18.05.2014 Aufrufe

Foucault - Traum

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ontologischen Reflexion zurück, deren Hauptthema die Gegenwart zum Sein, die Existenz,<br />

das Dasein 3 ist. Es versteht sich, dass eine Anthropologie dieses Stils ihre Rechte nur geltend<br />

machen kann, indem sie zeigt, wie sich eine Analyse des Menschseins an eine Analytik des<br />

Daseins anschließen lässt: ein Problem der Grundlegung, die an letzterer die Bedingungen der<br />

Möglichkeit für erstere bestimmen muss, und ein Problem der Begründung, die die eigenen<br />

Dimensionen und die alteingesessene Bedeutung der Anthropologie geltend machen muss. Sagen<br />

wir vorläufig und unter dem Vorbehalt eventueller Revisionen, dass das Menschsein im Grunde<br />

genommen nur der wirkliche und konkrete Gehalt dessen ist, was die Ontologie als die<br />

transzendentale Struktur des Daseins 4 , der Gegenwart zur Welt analysiert. Ihr originärer Gegensatz<br />

zu einer Wissenschaft der menschlichen Tatsachen im Stile positiver Erkenntnis, experimenteller<br />

Analyse und naturalistischer Reflexion verweist die Anthropologie also keineswegs an eine<br />

apriorische Form philosophischer Spekulation. Das Thema ihrer Untersuchung ist die menschliche<br />

»Tatsache«, sofern man unter »Tatsache« nicht irgendeinen (108/109) gegenständlichen Ausschnitt<br />

aus einem natürlichen Universum versteht, sondern den wirklichen Gehalt einer Existenz, die sich<br />

erlebt und sich empfindet, sich anerkennt oder sich verliert in einer Welt, die zugleich Fülle ihres<br />

Entwurfes und »Element« ihrer Situation ist. Die Anthropologie kann sich also von dem Moment<br />

an als »Tatsachenwissenschaft« bezeichnen, da sie auf strenge Weise den existentiellen Gehalt der<br />

Gegenwart zur Welt entwickelt. Sie auf den ersten Blick abzuweisen, weil sie weder Philosophie<br />

noch Psychologie ist, weil man sie weder als Wissenschaft noch als Spekulation definieren kann,<br />

weil sie weder die Gangart einer auf Tatsachen beruhenden Erkenntnis noch den Gehalt einer<br />

apriorischen Erkenntnis hat, bedeutet eine Missachtung des ursprünglichen Sinns ihres Entwurfs. 5<br />

Es schien uns der Mühe wert, einen Augenblick lang dem gedanklichen Weg dieser Reflexion zu<br />

folgen und mit ihr zu ergründen, ob nicht die Wirklichkeit des Menschen allein außerhalb einer<br />

Unterscheidung zwischen dem Psychologischen und dem Philosophischen zugänglich werde; ob<br />

nicht der Mensch in seinen Formen einer Existenz das alleinige Mittel sei, zum Menschen zu<br />

gelangen.<br />

Innerhalb der zeitgenössischen Anthropologie schien uns Binswangers Vorgehen dem<br />

Königsweg zu folgen. Er geht das Problem der Ontologie und der Anthropologie von der Seite her<br />

an, indem er direkt auf die konkrete Existenz, auf ihre Entwicklung und auf ihre geschichtlichen<br />

Inhalte zugeht. Von da aus und zwar mittels einer Analyse der Strukturen der Existenz – dieser Existenz,<br />

die diesen oder jenen Namen trägt und die diese oder jene Geschichte durchlaufen hat – geht<br />

er ständig zwischen den anthropologischen Formen und den ontologischen Bedingungen der<br />

Existenz hin und her. Die scheinbar so schwer zu ziehende Trennungslinie überschreitet er<br />

unablässig, oder besser, sieht er unablässig von der konkreten Existenz überschritten, in der sich die<br />

wirkliche Grenze des Menschseins 6 und des Daseins 7 kundtut. Nichts wäre falscher als in<br />

Binswangers Analysen eine »Anwendung« des Begriffs und der Methoden der Existenzphilosophie<br />

auf (109/110) die »Gegebenheiten« der klinischen Erfahrung zu sehen. Für ihn geht es darum, im<br />

Anschluss an das konkrete Individuum den Punkt ans Licht zu bringen, in dem die Gestalten und<br />

die Bedingungen der Existenz ineinandergreifen. Ganz so wie die Anthropologie jeden Versuch zu<br />

einer Aufteilung zwischen Philosophie und Psychologie zurückweist, vermeidet die<br />

Binswangersche Daseinsanalyse eine apriorische Unterscheidung zwischen Ontologie und<br />

3 [Im Original deutsch. A. d. Ü.]<br />

4 [Im Original deutsch. A. d. Ü.]<br />

5 Schneider, K., »Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1928« in: Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie und ihrer<br />

Grenzgebiete, Leipzig 1929, Bd. 1, Nr. 3, S. 127-150.<br />

6 [Im Original deutsch. A. d. Ü.]<br />

7 [Im Original deutsch. A. d. Ü.]

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!