Psychologie des Vereinfachens â Gestalt, Landkarte ... - POS+SIGN
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POS+Sign<br />
<strong>Psychologie</strong> <strong>des</strong> <strong>Vereinfachens</strong> –<br />
<strong>Gestalt</strong>, <strong>Landkarte</strong>, Skript<br />
Während die Welt scheinbar immer komplizierter wird,<br />
ist Vereinfachen eine bewährte Strategie <strong>des</strong> Gehirns. Diese<br />
ermöglicht auch in einer Komplexen Umwelt effizientes<br />
wahrnehmen, orientieren und handeln.<br />
Um handeln zu können, ist eine Reduktion der<br />
Komplexität erforderlich. Einige der psychologischen<br />
Konzepte, die einen Erklärungsrahmen hierfür<br />
anbieten, werden in der Planung von Werbung und<br />
Ladengestaltungen häufig erwähnt. Die im Folgenden<br />
skizzierten Konzepte aus den Bereichen der spontanen<br />
Wahrnehmung, der räumlichen Orientierung und<br />
der Steuerung situativen Verhaltens basieren letztlich<br />
alle auf der Annahme, dass komplexe Sachverhalte in<br />
Form von einfachen Schemata verarbeitet werden.<br />
<strong>Gestalt</strong>wahrnehmung<br />
Mit den Augen schauen wir, mit dem Gehirn sehen<br />
wir. Dass sich dies etwas ungewohnt anhört, verdeutlicht<br />
bereits, dass die Rolle, die das Gehirn beim Sehen<br />
spielt, häufig unterschätzt wird. Dabei entsteht das<br />
Bild, welches ein Betrachter wahrnimmt, tatsächlich<br />
erst im Gehirn.<br />
Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts formulierte die <strong>Gestalt</strong>psychologie<br />
explizite <strong>Gestalt</strong>gesetze, die letztlich<br />
besagen, dass jeweils etwas möglichst Einfaches,<br />
Einheitliches, Geschlossenes, Symmetrisches oder<br />
Gleichartiges wahrgenommen wird. Beispielsweise<br />
sieht man auch dann ein Dreieck, wenn eigentlich<br />
nur einige Kreissegmente vorhanden sind. Ein anderes<br />
Beispiel für diese <strong>Gestalt</strong>wahrnehmung sind Laufschriften.<br />
Obwohl im Grunde lediglich ein Schriftzug<br />
an einer Stelle ausgeblendet und etwas versetzt wieder<br />
angezeigt wird, nimmt der Betrachter eine Bewegung<br />
der Schrift wahr. Das Gehirn entscheidet sich für die<br />
einfachere Interpretationsmöglichkeit und sieht nur<br />
den Schriftzug. Selbst wenn der Vorgang an sich wesentlich<br />
selbstverständlicher erscheint als die diversen<br />
Lehrbuchbeispiele zur <strong>Gestalt</strong>wahrnehmung, so<br />
kann man sich schnell klarmachen, dass die Reduktionsleistung<br />
<strong>des</strong> Gehirns enorm ist, wenn eine Ansammlung<br />
bunter Druckpunkte als Bild interpretiert<br />
und beispielsweise eine Person erkannt wird. Diese für<br />
Menschen alltägliche Fähigkeit ist so komplex, dass es<br />
bislang nur ansatzweise gelingt, dies bei Computern<br />
nachzubilden.<br />
Kognitive <strong>Landkarte</strong><br />
Die Reduktionsleistung <strong>des</strong> Gehirns lässt sich anhand<br />
<strong>des</strong> Sehens sehr einfach illustrieren; sie ist jedoch keineswegs<br />
hierauf beschränkt. Die kognitive <strong>Psychologie</strong><br />
kennt diverse Konzepte, die letztlich als Schemata<br />
zu begreifen sind. Ein Beispiel ist das bei der Planung<br />
von Signage-Projekten häufig zitierte Konzept der kognitiven<br />
<strong>Landkarte</strong>n. Damit wird landläufig die Vorstellung<br />
bezeichnet, dass Menschen eine Art innerer<br />
<strong>Landkarte</strong> ihrer Umgebung speichern und diese<br />
gleichsam zum inneren Navigationssystem wird. Dieser<br />
vereinfachten Vorstellung entsprechend ginge es<br />
in der Außenwerbung oder Schaufenstergestaltung lediglich<br />
darum, die gespeicherte Karte bei den Betrachtern<br />
zu ändern, sodass sie beim nächsten Kaufwunsch<br />
zielgerecht in den entsprechenden Laden gelotst werden,<br />
bis ihnen eine innere Stimme mitteilt: „Sie haben<br />
Ihr Ziel erreicht.“<br />
Zwar ist es Thema dieses Artikels, dass es menschlich<br />
ist, Dinge zu vereinfachen, dennoch wird dies<br />
kritisch, wenn man ohne genauer hinzuschauen ein<br />
vermeintlich wissenschaftliches Konzept als Begründung<br />
für ein Projekt verwendet. Kognitive <strong>Landkarte</strong>n<br />
begründen als wissenschaftliches Konzept gerade<br />
die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung verschiedener<br />
Menschen. Beispielsweise ist für einen jugendlichen<br />
Radfahrer, einen berufstätigen Autofahrer und<br />
einen gebrechlichen Greis die Verbindung zwischen<br />
<strong>POS+SIGN</strong> II / 2009<br />
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<strong>Psychologie</strong> <strong>des</strong> <strong>Vereinfachens</strong> – <strong>Gestalt</strong>, <strong>Landkarte</strong>, Skript<br />
„Cognitive Maps in Rats and Man“<br />
Der Begriff kognitive <strong>Landkarte</strong> wurde<br />
in den vierziger Jahren von Edward Tolman<br />
geprägt. In seinem Artikel „Cognitive<br />
Maps in Rats and Men“ (http://psychclassics.yorku.ca/Tolman/Maps/maps.htm)<br />
beschreibt<br />
er Versuche mit Ratten, die er von<br />
seinen Studenten ausführen ließ. Den Ratten<br />
wurde in verschiedenen Labyrinthen an<br />
bestimmten Stellen Nahrung gegeben und<br />
ihr Verhalten darauf beobachtet. In diesem<br />
Rahmen entwickelte er das Konzept der<br />
kog nitiven <strong>Landkarte</strong>. Und bereits für diese<br />
vergleichsweise einfache Situation<br />
schreibt er lapidar: „Alle<br />
Studenten sind sich über die<br />
Fakten einig. In Bezug auf<br />
Theorie und Erklärung sind<br />
sie jedoch uneinig.“ Und<br />
seinen sehr vorsichtigen<br />
Übertragungen <strong>des</strong> Konzepts<br />
auf menschliches<br />
Verhalten stellt er die Vorbemerkung<br />
voran, dass er nur ein Rattenpsychologe<br />
(„rat psychologist“) sei.<br />
Zunächst lehnt er die einfache Reiz-<br />
Reaktions-Theorie ab: „Es gibt eine Schule<br />
von Tierpsychologen, die glaubt, dass das<br />
Verhalten von Ratten im Labyrinth eine einfache<br />
Reiz-Reaktion-Verknüpfung ist. […]<br />
Nach der Reiz-Reaktions-Schule reagiert die<br />
Ratte beim Durchlaufen <strong>des</strong> Labyrinths unwillkürlich<br />
(„is helplessly responding“) auf<br />
eine Abfolge von externen<br />
Reizen – optische Eindrücke,<br />
Töne, Gerüche, Druck<br />
etc. – […] und inneren Reizen.“<br />
Tolman führt dann sein<br />
<strong>Landkarte</strong>nkonzept ein: „Wir<br />
glauben, dass im Verlauf <strong>des</strong> Lernens etwas<br />
wie eine <strong>Landkarte</strong> im Gehirn der Ratte entsteht.<br />
Wir sind uns mit der anderen Schule<br />
einig, dass die Ratte beim Durchlaufen <strong>des</strong><br />
Labyrinths Reizen ausgesetzt ist und damit<br />
letztlich als Ergebnis auf diese Reize zu einer<br />
Reaktion geführt wird. […] Gleichwohl meinen<br />
wir, dass die dazwischen geschalteten<br />
Vorgänge im Gehirn komplizierter, stärker<br />
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strukturiert und […] autonomer sind, als<br />
dies Reiz-Reaktions-Psychologen meinen.<br />
Auch wenn wir zugeben, dass die Ratte mit<br />
Reizen bombardiert wird, behaupten wir,<br />
dass ihr Nervensystem erstaunlich selektiv in<br />
Bezug darauf ist, welchen Reiz es zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt einlässt. […] Die eingehenden<br />
Impulse werden üblicherweise in<br />
einem zentralen Kontrollzentrum überarbeitet<br />
und verfeinert in eine tentative, kognitive<br />
<strong>Landkarte</strong> der Umwelt. Und es ist diese<br />
Strecken und Pfade […] anzeigende tentative<br />
Karte, die schließlich bestimmt, ob und<br />
welche Reaktionen das Tier schließlich zulassen<br />
wird.“<br />
Der zitierte Text ist zwar bald 70 Jahre<br />
alt, geht man jedoch heute durch ein typisches<br />
Einkaufszentrum, drängt sich fast<br />
schon unwillkürlich der Eindruck auf, dass<br />
die Werbeplaner immer noch von etwa<br />
dieser Vorstellung ausgehen: „Es gibt eine<br />
Schule von Verkaufsgurus, die uns glauben<br />
machen will, dass das Verhalten von Kunden<br />
in einem Einkaufszentrum eine einfache<br />
Reiz-Reaktion-Verknüpfung ist. Nach der<br />
Reiz-Reaktions-Schule ist der Kunde beim<br />
Durchlaufen <strong>des</strong> Einkaufszentrums Werbung<br />
wehrlos ausgesetzt und reagiert unwillkürlich<br />
(„is helplessly responding“) auf<br />
eine Abfolge von externen Reizen – optische<br />
Eindrücke, Beschallung, Duftwelten,<br />
und so weiter und so fort.“<br />
Das Gehirn verarbeitet die Information und<br />
sieht ein Dreieck, das an den Ecken je einen<br />
Kreis überlappt. Dass dies eine Vereinfachung<br />
darstellt, wird klar, wenn man versucht, die Grafik<br />
ohne Bezug auf ein Dreieck zu beschreiben.<br />
Die obenstehende Grafik wird ganz selbstverständlich als Quadrat und Kreis interpretiert,<br />
obwohl sie auch zwei andere Interpretationsmöglichkeiten zulassen<br />
würde. Die Wahrnehmung der guten <strong>Gestalt</strong> ist aber eine so starke Tendenz,<br />
dass selbst ein Einfärben der Flächen die Interpretation als Kreis und Quadrat<br />
nicht zerstört.<br />
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zwei Orten jeweils eine vollkommen andere. Und wie<br />
unterschiedlich ein Einkaufszentrum oder eine Innenstadt<br />
wahrgenommen werden kann, wird deutlich,<br />
wenn man mehrere Personen bittet aus dem Gedächtnis<br />
Skizzen davon zu zeichnen.<br />
Skripte<br />
Während eine kognitive <strong>Landkarte</strong> ein Schema für die<br />
mehr oder weniger statische Umwelt darstellt, ist ein<br />
sogenanntes (Verhaltens-)Skript ein Schema für dynamische<br />
Abläufe. Dieses Konzept wurde in den siebziger<br />
Jahren von Roger Schank und Robert Abelson<br />
vorgestellt. Ein Skript bezeichnet hierbei „ein Bündel<br />
von Erwartungen, was in einer bestimmten („well-understood“)<br />
Situation als nächstes passieren wird. In<br />
einem gewissen Sinn gibt es viele Situationen, in denen<br />
die beteiligten Personen scheinbar Rollen aus einer<br />
Art Drehbuch ablesen.“ Das Standardbeispiel für<br />
Skripte ist hierbei der Restaurantbesuch. Um in einem<br />
Restaurant etwas zu Essen zu bekommen, ist es (normalerweise)<br />
nicht notwendig, die Bedienung davon zu<br />
überzeugen, dass man etwas essen möchte. Indem sich<br />
beide Seiten an ihre jeweiligen Rollen in einem mehr<br />
oder weniger allgemeingültigen Skript halten, wird<br />
man als Gast einfach seine Bestellung aufgeben, das<br />
Essen bekommen und bezahlen. Schon hier zeigt sich<br />
allerdings, dass Skripte nur dann reibungslos funktionieren,<br />
wenn alle Beteiligten im Wesentlichen die<br />
gleiche Verständnisbasis haben. Wer nie zuvor in einem<br />
Fastfood-Restaurant war, sich dort an einen Tisch<br />
setzt und darauf wartet, dass die Bedienung ihm die<br />
Speisekarte bringt, wird kaum satt werden.<br />
Wenngleich das Konzept ursprünglich im Kontext<br />
der Handlungs- beziehungsweise Sprachanalyse<br />
entwickelt wurde, ist es heutzutage fest in der Sozialpsychologie<br />
verankert. Vor dem Hintergrund der Globalisierung<br />
sind insbesondere zwei Aspekte <strong>des</strong> Skriptkonzeptes<br />
interessant. Einerseits gibt es einige Skripte,<br />
die fast schon universelle Gültigkeit erlangen, während<br />
andererseits der Umfang <strong>des</strong> Skriptrepertoires,<br />
das man bei jedem möglichen Gegenüber als bekannt<br />
voraussetzen darf, abnimmt. Die Erwartung, was in einer<br />
Situation als nächstes passieren wird, ist in vielen<br />
Fällen kulturell bedingt und von Land zu Land sehr<br />
unterschiedlich. Spannend ist auch, dass durch die<br />
zunehmende Verbreitung von interaktiven Lösungen<br />
und Kiosksystemen das Skriptkonzept wieder stärker<br />
zur Handlungsanalyse eingesetzt werden dürfte.<br />
Kreativität versus Wissenschaftlichkeit<br />
Während die vorgestellten Konzepte durchaus wissenschaftlich<br />
angewendet werden können, wird in der<br />
Praxis häufig nur ein sehr freier und eklektischer Bezug<br />
zu den Konzepten hergestellt. Insofern dies zu kreativen<br />
Lösungen führen kann, ist das durchaus sinnvoll.<br />
Wenn jedoch das bloße Zitieren von Konzepten dazu<br />
dienen soll, ein bestimmtes Vorgehen als wissenschaftlich<br />
begründet erscheinen zu lassen, ist Vorsicht geboten.<br />
Dies umso mehr, als die vorgestellten Konzepte<br />
zwar einerseits sehr eingängig und plausibel, aber andererseits<br />
recht allgemein erscheinen. Daher besteht<br />
die Gefahr, dass ein Experte die suggestive Kraft der<br />
Konzepte benutzt, um seine eigene Vorstellung glaubwürdig<br />
erscheinen zu lassen. Hinterfragt man dann<br />
die dargebotene Vorstellung, kommt es manchmal zu<br />
geradezu erheiternden Reaktionen.<br />
So interessant daher wissenschaftliche Konzepte<br />
klingen mögen: eine seriöse Untersuchung der Werbewirksamkeit<br />
eines bestimmten Projektes können und<br />
sollen sie nicht ersetzen.<br />
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