R<strong>und</strong>brief“.<br />

Der Inhalt von Artikeln <strong>oder</strong> Beiträgen aus anderen Blättern, die im Brüdern-<br />

R<strong>und</strong>brief unkommentiert zum Abdruck kommen, verdient nicht immer unsere<br />

Zustimmung, wohl aber e<strong>in</strong> gewisses Maß an Interesse der Leser.<br />

In eigenen Beiträgen verwendet der Herausgeber gr<strong>und</strong>sätzlich die herkömmliche<br />

deutsche Rechtschreibung, die dem kunstvoll ausgeprägten Charakter unserer<br />

Sprache am besten entspricht. ISSN 2192-1474<br />

2


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Womit die Kirche steht <strong>und</strong> fällt<br />

E<strong>in</strong> Väterwort zum Reformationstag<br />

Mit wahrhaftigem Glauben ergriffen, ist diese hochgöttliche<br />

Lehre von der unbegründeten Rechtfertigung<br />

des sündigen Menschen vor dem Throne<br />

GOTTES durch Christus, die feste Burg der christlichen<br />

Religion. Sie ist das Band, durch das alle Teile des Ganzen der<br />

christ-lichen Lehre zusammengehalten werden, <strong>und</strong> wodurch,<br />

ist es e<strong>in</strong>mal zerrissen, alle übrigen Glaubensartikel sich<br />

verzerren <strong>und</strong> auflösen.“<br />

Im late<strong>in</strong>ischen Orig<strong>in</strong>al:<br />

„Div<strong>in</strong>issima haec de gratuita hom<strong>in</strong>is peccatoris per Christum,<br />

vera fide apprehensum, coram tribunali DEI justificatione doctr<strong>in</strong>a,<br />

Akropolis est totius Christianae Religionis ac nexus, quo omnia<br />

corporis doctr<strong>in</strong>ae Christianae membra cont<strong>in</strong>entur, quoque rupto,<br />

luxantur et solvuntur reliqui articuli omnes.“<br />

(aus: Johann Andreas Quenstedt,<br />

Theologia didactico-polemica, III, 514b.)<br />

Johann Andreas Quenstedt, geboren 1617 zu Quedl<strong>in</strong>burg, seit<br />

1649 Professor <strong>in</strong> Wittenberg <strong>und</strong> seit 1684 Propst der Stiftskirche,<br />

gestorben am 22. Mai 1684, war e<strong>in</strong>er der bedeutendsten Theologen<br />

aus der Zeit der lutherischen Orthodoxie. Unermüdlich setzte er sich<br />

wie se<strong>in</strong> Lehrer, der große Wittenberger Theologe Abraham Calov,<br />

als bewußt lutherischer Theologe für Lehre <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong> der<br />

rechtgläubigen Kirche Augsburgischer Konfession e<strong>in</strong>. Wegen se<strong>in</strong>er<br />

Frömmigkeit <strong>und</strong> Gelehrsamkeit weit über se<strong>in</strong>e Zeit h<strong>in</strong>aus hoch<br />

angesehen, gilt er bis heute als „Archivar der Orthodoxie“. Se<strong>in</strong><br />

Hauptwerk ist die „Theologia didactico-polemica sive Systema<br />

theologicum“ (1685 ff.), e<strong>in</strong>e äußerst umfängliche Darlegung <strong>und</strong><br />

Verteidigung der lutherischen Lehre, der unser Zitat entstammt.<br />

3


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

<strong>Gicht</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong><br />

<strong>oder</strong>: die Macht des Wortes<br />

Vorwort des Herausgebers<br />

„<strong>und</strong> sie brachten zu ihm e<strong>in</strong>en, der war gichtbrüchig.“<br />

(Matthäus 9, 2)<br />

Der Anfall kam mitten <strong>in</strong> der Nacht. E<strong>in</strong> starker Schmerz im<br />

l<strong>in</strong>ken Fuß. Bösartig sich steigernd, schlafraubend. Dabei<br />

hatte sich die <strong>Gicht</strong> schon vorher angekündigt. Doch die<br />

Schübe waren schnell vorbei gewesen. Aber nun? Wie heißt es doch<br />

im Evangelium (Matthäus 8, 6): „Herr, me<strong>in</strong> Knecht liegt zu Hause<br />

<strong>und</strong> ist gichtbrüchig <strong>und</strong> hat große Qual.“ – Allerd<strong>in</strong>gs, große Qual!<br />

Kaum mehr gehen können, jeder Schritt, jede Bewegung e<strong>in</strong>e Marter,<br />

selbst mit Krückstock. Aber vielleicht soll’s ja so se<strong>in</strong>, denke ich –<br />

auch das ist e<strong>in</strong>e Weise, das Evangelium <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Menschen besser<br />

zu verstehen. Und überhaupt – ich bef<strong>in</strong>de mich ja <strong>in</strong> bester Gesellschaft.<br />

Schleppe mich mit e<strong>in</strong>er der archaischen Krankheiten der<br />

Menschheit durch den Tag. Sie begegnet uns <strong>in</strong> der Bibel. Auch vorher<br />

schon – wir f<strong>in</strong>den sie überall. Und nicht nur das – sie adelt! E<strong>in</strong>e<br />

typische Wohlstandskrankheit, die nicht umsonst „Krankheit der<br />

Könige“ heißt. Ludwig XIV, der Sonnenkönig, hatte sie, <strong>und</strong> wird<br />

se<strong>in</strong>e Tage dann gar nicht mehr so sonnig empf<strong>und</strong>en haben. Trotz<br />

Versailles, der Musik von Lully <strong>und</strong> den Komödien von Molière.<br />

Friedrich der Große litt an ihr, sogar ziemlich unangenehm. War ja<br />

auch ke<strong>in</strong> W<strong>und</strong>er, da er auf den Gewaltmärschen des Siebenjährigen<br />

Krieges mit se<strong>in</strong>en Soldaten lebte <strong>und</strong> litt. Doch sei ihm wie ihm<br />

wolle. Jedenfalls komme ich mir mit me<strong>in</strong>em Krückstock <strong>in</strong> der<br />

Hand manchmal vor wie der Alte Fritz bei der Schlacht von Kunersdorf.<br />

Oder besser, wie Otto Gebühr <strong>in</strong> alten Fridericus-Filmen der<br />

UFA.<br />

Natürlich, immer wieder zum Arzt. Untersuchungen, Verbände,<br />

Spritzen. Beim Röntgen stellen sie am Knochen etwas fest, was da<br />

nicht h<strong>in</strong>gehört. Wohl nichts Bösartiges. Aber man kann ja nie wissen!<br />

Also – unter die Röhre mit dem Fuß, nachschauen was los ist.<br />

4


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Mulmig wird mir schon, wie ich beim Arzt sitze <strong>und</strong> auf das Ergebnis<br />

warte: „Ich glaube, Herr, hilf me<strong>in</strong>em Unglauben.“ (Markus 9,<br />

24) – Und dann, gelobt sei Gott, gutartig!: „Sei getrost me<strong>in</strong> Sohn,<br />

dir s<strong>in</strong>d de<strong>in</strong>e Sünden vergeben. – Gehe h<strong>in</strong>, dir geschehe, wie du geglaubt<br />

hast.“ (Matthäus 9,2/ 8, 13)<br />

Und dazwischen, e<strong>in</strong>e gute Woche lang – alles auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum<br />

herabgeschraubt, so wenig Dienst wie möglich. Viel liegen, also viel<br />

Zeit zum Nachdenken <strong>und</strong> Lesen. E<strong>in</strong>s möchte ich doch wissen: was<br />

hat es mit der <strong>Gicht</strong> auf sich? Woher kommt das Wort? Und wie<br />

hängt es zusammen mit der „Urgicht“, die <strong>in</strong> der altdeutschen Rechtsprechung<br />

so wichtig war? Jetzt, ehrlich gesagt, kl<strong>in</strong>gt mir dieses<br />

Wort „Urgicht“ bei me<strong>in</strong>en schmerzenden Knochen freilich eher<br />

nach Folter, spanischen Stiefel, Daumenschrauben <strong>und</strong> ähn-lichen<br />

unfre<strong>und</strong>lichen Begleitumständen altertümlicher Rechtspflege.<br />

Also – schau <strong>in</strong>s Lexikon! Am besten <strong>in</strong> e<strong>in</strong> altes. Da s<strong>in</strong>d sie oft<br />

gründlicher als heute. Gut, ich greife zu Hübners „Curiösem <strong>und</strong><br />

Realem Natur- Kunst- Berg- Gewerk- <strong>und</strong> Handlungslexicon“ von<br />

1755. Was f<strong>in</strong>de ich? „Podagra, die <strong>Gicht</strong> <strong>oder</strong> das Zipperle<strong>in</strong>, an den<br />

Füssen, ist nach e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung 1. e<strong>in</strong>e saltzichte .... Substantz, so aus<br />

den fleischichten Theilen fliesset, <strong>und</strong> <strong>in</strong> die .... Gelencke sich wieder<br />

die Natur versammlet .... 2. .... e<strong>in</strong>e schmerzliche Geschwulst der Gelencke<br />

.... 3. Die <strong>Gicht</strong> ist e<strong>in</strong> Schmerz <strong>in</strong> den nervösen Theilen der<br />

Gelencke, so abwechselt, <strong>und</strong> wieder kömmt ....“ Richtig, das mit<br />

dem Schmerz kann ich nur unterschreiben. Mehr Klarheit br<strong>in</strong>gt<br />

dann doch Pfeifers „Etymologisches Wörterbuch des Deutschen“:<br />

„Seit 1848 versteht die Mediz<strong>in</strong> unter <strong>Gicht</strong> e<strong>in</strong>e durch ungenügende<br />

Harnsäureausscheidung hervorgerufene Gelenkentzündung; vorher<br />

werden verschiedene Krankheiten darunter zusammengefaßt.“ Und<br />

nun wird es noch <strong>in</strong>teressanter: Das Wort <strong>Gicht</strong> leitet sich von altdeutschen<br />

Wurzeln für: „sagen, bekennen, Aussage,“ ja sogar:<br />

„Beichte, <strong>Bekenntnis</strong>, Geständnis“ ab. Daher also die „Urgicht“, die<br />

„Aussage“, das „<strong>Bekenntnis</strong>“ am Ende des altdeutschen Prozesses.<br />

Daher aber auch der Name für die Krankheit, die man sich e<strong>in</strong>st nicht<br />

anders erklären konnte als „die durch Besprechung, Behexung angezauberte<br />

Krankheit.“<br />

5


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Kaum zu fassen! <strong>Gicht</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong> – im wirklichen Leben soweit<br />

getrennt, gehören sprachgeschichtlich zusammen; <strong>und</strong> wir f<strong>in</strong>den<br />

im Mittelhochdeutschen tatsächlich die Form: „er gihet“ (me<strong>in</strong>t,<br />

bekennt). Beide, <strong>Gicht</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong>, haben es also mit der Macht<br />

des Wortes zu tun, im Guten wie im Bösen – die Krankheit, die man<br />

sich nicht anders erklären konnte als durch Besprechung <strong>und</strong> dämonischen<br />

Zauber. Ebenso: Die „Urgicht“, die Aussage, bei es um<br />

Wahrheit geht. Und genauso das <strong>Bekenntnis</strong>, mit dem wir uns zu<br />

Gottes fleischgewordenem Wort bekennen <strong>und</strong> zur frohen Botschaft,<br />

das wir gerettet s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Jesus Christus, alle<strong>in</strong> durch die Gnade, alle<strong>in</strong><br />

durch den Glauben!<br />

So hängen nun <strong>Gicht</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong> zusammen – <strong>in</strong> diesem urzeitlichen<br />

Wissen um die Kraft des Wortes, das mehr ist als nur Schallwellen,<br />

als nur „Schall <strong>und</strong> Rauch“; e<strong>in</strong> Wissen, das uns verloren gegangen<br />

ist, <strong>und</strong> das uns doch immer wieder <strong>in</strong> der Heiligen Schrift<br />

begegnet. Ich er<strong>in</strong>nere nur daran, wie Adam den Tieren ihre Namen<br />

gibt <strong>und</strong> damit als Ebenbild Gottes Macht über sie gew<strong>in</strong>nt (1. Mose<br />

2, 19.20). Oder denken wir an die w<strong>und</strong>erbare Verheißung, den großartigen<br />

Trost Jesaja 43, 1: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;<br />

ich habe dich bei de<strong>in</strong>em Namen gerufen; du bist me<strong>in</strong>!“ Und<br />

natürlich, vor allem anderen: die Allmacht des ewigen göttlichen<br />

Wortes, durch das alles geschaffen ist, das Fleisch ward <strong>und</strong> unter<br />

uns wohnte (Johannes 1). Aber auch Vater <strong>Luther</strong> kannte diese Kraft<br />

des Wortes noch, wenn er von den E<strong>in</strong>setzungs-worten des Allerheiligsten<br />

Altarsakramentes sagt, das sie nicht nur „Heisselworte“ s<strong>in</strong>d,<br />

also bloß Begriffe, die etwas aussagen, wie Baum, Fisch Mensch,<br />

Tier, sondern vor allem „Thätelworte“, die etwas schaffen <strong>und</strong> tun,<br />

so daß Leib <strong>und</strong> Blut Christi im Sakrament wahrhaft, wesentlich <strong>und</strong><br />

wirklich gegenwärtig s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> das Evangelium kraftvoll <strong>und</strong> mächtig<br />

unter den Völkern verkündigt wird.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne grüßt Sie, liebe Leser des R<strong>und</strong>briefes,<br />

Ihr Brüdernpastor, Frank-Georg Gozdek<br />

Nachtrag: In e<strong>in</strong>em alten lutherischen Predigtbuch aus dem 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert entdeckte ich zwei Zettelchen, die sich mit der <strong>Gicht</strong><br />

befassen. Das erste, aus blaß-blauem Papier wie um 1800 üblich,<br />

enthält e<strong>in</strong>en Übertragungs- <strong>und</strong> Beschwörungszauber, wie er seit<br />

6


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

den Urzeiten der Menschheit <strong>und</strong> zum Teil bis heute noch <strong>in</strong><br />

Gebrauch ist: die Krankheit wird auf e<strong>in</strong>en Gegenstand, hier e<strong>in</strong>en<br />

Baum übertragen. Geistlich-biblisch s<strong>in</strong>d solche Praktiken natürlich<br />

im höchsten Grade fragwürdig <strong>und</strong> abzulehnen, auch wenn sie, wie<br />

<strong>in</strong> unserem Beispiel, christlich verbrämt s<strong>in</strong>d. Aber es bleibt doch<br />

bemerkenswert, was die Volksreligiosität selbst <strong>in</strong> dieser rationalistischen<br />

Zeit um 1800 noch von der Kraft des Wortes wußte: „Vor<br />

(=Für) die <strong>Gicht</strong>. Ach Baum, ich klag es dir – die reißende <strong>Gicht</strong> –<br />

die brennende <strong>Gicht</strong> – die fliegende <strong>Gicht</strong> – die kalte <strong>Gicht</strong> – die<br />

warme <strong>Gicht</strong> – die stagt <strong>und</strong> plagt – Mir Tag <strong>und</strong> Nacht – Ach Baum<br />

trag du sie Jahr <strong>und</strong> Tag. – Im Namen Gottes des Vaters Sohnes <strong>und</strong><br />

Heil. Geistes.“ – Das andre Zettelchen, auch aus der Zeit, enthält<br />

offenbar e<strong>in</strong> Rezept gegen die <strong>Gicht</strong>: „mgl (?) Blauenspiritus – mgl<br />

Durchgedrungengliederöhl (?) – mgl Terpent<strong>in</strong>öhl – mgl Danagelöhl<br />

(Tannenadelöl?)“. Aber auch hier, liebe Leser, gilt natürlich, falls<br />

Sie die Heilkraft (?) dieser Rezeptur selbst erproben möchten, der<br />

berühmte Satz der Fernsehwerbung: „Zu Risiken <strong>und</strong> Nebenwirkungen<br />

fragen Sie bitte Ihren Arzt <strong>oder</strong> Apotheker.“<br />

Nochmals herzlichst<br />

Ihr Pastor Gozdek, <strong>oder</strong>, um es mit Hübners „curiösem Lexicon“ zu<br />

sagen, Ihr „Podagricus, der mit dem Zipperle<strong>in</strong> geplaget ist“.<br />

Wo Vergebung der Sünden ist,<br />

da ist auch Frieden <strong>und</strong> Seligkeit.<br />

Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong><br />

7


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Zum Ende des Kirchenjahres:<br />

8<br />

Vorgeschmack der Seligkeit<br />

E<strong>in</strong> Ewigkeitslied<br />

von Valent<strong>in</strong> Ernst Löscher (+1749)<br />

Melodie: Wachet auf, ruft uns die Stimme<br />

Was für süße Himmelsgaben<br />

s<strong>in</strong>d die, so mich jetzt herrlich laben!<br />

Und was für hohe Engellust<br />

strahlet auf die blöden S<strong>in</strong>nen!<br />

Sie wissen nicht, was sie beg<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> was entzücket me<strong>in</strong>e Brust.<br />

Halleluja, ich jauchze schon<br />

im höhern Ton,<br />

weil nichts als Freude mir bewußt.<br />

O Vorschmack wahrer Freude,<br />

o unerschöpfte Himmelsweide,<br />

die ich im Vorbild hier empf<strong>in</strong>d!<br />

Sollte nicht me<strong>in</strong> Herze spr<strong>in</strong>gen,<br />

der M<strong>und</strong> voll lauter Lachens s<strong>in</strong>gen,<br />

da mich die süße Flamm’ entzünd’t,<br />

die Gottes K<strong>in</strong>der ziert<br />

<strong>und</strong> h<strong>in</strong> nach Zion führt!<br />

Halleluja, ich b<strong>in</strong> erfreut<br />

<strong>und</strong> ohne Streit,<br />

ja ohne alles Herzeleid.<br />

Höchster Gott, viel zu ger<strong>in</strong>ge<br />

b<strong>in</strong> ich für solche hohe D<strong>in</strong>ge,<br />

die über me<strong>in</strong> Vermögen geh’n.<br />

Da ich hier noch im Fleische walle<br />

<strong>und</strong> spür die Reste von dem Falle,<br />

so will’s nicht beisammen steh’n.


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Unwürdig b<strong>in</strong> ich ja<br />

<strong>und</strong> doch dem Throne nah,<br />

Halleluja, der mir anbeut<br />

die Himmelsfreud:<br />

Wie groß ist Gottes Gütigkeit!<br />

Wohl mir, ich hab geschmecket<br />

die Lust, die andern ist verdecket,<br />

ich hab den Himmelsglanz geseh’n!<br />

Sollt ich doch <strong>in</strong> solcher Freude<br />

mich selbst bef<strong>in</strong>den auch noch heute<br />

<strong>und</strong> dort vor Gottes Throne steh’n,<br />

dann hätt’ ich obgesiegt<br />

<strong>und</strong> wäre recht vergnügt!<br />

Halleluja! Bald kommt die Zeit<br />

der Ewigkeit,<br />

die mich schon jetzt so sehr erfreut!<br />

aus: Valent<strong>in</strong> Ernst Löscher, Geistliche Lieder,<br />

hrg. Franz Blanckmeister, Dresden 1909, S. 132, Nr. 49<br />

August Vilmar zur Endzeit <strong>und</strong> zur Hoffnung der Kirche:<br />

Es nahet die Zeit nicht mehr der Spaltungen wie bisher/ sondern der<br />

Scheidung/ der Scheidung der Gläubigen <strong>und</strong> Ungläubigen/ derer - um <strong>in</strong> der<br />

Sprache unserer heiligen Weissagung zu reden -–/ welche versiegelt s<strong>in</strong>d mit<br />

dem Siegel unseres Gottes an ihren Stirnen/ von denen/ welche das Zeichen<br />

des Tieres aus der F<strong>in</strong>sternis an ihren Stirnen tragen. Es drohen dieh<br />

letzten schweren Kämpfe/ [werer allle / die ihnen vorangegangen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Christenheit/ mit schwerer Versuchung <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er tödlicer Verführung/<br />

<strong>und</strong> nach diesen Kämpfen sicte dich o Christenheit! –Es kommt die erste<br />

Zukunst] unserea HERRHN <strong>und</strong> die erste Auferstehung!<br />

Pf. Frank-Georg Gozdek:<br />

9


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Glaubt <strong>und</strong> bekennt ihr<br />

mit Herz <strong>und</strong> M<strong>und</strong>?<br />

E<strong>in</strong> unbekannter (?) Text von Jakob Andreae<br />

Wer war Jakob Andreae? Geboren am 25. März 1528 <strong>in</strong><br />

Waibl<strong>in</strong>gen (Württemberg) als Sohn e<strong>in</strong>es Schmiedes, zuletzt<br />

Propst, Professor <strong>und</strong> Kanzler <strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen, gestorben<br />

am 7. Januar 1590, gehörte er zu den konsequentesten Vertretern des<br />

konfessionsbewußten <strong>Luther</strong>tums. Als unermüdlicher, frommer <strong>und</strong><br />

gelehrter Theologe, sowie als begabter Kirchenpoliti-ker ist er e<strong>in</strong>er<br />

der Väter der Konkordienformel, die im Jahre 1580 die zerstrittene<br />

Kirche Augsburgischer Konfession wieder zu Frieden <strong>und</strong> E<strong>in</strong>tracht<br />

führen wollte. – Übrigens war Jakob Andreae der Großvater des berühmteren<br />

Johann Valent<strong>in</strong> Andreae (+1654), der die Fiktion des geheimnisvollen<br />

mystisch-alchimistischen B<strong>und</strong>es der „Rosenkreuzer“<br />

<strong>in</strong> Literatur <strong>und</strong> Geisteswelt e<strong>in</strong>führte.<br />

In e<strong>in</strong>em frühen Exemplar des Konkordien-buches<br />

(Tüb<strong>in</strong>gen 1580, offenbar seitengleich mit<br />

der Dresdner Ausgabe ebendieses Jahres), entdeckte<br />

der Herausgeber e<strong>in</strong>en Text mit Fragen,<br />

die Jakob Andreae an diejenigen Theologen zu<br />

richten pflegte, die das Konkordienwerk nicht<br />

unterzeichnen wollten. Se<strong>in</strong>e Fragen bezweckten<br />

den Nachweis, daß es sich bei den Verweigerern<br />

um Kryptokalv<strong>in</strong>isten (geheime Kalv<strong>in</strong>isten)<br />

han-delte, die vom <strong>Bekenntnis</strong> der Kirche abgewichen waren <strong>und</strong> mit<br />

lutherischen Worten die lutherische Lehre von der wahrhaften <strong>und</strong><br />

wesentlichen Gegenwart des Leibes <strong>und</strong> Blutes Christi im Sakrament<br />

verleugneten.<br />

Wie aus dem Besitze<strong>in</strong>trag unseres Exemplars hervorgeht, gehörte<br />

das Buch Georg Batzer, Pfarrer <strong>in</strong> Orendelsall <strong>in</strong> Württemberg, heute<br />

e<strong>in</strong> Ortsteil der Geme<strong>in</strong>de Zweifl<strong>in</strong>gen im Hohenlohekreis (Region<br />

Heilbronn-Franken). Es war ihm 1581 von se<strong>in</strong>er Herrschaft zugeeignet<br />

worden: „Diß Concordien Buch ist von der Wolgebornen Vn-<br />

10


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

serer Gnedigen Herrschafft von Hohenloe &c. mir Georgen Batzern<br />

Pfarrhern <strong>in</strong> Orendelsall vberschickt worden, den 13. Januarii Anni<br />

1581“. (Seit der Landesteilung von 1553 zur Graf-schaft Hohenlohe-<br />

Neuenste<strong>in</strong> gehörig, teilten sich seit 1568 die gräflichen Brüder Albrecht,<br />

Wolfgang, Philipp <strong>und</strong> Friedrich die Regierung über Orendelsall,<br />

bis 1586 e<strong>in</strong>e weitere Aufteilung erfol-gte.) Auf Blatt 350<br />

recto (vordere Seite) unseres Exemplars, im Verzeichnis aller, die das<br />

Konkordienbuch unterzeichnet hatten, f<strong>in</strong>den wir Georg Batzer dann<br />

auch namentlich aufgeführt unter den am Ende der Seite erwähnten<br />

„Prädikanten, Kirchen- <strong>und</strong> Schul-dienern der Grafschaft Hohenlohe“,<br />

deren Anzahl sich auf der näch-sten Seite fortsetzt <strong>und</strong> 72 Personen<br />

umfaßt.<br />

Unmittelbar unter dem Besitzvermerk lesen wir, ebenfalls wohl von<br />

Georg Batzners Hand niedergeschrieben, den Text mit den Fragen Jakob<br />

Andreaes:<br />

„Fragen, so Jacob Andreae D. denen Theologen/ so die Subscription<br />

des Concordienbuchs weigern/ fürzuhallten pflegt.<br />

Ob sie glauben mit dem hertzen/ vndt bekennen mit dem M<strong>und</strong>t:<br />

1. Das Christi warhafftiger leib/ so <strong>in</strong>n Himel auffgenommen/<br />

zugleich auch warhafftig vndt wesendlich hienieden auff Erden/<br />

an allen orthen gegenwerttig sey/ da se<strong>in</strong> h. Abend-mal<br />

auff e<strong>in</strong> tag vndt st<strong>und</strong> gehalten wirde?<br />

2. Ob solches der Allmechtig Got vermög mit se<strong>in</strong>er allmech-tigen<br />

krafft zuuerschaffen?<br />

3. Ob Er auch solches wölle thun?<br />

4. Ob es e<strong>in</strong> wahrhafftiger leib se<strong>in</strong> <strong>und</strong> bleiben könne, was Er<br />

warhafftig vndt wesendlich/ zumal <strong>in</strong>n Himel vndt auff Erden<br />

gegenwerttig sey/ an soviel tausent ortten/ da se<strong>in</strong> h.<br />

Abendmal auff e<strong>in</strong> st<strong>und</strong> gehaltten wirde?<br />

5. Ob Christi leib vndt blut auff Erden wesendlich gegenwertig/<br />

mit brot vndt we<strong>in</strong> außgetheilt/ Vndt nicht alle<strong>in</strong> mit dem<br />

Glauben/ von den frommen Christen/ sondern auch von dem<br />

Vnglaubigen Judas/ mit se<strong>in</strong>em m<strong>und</strong> empfangen werde?<br />

6. Ob Christus auch wölle/ das man nicht alle<strong>in</strong> brot vndt we<strong>in</strong>/<br />

sondern auch se<strong>in</strong>en leib vndt blut/ mit dem brot vndt we<strong>in</strong>/<br />

mündtlich empfahen soll?<br />

7. Ob Christus nach se<strong>in</strong>er menschlichen Natur/ <strong>oder</strong> se<strong>in</strong>e<br />

11


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

menschliche Natur <strong>in</strong> der Persönlichen Vere<strong>in</strong>igung/ mit der<br />

that vndt warheit die allmechtigkeit empfangen hab/ vndt<br />

derselben theilhafftig vndt vehig sey?<br />

8. Ob Christo jetz<strong>und</strong>er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Glori vndt Majestet/ dare<strong>in</strong> Er<br />

nach se<strong>in</strong>er Menscheit zur Rechten Gottes e<strong>in</strong>gesetzt/ möglich<br />

sey/ auch nach se<strong>in</strong>er Menschlichen Natur/ mit se<strong>in</strong>er<br />

Seel zu wissen/ alles was Got weiße/ was von ewigkeit/ Vndt<br />

was Jetzt/ Vndt was <strong>in</strong> alle ewigkeit se<strong>in</strong> wirde/ vndt also alles<br />

wisse/ vndt Ime nichts verborgen sey.<br />

Τέλος (=griech. Ende)“<br />

Es ist unschwer zu erkennen, was Jakob Andreae mit se<strong>in</strong>en Fragen<br />

bezweckt: er will eventuellen verborgenen Kalv<strong>in</strong>isten jede Möglichkeit<br />

zur Ausflucht nehmen. Sicherlich wird dieses Vorgehen auf uns<br />

Heutige zumeist unangenehm <strong>in</strong>quisitorisch wirken. Doch möge man<br />

sich vor Augen halten, wie groß die Gefahr für die lutherische Kirche<br />

damals war (wie ist es heute?! Es müssen ja nicht nur Kalv<strong>in</strong>isten<br />

se<strong>in</strong>!). Immer wieder drangen Kalv<strong>in</strong>isten <strong>in</strong> die bestehenden lutherischen<br />

Kirchentümer e<strong>in</strong>. Sie versuchten, den toten Dr. Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong><br />

für sich zu vere<strong>in</strong>nahmen („Heidelberger Landlüge“) <strong>und</strong> hatten Melanchthon<br />

mehr als nur halb gewonnen. Sie wußten Fürsten, Räte,<br />

Theologen, Gelehrte an ihrer Seite <strong>und</strong> fühlten sich als die echten Erben<br />

der Reformation, die berufen seien, die Kirche Augsburgischer<br />

Konfession von den verme<strong>in</strong>tlichen Resten des „papistischen Sauerteigs“<br />

zu re<strong>in</strong>igen, das heißt vor allem von der widervernünftigen<br />

Annahme e<strong>in</strong>er substantiellen Gegenwart des Leibes <strong>und</strong> Blutes des<br />

Herrn im Altarsakrament. Denn was im Himmel sei, könne nicht zugleich<br />

auf Erden se<strong>in</strong>. Das Endliche könne das Unendliche nun e<strong>in</strong>mal<br />

nicht fassen ....<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e stellt Jakob Andreae se<strong>in</strong>e Fragen, die genau<br />

jene Punkte umfassen, <strong>in</strong> denen sich das <strong>Bekenntnis</strong> der Kirche vom<br />

Kalv<strong>in</strong>ismus (bis heute) unterscheidet. Im Gr<strong>und</strong>e stellt das Ganze<br />

e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit e<strong>in</strong>er Frühform des Rationalismus dar.<br />

Oder, noch schärfer gesagt: e<strong>in</strong>en Kampf zwischen Glauben <strong>und</strong> Unglauben,<br />

der <strong>in</strong>s Innerste, aufs Tiefste <strong>in</strong> die Substanz geht, auch<br />

wenn die Fragen zunächst reichlich formalistisch wirken. So beg<strong>in</strong>nt<br />

Jakob Andreae mit der Allmacht Gottes (1-4). Frei <strong>in</strong>terpretiert sagen<br />

se<strong>in</strong>e Worte: Traut ihr es Gott wirklich zu, laßt ihr Gott Gott se<strong>in</strong>?<br />

12


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Macht ihr Ihm Vorschriften? Diktiert eure Vernunft euer Gottesbild?<br />

Oder bekennt ihr, daß Er zu gleicher Zeit alles erfüllt, den Himmel<br />

<strong>und</strong> die Erde, so daß auch der Leib des erhöhten Herrn aufgr<strong>und</strong> der<br />

Mitteilung der wesentlichen göttlichen Eigenschaften zugleich mit<br />

Se<strong>in</strong>er Gottheit alles erfüllt (Idiomenkommunikation). Traut ihr Ihm<br />

diese Allgegenwart (Ubiquität) auch Se<strong>in</strong>es auferstandenen,<br />

verklärten Leibes zu, <strong>und</strong> nicht alle<strong>in</strong> Se<strong>in</strong>er göttlichen Natur? Oder,<br />

um mit <strong>Luther</strong> zu reden, ist für euch der Himmel e<strong>in</strong> fester,<br />

sozusagen berechenbarer, geometrischer Ort, an dem Gott als alter<br />

bärtiger Herr mit e<strong>in</strong>em langen Chormantel thront, also das caelum<br />

empyreum des Mittelalters, das natürlich für unseren geschöpflich<br />

begrenzten Verstand ungleich leichter zu erfassen ist, als e<strong>in</strong>e Jenseitigkeit,<br />

e<strong>in</strong>e andere Dimension, die unsere Dimensionalität durchdr<strong>in</strong>gt?<br />

– Traut ihr Gott weiter zu, daß Er Se<strong>in</strong> Wort hält <strong>und</strong> auch<br />

tut, was Er gesagt hat – nämlich an vielen Orten zugleich: „Das ist<br />

me<strong>in</strong> Leib – das ist me<strong>in</strong> Blut, für dich gegeben <strong>und</strong> vergossen?“<br />

(„Multivolipräsenz“, Frage 4f.) Bekennt ihr ferner, daß das Sakrament<br />

e<strong>in</strong>e Gabe ist, die nicht wir machen, sondern die Gott schafft –<br />

<strong>und</strong> daß deshalb die Gegenwart Se<strong>in</strong>es Leibes <strong>und</strong> Blutes nicht von<br />

uns, unserem Wollen, unserer Frömmigkeit, unserem Tun abhängen,<br />

wie es die Kalv<strong>in</strong>isten me<strong>in</strong>en, die den S<strong>in</strong>n der Realpräsenz dar<strong>in</strong><br />

sehen, daß sich die Seele zu Gott emporschw<strong>in</strong>gt, während Brot bloß<br />

Brot <strong>und</strong> We<strong>in</strong> bloß We<strong>in</strong> bleibt? Bekennt ihr euch zu dieser Gabe,<br />

diesem Geschenk? Bekennt ihr, daß Gott die mündliche Kommunion<br />

mit Leib <strong>und</strong> Blut Christi will, <strong>und</strong> daß eben auch die Unwürdigen<br />

das Sakrament empfangen (manducatio <strong>in</strong>dignorum – e<strong>in</strong>es der<br />

wesentlichen Unterscheidungszeichen, der „Schibboleths“, wie man<br />

nach biblischem Vorbild [Richter 12,6] damals sagte) zwischen der<br />

lutherischen Kirche <strong>und</strong> den Kalv<strong>in</strong>isten. Also: bekennt ihr diese<br />

Kommunion auch der Unwürdigen, weil Wirklichkeit <strong>und</strong> Wirkmächtigkeit<br />

des Sakramentes nicht von uns abhängen, sondern vom<br />

Willen <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>setzung Gottes. Und noch e<strong>in</strong>mal (Fragen 7/8):<br />

Traut ihr Gott <strong>und</strong> Se<strong>in</strong>er Allmacht zu, daß Er den <strong>in</strong> den Himmel<br />

erhöhten Leib Se<strong>in</strong>es Sohnes verklärt? Daß Er Ihm aufgr<strong>und</strong> der<br />

persönlichen Vere<strong>in</strong>igung von Gottheit <strong>und</strong> Menschheit die wesentlichen<br />

Attribute der Gottheit mitteilt, so daß der erhöhte Christus<br />

auch Se<strong>in</strong>er Menschheit nach alles erfüllt, alles weiß <strong>und</strong> wirklich<br />

werden läßt, was lange nach Andreae der fromme Dichter (Wilhelm<br />

13


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Löhe?) e<strong>in</strong>es Sakramentsliedes so besungen hat: „Auf ewig ist<br />

verschw<strong>und</strong>en, was Erd’ <strong>und</strong> Himmel trennt,/ denn Gott hat sie<br />

verb<strong>und</strong>en im heil’gen Sakrament“.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal, kurz zusammengefaßt: die Fragen Jakob Andreaes berühren<br />

das Innerste kirchlichen Glaubens <strong>und</strong> Lehrens. Was nützt<br />

e<strong>in</strong>e Theologie, die Gott nicht Gott se<strong>in</strong> läßt, sondern Ihm die Allmacht<br />

raubt <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Tun den Prämissen unseres geschöpflichen Verstandes<br />

unterwirft? Was wird aus der Menschwerdung des ewigen<br />

göttlichen Wortes, wenn das Zeitliche das Ewige nicht umfassen<br />

kann – nicht umsonst entstanden ja gerade aus dem vielfältig zerklüfteten<br />

<strong>und</strong> zersplitterten Kalv<strong>in</strong>ismus rationalistische Sekten, die jedes<br />

Mysterium des Glaubens, auch das <strong>Bekenntnis</strong> zur Gottheit von<br />

Sohn <strong>und</strong> Geist, zerstörten, wie besonders aus der Geschichte der<br />

englischen puritanischen Sekten immer wieder deutlich wird, die<br />

dann teilweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en Deismus endeten – e<strong>in</strong> weltenferner<br />

Gott, blaß <strong>und</strong> schwach, der nach der Schöpfung so erschöpft ist, daß<br />

Er nicht mehr <strong>in</strong> den Weltenlauf e<strong>in</strong>greift, sondern die Welt wiegt,<br />

wie e<strong>in</strong>e schläfrige Amme ihr K<strong>in</strong>d (so e<strong>in</strong> Bild der späteren Zeit für<br />

den Deismus). Und zu guter Letzt: die lutherische Lehre von der<br />

Ubiquität, der Allgegenwart des erhöhten Christus, der eben nicht <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em räumlich umgrenzten Himmel regiert, sondern alles erfüllt, ist<br />

sicherlich für unsere Zeit viel e<strong>in</strong>sichtiger <strong>und</strong> klarer – andernfalls<br />

hätte der große russische Kosmonaut Jurij Gagar<strong>in</strong> se<strong>in</strong>erzeit mit<br />

Recht festgestellt: „Ich b<strong>in</strong> durch den Himmel geflogen <strong>und</strong> habe<br />

Gott nicht gesehen.“ Ne<strong>in</strong>, das konnte er auch nicht. Denn Gottes Dimension<br />

durchdr<strong>in</strong>gt unsere Wirklichkeit <strong>und</strong> ist mathematisch-naturwissenschaftlich<br />

nicht meßbar. Hier versagen alle Instrumente –<br />

nur der geistgewirkte Glaube schafft Erkenntnis.<br />

Wenn unser Meister <strong>und</strong> Herr Jesus Christus spricht:<br />

„Tut Buße!“ so will er, daß die Menschen sich nach<br />

se<strong>in</strong>er Lehre formen sollen; er formt aber die Lehre<br />

nicht nach den Menschen, wie man jetzt tut, dem<br />

veränderten Zeitgeist gemäß.<br />

Claus Harms<br />

14


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Lob sei dir Christus ....<br />

E<strong>in</strong> neues Lied vom Hl. Sakrament<br />

Das folgende neuere, sehr bewegende Sakramentslied<br />

möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten. Es stammt<br />

aus der römischen Kirche <strong>und</strong> wird auf die Melodie: „Lobe<br />

den Herren, den mächtigen König“ gesungen (EG 316/17, EKG 234):<br />

1. Lob sei dir, Christus, du ewiger König der Zeiten,/ du willst<br />

de<strong>in</strong> pilgerndes Volk auf dem Wege geleiten./ <strong>in</strong> dieser Welt/<br />

hast du errichtet de<strong>in</strong> Zelt,/ um uns de<strong>in</strong> Mahl zu bereiten.<br />

2. Herr, um de<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> unsere Herzen zu senken,/ willst du<br />

im Opfermahl selber als Speise dich schenken./ „Eßt me<strong>in</strong>en<br />

Leib,/ daß ich <strong>in</strong> euch immer bleib./ Tut dies zu me<strong>in</strong>em<br />

Gedenken!“<br />

3. Frieden hast du zwischen Gott <strong>und</strong> den Menschen<br />

verkündet,/ ewig den Neuen B<strong>und</strong> sterbend am Kreuze<br />

begründet./ Herr, durch de<strong>in</strong> Blut/ machst du gerecht uns <strong>und</strong><br />

gut,/ Blut, das mit dir uns verb<strong>in</strong>det.<br />

4. Ewiger Hirte, der zum heiligen Volke uns e<strong>in</strong>te,/ aus allen<br />

Völkern versammelst du de<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de./ Aus nah <strong>und</strong><br />

fern/ huldigen dir, unserem Herrn,/ treu de<strong>in</strong>e Jünger <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e.<br />

(Friedrich Dörr, 1976, Nr. 157 (S. 112) <strong>in</strong>: „Lauda Jerusalem –<br />

Gebete, Gesänge <strong>und</strong> Texte für die Pilgerfahrt <strong>in</strong> Hl. Land“, hrg. von<br />

den Kommissariaten des Heiligen Landes der deutschsprachigen<br />

Franziskanerprov<strong>in</strong>zen, Werl 1977)<br />

So bald Christus spricht: „Das ist me<strong>in</strong> leib“, so ist se<strong>in</strong> leib<br />

da durch wort <strong>und</strong> kraft des heyligen geists. Wenn das wort<br />

nicht da ist, so ist es schlecht (= schlicht) brod; aber so die<br />

wort da zu kommen, br<strong>in</strong>gen sie das mit, davon sie lauten.<br />

Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong><br />

15


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Pf. Frank-Georg Gozdek<br />

Mehr als nur e<strong>in</strong> „weltlich D<strong>in</strong>g“ ....<br />

Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong> <strong>und</strong> der heilige Ehestand<br />

Die skandalöse „Orientierungshilfe der EKD zu Ehe <strong>und</strong><br />

Familie“ <strong>und</strong> die Reaktionen bibeltreuer Christen, die wir <strong>in</strong><br />

der letzten R<strong>und</strong>briefnummer vorgestellt hatten, haben<br />

etliche Leser beschäftigt. Besonders e<strong>in</strong>gehen möchte ich auf das<br />

Schreiben e<strong>in</strong>es römisch-katholischen Lesers aus der Schweiz, der <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Brief <strong>und</strong> dem angefügten Beitrag zur „Orientierungshilfe“<br />

wesentliche Positionen des reformatorischen Eheverständnisses<br />

kritisch befragt. Dabei wird zugleich deutlich, wie sehr sich das<br />

gesellschaftlich angepaßte Eheverständnis des m<strong>oder</strong>nen Ma<strong>in</strong>stream-Protestantismus<br />

vom biblischen Zeugnis der lutherischen<br />

Reformation entfernt hat. Unser Leser schreibt: „Dass aber <strong>Luther</strong><br />

die Ehe als Sakrament abgeschafft hat f<strong>in</strong>de ich als Katholik schade.<br />

Der Bischof (geme<strong>in</strong>t ist Bischof Voigt von der SELK, Anm. G.)<br />

zitiert <strong>Luther</strong> weiter: Denn, ob’s wohl e<strong>in</strong> weltlicher Stand ist, so hat<br />

er dennoch Gottes Wort für sich <strong>und</strong> ist nicht von Menschen erdichtet<br />

<strong>oder</strong> gestiftet. Dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong>en gewissen Widerspruch. Wenn<br />

die Ehe von Gott gestiftet ist, ist sie doch ke<strong>in</strong> weltlich D<strong>in</strong>g,<br />

sondern e<strong>in</strong> göttlich D<strong>in</strong>g? .... Ich hoffe nun, dass Sie me<strong>in</strong>e<br />

Gedanken im Aufsatz nicht verärgern. Ich b<strong>in</strong> nun e<strong>in</strong>mal<br />

überzeugter Katholik. Wenn ich aber Ihren R<strong>und</strong>brief lese, geht es<br />

mir wie <strong>in</strong> dem vom Wiesbadener Kurier zitierten Ausspruch: ,Es ist<br />

zum Katholisch-werden’ nur umgekehrt: ,Es ist zum <strong>Luther</strong>aner<br />

werden“. Nämlich dann, wenn ich Ihren R<strong>und</strong>brief mit unserem<br />

katholischen Pfarrblatt vergleiche.“ Ne<strong>in</strong>, verehrter lieber Leser aus<br />

der Schweiz, Sie haben mich ganz <strong>und</strong> gar nicht geärgert. Sie stoßen<br />

<strong>in</strong> Ihrem Brief im Gegenteil zum Wesentlichen, zur entscheidenden<br />

Frage vor, <strong>und</strong> regen mich zu e<strong>in</strong>er vertieften Beschäftigung mit<br />

e<strong>in</strong>em Thema an, das mir lange genügend vertraut zu se<strong>in</strong> schien.<br />

Und das gilt auch für Ihre Stellungnahme, der Sie den Titel gegeben<br />

haben: „Die Ehe ist ke<strong>in</strong> Weltlich D<strong>in</strong>g – Zur Orientierungshilfe –<br />

zum Thema Familie – des Rates der evangelischen Kirche<br />

16


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Deutschlands“. Leider kann ich aus Platzgründen Ihren Beitrag nicht<br />

<strong>in</strong> voller Länge zitieren, möchte aber doch e<strong>in</strong>ige Sätze anführen, die<br />

mir wichtig <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich ersche<strong>in</strong>en: „Bei me<strong>in</strong>en Diskussionen<br />

mit reformatorischen Christen kam ich zur Gewissheit, dass mir die<br />

meisten aus ehrlicher Über-zeugung widersprechen. Wenn e<strong>in</strong><br />

überzeugter Katholik, <strong>und</strong> e<strong>in</strong> überzeugter Protestant mite<strong>in</strong>ander<br />

diskutieren, kommt es unweiger-lich zu dem Punkt, wo jeder denkt,<br />

der andere ist im Irrtum. Um es nicht sagen zu müssen, (Ke<strong>in</strong>er hört<br />

gerne, dass er sich irrt, auch ich nicht) wechselte man dann das<br />

Thema. Manche schleichen sich aus dem Dilemma, <strong>in</strong>dem sie<br />

me<strong>in</strong>en, dies <strong>oder</strong> jenes sei nicht so wichtig. Manche sche<strong>in</strong>bare<br />

unwichtige Aussage <strong>Luther</strong>s hat sich aber weiterentwickelt. Zu<br />

Beispiel: Die Ehe sei e<strong>in</strong> Weltlich D<strong>in</strong>g. Dem ist aber nicht so. Die<br />

Ehe zwischen e<strong>in</strong>em Mann <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Frau ist e<strong>in</strong>e Stiftung des<br />

Schöpfers. Jesus hat sich e<strong>in</strong>deutig zu diesem Schöpfungsplan für die<br />

unauflösliche Ehe zwischen Mann <strong>und</strong> Frau bekannt Mat. 19, 4-6,<br />

<strong>und</strong> sie für bleibend verb<strong>in</strong>dlich erklärt. Es war die evangelische<br />

Kirche, die <strong>in</strong> den 60ger Jahren anf<strong>in</strong>g dieses Gebot zu<br />

relativieren. .... Auch homosexueller Verkehr wird mit dieser<br />

,Orientierungshilfe’ legitimiert, heisst es doch <strong>in</strong> der theologischen<br />

Begründung dar<strong>in</strong>: E<strong>in</strong> normatives Verständnis der Ehe als ,göttliche<br />

Stiftung’ <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen<br />

aus der Schöpfungsordnung entspricht nicht der Breite des biblischen<br />

Zeugnisses. Die Ehe sei e<strong>in</strong> Weltlich D<strong>in</strong>g, sie ist ke<strong>in</strong><br />

Sakrament, sondern e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft, die unter dem Segen Gottes<br />

steht. So hat sich diese sche<strong>in</strong>bare unwichtige Stelle, (Die Ehe sei e<strong>in</strong><br />

Weltlich D<strong>in</strong>g) weiter von dem entfernt, was nach katholischem<br />

Verständnis über Mat. 19, 4-6 geme<strong>in</strong>t ist. Die Ehe ist e<strong>in</strong> Göttlich<br />

D<strong>in</strong>g. Die Ehe ist e<strong>in</strong> Weltlich D<strong>in</strong>g. Beides kann nicht gleichzeitig<br />

das se<strong>in</strong>, was Christus geme<strong>in</strong>t hat.“<br />

Sie haben leider recht – <strong>Luther</strong>s Aussage: „Die Ehe ist e<strong>in</strong> weltlich<br />

D<strong>in</strong>g“ hat e<strong>in</strong> beachtliches Eigenleben entfaltet. Sie wurde zu e<strong>in</strong>em<br />

Geme<strong>in</strong>platz, der <strong>in</strong> theologischen <strong>und</strong> ethischen Debatten permanent<br />

zitiert wird, auch wenn sonst von genu<strong>in</strong> lutherischer Theologie nicht<br />

mehr viel übriggeblieben ist. Diesem Satz <strong>Luther</strong>s <strong>und</strong> weiteren<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Fragen will ich jetzt e<strong>in</strong> wenig auf den Gr<strong>und</strong><br />

gehen. Dazu zitiere ich die für die lutherische Kirche bis heute<br />

17


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

maßgebende Quelle, nämlich: „Die <strong>Bekenntnis</strong>schriften der evangelisch-lutherischen<br />

Kirche, 2. Auflage, Gött<strong>in</strong>gen 1952“ (im Folgenden:<br />

BSLK).<br />

Bischof Voigt hat ja schon e<strong>in</strong> entscheidendes Wort <strong>Luther</strong>s<br />

erwähnt: „Denn, ob’s wohl e<strong>in</strong> weltlicher Stand ist, so hat er dennoch<br />

Gottes Wort für sich <strong>und</strong> ist nicht von Menschen erdichtet <strong>oder</strong><br />

gestiftet.“ Gr<strong>und</strong>sätzlich wird hier e<strong>in</strong> Zweifaches deutlich: 1. Die<br />

Ehe gehört zur Schöpfungs-, <strong>und</strong> nicht zur Erlösungsordnung Gottes.<br />

Deshalb ist sie e<strong>in</strong> „weltlicher Stand“ (wie für <strong>Luther</strong> übrigens auch<br />

die „Obrigkeit“, also die politische Macht). 2. Sie ist ke<strong>in</strong>e bloß<br />

menschlich-bürgerliche Konvention, sondern von Gott gestiftet <strong>und</strong><br />

steht damit unter Gottes Schutz, Segen <strong>und</strong> Verheißung. Insofern ist<br />

sie e<strong>in</strong> „göttlich D<strong>in</strong>g“, e<strong>in</strong> göttlicher Stand – was gleichermaßen<br />

wiederum auch für die „Obrigkeit“ gilt (Römer 13, 1ff.).<br />

Ähnlich heißt es über das „weltlich D<strong>in</strong>g“ auch im „Traubüchle<strong>in</strong>“<br />

<strong>Luther</strong>s, das sich im Anschluß an den „Kle<strong>in</strong>en Katechismus f<strong>in</strong>det:<br />

„.... weil die Hochzeit <strong>und</strong> Ehestand e<strong>in</strong> weltlich Geschäft ist,<br />

gebührt uns Geistlichen <strong>oder</strong> Kirchendiener nichts, dar<strong>in</strong> zu ordenen<br />

<strong>oder</strong> regieren, sondern lassen e<strong>in</strong>er iglichen Stadt <strong>und</strong> Land hier<strong>in</strong><br />

ihren Brauch <strong>und</strong> Gewohnheit .... Etliche führen die Braut zweimal<br />

zur Kirchen, beide, des Abends <strong>und</strong> des Morgens, etliche nur e<strong>in</strong>mal,<br />

etliche verkündigen’s <strong>und</strong> bieten sie auf auf der Kanzel zwo <strong>oder</strong><br />

drei Wochen zuvor; solchs alles <strong>und</strong> dergleichen laß’ ich Herrn <strong>und</strong><br />

Rat schaffen <strong>und</strong> machen, wie sie wollen, es gehet mich nichts an. –<br />

Aber so man von uns begehrt, für der Kirchen <strong>oder</strong> <strong>in</strong> der Kirchen sie<br />

zu segenen, über sie zu beten <strong>oder</strong> sie auch zu trauen, s<strong>in</strong>d wir<br />

schüldig, dasselbige zu tun. .... wer von dem Pfarrherr <strong>oder</strong> Bischof<br />

Gebet <strong>und</strong> Segen begehrt, der zeiget damit wohl an .... <strong>in</strong> was Fahr<br />

<strong>und</strong> Not er sich begibt <strong>und</strong> wie hoch er des göttlichen Segens <strong>und</strong><br />

geme<strong>in</strong>en Gebets bedarf zu dem Stande, den er anfähet, wie sich’s<br />

denn wohl auch täglich f<strong>in</strong>det, was Unglücks der Teufel anricht <strong>in</strong><br />

dem Ehestande mit Ehebruch, Untreu, Une<strong>in</strong>igkeit <strong>und</strong> allerlei<br />

Jammer“ (BSLK 528 ff.). Wiederum das Doppelte: weltlicher <strong>und</strong><br />

göttlicher Stand. Die äußere, weltliche Ordnung nach Brauch <strong>und</strong><br />

Gewohnheit. Und auf der anderen Seite: die Notwendigkeit des<br />

göttlichen Segens <strong>und</strong> des fürbittenden Gebetes. Deshalb werden<br />

auch im Traubüchle<strong>in</strong> die wesentlichen Stellen der hl. Schrift,<br />

18


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

vornehmlich aus der Schöpfungsgeschichte, als Lesungen für die<br />

Trauung vorgegeben, die von der E<strong>in</strong>setzung der Ehe durch Gott im<br />

Paradies (1. Mose 2, 18/21-24), sowie von göttlicher Gabe (1. Mose<br />

1, 27ff.) <strong>und</strong> menschlicher Aufgabe (Epheser 5, 24-29/22-24), aber<br />

von Anfechtung <strong>und</strong> Kreuz (1. Mose 3, 16-19) im hl. Ehestand Zeugnis<br />

geben (BSLK 532f.), <strong>und</strong> die sich zum Teil bis heute <strong>in</strong> unseren<br />

Agenden f<strong>in</strong>den. Wir sehen hier schon: „weltlich D<strong>in</strong>g/Geschäft/<br />

tand“ darf hier nicht im m<strong>oder</strong>nen säkularen S<strong>in</strong>n als „profan“, als<br />

e<strong>in</strong> sozusagen von göttlichen Ordnungen <strong>oder</strong> Geboten, aber auch<br />

von göttlichem Segen <strong>und</strong> Verheißungen „freies“ Gebiet verstanden<br />

werden. Die Ehe ist sehr wohl e<strong>in</strong>e göttliche Ordnung, sie steht unter<br />

Se<strong>in</strong>er Verheißung, Se<strong>in</strong>em Segen, Se<strong>in</strong>em Schutz, Se<strong>in</strong>em Gebot.<br />

Deshalb ist sie auch nicht bloß e<strong>in</strong>e „Partnerschaft“, die sich auch<br />

wieder lösen kann, sondern e<strong>in</strong> „heiliger Ehestand“, von Gott am<br />

Anfang gestiftet als lebenslange Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es Mannes <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Frau, <strong>und</strong> als solche, vom Herrn Jesus Christus auch für den Neuen<br />

B<strong>und</strong> bestätigte Stiftung Gottes von Menschen nicht wieder nach<br />

Belieben aufzulösen (Matthäus 19, 4 ff. Besonders V. 6: „So s<strong>in</strong>d sie<br />

nun nicht zwei, sondern e<strong>in</strong> Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt<br />

hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“) Das geht auch sehr<br />

deutlich aus dem Gebet am Ende des Traubüchle<strong>in</strong>s hervor, <strong>in</strong> dem<br />

darum gebetet wird, das Gott den hl. Ehestand als se<strong>in</strong>e „Ordnung<br />

<strong>und</strong> Segen“ nicht „verrucken noch verderben“ lasse, sondern gnädig<br />

bei uns Menschen bewahren möge (BSLK 534). Und <strong>in</strong> diesem<br />

S<strong>in</strong>ne heißt es auch im „Großen Katechismus“ Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong>s vom<br />

hl. Ehestand <strong>in</strong> der Auslegung zum 6. Gebot: „Bestätigt hat er ihn<br />

droben im vierden Gepot: ,Du sollt Vater <strong>und</strong> Mutter ehren“. Hie<br />

aber hat er ihn .... verwahret <strong>und</strong> beschutzet. Darümb will ihn auch<br />

von uns geehret, gehalten <strong>und</strong> geführet haben als e<strong>in</strong>en göttlichen,<br />

seligen Stand, weil er ihn erstlich vor allen anderen e<strong>in</strong>gesetzt hat<br />

<strong>und</strong> darümb unterschiedlich Mann <strong>und</strong> Weib geschaffen (wie fur<br />

Augen) nicht zur Buberei, sondern daß sie sich zusammen halten,<br />

fruchtbar seien, K<strong>in</strong>der zeugen, nähren <strong>und</strong> aufziehen zu Gottes<br />

Ehren. Darümb ihn auch Gott fur allen Ständen auf reichlichste<br />

gesegnet hat, dazu alles, was <strong>in</strong> der Welt ist, darauf gewandt <strong>und</strong> ihm<br />

e<strong>in</strong>getan (=verliehen), daß dieser Stand je wohl <strong>und</strong> reichlich<br />

versorget würde, also daß ke<strong>in</strong> Scherz noch Furwitz, sondern<br />

trefflich D<strong>in</strong>g <strong>und</strong> göttlicher Ernst ist ümb das eheliche Leben. Denn<br />

19


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

es liegt ihm alle Macht daran, daß man Leute ziehe, die der Welt<br />

dienen <strong>und</strong> helfen zu Gottes Erkenntnis, seligem Leben <strong>und</strong> allen<br />

Tugenden, wider die Bösheit <strong>und</strong> den Teufel zu streiten. – Darümb<br />

habe ich immer gelehret, daß man diesen Stand nicht verachte noch<br />

schimpflich halte .... sondern nach Gottes Wort ansehe, damit er<br />

geschmückt <strong>und</strong> geheiligt ist .... Darümb ist es nicht e<strong>in</strong> sonderlicher,<br />

sondern der geme<strong>in</strong>este (=allgeme<strong>in</strong>ste), edleste Stand, so durch den<br />

ganzen Christenstand, ja durch alle Welt gehet <strong>und</strong> reichet.“ (BSLK<br />

612 ff. Zeile 19-25)<br />

Also: weltlicher Stand <strong>und</strong> göttlicher Stand schließen sich nicht aus,<br />

sondern gehören zusammen; ja, die Ehe als „edelster Stand“ von<br />

Gott im Paradies e<strong>in</strong>gesetzt, steht unter Se<strong>in</strong>em besonderen Schutz<br />

<strong>und</strong> Se<strong>in</strong>er Verheißung. Um der Ehe willen hat Gott den Menschen<br />

als Mann <strong>und</strong> Frau erschaffen, damit sie als Eheleute <strong>in</strong> Liebe<br />

zusammenhalten, K<strong>in</strong>der zeugen <strong>und</strong> zur Ehre Gottes erziehen. Jeder<br />

Gedanke an sexuelle Libert<strong>in</strong>age <strong>oder</strong> gar an e<strong>in</strong>e Homo-Ehe ist<br />

anhand dieser biblisch-reformatorischen Klarheit Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong>s<br />

entschieden zurückzuweisen <strong>und</strong> als Verachtung des heiligen, von<br />

Gott gewollten Ehestandes auf das Schärfste als Verachtung des<br />

göttlichen Willens <strong>und</strong> damit als Blasphemie abzulehnen.<br />

Nun aber noch die Frage: warum ist die Ehe für <strong>Luther</strong> ke<strong>in</strong><br />

Sakrament, wenn sie doch e<strong>in</strong> göttlicher Stand ist? Als Antwort<br />

müssen wir zunächst e<strong>in</strong>mal darauf h<strong>in</strong>weisen, daß nach lutherischer<br />

Lehre die Sakramente im strengen S<strong>in</strong>n mit der Erlösung, mit der<br />

Rechtfertigung des Sünders <strong>und</strong> der Vergebung der Sünden zu tun<br />

haben. Sie s<strong>in</strong>d wirksame, von Jesus Christus e<strong>in</strong>gesetzte Gnadenmittel,<br />

nicht etwa nur Zeichen <strong>und</strong> Symbole. Sie bewirken, was sie<br />

sagen, schenken Vergebung, Leben <strong>und</strong> Seligkeit. Die Ehe h<strong>in</strong>geen<br />

gehört nach dieser Def<strong>in</strong>ition <strong>in</strong> das Reich der Schöpfung. Es geht<br />

bei ihr nicht um Rechtfertigung, Vergebung der Sünden <strong>und</strong> ewige<br />

Seligkeit, sondern um den äußeren Bestand <strong>und</strong> Erhalt Se<strong>in</strong>er<br />

Geschöpfe, was natürlich unter Se<strong>in</strong>em Schutz <strong>und</strong> zu Se<strong>in</strong>er Ehre<br />

geschieht bzw. geschehen soll. Die Ehe als Stiftung <strong>und</strong> Ordnung<br />

Gottes gehört also gemäß der „Zwei-Reiche-Lehre“ <strong>Luther</strong>s <strong>in</strong> das<br />

Reich zur „L<strong>in</strong>ken Hand Gottes“, <strong>in</strong> den weltlichen Bereich, wie<br />

auch die „Obrigkeit“, die genauso von Gott e<strong>in</strong>gesetzt ist, unter<br />

Se<strong>in</strong>em Segen steht <strong>und</strong> das Amt von Gott hat, für das allgeme<strong>in</strong>e<br />

20


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Wohl zu sorgen <strong>und</strong> dem Bösen zu wehren. Die Sakramente<br />

h<strong>in</strong>gegen gehören zum Reich der Erlösung, zum Reich zur „Rechten<br />

Hand Gottes“, das heißt zum Evangelium, zur Rechtfertigung des<br />

Sünders alle<strong>in</strong> durch den Glauben, der durch die Kirche mit ihrer<br />

Verkündigung <strong>und</strong> ihren Gnadenmitteln erhalten <strong>und</strong> gefördert wird.<br />

Insofern ist die Ehe nach <strong>Luther</strong> ke<strong>in</strong> Sakrament, wobei wir freilich<br />

wissen müssen, daß auch der Sakramentsbegriff der mittelalterlichen<br />

Kirche <strong>und</strong> der Väter noch ke<strong>in</strong>eswegs so abgeklärt ist, wie später im<br />

Gefolge des Trident<strong>in</strong>er Konzils. So gab es auch <strong>in</strong> der lutherischen<br />

Kirche streckenweise e<strong>in</strong>en erweiterten Sakramentsbegriff, der mit<br />

den „sacramenta late dicta“, den „Sakramenten im weiteren S<strong>in</strong>ne“,<br />

noch bei Johann Gerhard, dem größten Dogmatiker der lutherischen<br />

Orthodoxie, anzutreffen ist – wobei die eigentlichen Sakramente<br />

selbstverständlich immer Taufe, Altarsakrament <strong>und</strong> (sehr häufig)<br />

Beichte mit Absolution bleiben, weil nur ihnen als sichtbarem Wort<br />

(verbum visibile) nach dem ausdrücklichen Zeugnis der Hl. Schrift:<br />

E<strong>in</strong>setzung durch Christus <strong>und</strong> wirksame Gnade (Vergebung, Leben,<br />

Seligkeit) eignen, während es die Ehe „nur“ mit dem Segen <strong>und</strong> der<br />

Gnade Gottes für diese Zeit <strong>und</strong> Welt zu tun hat. Darum f<strong>in</strong>den wir<br />

<strong>in</strong> der „Apologie der Konfession“ im Artikel 13: „Von den Sakramenten<br />

<strong>und</strong> ihrem rechten Brauch“ folgende Sätze über die Sakramente:<br />

Sie s<strong>in</strong>d „nicht schlechte (= bloße, e<strong>in</strong>fache, Amn. G.)<br />

Zeichen .... sondern s<strong>in</strong>d kräftige Zeichen <strong>und</strong> gewisse Zeugnis göttlicher<br />

Gnade <strong>und</strong> Willens gegen uns, dadurch uns Gott unsere<br />

Herzen er<strong>in</strong>nert <strong>und</strong> stärket, desto gewisser <strong>und</strong> fröhlicher zu<br />

glauben“ (BSLK 291 f. 1/2). Doch von der Ehe gilt: „Aber der<br />

eheliche Stand ist nicht erst e<strong>in</strong>gesetzt im Neuen Testament, sondern<br />

bald, als das menschliche Geschlecht erst geschaffen ist. Und er ist<br />

auch durch Gott befohlen <strong>und</strong> geboten. Er hat auch göttliche<br />

Zusagung, welche wohl nicht eigentlich zum neuen Testament<br />

gehören, sondern mehr das leibliche Leben angehen“ (BSLK 294).<br />

Nun aber, welche Überraschung – die Ehe, weil sie Segen <strong>und</strong> Gnade<br />

Gottes (wenn auch nicht zum ewigen Leben) <strong>in</strong> sich trägt, kann <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em weiteren S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> Sakrament genannt werden: „Darum so es<br />

jemands will e<strong>in</strong> Sakrament nennen, fechten wir nicht hoch an. Es<br />

soll aber gleichwohl abgesondert werden von den vorigen zweien,<br />

welche eigentlich Zeichen <strong>und</strong> Siegel s<strong>in</strong>d des neuen Testaments.<br />

Denn so der Ehestand alle<strong>in</strong> darum sollt e<strong>in</strong> Sakrament heißen, daß<br />

21


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Gott denselbigen e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> befohlen hat, so müßten die andern<br />

Ämter <strong>und</strong> Stände auch Sakrament genennet werden, die auch <strong>in</strong><br />

Gottes Wort <strong>und</strong> Befehl gehen, als Oberkeit <strong>oder</strong> Magistrat etc.“<br />

(BSLK 294, 14/15). In der Tat könnte von solchen Aussagen unserer<br />

<strong>Bekenntnis</strong>schriften, wie Philipp Melanchthon sie hier (lange vor<br />

se<strong>in</strong>em Abfall von den entscheidenden Positionen lutherischer<br />

Theologie) im Namen der Kirche Augsburgischer Konfession niedergeschrieben<br />

hat, e<strong>in</strong>e Neubes<strong>in</strong>nung über das Wesen der Ehe<br />

ausgehen, das ihren gnadenreichen, im weiteren S<strong>in</strong>ne sakramentalen<br />

Charakter neu zum Leuchten br<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> allem säkularisierten Reden<br />

vom „weltlich D<strong>in</strong>g“ e<strong>in</strong> geistliches Ende bereitet. Denn die Ehe,<br />

auch das ist Zeugnis der Schrift, bildet Christus <strong>und</strong> die Kirche ab –<br />

Er der Bräutigam, sie die Braut: <strong>und</strong> gerade dieses Wort der Schrift<br />

(Epheser 5, 22 ff.) wird <strong>in</strong> <strong>Luther</strong>s Traubüchle<strong>in</strong> zitiert. Ja, noch<br />

mehr als das: im bereits erwähnten Segensgebet über den Brautleuten<br />

wird das Verhältnis Christi <strong>und</strong> der Kirche ausdrücklich mit der<br />

Vulgata (Eph. 5. 32: „Sacramentum hoc magnum est“) als Sakrament<br />

bezeichnet. Denn beim Segen über dem Brautpaar gilt für den<br />

Pfarrer: „Hie recke die Hände über sie <strong>und</strong> bete also: ,HERRE Gott,<br />

der Du Mann <strong>und</strong> Weib geschaffen <strong>und</strong> zum Ehestand verordenet<br />

hast, dazu mit Fruchte des Leibes gesegenet <strong>und</strong> das Sakrament<br />

De<strong>in</strong>es lieben Sohnes Jesu Christi <strong>und</strong> der Kirchen, se<strong>in</strong>er Braut,<br />

dar<strong>in</strong> bezeichnet, wir bitten De<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>lose Güte, Du wollest solch<br />

De<strong>in</strong> Geschepf (=Stiftung), Ordenung <strong>und</strong> Segen nicht lassen<br />

verrucken noch verderben, sondern genädiglich <strong>in</strong> uns bewahren<br />

durch Jesum Christum, unsern HERRN, AMEN.“ (BSLK 534)<br />

Jedenfalls dürfte nach diesen Aussagen aus Schrift <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong><br />

klar se<strong>in</strong>: alle Anschauungen über die Ehe, die ihren Charakter als<br />

göttliche Stiftung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zigen Ort legitim gelebter Sexualität<br />

ablehnen, widersprechen Schrift <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong>. Dasselbe gilt für<br />

die Positionen des Gender-Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g, die die von Gott gegebenen<br />

Gaben <strong>und</strong> Aufgaben von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>in</strong> ihrer natürlichen,<br />

gottgeschaffenen Geschlechtlichkeit willkürlich verändern. Und es<br />

gilt schließlich für alle Forderungen nach e<strong>in</strong>er Homo-Ehe <strong>oder</strong> nach<br />

Segnungen gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften. Praktizierte<br />

Homosexualität widerspricht der Schöpfungsordnung <strong>und</strong> den<br />

geoffenbarten Geboten Gottes. Durch Ungehorsam gegen das klare<br />

22


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Wort Gottes wird das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders<br />

durch die teure Gnade Christi zu e<strong>in</strong>er billigen Gnade <strong>und</strong> zu<br />

e<strong>in</strong>er Rechtfertigung der Sünde, wovor sich jeder Christ um se<strong>in</strong>er<br />

Seelen Seligkeit willen hüten soll.<br />

Pf. Frank-Georg Gozdek<br />

„Ich schäme mich für diese Kirche ....“<br />

Diesen Satz habe ich im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

„Orientierungshilfe“ <strong>in</strong> letzter Zeit des Öfteren gehört. Die<br />

ihn sprachen, waren ke<strong>in</strong>e notorischen Querulanten <strong>und</strong><br />

Meckerer, sondern langjährige gestandene Christen, die im haupt-,<br />

neben- <strong>und</strong> ehren-amtlichen Dienst für ihre Kirche großen E<strong>in</strong>satz<br />

<strong>und</strong> manchmal auch viele Opfer an Kraft, Zeit <strong>und</strong> Geld gebracht<br />

haben. Und nun? In ihrer B<strong>in</strong>dung an Schrift <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong> fühlen<br />

sie sich von „ihrer“ Kirche im Stich gelassen. Auch das folgende<br />

Dokument ist e<strong>in</strong> Zeugnis dieser bitteren Enttäuschung, für die sich<br />

diejenigen e<strong>in</strong>mal vor Gott werden verantworten müssen, die dem<br />

Zeitgeist gehuldigt <strong>und</strong> Gläubigen e<strong>in</strong> Ärgernis gegeben haben<br />

haben (Matthäus 18, 6/7). G.<br />

So schrieb mir e<strong>in</strong> Leser: „haben Sie herzlichen Dank für Ihren<br />

jüngsten R<strong>und</strong>brief mit viel berechtigter Kritik an der sog. „Orientierungshilfe“<br />

der EKD. Auch ich habe mich als Kirchenältester <strong>in</strong> der<br />

bad. Landeskirche an den Ratsvorsitzenden gewandt .... .<br />

Der Rat hat sich auf se<strong>in</strong>er Sitzung am 6./7.9. für Verzögerungstaktik<br />

<strong>und</strong> Aussitzen entschieden. ....<br />

So habe ich me<strong>in</strong>e Konsequenz gezogen .... – letztlich sogar mit<br />

e<strong>in</strong>em Stück Dankbarkeit gegenüber diesen Bischöfen, die zwar,<br />

gemessen an CA Art. 28, seit Jahren zunehmend versagen, aber mir<br />

letztlich doch (ungewollt) Orientierung gaben. Ich habe me<strong>in</strong>en<br />

Schritt sorgfältig geprüft. Vom vorigen Bischof von Rom, dessen<br />

Schriften ich sorgfältig verfolgt habe, ist mir nichts bekannt, dem ich<br />

mich gem. CA Art. 28 verweigern müsste; gleiches erwarte ich nach<br />

dem bisher Verlautbarten auch von se<strong>in</strong>em Nachfolger. Dort erhält<br />

man die Orientierung, zu der die EKD-Bischöfe nicht willens <strong>oder</strong> <strong>in</strong><br />

der Lage s<strong>in</strong>d.<br />

23


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Mit herzlichen Grüßen <strong>in</strong> der Verb<strong>und</strong>enheit des Glaubens <strong>und</strong><br />

künftiger ökumenischer Geschwisterlichkeit,<br />

Ihr Mart<strong>in</strong> Jacob<br />

Und weiter, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an den Vorsitzenden der EKD:<br />

Mart<strong>in</strong> Jacob Heidelberg, den 17.07.2013<br />

An den Vorsitzenden des Rates der EKD<br />

Herrn Dr. h.c. mult. Nicolaus Schneider<br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,<br />

<strong>in</strong> der badischen Landeskirche engagiere ich mich seit <strong>in</strong>zwischen 12<br />

Jahren als Kirchenältester, e<strong>in</strong>e Zeitlang davon auch als Bezirkssynodaler.<br />

Dabei war mir immer die Ökumene wichtig.<br />

Über das o.g. EKD-Papier b<strong>in</strong> ich entsetzt, auch über Ihre „Augenzu-<strong>und</strong>-durch“-Aussagen<br />

<strong>in</strong> der FAZ vom 6.7. Theologisch will ich<br />

(als Jurist) das Papier nicht bewerten, das haben schon Berufenere<br />

getan. Methodisch fällt auf, dass es auf über 160 Seiten <strong>in</strong> epischer<br />

Breite fremde, z.T. divergierende Me<strong>in</strong>ungen zitiert, aber die eigene<br />

Position im Unklaren lässt. Damit haben, je nach dem, welchen Satz<br />

man gerade zitiert, sowohl die Kritiker als auch die Verteidiger des<br />

Papiers Recht. Diese Flucht <strong>in</strong> Formelkompromisse <strong>und</strong> das Zitieren<br />

fremder Me<strong>in</strong>ungen zeigt, dass es <strong>in</strong> der EKD zur Frage der Ehe <strong>und</strong><br />

Familie ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Basis mehr gibt. Aber muss man wirklich<br />

diesen Dissens auf über 160 Seiten offenlegen <strong>und</strong> so tun, als habe<br />

man sich auf etwas gee<strong>in</strong>igt? An was bitteschön soll sich der Leser<br />

hier „orientieren“?<br />

Warum beschränkt sich die EKD auf die banale empirische<br />

Feststellung, dass Ehen scheitern <strong>und</strong> so Patchwork-Familien entstehen<br />

können? Ohne etwas zu sagen zu dem, was dieser Situation<br />

häufig vorausgeht? In den 10 Geboten heißt es glasklar: Du sollst<br />

nicht ehebrechen. Hätte es der EKD nicht gut zu Gesicht gestanden,<br />

auf dieses Gebot e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich h<strong>in</strong>zuweisen? Sollte sie, um mit Karl<br />

Barth zu sprechen, nicht neben „Gottes Liebe zum Sünder“ auch<br />

Se<strong>in</strong>en „Zorn über die Sünde“ klar zur Sprache br<strong>in</strong>gen? Oder dass<br />

<strong>Luther</strong> die Ehe zwar als „weltlich D<strong>in</strong>g“ sah, aber als etwas für<br />

Christen Unauflösliches (s. FAZ v. 6.7., S. 7)? Auch Kriege s<strong>in</strong>d<br />

doch etwas empirisch Feststellbares. Gleichwohl wird die evange-<br />

24


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

lische Kirche hier nicht müde, ihre Stimme zu erheben, dass Kriege<br />

„um Gottes Willen“ nicht se<strong>in</strong> dürfen.<br />

Noch etwas vermisse ich <strong>in</strong> dem EKD-Papier: Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht,<br />

auf das man sich beim Thema Lebenspartnerschaft<br />

beruft, hat mehrfach auch zur Abtreibung Stellung genommen. Diese<br />

Aussagen werden im EKD-Papier nicht zitiert.<br />

Wenn man dort schon für mehr K<strong>in</strong>derreichtum das Ehegattensplitt<strong>in</strong>g<br />

kritisiert (freilich nicht als eigene Me<strong>in</strong>ung, sondern<br />

versteckt h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er Studie), warum sagt man dann nichts zu den<br />

jährlich über 100.000 vorgeburtlichen K<strong>in</strong>dstötungen aus „sozialer<br />

Indikation“? Dazu hüllt sich die EKD seit Jahren <strong>in</strong> beredtes<br />

Schweigen.<br />

Aber die Sünde wird <strong>in</strong> diesem EKD-Papier ja systematisch wegdef<strong>in</strong>iert<br />

– alles ist gleich gut bzw. gleich „wurscht“.<br />

Die bisher von der EKD herausgegebenen Orientierungshilfen<br />

betrafen den Gottesdienst, die Taufe <strong>und</strong> das Abendmahl. Sie hatten<br />

zusammen etwa so viele Seiten wie das Familienpapier. Auch sie<br />

zeugen von mühevoller Kompromisssuche (zwischen Reformierten<br />

<strong>und</strong> <strong>Luther</strong>anern), aber sie kamen auf e<strong>in</strong>en vorzeigbaren geme<strong>in</strong>samen<br />

Nenner, hatten e<strong>in</strong>en geistlichen Gehalt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en klaren<br />

Bezug zur Hl. Schrift.<br />

Bei Familienpapier ist der geme<strong>in</strong>same Nenner nahe Null, <strong>und</strong> es<br />

wird alles Mögliche zitiert, nur e<strong>in</strong>es kaum (allenfalls um es <strong>in</strong>s<br />

Gegenteil „umzu<strong>in</strong>terpretieren“): Die Hl. Schrift. Es ist e<strong>in</strong>e soziologische,<br />

ke<strong>in</strong>e theologische Schrift, mehr vom Zeitgeist als vom Hl.<br />

Geist <strong>in</strong>spiriert. Wo bitte ist unser Markenzeichen „sola scriptura“<br />

geblieben?<br />

Lohnend ist e<strong>in</strong> Vergleich mit den Aussagen zur Familie <strong>in</strong> der<br />

jüngsten Enzyklika „Lumen fidei“. Hier f<strong>in</strong>det das „sola scriptura“<br />

stärkere Beachtung als im EKD-Papier.<br />

Für Juristen ist e<strong>in</strong>e „Auslegung contra legem“ unzulässig; der<br />

Wortlaut bildet die Grenze jeder Auslegung. Die Verfasser des EKD-<br />

Papiers sche<strong>in</strong>en solche Skrupel nicht zu kennen. Sie basteln sich<br />

ihre eigene Bibel <strong>und</strong> eigenen <strong>Luther</strong>-Aussagen zur Ehe zurecht. Sie<br />

verfälschen die Schrift <strong>und</strong> unsere <strong>Bekenntnis</strong>gr<strong>und</strong>lagen. Chrismon,<br />

das Sprachrohr der EKD, unterstützt das EKD-Familienpapier.<br />

Damit wird es öffentlich eben nicht nur als „Diskussionsanstoß“<br />

25


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

wahrgenommen, sondern als offizielle Positionierung der EKD <strong>und</strong><br />

ihrer Landeskirchen.<br />

Schon manche Entwicklung <strong>in</strong> unserer Kirche <strong>und</strong> manche<br />

Stellungnahme ihrer Leitenden hat mich frustriert <strong>und</strong> demotiviert.<br />

Das EKD-Papier <strong>und</strong> Ihre Äußerungen <strong>in</strong> dem FAZ-Interview<br />

machen es mir vollends unmöglich, bei der nächsten Ältestenwahl<br />

im Herbst nochmals zu kandidieren. Für diese evangelische Kirche<br />

kann <strong>und</strong> will ich nicht mehr öffentlich e<strong>in</strong>stehen.<br />

Unabhängig davon bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Vorsitzender,<br />

entgegen Ihren Aussagen <strong>in</strong> der FAZ das Papier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jetzigen<br />

Form zurückzunehmen <strong>und</strong> überarbeiten zu lassen. Geschieht dies<br />

nicht, könnte unsere Kirche nachhaltigen Schaden nehmen. Nehmen<br />

Sie bitte die Analyse im FAZ-Leitartikel vom 11.7. ernst. Nicht nur<br />

Evangelikale <strong>und</strong> Katholiken, auch Konservativ-Liberale <strong>in</strong> unseren<br />

Geme<strong>in</strong>den fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Der ehemalige<br />

Verfassungsrichter Jentsch me<strong>in</strong>t schon, es sei „zum Katholisch-<br />

Werden“. Evtl. war dies der ersten Empörung geschuldet <strong>und</strong> nicht<br />

ernst geme<strong>in</strong>t. Bleibt das EKD-Papier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bisherigen Form<br />

bestehen, könnte es manchem Mitglied unserer Kirche Anlass geben,<br />

zu prüfen, ob nicht <strong>in</strong>zwischen die geme<strong>in</strong>same Schnittmenge mit<br />

der katholischen Kirche größer ist als mit der evangelischen.<br />

Schon heute f<strong>in</strong>det mancher evangelische Leser se<strong>in</strong>e Position eher<br />

<strong>in</strong> „Credo“ wieder als <strong>in</strong> Chrismon. Unsere Kirche wäre gut beraten,<br />

den Abstand zur katholischen Kirche durch mehr ökume-nische<br />

Anstrengung kle<strong>in</strong>er werden zu lassen <strong>und</strong> nicht, wie mit dem<br />

Familienpapier, größer. Deshalb sollte das Familienpapier nicht nur<br />

mit den Landeskirchen abgestimmt werden, sondern auch mit den<br />

Katholiken. Am Ende e<strong>in</strong>es solchen Prozesses wird es völlig anders<br />

aussehen – aber nur so werden Sie die Gefahr e<strong>in</strong>es Mitgliederverlusts<br />

abwenden. Bei lediglich kosmetischen Änderungen wird der<br />

Zorn an unserer Kirchenbasis noch zunehmen.<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />

(gez. Mart<strong>in</strong> Jacob)<br />

Nachdem sie nicht erreicht hat, dass die Menschen praktizieren,<br />

was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren,<br />

was sie praktizieren.<br />

NICOLÁZ GÓMEZ DÁVILA<br />

26


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Pf. Frank-Georg Gozdek:<br />

E<strong>in</strong> Versehen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung<br />

an Dr. Christhard Mahrenholz<br />

Als „Lesefrucht“ hatte ich im letzten R<strong>und</strong>brief unter dem<br />

Titel „Ohne jede Lehrbefugnis“ e<strong>in</strong>en Beitrag von Dr. Hans<br />

Christhard Mahrenholz zitiert. Dabei ist mir durch<br />

Abschreiben (Quelle: Tagespost v. 18. Juli 2013) e<strong>in</strong> bedauerlicher<br />

Irrtum unterlaufen, auf den mich Dr. Mahrenholz aufmerksam<br />

gemacht hat. Es muß natürlich nicht Dr. Christhard Mahrenholz<br />

heißen (das ist der vor langen Jahren schon heimgegangene Vater<br />

unseres Lesers), sondern Dr. Hans Christhard Mahrenholz. Ich bitte<br />

fre<strong>und</strong>lich, dieses Versehen zu entschuldigen.<br />

An dieser Stelle möchte ich gern noch e<strong>in</strong>e persönliche Er<strong>in</strong>nerung<br />

an Prof. D. Dr. Christhard Mahrenholz schildern, damals Abt des<br />

Klosters Amelungsborn, dem wir ja die großartige lutherische Agende<br />

verdanken, die bis heute noch <strong>in</strong> Brüdern <strong>in</strong> Geltung steht, <strong>und</strong> der<br />

zu den großen Theologen, Liturgikern <strong>und</strong> Kirchenmusikern unserer<br />

Kirche gehörte. Es muß im Spätsommer 1972 gewesen se<strong>in</strong>, um<br />

me<strong>in</strong>en 15. Geburtstag. Noch wußte ich nichts von Kirche, Liturgie,<br />

<strong>Bekenntnis</strong>, <strong>und</strong> schon gar nichts von me<strong>in</strong>em späteren Beruf. Wir<br />

hatten e<strong>in</strong>e Klassenfahrt <strong>in</strong>s Weserbergland nach Eschershausen<br />

gemacht, die uns auch <strong>in</strong>s nahegelegene Kloster Amelungsborn<br />

führte. Aus irgendwelchen Gründen brauchte ich e<strong>in</strong>e längere Wanderung<br />

nicht mitzumachen, sondern blieb alle<strong>in</strong> im malerischen,<br />

berühmten Zisterzienserkloster zurück. Ich setzte mich gemütlich auf<br />

e<strong>in</strong>e Bank <strong>und</strong> kam mit e<strong>in</strong>em fre<strong>und</strong>lichen älteren Herrn <strong>in</strong>s<br />

Gespräch. Nach so langen Jahren weiß ich nicht mehr, worum es<br />

g<strong>in</strong>g. Aber die äußere Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> vor allem die tiefe geistliche<br />

Ausstrahlung s<strong>in</strong>d mir <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben. (Das ist mir bei<br />

anderen bedeutenden Menschen, denen ich im Leben begegnet b<strong>in</strong>,<br />

immer wieder so gegangen.) Ich sehe noch die dunkle, pastorale<br />

Kleidung, den schwarzen Hut, den gepflegten Schnurrbart – e<strong>in</strong>e<br />

angenehm dist<strong>in</strong>guierte, aristokratisch-gentlemanhafte Ersche<strong>in</strong>ung,<br />

27


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

die mich stark bee<strong>in</strong>druckte. Und wie gesagt – vor allem, noch heute,<br />

gute vierzig Jahre später, spüre ich die wohltuende geistliche<br />

Ausstrahlung dieses großväterlich-gütigen Herrn, etwas Heiliges,<br />

wie aus e<strong>in</strong>er anderen, jenseitigen Welt. – Als die Klassen schließlich<br />

wieder zurückgekehrt war, sagte unser Lehrer kurz zu mir: „Weißt<br />

du, mit wem du gesprochen hast? Das war Dr. Mahrenholz, der<br />

Altabt dieses evangelischen Klosters.“<br />

Rache an Ägyptens Christen<br />

Unter se<strong>in</strong>en E-Mails fand der Herausgeber diesen „Rache an<br />

Ägyptens Christen“ überschriebenen Beitrag, dessen Quelle ihm<br />

unbekannt ist. Er schildert e<strong>in</strong>e andere Wirklichkeit als die, die uns<br />

große Teile unserer Medien <strong>und</strong> e<strong>in</strong>flußreiche westliche Politiker<br />

über die sog. „Arabellion“ glaubhaft machen wollen, die <strong>in</strong> Wahrheit<br />

zu e<strong>in</strong>er unfaßbaren Stärkung des militanten Islam geführt hat.<br />

In dieser H<strong>in</strong>sicht hat man leider bei unseren Me<strong>in</strong>ungsmachern <strong>und</strong><br />

manchen politisch Verantwortlichen viel zu oft den E<strong>in</strong>druck, daß sie<br />

sich auf e<strong>in</strong>em Traumtänzerball bef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> vor „Informationen“<br />

die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehmen. G.<br />

VChristen zum Sündenbock gemacht.<br />

on den Muslimbrüdern, die durch den Sturz ihres<br />

Präsidenten Mursi ihre politische <strong>und</strong> ideologische<br />

Vormachtstellung <strong>in</strong> Ägypten verloren haben, werden die<br />

Seit dem Sturz des ägyptischen Muslimbruder-Präsidenten Muhamad<br />

Mursi, der die politische Macht zum Auf- <strong>und</strong> Ausbau der<br />

Ideologie se<strong>in</strong>er Anhänger missbraucht <strong>und</strong> den demokratischen,<br />

ökonomischen wie sozialen Fortschritt des Landes nach der<br />

Arabellion blockiert hat, richtet sich der Zorn der Entmachteten<br />

massiv gegen die Christen. Vor allem die Kopten, die zwischen zehn<br />

<strong>und</strong> fünfzehn Prozent der achtzig Millionen E<strong>in</strong>wohner ausmachen,<br />

s<strong>in</strong>d betroffen. E<strong>in</strong>e Welle der Rache, Verfolgung <strong>und</strong> Zerstörung,<br />

wie sie die religiöse M<strong>in</strong>derheit Ägyptens historisch noch nie erlebt<br />

hat, wälzt sich über das Land. Um die h<strong>und</strong>ert Kirchen, Klöster,<br />

christliche Schulen, Buchläden, Apotheken <strong>und</strong> sonstige E<strong>in</strong>richtungen<br />

wurden von islamischen Fanatikern angegriffen, teilweise<br />

28


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

zerstört .... . Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete allerd<strong>in</strong>gs auch,<br />

dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Orten Muslime <strong>und</strong> Christen geme<strong>in</strong>sam den Schutz<br />

der Kirchen organisieren. „Die Polizei, selbst im Visier der lslamisten,<br />

hat oft genug mit der eigenen Sicherheit zu tun.“ Die Muslimbruderschaft<br />

<strong>und</strong> die radikale Organisation der Salafisten hätten die<br />

Gewalt offiziell zwar verurteilt. „Aber sie hetzten seit Monaten<br />

gegen die Christen.“<br />

Westliche Naivität<br />

Ahmed al-Tayyeb, Großscheich der Al-Azhar-Universität, der<br />

formal höchsten Lehrautorität des sunnitischen Islam, hat die<br />

Muslimbrüder zur Mäßigung aufgerufen. „Gewaltszenen gew<strong>in</strong>nen<br />

für niemanden irgendwelche Rechte.“ Der Kopten-Patriarch Tawadros<br />

I. wiederum stellte sich offen h<strong>in</strong>ter die aktuelle Staatsmacht,<br />

was von den Muslimbrüdern als <strong>Bekenntnis</strong> gegen sie ausgelegt<br />

wird.<br />

Kopten <strong>und</strong> liberale Ägypter s<strong>in</strong>d empört über die Fehle<strong>in</strong>schätzungen<br />

der westlichen Medien, die Mursi als gewählten „demokratischen“<br />

Repräsentanten gegen die neuen Machthaber, die dessen<br />

Chaos-Politik beenden wollten, verteidigen. Europa <strong>und</strong> die USA<br />

hätten den Muslimbrüdern zu viel naives Wohlwollen geschenkt,<br />

erklärte der melkitische griechisch - katholische Geistliche Rafiq<br />

Greiche, Pressesprecher der für die Katholiken verschiedener<br />

Traditionen zuständigen Bischofskonferenz. Die Drohungen der<br />

Radikalen richteten sich ebenso gegen gemäßigte Muslime, Liberale<br />

<strong>und</strong> l<strong>in</strong>ke Nationalisten.<br />

Kyrillos William Samaan, koptisch-katholischer Bischof von<br />

Assiut, erklärte, er verstehe nicht, weshalb europäische <strong>und</strong> amerikanische<br />

Politiker sich nicht deutlicher <strong>und</strong> rechtzeitig für die<br />

bedrängten Christen e<strong>in</strong>setzten. Diese bezahlen „den hohen Preis<br />

dafür, dass sich Ägypten nach Freiheit, Demokratie <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em<br />

m<strong>oder</strong>nen Staat sehnt.“ Den Behauptungen des al-Qaida-Führers <strong>und</strong><br />

B<strong>in</strong>-Laden-NachfolgersAyman al Zawahiri, Ägyptens Christen<br />

hätten zusammen mit dem Militär <strong>und</strong> Getreuen des Mubarak-<br />

Regimes für Mursis Sturz gesorgt, widersprach der Bischof von<br />

Assiut: „Das ist natürlich absurd. 33 Millionen Ägypter haben se<strong>in</strong>en<br />

Rücktritt verlangt. Wir Christen haben ja nicht alle<strong>in</strong> gegen Mursi<br />

demonstriert.“<br />

29


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

In der Prov<strong>in</strong>z M<strong>in</strong>ya haben Muslimbrüder Gotteshäuser besetzt<br />

<strong>und</strong> kurzerhand <strong>in</strong> Moscheen umgewandelt, um dort ihre Freitagsgebete<br />

abzuhalten.<br />

In sehr vielen Kirchen wurde am islamischen Freitagsfeiertag, an<br />

dem sonst auch die christlichen Gottesdienste gut besucht s<strong>in</strong>d, aus<br />

Sicherheitsgründen ke<strong>in</strong>e Eucharistie gefeiert. Die Wallfahrten zum<br />

„Marien-Fasten“, mit dem sich die Kopten zwei Wochen lang auf<br />

das Fest der Entschlafung Mariens am 22. August vorbereiten, fielen<br />

diesmal aus. Das berühmte orthodoxe Kathar<strong>in</strong>enkloster auf der<br />

S<strong>in</strong>ai - Halb<strong>in</strong>sel wurde für die Öffentlichkeit gesperrt.<br />

Papst Franziskus betete für die Opfer <strong>und</strong> rief zu Versöhnung auf.<br />

Die Vere<strong>in</strong>ten Nationen <strong>und</strong> die Europäische Union haben sich zur<br />

Christenverfolgung diplomatisch zurückhaltend geäußert. Außenm<strong>in</strong>ister<br />

Guido Westerwelle <strong>und</strong> Entwicklungsm<strong>in</strong>ister Dirk Niebel<br />

riefen deutlich dazu auf, die Christen zu schützen. E<strong>in</strong> klares<br />

persönliches öffentliches Wort von B<strong>und</strong>eskanzler<strong>in</strong> Angela Merkel<br />

blieb bis Redaktionsschluss aus. Sie schickte ihren Regierungssprecher<br />

Steffen Seibert vor. Auch dem amerikanischen Präsidenten<br />

wird vorgeworfen, der Christenverfolgung <strong>und</strong> dem Chaos <strong>in</strong><br />

Ägypten tatenlos zuzusehen. Geradezu skurril ist, wenn es jetzt heißt,<br />

dass Waffenlieferungen <strong>und</strong> andere militärische Unterstützung<br />

Richtung Ägypten e<strong>in</strong>gefroren würden. Wieso wurde seit Mubaraks<br />

Sturz, seit der Arabellion solche „Hilfe“ überhaupt an die Muslimbrüder-Machthaber<br />

geleistet? Weil man der Demokratisierungspropaganda<br />

des „arabischen Frühl<strong>in</strong>gs“ bl<strong>in</strong>d vertraute?<br />

Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wiederum<br />

wirft westlichen Politikern das genaue Gegenteil vor: Sie hätten die<br />

eigenen Werte von Demokratie <strong>und</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit verraten, weil<br />

sie zuschauten, wie das ägyptische Militär den demokratisch gewählten<br />

Mursi absetzte.<br />

Der <strong>in</strong> Kairo für die ausländischen deutschsprachigen Katholiken<br />

zuständige Pfarrer Joachim Schroedel machte darauf aufmerksam,<br />

dass mehr als die Hälfte der Ägypter ke<strong>in</strong>en Schulabschluss hat, dass<br />

die Analphabetenrate hoch <strong>und</strong> diese Masse „e<strong>in</strong>fach zu manipulieren“<br />

ist. Die Muslimbrüder seien ke<strong>in</strong> Verhandlungspartner für e<strong>in</strong>e<br />

Regierungsbildung. „Jeder Politiker im Westen, der sagt, man müsse<br />

<strong>in</strong>s Gespräch kommen <strong>und</strong> die Muslimbrüder e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den, der hat - mit<br />

Verlaub gesagt - ke<strong>in</strong>e Ahnung.“ Die Radikalen <strong>in</strong> den aufgelösten<br />

30


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Kairoer Protestcamps waren „nicht zu Gesprächen bereit“, „die<br />

Führer der Muslimbrüder auch nicht“. In se<strong>in</strong>er Umgebung erlebe er<br />

Muslime, die die Angriffe auf christliche Gotteshäuser bedauern.<br />

„Das sei nicht die allgeme<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung der Moslems, <strong>und</strong> sie selbst<br />

seien wütend auf die Muslimbrüder.“<br />

Die sächsische B<strong>und</strong>estagsabgeordnete Bett<strong>in</strong>a Kudla erklärte: „Die<br />

Muslimbrüder wurden zwar demokratisch gewählt, sie waren <strong>und</strong><br />

s<strong>in</strong>d aber ke<strong>in</strong>e Demokraten!“ jsp.<br />

Syrisch-orthodoxer Bischof <strong>in</strong> Deutschland warnt vor Militärschlag<br />

Sorge über Gewalt gegen Christen<br />

Auch der folgende Beitrag spricht für sich. Glücklicherweise<br />

ist durch viele Gebete, unter anderem des Papstes, geme<strong>in</strong>sam<br />

mit zahlreichen Aufrufen von Kirchenführern, <strong>und</strong><br />

politisch vor allem durch den E<strong>in</strong>fluß Rußlands, zunächst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong><br />

Krieg abgewendet <strong>und</strong> e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>lenken Präsident Assads erreicht.<br />

Leider steht der „Westen“ auch diesmal auf Seiten der Islamisten,<br />

die als „Rebellen“ <strong>in</strong> Syrien ihre zerstörerische Gewalt offenbaren.<br />

Was westliche Medien weitgehend verschweigen, <strong>und</strong> sich statt<br />

dessen zum Teil e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>seitigen, üblen Kriegspropaganda schuldig<br />

machen: „An vielen Orten verfolgen die Extremisten Christen bis<br />

aufs Blut“ (idea 40.2013, S. 5). Nur zwei Beispiele! So wurde die<br />

uralte christliche Ortschaft Ma’alula mit ihren aramäisch (die<br />

Sprache Jesu) sprechenden E<strong>in</strong>wohnern von Islamisten e<strong>in</strong>genommen<br />

<strong>und</strong> ist ansche<strong>in</strong>end „christenfrei“. Am 26. September wurde<br />

die Märtyrerkirche <strong>in</strong> der Stadt Raqqa durch „Rebellen“ geschändet,<br />

die mit der Terrororganisation „Al Kaida“ verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d. Sie<br />

rissen das Kreuz vom Kirchturm <strong>und</strong> hißten die Flagge ihrer<br />

Verbrecherbande. Leider muß auch festgestellt werden, daß etwa<br />

170 junge Männer aus Deutschland als „Gotteskrieger“ nach Syrien<br />

gereist s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich den krim<strong>in</strong>ellen islamistischen Gruppen angeschlossen<br />

haben. Hoffentlich werden sie nach ihrer eventuellen<br />

Rückkehr <strong>in</strong> Deutschland vor Gericht gestellt <strong>und</strong> für ihre Verbrechen<br />

gegen Leib, Leben <strong>und</strong> Freiheit anderer Menschen zur Rechenschaft<br />

gezogen! – Von den 1,5 Millionen Christen, die vor dem<br />

31


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Bürgerkrieg <strong>in</strong> Syrien lebten, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen viele <strong>in</strong>s Ausland<br />

geflohen. Übrigens werden, entgegen der bei uns verordneten<br />

politisch korrekten Propaganda, <strong>in</strong> etlichen Orten die Soldaten der<br />

Regierung als Befreier gefeiert. G.<br />

Warburg (epd). Der syrisch-orthodoxe Erzbischof für Deutschland,<br />

Philoxenus Mattias Nayis, lehnt e<strong>in</strong>en Militärschlag <strong>in</strong> Syrien<br />

entschieden ab. „Krieg bedeutet Tod, mehr Krieg bedeutet noch<br />

mehr Tod“, sagte der Erzbischof <strong>in</strong> Warburg dem Evangelischen<br />

Pressedienst (epd). „Als Christen sehen wir <strong>in</strong> den möglichen<br />

Militärschlägen ke<strong>in</strong>e Lösung.“ Den Staaten, die militärisch e<strong>in</strong>greifen<br />

wollten, warf er vor, die Konsequenzen nicht bedacht zu haben<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Eskalation <strong>in</strong> Kauf zu nehmen.<br />

Anstatt über die Toten zu trauern, die durch den Bürgerkrieg<br />

umgekommen seien, würden diese jetzt als Kriegsanlass genommen,<br />

kritisierte der Erzbischof. „Das ganze Volk leidet unter diesem<br />

schrecklichen Krieg <strong>und</strong> den unmittelbaren Folgen.“<br />

Besorgt äußerte sich Nayis über zunehmende Gewalt gegen Christen<br />

durch radikale Islamisten. „Wir fürchten, dass diese Islamisten<br />

an Macht gew<strong>in</strong>nen könnten <strong>und</strong> das Martyrium des Iraks den<br />

Christen <strong>in</strong> Syrien droht“, sagte der Erzbischof.<br />

Waffenlieferungen <strong>und</strong> Gewalt könnten die Krise <strong>in</strong> Syrien nicht<br />

lösen, warnte Nayis. Syrien brauche zunächst Waffenruhe, dann<br />

Frieden, dann Ordnung <strong>und</strong> dann Demokratie. Wer mit Waffengewalt<br />

Demokratie schaffen wolle, werde ke<strong>in</strong>es dieser Ziele erreichen.<br />

Nötig sei es jetzt, so schnell wie möglich zu Gesprächen <strong>und</strong> Verhandlungen<br />

zu kommen.<br />

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche, <strong>in</strong> der bis heute Aramäisch - die<br />

Sprache Jesu - gesprochen wird, zählt zu den ältesten Kirchen<br />

weltweit. Kirchenoberhaupt ist Mor Ignatius Zakka I. Iwas. In<br />

Deutschland zählt die Kirche nach eigenen Angaben schätzungsweise<br />

100.000 Gläubige <strong>in</strong> r<strong>und</strong> 60 Geme<strong>in</strong>den. Geleitet wird das<br />

Patriarchalvikariat <strong>in</strong> Deutschland seit Dezember 2012 von Erzbischof<br />

Mor Philoxenus Mattias Nayis, der se<strong>in</strong>en Sitz im Kloster St.<br />

Jakob von Sarug <strong>in</strong> Warburg hat. (29. August 2013)<br />

32


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Pf. Frank-Georg Gozdek:<br />

„Bis Gott das harte Joch zerbricht ....“<br />

Ansprache am Denkmal <strong>in</strong> <strong>Braunschweig</strong>-Ölper<br />

zur Er<strong>in</strong>nerung an den 1. August 1809<br />

Sehr geehrte Mitglieder im Herzoglich-<strong>Braunschweig</strong>ischen Feldcorps,<br />

sehr geehrte Anwesende, me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen <strong>und</strong><br />

Herren!<br />

Es ist für mich e<strong>in</strong>e große Ehre, heute an diesem 1. August<br />

2013 e<strong>in</strong>ige Worte an Sie zu richten. Ich tue dies auch als<br />

Pastor an der Brüdernkirche, <strong>und</strong> im Gedenken an me<strong>in</strong>en<br />

Vor-Vor-Vorgänger im Amt, Pastor Johann He<strong>in</strong>rich Schiller, der<br />

zur Zeit des Schwarzen Herzogs <strong>und</strong> des Gefechtes bei Ölper Pfarrer<br />

an der Brüdernkirche war – im übrigen der Vater des berühmten<br />

Architekten <strong>und</strong> Heimatforschers Carl Schiller, <strong>und</strong> – nicht zu vergessen<br />

– der letzte Pastor der Stadt, der noch bis zu se<strong>in</strong>em Tode<br />

1828 se<strong>in</strong>e Amtsperücke trug.<br />

Aber das Wichtigste – als guter <strong>Braunschweig</strong>er fühlte sich Pastor<br />

Schiller se<strong>in</strong>em angestammten Herzogshaus verb<strong>und</strong>en. Leidenschaftlich<br />

lehnte er das Königreich Westfalen ab, diesen Satellitenstaat<br />

von Napoleons Gnaden mit dessen Bruder Jérome, dem<br />

verschwenderischen „König Lustic“ <strong>in</strong> Kassel, an der Spitze. Und so<br />

s<strong>in</strong>d von ihm Verse überliefert, mit denen er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Predigt dem<br />

ungeliebten Regime durch die Blume se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung sagte: „Weh’<br />

aber, wenn der Untertan/ Nicht zärtlich Ob’re lieben kann,/ Weil sie<br />

schwelgen, rauben, plündern,/ Nicht Gutes fördern, Böses h<strong>in</strong>dern./<br />

Jedoch der Christ tut se<strong>in</strong>e Pflicht,/ Bis Gott das harte Joch zerbricht,/<br />

Und Völker, die man plagt <strong>und</strong> drückt,/ Mit besser’m Regiment<br />

beglückt.“<br />

„Bis Gott das harte Joch zerbricht....“ So hatte Pastor Schiller<br />

gedichtet, <strong>und</strong> das Gefecht bei Ölper am 1. August 1809, an das wir<br />

heute gedenken, war schon e<strong>in</strong> erstes Zeichen, daß das harte Joch des<br />

Usurpators Napoleon Bonaparte zu zerbrechen begann. Natürlich,<br />

niemand will es abstreiten – die Napoleonische Ära brachte zunächst<br />

33


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

e<strong>in</strong>mal auch Verbesserungen <strong>und</strong> schnitt so manche alte Zöpfe ab –<br />

<strong>und</strong> das ganz buchstäblich, denn es war ja die Zeit, <strong>in</strong> der die Zöpfe<br />

<strong>und</strong> Perücken des Ancien Régime, der alten Ordnung fielen – mit<br />

Ausnahme natürlich der Perücke von Pastor Schiller <strong>und</strong> der mancher<br />

anderer. Andererseits aber bedeutete diese Zeit – <strong>und</strong> das ist<br />

entscheidend – systematische Ausplünderung der Bevölkerung durch<br />

immer unverschämtere Steuern, Verlust <strong>und</strong> Zerstörung von Kulturgütern<br />

<strong>und</strong> vor allem, für den kle<strong>in</strong>en Mann: Aushebung, Zwang zum<br />

Kriegsdienst für e<strong>in</strong>e fremde, aggressive Macht, für e<strong>in</strong>en Tyrannen<br />

<strong>und</strong> Usurpator, der jungen Menschen hier <strong>und</strong> <strong>in</strong> ganz Europa durch<br />

se<strong>in</strong>e Macht- <strong>und</strong> Landgier Leben, Zukunft <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit zerstörte.<br />

Wie gesagt, dieser 1. August 1809 gehört mit zu den ersten Zeichen,<br />

daß e<strong>in</strong> hartes Joch zerbrochen wird. E<strong>in</strong> Fürst, Herzog Friedrich<br />

Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong>-Oels, hatte es als wohl e<strong>in</strong>ziger<br />

Fürst <strong>in</strong> Deutschland gewagt, se<strong>in</strong>e berechtigten dynastischen<br />

Ansprüche nicht aufzugeben <strong>und</strong> dem Usurpator Widerstand zu<br />

leisten, getragen von zahlreichen Menschen se<strong>in</strong>es Herzogtums - ich<br />

nenne nur Namen wie Olfermann, Korffes <strong>oder</strong> den Ackermann<br />

He<strong>in</strong>rich Oppermann hier aus Ölper, der 1812 von den Schergen<br />

König Jéromes füsiliert worden ist. Er <strong>und</strong> viele andere leisteten<br />

Widerstand <strong>und</strong> gehören damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Reihe mit Männern wie dem<br />

Leutnant Ferd<strong>in</strong>and Schill, dem Tiroler Freiheitshelden <strong>und</strong> Sandwirt<br />

Andreas Hofer, <strong>oder</strong> dem Nürnberger Buchhändler Palm, der wegen<br />

des napoleonkritischen Buches „Deutschland <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er tiefen Erniedrigung“<br />

gegen alles Recht <strong>und</strong> Gerechtigkeit zum Tode verurteilt<br />

<strong>und</strong> erschossen wurde. Und ich möchte hier auch noch e<strong>in</strong>mal <strong>und</strong><br />

nicht ohne Stolz die Brüdernkirche erwähnen. Dort waren <strong>in</strong> den<br />

Gewölben des Alten Zeughofes gefangene Schillsche Offiziere<br />

untergebracht, die von der Bevölkerung rührend versorgt <strong>und</strong> verpflegt<br />

wurden.<br />

An all diese aufrechten, patriotischen Menschen er<strong>in</strong>nern wir uns<br />

heute, wenn wir an den 1. August 1809 <strong>und</strong> das Gefecht von Ölper<br />

gedenken – <strong>und</strong> dabei besonders natürlich an die Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

des Jahres 1813, das mit der Völkerschlacht bei Leipzig die endgültige<br />

Befreiung vom Joch Napoleons e<strong>in</strong>leitete. Diese Völkerschlacht,<br />

unerhört grausam, <strong>und</strong> die damals größte <strong>und</strong> heftigste Schlacht, die<br />

bis dah<strong>in</strong> gefochten worden war, liegt nun genau 200 Jahre zurück.<br />

Ich könnte dazu viele Namen nennen, möchte es aber aus<br />

34


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

Zeitgründen nicht tun, sondern nur noch e<strong>in</strong>mal an den Schwarzen<br />

Herzog er<strong>in</strong>nern, der dann ja schließlich 1815 <strong>in</strong> Quatrebras bei<br />

Waterloo gefallen ist.<br />

Sicher, diese Ereignisse liegen zweih<strong>und</strong>ert Jahre zurück, <strong>und</strong> am<br />

Ende der Befreiungskriege stand leider nicht das, was damals viele<br />

Menschen <strong>in</strong> Deutschland erträumten, sondern das System Metternichs<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e sog. „Heilige Allianz“, die neue Unterdrückung mit<br />

sich brachte. Aber e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> war gelegt – <strong>und</strong> der Traum des<br />

Rechtsstaates, <strong>in</strong> dem „E<strong>in</strong>igkeit <strong>und</strong> Recht <strong>und</strong> Freiheit“ herrschten,<br />

hörte nicht mehr auf – auch <strong>in</strong> schwersten Zeiten der Diktatur nicht.<br />

Und wenn wir heute den Rechtsstaat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zipien als etwas<br />

Unaufgebbares betrachten, dann verdanken wir das auch Männern<br />

wie dem Schwarzen Herzog <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Schar, <strong>und</strong> all den andern, die<br />

damals den Mut fanden, gegen e<strong>in</strong>en Tyrannen aufzustehen.<br />

Vor ihnen verneigen wir uns heute, auch vor denen, die e<strong>in</strong>st durch<br />

die Macht der Verhältnisse Fe<strong>in</strong>de geworden waren. Und wir bitten<br />

Gott, daß Er Se<strong>in</strong>er geplagten Menschheit den Frieden schenke <strong>und</strong><br />

erhalte, <strong>und</strong> daß Er zugleich unsere Soldaten, die heute überall <strong>in</strong> der<br />

Welt Dienst tun, <strong>und</strong> von denen so viele leider schon gefallen s<strong>in</strong>d,<br />

wohlbewahrt nach Hause zurückführe <strong>und</strong> vor weiteren s<strong>in</strong>nlosen<br />

E<strong>in</strong>sätzen im Ausland bewahre.<br />

Gelesen:<br />

Wir sehen, wie viele euroatlantische Länder faktisch den Weg der<br />

Absage von den eigenen Wurzeln, darunter von den christlichen<br />

Werten gegangen s<strong>in</strong>d, die die Gr<strong>und</strong>lage der westlichen<br />

Zivilisation bilden. Abgelehnt werden die moralische Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>und</strong> auch jede traditionelle Identität – die nationale, die kulturelle,<br />

die religiöse <strong>und</strong> selbst die rechtliche. Betrieben wird e<strong>in</strong>e Politik,<br />

die e<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>der-reiche Familie <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e gleichgeschlechtliche<br />

Partnerschaft gleich-setzt, den Glauben an Gott <strong>und</strong> den an Satan.<br />

Dies ist e<strong>in</strong> direkter Weg zum Verfall <strong>und</strong> zur Primitivität sowie zu<br />

e<strong>in</strong>er tiefen demo-graphischen <strong>und</strong> moralischen Krise.<br />

WLADIMIR PUTIN, russischer Präsident,<br />

am 19. September 2013<br />

35


BRÜDERNRUNDBRIEF Okt./Nov. 2013<br />

In diesem R<strong>und</strong>brief:<br />

Aus e<strong>in</strong>er Predigt Mart<strong>in</strong> <strong>Luther</strong>s Seite 2<br />

Womit die Kirche steht <strong>und</strong> fällt – e<strong>in</strong> Väterwort Seite 3<br />

Pf. F.-G. Gozdek: <strong>Gicht</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong> Seite 4<br />

Vorgeschmack der Seligkeit – E<strong>in</strong> Lied von V. E. Löscher Seite 8<br />

Pf. F.-G. Gozdek: Glaubt <strong>und</strong> bekennt ihr mit Herz <strong>und</strong> M<strong>und</strong>?<br />

E<strong>in</strong> unbekannter (?) Text von Jakob Andreae Seite 10<br />

Lob sei dir, Christus – e<strong>in</strong> neues Lied zum hl. Sakrament Seite 15<br />

Pf. F.-G. Gozdek: Mehr als nur e<strong>in</strong> „weltlich D<strong>in</strong>g“ Seite 16<br />

Pf. F.-G. Gozdek: „Ich schäme mich für diese Kirche ....“ Seite 23<br />

Pf. F.-G. Gozdek: Er<strong>in</strong>nerung an Dr. Chr. Mahrenholz Seite 27<br />

Rache an Ägyptens Christen Seite 28<br />

Syrien: Sorge über Gewalt gegen Christen Seite 31<br />

Pf. F.-G. Gozdek:„Bis Gott das harte Joch zerbricht ....“ Seite 33<br />

Zu guter Letzt:<br />

„Vater, Mutter, K<strong>in</strong>d – so will Gott Familie“<br />

Plakat im Schaukasten am Hohen Chor der Brüdernkirche.<br />

Gedacht als Antwort <strong>und</strong> Mahnung auf das Wahlplakat e<strong>in</strong>er<br />

Partei, das sich an der Laterne <strong>in</strong> Sichtweite des Schaukastens<br />

befand. Es zeigte e<strong>in</strong>en seriös wirkenden Herrn im Anzug <strong>und</strong><br />

dazu die riesigen Buch-staben: „Vater – Vater – K<strong>in</strong>d“. –<br />

Inzwischen ist die Wahl vorüber, <strong>und</strong> der Souverän hat die Partei<br />

dank der 5%-Hürde entsorgt. Nur das törichte Wahlplakat hängt<br />

bei Redaktionsschluß immer noch da.<br />

E<strong>in</strong> wenig hat sich der Autor des Plakates im Schaukasten von der<br />

Devise der Franzosen leiten lassen, die im Frühjahr millionenfach<br />

unter dem Leitwort „Mère et père – c’est élémentaire“ gegen die<br />

E<strong>in</strong>führung der „Homo-Ehe“ <strong>und</strong> das neue Adoptionsrecht demonstrierten.<br />

36<br />

Redaktionsschluß: 4. Oktober 2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!