PF-2096
Johann Justus Kahle: Ich hebe meine Augen auf
Johann Justus Kahle: Ich hebe meine Augen auf
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nach den Wohnungen Gottes, wie sie die Seele in sich spürt.<br />
Im dritten Teil drückt sich jubelnde Freude über das Gelingen<br />
des Bauwerks aus. Die folgende Arie wendet sich direkt<br />
an Gott mit der Bitte, in diese neue Wohnung – die Kirche<br />
– wie auch in die Herzen der Menschen einzuziehen. Die<br />
zweite Arie »Seelen, welche ihr Ergetzen« besticht durch<br />
ihr kunstvolles Wechselspiel zwischen dem Sopran und den<br />
Oboen. Die Kantate endet mit einem jubilierenden Gotteslob<br />
auf »Alleluja«.<br />
Die Kantate Wie der Hirsch schreyet auf Verse aus Psalm 42<br />
schildert die Sehnsucht des Menschen nach Gottes Zuwendung.<br />
Eindrucksvoll eröffnet eine lange »Sonata adagio« das<br />
Werk. Wortmalerisch setzt die Stimme mit den Psalmversen<br />
ein, die das schmachtende Dürsten ausdrückt. Die zweistrophige<br />
Arie „Ich ruf, ich schrei“ bildet eine reich kolorierte<br />
Mitte des Werks, die von den sprachlich eindrucksvolleren<br />
Psalmversen umschlossen wird.<br />
Die Kantate Ich hebe meine Augen auf ist ebenfalls in dem<br />
Konvolut der Kirchweihmusiken auf Ostrau überliefert, sie<br />
ist aber älter, nämlich von 1692, wie das Titelblatt verzeichnet.<br />
Sie basiert auf Psalm 121 ohne hinzugefügte Dichtung.<br />
Die kleine Besetzung mit Sopran und Violine wird auf wunderbare<br />
Weise in einem Wechselspiel der Nachahmung und<br />
Antizipation ausgekostet. Eindrücklich sind die Wortausdeutungen<br />
(man achte auf die Wörter »schlummert nicht«<br />
oder »gleiten lassen«). Voller Innigkeit und Inspiration bezaubert<br />
dieses Kleinod Kahles.<br />
Prächtig ist die Kantate Jauchzet dem Herrn. Psalm 100<br />
bildet die Grundlage, wobei nach jedem Psalmvers eine Arie<br />
eingeschoben ist, die den Text auslegt. Nach einer festlichen<br />
Introduction erklingt fanfarenartig die Aufforderung: Jauchzet!<br />
Voller Jubelfreude scheinen die Koloraturen kein Ende<br />
nehmen zu wollen. Die Arie interpretiert Gott als Baumeister,<br />
von dessen Ruhm sein Werk kündigt, und den Musiker<br />
als Instrument des Lobes einsetzt. Geradezu anrührend ist<br />
die etwas steile Metapher vom Schaf, das mit seinen Körperteilen<br />
dem Gotteslob dient, indem es seine Körperteile<br />
für die Instrumente bereitstellt, – wobei zu bedenken ist,<br />
dass aus Schafdarm die Saiten für die Streichinstrumente<br />
gefertigt wurden wie auch Blasebälge für die Orgel und Ventildichtungen<br />
aus Schafleder üblich waren. Auch das Anklingen<br />
der Vergänglichkeit beim menschlichen Bauen gegenüber<br />
der ewig stehenden Gnade und Wahrheit Gottes im<br />
Kontext einer Kantate zur Weihe des Kirchenbaus hat etwas<br />
fromm Bewegendes, das die Relativität aller menschlichen<br />
Bemühungen klar ausspricht (»der höchste Thurm zerfällt /<br />
die stärcksten Mauern brechen / nur deine Gnad und Wahrheit<br />
hält«). Ein einzigartiges Unisono-Finale schließt die<br />
Kantate auf dem Wort »Amen«.<br />
Editorische Anmerkungen<br />
Die Qualität der vier Originalmanuskripte ist durchweg<br />
hoch, was gewiss auf den Charakter als Übergabeexemplar<br />
an den Auftraggeber zurückzuführen ist, oder auch auf den<br />
Anlass, bei dem in kurzer Probenzeit die Kirchweihkantaten<br />
einstudiert werden mussten. Sämtliche Emendationen<br />
durch den Herausgeber sind eindeutig als solche gekennzeichnet.<br />
Verwendet wurden Kleinstich bei dynamischen<br />
Angaben und Bassbezifferung bzw. Strichelung bei Bögen.<br />
Erik Dremel<br />
IV