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Nemzy Povolzhja

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Der ukrainische Nachbar<br />

M<br />

ichail Sehewtschenko wurde im Dorf Generalskoje geboren, wo sich eine<br />

ukrainische Kolonie befand. Die Beziehungen zu den Bewohnern des benachbarten<br />

deutschen Dorfes Krasnyj Jar waren sehr freundlich. Die Leute aus Generalskoje<br />

brachten das Getreide hierher, um es zu mahlen, weil die hiesige Mühle die beste<br />

von den 13 Mühlen der Umgebung war. Die Ukrainer bauten Windmühlen, die Deutschen.<br />

- Dampf- und Wassermühlen. In Generalskoje befanden sich die Mühlengebäude<br />

am Flussufer, in Krasnyj Jar - am Dorfrand. Eine der Hauptbeschäftigungen der<br />

Deutschen war der Tabakanbau. Damit befassten sich Frauen und Kinder. Den Worten<br />

von Michail Schewtschenko nach war das eine sehr komplizierte Tätigkeit. Lachend<br />

sagte er: „Wir, Ukrainer, würden uns nie mit Tabak beschäftigen. Das ist viel zu<br />

schwer." Der geerntete Tabak wurde in die Tabakfabrik der Stadt Marx geliefert. Jetzt<br />

befindet sich in der ehemaligen Tabakfabrik eine Bierbrauerei. Der Tabak aus Marx<br />

wurde an der Front von allen Soldaten sehr hoch geschätzt. Eine der schönsten Vorkriegserinnerungen<br />

von Michail Schewtschenko ist die ideale Sauberkeit auf den Straßen,<br />

alte Deutsche, die Pfeife rauchen, und das schöne deutsche Mädchen Lida Schneider,<br />

seine erste Liebe. Als er sich an sie erinnert, strahlen seine Augen sehr zärtlich,<br />

sogar heute noch, nach 60 Jahren.<br />

Michail Schewtschenko beendete die siebenjährige Schule und fuhr nach Engels<br />

(die damalige Hauptstadt der Deutschen Republik), um dort weiter zu lernen. Unter<br />

den Stadtbewohnern waren auch Ukrainer, die sich mit der Salzgewinnung beschäftigten.<br />

Das Salz wurde aus dem Baskuntschak-See gewonnen und mit Ochsengespannen<br />

in die Lagerhäuser gebracht.<br />

In den 30er Jahren brach im Wolgagebiet eine große Hungersnot aus. Auch die beiden<br />

Dörfer blieben nicht davon verschont. Es starben sehr viele Menschen. Die Überlebenden<br />

konnten nicht alle Gestorbenen begraben. Auf den Straßen und Plätzen lagen<br />

Leichen herum. Michail Schewtschenko kannte einen Menschen, dessen Kinder starben<br />

und der daraufhin den Verstand verlor. Der Hunger verschonte weder die Ukrainer<br />

noch die Deutschen. So schlichen die verwaisten, halbverhungerten deutschen Kinder<br />

durch die Straßen von Krasnyj Jar und stöhnten: „Brot, Brot, Brot...". Es gibt<br />

wohl kaum etwas Qualvolleres für eine Mutter, ab die eigenen Kinder mit hungrigen<br />

Augen zu sehen. Einige Frauen gingen auf die Felder, um Ähren abzuschneiden, obwohl<br />

das strengstens verboten war und ihnen 8 Jahre Gefängnis dafür drohten. Michail<br />

Schewtschenko war Zeuge solcher Verhandlungen vor dem Volksgericht, Seinen Worten<br />

nach war dieser Hunger künstlich hervorgerufen worden, weil das Getreide nach<br />

Saratow gebracht und dort eingelagert wurde. Die Lagerhäuser waren mit Stacheldraht<br />

umgeben. Auf den Wachtürmen standen bewaffnete Soldaten, die den Befehl<br />

hatten, auf Leute, die in das Lagergelände eindrangen, ohne Warnung zu schießen.<br />

Aber das hielt die Menschen nicht auf, weü Hunger zu schrecklich ist. Laut Michail<br />

Schewtschenko gab es einige Gerüchte: So soll Stalin gesagt haben, dass es keinen Hunger<br />

gäbe, wenn die Mütter ihre Kinder essen würden. Diese Worte erschütterten uns<br />

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