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Seite 86<br />

Christophorus 308<br />

Christophorus 308<br />

Seite 87<br />

Text<br />

Elmar Brümmer<br />

Fotografie<br />

Tyler Larkin<br />

Lifestyle<br />

Hand, Holz, Herz<br />

Möbel und Mobilität prägen Sam Maloof. Der berühmteste lebende Möbeldesigner der USA beschert<br />

anderen ein Leben im Schaukelstuhl und bevorzugt selber den Sitz im <strong>Porsche</strong> Boxster. Mit 88.


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Christophorus 308<br />

Christophorus 308<br />

Seite 89<br />

Ray Charles fühlte sich sofort angezogen von dem Möbelstück,<br />

das er nicht sehen konnte. Sanft wie über eine Klaviatur ließ der<br />

blinde Jazz-Musiker seine Finger über die Oberfläche gleiten.<br />

Sein Gespür sagte ihm: „Ich kenne den Mann, der diesen Stuhl<br />

geschaffen hat.“Auch wir tasten uns heran an den Mann, der<br />

Sam Maloof heißt. Schaukelstühle aus seinem Atelier, auf amerikanisch<br />

schlicht Rockers genannt, sind eine Seele von Möbel.<br />

Seine Seele.<br />

Der Mann ist Künstler, keine Frage. Das eigentliche Kunstwerk<br />

sind aber Sams Hände. Als siebtes Kind libanesischer<br />

Einwanderer in die USA hat er 1948 sein erstes Stück gefertigt,<br />

ein Zweckmöbel aus alten Eisenbahnschwellen. Aus diesen<br />

harten Zeiten resultiert die Kraft, mit der er seinen Kreationen<br />

Nachdruck verleiht. Die schmeichelnde Finesse, die die Grenze<br />

zwischen Kunst- und Gebrauchsgegenstand abrundet, stammt<br />

aus dem halben Jahrhundert danach, in dem der heute 88-<br />

Jährige zu Amerikas bedeutendstem lebenden Möbeldesigner<br />

wurde. Geschwungen, in sich rund, aber vor allem: in sich<br />

ruhend. Ein paar tausend Stühle und Tische hat er unter dem<br />

Einfluss der Gefühle geschaffen. Einer, der sein Herz in den<br />

Händen trägt. Der Möbelisierer.<br />

Dass es vergleichsweise so wenig Exemplare gibt, steigert den<br />

Mehr-Wert. Möbel von Maloof erreichen bei Versteigerungen<br />

Liebhaberpreise von 185 000 Dollar, sie stehen in den bedeutendsten<br />

Museen der Vereinigten Staaten. Es ist eine seltene,<br />

eine aussterbende Kunst, die in seiner Werkstatt in Alta Loma<br />

nahe Los Angeles gepflegt wird. Aber als Künstler möchte er<br />

sich nicht sehen, das wäre ihm zuviel der Ehre: „Ich bin ein<br />

Holzarbeiter, und ich finde, das ist ein schönes und ein ehrliches<br />

Wort für das, was ich tue.“ Nichts anderes steht auf<br />

seiner Visitenkarte, die er selbst kalligraphiert hat. Ein kleines<br />

Kunstwerk für sich. Aber Kunst und Arbeit sind an diesem Ort<br />

ohnehin nicht durch einen Mittelstreifen voneinander zu trennen:<br />

„Die Arbeit mit Holz bereitet mir so viel Vergnügen, dass<br />

ich sie noch nie als Arbeit empfunden habe.“<br />

So werden Möbel zu Skulpturen. Wenn er wüsste, wie sehr er<br />

mit seinem immer noch athletischen Körper und dem schlichten<br />

schwarzen T-Shirt an Giorgio Armani erinnert (von den<br />

Holzspänen vielleicht mal abgesehen), würde er seine Hände<br />

noch ein wenig verlegener reiben. Eine sehnige Art, den Begriff<br />

unprätentiös zu verkörpern. „Das Auge, die Hand und das<br />

Herz, mehr brauche ich nicht.“ Die simplen Weisheiten sind<br />

oft die besten. Die simplen Werkzeuge auch.<br />

Dass er mit Strawinsky und Picasso auf eine Stufe gestellt wird,<br />

mag Sam Maloof – wenn überhaupt – nur handwerklich gelten<br />

lassen: „Ich arbeite doch nur nach Gefühl, und so wie das<br />

Holz verläuft.“ Mal was Neues: function follows form. Wie die<br />

Enden von Geweihen ragen seine Stuhlkonstruktionen hervor,<br />

das hebt sie auf den ersten Blick von jedem Massenprodukt ab.<br />

Die spitz verlaufenden Enden würden sogar zum Marken- A<br />

„Ich bin ein Holzarbeiter, und ich finde, das ist<br />

ein schönes und ein ehrliches Wort für das, was ich tue.“<br />

Holz in der Hütt’n: Was wie Improvisation wirkt, ist in<br />

Wirklichkeit Perfektion auf höchstem künstlerischen Niveau


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Christophorus 308<br />

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zeichen taugen, doch zu dem sind längst die latches genannten<br />

Türbeschläge aus Holz geworden, die auch die Ranch am Fuße<br />

der San Gabriel Mountains zieren. Das Gelände umfasst sein<br />

Haus, seine Werkstatt und seine Kunststiftung. Als Gesamtkunstwerk<br />

steht es unter Denkmalschutz und konnte schon<br />

einmal – noch weiter unten im Tal gelegen – vor den Planierraupen<br />

gerettet werden. Ehe ein vierspuriger Freeway alles platt<br />

machte, wurde jedes Stück Holz und jedes Werkzeug originalgetreu<br />

versetzt. Wer in das Tausenderlei des Holzlagers blickt,<br />

weiß, was das für eine Sisyphos-Aufgabe gewesen sein muss.<br />

Wenn alles nach Plan läuft, stört das Maloof in seiner Kreativität<br />

keineswegs. Die Warteliste ist lang, und das Schönste an<br />

ihr ist: Man kann sich auch mit viel Geld nicht vordrängeln.<br />

Der Möbelmacher ist da restriktiv, er verteilt nach Sympathie.<br />

„Ich brauche den Kontakt zu den Menschen, der ist Teil meiner<br />

Arbeit. Sonst könnte ich sie gar nicht tun.“ Werbung hat er<br />

noch nie für sich machen müssen. Wessen Anatomie einmal<br />

von seinen Schablonen erfasst wurde, der kann freilich nachbestellen,<br />

manchmal arbeitet er schon für die dritte Generation<br />

einer Familie. Aber immer schön der Reihe nach: „Eine Fabrik<br />

könnte in ein paar Tagen mein ganzes Lebenswerk produzieren.“<br />

Ein eher erschreckender Gedanke. Wie soll man maschinell<br />

je diese Perfektion erreichen können? Jeder Schaukelstuhl<br />

schwingt, nur einmal angetippt, noch für genau viereinhalb<br />

Minuten nach. Jede Kreation besitzt trotzdem ihren eigenen<br />

Rhythmus, eine eigene Vitalität. Wer einen dieser Stühle nachschaukeln<br />

sieht, spürt, dass dahinter mehr steckt als ein toter<br />

Gegenstand. Der Betrachter fühlt sich magisch angezogen.<br />

Wait to be seated.<br />

Das Holz ist in all den Jahren, seit der gelernte Grafiker mit ihm<br />

arbeitet, sein Freund geworden, besonders die kalifornische<br />

Walnuss oder das harte Ziricote aus Belize. Nur Mahagoni mag<br />

er nicht. Jedes Mal, wenn er sich den Hölzern nähert, soll sein<br />

Tun nicht den schnöden Bezeichnungen wie sägen, schneiden<br />

oder hobeln entsprechen. „Holz hat ein Gemüt. Es hat Stärke,<br />

Schönheit – und ist sehr sensibel mit einem im Umgang.“ Es ist<br />

daher mehr so, als ob er die Stämme, Äste und Bretter streichelt,<br />

bestenfalls werden sie geteilt. Er will es nicht brechen,<br />

schon gar nicht zerbrechen.<br />

Gerade deshalb erscheinen seine Möbel immer ein bisschen so,<br />

als würden sie weiter wachsen. Sie bleiben organisch, werden<br />

nur geölt. Aber sie schmeicheln ungemein. Und fragt man ihn,<br />

welche Technologie im Laufe der Zeit seine Technik verändert<br />

habe, antwortet er: „Nur der Menschenverstand.“ Ähnlich<br />

staunend lässt er diejenigen zurück, die ihm entlocken wollen,<br />

wo er seine Ideen herholt: „Sie passieren einfach.“ Sam Maloof<br />

möchte nicht unhöflich erscheinen und ergänzt: „Doch, doch.<br />

Da ist wirklich nichts anderes.“ Und am Ende des Schöpfungsprozesses<br />

ist immer noch ein Rest Aufregung geblieben: „Ob<br />

es wohl gefällt ...?“<br />

Sam Maloof wirkt wie jemand, der in seiner eigenen Zeit lebt.<br />

Ganz natürlich, ohne Terminkalender. Den führt Roz Bock,<br />

die sein Leben und die Werkstatt organisiert. Sie baut in Sams<br />

Agenda nicht die üblichen Puffer für unvorhergesehene Dinge<br />

ein, sondern nur Puffer für Termine. Das Unvorhersehbare, ob<br />

„Holz hat ein Gemüt. Es hat Stärke,<br />

Schönheit – und ist sehr sensibel.“<br />

Wir werden den Stuhl schon schaukeln: Larry White (rechts),<br />

Sam Maloof und die Tücke des Objekts<br />

es Gäste oder Kreativität sind, dominiert nämlich jeden Tagesablauf.<br />

„Ich zeichne einen Stuhl in meinem Kopf, und dann<br />

beginne ich einfach mit der Arbeit. Erst ein Modell von etwas<br />

zu machen, halte ich für Zeitverschwendung. Dinge, die aus<br />

dem Kopf heraus geschehen, kommen aus dem Inneren des<br />

Menschen.“ In jedem seiner Stücke, sagt Sam Maloof, stecke<br />

auch etwas von Alfreda. Jener Frau, mit der er 50 Jahre zusammenlebte.<br />

Nach ihrem Tod fand er in Beverly, einer langjährigen<br />

Freundin des Paares, eine zweite, artverwandte Seele. Sam<br />

ist jemand der teilt, und teilhaben lässt. „Möbel zu schaffen ist<br />

etwas Emotionales. Es ist sehr befriedigend, etwas zu beginnen<br />

– und sehr befriedigend, etwas fertigzustellen.“ Ein nahezu unschlagbares<br />

Qualitätsprinzip.<br />

Finden auch Larry, Mike und David, die das vollenden, was<br />

Sam Maloof beginnt. Das Design obliegt noch immer ihm<br />

allein, und er fügt die Teile auch zusammen. Hand in Hand<br />

gehen dann Maße und Ansprüche ineinander über. Er weiß<br />

die Möbel in guten Händen, Larry beispielsweise fing 1962<br />

als 19-Jähriger bei ihm an. Mehr als 50 Stück pro Jahr schaffen<br />

sie aber bei zehn Stunden Arbeit am Tag nicht, und auf Halde<br />

wird erst gar nicht produziert. „Der Käufer soll von Anfang an<br />

ein Teil des Möbels sein. Ich möchte, dass meine Möbel mit<br />

den Menschen leben. Sie sollen sie fühlen. Ich baue sie nicht<br />

fürs Museum.“ Aber manch’ Prachtexemplar landet eben doch<br />

dort. Welches seiner Möbel er am meisten liebt? Sam Maloof<br />

schaut gutmütig durch die starken Brillengläser: „Fragen Sie<br />

eine Mutter mit mehreren Kindern, welches sie lieber hat.<br />

Sie wird antworten wie ich: Ich mag sie alle ...“<br />

A


Seite 92<br />

Christophorus 308<br />

Da geht einem das Herz auf: Boxster-Fahrer<br />

Maloof, der seine Sucht nach dem wilden<br />

Ritt auch mit einer Sammlung historischer<br />

Karussellpferdchen stillt<br />

Informationen:<br />

Sam and Alfreda Maloof Foundation<br />

P.O. Box 37, Alta Loma, CA 91701, USA<br />

Hausbesichtigungen zu erfragen unter<br />

Telefon: +1-909-980-0412<br />

E-Mail: malooffoundation@earthlink.net<br />

Literatur:<br />

„The Furniture of Sam Maloof“, bei „W.W.<br />

Norton & Company, New York“, 270 Seiten<br />

„Sam Maloof: Woodworker“, bei „Kodansha<br />

International, Tokio“, 224 Seiten<br />

(Beide Bücher enthalten viele<br />

Abbildungen, sind aber nur in englischer<br />

Sprache erschienen.)<br />

Gut Ding will manchmal aber auch Eile haben. Wenn Sam will, hat er das schnelle Leben<br />

ganz schnell. Hinter der größten Tür im Haus schlummert sein <strong>Porsche</strong> Boxster. Den hat<br />

er sich im zarten Alter von 85 gekauft, seither reitet er morgens häufig hinauf in die<br />

kalifornische Wüste. „Mach’ das Dach herunter, und du befindest dich in einer anderen<br />

Welt“, schwärmt der Mann, der auch hinter dem Steuer nicht ohne Natur sein kann. Vielleicht<br />

sucht er die Beschleunigung, weil die Entschleunigung um so schöner ist ...<br />

Am Ende des Interviews sitzen wir auf Plastikstühlen, Marke Schulkantine. Es scheint, als<br />

ob er so die Sehnsucht im Besucher auf eine adäquate Sitzgelegenheit verstärken will.<br />

Ein guter Freund, erzählt er, habe ihm in den Sechzigern geraten, ins Plastikgeschäft<br />

einzusteigen. „Plastik ist es nicht wert“, weiß Sam Maloof, „denn es hat kein Herz.“ B

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