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Foucault - Traum

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Verhaltensweisen des Abbruchs einträgt, von denen eine und zwar die entscheidendste die<br />

Psychoanalyse beenden wird. Man kann sagen, dass Dora nicht trotz des Abbruchs der<br />

Psychoanalyse geheilt wurde, sondern weil sie die Entscheidung traf, sie abzubrechen, und so bis<br />

zum Äußersten die Einsamkeit auf sich nahm, die für ihre Existenz bis dahin nur ein<br />

unentschlossener Weg gewesen war.<br />

Alle Elemente des <strong>Traum</strong>es zeigen diese Entschlossenheit ebenso im vollzogenen Bruch wie<br />

in der übernommenen Einsamkeit an. In der Tat sah sie sich in ihrem <strong>Traum</strong> »ohne Wissen der<br />

(146/147) Eltern vom Hause fort«, sie erfährt vom Tod ihres Vaters; dann ist sie im Wald, wo sie<br />

einem Mann begegnet, aber sie lehnt es ab, sich begleiten zu lassen; nach Hause zurückgekehrt,<br />

erfährt sie von der Zimmerfrau, dass ihre Mutter und die anderen bereits auf dem Friedhof seien; sie<br />

fühlt sich überhaupt nicht traurig, sie geht hoch auf ihr Zimmer und beginnt dort, in einem großen<br />

Buch zu lesen. 69 Diese Entschlossenheit zur Einsamkeit hatte Freud erahnt, ja sogar unter dem<br />

expliziten Diskurs des <strong>Traum</strong>es formuliert. Denn war dies nicht seine Vermutung: »lasse ich dich<br />

stehen, gehe allein meiner Wege ...«? 70 Wollte man gezielt den Psychoanalytiker in die<br />

Psychoanalyse einbeziehen, so müsste man zweifellos das Scheitern unausweichlich Freud<br />

zuschreiben oder zumindest seinem begrenzten Verstehen und seiner Weigerung, zu sehen, dass<br />

diese Rede ebenso wie an Frau K. auch an ihn gerichtet war.<br />

Doch das ist nebensächlich. Für uns liegt das wirkliche Versäumnis der Freud'schen<br />

Analyse darin, dass sie zwar eine der möglichen Bedeutungen des <strong>Traum</strong>es erkannte, sie aber als<br />

eine seiner vielfältigen semantischen Virtualitäten neben den anderen analysieren wollte. Eine<br />

derartige Methode setzt eine radikale Objektivierung des träumenden Subjekts voraus, das seine<br />

Rolle inmitten weiterer Personae Dramatis und in einer Szenerie, die aus ihm eine symbolische<br />

Figur machen würde, spielen soll. Das Subjekt des <strong>Traum</strong>es im Freud'schen Sinne ist stets eine<br />

verminderte, sozusagen delegierte, projizierte und ins Spiel des Anderen einbegriffene, irgendwo<br />

zwischen dem Träumer und dem, wovon er träumt, aufgehangene Subjektivität. Bestätigt wird das<br />

dadurch, dass für Freud dieses Spiel durch eine verfremdende Identifizierung tatsächlich den<br />

Anderen repräsentieren kann oder dass eine andere Persona Dramatis durch eine Art Heautoskopie<br />

den Träumenden selbst repräsentieren kann.<br />

In Wirklichkeit jedoch trägt nicht dieses Quasi-Subjekt die Subjektivität der<br />

<strong>Traum</strong>erfahrung. Es ist nur eine konstituierte Subjektivität, und eigentlich müsste die Analyse des<br />

<strong>Traum</strong>es den Konstitutionsmoment der Subjektivität des <strong>Traum</strong>es ins volle Licht rücken. An dieser<br />

Stelle wird die Freud'sche Methode unzureichend; die eindimensionalen Bedeutungen, die sie über<br />

die (147/148) Symbolbeziehung abhebt, können diese radikale Subjektivität nicht betreffen. Jung<br />

könnte sie vielleicht erkannt haben, er, der von jenen Träumen sprach, in denen das Subjekt sein<br />

eigenes Schicksal als Drama erlebt. Doch dank der Texte von Binswanger lässt sich am besten<br />

erfassen, was das Subjekt des <strong>Traum</strong>es sein kann. Dieses Subjekt wird darin nicht als eine der<br />

möglichen Bedeutungen einer der Personae Dramatis, sondern als die Grundlage aller eventuellen<br />

Bedeutungen des <strong>Traum</strong>es beschrieben; und insofern ist der <strong>Traum</strong> nicht die Neuauflage einer<br />

früheren Gestalt oder eines archaischen Abschnittes der Persönlichkeit, sondern zeigt sich als das<br />

Werden und die Ganzheit der Existenz selbst.<br />

Hier nun ein Beispiel für die <strong>Traum</strong>analyse, durchgeführt von Binswanger, noch bevor<br />

er <strong>Traum</strong> und Existenz schrieb. 71 Es geht um eine junge Frau von dreiunddreißig Jahren, die<br />

69 Ebd. [S. 256f].<br />

70 Ebd. [S. 274].<br />

71 Binswanger, L., Wandlungen in der Auffassung und Deutung des <strong>Traum</strong>es von den Griechen bis zur Gegenwart, Berlin<br />

1928, S. 75ff.

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