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NZg_45-2012 - Neue Zeitung

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6 T A G U N G<br />

NZ <strong>45</strong>/<strong>2012</strong><br />

Aufbruch in Serbien?<br />

Das VDA-Forum <strong>2012</strong> befasste sich mit der Neubewertung der Verbrechen an den Donauschwaben<br />

„Die Donauschwaben – Schick -<br />

salswege in Serbien“ lautete das<br />

Thema des VDA-Forums <strong>2012</strong>,<br />

das der sächsische Landes -<br />

verband des Vereins für Deutsche<br />

Kulturbeziehungen im Ausland<br />

(VDA) am 20. Oktober im<br />

Dresdner Goethe-Institut veranstaltete.<br />

Die Besucher konnten<br />

die Volksgruppe der Donau -<br />

schwaben kennenlernen, deren<br />

Siedlungsgebiet heute teilweise<br />

zu Serbien gehört. Sie erfuhren<br />

von den Verbrechen, die von<br />

1944 bis 1948 an den Donau -<br />

schwaben begangen wurden,<br />

aber auch, dass es seit ein paar<br />

Jahren in Serbien eine Neubewertung<br />

der tragischen Ereignisse<br />

gibt.<br />

Als Referenten konnte der VDA<br />

den Historiker und Journalisten<br />

Werner Harasym gewinnen, der<br />

von 2009 bis 2011 Vorsitzender der<br />

Donauschwäbischen Kulturstiftung<br />

in München war. Harasym hat<br />

donau schwäbische Vorfahren; ein<br />

Teil seiner Familie ist in den<br />

Lagern Titos umgekommen.<br />

Einleitend erklärte der Referent,<br />

dass in den letzten zehn Jahren in<br />

Serbien zahlreiche Gedenkstätten<br />

für die ermordeten Donauschwaben<br />

errichtet worden sind. Dies könne<br />

als Zeichen für eine politische Neubewertung<br />

angesehen werden.<br />

Außerdem gebe es eine kulturelle<br />

Neuausrichtung, was besonders der<br />

2011 gedrehte Film „Die Donau -<br />

schwaben (Podunavske vabe)“<br />

zeige. Jedoch habe der Aufbruch<br />

Grenzen.<br />

Harasym wies darauf hin, dass es<br />

sich bei den Donauschwaben um<br />

Der Film „Podunavske Svabe“ des jungen serbischen<br />

Filmemachers Marco Cvejic, dessen familiäre Wurzeln<br />

auch in der Vojvodina liegen, war aufrüttelnd.<br />

Er beginnt mit schönen, stillen Bildern der Donau.<br />

Eine junge Deutsche, gespielt von der Slowenin Zala<br />

Vidali, ist auf der Suche nach der Heimat ihrer Familie.<br />

Doch von der einstigen Kultur der Donauschwaben<br />

blieb nichts erhalten.<br />

Es ging seinerzeit brutal und mörderisch zu Davon<br />

weiß auch der katholische Oberhirte des jetzigen<br />

Deutschland, Erzbischof Robert Zollitsch, ein trauriges<br />

Lied zu singen. Er wurde 1938 in Filipowa in der<br />

westlichen Batschka geboren. Im Herbst 1944<br />

erober ten die Tito-Partisanen den Ort. 212 schwäbische<br />

Einwohner wurden ermordet, darunter auch der<br />

Bruder von Zollitsch. Der 6-jährige Robert, seine<br />

Großmutter und drei Cousinen kamen in das Lager<br />

Gakovo bei Sombor. 1946 floh die Familie Zollitsch<br />

nach Deutschland.<br />

Titos Partisanen betrieben in allen Orten mit<br />

schwäbischer oder ungarischer Bevölkerung ihr blutiges<br />

Handwerk. Man schätzt, daß in der Vojvodina<br />

VDA-Forum <strong>2012</strong> im Goethe-Institut Dresden<br />

Deutsche handelt, die sich im 18.<br />

Jahrhundert im Königreich Ungarn<br />

angesiedelt haben. 1918 wurde ihr<br />

Siedlungsgebiet auf die drei Nachfolgestaaten<br />

von Groß-Ungarn aufgeteilt.<br />

Heute leben die Donau -<br />

schwaben in vier Staaten: Ungarn,<br />

Rumänien, Kroatien und Serbien,<br />

hier fast ausschließlich in der Autonomen<br />

Provinz Vojvodina.<br />

Bei Kriegsende befanden sich von<br />

den 540.000 Donauschwaben, die bis<br />

1941 in Jugoslawien gelebt hatten,<br />

noch 200.000 auf dem Gebiet des<br />

wiedererstandenen Staates. 170.000<br />

von ihnen wurden in Lager gesperrt.<br />

Der Terror des Tito-Regimes forderte<br />

insgesamt 64.000 Todesopfer unter<br />

den donauschwäbischen Zivilisten.<br />

Viele der Überlebenden sind bis<br />

heute schwer traumatisiert.<br />

Laut Volkszählung von 2002 leben<br />

in der Vojvodina noch 3.900 Deutsche.<br />

Vertreter deutscher Verbände<br />

sprechen jedoch von bis zu 12.000<br />

Foto: Gert Bürgel<br />

verbliebenen Donauschwaben. Im<br />

Bezirk Sombor soll es noch 3.500<br />

Deutsche geben. Hier wirkt der Verein<br />

„St. Gerhard“, der nach eigenen<br />

Angaben über 700 Mitglieder hat.<br />

Werner Harasym legte dar, dass es<br />

seit etwa zehn Jahren in der Vojvodina<br />

ein spürbares Interesse gibt, die<br />

Verbrechen des Tito-Regimes an den<br />

Donauschwaben aufzuarbeiten, die<br />

jahrzehntelang tabuisiert worden<br />

sind. Dafür sprechen nicht nur die<br />

Gedenkstätten in den ehemaligen<br />

Todeslagern, sondern auch Äußerungen<br />

von Regionalpolitikern. So hat<br />

im Oktober 2009 der damalige Parlamentspräsident<br />

der Vojvodina, Sándor<br />

Egeresi, auf einer wissenschaftlichen<br />

Tagung erklärt, dass eine Vergangenheitsbewältigung<br />

notwendig<br />

sei und diese sich als „ein langwieriger,<br />

schmerzhafter Prozess über mehrere<br />

Generationen“ hinziehen werde.<br />

Ein herausragendes Beispiel für<br />

die kulturelle Neubewertung der<br />

über 200.000 Menschen ums Leben kamen – überwiegend<br />

Frauen und Kinder, denn die Männer waren<br />

damals noch Soldaten.<br />

Bei seinen Recherchen gelang es dem serbischen<br />

Filmemacher, mit zahlreichen Frauen und Männern,<br />

die damals noch Kinder waren, zu sprechen. Ein<br />

Mann sagte: „Die Deutschen schwiegen in ihren<br />

Familien. Mein Vater war Deutscher, er gab sich aber<br />

als Ungar aus. So gelang es uns zu überleben,<br />

obwohl auch die Ungarn viel zu leiden hatten.“<br />

Die Suche nach den Wurzeln ihrer Familie führte<br />

die junge Frau auch ins frühere Rudolfsgnad, heute<br />

Knicanin. Dabei kommt heraus: Der Ort hatte bis<br />

zum Ende des 2. Weltkrieges 3 200 Einwohner,<br />

mehrheitlich Donauschwaben. Es wurde deutsch<br />

gesprochen, und es gab eine deutsche Schule, deutschen<br />

Gottesdienst. Das Haus der Großeltern stand<br />

noch – als halbverfallene Ruine. Rudolfsgnad wurde<br />

im Oktober 19<strong>45</strong> zum Gefangenenlager für Donau -<br />

schwaben. Es gab über 20 000 Gefangene, 11 000<br />

Tote wurden in Massengräbern verscharrt.<br />

petzold<br />

Nachkriegsereignisse ist für Harasym<br />

der 2011 produzierte Film „Die<br />

Donauschwaben“. Es handelt sich<br />

dabei um ein Doku-Drama des 33-<br />

jährigen serbischen Regisseurs<br />

Marko Cvejic, der in der Vojvodina<br />

aufgewachsen ist und heute in Belgrad<br />

lebt. In dem Film thematisiert<br />

Cvejic die Verbrechen, die zwischen<br />

1944 und 1948 an den donauschwäbischen<br />

Zivilisten begangen worden<br />

sind. Er kombiniert eine fiktive<br />

Handlung, die in der Gegenwart<br />

spielt, mit der Befragung von Zeitzeugen.<br />

Der Film ist ein bemerkenswerter<br />

Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung<br />

in Serbien und hat in Belgrad,<br />

aber auch in ehemaligen donau -<br />

schwäbischen Siedlungen viel<br />

Zuspruch gefunden. Er hat die<br />

Öffentlichkeit erreicht und viele<br />

Menschen in der Vojvodina für die<br />

Geschichte sensibilisiert. Auch in<br />

Deutschland wurde der Film schon<br />

aufgeführt, so in Berlin, München<br />

und anderen Städten.<br />

Werner Harasym machte deutlich,<br />

wo der vermeintliche Aufbruch in<br />

Serbien seine Grenzen hat. Es gebe<br />

eine gewisse Bereitschaft, die Verbrechen<br />

an den Deutschen zur<br />

Kenntnis zu nehmen, aber Serbien<br />

wolle keine Parlamentsresolution zu<br />

den Nachkriegsereignissen verabschieden.<br />

Um viele Gedenkstätten<br />

habe lange gerungen werden müssen,<br />

vor allem um die Inschriften der<br />

Tafeln.<br />

Dem Regisseur Cvejic sei<br />

„Geschichtsrevisionismus“ vorgeworfen<br />

worden und das Auswärtige<br />

Amt der Bundesrepublik habe sich<br />

geweigert, die Filmtour durch die<br />

Vojvodina zu unterstützen, weil man<br />

fürchtete, der Film werde bei Teilen<br />

der serbischen Bevölkerung negative<br />

Reaktionen hervorrufen. Trotz all<br />

dieser Probleme, so Harasym, sei<br />

die Tendenz jedoch „insgesamt<br />

erfreulich“.<br />

Nach dem Referat von Werner<br />

Harasym konnten sich die Besucher<br />

des VDA-Forums <strong>2012</strong> den beeindruckenden<br />

Film „Die Donau -<br />

schwaben“ ansehen. Wie an vielen<br />

anderen Aufführungsorten löste das<br />

Doku-Drama auch in Dresden Mitgefühl<br />

und Betroffenheit aus.<br />

Peter Bien<br />

Ungarndeutsche<br />

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