BIODIVERSITÄT Leben aus der Vielfalt Ohne Artenvielfalt kein Leben, jedenfalls keines, das für den Menschen lebbar wäre. Dennoch geht die Biodiversität weltweit laufend zurück. VON RENÉ WORNI Was ist Biodiversität und welche Bedeutung kommt ihr für das Leben auf dem Planeten Erde zu? Zunächst zwei Beispiele: 1991 liessen sich vier Männer und vier Frauen zusammen mit ein paar Hühnern und Schweinen in ein luftdicht verschlossenes und hermetisch von der Aussenwelt abgeriegeltes Glashaus in der Wüste von Arizona einsperren. Als Abbild der Biosphäre Erde gedacht, hiess das Experiment «Biosphere 2». Der Milliardär Edward Bass finanzierte das Projekt unter der Leitung von Newage-Guru John Allen mit 200 Mio. US-Dollar. «Biosphere 2» gilt bis heute als das verwegenste Unternehmen seiner Art, um herauszufinden, ob Leben ausserhalb der globalen Ökosysteme langfristig möglich wäre. Im imposanten Gebäudekomplex, der aus einer Glaspyramide, Gewächshäusern und verglasten Kuppeln bestand, breitete sich auf einer Fläche von 1,3 Hektaren unter 6500 Glasscheiben ein künstliches Naturparadies mit Regenwald, einem Meer, einer Wüste, einer Savanne, einem Mangrovensumpf und einer Zone für intensive Landwirtschaft aus. Die Tier- und Pflanzenwelt war so gewählt, dass ein eigenes Ökosystem entstand, welches sich selbst und die Insassen am Leben erhalten sollte. Abgemagert und zerstritten Zwei Jahre später, nach unzähligen Pannen, Schädlingsbefall, Verlust der Ernten und Nahrungsknappheit sowie einem kontinuierlichen Kommunikationsdesaster sowohl intern wie auch zur Aussenwelt entstiegen die acht Personen ihrem gläsernen Verlies – bis auf die Knochen abgemagert und völlig miteinander zerstritten. Eines der grössten Probleme von «Biosphere 2» war die Aufrechterhaltung der Atmosphäre. Es mangelte an Sauerstoff, den man künstlich zuführen musste. Später stellte sich heraus, dass die riesige Betonwanne, auf der das Glashaus mit den künstlichen Landschaften stand, sehr viel Kohlenmonoxyd absorbierte, das die Pflanzenwelt unter der riesigen Käseglocke dringend zur Bildung des überlebenswichtigen Sauerstoffes benötigt hätte. Bizarre Nebenwelt Auch ohne menschliches Zutun finden sich in der Natur Ökosysteme, die von der globalen Biosphäre praktisch abgeschnitten sind und wo sich eine faszinierende und gruslige Gegenwelt entwickelt hat. Als 1986 der Diktator Nicolae Ceausescu nahe beim heutigen Touristenstädtchen Mangalia an der Schwarzmeerküste Rumäniens ein gigantisches Kraftwerk zu bauen befahl, stiessen die Arbeiter auf eine verborgene Höhle, die über Millionen Jahre von der Aussenwelt isoliert war. Erst ab 1990 begannen Forscher systematisch, das System zu untersuchen und fanden eine bizarre Tierwelt in einer lebensfeindlichen und von giftigen Schwefeldämpfen durchzogenen Unterwelt vor. Es gibt dicke Schleimschichten aus Bakterien, blinde Egel, Spinnen und Wasserskorpione, riesige Tausendfüssler mit Giftklauen und langen Tastorganen anstelle der Augen, Asseln und Schnecken mit durchsichtigen Panzern und Gehäusen, die sich nicht gegen das Licht zu schützen brauchen. Sie alle machen in der Dunkelheit Jagd aufeinander und scheinen in der für Menschen tödlichen Umgebung praktisch ohne Sauerstoff auszukommen. Die Movile-Höhle beherbergt eine Nebenwelt ausserhalb der irdischen Zeit und erlaubt einen Blick in ferne Zeiten der Erdgeschichte. An dieser Höhle ist ersichtlich, wie sich das Leben in einem geschlossenen Kreislauf entwickelt. Forscher zählten bis jetzt 48 Tierarten, davon kommen 33 nur in der Movile-Höhle vor. 20 FLASHEXTRA 2011
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