â¢ Anna Bernardi: hÃ¶rbehinderte Architektin - Pro Audito Schweiz

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focus Viele Leute sprechen … Trotzdem kämpfte sich Anna, die bis Ende Februar in Zug arbeitete und in Zürich lebte, durch alle Probleme hindurch, versuchte einfach, soviel wie möglich zu lernen. Neue Arbeitserfahrungen macht sie nun an ihrer Teilzeitstelle in einem Tessiner Architekturbüro. Daneben büffelt sie Deutsch. «Ich muss einfach noch besser werden, denn ich möchte später wieder in der Deutschschweiz arbeiten», sagt die kämpferische Anna. Viele Leute würden einfach viel zu schnell sprechen und erst noch in unterschiedlichen Dialekten. Schriftsprache wäre hilfreich, um das Gesagte schneller aufzunehmen. Wichtiger als alles andere aber ist für Anna die Arbeit. Sie mag es, ungewöhnliche Lösungen für Bauprojekte zu finden. Anna, was fasziniert dich denn besonders an der Architektur? Während meiner Frankreichreise vor dem Studium habe ich viele gotische Kathedralen besucht, wie jene von Chartres und Bourges. Ich bin von ihrer Architektur sehr fasziniert, weil sie besondere Stimmungen in mir erweckt. Die Grösse der Bauten und auch ihre Klarheit symbolisieren die Evolution und die Geistigkeit. Ich fragte mich auch oft, wie man zu diesen grossartigen Lichtwirkungen in diesen Räumen kommt. Das hat mich so fasziniert, dass ich mich entschlossen habe, Architektur zu studieren. Vor allem inspiriert mich einfache, klare, essenzielle Architektur, wie sie etwa Le Corbusier oder Louis Kahn « Und es ärgert mich sehr, wenn jemand mich als ‹taubstumm› vorstellt ... Ich kann doch » sprechen! beherrschen, oder die beiden Schweizer Architekten Quintus Miller und Valerio Olgiati. Sie dozierten auch an der Uni in Mendrisio. Sie sind sehr anspruchsvoll, aber ich habe bei ihnen viel gelernt. Botta war ja auch einer deiner Professoren während deines Studiums in Mendrisio. Wie ist er denn mit deiner Hörbehinderung umgegangen? Botta war mein Chef-Professor (Leiter) bei meiner Abschlussarbeit. Er hörte mir bei der Präsentation meines Projekts aufmerksam zu und erklärte mir auch gut verständlich, wie und wo ich mich verbessern konnte. Botta kritisierte jedoch ebenfalls. Für mich war das positiv, denn aus Fehlern lernt man immer viel. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich hörbehindert bin, aber ich denke, dass er meine Hörbehinderung bemerkt hat. Für ihn war ich jedoch ein Mensch wie jeder andere. Du hattest über viele Jahre hinweg ein Hörgerät und ein Cochlea- Implantat. Wie ist denn das Hören mit zwei unterschiedlichen Systemen? Vor dem zweiten Cochlea-Implantat trug ich während fünf Jahren ein Hörgerät. Dies war völlig nutzlos, da man ja mit einem Hörgerät nur dann etwas hören kann, wenn man wenigstens noch über ein Restgehör verfügt. Was fehlt dir als hörbehinderter Person? Was ärgert dich am meisten, was müsste anders, besser sein? Ich denke, es gibt noch verschiedene Dinge, die man verbessern sollte und müsste. Zum Beispiel geben immer noch viele Firmen, Shops oder Behörden als Kontakt nur ihre Telefonnum- dezibel 2/2012 8 Für Anna Bernardi sind es oft die kleinen Dinge, womit sie ihre Mitmenschen besser verstehen kann: weniger schnell reden, sich beim Sprechen anschauen, die Gespräche in ihrer Muttersprache Italienisch oder auf Hochdeutsch führen.
focus Viele Leute sprechen … « Ich mag die Sprachen. Wenn ich mein Gehör nicht verloren hätte, wäre ich gerne eine Dolmetscherin » geworden... mer an. Da ich Hörprobleme habe, stört mich das sehr. Ich muss deshalb immer jemanden fragen, ob er für mich telefonieren könnte. Und es ärgert mich sehr, wenn jemand mich als «taubstumm» vorstellt... Ich kann doch sprechen! Du sprichst jedoch schon ziemlich gut Deutsch, etwas Englisch und auch Französisch. Wie lernst du Fremdsprachen? Ich mag die Sprachen. Wenn ich mein Gehör nicht verloren hätte, wäre ich gerne eine Dolmetscherin geworden. Seit der Zeit, als ich noch ein kleines Kind war, haben meine Eltern eine Freundin in der welschen Schweiz. Wir besuchten sie immer wieder, oft während der Schulferien. Diese Freundin hat mir geholfen, die Sprache zu lernen. Aber die Aussprache ist sehr schwierig, und ich habe immer noch viel Mühe, wenn ich auf Französisch Lippen lese. Meine Schwester und mein Bruder leben zwar in Spanien, aber ich habe es noch nicht geschafft, Spanisch zu lernen. Die Schriftsprache Deutsch habe ich in der Schule gelernt. Als ich in Basel arbeitete, musste ich auch lernen zu sprechen. Am Anfang war das gar nicht so einfach, es gab viele frustrierende Situationen für mich. Aber mit der Zeit, mit Geduld und nach vielen Übungen in einem individuellen Sprachkurs habe ich es doch geschafft, dass ich mich heute auch auf Deutsch unterhalten kann. Wenn ich eine Fremdsprache lernen muss oder will, dann lese ich zuerst viele Bücher, die Zeitung oder Zeit- Wichtig wäre, Politiker und Behörden besser zu informieren und zu sensibilisieren hinsichtlich der Probleme und Schwierigkeiten von Menschen mit Hörproblemen. Hier gibt es noch viel zu tun. Nur ein Beispiel: In allen Bahnhöfen müssten die Lautsprecheransagen immer auch mit dem entsprechenden Text auf Anzeigetafeln begleitet werden. Du bist unter hörenden Menschen aufgewachsen und hast so auch deine Ausbildung gemacht. Bewegst du dich mehr unter Hörenden oder auch unter Menschen mit Hörproblemen? Meistens bin ich in der hörenden Welt unterwegs. Im Tessin und auch in Italien habe ich fast nur hörende Freunde und Kollegen, in der Deutschschweiz hingegen kenne ich am meisten hörbehinderte Leute. Hier ist es einfacher, Leute zu treffen, die wie ich Hör probleme haben. Solange ich in der Schweiz arbeitete, war ich oft und gerne bei «Jugehörig», einem Verein in Bern für junge hörgeschädigte Menschen. Dort werden viele Treffen und Veranstaltungen organisiert. Viele gebärden hier, darum habe auch ich begonnen, die Gebärdensprache zu lernen. Da ich italienischer Muttersprache bin, muss ich auf Deutsch jedes neue Wort neu lernen. Anna hat gelernt, genau hinzuschauen und genau hinzuhören. So hat sie auch Fremdsprachen gelernt. Fotos: Patrick Lüthy/imagopress dezibel 2/2012 9
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