rgb 069 - Die Schriftleitung
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Der Erfinder der Hegau-Romantik war ein enttäuschter Achtundvierziger, der<br />
Lyriker und Romancier Joseph Victor von Scheffel. Er machte den Hegau im<br />
Deutschen Reich erst bekannt. Doch wäre es nach Scheffel gegangen, hätten<br />
unter den Bewunderern dieser Landschaft niemals Kitsch und Schwulst die<br />
Oberhand bekommen. Sein Hegau-Bild bestimmen Humor und Melancholie.<br />
Der „Ekkehard“-Roman, den Scheffel unter der bis heute erhaltenen Linde am<br />
Hohentwiel-Hotel geschrieben haben soll, erschien 1855 und ist inzwischen<br />
mehr als dreihundertmal aufgelegt worden. Er erzählt, wie der Sankt Galler<br />
Mönch Ekkehard im zehnten Jahrhundert das Waltharilied dichtet; er ist jung,<br />
lehrt auf Burg Hohentwiel die unbezähmbare Schwabenherzogin Hadwig<br />
Latein und verliebt sich in sie, vergeblich. Nach Scheffels Willen sollte der<br />
Roman als Satire auf die deutschnationale Sehnsucht nach Ursprungslegenden,<br />
nach beweiskräftigen Vorzeiten gelesen werden. Den Germanenfimmel<br />
seiner Epoche hatte er bereits in dem Lied „Als die Römer frech geworden“<br />
verulkt. Scheffel war der Schöpfer einer heiter-humanen Gegenwelt zum Wilhelminismus.<br />
Verse wie „Still liegen und einsam sich sonnen / ist auch eine<br />
schöne Kunst“ wurden schnell literarische Alltagsmünze.<br />
Der „Verpreußung“ seiner Heimat entfliehend, wich er in den Hegau aus, der<br />
zur Bühne seiner Selbstinszenierung als trinkfreudiger Wandersmann wurde.<br />
Ausgerechnet Anton von Werner, der die berühmte „Kaiserproklamation von<br />
Versailles“ gemalt hatte, zeichnete Scheffel 1882 vor dem Hohenkrähen:<br />
Wie er hinausblickt in die Aach-Ebene, einsam und knorrig-unverwechselbar<br />
wie ein Hegauberg. Kein anderer als er rettete die Pose des weltscheuen<br />
Wanderpoeten für die Moderne, sodass Nachgeborene wie Robert Walser<br />
oder Hermann Hesse sie wieder besetzen konnten.<br />
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