Ohrenschmaus Folge 2 - "Keine Schwellenangst" (pdf 2,7 MB)
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26 Inside Festspiele Highlights Essen & Musik<br />
<strong>Ohrenschmaus</strong><br />
In einer neuen Serie wollen wir Ihnen jeweils ein besonders anregendes Rezept<br />
aus aktueller Kochliteratur und ein ebenso anregendes Stück zeitgenössischer<br />
Musik präsentieren, die sich unserer Auffassung nach besonders gut ergänzen.<br />
Natürlich ist es ein wenig vermessen, schon die zweite <strong>Folge</strong> einer Serie über zeitgenössische Musik und Kochkunst<br />
mit einem Komponisten zu bestreiten, der als Jazzmusiker begann, die Welt des Komponierens erst spät für<br />
sich entdeckte und schon gar nicht in jedes nur ansatzweise universitär geprägte Komponisten-Bild passen will.<br />
Genau deshalb aber ist es auch ungemein reizvoll, sich mit dem großen Werner Pirchner und seiner „Sonate vom<br />
rauhen Leben“ zu beschäftigen.<br />
F o l g e 2<br />
K e i n e S c h w e l l e n a n g s t<br />
Text: Markus Deisenberger<br />
Hannes Sprenger und Siggi Haider sind Akkosax<br />
■ Akkordeon und Saxophon sind eine<br />
ungewöhnliche musikalische Kombination.<br />
Wenn das Saxophon allerdings so<br />
gespielt wird, als wäre es bloß ein weiteres<br />
Akkordeon, das dem ersten hilft, ein düsteres<br />
Seemannslied zu intonieren, so ungewöhnlich<br />
dann auch wieder nicht. Und<br />
tatsächlich könnte man bei Akkosax´ Version<br />
von Werner Pirchners „Sonate vom<br />
rauhen Leben“ ein paar Takte lang der<br />
Täuschung erliegen, hier spännen zwei<br />
Akkordeons Seemannsgarn der schwer<br />
verdaulichen Sorte. Dann allerdings,<br />
nach nur wenigen Takten und dem ersten<br />
kurzen Innehalten wird deutlich: Es sind<br />
tatsächlich Akkordeon und Saxophon<br />
(kurz: Akkosax), die hier miteinander ringen<br />
und man fragt sich verwundert: „Was<br />
um alles in der Welt ist das? Ein komponiertes<br />
Stück oder ein Stück Volksmusik?<br />
Und woher kommt diese Musik?“ Denn<br />
mit Fortdauer des Spiels fühlt man sich<br />
mal ins gebirgige Österreich, dann wieder<br />
ins hügelige Irland entführt ...<br />
„World“ prangt dann auch als Genre-<br />
Bezeichnung auf der CD und wäre es<br />
nicht so abgedroschen, der Ausdruck<br />
„musikalische Reise“ träfe es wohl auch<br />
am besten, was Siggi Haider (Akk.) und<br />
Hannes Sprenger (Sax) auf ihrem Album<br />
„An Werner Pirchner“ veranstalten.<br />
Einem Reisenden – und das war<br />
Komponist Werner Preisegott Pirchner<br />
in Sachen Musik wohl Zeit seines Lebens<br />
– nähert man sich idealerweise auf<br />
einer Reise. Das wussten auch Haider<br />
und Sprenger, die Pirchner beide zu Lebzeiten<br />
kannten und daher genau wissen,<br />
wie man ein Tribute-Album respektvoll<br />
und dabei doch innovativ anlegt.<br />
An die erste Zusammenarbeit erinnert<br />
sich Siggi Haider noch genau: Pirchner<br />
hatte ihn 1982 als Akkordeonisten zu<br />
„Stigma“, einer Produktion der noch<br />
jungen Tiroler Volksschauspiele in der<br />
Inszenierung von Ruth Drexel und nach<br />
einem Stück von Felix Mitterer, geholt.<br />
Auch bei Mitterer, der Pirchner schon<br />
seit Ende der 60er-Jahre kannte, als er<br />
in den Innsbrucker Kellern Vibraphon<br />
spielte und mit dem ihn später eine lebenslange<br />
Freundschaft verbinden sollte,<br />
lebt die Erinnerung: „Da stand ein leeres<br />
Bett auf der Bühne, die Musik von<br />
Werner setzte ein und die Zuschauer,<br />
Zuhörer brachen in Tränen aus, bevor<br />
ein Mensch auf der Bühne erschien, bevor<br />
ein Wort gefallen war.“ Aber auch<br />
die Tiefe Pirchners Musik konnte nicht<br />
verhindern, dass die Aufführung im<br />
Chaos versank. Zu gewagt war Mitterers<br />
Zugang zu einem religiösen Thema<br />
für viele Haller. Das Stück wurde mit<br />
einem Aufführungsverbot belegt und<br />
man musste nach Telfs ausweichen, wo<br />
wiederum Moralapostel Hummer und<br />
Konsorten ihre Zelte aufgeschlagen hatten.<br />
„Vor jeder Aufführung gingen Bombendrohungen<br />
ein. Wir haben jedes Mal<br />
gezittert, ob alles gut geht“, so Haider.<br />
Viele von Pirchners Werken entstanden<br />
aus Bühnen- oder Filmmusiken, die er<br />
zu Stücken schrieb und dann weiter<br />
entwickelte. So war es bei „Stigma“,<br />
wo die Musik Grundlage für die spätere<br />
„Messe um C“ war, und so war es<br />
auch beim „Rauhen Leben“: Anfang der<br />
Achtzigerjahre holte Mitterer Pirchner<br />
nach „Stigma“ auch für den dritten Teil<br />
seiner Film-Trilogie zum Thema „Wien<br />
der Jahrhundertwende“. Nach Schiele<br />
und Altenberg sollte Teil Drei dem Arbeitermilieu<br />
gewidmet sein. Als Vorlage<br />
diente ein Roman von Alfons Petzold,<br />
einem Wiener Arbeiterdichter. Titel:<br />
„Das rauhe Leben“. Pirchner erwies sich<br />
als musikalische Idealbesetzung.<br />
Kaum ein anderes Stück könnte heute<br />
besser als Pars pro Toto fungieren, wenn<br />
es darum geht, die Geschichte dieses<br />
Komponisten zu erzählen, denn die „Ballade<br />
vom rauhen Leben“ ist ein Stück
Essen & Musik<br />
Inside Festspiele Highlights 27<br />
Erst spät wandte sich<br />
Pirchner dem Komponieren<br />
zu. „Bis zu meinem<br />
42. Lebensjahr hätte<br />
ich aus Respekt vor den<br />
größten Meistern – Bach,<br />
Mozart, Schubert, Bruckner,<br />
Mahler, Schönberg,<br />
Webern etc. – nicht<br />
gewagt, auch nur einen<br />
Ton für ein klassisches<br />
Konzert zu schreiben“,<br />
sagt er später über sich.<br />
Dabei hatte dieser Mann<br />
zu diesem Zeitpunkt<br />
schon musikalische<br />
Lorbeeren geerntet, für<br />
die andere ihr letztes<br />
Hemd hergäben. Unter<br />
anderem hatte er mit<br />
Harry Pepl im legendären<br />
JazzZwio beim Jazzfest<br />
Montreux für Begeisterungsstürme<br />
gesorgt.<br />
komponierte Volksmusik, das nicht nur<br />
zwischen E- und U- Musik hin- und herpendelt,<br />
sondern diese Kategorien – die<br />
Pirchner Zeit seines Lebens ein Gräuel<br />
waren, wie Hannes Sprenger erzählt –<br />
auf einer emotionale Achterbahnfahrt<br />
zwischen himmelhoch jauchzend und zu<br />
Tode betrübt vollends auflöst.<br />
„Gepfiffen auf E und U“<br />
„Er hat gepfiffen auf E und U, hat den<br />
Jazz, die Volksmusik, die Klassik, die<br />
Moderne so unter einen Hut gebracht,<br />
aber auf ganz neue, unverwechselbare<br />
Weise, immer aber ohne akademische<br />
Hochnäsigkeit, denn sich erheben über<br />
die Menschen, das wollte Werner nie“,<br />
bringt es Felix Mitterer in seinem Nachruf<br />
auf den Punkt. „Musik für Hirn,<br />
Herz und Bauch hat er uns geschenkt,<br />
der Einzige unter den Modernen, der<br />
keine Schwellenangst hervorrief, wo<br />
kein Bruch da war, sondern einfach ein<br />
Fließen; [...] und der Mensch in Tirol,<br />
und der in Wien, und der in NewYork<br />
hört zu und denkt und fühlt und pfeift<br />
mit Werner auf E und U, denn es gibt<br />
nur eines: gute oder schlechte Musik.“<br />
Aber auch wenn er auf manches gepfiffen<br />
haben mag, ein gnadenloser Perfektionist<br />
war er dennoch. Für „Kein Schöner<br />
Land“, ein Stück über einen Tiroler<br />
Juden, der verraten und verkauft wird,<br />
suchte er Jahre lang nach dem richtigen<br />
Geiger und erst, als er diesen gefunden<br />
hatte, schritt er zur Aufnahme. Siggi<br />
Haider wiederum erinnert sich daran,<br />
dass er für die Aufnahmen zum „EU“-<br />
Album teilweise 64 Takes von einer<br />
Nummer einspielen musste. „Wenn wir<br />
nicht gut genug waren, hat er uns wieder<br />
nach Hause zum Üben geschickt.“<br />
Der Effekt war ein intensiverer Zugang<br />
zur Musik, als er ihn jemals für möglich<br />
gehalten hätte: „Durch ihn hab’ ich gelernt,<br />
so zu spielen, dass man wirklich<br />
eintaucht in die Musik.“<br />
Diesem Perfektionismus zollen Akkosax<br />
durch den neuen Schluss zur „Sonate<br />
vom rauhen Leben“ Tribut, denn von<br />
diesem Teil existierten keine Noten.<br />
Pirchner wollte das Stück, das in D-Dur<br />
geschrieben ist, auf C zurückführen, die<br />
abschließende, emporsteigende und ineinander<br />
verschachtelte Akkordfolge hat<br />
er jedoch nie aufgeschrieben. Dennoch<br />
fand sie ihren Weg auf die CD von Siggi<br />
Haider und Hannes Sprenger – ein<br />
langwieriger Prozess. Hört man diesen<br />
Schluss heute, ist kaum vorstellbar, dass<br />
ein so bodenständiger Typ wie Pirchner<br />
Musik komponieren konnte, die so weit<br />
über dem Boden schwebt.<br />
Was für eine Verschwendung auch, dass<br />
ein Mensch mit einem derart ausgeprägten<br />
Gefühl für musikalische Dramatik<br />
in Österreich lebte. In Hollywood<br />
wäre er wohl zum gefeierten Film-Komponisten<br />
avanciert – ein Umstand, der<br />
manch einen verbittert hätte, nicht so<br />
Werner Pirchner. Ihm war es genug,<br />
Musik zu machen: Ob das nun Kennmelodien<br />
für den ORF, Jazz mit Harry<br />
Pepl oder komponierte „ernste“ Musik<br />
waren, kümmerte ihn nicht weiter. Viel<br />
wichtiger wäre ihm wohl gewesen, Zeuge<br />
seiner Wirkung als Vermittler zwischen<br />
den Welten E und U zu werden. Für Siggi<br />
Haider etwa war die Begegnung mit<br />
Werner Pirchner entscheidend für seinen<br />
späteren Werdegang: „Er hat mich bestärkt,<br />
weg von der Tanzmusik zu gehen<br />
und mir neue Welten zu erschließen.“<br />
Ein noch jüngeres Beispiel solcher Beeinflussung<br />
ist Martin Klein (Jahrgang 83),<br />
hochbegabter, in Wien lebender Songwriter<br />
und Pianist, der im Interview erzählt,<br />
er sei auf „Dur“ gestoßen und diese<br />
Einspielungen von Pirchner hätten ihn<br />
darin bekräftigt, neben seiner Pop-Karriere<br />
auch ausnotierte Musik zu komponieren.<br />
Jemandem, der so wie er mit Jazz<br />
und Pop aufwuchs, die Tür in eine andere<br />
Welt aufgehalten zu haben – das hätte<br />
Pirchner ohne Zweifel besser gefallen als<br />
ein voller, jubelnder Saal.<br />
Aber auch den schafft Pirchner heute<br />
noch: Als man neulich im Wiener Porgy<br />
& Bess mit Akkosax auf der Bühne<br />
stand, erzählt Hannes Sprenger, und ankündigte,<br />
gleich ein Stück von Werner<br />
Pirchner spielen zu wollen, habe der<br />
Saal getobt. Ohne dass auch nur eine<br />
Note gespielt worden wäre. Im „fernen“<br />
Wien, zehn Jahre nach seinem Tod.<br />
Am 13. Februar wäre Werner Pirchner<br />
70 geworden. Ein ewig junger Musiker<br />
starb viel zu früh.<br />
C D - T i p p<br />
Akkosax: An Werner Pirchner<br />
„ . . . v o m r a u h e n L e b e n “<br />
col legno<br />
H Ö R P R O B E<br />
w w w . p o l z e r . n e t