Orpheus steigt herab - Münchner Kammerspiele
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
Material zur Inszenierung<br />
ORPHEUS STEIGT HERAB<br />
von Tennessee Williams<br />
Deutsch von Wolf Christian Schröder<br />
REGIE Sebastian Nübling, BÜHNE UND KOSTÜME Eva-Maria Bauer,<br />
MUSIK Lars Wittershagen, LICHT Stephan Mariani,<br />
DRAMATURGIE Julia Lochte<br />
MIT<br />
Dolly Hamma, Ehefrau<br />
Angelika Krautr zberge<br />
Dog Hamma, Ehemann<br />
Tim Erny<br />
Beulah Binnings, Ehefrau/Schwester Porter, Krankenschwester Annette Paulmann<br />
Pee Wee Binnings, Ehemann/ David Cutrere, Bruder<br />
Lasse Myhr<br />
Carol Cutrere, Schwester<br />
Sylvana Krappatsch<br />
Onkel Pleasant Christian Löber<br />
Val Xavier, vagabundierender Musiker<br />
Risto Kübar<br />
Lady Torrance, Ehefrau<br />
Wiebke Puls<br />
Jabe Torrance, Ehemann/ Sheriff Talbott, Ehemann<br />
Jochen Noch<br />
Vee Talbott, Ehefrau, Künstlerin<br />
Cigdem Teke<br />
PREMIERE<br />
29. September 2012, Schauspielhaus<br />
AUFFÜHRUNGSDAUER<br />
2 Stunden, 15 Minuten, keine Pause
ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
Das ruhige, wohl geordnete Leben einer Kleinstadt im Süden Amerikas. Im Namen des Gemeinwohls<br />
haben die Bewohner einen Bannkreis um ihre Idylle gezogen. Das Überschreiten<br />
dieser Grenze erweist sich für alle, die diesem Leben fremd sind, als Eintritt in die Hölle.<br />
Subkutan aber immer wieder auch in brutalster Offenheit herrscht ein Klima von Angst, Intoleranz<br />
und Fremdenfeindlichkeit.<br />
Hier betreibt Lady Torrance zusammen mit ihrem todkranken, tyrannischen Mann einen Gemischtwarenladen.<br />
Als der vagabundierende Musiker Val Xavier im Ort auftaucht, gerät die<br />
scheinbar stabile Ordnung ins Wanken. Lady Torrance, Tochter eines Einwanderers, erfährt,<br />
was jeder andere Bewohner längst weiß: dass ihr Mann einst der Anführer einer Gruppe<br />
Rassisten war, die den Brandanschlag auf das Gartenrestaurant ihres Vater verübten, bei dem<br />
dieser ums Leben kam.<br />
Sie beschließt, gemeinsam mit Val, das Gartenrestaurant neu zu eröffnen.<br />
Es ist ein ebenso unerschrockener wie aussichtsloser Akt des Aufbegehrens gegen kollektive<br />
Identitäten, die sich über Rituale der Ausgrenzung stabilisieren.<br />
Und wieder rotten sich die anständigen Bürger zu einer Menschenmeute zusammen und blasen<br />
zur Hetzjagd.<br />
INHALT<br />
I. DER MYTHOS, S.2<br />
II. DER AUTOR / Die Welt in der ich lebe, S.4 / Facts about me, S.5 / Tennessee Williams is<br />
never apolitical, S.7 / Tennessee Williams über ORHEUS STEIGT HERAB, S.8<br />
III. DIE INSZENIERUNG / Der Regisseur über Tennessee Williams, S.9 / Die Figuren, S.10<br />
Textauszug, S.13 / Pressestimmen, S.14<br />
IV. VOR UND NACH DEM VORSTELLUNGSBESUCH, S.19<br />
Impressum. <strong>Münchner</strong> <strong>Kammerspiele</strong> 2012/2013. Intendant: Johan Simons.<br />
Redaktion: Elke Bauer und Benetha Agbowo. Info unter: 089 233 36817<br />
1
ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
I. DER MYTHOS<br />
ORPHEUS UND EURYDIKE<br />
Der unvergleichliche Sänger <strong>Orpheus</strong> war ein Sohn der Muse Kalliope [1] und des Flussgottes<br />
Oiagros, der zugleich auch König von Thrakien [2] war.<br />
Apollon [3] selbst schenkte <strong>Orpheus</strong> eine wundervoll geschwungene Leier. Wenn <strong>Orpheus</strong> dieses<br />
Instrument zusammen mit seiner Stimme erklingen ließ, kamen die Vögel in der Luft, die Fische im<br />
Wasser und selbst die Tiere des Waldes herbei, um andächtig zu lauschen.<br />
Die Gemahlin von <strong>Orpheus</strong> war die Naiade Eurydike [4], und sie liebten sich auf das Zärtlichste.<br />
Das Glück sollte jedoch nicht lange währen, denn kaum waren die Lieder der Hochzeit verstummt,<br />
da raffte der Tod Eurydike dahin.<br />
Dies geschah auf einer grünen Wiese, wo eine giftige Schlange im Grase verborgen lag. Die schöne<br />
Eurydike ahnte davon nichts. Im Spiel mit ihren Freundinnen kam sie der Natter zu nahe und<br />
nahm den tödlichen Biss entgegen. Bald darauf lag Eurydike sterbend in den Armen ihrer Freundinnen.<br />
Alle weinten bitterlich, doch kein Bitten und Flehen brachte die Verlorene ins Leben zurück.<br />
Da fasste <strong>Orpheus</strong> einen mutigen Entschluss. Er wollte in das grausige Reich der Schatten hinabsteigen,<br />
um die Rückgabe von Eurydike zu erreichen.<br />
So machte er sich auf und ging durch die Pforte der Unterwelt bei Tainaron [5]. Schaurig umschwebten<br />
den Eindringling die Schatten der Toten, er aber ließ sich durch die Schrecknisse des<br />
Orkus [6] nicht beirren, bis er vor dem Thron des bleichen Hades [7] stand.<br />
Dort nahm <strong>Orpheus</strong> seine Leier zur Hand und sang zum zarten Klange der Saiten sein ergreifendes<br />
Klagelied: "Oh, du Herrscher dieses Reiches, gönne mir Wahres zu reden und höre gnädig<br />
mein herzliches Verlangen! Ich kam nicht <strong>herab</strong>, den Tantalos [8] und Kerberos [9] zu schauen. Ich<br />
kam, um das Leben meiner verstorbenen Gemahlin zu gewinnen. Die Liebe zu ihr zerbricht mir<br />
das Herz, und ich kann nicht ohne sie sein. Darum höret mein Flehen und gebt sie frei. Schenkt<br />
ihr, der geliebten Gemahlin, von neuem das Leben."<br />
Die blutlosen Schatten horchten dieser Klage, und sie weinten. Selbst Hades, der düstere Herrscher<br />
der Unterwelt war zum ersten Mal von Mitleid bewegt. Er rief nun den Schatten Eurydikes,<br />
der mit unsicheren Schritten näher kam.<br />
"Nimm sie mit dir", sprach der Totengott, "aber bedenke dieses: Du darfst dich nicht umblicken, bevor<br />
du das Tor der Unterwelt durchschritten hast. Nur dann wird Eurydike dir gehören. Schaust du<br />
aber doch zurück, so wird dir die Gnade entzogen."<br />
Schweigend und mit schnellen Schritten liefen <strong>Orpheus</strong> und Eurydike den finsteren Weg empor,<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
stets vom Grauen der Nacht umgeben. <strong>Orpheus</strong> lauschte dabei voller Sehnsucht, ob er nicht den<br />
Atem der Geliebten oder das Rauschen ihres Gewandes hören könne. Doch hinter ihm war nur<br />
Stille, Totenstille.<br />
Von Angst und Liebe überwältigt, wagte <strong>Orpheus</strong> es nun doch, sich nach der Geliebten umzublicken.<br />
Da schwebte sie, die Augen traurig und voll Zärtlichkeit auf ihn gerichtet, zurück in die<br />
schaurige Tiefe. Verzweifelt streckte <strong>Orpheus</strong> die Arme aus, die Entschwindende zu ergreifen.<br />
Doch sie war seinen Blicken schon entschwunden. Nur ein letztes "Lebe Wohl!" hallte noch leise<br />
aus der Ferne.<br />
<strong>Orpheus</strong> war starr vor Entsetzen, dann stürzte er zurück in die dunkle Unterwelt. Jetzt aber verweigerte<br />
ihm Charon, der greise Fährmann, die Fahrt über den schwarzen Fluss. Sieben Tage und<br />
Nächte saß <strong>Orpheus</strong> am Ufer, ohne Speis und Trank, und vergoss in Reue seine Tränen. Er flehte<br />
um die Gnade der unterirdischen Götter, doch nichts konnte sie erweichen.<br />
<strong>Orpheus</strong> kehrte schuldbeladen in die einsamen Bergwälder von Thrakien zurück. Drei Jahre lebte<br />
er dort ganz allein, die Gesellschaft der Menschen verachtend. Und wenn er traurig seiner Lieder<br />
sang, rückten selbst die Bäume näher und näher. Auch die Tiere des Waldes und die munteren Vögel<br />
kamen herbei und lauschten den wundervollen Klängen.<br />
Mit einem Male schwärmten thrakische Weiber durch die Berge, denn sie feierten das wüste Fest<br />
des Dionysos [10]. Für den einsamen Sänger, der alle Frauen verschmähte, hatten sie aber nur<br />
Verachtung. "Seht!", rief ein Weib, das den anderen vorauseilte. "Da ist er ja, der uns so verhöhnt!"<br />
Die Weiber stürzten sich tobend auf ihn, und die Waldtiere flohen erschreckt davon. <strong>Orpheus</strong> wehrte<br />
sich, so gut es ging, doch ein Schleuderstein traf ihn hart am Kopfe. Mit blutender Wunde sank<br />
er dahin, nun lag auch er im Sterben.<br />
Kaum war die mörderische Rotte davon gerannt, da flatterten die Vögel schluchzend herbei. Auch<br />
die Nymphen der Quellen [4] und Bäume eilten hinzu, und hüllten den Leichnam in schwarze Gewänder.<br />
Sie alle klagten um <strong>Orpheus</strong> bitterlich und begruben seinen geschlagenen Körper. Seine<br />
Seele aber schwebte hinab ins Schattenreich, in die Arme seiner ewigen Sehnsucht, Eurydike.<br />
nach Gustav Schwab<br />
[1]Die Musen sind neun Töchter von Göttervater Zeus. Ihre Namen sind: Klio, Euterpe, Thaleia, Melpomene,<br />
Terpsichore, Erato, Polyhymnia, Urania und Kalliope. [2]Thrakien hieß das Land, das nördlich von Griechenland<br />
bis an das schwarze Meer reichte. [3] Apollon, ein Sohn von Zeus, ist der Gott der Weissagung. Sein<br />
berühmtestes Orakel stand im griechi-schen Delphi. [4] Naiaden sind Quellnymphen. Nymphen aber sind<br />
Naturgottheiten, die als Töchter des Zeus gelten. [5] Tainaron ist die südlichste Landspitze des griechischen<br />
Peloponnes, heute das Kap Matapan. [6] Der Orkus ist die Unterwelt, das Reich der Toten. [7] Hades ist der<br />
Gott der Unterwelt. Er ist ein Bruder vom obersten Gott Zeus und vom Meeresgott Poseidon. [8] Tantalos<br />
missbraucht die Gunst der Götter. Dafür muss er in der Unterwelt auf ewig Durst, Hunger und Todesangst erleiden.<br />
[9] Kerberos ist ein dreiköpfiges Ungeheuer, auch Höllenhund genannt. Er bewacht den Eingang zur<br />
Unterwelt. [10] Dionysos, auch Bakchos genannt, ist ein Sohn von Zeus. Dionysos ist der Gott des Weines<br />
und der Fruchtbarkeit. Bei den Römern steht Bacchus an seiner Stelle.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
II. DER AUTOR<br />
DIE WELT, IN DER ICH LEBE<br />
Tennessee Williams interviewt sich selbst<br />
In: Where I Live. Selected Essays. NEW YORK 1978<br />
F: Glauben Sie nicht, die Leute werden von der Gewalt in Ihren Stücken abgeschreckt?<br />
A: Ich beschreibe nur die Welt, in der wir leben.<br />
Meinen Sie, das Publikum lässt sich von Katzen auf heißen Blechdächern oder Fahrgästen in<br />
verrückten Straßenbahnen unterhalten?<br />
Sollen sie doch in Musicals gehen. Ich werde meine Art zu schreiben nicht ändern.<br />
Gibt es bei Ihnen auch irgendeine positive Botschaft?<br />
Ich appelliere daran, dass wir uns bemühen, uns selbst und unser Gegenüber besser zu<br />
verstehen und einzusehen, dass niemand mehr ein Monopol auf Recht oder Tugendhaftigkeit<br />
hat, dass jeder Mensch ein vielschichtiges Wesen ist und so weiter. Wenn alle von dieser<br />
selbstverständlichen Wahrheit ausgingen, könnte die Welt dieser Art<br />
von Korruption noch ausweichen, die Thema aller meiner Stücke ist.<br />
Das hört sich so an, als fühlten Sie sich selbst von dieser gesellschaftlichen Korruption nicht<br />
betroffen.<br />
Ich habe niemals über irgendetwas geschrieben, das ich an mir selbst nicht auch<br />
beobachten konnte.<br />
Warum schreiben Sie nicht mal über nette Leute?<br />
Ich glaube nicht an Schurken oder Helden. Nur an richtige oder falsche Wege, die Menschen<br />
einschlagen, weil sie innerlich oder von außen dazu getrieben sind. Deshalb verstehe ich<br />
nicht, warum unsere Propaganda-Maschinerie immer versucht, uns zu überzeugen, die Leute<br />
zu hassen und zu fürchten, die auf derselben kleinen Erde leben wie wir. Warum lernen wir<br />
diese Leute nicht einfach kennen, so wie ich versuche, die Leute in meinen Stücken kennen<br />
zu lernen?<br />
4
ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
FACTS ABOUT ME<br />
In: Where I Live. Selected Essays. NEW YORK 1978 (Übersetzung: Johanna Latz)<br />
Ich wurde am 26. März 1911 im Pfarrhaus von Columbus, Mississippi, einer alten, am Tombigbee<br />
Fluss gelegenen Stadt geboren. Diese Stadt war von solch vornehmer Reserviertheit, dass es ein<br />
Sprichwort gab, welches besagt, man müsse ein ganzes Jahr dort wohnen, bevor einem die Nachbarn<br />
auf der Straße zulächelten. Da mein Großvater, mit dem wir zusammenlebten, der Gemeindepfarrer<br />
war, wurden wir ohne dieses Probejahr akzeptiert. Mein Vater, ein Mann mit dem imponierenden<br />
Namen Cornelius Coffin Williams, stammte väterlicherseits von Pionieren aus Tennessee<br />
ab und mütterlicherseits von frühen Siedlern der Insel Nantucket in Neuengland. Die Vorfahren<br />
meiner Mutter waren Quäker. Grob gesagt gab es also eine Vermischung von puritanischen und<br />
aristokratischen Einflüssen in meinem Blut. Vielleicht ist das verantwortlich für die widersprüchlichen<br />
Gefühle der Menschen, die ich beschreibe.<br />
Ich wurde auf den Namen Thomas Lanier Williams getauft. Ein ziemlich netter Name, vielleicht ein<br />
bisschen zu nett. Er klingt als gehörte er dem Sohn eines Schriftstellers, der Sonette an den Frühling<br />
schreibt. Tatsächlich bekam ich meinen ersten Literaturpreis, 25 Dollar von einem Damenclub,<br />
für drei dem Frühling gewidmete Sonette. Damals war ich noch sehr jung. Als ich älter wurde stellte<br />
ich fest, dass diese Gedichte nicht besonders gut waren und meinen Namen kompromittierten.<br />
Ich änderte ihn in Tennessee Williams. Hauptsächlich, weil die Williams gegen die Indianer um<br />
Tennessee gekämpft hatten und weil ich herausgefunden hatte, dass das Leben eines jungen<br />
Schriftstellers wie die Verteidigung eines Lagers gegen eine Horde Wilder war.<br />
Als ich zwölf war wurde meinem Vater, einem Handlungsreisenden, ein Posten in St. Louis angeboten<br />
und wir zogen in den Norden. Ein tragischer Umzug. Meine Schwester und ich konnten uns<br />
dem Leben im Mittleren Westen nicht anpassen. Unsere Mitschüler machten sich über unseren<br />
Südstaatenakzent und unser Verhalten lustig. Ich erinnere mich an Horden von „Sissy!" rufenden<br />
Kindern, die mir auf dem Nachhauseweg nachliefen. Das Zuhause war keine schöne Zuflucht. Ein<br />
düsteres kleines Appartement in einer Wüste aus gleichen Backstein- und Betonkonstruktionen. In<br />
St. Louis stellten wir plötzlich fest, dass es zwei Sorten von Menschen gibt, Reiche und Arme, und<br />
dass wir eher zu letzteren gehörten. Wäre ich in diese Lebensumstände hineingeboren, hätte ich<br />
sie vielleicht nicht so sehr abgelehnt. Aber sie wurden mir in der Kindheit aufgezwungen und lösten<br />
einen Schockzustand und eine Rebellion in mir aus. Es war der Anfang eines sozialen Bewusstseins,<br />
welches die meisten meiner Werke auszeichnet. Ich kenne mich mit politischen oder sozialen<br />
Lehren nicht aus. Wenn Sie mich nach meiner Gesinnung fragen, bin ich Humanist.<br />
Mein Eintritt ins College fiel in die Zeit der großen Depression in Amerika. Nach einigen Jahren<br />
konnte ich mir mein Studium nicht mehr leisten und musste einen Job in der Schuhfabrik anneh-<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
men, in der auch mein Vater arbeitete. Ich blieb zwei Jahre dort. Sie waren eine unbeschreibliche<br />
Qual, jedoch von großem Wert für mich als Schriftsteller. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam<br />
putschte ich mich mit schwarzem Kaffee auf, so dass ich die ganze Nacht wach bleiben konnte<br />
und Kurzgeschichten schrieb, die keiner kaufen wollte. Eines Tages kam ich von der Arbeit nach<br />
Hause und brach zusammen. Ich kam ins Krankenhaus, wo man mir sagte, ich könne nicht mehr<br />
in die Schuhfabrik zurück. Sobald das geklärt war, erholte ich mich. Ich ging in den Süden, um bei<br />
meinen Großeltern zu leben, die nach der Pensionierung meines Großvaters nach Memphis gezogen<br />
waren. Von diesem Zeitpunkt an begann ich, mit meinen Texten kleine Erfolge zu haben. Nach<br />
zwei weiteren Jahren auf dem College machte ich 1938 meinen BA-Abschluss an der Universität<br />
von Iowa.<br />
Erste wirkliche Anerkennung erhielt ich, als ich 1940 ein Rockefeiler Stipendium bekam und<br />
BATTLE OF ANGELS schrieb, das Ende des Jahres von der Theatre Guild mit Miriam Hopkins in<br />
der Hauptrolle produziert wurde. Das Stück wurde zwar noch während der Voraufführungen in<br />
Boston wieder abgesetzt, aber ich habe es seitdem einige Male umgeschrieben und glaube noch<br />
immer daran. In dieser Phase arbeitete ich unter anderem als Liftboy in einem großen Appartementhotel,<br />
kellnerte und rezitierte Gedichte im Village, arbeitete als Telefonist für die U.S. Engineers<br />
in Jacksonville Florida und war Platzanweiser im Strand Theatre am Broadway. Die ganze<br />
Zeit über schrieb ich, nicht, weil ich hoffte, davon leben zu können, sondern weil ich keinen anderen<br />
Weg fand, die Dinge auszudrücken, die offensichtlich danach verlangten, ausgedrückt zu werden.<br />
Von einem 17-Dollar-Job als Platzanweiser im Kino wurde ich plötzlich nach Hollywood verfrachtet,<br />
wo man mir 250 Dollar die Woche zahlte. In den sechs Monaten, die ich dort verbrachte,<br />
sparte ich genug Geld um mich über Wasser zu halten, während ich DIE GLASMENAGERIE<br />
schrieb.<br />
Ich glaube, von diesem Punkt an bedarf die Geschichte keiner weiteren Erläuterungen.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
TENNESSEE WILLIAMS IS NEVER APOLITICAL<br />
Amiri Baraka<br />
In: Tenn at one Hundred. The reputation of Tennessee Williams. Hrsg. Von David Kaplan.<br />
EAST BRUNSWICK 2011 (Übersetzung: Johanna Latz)<br />
Die Ansicht, Tennessee Willams' Werk sei unpolitisch, ist eine jener Behauptungen, die darauf abzielen,<br />
große Künstler gesellschaftspolitisch zu neutralisieren – einem willentlich flachen Maßstab<br />
zu folge, der danach trachtet, die Kunst von der Welt zu trennen, sie als ein Paralleluniverusum zu<br />
marginalisieren. Zu behaupten, Tennessee Willams' Werke seien unpolitisch, heißt zu ignorieren,<br />
was Politik ist – oder zu lügen. Kritiker, die solch lächerlichen Vorstellungen anhängen, reduzieren<br />
Politik auf Mitgliedschaft in einer politischen Partei oder ideologisches Sendungsbewusstsein.<br />
In der Politik geht es zu allererst um die Themen Macht und Machtverteilung. Wenn es in Tennessee<br />
Willams' Werken nicht um das Streben nach Macht, das Verleugnen und Verteilen von Macht<br />
geht, worum geht es dann? Im menschlichen Leben, oder im Leben in seinen allgemeinsten Verkettungen,<br />
geht es immer um das Verhältnis zur Macht. Besonders wenn man schwarz ist, oder<br />
eine Frau, oder homosexuell, oder arm, ist es klar, dass man kämpfen muss, einfach um zu sein,<br />
wer man ist. (...)<br />
Die vielen Opfer, die „zerbrechlichen Menschen", über die Williams schreibt, sind gewöhnlich solche,<br />
die von Personen oder Institutionen ,entmenschlicht' werden, die für sich in Anspruch nehmen,<br />
menschlicher zu sein. Mit anderen Worten, angelehnt an Orwells' ANIMAL FARM, wo es<br />
heißt “alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher”, einige Menschen in diese Gesellschaft sind<br />
mehr Menschen, sind menschlicher als andere. In den Südstaaten der USA – wie in vielen anderen,<br />
nach wie vor von Rassismus geprägten Regionen der Welt – zeigt sich dies besonders unverhüllt.<br />
Mir fällt kein einziges Stück von Williams ein, in dem es nicht um Spielarten der Machtausübung<br />
und Formen der Ausgrenzung ginge. (...)<br />
ORPHEUS STEIGT HERAB, eine Variation des Themas Südstaaten-Rassismus mit einer weiteren<br />
,Big Daddy' Machtfigur, die das Land und dessen Institutionen kotrolliert, die Menschen herumkommandiert<br />
und ihre Opfer 'kastriert' und verbrennt, als tödliche Demonstration ihrer Überlegenheit.<br />
Wieder und wieder stößt man in Tennessee Williams' Stücken auf das eine Thema: die Konfrontation<br />
der Mächtigen mit den Machtlosen. Fakt ist, dass die poetische Macht von Tennessee Willams'<br />
Werken ihre politische Bedeutung nicht schmälert, sondern verstärkt.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
MEMOIRS<br />
Tennessee Williams über ORHEUS STEIGT HERAB<br />
In: Tennessee Williams Memoirs / Memoiren. Deutsch von Kai Molvig. FRANKFURT 1977<br />
(...) Die Erinnerung an die Emfpindungsfähigkeit der Jugend ist wohl für jeden von uns kostbarer<br />
als alles andere. Und so findet sich in ORHEUS STEIGT HERAB die Beredtheit meines übervollen<br />
Herzens. Äußerlich betrachtet, ist es, was es war, immer noch die Geschichte des elementar lebensvollen<br />
jungen Mannes, der in eine typische Südstaaten-Gemeinde kommt und Aufruhr erzeugt.<br />
Aber im Grunde ist es ein Stück über unbeantwortete Fragen, die die Menschen nicht loslassen.<br />
Es geht um den Unterschied zwischen denen, die sie immer wieder stellen, und denen, die<br />
vorgefertigte Antworten akzeptieren – die gar keine Antworten sind, sondern eine Form von rentabler<br />
Anpassung oder Kapitulation vor einem Dilemma.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
III. DIE INSZENIERUNG<br />
DER REGISSEUR SEBASTIAN NÜBLING ÜBER TENNESSEE WILLIAMS<br />
Beitrag für das Spielzeitbuch der <strong>Münchner</strong> <strong>Kammerspiele</strong> 100 Jahre MK, Spielzeit 2012/2013<br />
Während der Proben zu BATTLE OF ANGELS, - der 1940 geschriebenen Frühfassung des Stoffes,<br />
die er 1957 zu ORPHEUS DESCENDING umschrieb – sagte Tennessee Williams einem Reporter:<br />
„Mein Interesse an sozialen Problemen ist ebenso groß, wie mein Interesse am Theater.“<br />
Wie würden Sie das Zusammenspiel dieser beiden Interessen beschreiben?<br />
SEBASTIAN NÜBLING: In vielen seiner Stücke interessiert sich Tennessee Williams auffällig für<br />
soziale Strukturen. Das lässt sich gut an den großen Besetzungen ablesen, in denen eine Vielzahl<br />
von Figuren das soziale, politische und intellektuelle Biotop zeichnen, in dem und aus dem sich die<br />
Schicksale der Einzelfiguren entwickeln. Milieu wird also nicht nur in Worten beschrieben, sondern<br />
es wird gezeigt. Es entsteht kein Milieukitsch, sondern realistische Zustandsbeschreibung. Und<br />
diese ermöglicht es, die Zerfallsprozesse abzubilden, denen soziale Gefüge ausgesetzt sind und<br />
die Energien, die dabei freigesetzt werden, spürbar zu machen. Mich interessiert die Frage sehr:<br />
„Wie geht Zusamenleben?“ Denn es ist eine Frage, die wir immer wieder neu beantworten<br />
müssen.“<br />
Sie haben auch schon ENDSTATION SEHNSUCHT, den letzten Teil der SOUTHERN TRILOGY<br />
von Tennessee Williams inszeniert. Was fasziniert Sie an der Art, wie Tennessee Williams' Figuren<br />
ihren Überlebenskampf führen?<br />
SEBASTIAN NÜBLING: Tennessee Williams' Stücke sind relativ lang. Williams ist darin ein Verwandter<br />
von Ibsen: auch seine Figuren reden sehr viel und sie sprechen alles aus. Sie müssen<br />
reden, um zu überleben. Sie ertränken sich, ihre Co-Figuren und uns in Sprache, und mit dieser<br />
Flut von Worten bauen sie einen Damm gegen den großen Verstummer, den Tod.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
FIGUREN<br />
Die, die trotzdem bleiben wollen<br />
CAROL CUTRERE:<br />
Juken? Kennst du das nicht? Man <strong>steigt</strong> ins Auto, und trinkt ein bisschen was, fährt ein bisschen,<br />
tanzt ein bisschen zu einer Juke-Box, trinkt noch ein bisschen was, fährt noch ein bisschen, tanzt<br />
noch ein bisschen zur Juke-Box. Und dann hört man auf zu tanzen und trinkt und fährt nur noch,<br />
und dann hört man auf zu fahren und trinkt nur noch, und dann, ganz am Ende, hört man auf zu<br />
trinken...Und wenn es eine klare Nacht ist, breitet man zwischen den Grabsteinen auf dem<br />
Zypressenhügel eine Decke aus, und wenn die Nacht nicht schön ist, auch nicht schlimm, dann<br />
bleibt man im Auto...<br />
Ich will gesehen, gehört, gefühlt werden! Ich will, dass alle wissen, dass es mich gibt!<br />
Weisst du, was ich mal war? Eine politische Aktivistin, ich habe Reden gehalten auf der Strasse,<br />
Protestbriefe geschrieben gegen das schleichende Massaker an der farbigen Mehrheit. Ich wollte,<br />
freie Kliniken gründen, Anti-Psychiatrie, sozialistische Patientenkollektive, ich habe dafür das Geld<br />
verschwendet, das meine Mutter mir hinterlassen hat. Und als dann diese Willie McGee<br />
Geschichte passierte - er wurde auf den elektrischen Stuhl geschickt, weil er eine ungehörige<br />
Beziehung zu einer weissen Hure hatte - hab ich ein wahnsinniges Theater gemacht.<br />
Ich habe einen Kartoffelsack angezogen und bin zu Barfuß zum Parlament aufgebrochen, im<br />
Winter, um einen persönlichen Protest beim Gouverneur abzugeben. Weisst du, wie weit ich<br />
gekommen bin? Sechs Meilen, Sechs Meilen vor der Stadt wurde ich verhaftet – ich wurde<br />
angehupt, beschimpft, sogar angespuckt bei jedem Schritt auf dem Wege, und dann verhaftet!<br />
Rat mal weswegen? Wegen unzüchtiger Landstreicherei! Ja, das war die Anklage, „unzüchtige<br />
Landstreicherei“. Weil sie sagten, dass der Kartoffelsack, den ich anhatte, kein ordentliches<br />
Kleidungsstück sei.<br />
Ich kann hier nicht über Nacht bleiben; ich darf in dieser Gegend nicht über Nacht bleiben.<br />
Sie geben mir Geld, damit ich nicht herkomme.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
LADY TORRANCE:<br />
Wir kennen uns schon lange. Seit der Zeit, als meine Familie auf einem Bananendampfer aus<br />
Palermo, Sizilien, hierher gekommen ist. Mit dem Leierkasten und dem Affen, den mein Vater in<br />
Caracas, Venezuela gekauft hatte. Ich selbst war nicht viel grösser als der Affe! Der Mann, der<br />
meinem Vater den Affen verkauft hatte, hatte gesagt, es sei ein ganz junger Affe, aber er hatte<br />
gelogen, es war ein ganz alter Affe, er lag in den letzten Zügen! Aber dafür war er tadellos<br />
angezogen. Er hatte einen grünen Samtanzug, eine kleine rote Mütze, mit der er grüsste, und<br />
einen Tamburin, mit dem er Geld einsammelte. Der Leierkasten spielte, und der Affe tanzte in der<br />
Sonne - „O sole mio, Da Da Da daaaa...!“ Eines Tages tanzte der Affe zuviel in der Sonne, und er<br />
fiel tot um... Mein Vater wandte sich an die Zuschauer, verbeugte sich und sagte „Die Vorstellung<br />
ist aus, der Affe ist tot“!<br />
Wir hatten einen kleinen Feigenbaum zwischen unserem Haus und dem Obstgarten! Er trug nie,<br />
es hiess, er sei unfruchtbar. Die Zeit verging, ein sinnloser Frühling nach dem andern, und er<br />
schien abzusterben... Dann, eines Tages, entdeckte ich eine kleine grüne Frucht an dem Baum,<br />
von dem es hiess, er könne nicht tragen! Es schien wie ein Wunder, nach diesen zehn Jahren der<br />
Unfruchtbarkeit, dass der kleine Feigenbaum tragen sollte, das musste gefeiert werden - ich lief<br />
zum Schrank, öffnete die Schachtel mit dem Christbaumschmuck, nahm ihn heraus: Glocken aus<br />
Glas, gläserne Vögel, silberne Eiszapfen, Sterne, Lametta... Und hängte alles an den kleinen<br />
Baum. Ich schmückte den Feigenbaum mit Glocken aus Glas und gläsernen Vögeln, und silbernen<br />
Eiszapfen und Sternen, weil er den Kampf gewonnen hatte! Pack die Schachtel aus, und schmück<br />
mich damit, mit den Glocken aus Glas und den gläsernen Vögeln und den Sternen und dem<br />
Lametta und dem Schnee! Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen, Herr Tod!<br />
Ich habe dafür bezahlt, dass man mich beschützt, viel bezahlt.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
VAL XAVIER:<br />
Als ich ein kleiner Junge war und meine Familie sich in alle Winde zerstreut hatte, da bin ich allein<br />
in den Sümpfen geblieben, habe außerhalb der Jagdsaison gejagt, Fallen gestellt und mich vor der<br />
Polizei versteckt! Und diese ganze Zeit, diese ganze einsame Zeit, habe ich gefühlt, dass ich auf<br />
etwas warte! Worauf wartet man? Darauf, dass etwas passiert, dass irgendetwas passiert,<br />
wodurch die Welt mehr Sinn macht... Ich kann mich schwer an dieses Gefühl erinnern, weil ich es<br />
jetzt nicht mehr habe, aber ich wartete auf etwas, so wie man auf eine Antwort von jemandem<br />
wartet, dem man eine Frage gestellt hat. Doch wenn man die falsche Frage stellt oder den<br />
Falschen fragt, bekommt man keine Antwort. Bleibt aber etwa die Welt stehen, weil man keine<br />
Antwort bekommt? Nein, alles geht weiter, als hätte man die Antwort bekommen, ein Tag folgt auf<br />
den anderen, Nacht auf Nacht, und man wartet immer noch auf jemand, der die Frage beantwortet,<br />
und dann macht man weiter und weiter und weiter ..., als sei die Frage beantwortet.<br />
Ich bin in die Stadt gegangen in dieser Schlangenhautjacke... Es hat nicht lange gedauert, bis ich<br />
mich auskannte. Ich lernte, dass ich noch etwas anderes zu verkaufen hatte als Schlangenhäute<br />
und die Haut wilder Tiere, die ich im Sumpf fing. Ich war im Schmutz gelandet!<br />
Niemand lernt jemals einen anderen kennen! Wir sind alle zu Einzelhaft verurteilt, in unserer<br />
eigenen Haut, lebenslänglich in unserer armen einsamen Haut!<br />
Ich bin in letzter Zeit ein zwei Mal nachts aufgewacht, mein Herz raste, ich habe etwas geschrien<br />
und musste singen, um mich wieder zu beruhigen...Irgendwie kann ich mich nicht an diesen Ort<br />
gewöhnen, ich fühle mich hier nicht sicher, aber ich will bleiben...<br />
12
ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
TEXTAUSZUG ORPHEUS STEIGT HERAB<br />
Und diese kleinen Vögel haben<br />
keine Beine und leben ihr ganzes<br />
Leben in der Luft, sie schlafen auf<br />
dem Wind, sie breiten ihre Flügel<br />
aus und schlafen auf dem Wind,<br />
so wie andere Vögel ihre Flügel<br />
zusammen falten und auf einem<br />
Baum schlafen. Sie schlafen auf<br />
dem Wind und landen nie auf<br />
dieser Erde, außer das eine Mal,<br />
wenn sie sterben!<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
PRESSESTIMMEN<br />
INTERVIEW MIT WIEBKE PULS<br />
IM STILLEN AUGE DAS ORKANS<br />
Gabriella Lorenz, AZ, 29.10.2012<br />
AZ: Frau Puls, Sie spielen in Nüblings Regie seit 2010 auch die Blanche in „Endstation Sehnsucht".<br />
Da wird eine Großbürgerin am Proletariat verrückt. In Two River County geht's viel höllischer<br />
zu als im mythologischen Hades.<br />
WIEBKE PULS: Das ist die Südstaaten-Gesellschaft der 50er-Jahre, wie sie Williams auch in<br />
„Endstation Sehnsucht" beschrieben hat. Es ist das Sittenbild einer selbstgerechten Gesellschaft,<br />
die Fremde frisst, um sie wieder auszuspeien. Fremde haben keine Chance, integriert zu werden.<br />
Diese Gesellschaft hebt nichts mehr, als sich aufzugeilen am Hass auf Fremde, wobei der Abscheu<br />
Hand in Hand geht mit extremer Neugier.<br />
Der Neuankömmling Val zieht natürlich alle Aufmerkeit auf sich. Aber Lady lebt schon lange hier.<br />
Ihr italienischer Vater kam ums Leben, als man sein Weingartenlokal abbrannte.<br />
In das alle kamen, um sich schön zu saufen und dann rumzufummeln. Diesen Garten abzufackeln<br />
war das herrlichste Feuerwerk. Lady ist seitdem eine assimilierte Fremde, fast eine Geisel der Gesellschaft.<br />
Sie ist nicht geflohen – sie hat sich vom Tycoon kaufen und mafiös beschützen lassen.<br />
Kann ein Opfer, wenn es seine eigene Haut zu schützen versucht, zum Verräter werden? Diese<br />
frage interessiert mich, unter anderen. Jetzt ist Lady ein gebranntes Kind, eine kontrollierte Außenseiterin<br />
– aber durch ihre Heirat im stillen Auge des Orkans.<br />
Val lässt sich nur widerstrebend auf Ladys Avancen ein. Ist er für sie ein Erlöser?<br />
Für uns ist das keine klassische Liebesgeschichte, sondern die zweier ziemlich gebeutelter Gesellschaftsopfer,<br />
die erst langsam erkennen, was der andere sein könnte, weil sie so beschäftigt sind<br />
mit ihrer Selbstbehauptung. Die Einsamkeit ist ein gewohnter Zustand geworden, so dass sie sich<br />
nichts anderes mehr vorstellen können.<br />
Aber Lady hat sehr wohl Zukunftspläne für diesen Ort.<br />
Sie arbeitet schon eine Weile subversiv. Als der Fremde kommt, gerät sie zwischen die Fronten.<br />
Betreibt sie weiterhin ihre Mimikry oder kommt . sie aus der Deckung? Was sie plant - die Bar als<br />
Denkmal für ihren Vater - hat Sprengkraft bezüglich der Machtverhältnisse, entspringt.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
IM ZEICHEN DES HÖLLENHUNDES<br />
Christine Dössel, SZ, 01.10.2012<br />
(…) Nübling ist ein bekennender Fan des amerikanischen Südstaaten-Naturalisten und weiß Williams'<br />
realistischen Zustandsbeschreibungen sozialer Milieus und psychologischer Zerrüttungen<br />
jede Menge Treibstoff für sein superenergetisches, sich in krasser Körperlichkeit ausdrückendes<br />
Hochdrucktheater abzugewinnen.<br />
<strong>Orpheus</strong>, gemeint ist der schöne Nachtclub-Sänger Val Xavier, <strong>steigt</strong> hier nach einer Autopanne<br />
nicht einfach nur ab oder titelgemaß „<strong>herab</strong>" - in den Hades der keifenden Zombies, als welche<br />
Tennessee Williams das amerikanische Provinzkaff in seinem Stück beschreibt er knallt förmlich<br />
herein, schlängelt und schaukelt sich lasziv durch den allgegenwärtigen Hormonstau in dem Ort,<br />
schlägt - vor allem bei den Frauen - gewaltig an und versteht es, die Menschen zu bewegen, auch<br />
physisch: Val Xavier, der Fremdling aus dem echten Leben mit faunischer Exotik und Androgynität<br />
gespielt von dem estnischen Schauspieler Risto Kübar, bringt Nüblings Körpertheater ungeheuer<br />
viel Bewegung auf die Bühne. So dass sich schließlich sogar das große, oktoberfestlich famose<br />
Kettenkarussell auf Eva-Maria Bauers Bühne, das während des Geschehens erst noch fertig aufgebaut<br />
werden muss, traumhaft schön zu drehen beginnt Hochfliegende Sehnsucht. Als ob ein<br />
Leben in Leichtigkeit und Liebe möglich wäre! Bis dann die Kleinstadthöllen-Zombies durchdrehen.<br />
Kein Happy-End.<br />
Den 50er-Jahre-Sozialrealismus in Williams' Stück durch optische Brennglasverschärfung und lässig-ironische<br />
Punktierung, auch Abstrahierung brechend, kreiert Nübling von Anfang an eine kalte,<br />
feindselige, latent bedrohliche Atmosphäre, bestimmt von Bosheit, Hass und Neid. Hier schmort<br />
eine rassistische, moralisch verkommene Gesellschaft im eigenen Saft, und jeder, der „anders" ist,<br />
wird verdächtigt, vertrieben, niedergemacht. Ein schleichender Soundtrack aus zehrenden Bassgitarrenklängen<br />
(Lars Wittershagen) unterstreicht die frostige Stimmungslage.<br />
Am Anfang zeigt Nübling erst mal nur eine Frau mit Dobermann. Damit steht die Aufführung von<br />
vornherein unter dem Zeichen jenes, sagen wir mal: Höllenhundes, den die Männer in Two River<br />
County, selber Bluthunde, als Applikation auf ihren Blousons tragen (Kostüme: Pascale Martin);<br />
und sie wird zweieinhalb Stunden später im Hundegebell böse enden. Aber zunächst einmal sind<br />
da Annette Paulmann und Angelika Krautzberger, die als aufgedonnerte Provinz-Ivana-Trumps,<br />
eine blonder als die andere, mit brillanter Abscheulichkeit den aktuellen Klatsch durchgehen. Ihr<br />
ganzes Auftreten, bis hinein in die schrill-aggressive Sitcom-Tonlage, signalisiert: Gehässigkeit,<br />
Frustration, Niedertracht. Während sie ablästern, blasen sie rosa Luftballonschlangen in obszönen<br />
Formen auf, die sie zerknautschen und platzen lassen. Ein tolles Bild für den Triebstau, den Frust,<br />
den stets gewaltbereiten Psychozustand an diesem Horror-Ort.<br />
Schauspielerische Intensivskizzierungen, etwa die Art, wie Tim Emy einen unerträglichen Fett-<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
wanst gibt oder die herrliche Cigdem Teke - von Haar bis Bluse in Gelb getaucht - als frustmalende<br />
Sheriffs-Gattin ihre Sprühdose schüttelt, erzeugen allein schon ein hohes Aggressionspotenzial.<br />
Verstärkt wird es durch den grässlichen Lärm und Benzingestank, der das Motorrad erzeugt, auf<br />
dem Lasse Myhr in Zuhältermanier über die Bühne braust.<br />
Geradezu gespenstisch gut ist indessen Jochen Noch in seiner Doppelrolle als Sheriff Talbott<br />
(Kaugummi kauender Das-Gesetz-bin-ich- Cowboy) und sterbenskranker Jabe Torrance (gruslig<br />
fahler Herrenmensch).<br />
Jabe Torrance ist der Mann, an den Lady, die Frau mit den italienischen Wurzeln, sich „verkauft<br />
hat", wie sie sagt. Ihr Vater, der „Itaker", ist dereinst verbrannt, als er versuchte, sein von einem<br />
„Bürgerwehr"-Mob niedergefackeltes Gartenrestaurant zu retten. Nicht wissend, dass Jabe damals<br />
den Mörder-Mob angeführt hat, heiratete Lady ihn, um ein Auskommen zu haben und im Geiste<br />
ihres Vaters wieder etwas aufzubauen - hier: das Kettenkarussell, an dem sich die wieder einmal<br />
beeindruckende Wiebke Puls in Arbeitshose und nüchterner, konzentrierter Beflissenheit zu schaffen<br />
macht. Sie ist eine Frau, der man die Einsamkeit und innere Zerquältheit ansieht; eine Schlaflose,<br />
die sich (auf ein Ziel) versteift hat und nun kaum damit umgehen kann, dass ihr dieser seltsame<br />
Vogel, den sie als Aushilfe eingestellt hat, zunehmend gefällt. Dass dieser Val Xavier mit<br />
seinem Kauderwelsch aus Estnisch-Englisch- Deutsch und seinem schönen Lied von den Vögeln<br />
ohne Beine, die „auf dem Wind schlafen" müssen, sie tief berührt.<br />
Risto Kübar ist das Gegenmodell zu Marlon Brando, schmal, grazil und tändelnd, nicht fassbar in<br />
seiner zwischen schwulem Stricher und laszivem Tänzer changierenden Ausstrahlung. Nübling<br />
gibt ihm mit Christian Löber als „Onkel Pleasant" ein Alter Ego an die Seite, eine Art Todesclown<br />
mit schwarzer Nase (im Original ist er ein Medizinmann, ein „Neger"). Auch das gehört zu den<br />
stimmigen Erfindungen, mit denen Nübiing aus dem angestaubten US-Stück - trotz aller verbliebenen<br />
Zeigefinger-Deutlichkeit - eine zeitlos humane Theaterparabel macht. Großer Applaus.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
Es bellt der Hund, es bellt der Mann<br />
Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 01.10.2012<br />
(…) „<strong>Orpheus</strong> <strong>steigt</strong> <strong>herab</strong>", Tennessee Williams' fast nie gespieltes Stück ist nicht, wie der Titel<br />
nahelegt, ein poetisches Dichterdrama, es ist ein amerikanischer Südstaatenschmachtfetzen aus<br />
den 40/5Oer-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ein Sozialdrama mit sehr viel Personal und<br />
noch mehr Worten. Die Kleinstadt, um die es geht, ist in ihrer selbstgefällig-brutalen Art ein einziges<br />
Repressionssystem.<br />
Hier versuchen Carol, Val und Lady Torrence zu einem eigenen Leben zu kommen. Das misslingt<br />
allen dreien gründlich.<br />
Der Regisseur Sebastian Nübling beginnt (und beendet) seine Aufführung mit einem Dobermann.<br />
Das große, kraftvolle, braun-schwarze Tier sitzt mitten in der dunkel schimmernden Bühne. Es<br />
bleibt während der gesamten Aufführung präsent, als Aufnäher auf den Schlägerjacken, als Gebell<br />
im Hintergrund, als bellender Husten von Jabe Torrance, dem kranken Ortspatriarchen, dem Jochen<br />
Noch eine bös-dumpfe Härte gibt.<br />
Trotz der vielen Musik, vom Band oder live auf Gitarre gespielt oder gesungen, ist das böse Bellen<br />
der Grundton der Aufführung. Ein stinkendes, knatterndes Motorrad (eine 500er Enduro), die erheblichen<br />
Körperumfänge von Jabes Kumpanen und die dralle, schnatternde Selbstgefälligkeit ihrer<br />
Ehefrauen tun ein Übriges, um jeglichen Anflug von Gemütlichkeit oder Kleinstadtseligkeit zu<br />
verhindern. Sebastian Nübling ist ein Regisseur oft harter Körperlichkeit, einer, der Stimmungen erzeugen<br />
kann, der eine gewisse Drastik bevorzugt. Das wird auch hier, in diesem düsteren Südstaatentraum,<br />
schnell deutlich.<br />
Gegen Hund und Härte steht ein veritables Karussell, das die Bühnenbildnerin Eva-Maria Bauer<br />
verkehrt herum in den Bühnenhimmel der <strong>Kammerspiele</strong> gehängt hat. Am Anfang hängt es wie eine<br />
große Glocke oder ein riesiger Lampenschirm über der Szene, am Ende, wenn alle bunten<br />
Lampen angebracht, alle Schaukeln montiert sind, dreht es sich schnell. Das ist dann sozusagen<br />
der Totentanz. Ein vieldeutiges Bild: Das Karussell ist ein nostalgisch-gigantisches Requisit, erinnert<br />
an Jahrmarkt, Wies'n, Naivität, Fellini, hier ist es auch drohender Deckel und verheißungsvolles<br />
Glücksversprechen. Val und Lady Torrence klettern einmal im Inneren des hängenden Drehkörpers<br />
nach oben und erleben dort, sozusagen im bunten Himmel, einen raren und unsichtbaren<br />
Moment des Glücks.<br />
Wiebke Puls macht diese Lady Torrence zur eindrucksvollen Ausbruchsstudie einer gedemütigten,<br />
um ihr Leben gebrachten Frau. Zunächst ist sie eine arbeitsame und resolute Person mit ahnbaren<br />
Anflügen von Zerbrechlichkeit. Später brechen die Härte, die sie braucht und die sie von ihrem bellenden<br />
Ehemann übernimmt, genauso wie die Hysterie der Missbrauchten aus ihr heraus.<br />
Wachgekitzelt wird sie von Val Xavier, dem Musiker und Frauenverführer, der bei ihr, jetzt mit 30<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
Jahren, ein normales Leben führen möchte. Die Auftritte des estnischen Schauspielers Risto<br />
Kübar, der schon in Nüblings „Three Kingdoms" auffiel, sind die Höhepunkte des Abends. Kübar<br />
spricht sehr weich, langsam und monoton, er spricht mit fremdem, charmantem Akzent, ein Singsang<br />
der unabsichtlichen Verführung. Auch körperlich unterspielt er auf diese anziehende Weise,<br />
wie ein junger, sanfter Iggy Pop vielleicht.<br />
Wenn wie hier Schauspieler unterschiedlicher Herkunft miteinander ins Spiel kommen und wenn<br />
sich die Sprachen und Spielweisen mischen, haben die <strong>Kammerspiele</strong> unter der Leitung von<br />
Johan Simons einzigartige Momente. Sie sind dann das erste europäische Stadttheater.<br />
(...)<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
IV. VOR UND NACH DEM VORSTELLUNGSBESUCH<br />
WER ALLES VERSTANDEN HAT, BRAUCHT ÜBER NICHTS MEHR NACHZUDENKEN.<br />
VOR DEM VORSTELLUNGSBESUCH<br />
ÜBUNGEN, FÜR DAS ÜBERSTEHEN VON WAHRNEHMUNGSKRISEN<br />
Zusammen leben – Wie geht das?<br />
Die Teilnehmer_innen lesen den Textauszug (S.13) in Kleingruppen von max. 5 Personen unter<br />
den folgenden Fragestellungen:<br />
1. Was für einen Menschen beschreibt dieser Text?<br />
2. In was für eine Gemeinschaft ist dieser Mensch integrierbar?<br />
Von Menschen, die immer wieder Fragen stellen<br />
Die Teilnehmer_innen entscheiden sich für eine der 3 Figuren (S.10 -12) und finden sich mit<br />
anderen Teilnehmer_innen zusammen, die die gleiche Figur gewählt haben.<br />
In den Kleingruppen diskutieren die Teilnehmer_innen anhand des Textmaterials<br />
1. den Charakter der gewählten Figur<br />
2. entwerfen sie aus der Perspektive der Figur Regeln für das Zusammenleben in einer<br />
Gemeinschaft<br />
Die Teilnehmer_innen stellen sich gegenseitig die Figur ihrer Wahl vor und diskutieren nach den<br />
Präsentationen, welche der drei Figuren für einen Job in einem Laden am besten geeignet wäre.<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
NACH DEM VORSTELLUNGSBESUCH<br />
ÜBUNGEN, FÜR DAS ÜBERSTEHEN VON WAHRNEHMUNGSKRISEN<br />
Der virtuelle Zwischenruf<br />
Zwischenrufe markieren die eigene individuelle Position, ablehnend oder zustimmend der Inszenierung<br />
gegenüber. Nach dem Vorstellungsbesuch wird danach gefragt, in welcher Szene oder<br />
angesichts welcher Figur man sich einen Zwischenruf vorstellen könnte, immer davon ausgehend,<br />
dass Zwischenrufe kurz und prägnant sind, anonym bleiben und nicht intelligent sein müssen.<br />
Gibt es Figuren oder Szenen, bei denen sich die Zwischenrufe häufen? Warum könnte das so<br />
sein?<br />
Der Audioguide<br />
Wie wäre das fürs Theater. Zuschauer können bei Bedarf eine Nummer eingeben und erhalten live<br />
einen vorgefertigten Text, der ihnen erklärt, was hier Regieeinfall war, was im Text stand und was<br />
der Regisseur damit wollte. Vielleicht könnte auch erwähnt werden, dass die Szene der Schauspielerin<br />
bei den Proben große Schwierigkeiten bereitet hat.<br />
Mit diesem 'Spiel' können Szenen ermittelt werden, die eine nachhaltige Auseinandersetzung fordern.<br />
Die Teilnehmer_innen formulieren die Augenblicke, in denen sie sich per Knopfdruck Informationen<br />
geholt hätten. 'Experten' unter den Teilnehmer_innen nehmen sich dieser Situationen an und formulieren<br />
den Text für den Audioguide.<br />
nach Jens Roselt: Das Drama der Wahrnehmung, Korrespondenzen Okt. 2011<br />
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ORPHEUS STEIGT HERAB von TENNESSEE WILLIAMS<br />
Material zur Inszenierung<br />
FRAGEN NACH DEM VORSTELLUNGSBESUCH<br />
Nach einem Theaterbesuch stellt sich meist direkt ein erster Eindruck ein wie: „Das hat mir gefallen!",<br />
,,War ja langweilig!", ,,Ich habe so viel gelacht!", ,,Hab' ich nicht kapiert!"... Doch worauf basiert<br />
dieser? Wodurch bildet er sich und was genau war gelungen, was weniger? Wir möchten Ihnen<br />
im Folgenden eine kleine Stütze geben, um sich selbst eine konkrete Meinung über ein gesehenes<br />
Stück zu machen.<br />
Da Sie die geschriebene Fassung des Stückes bzw. die Romanvorlage oder die Thematik höchstwahrscheinlich<br />
gelesen haben oder in irgendeiner Weise kennen, werden Sie zuerst Vergleiche<br />
anstellen. Die Inszenierung wird Ihren eigenen, beim Lesen entstandenen Bildern mehr oder weniger<br />
entsprechen. Lassen Sie sich auf eine Neudeutung ein, prüfen Sie deren Plausibilität<br />
und steigen Sie in die andere Sicht- und Interpretationsweisen ein.<br />
Eine Hilfe hierbei sind die folgende Fragen. Sie sind geeignet, spontane Urteile zu Objektivieren<br />
und in Worte zu fassen, im Selbstversuch und später in der Diskussion mit der Gruppe:<br />
1. Der künstlerische Wille<br />
Hat das Ensemble eine Absicht? Was will es, außer zu spielen (und Geld zu verdienen), erreichen?<br />
Spürt man Spielfreude, Engagement und Überzeugung?<br />
2. Der Text & dramaturgische Ablauf<br />
Ist der Text sprachlich, dramaturgisch und literarisch durchgearbeitet? Hat der Text einen Bezug<br />
zum Publikum?<br />
3. Die szenische Lösung<br />
Welche Wahl wurde auf Grund des Textes in Bezug auf Stil, Regie, Musik, Bühnenbild, Technik<br />
getroffen? Ist das Zusammenwirken dieser Elemente stimmig? Wie wirkt die Aufführung als Ganzes?<br />
4. Die schauspielerische Arbeit<br />
Geschicklichkeit, Handwerk, Arbeit an den Figuren, Zusammenspiel mit den anderen? Zusammenspiel<br />
mit dem Publikum?<br />
5. Das Verhältnis zum Publikum<br />
Nimmt die Gruppe das Publikum ernst? Fühlt es sich willkommen? Kann die Aufführung das Publikum<br />
fesseln und anregen?<br />
6. Das Verhältnis zwischen Wollen und Können<br />
Werden die Intentionen der Theatergruppe mit der Aufführung realisiert? Hält die Aufführung, was<br />
sie verspricht?<br />
7. Ethik<br />
Welches sind die ethischen Qualitäten der Aufführung? Welches gedankliche Konzept steckt dahinter?<br />
Welches ist die gesamte inhaltliche Aussage?<br />
aus: Schwoon, Biba: Qualität als Voraussetzung ASSITEJ Dänemark<br />
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