01.09.2012
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2 politik<br />
Schlesische Nachrichten 17/2012<br />
Lob an Polen blendet<br />
Verfehlungen aus.<br />
Man kann verstehen, wenn ein Staatsoberhaupt<br />
im Ausland mit Freundlichkeiten<br />
gegenüber den Gastgebern auftritt.<br />
Aber musste die Herabsetzung des<br />
eigenen Volkes sein? Polen geradezu<br />
als Übernation darzustellen, seine<br />
Verfehlungen einfach auszublenden,<br />
war sicher nicht ein Zeugnis für Wahrheitsliebe.<br />
Mussten andere Nationen<br />
nicht unter polnischer Gewalt leiden?<br />
Nach dem 1. Weltkrieg verfuhr das Land<br />
nach dem Motto: Wo Polen wohnen,<br />
ist auch Polen. Dabei waren Gebiete<br />
gemeint, in denen nur polnische Minderheiten<br />
lebten. Ausfluss dieses nationalistischen<br />
Denkens waren dann<br />
vier Überfälle auf Nachbarstaaten. Im<br />
Osten wurden 1920 Teile der Ukraine<br />
und Weißrusslands erobert und der<br />
Sowjetunion entrissen. Knapp 20 %<br />
der Einwohner waren allerdings nur Polen.<br />
Ebenso verleibte sich Polen einen<br />
Teil Litauens mit der Hauptstadt Wilna<br />
ein. Im Mai 1921 überfiel die Polnische<br />
Armee im Verbund mit den von ihr ausgerüsteten<br />
Insurgenten Oberschlesien,<br />
um einen Großteil dieser deutschen<br />
Provinz zu annektieren. Schließlich<br />
marschierten 1938 polnische Truppen<br />
in das zur Tschechoslowakei gehörende<br />
Olsa-Gebiet ein, vertrieben dort lebende<br />
Deutsche und Tschechen und<br />
annektierten den Landstrich.<br />
Polnischer Nationalismus brachte<br />
viel Unglück.<br />
Damit war der polnische Nationalismus<br />
aber noch nicht befriedigt. Er richtete<br />
sich jetzt gegen die im Land lebenden<br />
Minderheiten. Etwa eine Million Deutsche<br />
musste aufgrund des ausgeübten<br />
Drucks oder Terrors bis 1939 das Land<br />
verlassen, viele wurden ausgewiesen.<br />
Auch die Familien der drei aus Ostoberschlesien<br />
stammenden späteren Nobelpreisträger<br />
(Otto Stern, Kurt Alder,<br />
Maria Goeppert-Mayer) waren unter<br />
ihnen. Viele Juden aus Polen suchten<br />
wegen des Drucks Zuflucht in Deutschland.<br />
Von den Unterdrückungsmaßnahmen<br />
betroffen waren vor allem auch<br />
die Ukrainer. So entwickelte sich ein<br />
Hass, der am Ende des 2. Weltkriegs zu<br />
blutigen Auseinandersetzungen führte,<br />
der viele Zehntausenden das Leben<br />
kostete. 1945 und noch Jahre danach<br />
entlud sich dieser Nationalismus in besonderer<br />
Weise gegen die Deutschen.<br />
Das gern verwandte Argument, Polen<br />
habe nur die Potsdamer Beschlüsse<br />
vom 2. August 1945 ausführen müssen,<br />
ist schon deshalb falsch, weil die polnische<br />
Exilregierung in London während<br />
des Krieges vehement eine Annexion<br />
Ostdeutschlands und die Vertreibung<br />
der Deutschen gefordert hatte und<br />
Warschau zudem aus eigenem Antrieb<br />
schon seit Ende Mai 1945 mit der<br />
Vertreibung begann. Dies aber nicht<br />
allein: Polnischer Nationalismus prägte<br />
auch die Behandlung der Deutschen<br />
vor Ort. Hunderttausende mussten in<br />
Zwangsarbeiterlagern Zwangsarbeit<br />
leisten, viele unschuldige Frauen und<br />
Kinder verloren dabei ihr Leben. Es gibt<br />
also eindeutige Nachweise dafür, dass<br />
polnischer Nationalismus für andere<br />
Völker viel Unglück brachte. Wenn der<br />
Europarat Polen wegen gravierender<br />
Mängel bei der Umsetzung des Minderheitenrechts<br />
für Deutsche vor einigen<br />
Monaten rügte, ist dies sicher kein Ausdruck<br />
toleranten Verhaltens gegenüber<br />
anderen Volksgruppen, sondern auch<br />
heute noch Ausfluss nationalistischen<br />
Denkens. Dieses alles auszublenden,<br />
hilft nicht den Menschen und ist auch<br />
keine Grundlage für eine gedeihliche<br />
Zukunft. Wenn man den Polen Anerkennung<br />
zollen will, dann in der Tat für<br />
ihren Kampf um die Freiheit. Dem Land<br />
zu attestieren, es könne mit Patriotismus<br />
besser umgehen als andere, geht<br />
an den Tatsachen vorbei.<br />
Deutscher Schuldstolz blendet<br />
Wahrheit aus.<br />
In der veröffentlichen Meinung gibt es<br />
üblicherweise keinen Widerspruch,<br />
wenn negativ über das eigene Volk<br />
berichtet wird. Man hat den Eindruck,<br />
es dominiert ein Schuldstolz, der<br />
darauf angelegt ist, möglichst viel<br />
Schuld zu bekennen und vor der Welt<br />
auszubreiten. Hinweise auf Verbrechen<br />
anderer Nationen werden dagegen<br />
als störend empfunden, sie<br />
werden schnell als Geschichtsrevisionismus<br />
und Verharmlosung von<br />
NS-Verbrechen gegeißelt. Dagegen<br />
ist Aufrechnung ein Mittel, um die<br />
Vertreibung in einem milden Licht erscheinen<br />
zu lassen. Man spricht dann<br />
fälschlicherweise von einer Kriegsfolge<br />
oder als Antwort auf die NS-<br />
Verbrechen. Geschichtsklitterungen<br />
beziehen sich auch auf die deutsche<br />
Politik in der Weimarer Republik. So<br />
drückte der Direktor der „Stiftung<br />
Flucht, Vertreibung, Versöhnung“<br />
in seinem Eckpunktepapier für die<br />
Dauerausstellung den Deutschen<br />
auch für diese Zeit den Stempel des<br />
Revisionismus auf, ein Attribut, das<br />
für Polen trotz seiner Gewaltpolitik<br />
nicht verwendet wurde.<br />
In einem Klima der Einschüchterung<br />
wird die Wahrheit immer mehr zum<br />
Verlierer. Wer wagt es noch, gegen falsche<br />
Fakten, gegen falsche Wertungen<br />
und ein verqueres Geschichtsbild zu<br />
opponieren? Gauck brauchte deshalb<br />
auch nicht zu befürchten, für seine<br />
Anmerkungen angegriffen zu werden.<br />
Aber darf ein Präsident so weit gehen,<br />
abwertende Aussagen gegenüber den<br />
Deutschen zu machen?<br />
Nationalismus prägte auch die<br />
Politik anderer Länder.<br />
In einer Rundfunkmeldung hieß es,<br />
dass mit dem Unglück, das zweimal<br />
durch deutschen Nationalismus verursacht<br />
wurde, die zwei Weltkriege<br />
gemeint seien. Der Nationalismus<br />
anderer Staaten, der immer wieder<br />
zu Kriegen führte (Großbritannien<br />
führte weit mehr Kriege als Preußen),<br />
kommt nicht vor. Waren es nicht Großbritannien<br />
und Frankreich, die unter<br />
Missachtung von Menschenrechten<br />
sich über andere Völker hinwegsetzten<br />
und große Kolonialreiche schufen,<br />
Nationalismus pur verkörperten? Den<br />
1. Weltkrieg auf deutschen Nationalismus<br />
zurückzuführen, ist nachweislich<br />
falsch. Nationale Interessen anderer<br />
Mächte spielten eine bedeutende<br />
Rolle. Es ist richtig, dass durch die<br />
verbrecherische Gewaltpolitik des<br />
NS-Regimes mit dem Angriff auf Polen<br />
ein Geschehen in Gang gesetzt wurde,<br />
das sich durch die Kriegserklärungen<br />
Frankreichs und Großbritanniens<br />
an Deutschland zum Weltenbrand<br />
entwickelte. Es soll an der deutschen<br />
Schuld, vor allem an der menschenverachtenden<br />
NS-Ideologie, nichts<br />
abgestrichen werden. Aber traten die<br />
beiden Westmächte nur in den Krieg<br />
ein, um Polen zu retten, oder gab<br />
es nicht auch eigene Interessen? In<br />
Polen hört man immer wieder den<br />
Vorwurf, dass die beiden Länder<br />
neun Monate lang nichts zur Einlösung<br />
ihrer Bündnisverpflichtungen<br />
getan hätten.<br />
Wenn junge Menschen nach einer<br />
Identifikation mit Deutschland suchen,<br />
so werden sie durch Aussagen<br />
– wie die von Gauck – immer wieder<br />
enttäuscht. Viele verweigern sich der<br />
Politik, manche wenden sich dem<br />
Radikalismus zu. Oberflächlichen<br />
Patriotismus findet man bei internationalen<br />
Fußballmeisterschaften,<br />
der allerdings mit gesunder Liebe<br />
zum eigenen Land nichts zu tun hat.<br />
Politiker sollten dem Volk vor allem<br />
nicht einreden, dass ein deutscher