Elitenwandel in Ostdeutschland - SFB 580
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Transformation ohne Konvergenz?<br />
<strong>Elitenwandel</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostdeutschland</strong><br />
Der Projektbereich A des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: „Struktur- und<br />
Handlungsorientierungen von Führungsgruppen“<br />
He<strong>in</strong>rich Best<br />
Bereits die Klassiker der Elitenforschung haben darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass <strong>in</strong><br />
Phasen beschleunigten und tiefgreifenden Wandels gesellschaftliche Führungsgruppen<br />
e<strong>in</strong> besonderes Interesse beanspruchen dürfen. Hier sucht man<br />
nach Früh<strong>in</strong>dikatoren, <strong>in</strong> denen sich Systemumbrüche ankündigen, hier<br />
s<strong>in</strong>d besonders empf<strong>in</strong>dliche Reaktionen auf Veränderungen der Reproduktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />
gesellschaftlicher Ungleichheitsordnungen zu erwarten,<br />
hier konsolidiert sich zuerst die neue Machtordnung. Der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, der die<br />
„Gesellschaftlichen Entwicklungen nach dem Systemumbruch“ analysiert,<br />
hat deshalb die „Struktur- und Handlungsorientierungen von Führungsgruppen“<br />
als ersten Forschungsschwerpunkt gewählt. In diesem Projektbereich<br />
A arbeiten fünf Forschungsprojekte zusammen.<br />
Elitenforschung, die das Zeitfenster vor, während und nach dem Systemumbruch<br />
ausfüllt, tut auch deshalb Not, weil es hier noch Entdeckungen zu<br />
machen gibt. Dies gilt vor allem für die bislang kaum erforschten Basis- und<br />
Sekundäreliten, die den Fokus unseres Projektbereichs bilden, dies gilt auch<br />
für Untersuchungen, die systematisch Strukturdaten von Eliten mit Beobachtungen<br />
zu ihren Handlungsorientierungen verknüpfen, und dies gilt<br />
schließlich für kont<strong>in</strong>uierliche Längsschnitt- und Paneluntersuchungen, die<br />
nicht nur den <strong>Elitenwandel</strong> im Systemumbruch sondern auch den nachfolgenden<br />
Wandel der Transformationsderivate verfolgen.<br />
Unsere Untersuchungen s<strong>in</strong>d also als zeitbegleitende und zukunftsoffene<br />
Beobachtungen der sich <strong>in</strong> Ost- und Westdeutschland vollziehenden<br />
Wandlungsprozesse angelegt. Dabei geht es uns nicht um e<strong>in</strong>e beschreibende<br />
Sozialgeschichte des E<strong>in</strong>igungsprozesses, sondern um die Suche nach den<br />
Logiken kont<strong>in</strong>genter Entwicklungen. Erwartungen über Verlaufsformen,
2<br />
Ad-hoc-Gruppe: Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch<br />
Richtung und Ziel des Wandels werden auf der Grundlage der unterschiedlichen,<br />
wenn auch nicht antagonistischen Paradigmen von Konvergenz und<br />
Pfadabhängigkeit formuliert. Konvergenz – im S<strong>in</strong>ne schneller und umfassender<br />
Angleichung zwischen Ost und West, genauer: der Angleichung des<br />
Ostens an den Westen <strong>in</strong> den zentralen Lebensbereichen – war zweifellos<br />
die herrschende und fast allgeme<strong>in</strong>e Erwartung am Beg<strong>in</strong>n des deutschen<br />
Vere<strong>in</strong>igungsprozesses. Gespeist wurde sie auch bei Sozialwissenschaftlern<br />
weniger von theoretischen Erwägungen – etwa der von Alex Inkeles Anfang<br />
der 1970er Jahre kodifizierte Konvergenztheorie –, sondern von der<br />
verme<strong>in</strong>tlich zw<strong>in</strong>genden Plausibilität e<strong>in</strong>er Homogenisierung durch Fusion.<br />
Dieser Prozess sollte sich auf zweierlei Weise vollziehen: e<strong>in</strong>mal durch Diffusion<br />
– die Stichworte s<strong>in</strong>d hier etwa Ressourcen-, Personen- und Institutionentransfer<br />
–, zum anderen durch den Druck gleichgerichteter äußerer<br />
E<strong>in</strong>flüsse – also dem was Benjam<strong>in</strong> Nelson e<strong>in</strong>mal mit dem aparten Begriff<br />
der „Ökumenogenese“ belegt hat.<br />
E<strong>in</strong>e Besonderheit unseres Projektbereichs ist es, dass hier tiefer als <strong>in</strong><br />
den beiden anderen Projektbereichen <strong>in</strong> die staatssozialistische Vergangenheit<br />
zurückgeblickt wird. Wir vermuten jedoch, dass die Rekrutierungs-,<br />
Qualifikations- und Sozialisationsprozesse im Leitungssystem des Staatssozialismus<br />
unmittelbare Bedeutung für die gegenwärtigen Transformationsgesellschaften<br />
besitzen. So wurden Anfang der 1990er Jahre im Management<br />
ostdeutscher Betriebe – bei e<strong>in</strong>igen Schwankungen zwischen Branchen und<br />
Hierarchiestufen – mehr als 90 Prozent der Positionen mit ehemaligen<br />
DDR-Kadern besetzt. Ähnlich ger<strong>in</strong>g war der Anteil Westdeutscher bei den<br />
„Delegationseliten“ der Landtagsmitglieder und – selbstredend – bei den<br />
Inhabern kommunaler Wahlämter. Gerade jene Basis- und Sekundäreliten,<br />
die im Zentrum der Projekte unseres Schwerpunktes stehen, wiesen und<br />
weisen also e<strong>in</strong>e ausgeprägte DDR-autochthone Prägung aus. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
wurden die Kont<strong>in</strong>uitätsstränge regimeübergreifender Karrieren durch den<br />
Systemumbruch gestört und umgelenkt. Der grundlegende Strukturwandel<br />
<strong>in</strong> den hierarchischen und lateralen Beziehungsmustern, die Auf- und Ablösung<br />
der staatssozialistischen Institutionen- und Werteordnungen wurden<br />
von den gesamten Bevölkerungen staatssozialistischer Regime als Diskont<strong>in</strong>uitätserfahrung<br />
erlebt. Besonders e<strong>in</strong>schneidend war dieser Bruch aber bei<br />
den Eliten, die als Schöpfer wie als Geschöpfe der Institutionenordnung<br />
der alten Regime diesen besonders eng verbunden waren.<br />
Im Projekt A1 „Führungsgruppen und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse<br />
<strong>in</strong> der DDR“, dessen Vorgeschichte mehrere Jahre vor<br />
dem Beg<strong>in</strong>n des <strong>SFB</strong> e<strong>in</strong>gesetzt hat, verfügen wir <strong>in</strong>zwischen über e<strong>in</strong>e
He<strong>in</strong>rich Best, Transformation ohne Konvergenz? 3<br />
konsolidierte Datenbasis. Es ist dies die aus den Kaderdatenspeichern des<br />
DDR-M<strong>in</strong>isterrates durch Fusion, Entschlüsselung und viele Bere<strong>in</strong>igungsgänge<br />
hervorgegangene Masterdatei mit rund 700.000 Fällen, die uns für die<br />
1980er Jahre e<strong>in</strong> Total<strong>in</strong>ventar des Führungspersonals der DDR, vom M<strong>in</strong>ister<br />
bis h<strong>in</strong>unter auf die Ebene der Brigadiere und anweisungsbefugten Betriebsmeister<br />
liefert – allerd<strong>in</strong>gs ohne den Sicherheitsbereich von MFS und<br />
bewaffneten Staatsorganen und auch ohne die hauptamtlichen Funktionäre<br />
der SED und der Massenorganisationen (soweit sie sich nicht im Erfassungsbereich<br />
des M<strong>in</strong>isterrates befanden). Das Spektrum der erfassten<br />
Sachverhalte reicht von der kompletten Berufs- und Bildungskarriere der<br />
Kader, über Berufe und Parteizugehörigkeit der Ehepartner, bis h<strong>in</strong> zur<br />
„politischen Herkunft“ – d.h. zu den Parteimitgliedschaften von Vätern und<br />
Müttern der Kader vor und nach 1945. Kurz: wir wissen über DDR-Eliten<br />
heute mehr als wir jemals über Bundesdeutsche Eliten wussten oder wissen<br />
werden. Dies ist e<strong>in</strong>e der Paradoxien des E<strong>in</strong>igungsprozesses – die geschlossene<br />
Gesellschaft offenbart nolens volens ihre Geheimnisse, während die<br />
offene Gesellschaft sich gerade <strong>in</strong> delikaten Bereichen der Machtorganisation<br />
eher ziert.<br />
Dieser Umstand versieht uns mit e<strong>in</strong>er besonders sicheren Grundlage<br />
für e<strong>in</strong>e „Nullmessung“ des <strong>Elitenwandel</strong>s <strong>in</strong> und nach dem Systemumbruch.<br />
Das hat natürlich unmittelbaren Belang für die uns im <strong>SFB</strong> zentral <strong>in</strong>teressierende<br />
Frage, ob sich die vielen ostdeutschen Eigentümlichkeiten als adaptive<br />
Traditionsbildungen begreifen lassen, also als Versuche, <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
„bewährte“ Lösungsmuster <strong>in</strong> posttransformatorischen Kontexten<br />
weiter zu entwickeln, oder um strukturkonservative Überreste, e<strong>in</strong> bloßes<br />
Weiterlaufen bestehender Arrangements. Diese Frage ist deshalb so zentral,<br />
weil sie auf die Kompatibilität der DDR-Gesellschaft an jene der Bundesrepublik<br />
zielt, auf die Konvergenzen und funktionalen Äquivalenzen, die sich<br />
vor dem Systemumbruch ausgebildet hatten. Strukturelle Anschlussfähigkeit<br />
der DDR-Eliten wäre vor allem dann gegeben, wenn sie <strong>in</strong> subsystemische<br />
Zusammenhänge e<strong>in</strong>gebunden gewesen wären, deren Eigenlogiken mit denen<br />
der entsprechenden Gebilde im Westen kompatibel waren.<br />
Was lehrt uns nun die Exploration der Kaderdatenspeicher für e<strong>in</strong> Verständnis<br />
der DDR-Gesellschaft und ihrer Anschlussfähigkeit an die des<br />
Westens? Die Funktionseliten der DDR waren danach ke<strong>in</strong>eswegs „homogenisiert“,<br />
sondern hoch differenziert. Auch die These der „Durchherrschung“<br />
wird dem Strukturmuster, das sich <strong>in</strong> unseren Analysen offenbart, nicht<br />
gerecht. Zwar war die „Machtb<strong>in</strong>dung“ e<strong>in</strong>e Hauptdifferenzierungsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb<br />
der DDR-Funktionseliten, doch ist sie gerade deshalb als Gradient
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Ad-hoc-Gruppe: Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch<br />
zu behandeln, der die Funktionsbereiche nach dem Grad und der Art ihrer<br />
Machtanb<strong>in</strong>dung schied. In groben Zügen gruppierten sich die Funktionsbereiche<br />
gemäß ihrer Zugehörigkeit zu den subsystemischen Zusammenhängen<br />
von Wirtschaft, Staatsapparat und Wissenschaft/Kultur. Wenn wir „Entdifferenzierung“,<br />
„Homogenisierung“ und „Durchherrschung“ als Prozesskategorien<br />
behandeln, lässt sich im Kohortenvergleich ke<strong>in</strong> Trend <strong>in</strong> diese Richtung<br />
feststellen. Doch änderte sich das Muster der Differenzierung, wobei <strong>in</strong> den<br />
jüngeren Kohorten drei deutlich abgrenzbare, durch Endogamie und Anciennität<br />
verstetigte soziale Formationen aufsche<strong>in</strong>en: die Intelligenz, die „Parteiaristokratie“<br />
und e<strong>in</strong>e Formation der Parteifernen.<br />
Können diese Strukturmuster nun als Ausdruck teilsystemischer Autonomie<br />
und Eigenrationalität gedeutet werden? Prima facie ist das nicht der<br />
Fall. Denkbar wäre ja, dass die Differenzierungsmuster und ihr Wandel das<br />
Ergebnis bewusster Kaderplanung waren, den Funktionseliten durch den<br />
starken Arm der Partei gewissermaßen oktroyiert wurden. E<strong>in</strong>zelbefunde<br />
weisen <strong>in</strong> diese Richtung. Per saldo spricht jedoch mehr dafür, dass wir es<br />
hier mit paradoxalen, und das heißt: ungeplanten Effekten der Alterung<br />
e<strong>in</strong>es staatssozialistischen Systems zu tun haben.<br />
Der Ausgang des „Experiments des Sozialismus“, das e<strong>in</strong>e „Gesellschaft<br />
der Gleichen“ erzeugen wollte, <strong>in</strong>dem es das ökonomische Kapital<br />
als Differentiator der Sozialstruktur elim<strong>in</strong>ierte, musste se<strong>in</strong>e Urheber enttäuschen.<br />
Es gelang nicht, elementare und – wie heute zu vermuten ist –<br />
universelle Ungleichheitsmechanismen aus dem Aufbau der sozialistischen<br />
Gesellschaft zu elim<strong>in</strong>ieren. Es war dies zum e<strong>in</strong>en das „Gesetz des <strong>in</strong>tergenerationalen<br />
Statuserhalts“, das privilegierte Sozialkategorien dazu antreibt,<br />
durch familiale Reproduktionsstrategien ihre gesellschaftlichen Hierarchiepositionen<br />
<strong>in</strong> der Generationenfolge weiterzugehen. Die sozialistischen Kader<br />
entwickelten <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht nach den turbulenten Anfängen der „ursprünglichen<br />
Akkumulation“ e<strong>in</strong>es familialen Bildungs- und Machtkapitals<br />
e<strong>in</strong>e ähnliche Meisterschaft wie ihr französisches Pendant. Zum anderen<br />
sehen wir die Wirksamkeit e<strong>in</strong>es „Gesetzes zunehmender Disproportionalität“,<br />
gemäß dem bei wachsender Wertigkeit von Positionen die Rekrutierungschance<br />
für Mitglieder benachteiligter Gruppen abnimmt. Betroffen<br />
waren hier – wie überall – die Frauen und zwar <strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht: zum<br />
e<strong>in</strong>en wuchsen für sie beim Aufstieg <strong>in</strong>nerhalb der funktionalen Bereiche mit<br />
zunehmender Positionshöhe die Hürden, zum anderen war ihr Zugang zu<br />
Leitungspositionen <strong>in</strong> jenen funktionalen Bereichen erschwert, die im H<strong>in</strong>blick<br />
auf ihre Privilegienausstattung oder ihre machtstrategische Bedeutung<br />
e<strong>in</strong>e besonders hohe Wertigkeit aufwiesen.
He<strong>in</strong>rich Best, Transformation ohne Konvergenz? 5<br />
Es mag befremdlich ersche<strong>in</strong>en, der von außen so kompakt ersche<strong>in</strong>enden<br />
DDR-Gesellschaft e<strong>in</strong>e Des<strong>in</strong>tegrationskrise zu attestieren, doch sprechen<br />
– zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> ihrer Schlussphase – unsere Befunde für diese Diagnose:<br />
Die Unfähigkeit der politischen Führung, für das sozialistische Gesellschaftsmodell<br />
Unterstützung und Loyalität zu mobilisieren, das Zerbröseln<br />
ihrer Autorität, die Auflösung der Kontrollhierarchien und gesellschaftspolitischen<br />
Steuerungssysteme, schließlich die schnelle Umpolung der<br />
Handlungsorientierungen und Zukunftserwartungen der DDR-Bürger auf<br />
den großen Nachbarn im Westen lassen sich danach als Folge e<strong>in</strong>er vorausgegangenen<br />
Fragmentierung der DDR-Gesellschaft deuten, die sich besonders<br />
markant auf der Ebene ihrer Führungsgruppen ausprägte.<br />
Wenn wir versuchen, den gegenwärtigen Zustand der Machtordnung <strong>in</strong><br />
<strong>Ostdeutschland</strong> zu beschreiben, dann lässt sie sich als e<strong>in</strong>e komplexe Gemengelage<br />
von Alt und Neu, autochthonen und oktroyierten Elementen charakterisieren.<br />
An die Stelle e<strong>in</strong>er zugleich fragmentierten und stratifizierten Struktur<br />
ist e<strong>in</strong> plurales Gegen- und Nebene<strong>in</strong>ander von Hierarchien getreten, denen<br />
e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Spitze fehlt. Der enthaupteten DDR ist ke<strong>in</strong> neuer Kopf<br />
gewachsen; die Elim<strong>in</strong>ierung ihres Zentrums hat dazu geführt, dass ganz<br />
<strong>Ostdeutschland</strong> zur Peripherie geworden ist. Pluralisierung heißt auch, dass<br />
mit dem Besitz e<strong>in</strong> Differenzierungsmodus wiederbelebt wurde, der <strong>in</strong> der<br />
Gestalt ostdeutscher Unternehmer und Immobilienbesitzer e<strong>in</strong>e autochthone<br />
Bourgeoisie hervorbr<strong>in</strong>gt. Die neue Ordnung ist jedoch nicht konsolidiert,<br />
wofür sowohl das Vordr<strong>in</strong>gen der PDS wie auch der jüngste Schub westdeutscher<br />
Aspiranten bei der Besetzung politischer Machtpositionen e<strong>in</strong><br />
Beispiel ist. Zugleich wächst <strong>in</strong> <strong>Ostdeutschland</strong> e<strong>in</strong>e neue Generation von<br />
Aspiranten auf Führungspositionen nach, die ihre entscheidenden Prägungen<br />
nicht mehr <strong>in</strong> der DDR, sondern <strong>in</strong> der Transformationsphase nach der<br />
Wiedervere<strong>in</strong>igung erfahren hat. Doch ist auch sie e<strong>in</strong> Derivat des Alten<br />
Regimes, denn sie rekrutiert sich – wie wir u.a. an der sozialen Herkunft der<br />
ostdeutschen Studenten erkennen können – weit überwiegend aus den Milieus,<br />
die bereits <strong>in</strong> der DDR das Führungspersonal gestellt hatten.<br />
Der Experimentiertiegel der ostdeutschen Gesellschaft ist also noch nicht<br />
erkaltet, <strong>in</strong> immer neuen Konstellationen verb<strong>in</strong>den sich se<strong>in</strong>e Reagenzien,<br />
wobei aber doch e<strong>in</strong>e bleibende Ordnung erkennbar wird. Bestimmt wird sie<br />
durch die Strategien des familialen Statuserhalts und die Wirkung des Gesetzes<br />
wachsender Disproportionalität, die unter wechselnden Rekrutierungsregimen<br />
ihre Wirksamkeit behalten. Es waren diese universellen Ungleichheitsmechanismen<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Übere<strong>in</strong>stimmungen im Prozess funktionaler<br />
Differenzierung (ich denke hier <strong>in</strong>sbesondere an die Bedeutung der
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Ad-hoc-Gruppe: Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch<br />
‚Qualifikation‘ als Differenziator) und wohl auch e<strong>in</strong>ige Aff<strong>in</strong>itäten der<br />
Habitusformen (wobei ich mich allerd<strong>in</strong>gs bislang lediglich auf Eigenbeobachtungen<br />
im akademischen Milieu stützen kann), die e<strong>in</strong> Anflanschen<br />
der ostdeutschen Teileliten an jene des Westens erleichtern. Es ist e<strong>in</strong>e der<br />
vielen Paradoxien des deutschen E<strong>in</strong>igungsprozesses, dass jene Strukturen<br />
und Dispositionen, die e<strong>in</strong>e Ost-West-Kompatibilität begünstigt haben,<br />
zugleich auch die <strong>in</strong>tra- und <strong>in</strong>tergenerationale Reproduktion der Osteliten,<br />
und damit e<strong>in</strong>e Fortdauer ihrer Besonderheiten ermöglichen.