Orpheus steigt herab - Münchner Kammerspiele
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
IM ZEICHEN DES HÖLLENHUNDES<br />
Christine Dössel, SZ, 01.10.2012<br />
(…) Nübling ist ein bekennender Fan des amerikanischen Südstaaten-Naturalisten und weiß Williams'<br />
realistischen Zustandsbeschreibungen sozialer Milieus und psychologischer Zerrüttungen<br />
jede Menge Treibstoff für sein superenergetisches, sich in krasser Körperlichkeit ausdrückendes<br />
Hochdrucktheater abzugewinnen.<br />
<strong>Orpheus</strong>, gemeint ist der schöne Nachtclub-Sänger Val Xavier, <strong>steigt</strong> hier nach einer Autopanne<br />
nicht einfach nur ab oder titelgemaß „<strong>herab</strong>" - in den Hades der keifenden Zombies, als welche<br />
Tennessee Williams das amerikanische Provinzkaff in seinem Stück beschreibt er knallt förmlich<br />
herein, schlängelt und schaukelt sich lasziv durch den allgegenwärtigen Hormonstau in dem Ort,<br />
schlägt - vor allem bei den Frauen - gewaltig an und versteht es, die Menschen zu bewegen, auch<br />
physisch: Val Xavier, der Fremdling aus dem echten Leben mit faunischer Exotik und Androgynität<br />
gespielt von dem estnischen Schauspieler Risto Kübar, bringt Nüblings Körpertheater ungeheuer<br />
viel Bewegung auf die Bühne. So dass sich schließlich sogar das große, oktoberfestlich famose<br />
Kettenkarussell auf Eva-Maria Bauers Bühne, das während des Geschehens erst noch fertig aufgebaut<br />
werden muss, traumhaft schön zu drehen beginnt Hochfliegende Sehnsucht. Als ob ein<br />
Leben in Leichtigkeit und Liebe möglich wäre! Bis dann die Kleinstadthöllen-Zombies durchdrehen.<br />
Kein Happy-End.<br />
Den 50er-Jahre-Sozialrealismus in Williams' Stück durch optische Brennglasverschärfung und lässig-ironische<br />
Punktierung, auch Abstrahierung brechend, kreiert Nübling von Anfang an eine kalte,<br />
feindselige, latent bedrohliche Atmosphäre, bestimmt von Bosheit, Hass und Neid. Hier schmort<br />
eine rassistische, moralisch verkommene Gesellschaft im eigenen Saft, und jeder, der „anders" ist,<br />
wird verdächtigt, vertrieben, niedergemacht. Ein schleichender Soundtrack aus zehrenden Bassgitarrenklängen<br />
(Lars Wittershagen) unterstreicht die frostige Stimmungslage.<br />
Am Anfang zeigt Nübling erst mal nur eine Frau mit Dobermann. Damit steht die Aufführung von<br />
vornherein unter dem Zeichen jenes, sagen wir mal: Höllenhundes, den die Männer in Two River<br />
County, selber Bluthunde, als Applikation auf ihren Blousons tragen (Kostüme: Pascale Martin);<br />
und sie wird zweieinhalb Stunden später im Hundegebell böse enden. Aber zunächst einmal sind<br />
da Annette Paulmann und Angelika Krautzberger, die als aufgedonnerte Provinz-Ivana-Trumps,<br />
eine blonder als die andere, mit brillanter Abscheulichkeit den aktuellen Klatsch durchgehen. Ihr<br />
ganzes Auftreten, bis hinein in die schrill-aggressive Sitcom-Tonlage, signalisiert: Gehässigkeit,<br />
Frustration, Niedertracht. Während sie ablästern, blasen sie rosa Luftballonschlangen in obszönen<br />
Formen auf, die sie zerknautschen und platzen lassen. Ein tolles Bild für den Triebstau, den Frust,<br />
den stets gewaltbereiten Psychozustand an diesem Horror-Ort.<br />
Schauspielerische Intensivskizzierungen, etwa die Art, wie Tim Emy einen unerträglichen Fett-<br />
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