29.05.2014 Aufrufe

Psychologie des Vereinfachens – Gestalt, Landkarte ... - POS+SIGN

Psychologie des Vereinfachens – Gestalt, Landkarte ... - POS+SIGN

Psychologie des Vereinfachens – Gestalt, Landkarte ... - POS+SIGN

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

© Oleg Kozlov | Dreamstime.com / www.stockxpert.com


POS+Sign<br />

<strong>Psychologie</strong> <strong>des</strong> <strong>Vereinfachens</strong> –<br />

<strong>Gestalt</strong>, <strong>Landkarte</strong>, Skript<br />

Während die Welt scheinbar immer komplizierter wird,<br />

ist Vereinfachen eine bewährte Strategie <strong>des</strong> Gehirns. Diese<br />

ermöglicht auch in einer Komplexen Umwelt effizientes<br />

wahrnehmen, orientieren und handeln.<br />

Um handeln zu können, ist eine Reduktion der<br />

Komplexität erforderlich. Einige der psychologischen<br />

Konzepte, die einen Erklärungsrahmen hierfür<br />

anbieten, werden in der Planung von Werbung und<br />

Ladengestaltungen häufig erwähnt. Die im Folgenden<br />

skizzierten Konzepte aus den Bereichen der spontanen<br />

Wahrnehmung, der räumlichen Orientierung und<br />

der Steuerung situativen Verhaltens basieren letztlich<br />

alle auf der Annahme, dass komplexe Sachverhalte in<br />

Form von einfachen Schemata verarbeitet werden.<br />

<strong>Gestalt</strong>wahrnehmung<br />

Mit den Augen schauen wir, mit dem Gehirn sehen<br />

wir. Dass sich dies etwas ungewohnt anhört, verdeutlicht<br />

bereits, dass die Rolle, die das Gehirn beim Sehen<br />

spielt, häufig unterschätzt wird. Dabei entsteht das<br />

Bild, welches ein Betrachter wahrnimmt, tatsächlich<br />

erst im Gehirn.<br />

Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts formulierte die <strong>Gestalt</strong>psychologie<br />

explizite <strong>Gestalt</strong>gesetze, die letztlich<br />

besagen, dass jeweils etwas möglichst Einfaches,<br />

Einheitliches, Geschlossenes, Symmetrisches oder<br />

Gleichartiges wahrgenommen wird. Beispielsweise<br />

sieht man auch dann ein Dreieck, wenn eigentlich<br />

nur einige Kreissegmente vorhanden sind. Ein anderes<br />

Beispiel für diese <strong>Gestalt</strong>wahrnehmung sind Laufschriften.<br />

Obwohl im Grunde lediglich ein Schriftzug<br />

an einer Stelle ausgeblendet und etwas versetzt wieder<br />

angezeigt wird, nimmt der Betrachter eine Bewegung<br />

der Schrift wahr. Das Gehirn entscheidet sich für die<br />

einfachere Interpretationsmöglichkeit und sieht nur<br />

den Schriftzug. Selbst wenn der Vorgang an sich wesentlich<br />

selbstverständlicher erscheint als die diversen<br />

Lehrbuchbeispiele zur <strong>Gestalt</strong>wahrnehmung, so<br />

kann man sich schnell klarmachen, dass die Reduktionsleistung<br />

<strong>des</strong> Gehirns enorm ist, wenn eine Ansammlung<br />

bunter Druckpunkte als Bild interpretiert<br />

und beispielsweise eine Person erkannt wird. Diese für<br />

Menschen alltägliche Fähigkeit ist so komplex, dass es<br />

bislang nur ansatzweise gelingt, dies bei Computern<br />

nachzubilden.<br />

Kognitive <strong>Landkarte</strong><br />

Die Reduktionsleistung <strong>des</strong> Gehirns lässt sich anhand<br />

<strong>des</strong> Sehens sehr einfach illustrieren; sie ist jedoch keineswegs<br />

hierauf beschränkt. Die kognitive <strong>Psychologie</strong><br />

kennt diverse Konzepte, die letztlich als Schemata<br />

zu begreifen sind. Ein Beispiel ist das bei der Planung<br />

von Signage-Projekten häufig zitierte Konzept der kognitiven<br />

<strong>Landkarte</strong>n. Damit wird landläufig die Vorstellung<br />

bezeichnet, dass Menschen eine Art innerer<br />

<strong>Landkarte</strong> ihrer Umgebung speichern und diese<br />

gleichsam zum inneren Navigationssystem wird. Dieser<br />

vereinfachten Vorstellung entsprechend ginge es<br />

in der Außenwerbung oder Schaufenstergestaltung lediglich<br />

darum, die gespeicherte Karte bei den Betrachtern<br />

zu ändern, sodass sie beim nächsten Kaufwunsch<br />

zielgerecht in den entsprechenden Laden gelotst werden,<br />

bis ihnen eine innere Stimme mitteilt: „Sie haben<br />

Ihr Ziel erreicht.“<br />

Zwar ist es Thema dieses Artikels, dass es menschlich<br />

ist, Dinge zu vereinfachen, dennoch wird dies<br />

kritisch, wenn man ohne genauer hinzuschauen ein<br />

vermeintlich wissenschaftliches Konzept als Begründung<br />

für ein Projekt verwendet. Kognitive <strong>Landkarte</strong>n<br />

begründen als wissenschaftliches Konzept gerade<br />

die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung verschiedener<br />

Menschen. Beispielsweise ist für einen jugendlichen<br />

Radfahrer, einen berufstätigen Autofahrer und<br />

einen gebrechlichen Greis die Verbindung zwischen<br />

<strong>POS+SIGN</strong> II / 2009<br />

33


<strong>Psychologie</strong> <strong>des</strong> <strong>Vereinfachens</strong> – <strong>Gestalt</strong>, <strong>Landkarte</strong>, Skript<br />

„Cognitive Maps in Rats and Man“<br />

Der Begriff kognitive <strong>Landkarte</strong> wurde<br />

in den vierziger Jahren von Edward Tolman<br />

geprägt. In seinem Artikel „Cognitive<br />

Maps in Rats and Men“ (http://psychclassics.yorku.ca/Tolman/Maps/maps.htm)<br />

beschreibt<br />

er Versuche mit Ratten, die er von<br />

seinen Studenten ausführen ließ. Den Ratten<br />

wurde in verschiedenen Labyrinthen an<br />

bestimmten Stellen Nahrung gegeben und<br />

ihr Verhalten darauf beobachtet. In diesem<br />

Rahmen entwickelte er das Konzept der<br />

kog nitiven <strong>Landkarte</strong>. Und bereits für diese<br />

vergleichsweise einfache Situation<br />

schreibt er lapidar: „Alle<br />

Studenten sind sich über die<br />

Fakten einig. In Bezug auf<br />

Theorie und Erklärung sind<br />

sie jedoch uneinig.“ Und<br />

seinen sehr vorsichtigen<br />

Übertragungen <strong>des</strong> Konzepts<br />

auf menschliches<br />

Verhalten stellt er die Vorbemerkung<br />

voran, dass er nur ein Rattenpsychologe<br />

(„rat psychologist“) sei.<br />

Zunächst lehnt er die einfache Reiz-<br />

Reaktions-Theorie ab: „Es gibt eine Schule<br />

von Tierpsychologen, die glaubt, dass das<br />

Verhalten von Ratten im Labyrinth eine einfache<br />

Reiz-Reaktion-Verknüpfung ist. […]<br />

Nach der Reiz-Reaktions-Schule reagiert die<br />

Ratte beim Durchlaufen <strong>des</strong> Labyrinths unwillkürlich<br />

(„is helplessly responding“) auf<br />

eine Abfolge von externen<br />

Reizen – optische Eindrücke,<br />

Töne, Gerüche, Druck<br />

etc. – […] und inneren Reizen.“<br />

Tolman führt dann sein<br />

<strong>Landkarte</strong>nkonzept ein: „Wir<br />

glauben, dass im Verlauf <strong>des</strong> Lernens etwas<br />

wie eine <strong>Landkarte</strong> im Gehirn der Ratte entsteht.<br />

Wir sind uns mit der anderen Schule<br />

einig, dass die Ratte beim Durchlaufen <strong>des</strong><br />

Labyrinths Reizen ausgesetzt ist und damit<br />

letztlich als Ergebnis auf diese Reize zu einer<br />

Reaktion geführt wird. […] Gleichwohl meinen<br />

wir, dass die dazwischen geschalteten<br />

Vorgänge im Gehirn komplizierter, stärker<br />

© Paul Hakimata | Dreamstime.com<br />

strukturiert und […] autonomer sind, als<br />

dies Reiz-Reaktions-Psychologen meinen.<br />

Auch wenn wir zugeben, dass die Ratte mit<br />

Reizen bombardiert wird, behaupten wir,<br />

dass ihr Nervensystem erstaunlich selektiv in<br />

Bezug darauf ist, welchen Reiz es zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt einlässt. […] Die eingehenden<br />

Impulse werden üblicherweise in<br />

einem zentralen Kontrollzentrum überarbeitet<br />

und verfeinert in eine tentative, kognitive<br />

<strong>Landkarte</strong> der Umwelt. Und es ist diese<br />

Strecken und Pfade […] anzeigende tentative<br />

Karte, die schließlich bestimmt, ob und<br />

welche Reaktionen das Tier schließlich zulassen<br />

wird.“<br />

Der zitierte Text ist zwar bald 70 Jahre<br />

alt, geht man jedoch heute durch ein typisches<br />

Einkaufszentrum, drängt sich fast<br />

schon unwillkürlich der Eindruck auf, dass<br />

die Werbeplaner immer noch von etwa<br />

dieser Vorstellung ausgehen: „Es gibt eine<br />

Schule von Verkaufsgurus, die uns glauben<br />

machen will, dass das Verhalten von Kunden<br />

in einem Einkaufszentrum eine einfache<br />

Reiz-Reaktion-Verknüpfung ist. Nach der<br />

Reiz-Reaktions-Schule ist der Kunde beim<br />

Durchlaufen <strong>des</strong> Einkaufszentrums Werbung<br />

wehrlos ausgesetzt und reagiert unwillkürlich<br />

(„is helplessly responding“) auf<br />

eine Abfolge von externen Reizen – optische<br />

Eindrücke, Beschallung, Duftwelten,<br />

und so weiter und so fort.“<br />

Das Gehirn verarbeitet die Information und<br />

sieht ein Dreieck, das an den Ecken je einen<br />

Kreis überlappt. Dass dies eine Vereinfachung<br />

darstellt, wird klar, wenn man versucht, die Grafik<br />

ohne Bezug auf ein Dreieck zu beschreiben.<br />

Die obenstehende Grafik wird ganz selbstverständlich als Quadrat und Kreis interpretiert,<br />

obwohl sie auch zwei andere Interpretationsmöglichkeiten zulassen<br />

würde. Die Wahrnehmung der guten <strong>Gestalt</strong> ist aber eine so starke Tendenz,<br />

dass selbst ein Einfärben der Flächen die Interpretation als Kreis und Quadrat<br />

nicht zerstört.<br />

34<br />

www.pos-sign.de


POS+Sign<br />

zwei Orten jeweils eine vollkommen andere. Und wie<br />

unterschiedlich ein Einkaufszentrum oder eine Innenstadt<br />

wahrgenommen werden kann, wird deutlich,<br />

wenn man mehrere Personen bittet aus dem Gedächtnis<br />

Skizzen davon zu zeichnen.<br />

Skripte<br />

Während eine kognitive <strong>Landkarte</strong> ein Schema für die<br />

mehr oder weniger statische Umwelt darstellt, ist ein<br />

sogenanntes (Verhaltens-)Skript ein Schema für dynamische<br />

Abläufe. Dieses Konzept wurde in den siebziger<br />

Jahren von Roger Schank und Robert Abelson<br />

vorgestellt. Ein Skript bezeichnet hierbei „ein Bündel<br />

von Erwartungen, was in einer bestimmten („well-understood“)<br />

Situation als nächstes passieren wird. In<br />

einem gewissen Sinn gibt es viele Situationen, in denen<br />

die beteiligten Personen scheinbar Rollen aus einer<br />

Art Drehbuch ablesen.“ Das Standardbeispiel für<br />

Skripte ist hierbei der Restaurantbesuch. Um in einem<br />

Restaurant etwas zu Essen zu bekommen, ist es (normalerweise)<br />

nicht notwendig, die Bedienung davon zu<br />

überzeugen, dass man etwas essen möchte. Indem sich<br />

beide Seiten an ihre jeweiligen Rollen in einem mehr<br />

oder weniger allgemeingültigen Skript halten, wird<br />

man als Gast einfach seine Bestellung aufgeben, das<br />

Essen bekommen und bezahlen. Schon hier zeigt sich<br />

allerdings, dass Skripte nur dann reibungslos funktionieren,<br />

wenn alle Beteiligten im Wesentlichen die<br />

gleiche Verständnisbasis haben. Wer nie zuvor in einem<br />

Fastfood-Restaurant war, sich dort an einen Tisch<br />

setzt und darauf wartet, dass die Bedienung ihm die<br />

Speisekarte bringt, wird kaum satt werden.<br />

Wenngleich das Konzept ursprünglich im Kontext<br />

der Handlungs- beziehungsweise Sprachanalyse<br />

entwickelt wurde, ist es heutzutage fest in der Sozialpsychologie<br />

verankert. Vor dem Hintergrund der Globalisierung<br />

sind insbesondere zwei Aspekte <strong>des</strong> Skriptkonzeptes<br />

interessant. Einerseits gibt es einige Skripte,<br />

die fast schon universelle Gültigkeit erlangen, während<br />

andererseits der Umfang <strong>des</strong> Skriptrepertoires,<br />

das man bei jedem möglichen Gegenüber als bekannt<br />

voraussetzen darf, abnimmt. Die Erwartung, was in einer<br />

Situation als nächstes passieren wird, ist in vielen<br />

Fällen kulturell bedingt und von Land zu Land sehr<br />

unterschiedlich. Spannend ist auch, dass durch die<br />

zunehmende Verbreitung von interaktiven Lösungen<br />

und Kiosksystemen das Skriptkonzept wieder stärker<br />

zur Handlungsanalyse eingesetzt werden dürfte.<br />

Kreativität versus Wissenschaftlichkeit<br />

Während die vorgestellten Konzepte durchaus wissenschaftlich<br />

angewendet werden können, wird in der<br />

Praxis häufig nur ein sehr freier und eklektischer Bezug<br />

zu den Konzepten hergestellt. Insofern dies zu kreativen<br />

Lösungen führen kann, ist das durchaus sinnvoll.<br />

Wenn jedoch das bloße Zitieren von Konzepten dazu<br />

dienen soll, ein bestimmtes Vorgehen als wissenschaftlich<br />

begründet erscheinen zu lassen, ist Vorsicht geboten.<br />

Dies umso mehr, als die vorgestellten Konzepte<br />

zwar einerseits sehr eingängig und plausibel, aber andererseits<br />

recht allgemein erscheinen. Daher besteht<br />

die Gefahr, dass ein Experte die suggestive Kraft der<br />

Konzepte benutzt, um seine eigene Vorstellung glaubwürdig<br />

erscheinen zu lassen. Hinterfragt man dann<br />

die dargebotene Vorstellung, kommt es manchmal zu<br />

geradezu erheiternden Reaktionen.<br />

So interessant daher wissenschaftliche Konzepte<br />

klingen mögen: eine seriöse Untersuchung der Werbewirksamkeit<br />

eines bestimmten Projektes können und<br />

sollen sie nicht ersetzen.<br />

■<br />

Albrecht Fischer<br />

®<br />

Technologie + Konzept = Erfolg<br />

XML & DESIGN<br />

Als Spezialisten für Adobe-Technologie beraten wir Sie bei der Suche<br />

nach optimalen Kommunikationslösungen und deren Umsetzung.<br />

XQX AG | www.xqx.de | +49 (78 22) 78 999-0 | office@xqx.de


ewegliche Strukturen in die Ausstellungslösung, die<br />

Thomas Jakobs<br />

IMPRESSUM<br />

REDAKTIONSANSCHRIFT<br />

www.pos-sign.de<br />

redaktion@pos-sign.de<br />

Telefon: +49 (78 22) 78 99 90<br />

Fax: +49 (9 41) 5 99 29 79 33<br />

VERLAG<br />

QXQ GmbH<br />

Tullastr. 27<br />

77955 Ettenheim<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Albrecht Fischer<br />

QXQ GmbH<br />

Tullastr. 27<br />

77955 Ettenheim<br />

ANZEIGEN<br />

Eva Toball<br />

QXQ GmbH<br />

Tullastr. 27<br />

77955 Ettenheim<br />

DRUCK<br />

Dambach Print+Service GmbH<br />

Adolf-Dambach-Straße<br />

76571 Gaggenau<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

1. Jahrgang 2009<br />

Erscheinung quartalsweise<br />

Auflage: 4000<br />

ABONNEMENT<br />

29,- € inklsive Versandkosten (Ausland 39,- € inkl. Versand)<br />

Abobestellung im Internet unter www.pos-sign.de/abo<br />

COPYRIGHT<br />

Alle Rechte an dieser Ausgabe und ihren Teilen, insbesondere<br />

die Verwertungsrechte gemäß §16ff UrhG, sind vorbehalten.<br />

Markenzeichen und Handelsnamen sind Eigentum ihrer<br />

jeweiligen Inhaber. Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr. Eine<br />

Haftung wird nicht übernommen. Namentlich gekennzeichnete<br />

Artikel geben nicht die Meinung der Redaktion, sondern die <strong>des</strong><br />

jeweiligen Autors wieder.<br />

40<br />

www.pos-sign.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!