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Erster Weltkrieg Kulturwissenschaftliches Handbuch - J. B. Metzler ...

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übergehen, während die Kameraden wegen des ständigen Beschusses passive Zeugen des<br />

Todeskampfes bleiben müssen. Der bewusste Akt des Tötens findet ebenso Erwähnung wie<br />

die Schuldgefühle, wenn der militärische Gegner einmal in seiner Menschlichkeit<br />

wahrgenommen wird.<br />

Auch die Sinnfrage wird vom Protagonisten des Romans thematisiert. Nicht nur enthüllt<br />

der Kriegsalltag das hohle und wirklichkeitsfremde Gerede von Lehrern und<br />

Stammtischstrategen, die in bequemer Distanz von der Front die Kriegsideologie<br />

reproduzieren, als leere Phrase; der Krieg stellt darüber hinaus den Wert aller angeblichen<br />

kulturellen Errungenschaften infrage: „Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die<br />

Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Ströme von Blut<br />

vergossen wurden“ (Remarque 1987, 236). Und als der Ich-Erzähler Paul Bäumler das<br />

Leiden und Sterben von Kriegsgefangenen miterlebt, stellt sich für ihn die Frage, warum<br />

einfache Soldaten einander so gnadenlos gegenüberstehen:<br />

Jeder Unteroffizier ist dem Rekruten, jeder Oberlehrer dem Schüler ein schlimmerer Feind als sie uns. Und<br />

dennoch werden wir wieder auf sie schießen und sie auf uns, wenn sie frei wären. Ich erschrecke; hier darf ich<br />

nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in den Abgrund. Es ist noch nicht die Zeit dazu; aber ich will den<br />

Gedanken nicht verlieren, ich will ihn bewahren, ihn fortschließen, bis der Krieg zu Ende ist. Mein Herz klopft:<br />

ist hier das Ziel, das Große, das Einmalige, an das ich im Graben gedacht habe, das ich suchte als<br />

Daseinsmöglichkeit nach dieser Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine Aufgabe für das Leben nachher,<br />

würdig der Jahre des Grauens (Remarque 1987, 236)?<br />

Die Möglichkeit, eine militärkritische oder pazifistische Lehre aus dem Krieg zu ziehen, ist<br />

hier angedeutet, doch es finden sich auch andere Themen im Roman. Remarque singt ein<br />

ungebrochenes Loblied auf die Kameradschaft unter einfachen Soldaten, und der Ich-<br />

Erzähler zieht gern von der ihm fremd gewordenen Heimat zurück an die Front. Die<br />

Kriegsursachen bleiben völlig ausgeblendet, und der Roman hinterfragt nicht die behauptete<br />

Unausweichlichkeit des soldatischen Einsatzes. Der Krieg erscheint als Unglück; ob aber<br />

Deutschland den Einsatz seiner Soldaten hätte vermeiden können oder ob ein<br />

unvermeidlicher Verteidigungsfall vorgelegen habe, wird nicht thematisiert. Die positiven<br />

Charaktere im Roman erfüllen ihre Pflicht an der Front, während der Schinder Himmelstoß in<br />

panischer Angst von seinen ehemaligen Untergebenen zum Kampf gezwungen wird. Selbst<br />

die Leistung des deutschen Soldaten wird verteidigt: er sei „besser und erfahrener“ gewesen,<br />

sei aber schließlich „einfach von der vielfachen Übermacht zerdrückt und zurückgeschoben<br />

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