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TEXT: OLIVER TSCHURTSCHENTHALER PHOTOS: LUIGI CAPUTO

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hinterbühnen<br />

<strong>TEXT</strong>: <strong>OLIVER</strong> <strong>TSCHURTSCHENTHALER</strong><br />

<strong>PHOTOS</strong>: <strong>LUIGI</strong> <strong>CAPUTO</strong><br />

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ackstage<br />

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Die letzten drei<br />

Prozent<br />

The final three<br />

per cent<br />

Ein Gespräch mit dem Technischen Leiter<br />

der Salzburger Festspiele, Klaus Kretschmer<br />

An interview with Klaus Kretschmer,<br />

Technical Director of the Salzburg Festival<br />

„Die wirklich großen Entscheidungen im Leben trifft der<br />

Zufall“, erzählt der Technische Leiter der Salzburger Festspiele,<br />

Klaus Kretschmer. „Denn eigentlich konnte ich mir nie<br />

vorstellen, in Salzburg zu leben.“ Das Theater hat ihn aber<br />

von Anfang an angezogen. Als gelernter Schlosser begann er<br />

bei den Bundestheatern in Wien. Und nur im Sommer arbeitete<br />

er bei den Salzburger Festspielen. Als er jedoch zu<br />

Beginn der 1980er-Jahre von seinem Vorgänger gefragt<br />

wurde, ob er sich vorstellen könne, ganz nach Salzburg zu<br />

übersiedeln, sagte er: „Ja.“ Bald wurde er Assistent seines<br />

Vorgängers, 1991 übernahm er dann selbst den Posten des<br />

Technischen Direktors.<br />

Wie kann man sich die Organisation der Technischen<br />

Abteilung der Salzburger Festspiele vorstellen?<br />

„Insgesamt gibt es neun große Abteilungen, die sich wiederum<br />

in zwei Gruppen unterteilen lassen“, erzählt Kretschmer,<br />

„die Werkstätten und die veranstaltungsspezifischen Abteilungen.<br />

Innerhalb dieser neun großen Abteilungen begegnet<br />

man allen einschlägigen Berufen, die man sich nur vorstellen<br />

kann: In den Werkstätten sind das die Tischler, Anstreicher,<br />

Maler (Leute mit künstlerischer Ausbildung), Tapezierer, Bildhauer<br />

und Schlosser. In den veranstaltungsspezifischen Abteilungen<br />

gibt es die Elektrotechnik, Bühnentechnik, Medientechnik<br />

und die Beleuchtung.“ Unterm Jahr beschäftigen die<br />

Festspiele knapp unter 70 technische Mitarbeiter; im Sommer<br />

sind es zirka 400.<br />

Wie darf man sich den typischen Arbeitstag des<br />

Technischen Leiters während der Festspielsaison<br />

vorstellen?<br />

„Sehr früh kommen, sehr spät gehen“, antwortet Klaus<br />

Kretschmer lachend. „Ich komme zeitig ins Büro. Danach<br />

mache ich – möglichst noch am Vormittag – eine Kontrollrundfahrt<br />

zu den Spielstätten. Danach verbringe ich die Zeit<br />

damit, die anfallenden konkreten Aufgaben zu lösen.<br />

Theater hat mit Menschen zu tun. Meine Arbeit hat also<br />

auch eine wichtige psychologische Seite. Ich versuche nicht<br />

nur, mit den Mitarbeitern begonnene Projekte zu finalisieren,<br />

sondern reflektiere mit ihnen gemeinsam den Status quo,<br />

analysiere auftretende Schwierigkeiten. Letzten Endes besteht<br />

meine Aufgabe weniger darin, technische Details zu<br />

lösen, sondern den Gesamtüberblick zu behalten.“<br />

„Auf der anderen Seite“, weiß Kretschmer, „sind die schwersten<br />

Dinge im Leben die letzten 3%. Genau diese machen den<br />

großen Unterschied aus, wenn man 100% anstrebt. Die 100%<br />

aber machen die Einzigartigkeit der Salzburger Festspiele aus.<br />

Das geht natürlich nur, wenn hinter mir eine Mannschaft steht,<br />

die das mitträgt.“<br />

According to Klaus Kretschmer, the<br />

Technical Director of the Salzburg<br />

Festival, ‘The really important decisions<br />

in life are made by accident.’ He adds,<br />

‘Because I for one had never imagined<br />

that I’d be living in Salzburg one day.’<br />

He was attracted to the theatre from<br />

the very beginning. As a certified metal<br />

worker he was hired by the National<br />

Theater in Vienna for a temporary assignment<br />

during the summer season<br />

of the Salzburg Festival. In the early<br />

1980s, when his predecessor asked<br />

him if he would be interested in relocating<br />

to Salzburg for good, he said yes.<br />

Soon he was promoted to the position<br />

of Assistant Technical Director working<br />

under his predecessor. In 1991, he took<br />

over the position of Technical Director.<br />

What exactly does the technical division<br />

of the Salzburg Festival do?<br />

‘There are nine big departments altogether,<br />

which are divided into two major<br />

groups,’ explains Kretschmer, ‘the workshops<br />

and the event-specific departments.<br />

In these nine big departments,<br />

all associated occupations are represented:<br />

the workshops employ woodworkers,<br />

painters (people with various<br />

art degrees), upholsterers, sculptors,<br />

and metal workers. The event-specific<br />

departments consist of electrical engineers,<br />

stage technicians, media technicians<br />

and the lighting department.’<br />

Throughout the year the Festival<br />

employs just under 70 technical staff;<br />

during the summer season the number<br />

swells to about 400.<br />

What does a normal work day look<br />

like for the Technical Director during<br />

the festival season?<br />

‘Come to work very early in the morning<br />

and go home late at night,’ Klaus<br />

Kretschmer laughs. ‘I am an early bird<br />

at the office. Next, I make my rounds<br />

at the venues – preferably in the morning.<br />

Following the rounds, I spend my<br />

time taking care of business and finding<br />

solutions for a multitude of situations,<br />

as they present themselves. Theatre is<br />

about people. My work entails significant<br />

psychological aspects as well. Besides<br />

helping the staff to finalise projects,<br />

I reflect with them upon the status quo,<br />

and analyse the challenges we encounter.<br />

In the end, my job consists less of<br />

solving technical details than of keeping<br />

a complete overview of the big picture.’<br />

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Wenn nach der Vorstellung der Vorhang fällt und die Gäste<br />

nach Hause gehen, was passiert dann hinter der Bühne?<br />

„Dann geht es für uns erst richtig los. Die Vorstellung ist nur<br />

ein Teil der Aufgaben, die die Kollegen am Abend zu bewältigen<br />

haben. Die aufwendigere Arbeit besteht oft in den Umbauten<br />

für die nächsten Proben bzw. Vorstellungen. In der<br />

Nacht wird noch bis drei oder vier Uhr vorbereitet, was am<br />

nächsten Tag um acht Uhr auf der Bühne sein muss. Das<br />

kann die Konzertmuschel für eine Orchesterprobe sein, ein<br />

anderes Bühnenbild, in dem geprobt wird, aber auch Teile<br />

einer Oper, die erst für das nächste Jahr gebraucht werden.<br />

Während der Festspiele wird auf oder hinter der Bühne vielleicht<br />

nicht 24 Stunden, aber zumindest 21 oder 22 Stunden<br />

gearbeitet.“<br />

Und was geschieht während einer Vorstellung unsichtbar<br />

für die Zuschauer hinter den Kulissen?<br />

„Das hängt vom Stück ab“, sagt Kretschmer. „Bei einem<br />

Einakter wie Salome baut die Mannschaft die Bühne auf und<br />

80% der Mitarbeiter kommen erst wieder, wenn die Vorstellung<br />

zu Ende ist, um für den nächsten Tag umzubauen. Wenn es<br />

sich aber um eine Oper wie die Zauberflöte handelt, dann ist<br />

hinter der Bühne mindestens so viel los wie auf der Bühne.<br />

Die Zauberflöte hat 21 Bilder, das bedeutet, 60-70 Verwandlungen.<br />

Bei einer Spieldauer von drei Stunden heißt das:<br />

alle drei Minuten eine Verwandlung, viele Lichtstimmungen,<br />

einige Toneinspielungen, generell eine starke Interaktion<br />

zwischen denen vor und jenen hinter der Bühne.“<br />

Lässt sich abschätzen, wie lange es durchschnittlich dauert,<br />

bis ein Akt ‚steht‘?<br />

„Die Probenzeit ist nicht vom Inhalt des Stücks abhängig,<br />

sondern von der Länge der Oper. Ein Einakter ohne Chor erarbeitet<br />

sich logischerweise schneller als ein Werk wie Boris<br />

Godunov, das einen großen Chor vorsieht und drei Stunden<br />

dauert“, antwortet der Technische Leiter. Außerdem hätten<br />

die verschiedenen Regisseure unterschiedliche Arbeitsweisen.<br />

Im Grunde sei es wie beim Film: Man wisse ungefähr, wie<br />

viele Minuten eines Werkes man pro Tag erarbeiten könne.<br />

Wenn man also von einer täglichen Probenzeit von sechs<br />

Stunden ausgehe, komme man auf eine Vorlaufzeit von ca.<br />

6 bis 8 Wochen.<br />

Am Ende kommt Kretschmer noch einmal auf das Problem<br />

der letzten 3 % zurück. Auch die ersten 10 % seien enorm<br />

wichtig für das Gelingen einer Produktion: „Da geht es um die<br />

Grundentscheidung: Wo gehe ich mit dem Stück hin? Wird es<br />

ein schwerer Stahlbau oder etwas aus Bambus? Wie sieht<br />

die Struktur des Bühnenbildes und der Inszenierung überhaupt<br />

aus? Wenn zu diesem Zeitpunkt Fehlentscheidungen<br />

getroffen werden, kann das fatal sein. Daher erfordert der<br />

Anfang ebenso viel Aufmerksamkeit wie die letzten 3 % am<br />

Ende. Der Unterschied besteht darin, dass zu Beginn noch<br />

Zeit zum Agieren vorhanden ist, während man am Schluss<br />

fast nur mehr reagieren kann.“<br />

Die Kunst, fährt er fort, bestehe darin, sich am Beginn<br />

schon vorzustellen, wie das fertige Werk im Sommer aussehen<br />

werde. „Wir brauchen daher ein im höchsten Maße entwickeltes<br />

Abstraktionsvermögen, um uns vorstellen zu<br />

können, wie etwas am Papier Erdachtes, in Wirklichkeit funktioniert.<br />

Im Gegensatz zur Autoindustrie können wir keine<br />

Prototypen produzieren. Wir haben nur die eine Premiere –<br />

und da muss alles perfekt sein.“<br />

„Der Unterschied besteht<br />

darin, dass am Anfang<br />

noch Zeit zum Agieren<br />

vorhanden ist, während<br />

man am Schluss fast nur<br />

mehr reagieren kann.“<br />

On the other hand, Kretschmer knows<br />

that ‘the most challenging things in life<br />

are the final 3 per cent that make the<br />

difference when you are aiming for 100<br />

per cent. It is attaining the 100 per cent<br />

benchmark that makes the Salzburg<br />

Festival so unique. This is only possible<br />

if I am backed by staff who will carry it<br />

with me all the way.’<br />

When the curtain drops after the<br />

performance and all the guests leave<br />

to go home, what happens backstage?<br />

‘That is when we really get started. The<br />

performance is just a fraction of the work<br />

that our staff needs to complete. The more<br />

demanding tasks often consist of reconstructions<br />

needed for the next rehearsals<br />

or events. During the night, we work until<br />

3 or 4 o’clock in the morning in preparation<br />

for the following day, so the stages<br />

are ready for 8am. That could be a band<br />

shell for orchestra rehearsal, a different<br />

stage design for rehearsal, or preparation<br />

for an opera slated for next year’s season.<br />

During the festival season we work on or<br />

behind stages, maybe not 24 hours, but<br />

between 21 and 22 hours a day.’<br />

And what happens backstage during<br />

a performance, concealed from<br />

the audience?<br />

‘That depends on the individual production,’<br />

Kretschmer responds. ‘A one-act<br />

play such as Salome is set up by the<br />

stage crew and then 80 per cent of the<br />

staff leave and return when the performance<br />

is over, to set up the stage for the<br />

following day. If we are talking about<br />

an opera such as Die Zauberflöte (The<br />

Magic Flute), we are just as busy backstage<br />

as we are on stage. The Magic<br />

Flute requires 21 stage pictures, which<br />

translates into 60–70 stage conversions.<br />

With a play-time of three hours<br />

that means: a new stage picture every<br />

three minutes, many light adjustments,<br />

some sound recordings and generally lots<br />

of interactions between those on stage<br />

and those backstage.’<br />

‘The difference being that at the beginning<br />

there is still time to act, while at<br />

the end the best you can do is to react.’<br />

Can you give us a rough idea of how long<br />

it takes on average to create an act?<br />

‘Rehearsal time is not contingent<br />

upon the content of the piece, but on<br />

the length of the opera,’ responds the<br />

Technical Director. ‘Obviously, a one-act<br />

piece without a choir is developed much<br />

more quickly than an opus such as Boris<br />

Godunov, which calls for a large choir<br />

and lasts for three hours. Besides, every<br />

director works differently. Basically it<br />

is very similar to developing a film: you<br />

can estimate how many minutes of the<br />

production per day can be completed.<br />

Assuming a daily six-hour rehearsal, the<br />

lead-time of a production would take<br />

approximately six to eight weeks.’<br />

Finally, Kretschmer reiterates the<br />

importance of the final 3 per cent challenge<br />

once again. He now talks about<br />

the first 10 per cent being just as important<br />

for the success of a production: ‘It is<br />

about fundamental decisions: where am<br />

I taking this piece? Will we use heavy<br />

steel construction or something built<br />

with bamboo? What does the structure<br />

of the stage design look like, and what<br />

does the production look like in general?<br />

It can be fatal if wrong choices are made<br />

at the beginning of the production process.<br />

That’s why the beginning requires<br />

as much attention as the final 3 per cent<br />

at the end. The difference being that at<br />

the beginning there is still time to act,<br />

while at the end the best you can do is<br />

to react.’<br />

‘The art,’ he continues, ‘is inherent in<br />

the ability to imagine what the completed<br />

production will look like in the summer.<br />

Hence, we need a highly developed ability<br />

to abstract, to understand how something<br />

that was created on paper will<br />

work in reality. Unlike the car industry,<br />

we cannot produce prototypes. We only<br />

have one opening night and everything<br />

has to be perfect.’<br />

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