OP-Technik mit Zukunft - Park Klinik WeiÃensee
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Fortbildung<br />
Siebbein-Matchbox: Die wichtigsten<br />
Platzhalter des vorderen<br />
Siebbeins sind Bulla ethmoidalis<br />
(rot) und die <strong>mit</strong>tlere Nasenmuschel.<br />
Weitere Zellen bzw. Strukturen:<br />
braun – Agger nasi, grün<br />
– Processus uncinatus, blau –<br />
retrobullöse Zelle, grau und gelb<br />
– hintere Siebbeinzellen, Schatten<br />
– Infundibulum ethmoidale<br />
und Recessus frontalis.<br />
© Prof. Hans Behrbohm / Katja Dalkowski<br />
Biostatische Siebbeinchirurgie<br />
<strong>OP</strong>-<strong>Technik</strong> <strong>mit</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Hans Behrbohm, Sebastian Winter und Carsten Dalchow<br />
Eigentlich sollte die „Functional Endoscopic Sinus Surgery“ (FESS) eine minimal-invasive endoskopische<br />
Operationstechnik darstellen. Vielerorts hat sie sich jedoch zu einer simplen Ausräumungstechnik des<br />
Siebbeins zurückentwickelt, ohne der individuellen Spezifik der jeweiligen anatomischen Probleme<br />
gerecht zu werden. Worauf man im Einzelfall achten muss und welche Strukturen es zu schonen gilt,<br />
zeigt der folgende Beitrag.<br />
Emil Zuckerkandl (1849 – 1910)<br />
wurde <strong>mit</strong> 31 Jahren ohne Habilitation<br />
außerordentlicher Professor<br />
der Anatomie, nachdem er ursprünglich<br />
eine Kariere als Geigenvirtuose angestrebt<br />
hatte. 1882 wurde er Ordinarius<br />
in Graz und sechs Jahre später übernahm<br />
er den ersten anatomischen Lehrstuhl in<br />
Wien. Der Dichter Arthur Schnitzler, der<br />
zu dieser Zeit in Wien Medizin studierte,<br />
erinnert sich in seiner Autobiographie<br />
„Jugend in Wien“ lebhaft an Zuckerkandl:<br />
„ …ein bleicher junger Mann <strong>mit</strong><br />
dunklem Spitzbart und schwarzen Augen,<br />
der in seinem Talar völlig einem jener<br />
Anatomen glich, wie sie uns von berühmten<br />
Bildern Rembrandts her vertraut<br />
sind und den bei aller zeitlichen und<br />
räumlichen Nähe fast legendenhaft die<br />
Mär von seiner flotten, trink- und fechtfreudig<br />
durchlebten Burschenzeit umschwebte.“<br />
Zudem stand er in dem Ruf<br />
„ …sich häufig geraden Wegs aus irgendeinem<br />
Nachtlokal oder vielleicht gar<br />
aus schönen Frauenarmen an sein ernstes<br />
Tagewerk zu begeben, das er dann lehrend<br />
und lernend <strong>mit</strong> ungeheurem Fleiß<br />
bis in die späten Abendstunden trieb“.<br />
Dieser intensive Drang nach wissenschaftlicher<br />
Erkenntnis war sicher eine<br />
Voraussetzung für sein Werk „Normale<br />
und pathologische Anatomie der Nasenhöhle<br />
und ihrer pneumatischen Anhänge“<br />
aus dem Jahre 1882. Darin beschreibt<br />
Zuckerkandl erstmals die detaillierte<br />
Anatomie des Siebbeins und aller Nasennebenhöhlen<br />
und schuf da<strong>mit</strong> eine wissenschaftliche<br />
Grundlage für deren anatomisches<br />
Verständnis. Zugleich wies er<br />
auf Strukturen und Engstellen <strong>mit</strong> pathogenetischer<br />
Bedeutung für entzündliche<br />
Erkrankungen hin, die noch heute<br />
aktuell sind, z.B. das Infundibulum ethmoidale<br />
und Pneumatisations- und Krümmungsvarianten<br />
der <strong>mit</strong>tleren Muschel.<br />
32 HNO-NACHRICHTEN 2·2008
© Prof. Hans Behrbohm<br />
© Prof. Hans Behrbohm / Katja Dalkowski<br />
Abbildung 2: CT einer Patientin <strong>mit</strong> Z.n.<br />
vollständiger Ethmoidektomie rechts und<br />
BES zwei Jahre postoperativ. Die kranialen<br />
Bullakappe und -lamelle links sind<br />
erhalten. Das rechte Siebbein ist stenosiert,<br />
das linke unverändert weit.<br />
Abbildung 3: Das Siebbein als eingehängte<br />
Leichtbau-Konstruktion eines<br />
zentralen Platzhalters im Mittelgesicht.<br />
Es besitzt eine T-Form, vertikal die Lamina<br />
perpendicularis und die Crista galli,<br />
horizontal die Labyrinthe.<br />
Detailliert beschreibt er die einzelnen<br />
Zellenformationen des Siebbeins:<br />
„Von der Bulla ethmoidalis habe ich<br />
angeführt, dass ihre Ausbildung sehr verschiedenen<br />
ist, und dass dieselbe nicht nur<br />
wegen ihrer Topik zu der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel<br />
von Wichtigkeit ist. Sie repräsentiert<br />
eine dem unteren Theile des Labyrinthes<br />
angehörige, medialwärts gegen die<br />
Nasenhöhle <strong>mit</strong> gewölbter Oberfläche vortretende<br />
Siebbeinzelle, die lateralwärts von<br />
der Papierplatte des Siebbeins abgeschlossen<br />
wird oder diese nicht erreicht, wenn zwischen<br />
ihr und der Papierplatte eine andere<br />
Siebbeinzelle eingeschoben ist…“<br />
Zu den Varianten der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel<br />
schreibt Zuckerkandl u.a.:<br />
„Die Variationen beziehen sich sowohl auf<br />
die Form als Grösse der Muschel. Die Muschel<br />
kann so stark gekrümmt sein, dass sie<br />
die Riechspalte verschließt und die Nasenscheidewand<br />
berührt. Die Umwandlung<br />
des vorderen Muschelendes in eine grosse<br />
knöcherne Blase ist häufig, und schon Santorinus<br />
hat sie in seinen ‚Observationes<br />
anatomicae‘ beschrieben. Die Muschel enthält<br />
diesfalls einen, zuweilen gar durch ein<br />
Septum zweigetheilten Hohlraum, der <strong>mit</strong><br />
dem <strong>mit</strong>tleren Nasengange in offener Verbindung<br />
steht.“<br />
Messerklinger stellt in seiner grundlegenden<br />
Arbeit über „Die Rolle der lateralen<br />
Nasenwand in der Pathogenese,<br />
Diagnose und Therapie der rezidivierenden<br />
und chronischen Rhinosinusitis“<br />
(1987) die anatomischen Erkenntnisse<br />
von Zuckerkandl, Hajek, Grünwald, Peter,<br />
Killian und Flottes zu den Zellformationen<br />
der lateralen Nasenwand an<br />
den Beginn, bevor er zu deren Bedeutung<br />
für die rhinogenen Sinusitiden kommt.<br />
Stammberger et al (1997) schufen in Ergänzung<br />
der „International Conference<br />
on Sinus Disease, Terminology, Staging<br />
and Therapy“, in Prinston 1993, <strong>mit</strong> der<br />
Arbeit „Anatomische Terminologie und<br />
Nomenklatur für die Nasennebenhöhlenchirurgie“<br />
eine verbindliche Nomenklatur<br />
der Anatomie des Siebbeins.<br />
Strukturen schonen<br />
Zwar führten die anatomischen Erkenntnisse<br />
der einzelnen Zellformationen des<br />
Siebbeins zu pathogenetischen Überlegungen,<br />
einem endoskopischen Diagnose-Konzept<br />
und darauf aufbauend zu einer<br />
endoskopischen Operationsstrategie, der<br />
FESS, doch blieben grundlegende Untersuchungen<br />
zur statischen Funktion der<br />
wichtigsten Siebbeinzellen bisher aus.<br />
Stammberger (2002) weist wiederholt<br />
auf die Bedeutung eines atraumatischen<br />
Operierens, insbesondere bei der endoskopischen<br />
Stirnhöhlenchirurgie hin:<br />
„…zu aggressives Vorgehen zu radikales<br />
Entfernen von Schleimhaut in diesen<br />
engen Siebbeinschächten führen rasch zu<br />
Narben- und Stenosebildungen. Nicht selten<br />
wird durch zu traumatische Manipulationen<br />
in diesem Bereich iatrogen der<br />
Grundstein dafür gelegt, daß Patienten Stirnhöhlenbeschwerden<br />
entwickeln, die präoperativ<br />
nicht bestanden …“<br />
Das Problem: Fehlende Kenntnisse über<br />
die biostastische Bedeutung einzelner<br />
wichtiger Zellformationen des Siebbeins,<br />
z.B. der Bulla ethmoidalis und der <strong>mit</strong>leren<br />
Nasenmuschel haben zu einem<br />
gedankenlosen Umgang <strong>mit</strong> diesen<br />
Strukturen geführt. Die FESS hat sich<br />
vielerorts zu einer monomanen Ausräumungstechnik<br />
des Siebbeins zurückentwickelt,<br />
ohne der individuellen Spezifik<br />
der anatomischen Probleme im Einzelfall<br />
gerecht zu werden und oft ohne die<br />
Bezeichnung einer minimal-invasiven<br />
Operationstechnik zu verdienen. Allenfalls<br />
werden die Resektionsvolumina des<br />
Siebbeins durch die Begriffe vordere, hintere<br />
Ethmoidektomie beschrieben. Längst<br />
© Prof. Hans Behrbohm / Katja Dalkowski<br />
Abbildung 4: Die Bulla sitzt<br />
wie eine Kuppel-Konstruktion<br />
auf der medialen Orbitawand.<br />
Eine vollständige Ausräumung<br />
des vorderen Siebbeins führt<br />
zu einer Medialisierungstendenz<br />
der Lamina papyracea<br />
und einer Lateralisierung der<br />
<strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel.<br />
Eine erhaltene Grundlamelle<br />
der Bulla oder deren cephale<br />
Kuppel wirken dieser Tendenz<br />
entgegen.<br />
HNO-NACHRICHTEN 2·2008<br />
33
Fortbildung<br />
Biostatische Siebbeinchirurgie<br />
5<br />
6<br />
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© Prof. Hans Behrbohm / Katja Dalkowski<br />
Abbildung 5: Ethmoidale Infundibulotomie:1 mediale Infundibulumwand, 2 Sichelmesser, 3 Bulla ethmoidalis, 4 Hiatus<br />
semilunaris, 5 Canalis nasolacrimalis, 6 Concha media, 7 Septum nasi, 8 Agger nasi;<br />
Abbildung 6: Bullotomie 1 Septum nasi, 2 Concha media, 3 Stanze, 4 Bulla ethmoidalis, 5 Recessus frontalis, 6 Laterale Nasenwand.;<br />
Abbildung 7: Bullotomie <strong>mit</strong> der Stanze;<br />
Abbildung 8: Blick auf die Schädelbasis nach der Bullotomie.1 Septum nasi, 2 Concha media, 3 Bulla ethmoidalis, 4 A. ethmoidalis<br />
anterior 5 posteriore Bulla-Lamelle, 6 Grundlamelle der <strong>mit</strong>tleren Muschel, 7 Recessus frontalis, 8 Recessus terminalis;<br />
Abbildung 9: Erweiterung des Recessus frontalis <strong>mit</strong> dem Löffel<br />
34<br />
HNO-NACHRICHTEN 2·2008
nicht überall werden Endoskope für die<br />
Dissektion des Siebbeins verwendet.<br />
Die Folgen verdeutlichen postoperative<br />
CT-Kontrollen aus verschiedenen<br />
Indikationen (die routinemäßig nicht<br />
erforderlich sind):<br />
— Das vollständig ausgeräumte Siebbein<br />
zeigt eine erhebliche narbige<br />
Schrumpfungstendenz.<br />
— Operativ geschaffene Zugänge zur<br />
Stirn- und Kieferhöhle werden dadurch<br />
obstruiert.<br />
— Die <strong>mit</strong>tlere Nasenmuschel hat eine<br />
hohe Tendenz zur Lateralisation.<br />
— Bei Scheimhautläsionen besteht eine<br />
hohe Gefahr von Synechien und<br />
Siebbeinatelaktasen.<br />
Nur unter Berücksichtigung biostatischer<br />
Gesichtspunkte, die das Siebbein auch<br />
postoperativ weit und offen halten, lässt<br />
sich eine bessere Ventilation und Drainage<br />
als Voraussetzungen einer Schleimhautreparation<br />
schaffen. Ein operativ<br />
erweiterter Stirnhöhlenzugang bleibt ineffektiv,<br />
wenn eine starke Schrumpfung<br />
des Siebbeins <strong>mit</strong> Lateralisierung der<br />
<strong>mit</strong>tleren Muschel, eventuell sogar Synechiebildung<br />
den Zugang stenosieren.<br />
Biostatik beachten<br />
Das Siebbein besitzt vereinfacht die Größe<br />
und Form einer Streichholzschachtel,<br />
die auf der schmalen Seite steht. Trotz<br />
großen Variantenreichtums innerhalb des<br />
Siebbeins bleibt dessen Breite weitgehend<br />
konstant. Die Platzhalter-Funktion zur<br />
Gewährleistung von Ventilation und<br />
Drainage der Kiefer- und Stirnhöhle<br />
kann aber durch unterschiedliche Pneumatisationstypen<br />
stark variieren.<br />
© Prof. Hans Behrbohm, Berlin<br />
Es besteht eine komplementäre Beziehung<br />
zwischen der Bulla ethmoidalis<br />
und einer Concha bullosa. Beide Strukturen<br />
sollten als fu nktioneller Komplex<br />
verstanden werden. Das vollständige Abtragen<br />
beider Strukturen führt zur Atelektase<br />
des Siebbeins. Aus architektonischer<br />
Sicht stellt das Siebbein eine „eingehängte<br />
Leichtbau-Konstruktion“ dar.<br />
Während die massiven Bögen der Tabula<br />
interna und externa das Infundibulum<br />
frontale offen halten, wird diese Funktion<br />
im Siebbein, durch eine Kombination von<br />
Kuppeln und Horizontalstreben gewährleistet.<br />
Die Streben und Pfeiler enden nie<br />
blind, sondern gewährleisten den Raum<br />
und die Distanz zwischen den Orbitae<br />
einerseits und der Schädelbasis und der<br />
Maxilla andererseits (Abb. 3).<br />
Exemplarisch soll der biostatische<br />
Bauplan der Siebbein-Labyrinthe an zwei<br />
klinisch wichtigen Strukturen erläutert<br />
werden, der Bulla ethmoidalis und der<br />
Concha nasalis media.<br />
Abbildung 10: Prinzip<br />
der Erweiterung des<br />
Recessus frontalis am<br />
Beispiel von Infundibular-<br />
bzw. Agger nasi-<br />
Zellen . Die Grundlamelle<br />
(grün) der<br />
Bulla ethmoidalis wird<br />
erhalten. Ca. 2 mm<br />
hinter der Bullalamelle<br />
verläuft meist die A.<br />
ethmoidalis anterior.<br />
Bulla ethmoidalis: Aus der Grundlamelle<br />
des zweiten Ethmoturbinale entsteht<br />
durch Pneumatisation die meist<br />
größte vordere Siebbeinzelle. Selten ist<br />
eine fehlende Pneumatisation der Bullalamelle.<br />
Die Bullalamelle bildet die<br />
dorsale Wand des Recessus frontalis,<br />
wenn sie an der Schädelbasis inseriert.<br />
Ist das nicht der Fall, besteht ein Recessus<br />
suprabullaris. Wenn die Bulla stark<br />
pneumatisiert ist, kann sie den Recessus<br />
frontalis einengen. Der Recessus erscheint<br />
dadurch wie ein Gang. Der Begriff des<br />
Ductus nasofrontalis wurde jedoch aufgegeben.<br />
Concha nasalis media: Die <strong>mit</strong>tlere Muschel<br />
ist Bestandteil des Siebbeins und<br />
kann in allen Anteilen, z.B. Hals, Kopf,<br />
pneumatisiert sein. Ein pneumatisierter<br />
Kopf der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel wird<br />
als Concha bullosa bezeichnet. Eine Concha<br />
bullosa ist eine anatomische Variation<br />
und besitzt nicht generell pathogenetische<br />
Bedeutung. Eine Sonderform sind<br />
Anzeige<br />
HNO-NACHRICHTEN 2·2008 35
Fortbildung<br />
Biostatische Siebbeinchirurgie<br />
11a<br />
11b<br />
11c<br />
Fallbeispiel A<br />
20jährige Patientin <strong>mit</strong> behinderter Nasenatmung und akut rezidivierenden Rhinosinusitiden bds. besonders maxillär.<br />
Abbildung 11a: Präoperatives CT.Septumdeviation <strong>mit</strong> Sporn nach links. Bds. große Conchae bullosae. Geringe Schleimhautschellung<br />
im vorderen Siebbein. Operation: Hemiconchektomie der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel bds. <strong>mit</strong> Erhalt von Anteilen<br />
des cephalen und kaudalen Muschelblattes, Infundibulotomie bds., Bullotomie und supraturbinale Kieferhöhlenfensterung,<br />
Submuköse Septumplastik.<br />
Abbildung 11b: Postoperatives CT,1 Jahr postoperativ. Laterale Hemiconchektomie bds. unter Erhalt von Muscheltrimm, -stellung<br />
und Anheftungspunkten<br />
Abbildung 11c: Concha bullosa rechts.Es sollte nur die laterale „Haube“ der Concha bullosa entfernt und die Form des Strömungskörpers<br />
erhalten werden. Es ist nicht sinnvoll die Resektion bis an den Ansatz der Muschel zu führen, um Blutungen<br />
aus Ästen der A. sphenopalatina und einen instabilen Muschelrest zu vermeiden. Ein stabiler Muschelkörper kann<br />
getrimmt und stabil in der Nasen<strong>mit</strong>te positioniert werden.<br />
12a 12b 13<br />
© Prof. Hans Behrbohm / Katja Dalkowski<br />
Fallbeispiel B<br />
53jährige Patientin <strong>mit</strong> behinderter Nasenatmung und akut rezidivierenden<br />
Kiefer- und Stirnhöhlenentzündungen bds.<br />
Abbildung 12a: Präoperatives CT.Septumsporn links, Hyperplasie der unteren Nasenmuscheln<br />
bds., minimale Schleimhautschwellung im vorderen Siebbein.<br />
Operation: Infundibulotomie, Bullotomie und suprarurbinale Kieferhöhlenfensterung<br />
bds., Erweiterung des Recessus frontalis nach vorn<br />
vor der erhaltenen Bullalamelle, flankierende Septumplastik, Streifenkonchektomie<br />
bds.<br />
Prinzip der Stabilisierung der<br />
Muschelstellung<br />
Abbildung 13: <br />
Postoperatives CT. Hier wird das<br />
Prinzip der Stabilisierung der<br />
Muschelstellung durch Erhalt der<br />
Bullalamelle oder cephaler Anteile<br />
als ein wesentliches Manöver zum<br />
sogenannten „Muscheltrimm“<br />
deutlich.<br />
Abbildung 12b: Postoperatives CT,ein Jahr postoperativ. Weite supraturbinale Fenster<br />
bds., Medianstelung des Septum nasi. Erhalt des kranialen Muschel-<br />
Bulla-Komplexes <strong>mit</strong> stabiler Optimalstellung der <strong>mit</strong>tleren Muschel.<br />
36<br />
HNO-NACHRICHTEN 2·2008
Fortbildung<br />
Biostatische Siebbeinchirurgie<br />
die interlamellären Zellen. Die Muschelzelle<br />
entsteht durch Pneumatisation der<br />
vertikalen Lamelle der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel.<br />
Die <strong>mit</strong>tlere Nasenmuschel ist ein<br />
wichtiger Strömungskörper sowohl für<br />
die Belüftung der Riechspalte als auch für<br />
die der Nasennebenhöhlen. Sie setzt an<br />
drei Punkten an: Der vordere Muschelhals<br />
inseriert an der lateralen Kante der<br />
Lamina cribrosa, der <strong>mit</strong>tlere Teil zieht<br />
zur Lamina papyracea, der hintere Ansatz<br />
inseriert lateral in Höhe des Processus<br />
pterygoideus. Die Grundlamelle der <strong>mit</strong>tleren<br />
Nasenmuschel ist aus mehreren<br />
Gründen von besonderer Bedeutung. Sie<br />
ist die „Wasserscheide“ der Sekretdrainage<br />
von vorderem und hinterem Siebbein<br />
und ein wesentlicher horizontaler Platzhalter.<br />
Die Grundlamelle stabilisiert den<br />
Muschelkopf maßgeblich und hält das<br />
Siebbein offen. Eine Destabilisierung der<br />
Grundlamelle führt zum „Einknicken“<br />
des Muschelkopfes <strong>mit</strong> Lateralisation,<br />
Strömungsabriss zur Riechspalte und<br />
Volumenverlust des Siebbeins.<br />
Wird die parietale Schleimhaut aus<br />
den Nasennebenhöhlen entfernt, führt<br />
dies zu gravierenden narbigen Obliterationen.<br />
Aus der Ära der Kieferhöhlenradikaloperation<br />
nach Caldwell-Luc sind<br />
nahezu vollständige Obliterationen des<br />
Cavum maxillae <strong>mit</strong> Deformierungen des<br />
Oberkiefers und Absenkungen des Orbitabodens<br />
bekannt. Ursache hierfür sind<br />
typische Wundheilungsphänomene in<br />
den Konkavitäten der Nebenhöhlen. Wigand<br />
(1977, 1981, 1989) wies immer<br />
wieder auf diese Phänomene hin, die<br />
durch eine immense zentripedale<br />
Schrumpfung und Lumeneinengung<br />
durch appositionelles Knochenwachstum<br />
und Narbenbildung bestimmt werden.<br />
Mit den gleichen Vorgängen muss prinzipiell<br />
im Siebbein gerechnet werden,<br />
wenn neben der Ausräumung aller platzhaltenden<br />
Binnenstrukturen die parietale<br />
Schleimhaut nicht geschont wird.<br />
Möglichkeiten der Mikrochirurgie<br />
nutzen<br />
Die endoskopische Chirurgie der Nasennebenhöhlen<br />
hat heute eine breite Indikationspalette.<br />
Aus eigenen Erfahrungen<br />
sollte streng zwischen den folgenden beiden<br />
Indikationsgruppen unterschieden<br />
werden, um alle Potenzen einer differenzierten<br />
Mikrochirurgie auszuschöpfen<br />
und postoperative Stenosierungen zu vermeiden.<br />
Die chronisch-rezidivierende Rhinosinusitis<br />
ist durch entzündliche Exazerbationen<br />
meist der Stirn- und Kieferhöhle<br />
charakterisiert. Eine vollständige Ausräumung<br />
des vorderen Siebbeins sollte<br />
nicht routinemäßig erfolgen. Hier sollte<br />
die Grundlamelle der Concha media beziehungsweise<br />
die Bullalamelle, beziehungsweise<br />
die cephale Kuppel der Bulla<br />
erhalten werden, um eine Stenosierung<br />
des vorderen Siebbeins und des Recessus<br />
frontalis zu vermeiden (Abb. 4). Die parietale<br />
Mukosa der Lamina papyracea, der<br />
vorderen Schädelbasis und der <strong>mit</strong>tleren<br />
Muschel ist zu schonen. Die Erweiterung<br />
des Recessus frontalis im Sinne eines Typ<br />
I–IIb nach Draf gelingt unter Sicht der<br />
45°-Optik gut bei erhaltener Bullalamelle.<br />
Infundibular- und Agger-nasi-Zellen,<br />
die den Recessus frontalis verlegen, können<br />
<strong>mit</strong> der Uncapping-the-egg-Methode<br />
nach Stammberger in dorso-ventraler<br />
Präparationsrichtung entfernt werden.<br />
Die Mukosa im Recessus frontalis muss<br />
maximal geschont werden. Die Grundlamelle<br />
der <strong>mit</strong>tleren Nasenmuschel sollte<br />
nur umschrieben trepaniert und nicht<br />
frakturiert werden (Abb. 5).<br />
Die chronische Rhinosinusitis <strong>mit</strong><br />
Nasenpolypen bzw. die Polyposis nasi et<br />
sinuum stellt heute eine große Indikationsgruppe<br />
zur endoskopischen Operation<br />
dar. Neben biomechanischen spielen immunologische<br />
Ursachen eine wesentliche<br />
pathogenetische Rolle. Ausgehend von<br />
der regional unterschiedlichen Textur der<br />
Siebbeinschleimhaut, z.B. großem Drüsenreichtum<br />
an der Bullavorderseite, bestehen<br />
Prädilektionsstellen für das Entstehen<br />
von Polypen. Die Polypen zerstören<br />
die Siebbeinzellen und dessen Infrastruktur.<br />
Durch Druckwirkung der Polypen<br />
und eine fehlende narbige Kontraktionstendenz<br />
des Siebbeins bei intakter<br />
parietaler Schleimhaut kommt es zu keiner<br />
Schrumpfung. Typischerweise treten<br />
bei diesen Patienten auch selten Kopfschmerzen<br />
auf. Die bereits zerstörten<br />
Zellreste sollten bei der Operation entfernt,<br />
die parietale Schleimhaut z.B. über<br />
der Lamina papyracea der Schädelbasis<br />
und der <strong>mit</strong>tleren Muschel geschont<br />
werden.<br />
Operatives Konzept<br />
Ethmoidale Infundibulotomie: Standarderöffung<br />
des Siebbeins ist die ethmoidale<br />
Infundibulotomie <strong>mit</strong> einer atraumatischen<br />
und vollständigen Abtragung des<br />
Proc. uncinatus (Abb. 6). Dieser wird<br />
kranial und kaudal <strong>mit</strong> dem Schaftscherchen<br />
scharf abgesetzt. Nach Entfernung<br />
der lateralen Infundibulumwand wird der<br />
Blick auf den überwiegenden Anteil der<br />
Bulla-Vorderwand frei.<br />
Die Bullotomie: Die Vorderwand der<br />
Bulla ethmoidalis wird <strong>mit</strong> einem speziellen<br />
Instrument, dem Bullotom, dem<br />
stumpfen geraden Sauger oder z.B. der<br />
Keilbeinhöhlenstanze (klein) trepaniert.<br />
Anteile der Vorderwand, bzw. der Bulla<br />
werden in Abhängigkeit von der Schleimhautpathologie<br />
abgetragen (Abb. 7–8).<br />
Erweiterung des Recessus frontalis:<br />
Entlang der Bullalamelle bzw. der cephalen<br />
Bulla-Kuppel wird der Recessus frontalis<br />
aufgesucht und zunächst <strong>mit</strong> dem<br />
gebogenen Löffel nach Kuhn-Bolger<br />
durch Abtragen von Infundibular- bzw.<br />
Agger nasi-Zellen erweitert (Abb. 9–10).<br />
Je nach Ziel der Operation kann die Stirnhöhle<br />
<strong>mit</strong> der Stirnhöhlenstanze durch<br />
Abtragen von Anteilen des Stirnhöhlenbodens<br />
auch breiter eröffnet werden.<br />
Fazit<br />
Die endoskopische Chirurgie der Nasennebenhöhlen<br />
ist nur dann effizient, wenn<br />
ausgehend von der konkreten Anamnese<br />
und der Binnenanatomie des Siebbeins<br />
im CT ein operativer Plan erstellt wird,<br />
der die statische Funktion der wichtigsten<br />
Siebbeinstrukturen einschließt. Eine nur<br />
auf Ausräumung orientierte Sanierungschirurgie<br />
wird den Problemen bei<br />
der chronisch-rezidivierenden Rhinosinusitis<br />
nicht gerecht und kann sogar die<br />
Engstellen-Probleme verstärken. Biometrische<br />
Messerergebnisse liegen vor und<br />
werden gegenwärtig mathematisch bewertet<br />
und in Kürze publiziert.<br />
Literatur bei den Verfassern<br />
Prof. Dr. Hans Behrbohm, Sebastian<br />
Winter, Dr. Carsten Dalchow<br />
Abteilung für HNO/Plastische<br />
Operationen, <strong>Park</strong>-<strong>Klinik</strong> Weißensee<br />
Schönstr. 80<br />
13086 Berlin<br />
38<br />
HNO-NACHRICHTEN 2·2008