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wissenstransfer als balanceakt sfb 580 - SFB 580 - Friedrich-Schiller ...

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Wis s e n s t r a n s f e r al s Ba l a n c e a k t<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Diskontinuität<br />

Entwicklungen<br />

Tradition<br />

nach dem Systemumbruch<br />

Strukturbildung<br />

Bez i e h u n g e n zw i s c h e n de n Te i l p r o j e k t e n<br />

d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d de r<br />

u n t e r s u c h t e n ge s e l l s c h a f t l i c h e n Pr a x i s<br />

Bruno Hildenbrand, Karl <strong>Friedrich</strong> Bohler, Anna Engelstädter,<br />

Tobias Franzheld, Anja Schierbaum, Marcel Schmidt<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g e n 2009 34


34 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g<br />

Heft 34, Juni 2009<br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />

Wissenstransfer <strong>als</strong> Balanceakt. Beziehungen zwischen den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> und der untersuchten gesellschaftlichen Praxis<br />

Sprecher:<br />

Prof. Dr. Everhard Holtmann<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Institut für Politikwissenschaft und Japanologie<br />

Geschäftsführung <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Bachstr. 18k<br />

07743 Jena<br />

Tel.: +49 (0) 3641/ 945050<br />

Email: michael.hofman@uni-jena.de<br />

Verantwortlich für dieses Heft:<br />

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand<br />

<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-Universität Jena<br />

Institut für Soziologie<br />

Carl-Zeiß-Straße 2<br />

07743 Jena<br />

Tel.: +49 (0) 3641/ 945551<br />

Email: bruno.hildenbrand@uni-jena.de<br />

Coverbild: http://www.generallyawesome.com<br />

Logo:<br />

Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />

Cover & Satz: Romana Lutzack<br />

Druck:<br />

Universität Jena<br />

ISSN: 1619-6171<br />

Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />

Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />

entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />

der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />

Mittel gedruckt.<br />

Alle Rechte vorbehalten.


<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Diskontinuität<br />

Entwicklungen<br />

Tradition<br />

nach dem Systemumbruch<br />

Strukturbildung<br />

Wis s e n s t r a n s f e r al s Ba l a n c e a k t<br />

Bez i e h u n g e n zw i s c h e n de n Te i l p r o j e k t e n<br />

d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d<br />

d e r un t e r s u c h t e n ge s e l l s c h a f t l i c h e n Pr a x i s


Inhaltsverzeichnis<br />

References Literatur<br />

Kapitel<br />

Vorwort: Grundlagenforschung und Praxisbezug -<br />

kein widerspruchsvolles Verhältnis<br />

Everhard Holtmann ...........6<br />

Beziehungen zwischen den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> und der untersuchten gesellschaftlichen Praxis<br />

Die Ergebnisse in der Übersicht ...........8<br />

1<br />

Vorstellung des Transferprojekts im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........10<br />

1. Ziele des Transferprojekts ..........10<br />

2. Methodisches Vorgehen ..........10<br />

3. Übersicht über diesen Bericht ..........11<br />

Seite page 4<br />

2<br />

Eine Skizze der Diskussion um das Verhältnis von Sozialwissenschaften<br />

und gesellschaftlicher Praxis ..........12<br />

1. Zum Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlicher<br />

Praxis: Eine philosophische Perspektive ..........12<br />

2. Alltag, Wissenschaft und Profession: Eine soziologische<br />

Abgrenzung ..........14<br />

3. Diagnose und Prognose in der Soziologie: Kann die<br />

Medizin <strong>als</strong> Modell dienen? ..........15<br />

4. Wesentliche Herausforderungen an den Transfermodus<br />

sozialwissenschaftlichen Wissens in die gesellschaftliche<br />

Praxis ..........19


Inhaltsverzeichnis<br />

References Literatur<br />

Kapitel<br />

3<br />

Die Transferpraxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........22<br />

1. Eine Übersicht über die in den Projektanträgen formulierte<br />

Transferpraxis: Praxisrelevanz ja, aber die Transferwege<br />

bleiben unexpliziert ..........22<br />

2. Große Bedeutung und große Vielfalt des Wissenstransfers<br />

zwischen Forschung und gesellschaftlicher Praxis im <strong>SFB</strong><br />

<strong>580</strong>: Ergebnisse der Interviewanalyse ..........23<br />

3. Praxisverständnis und Wege des Wissenstransfers im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........26<br />

a. Übersicht ..........26<br />

b. Unterschiedliche Praxisbegriffe und Praxisbezüge<br />

in den Teilprojekten: Ein erster Überblick über vier<br />

Varianten ..........26<br />

c. Elemente und „kommunikative Mittel“ des<br />

Theorie-Praxis-Austausches ..........32<br />

d. Eine idealtypische Differenzierung der Kontexte<br />

und Wege des Wissenstransfers im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Acht<br />

Transfertypen ..........53<br />

4. Zusammenfassung der Ergebnisse zur Transferpraxis im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........76<br />

Epilog ..........82<br />

Literatur ..........84<br />

Seite page 5<br />

Anhang ..........86


Vorwort<br />

„<br />

Sonderforschungsbereiche beschäftigen<br />

sich mit Grundlagenforschung, nicht<br />

mit der Lösung praktischer Fragen<br />

und Probleme“ - Wer so urteilt, erliegt einem<br />

profunden Missverständnis. Eine solche Einschätzung,<br />

welche die Praxisbedeutung des<br />

wissenschaftlich generierten Wissenserwerbs<br />

und der wissenschaftlich angeleiteten Weitergabe<br />

dieses Wissens a priori ausblendet, geht<br />

offenkundig von einem Praxisverständnis aus,<br />

das die Relation zwischen der Erforschung<br />

grundlegender Fragestellungen und gesellschaftlicher<br />

Praxis <strong>als</strong> im Grunde fernliegend<br />

und allenfalls kontingent begreift.<br />

Seite page 6<br />

Gr u n d l a g e n f o r s c h u n g u n d Pr a x i s-<br />

b e z u g - k e i n w i d e r s p r u c h s v o l l e s<br />

Ve r h ä lt n i s<br />

Everhard Holtmann<br />

Dass es sich hierbei um ein szientistisches Vorurteil<br />

handelt (das freilich in einem theorieaversen<br />

Abwehrreflex so mancher „Praktiker“<br />

gespiegelt wird), wird deutlich, wenn das mit<br />

„Praxis“ Gemeinte auf einen angemessenen<br />

Begriff gebracht wird. Praxis meint nicht die<br />

Banalität des Normalen. Im aristotelischen<br />

Sinne benennt Praxis Vorgänge eines zielgerichteten<br />

Lebensvollzugs. Die damit bereits<br />

angedeutete handlungstheoretische Dimension<br />

lässt sich übertragen in eine auf die Gegenwartsanalyse<br />

bezogene sozialwissenschaftliche<br />

Begriffsdeutung, derzufolge Praxis für die<br />

gesamte Wirklichkeit sozialer Handlungszusammenhänge<br />

steht. Handeln bedarf im einzelnen<br />

Anwendungsfall der Orientierung. Diese<br />

kommt jedoch, erhebt sie den Anspruch, für die<br />

Bewältigung des Alltags praktisch verwendbar<br />

zu sein, ohne hinreichende Kenntnisse der Bedingungen<br />

und Hintergründe situativen Handelns<br />

nicht aus. An diesem Punkt nun kommt<br />

wissenschaftliche Grundlagenforschung ins<br />

Spiel: In einem sozialwissenschaftlichen<br />

Forschungsverbund wie dem unseren geht es<br />

darum, den - von Max Weber so apostrophier-


Vorwort<br />

ten - generellen Regeln sozialen Geschehens<br />

systematisch nachzuspüren. Die dabei gewonnenen<br />

generalisierenden Aussagen können nur<br />

dann allgemeine Geltung beanspruchen, wenn<br />

sie sich in der Anwendung auf konkrete Problemlagen<br />

„praktisch“ bewähren sowie, darüber<br />

hinaus, in mittel- und langfristiger Perspektive<br />

<strong>als</strong> „soziale Wirklichkeit verändernd“ (Sahner<br />

1989, S. 502) sich auswirken.<br />

So betrachtet, ist Grundlagenforschung <strong>als</strong>o<br />

nachweislich praxisbezogen. Diesem prinzipiellen<br />

Anwendungsbezug seiner Untersuchungsgegenstände<br />

weiß sich auch der <strong>SFB</strong><br />

<strong>580</strong> verpflichtet. Anders allerdings, <strong>als</strong> von<br />

Jürgen Habermas (1974, S. 9) zu einem früheren<br />

Zeitpunkt entfaltet, geht es nicht um die<br />

„Idee einer in praktischer Absicht entworfenen<br />

Theorie der Gesellschaft“ (Hervorhebung<br />

E. H.). Vielmehr tragen wir Bausteine zur<br />

Beschreibung und Erklärung des sozialen, politischen<br />

und kulturellen Wandels zusammen,<br />

der sich entlang der großen Entwicklungslinie<br />

Transition - Transformation - Posttransformation<br />

bewegt. Ohne dass dies durchgängig in der<br />

Form förmlich vereinbarter Politikberatung<br />

geschieht, bieten wir den Akteuren, die <strong>als</strong> verantwortlich<br />

Entscheidende wie <strong>als</strong> Betroffene<br />

an diesem Lebens- und Handlungszusammenhang<br />

beteiligt sind, mit unseren Befunden über<br />

Struktur- und Prozesswissen sowie mit darauf<br />

bezogenen, empirisch belastbaren Deutungen<br />

ein orientierendes Wissen an, das dazu beitragen<br />

kann, bei der Bewältigung transformationsbedingter<br />

Herausforderungen auftretende<br />

Unsicherheit und Ungewissheit zu reduzieren.<br />

gewiss hatten wir über das Verhältnis von<br />

Grundlagenforschung und Praxistransfer bisher<br />

jedenfalls nicht systematisch nachgedacht.<br />

Den Anstoß zur Selbstthematisierung des<br />

Praxisbezugs verdanken wir dem von Bruno<br />

Hildenbrand geleiteten Team des Teilprojekts<br />

C3 „Individuelle Ressourcen und professionelle<br />

Unterstützung bei der Bewältigung von<br />

Systemumbrüchen in kontrastierenden ländlichen<br />

Milieus in Ost- und Westdeutschland“,<br />

das, finanziell unterstützt mit Innovationsmitteln<br />

des <strong>SFB</strong>, den nachstehend abgedruckten<br />

Bericht über die Beziehungen zwischen den<br />

Teilprojekten des <strong>SFB</strong> und der untersuchten<br />

gesellschaftlichen Praxis erarbeitet hat. Dabei<br />

zeigt sich, nicht überraschend, eine reiche<br />

Varietät der Praxisbezüge, aber auch eine bemerkenswert<br />

große Dichte und Intensität von<br />

praxisgerichteter „Einwirkung“ und praktisch<br />

verwertbarer Publizität. Angesichts dieses unerwartet<br />

hohen Ausmaßes von „unerklärter“<br />

Praxisrelevanz sehen wir unseren Versuch,<br />

diese Variante von Science on Science ( J. Habermas)<br />

an uns selbst auszuprobieren, durch das<br />

Ergebnis überzeugend bestätigt.<br />

Seite page 7<br />

Indes: So selbstverständlich wir gewiss die Verwendungstauglichkeit<br />

unserer Untersuchungen<br />

implizite von vornherein unterstellten, so


Ergebnisse References Literatur in der Übersicht<br />

Die in den Anträgen zur zweiten Bewilligungsphase<br />

(2004 - 2008) angekündigte<br />

Transferpraxis<br />

Mit einer in der Sache liegenden Ausnahme<br />

beanspruchen alle Teilprojekte<br />

der zweiten Bewilligungsphase,<br />

gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu<br />

bearbeiten. Jedoch wird dieser Anspruch eher<br />

<strong>als</strong> unausgesprochene Voraussetzung formuliert<br />

und weniger explizit begründet.<br />

Be z i e h u n g e n z w i s c h e n d e n Te i l p r o j e k t e n<br />

d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d<br />

d e r u n t e r s u c h t e n g e s e l l s c h a f t l i c h e n<br />

Pr a x i s<br />

Die Er g e b n i s s e in d e r Üb e r s i c h t<br />

Was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen die<br />

Wissenschaftler selber. Einflüsse der Praxis auf<br />

die Wissenschaft bei der Definition der Forschungsfragen<br />

und der methodischen Durchführung<br />

sind allenfalls implizit vorhanden.<br />

Faktische Transferpraxis in den einzelnen<br />

Teilprojekten<br />

Bruno Hildenbrand, Karl <strong>Friedrich</strong> Bohler,<br />

Anna Engelstädter, Tobias Franzheld, ​<br />

Anja Schierbaum, Marcel Schmidt<br />

Die faktische Transferpraxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> geht<br />

über die in den Anträgen angekündigte weit<br />

hinaus. Wir konnten acht Transfertypen herausarbeiten.<br />

Seite page 8


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Transfertyp 1<br />

Grundlagenforschung mit aktueller gesellschaftlicher Themenrelevanz<br />

Sowohl Öffentlichkeit wie Praktiker sind an den Forschungsergebnissen interessiert,<br />

weil diese Ergebnisse von ihnen <strong>als</strong> gesellschaftlich relevant angesehen werden.<br />

Transfertyp 2<br />

Grundlagenforschung mit nicht explizit intendierten Anwendungsbezügen<br />

Die Projektergebnisse sind zwar für die Öffentlichkeit relevant, werden aber von<br />

den Wissenschaftlern nicht oder nur ansatzweise für die Praxis aufbereitet.<br />

Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleit- und Folgeprojekten<br />

Transfertyp 3<br />

Transfertyp 4<br />

In diesem Transfertyp wird Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleitund<br />

Folgeprojekten kombiniert, wobei beide Forschungstypen klar voneinander getrennt<br />

sind. Mögliche Transfers werden in die anwendungsbezogene Forschung ausgelagert.<br />

Grundlagenforschung mit praktischen Vermittlungsaufgaben von und an<br />

Entscheidungsinstanzen<br />

In dieser Forschung sind die praktischen Vermittlungsaufgaben auf Entscheidungsinstanzen<br />

konzentriert. Dagegen haben die Forschungsergebnisse für die unmittelbaren<br />

Akteure im Feld - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Relevanz.<br />

Grundlagenforschung auf der Suche nach öffentlichem Interesse<br />

Transfertyp 5<br />

In diesem Transfertyp wird vorausgesetzt, dass das Forschungsthema latent<br />

in der Öffentlichkeit präsent ist. Projektergebnisse werden dann mit dem<br />

Ziel einer gesellschaftlichen und politischen Aufklärung vorgestellt.<br />

Grundlagenforschung mit allgemeiner Datenpräsentation im Untersuchungsfeld<br />

Transfertyp 6<br />

Hier ist eine allgemeine Datenpräsentation der Forschungsergebnisse im<br />

Untersuchungsfeld zwar vorgesehen, im Weiteren bleibt es jedoch der<br />

Praxis überlassen, die Ergebnisse in angemessener Weise zu rezipieren<br />

und auf ihren eigenen Relevanzzusammenhang hin zu übertragen.<br />

Grundlagenforschung mit eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />

Transfertyp 7<br />

Diese Projekte sind so angelegt, dass es eine unmittelbare Beziehung zu den<br />

Kooperationspartnern in der Praxis gibt. Für deren Bedürfnisse werden die<br />

Ergebnisse aufbereitet und in spezifischen Gesprächsforen transferiert.<br />

Grundlagenforschung mit konkreter Theorie-Praxis-Rückkopplung<br />

Seite page 9<br />

Transfertyp 8<br />

Die Konzeption dieser Projekte setzt Kooperationsformen voraus, die auf längere<br />

Zeit angelegt sind und Interessen der Praktiker bedienen. Der Transfer erfolgt<br />

direkt an Kooperationspartner oder Entscheidungsträger im Untersuchungsfeld.


Vorstellung References Literatur des Transferprojekts<br />

1. Ge g e n s ta n d d e s Tr a n s f e r p r o j e k t s<br />

1<br />

Gegenstand des Forschungsprojekts,<br />

über das hier berichtet werden soll, ist<br />

eine Bestandsaufnahme zum geplanten<br />

und tatsächlichen Verhältnis zwischen den<br />

Forschungsprojekten im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und der von<br />

ihnen jeweils untersuchten gesellschaftlichen<br />

Praxis. Unser Auftrag bestand nicht darin, die<br />

jeweilige Transferpraxis in Bezug auf Effizienz<br />

oder soziologische Plausibilität zu evaluieren.<br />

2. Me t h o d i s c h e s Vo r g e h e n<br />

Seite page 10<br />

Vo r s t e l l u n g d e s Tr a n s f e r p r o j e k t s im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Wir haben die geplanten Transferpraktiken in<br />

den Projektanträgen aus der zweiten Förderphase<br />

des <strong>SFB</strong> (2004-2008) unter folgenden<br />

Aspekten durchgesehen: a) Finden gesellschaftlich<br />

relevante Fragestellungen Eingang<br />

in den jeweiligen Forschungsantrag? b) Findet<br />

während des laufenden Forschungsprozesses<br />

ein Austausch mit der untersuchten gesellschaftlichen<br />

Praxis zu Fragen der Steuerung<br />

des Forschungsprozesses statt? c) Werden<br />

Forschungsergebnisse mit der untersuchten<br />

gesellschaftlichen Praxis diskutiert? Sodann<br />

haben wir bei allen Teilprojekten mittels leitfadengestützter<br />

Interviews nachgefragt, ob und<br />

wie in der Forschungspraxis der ersten und<br />

zweiten Bewilligungsphase des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ein<br />

Austausch zwischen Forschern und der untersuchten<br />

gesellschaftlichen Praxis stattfand. Die<br />

bis dahin gewonnenen Ergebnisse wurden an<br />

die Projekte kommuniziert mit der Bitte, sie<br />

kritisch zu sichten und, wo nötig, Präzisierungen<br />

vorzunehmen. Die Resultate dieses Austauschs<br />

wurden in diesen Bericht eingearbeitet.<br />

Danach haben wir die Publikationstätigkeiten<br />

in den Teilprojekten (Kolloquien, Tagungen,


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Vorträge, Schriften für eine fachspezifische<br />

bzw. breitere Öffentlichkeit) <strong>als</strong> objektivierten<br />

Niederschlag eines bestimmten Praxisverhältnisses<br />

erfasst und interpretiert.<br />

3. Üb e r s i c h t ü b e r d i e s e n Be r i c h t<br />

Bevor wir zu den Ergebnissen unserer empirischen<br />

Studie kommen, werden wir auf Positionen<br />

zum Verhältnis von Wissenschaft, Alltagsleben<br />

und Professionen eingehen. Danach<br />

werden wir die Frage stellen, welchen Zielen<br />

ein Transfermodus wissenschaftlicher Ergebnisse<br />

in die gesellschaftliche Praxis dienen<br />

kann. Damit verbunden werden wir die Frage<br />

ansprechen, inwiefern die Sozialwissenschaften<br />

einen Beitrag zur Prognose gesellschaftlicher<br />

Entwicklungen leisten können. Im Anschluss<br />

an die Darstellung unserer empirischen Ergebnisse<br />

werden wir auf diese eingangs diskutierten<br />

theoretischen Themen zurückkommen.<br />

Seite page 11


Sozialwissenschaften References Literatur und<br />

gesellschaftliche Praxis<br />

1. Zu m Ve r h ä lt n i s v o n Wissenschaft u n d<br />

g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s: e i n e p h i l o s o-<br />

p h i s c h e Pe r s p e k t i v e<br />

2<br />

Wir beginnen mit einer radikalen<br />

These zur Transferproblematik<br />

der Sozialwissenschaften (und der<br />

Wissenschaften generell): Es besteht ein unaufhebbarer<br />

Widerspruch zwischen Wissenschaft<br />

und (Lebens-)Praxis, denn die Wissenschaft<br />

ist wesenhaft unabgeschlossen, die Praxis<br />

verlangt Entscheidungen im Augenblick. Die<br />

Praxis behandelt das verfügbare Wissen wie ein<br />

Abgeschlossenes und Gewisses, das Wissen der<br />

Wissenschaft ist das nicht:<br />

Ei n e Sk i z z e d e r Di s k u s s i o n u m d a s Ve r-<br />

h ä lt n i s v o n So z i a lw i s s e n s c h a f t e n u n d<br />

g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s<br />

„Es gibt Wissenschaften, denen ewige Jugendlichkeit<br />

beschieden ist, und das sind alle<br />

historischen Disziplinen, alle die, denen der<br />

ewig fortschreitende Fluß der Kultur stets<br />

neue Problemstellungen zuführt. Bei ihnen<br />

liegt die Vergänglichkeit aller, aber zugleich die<br />

Unvermeidlichkeit immer neuer idealtypischer<br />

Konstruktionen im Wesen der Aufgabe“ (Weber<br />

1988a, S. 206).<br />

Seite page 12<br />

Wenn wir auch die Radikalität der Vorstellungen<br />

Max Webers zur Vergänglichkeit von<br />

Kulturphänomenen kritisch einschätzen und<br />

es vorziehen würden, von unterschiedlichen<br />

Geschwindigkeiten des Wandels auszugehen,<br />

wird hier doch deutlich, dass die Sozialwissenschaften<br />

aufgrund der Spezifik ihres Gegenstandes<br />

kein ein für alle Mal gesichertes<br />

Wissen anzubieten haben. Um dennoch die<br />

Wissenschaften für die gesellschaftliche Praxis<br />

fruchtbar zu machen, bedarf es der Einführung<br />

eines Dritten: der Professionen.<br />

Allerdings sind die bisher diskutierten Po-


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

sitionen in den Wissenschaften selbst nicht<br />

unumstritten, wie Gadamer in seinem Aufsatz<br />

über Theorie, Technik, Praxis ausführt (Gadamer<br />

1993). Mit der Verbreitung eines neuen<br />

Erfahrungsbegriffs seit dem 17. Jahrhundert<br />

gilt Erfahrung <strong>als</strong> das, was kontrollierbar<br />

ist. An der Erfahrung lassen sich Gesetzmäßigkeiten<br />

bestätigen oder widerlegen. So<br />

wird die moderne Naturwissenschaft ein auf<br />

Machen gerichtetes Wissen, eine wissende<br />

Beherrschung der Natur, d. h. Technik. Ihr<br />

Vorgehen besteht darin, auf allen Gebieten<br />

eine Abstraktion zu vollbringen, die einzelne<br />

Kausalbeziehungen isoliert. Sie muss damit die<br />

unvermeidliche Partikularität ihrer Kompetenz<br />

in Kauf nehmen. Technik, so verstanden, ist gerade<br />

nicht Praxis. Ein früherer, aristotelischer<br />

Begriff von Techne bezeichnet anderes: Es sind<br />

die von der Natur offen gelassenen Möglichkeiten<br />

weiterer Formung auszufüllen (Gadamer 1993,<br />

S. 18). Das ist gerade nicht Technik im heute<br />

verstandenen Sinne. Technik bezeichnet heute<br />

demnach die „lautlose Form, in der immer<br />

weitere Gebiete des menschlichen Lebens<br />

technischer Beherrschung unterworfen werden<br />

und rationale Automatismen an die Stelle der<br />

persönlichen Entscheidung des einzelnen und<br />

der Gruppe treten“ (Gadamer 1993, S. 21). Soziologen<br />

erkennen hier Max Webers „Gehäuse<br />

der Hörigkeit“ wieder.<br />

Andererseits lehnt es Gadamer ab, einen<br />

unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Wissenschaft<br />

und Lebenspraxis zu konstruieren:<br />

Sich theoretisch verhalten zu können sei Teil<br />

der Grundverfassung der menschlichen Praxis.<br />

Dazu gehören die wissende Beherrschung<br />

ursächlicher Zusammenhänge, die das eigene<br />

Verhalten planvoll zu leiten imstande ist, die bewusste<br />

Einordnung in ein System der Zwecke<br />

sowie das Sichtbarmachen von Sachverhalten<br />

und Sachzusammenhängen in der Sprache.<br />

Die Frage ist aber dann, wie Wissenschaft<br />

und praktisches Handeln zusammengeführt<br />

werden können. Während Technik ein Wissen<br />

verkörpert, das unabhängig von der Situation<br />

des Handelns tradiert werden kann und somit<br />

aus dem praktischen Handlungszusammenhang<br />

herauslösbar ist, aber in der jeweils<br />

neuen Situation des menschlichen Handelns<br />

zur Anwendung kommen soll, hält Gadamer<br />

daran fest, dass es die Frage der Urteilskraft<br />

(und nicht wieder eines Lehrens und Lernens)<br />

ist, dass Handelnde in einer gegebenen Situation<br />

den Anwendungsfall einer allgemeinen<br />

Regel erkennen.<br />

Dem aber stehe, so Gadamer, der moderne<br />

Wissenschaftsbetrieb entgegen. Dessen Verhältnis<br />

zwischen theoretischem Wissen und<br />

praktischem Handeln kann man wie folgt umreißen:<br />

Je rationaler die Organisationsformen<br />

des Lebens gestaltet werden, desto weniger<br />

vernünftiges Urteil wird im Einzelnen geübt<br />

und geschult. Anders formuliert: Wem das<br />

Entscheiden durch immer neue Vorschriften<br />

abgenommen wird, verlernt, selber solche<br />

Entscheidungen vernünftig zu treffen. 1<br />

Was leistet <strong>als</strong>o eine Aneignung von Wissen<br />

über den Menschen für das Wissen des Menschen<br />

von sich selbst? Was kann es bewirken?<br />

Zentral ist für Gadamer, dass es sich<br />

bei den Geisteswissenschaften um<br />

eine ganz andere Art von Belehrung<br />

handelt <strong>als</strong> bei den Naturwissenschaften.<br />

Der Unterschied liegt im<br />

Menschenbild:<br />

„Ein ‚richtiges’ Menschenbild, das ist vor allem<br />

Seite page 13


Sozialwissenschaften References Literatur und<br />

gesellschaftliche Praxis<br />

ein durch Naturwissenschaft, Verhaltensforschung,<br />

Ethnologie wie durch die Vielfalt<br />

geschichtlicher Erfahrung entdogmatisiertes<br />

Menschenbild. Es wird die klare normative<br />

Profilierung schuldig bleiben, auf die sich<br />

die wissenschaftliche Anwendung auf die<br />

Praxis, etwa im Sinne des ‚social engineering’<br />

(soziale Neuordnung), stützen möchte. Aber<br />

es ist ein kritisches Maß, das das Handeln des<br />

Menschen vor vorschnellen Wertungen und<br />

Abwertungen befreit und seinen Zivilisationsweg<br />

an sein Ziel erinnern hilft, der - sich selbst<br />

überlassen - weniger und weniger ein Weg zur<br />

Beförderung der Humanität zu werden droht.<br />

So, und nur so, dient die Wissenschaft über<br />

den Menschen dem Wissen des Menschen<br />

von sich selbst und damit der Praxis“ (Gadamer<br />

1993, S. 49).<br />

2. Al lta g, Wissenschaft u n d Profession:<br />

e i n e s o z i o l o g i s c h e Ab g r e n z u n g<br />

Wir gehen nun über zu soziologischen Perspektiven.<br />

Wir beginnen mit einer phänomenologisch<br />

orientierten Wissenssoziologie,<br />

deren Ton wir bereits mit einer Erwähnung<br />

Hans Georg Gadamers angeschlagen haben.<br />

Alltagsmenschen, Wissenschaftler und Professionelle<br />

haben demnach eines gemeinsam:<br />

dass sie Wirklichkeit deutend erschließen<br />

(Berger & Luckmann 1969). In ihren Zielsetzungen<br />

unterscheiden sie sich<br />

allerdings erheblich:<br />

Seite page 14<br />

• Für den Alltagsmenschen ist die<br />

Deutungsanstrengung erledigt,<br />

wenn das das Handeln blockierende Problem<br />

erschlossen und durch entsprechende<br />

Aktionen beseitigt ist. Würde er jedem<br />

Problem auf den Grund gehen wollen,<br />

wäre er bald handlungsunfähig (Schütz<br />

1971, Mead 1972).<br />

• Anders sieht es in der Wissenschaft aus.<br />

Hier ist das Problem <strong>als</strong> ausschließlich<br />

Einzelnes nicht bedeutsam. Stattdessen<br />

geht es darum, wissenschaftliche Erfahrung<br />

auf ein Allgemeines hin zu gewinnen.<br />

Je nach wissenschaftlicher Richtung<br />

ist das Einzelne unter das Allgemeine zu<br />

subsumieren oder aber, wie in der fallrekonstruktiven<br />

Forschung, Ausgangspunkt<br />

für die Gewinnung allgemeiner Erkenntnisse.<br />

Wissenschaft ist darüber hinaus<br />

prinzipiell unabgeschlossen - immer geht<br />

es darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen<br />

und damit frühere Erkenntnisse zu überbieten.<br />

Während <strong>als</strong>o die Wissenschaft<br />

ihrer Natur nach kein gesichertes bzw.<br />

immer nur vorläufig gesichertes Wissen<br />

zu bieten hat, zielt die Lebenspraxis auf<br />

Entscheidungen im Hier und Jetzt.<br />

Wenn aber Alltag und Wissenschaft so weit<br />

auseinander liegen: wo ist dann die Brücke<br />

zwischen beiden zu suchen? In ihrer Studie<br />

über die amerikanische Universität und die<br />

„professional schools“ führen Parsons und<br />

Platt (Parsons und Platt 1990) folgendes aus:<br />

Die alte Universität bestand zunächst aus den<br />

Fachgebieten Theologie, Philosophie, Recht<br />

und Medizin. Sie veränderte sich, <strong>als</strong> die Ausbildung<br />

von Wissenschaftlern für Forschung<br />

und Lehre von der Ausbildung für praktische<br />

akademische Berufe getrennt wurde. Damit<br />

bildete sich folgende Differenzierung heraus:


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Institutionalisierung<br />

des kognitiven<br />

Komplexes<br />

Nutzung kognitiver<br />

Ressourcen<br />

Erkenntnis „um ihrer selbst willen“<br />

Der Kern mit kognitivem Primat<br />

(Forschung und graduate-Ausbildung)<br />

Allgemeinbildung für „gebildete<br />

Bürger“ (undergraduate-Studenten<br />

<strong>als</strong> „Generalisten“)<br />

Erkenntnis zum Zweck der<br />

„Problemlösung“<br />

Beiträge zu gesellschaftlichen<br />

Situationsdefinitionen durch „Intellektuelle“<br />

<strong>als</strong> „Generalisten“<br />

Ausbildung für praktische akademische<br />

Berufe (von „Spezialisten“)<br />

In der Folge traten zwei parallele und gleichzeitig<br />

paradoxe Entwicklungen ein: Einerseits<br />

differenzierte sich der kognitive Komplex und<br />

seine Institutionalisierung (= Universität) immer<br />

stärker gegenüber anderen Komplexen aus,<br />

andererseits zog die Universität zugleich andere<br />

institutionelle Komplexe in ihren Bereich (z. B.<br />

die berufliche Praxis), wobei das Ziel verfolgt<br />

wurde, die berufliche Praxis zu verbessern.<br />

Parsons und Platt prognostizieren:<br />

„Das Schwergewicht wird sich von der Beherrschung<br />

spezifischer Wissensbestände, selbst<br />

solcher von zentraler Bedeutung, hin zur Entwicklung<br />

der Fähigkeit verschieben, kognitive<br />

Ressourcen effektiv für die Lösung eines unbegrenzten<br />

Spektrums von Lebensproblemen<br />

einzusetzen“ (Parsons und Platt 1990, S. 302).<br />

Weil aber ein grundlegender Unterschied zwischen<br />

den grundlagentheoretischen Wissenskomplexen<br />

und den praktischen Zielsetzungen<br />

besteht (Parsons und Platt 1990, S. 303), bedarf<br />

es der Übersetzung zwischen beiden Bereichen.<br />

Diese Leistung erbringen die Professionen.<br />

Von einer Verwissenschaftlichung der Lebenspraxis<br />

unter Verzicht auf den Komplex der<br />

„praktischen akademischen Berufe“, <strong>als</strong>o der<br />

Professionellen, ist bei Parsons und Platt nicht<br />

die Rede.<br />

Professionelle stehen dem Alltag wie auch der<br />

Wissenschaft gleich nah wie auch entfernt.<br />

Ihnen geht es darum, „beschädigter“ Lebenspraxis<br />

- einer Lebenspraxis <strong>als</strong>o, die sich<br />

in Krisensituationen mit eigenen Mitteln nicht<br />

mehr zu helfen weiß - durch stellvertretende<br />

Deutung wieder aufzuhelfen. Dabei bedienen<br />

sich die Professionellen der Wissenschaft,<br />

jedoch ordnen sie weder Lebenspraxis noch<br />

professionelle Praxis der Wissenschaft unter.<br />

Denn Lebenspraxis ist partikular, die Wissenschaft<br />

ist universell. Professionelle Praxis ist<br />

am Einzelfall orientiert und lässt sich durch<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse unterstützen,<br />

aber nicht bestimmen (Oevermann 1996,<br />

Welter-Enderlin und Hildenbrand 2004).<br />

3. Di a g n o s e u n d Pr o g n o s e in d e r So z i o-<br />

l o g i e: k a n n d i e Me d i z i n a l s Mo d e l l d i e-<br />

n e n?<br />

Jürgen <strong>Friedrich</strong>s, M. Rainer Lepsius<br />

und Karl Ulrich Mayer (<strong>Friedrich</strong>s,<br />

Lepsius und Mayer 1998) handeln<br />

Seite page 15<br />

diese Frage unter den Stichworten<br />

von Diagnose und Prognose ab. Sie<br />

gehen davon aus, dass die Soziologie mit zwei<br />

Erwartungen konfrontiert ist: Sie soll gesellschaftliche<br />

Wirklichkeit unter Anwendung


Sozialwissenschaften References Literatur und<br />

gesellschaftliche Praxis<br />

wissenschaftlicher Prinzipien erklären, und sie<br />

soll „zum Selbstverständnis und zur Orientierung<br />

gegenwärtiger Gesellschaften sowie ihrer<br />

wahrscheinlichen (oder gar wünschenswerten)<br />

Zukunft maßgeblich beitragen“ (<strong>Friedrich</strong>s,<br />

Lepsius und Mayer 1998, S. 9). Die Autoren<br />

stellen in der Soziologie eine unterschiedliche<br />

Bereitschaft fest, dem gesellschaftlichen Orientierungsauftrag<br />

nachzukommen. Während<br />

die einen von der Diagnosefähigkeit der<br />

Soziologie und ihrem Nutzen für die Gesellschaft<br />

überzeugt seien, verträten die „Puristen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 10)<br />

die Auffassung, dass Gesellschaftsdiagnosen<br />

„prinzipiell wegen der Komplexität gesellschaftlicher<br />

Zusammenhänge und der historischen<br />

Kontingenz gesellschaftlicher Entwicklungen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998,<br />

S. 10) nicht seriös seien.<br />

Bei der Behandlung der Frage, ob die Soziologie<br />

überhaupt diagnosefähig sei, sehen sich die<br />

Autoren mit zwei widersprüchlichen Sachverhalten<br />

konfrontiert: Während es auf der<br />

einen Seite der Soziologie nicht gelungen sei,<br />

den Zusammenbruch des Sowjetreichs vorherzusagen<br />

(mit wenigen Ausnahmen, wozu<br />

Lutz Niethammer gezählt wird, der jedoch<br />

kein Soziologe, sondern Historiker ist und<br />

daher durch die Soziologie nicht in Anspruch<br />

genommen werden kann), und während die<br />

Autoren der Transformationsforschung attestieren,<br />

sie habe sich mehr durch<br />

„politische und normative Voreinstel-<br />

Seite page 16 lungen“ <strong>als</strong> durch Wissenschaft leiten<br />

lassen (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer<br />

1998, S. 13), bestehe auf der anderen<br />

Seite „ein Bedarf an gesellschaftlicher Orientierung“.<br />

Mehr noch: Es müsse eine „starke<br />

innerprofessionelle Norm Geltung besitzen,<br />

gesamte Gesellschaften und ihre dominanten<br />

Entwicklungspfade auf den Begriff bringen<br />

und ableitungsgerecht konstruieren zu sollen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 13).<br />

In dieser Situation präsentieren die Autoren<br />

einen überraschenden Vorschlag Hartmut<br />

Essers: Bei soziologischen Großdiagnosen wie<br />

„Risikogesellschaft“, „Erlebnisgesellschaft“ etc.<br />

komme es weniger auf die konkreten Ergebnisse<br />

<strong>als</strong> auf „Diskussionsimpulse“ (Esser 1987, S.<br />

811) an - nicht ohne mit Esser auf die Gefahr<br />

solcher vereinfachter Diagnosen hinzuweisen:<br />

Es handelt sich um „die Vermittlung der Illusion,<br />

<strong>als</strong> bilde die Gesellschaft <strong>als</strong> nominal benannter<br />

Typus auch eine eigene reale Einheit“<br />

(Esser 1993).<br />

Nun deutet sich hier schon ein Problem an, auf<br />

welches die Autoren in diesem Beitrag nicht<br />

eingehen: Was ist eine Diagnose wert, die zur<br />

Frage der daraus resultierenden Therapie nichts<br />

beizutragen hat? Für <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer steht die Problematik im Vordergrund,<br />

• dass die Soziologie mit massiven gesellschaftlichen<br />

Problemlagen konfrontiert<br />

ist (<strong>als</strong> Beispiel führen sie den Umbau<br />

des Sozi<strong>als</strong>taats und die Veränderung der<br />

Industriegesellschaft an),<br />

• dass von ihr sinnstiftende Orientierungsleistungen<br />

erwartet werden,<br />

• dass sie dies jedoch nur unter dem Bruch<br />

ihres soziologischen (wissenschaftlichen)<br />

Credos leisten könne: „Der gesellschaftliche<br />

‚Nutzen’ der Soziologie liegt offenbar<br />

viel weniger in zuverlässiger Beschreibung<br />

und technologisch umsetzbarem Kausal-


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

wissen <strong>als</strong> in sinnstiftenden Orientierungsleistungen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer 1998, S. 16).<br />

• Auch im fachlichen Binnenverhältnis<br />

„scheint die Soziologie in fataler Weise<br />

stärker auf ihre Diagnoseansprüche <strong>als</strong><br />

auf wissenschaftliche Geltungskriterien<br />

zu rekurrieren“ (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer 1998, S. 16f.).<br />

Mit dieser Analyse kommen <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius<br />

und Mayer auf Parsons zurück, der der<br />

Grundlagenforschung attestiert, „Erkenntnis<br />

um ihrer selbst willen“ zu generieren. Sie sprechen<br />

der Soziologie das Recht ab, zu diagnostizieren.<br />

Gleichzeitig möchten sie auf die „Sinnstiftungskomponente“<br />

nicht verzichten. Diese<br />

Sinnfindung findet statt <strong>als</strong> „Diagnostik“.<br />

Welcher Begriff von Diagnose leitet die Autoren?<br />

Vorausgesetzt sei bei der Diagnose, so<br />

führen <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer aus, ein<br />

Krankheitsbild, unter welches ein Phänomen<br />

zu subsumieren sei.<br />

Damit begegnen wir einem ersten grundlegenden<br />

Missverständnis medizinischer Diagnostik,<br />

das die Autoren leitet. Während sie <strong>als</strong> Vorbild<br />

medizinischer Diagnostik das dam<strong>als</strong> noch<br />

gültige DSM III (Diagnostic and Statistical<br />

Manual of Mental Disorders der American<br />

Psychiatric Association) der Soziologie <strong>als</strong><br />

Vorbild hinstellen, hält dieses Manual einer<br />

genaueren Betrachtung sowohl aus medizinischer<br />

<strong>als</strong> auch aus soziologischer Sicht nicht<br />

stand:<br />

Zunächst wird angenommen, dass die im<br />

DSM enthaltene Logik der Diagnostik auf<br />

Krankheitseinheiten im Sinne einer Nosologie<br />

(Krankheitslehre) abgestellt würde. Das<br />

ist nicht der Fall. Auch im aktuellen DSM IV<br />

R ist der nosologische Anspruch von vorne<br />

herein aufgegeben worden. Dies gilt auch für<br />

das in der psychiatrischen Praxis übliche ICD<br />

10 2 (International Classification of Diseases)<br />

(zur Übersicht über die aktuelle Literatur vgl.<br />

Buchholz 1998, 2008, Matthiessen 1998).<br />

Hierzu ein Beispiel: Um eine Depression<br />

zu diagnostizieren, müssen fünf von sieben<br />

Symptomen nachweisbar sein. Was eine<br />

Depression ist, hängt davon ab, ob eine Pharmafirma<br />

Interesse daran hat, ein entsprechend<br />

wirksames Medikament zu vermarkten. In<br />

den letzten Jahren wurde die Bandbreite von<br />

Verhalten, das <strong>als</strong> depressiv bezeichnet wird,<br />

erheblich ausgedehnt. Damit verschwindet<br />

das Phänomen der Trauer für die Psychiatrie<br />

allmählich und macht begrifflich der Depression<br />

Platz. Diese Kritikpunkte sind übrigens<br />

nicht aus kritischer medizinsoziologischer<br />

Analyse hervorgegangen, sondern stammen<br />

aus der Medizin selbst und sind so u. a. vom<br />

Begründer des DSM selbst formuliert worden<br />

(genaueres dazu bei Buchholz 2008).<br />

Auch das große Desaster der Psychiatrie, das<br />

durch die Rosenhan-Studie (Rosenhan 1973,<br />

dt. 1977) offenbar wurde, sollte Soziologen<br />

davon abhalten, der medizinischen Diagnostik<br />

zu vertrauen: Rosenhan, ein<br />

Psychologe, schickte sieben Gesunde<br />

mit der Instruktion in Kliniken, an-<br />

Seite page 17<br />

zugeben, sie würden Stimmen hören.<br />

Sofort nach der Aufnahme sollten<br />

sie mit der Angabe von Pseudo-Symptomen<br />

aufhören. Alle dieser Patienten (er selbst<br />

unterzog sich ebenfalls diesem Experiment)


Sozialwissenschaften References Literatur und<br />

gesellschaftliche Praxis<br />

wurden aufgenommen, ihr Aufenthalt dauerte<br />

im Schnitt drei Wochen, es wurden ihnen<br />

2.100 Tabletten verabreicht, und alle wurden<br />

mit einer psychiatrischen Diagnose entlassen.<br />

Die einzigen, die bemerkten, dass es sich um<br />

Pseudo-Kranke handelte, waren die anderen<br />

Patienten (35 von 118). Rosenhan berichtete<br />

über diese Studie in der Zeitschrift Science<br />

und kündigte in einer Klinik an, er würde sie<br />

demnächst wiederholen. Dies tat er jedoch<br />

nicht, sondern er zählte die Ablehnungen von<br />

Patienten in dieser Klinik und stellte fest, dass<br />

nach seiner Ankündigung in einem Zeitraum<br />

von drei Monaten 42 von 193 Patienten <strong>als</strong><br />

Pseudo-Patienten zurückgewiesen worden<br />

waren.<br />

Im Mittelpunkt der medizinischen Diagnostik<br />

steht, anders <strong>als</strong> <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer<br />

dies annehmen, nicht die Subsumtion unter<br />

eine Kategorie, sondern die Behandlung eines<br />

Kranken. Diagnostik in der Medizin ist ein<br />

praktisches Geschehen und wird von diesem<br />

bestimmt. Sie ist eine<br />

„zeitgebundene Singuläraussage, mit der einem<br />

bestimmten Patienten für einen bestimmten<br />

Zeitraum ein bestimmter Begriff zugesprochen<br />

wird (…) Sie enthalt keine theoretische<br />

Erkenntnis, sondern eine Beurteilung im Horizont<br />

praktischer Ziele. Insofern ist sie immer<br />

in einen Handlungszusammenhang eingefügt“<br />

(Wieland 2004, S. 210).<br />

Seite page 18 Nur die erste der in diesem Zitat enthaltenen<br />

Bestimmung von Diagnostik<br />

deckt sich mit der soziologischen<br />

Forschung (für „Patient“ wäre „Gesellschaft“<br />

einzutragen). Die andere Bestimmung, die<br />

Orientierung auf praktische Ziele, gilt für die<br />

Soziologie insofern, <strong>als</strong> sie Grundlagenforschung<br />

betreibt, nicht.<br />

Es geht bei der medizinischen Diagnostik,<br />

sofern sie nicht zu Forschungszwecken, sondern<br />

zur Behandlung betrieben wird, nicht um<br />

Subsumtion, sondern um die Konfrontation<br />

eines beobachtbaren Geschehens bei einem<br />

konkreten Patienten mit möglichen diagnostischen<br />

Zuordnungen unter zu Hilfenahme von<br />

Kategorien, es handelt sich <strong>als</strong>o nicht um ein<br />

„nomothetisches, subsumtionslogisches Vorgehen“<br />

(Matthiessen 1998, S. 60).<br />

In der Soziologie sei eine dem medizinischen<br />

Vorgehen entsprechende Diagnostik nicht<br />

möglich, da „die etablierten Krankheitsbilder<br />

fehlen“. Die entsprechende Einheit sei stattdessen<br />

„eine hohe Korrelation von Merkmalen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 19).<br />

An die Stelle von Krankheitsbildern trete jeweils<br />

ein „neues Konzept, das fast immer unzureichend<br />

bestimmt ist“ (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer 1998, S. 19). Dem liegt die Auffassung<br />

zugrunde, dass medizinische Krankheitsbilder<br />

ahistorisch seien. Dies sind sie aber nicht, wie<br />

ein Blick in die Medizingeschichte zeigt:<br />

Es ist noch nicht lange her, <strong>als</strong> der Sitz der Seele<br />

in der Milz vermutet wurde. Die Hysterie war<br />

eine am Ende des 19. Jhs. gängige Krankheit,<br />

heute ist dieser Begriff aus den diagnostischen<br />

Manualen verschwunden, sie heißt jetzt „dissoziative<br />

Störung“ oder Konversionsstörung.<br />

„Borderline“ ist eine Diagnose, die Mitte der<br />

80er Jahre größere Verbreitung gewann. „Multiple<br />

Persönlichkeit“, eine von Soziologen rasch<br />

und begierig aufgenommene Diagnose, kam sie<br />

doch eigenen „Diagnosen“ der postmodernen<br />

Persönlichkeit entgegen (Wenzel 1995), ist in


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

der Psychiatrie äußerst umstritten.<br />

Zu Diagnosen (die ja in der Soziologie im<br />

klassischen Sinne nicht möglich seien) gehörten<br />

auch Prognosen, anders formuliert:<br />

Jede Diagnose zieht in der Medizin eine<br />

Behandlung nach sich, welche mit einer Prognose<br />

verbunden ist der Art, dass aufgrund<br />

einer spezifischen Behandlung ein spezifisches<br />

Ergebnis erwartet wird. Weil aber Prognosen,<br />

so <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer, in den Sozialwissenschaften<br />

deshalb nicht möglich seien,<br />

weil die künftigen Bedingungen, vor allem das<br />

Handeln anderer Akteure, nicht bekannt seien,<br />

verwende man die schwächeren Konzepte von<br />

Szenarien oder Vorhersagen. Andererseits aber<br />

bringe sich die Soziologie um einen strategischen<br />

Vorteil, wenn sie sich auf Prognosen<br />

nicht einlasse, denn diese könnten dazu dienen,<br />

Hypothesen zu testen.<br />

Ziehen wir ein Fazit: Eine soziologische<br />

Diagnostik analog einer medizinischen Diagnostik<br />

scheitert grundlegend daran, dass<br />

die Medizin - alle Irrtümer medizinischer<br />

Diagnostik von der Logik des DSM oder ICD<br />

nicht berücksichtigt - handlungsorientiert in<br />

konkreten Fällen von Leidensdruck diagnostiziert,<br />

während die Soziologie weder einen<br />

solchen Handlungsauftrag hat noch, wenn<br />

sie ihn hätte, über eine Praxeologie verfügen<br />

würde, um ihn übernehmen zu können. 3 Damit<br />

führen die Überlegungen dorthin zurück,<br />

wo wir diesen Streifzug begonnen haben, zu<br />

Parsons und Platt. <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer gestehen zwar zu, dass die Soziologie<br />

<strong>als</strong> Grundlagenforschung „Erkenntnisse um<br />

ihrer selbst willen“ produziert und über ihren<br />

Zaun hinaus allenfalls dadurch blicken kann,<br />

dass sie zu „sinnstiftenden Orientierungsleistungen“<br />

(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer) oder<br />

„Diskursimpulsen“ fähig ist. Sie vermeiden es<br />

aber, die Soziologie zu den praktischen akademischen<br />

Berufen hin abzugrenzen. Das ist<br />

ein Mangel. Denn letztlich kann die Frage des<br />

Transfers von Wissenschaft in die Lebenspraxis<br />

nur in einem Dreieck behandelt werden:<br />

Wissenschaft - Professionen - Lebenspraxis.<br />

Wir fassen die in diesem Kapitel angesprochenen<br />

Punkte im nächsten Abschnitt zusammen.<br />

4. We s e n t l i c h e He r a u s f o r d e r u n g e n a n<br />

d e n Tr a n s f e r m o d u s s o z i a lw i s s e n s c h a f t-<br />

l i c h e n Wissens in d i e g e s e l l s c h a f t l i c h e<br />

Pr a x i s<br />

Aus den referierten Ansätzen können folgende<br />

Themen für eine Transferdiskussion<br />

erschlossen werden. Wir beginnen mit der der<br />

philosophischen Position von Hans-Georg<br />

Gadamer:<br />

• Alltagsweltliche Erfahrung ist auf die<br />

unmittelbare Problembewältigung bei<br />

Handlungsblockaden gerichtet, wissenschaftliche<br />

Erfahrung dient dem Erkennen<br />

von Allgemeinem ohne Anspruch<br />

auf unmittelbare Problembewältigung<br />

und Sicherheit. Nur im professionellen<br />

Handeln gelingt es, alltagsweltliche<br />

und wissenschaftliche<br />

Problembewältigung im Dienste<br />

Seite page 19<br />

einer individuellen Lebenspraxis<br />

zusammen zu bringen: „Die alten Professionen<br />

haben sich gebildet zur Hilfe<br />

bei ungewöhnlichen Lagen, vor allem<br />

Lebensrisiken, angesichts von Tod, nicht


Sozialwissenschaften References Literatur und<br />

gesellschaftliche Praxis<br />

eindämmbarem Streit. Sie beschaffen<br />

Sicherheit und Problemlösungen durch<br />

spezialisierte Techniken des Umgangs<br />

mit solchen Problemen“ (Luhmann 1991,<br />

S. 29). Daraus ist das Fazit zu ziehen, dass<br />

sozialwissenschaftliches Wissen dort, wo<br />

es um gesellschaftliche Zentralwerte<br />

geht, nicht direkt, sondern nur vermittelt<br />

über Professionen für die gesellschaftliche<br />

Praxis nutzbar gemacht werden kann.<br />

Das zentrale Stichwort dafür heißt stellvertretende<br />

Deutung (Oevermann 1996).<br />

<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer stellen die folgenden<br />

Diskussionspunkte bei der Frage des<br />

Transfers sozialwissenschaftlichen Wissens in<br />

die gesellschaftliche Praxis heraus:<br />

• Der selbst gesetzte Anspruch der Soziologie<br />

an Wissenschaftlichkeit kollidiert mit<br />

gesellschaftlichen Erwartungen an sinnstiftende<br />

Orientierungen, die vorzugsweise<br />

<strong>als</strong> die Präsentation einfacher Kausalzusammenhänge<br />

dargeboten werden.<br />

• Die soziologische Diagnostik scheitert<br />

daran, dass es in der Soziologie keine<br />

Analogien zu medizinischen Krankheitsbildern,<br />

sondern lediglich jeweils neue<br />

Konzepte gibt.<br />

• Prognosen ergeben sich zwar zwangsläufig<br />

aus Diagnosen. Jedoch hat<br />

die Soziologie einen spezifischen<br />

Seite page 20 Gegenstand zu untersuchen.<br />

Er ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass ein zukünftiges Geschehen<br />

aufgrund eines nicht vorhersehbaren Akteurshandelns<br />

nicht zuverlässig vorhergesagt<br />

werden kann. Das gilt im Übrigen<br />

auch für die Medizin. Prognosen in der<br />

Soziologie haben daher den Status von<br />

Prophetien (Popper 1968) bzw. können<br />

nur <strong>als</strong> Szenarien bzw. <strong>als</strong> Vorhersagen<br />

angeboten werden, die jeweils mit einer<br />

ceteris-paribus-Klausel versehen sind.<br />

Die Ausführungen von <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />

Mayer sind in folgenden Punkten diskussionswürdig:<br />

• Ihre Argumentation ist nur für jene<br />

Rezipienten schlüssig, die eine Reihe<br />

von Grundvoraussetzungen teilen: den<br />

methodologischen Individualismus; die<br />

Annahme, dass empirische Forschung nur<br />

Korrelationen, keine Hypothesen über<br />

Strukturkausalitäten zustande bringen<br />

kann; die Annahme, dass die Identifizierung<br />

von lang-, mittel- bzw. kurzfristig<br />

wirksamen Strukturen nicht möglich ist;<br />

die Gegenüberstellung von Mikro- und<br />

Makrophänomenen, ohne zuzulassen, dass<br />

auch ein dialektischer Zusammenhang<br />

angenommen werden kann; die Betonung<br />

der Konstruktion gesellschaftlicher Zusammenhänge<br />

und der entsprechenden<br />

Typenbildung und schließlich die Ignoranz<br />

gegenüber rekonstruktiven Verfahren<br />

der empirischen Sozialforschung.<br />

• Was ebenso in der Position von <strong>Friedrich</strong>s,<br />

Lepsius und Mayer übersehen wird,<br />

ist der Sachverhalt, dass in der Medizin zu<br />

Diagnose und Prognose die Therapie sich<br />

gesellt, während eine vergleichbare Triade<br />

in der Soziologie zur Sozialtechnologie<br />

führen würde, weil der Individuumsbezug<br />

(= der Bezug zu einem Analogon zum<br />

Patienten) fehlt. ​


Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

• Ebenso wird die Frage des Auftraggebers<br />

nicht diskutiert. In der Medizin ist der<br />

Auftraggeber der Patient, aufgrund der<br />

Einheit von Forschung und Behandlung<br />

in der universitären Medizin entwickeln<br />

sich grundlagentheoretische Fragestellungen<br />

aus Praxisproblemen, und das<br />

Ergebnis der entsprechenden Forschung<br />

fließt zurück in die medizinische Praxis.<br />

Von solchen Zusammenhängen ist die<br />

grundlagentheoretisch orientierte Soziologie,<br />

gerade auch in einem Sonderforschungsbereich,<br />

weit entfernt. Dessen<br />

muss sich jede Behandlung der Frage<br />

nach Transferleistungen bewusst sein:<br />

Grundlagenforscherinnen und -forscher<br />

geben sich ihre Aufträge selber, suchen<br />

sich ihre Rezipienten selber, und was diese<br />

aus der Rezeption von Forschungsergebnissen<br />

machen, entzieht sich weitgehend<br />

soziologischem Zugriff.<br />

Diese Überlegungen dienen uns <strong>als</strong> Hintergrund<br />

bei der Erschließung geplanter und<br />

realisierter Transferbemühungen wissenschaftlicher<br />

Ergebnisse in die gesellschaftliche Praxis,<br />

sei es nun in die Praxis von Fachleuten oder in<br />

die von Alltagsmenschen.<br />

Seite page 21


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

3<br />

Die Tr a n s f e r p r a x i s im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

1. Ei n e Üb e r s i c h t ü b e r d i e in d e n Pr o j e k t-<br />

a n t r ä g e n f o r m u l i e rt e Tr a n s f e r p r a x i s:<br />

Pr a x i s r e l e va n z ja, a b e r d i e Tr a n s f e rw e-<br />

g e b l e i b e n u n e x p l i z i e rt<br />

Wir interpretieren in einem ersten<br />

Zugriff die Anträge der Teilprojekte<br />

in der zweiten Bewilligungsphase<br />

unter den folgenden drei Gesichtspunkten:<br />

Praktische Relevanz der Fragestellungen,<br />

Steuerung des Forschungsprozesses und Systematik<br />

des Wissenstransfers. Die Ergebnisse<br />

lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen:<br />

• Alle Teilprojekte beanspruchen, gesellschaftlich<br />

relevante Fragestellungen zu<br />

bearbeiten, jedoch wird dieser Anspruch<br />

eher <strong>als</strong> unausgesprochene Voraussetzung<br />

formuliert und weniger explizit begründet.<br />

Eine Ausnahme bietet das Projekt B7, das<br />

Laborexperimente betreibt.<br />

• Was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen<br />

erwartungsgemäß die Wissenschaftler<br />

selber. Einflüsse der Praxis auf<br />

die Wissenschaft bei der Definition der<br />

Forschungsfragen und der methodischen<br />

Durchführung sind allenfalls implizit<br />

vorhanden (vgl. die Charakterisierung<br />

der Teilprojekte aufgrund der Anträge<br />

der zweiten Bewilligungsphase hinsichtlich<br />

unserer Fragestellungen im Anhang,<br />

S. 86-98).<br />

Seite page 22


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

2. Grosse Be d e u t u n g u n d g r o s s e Vi e l-<br />

fa lt d e s Wissenstransfers z w i s c h e n Fo r-<br />

s c h u n g u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Er g e b n i s s e d e r In t e rv i e wa n a ly s e<br />

In unseren Interviews mit Vertretern der einzelnen<br />

Projekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> wurden folgende<br />

Themen behandelt:<br />

• Welche Definition von gesellschaftlicher<br />

Praxis ist für das jeweilige Projekt relevant?<br />

• Ist beabsichtigt, Ergebnisse der Untersuchung<br />

in die gesellschaftliche Praxis zu<br />

transferieren?<br />

• Wenn ja, wohin sollen die Ergebnisse<br />

transferiert werden?<br />

• Ist diesbezüglich schon etwas unternommen<br />

worden?<br />

•<br />

Wenn ja: wie ist der Transfer verlaufen?<br />

Die Ergebnisse dieser Befragung stellen wir<br />

in einer Tabelle vor. Sie fasst zusammen, worüber<br />

in den Interviews mit den Mitarbeitern<br />

der einzelnen Forschungsprojekte Aussagen<br />

getroffen wurden. Wir erläutern zunächst die<br />

Kategorien der Tabelle.<br />

Definition der gesellschaftlichen Praxis: Die<br />

Definition gesellschaftlicher Praxis kann im<br />

Ungefähren verbleiben, sie kann sich zweitens<br />

auf die Akteure in einem spezifischen Feld<br />

beziehen, im Praxisverständnis kann drittens<br />

zwischen unterschiedlichen Feldern differenziert<br />

werden, und die Definition kann viertens<br />

theoretisch begründet ausfallen.<br />

Bezug zur Praxis: In Teilprojekten, die sich<br />

eher <strong>als</strong> theoretisch orientiertes Projekt sehen,<br />

wird ein Bezug zur Praxis nicht systematisch<br />

verfolgt. Hier beruht ein möglicher Praxisbezug<br />

auf den Interessen einzelner Projektmitarbeiter<br />

(„persönliche Sonderleistung“).<br />

Forschungsorientierung: Eine Forschungsorientierung<br />

kann grundlagentheoretisch oder<br />

anwendungsbezogen sein. Einige Teilprojekte<br />

treffen diese Unterscheidung nicht. Allerdings<br />

charakterisieren sich die meisten Projekte<br />

aufgrund der Zugehörigkeit zum <strong>SFB</strong> <strong>als</strong><br />

Grundlagenforschungsprojekt.<br />

Transfermodus in die Praxis: Die meisten Teilprojekte<br />

sehen ihre Aufgabe nicht darin, die<br />

untersuchten Akteure unmittelbar zu beraten.<br />

Bei der Frage, ob die Ergebnisse in die Praxis<br />

zurückgegeben werden und, wenn ja, in welcher<br />

Form, kann man danach unterscheiden,<br />

ob eine Ergebnisinformation mit Aufbereitung<br />

für die Praxis oder ohne Deutungsangebote<br />

für die untersuchte Praxis erfolgt. Anders<br />

formuliert: Müssen die untersuchten Akteure<br />

in Eigenleistung das wissenschaftliche Wissen<br />

in für sie praxisrelevantes Wissen transformieren,<br />

oder wird das Wissen für die Akteure anschlussfähig<br />

organisiert? Des Weiteren kann<br />

auch der Transfer in die wissenschaftliche<br />

oder die engere Fachöffentlichkeit <strong>als</strong> Transfer<br />

in die Praxis verstanden werden.<br />

Austausch von Wissenschaft und Praxis:<br />

Hier geht es um die Frage, ob<br />

Seite page 23<br />

Anregungen, Deutungen bzw. relevante<br />

Fragestellungen aus der Praxis<br />

wiederum Eingang in die Forschung finden.<br />

Wird zum Beispiel das Forschungsdesign<br />

nach Kontakt mit den untersuchten Akteuren


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

geändert oder modifiziert? Oder findet nur ein<br />

einseitiger Austausch von der Wissenschaft in<br />

die Praxis statt?<br />

Beziehung zur medialen Öffentlichkeit: Hier<br />

soll unterschieden werden zwischen einer eher<br />

dialogischen und einer eher monologischen<br />

Struktur. War in der Befragung die Rede von<br />

Tagungen und Konferenzen, so können wir<br />

eine dialogische Struktur mit einer starken<br />

Hinwendung des Projektes zu einer Fachöffentlichkeit<br />

oder zur scientific community<br />

annehmen. Geht es um das Thema „Verlautbarung<br />

in den Medien“, so ist strukturell<br />

eher eine einseitige Kommunikationsform zu<br />

vermuten.<br />

In der nun folgenden Tabelle kann nicht unterschieden<br />

werden, ob eine fehlende Antwort<br />

unter einer Kategorie explizit „nicht vom<br />

Projekt intendiert“ ist - <strong>als</strong>o beispielsweise<br />

Praxisberatung nicht geplant und erwünscht<br />

ist - oder diese Kategorie im Interview nicht<br />

angesprochen worden ist.<br />

Seite page 24


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Beziehung<br />

zur medialen<br />

Öffentlichkeit<br />

Austausch von Wissenschaft<br />

und Praxis<br />

Transfermodus in die Praxis<br />

Forschungsorientierung<br />

Bezug zur<br />

Praxis<br />

Definition gesellschaftlicher<br />

Praxis<br />

Projekt<br />

Für die Praxis<br />

monologisch<br />

Dialogisch<br />

Einseitig: von Praxis zu Wissenschaft<br />

Einseitig: von Wissenschaft zu Praxis<br />

reziprok<br />

Für die Wissenschaft<br />

Ergebnispräsentation<br />

mit Deutungsangeboten<br />

Ergebnispräsentation<br />

ohne Deutungsangebote<br />

Als Praxisberatung<br />

Kontinuum<br />

Anwendungsforschung<br />

Grundlagenforschung<br />

Persönliche Sonderleistung<br />

Systematisch verfolgt<br />

Lediglich in Bezug zu untersuchten<br />

Akteuren<br />

Theoretisch<br />

Konkret<br />

A1 X X X nein X X X X<br />

A2 X X X X X X<br />

A3 X X X X<br />

A4 X X nein X X X X X<br />

A5 X X X X<br />

A6 X X X X X<br />

B1 X X X X X X X<br />

B2 X X X X X X X X<br />

B5 X X X X X X<br />

B7 X nein X X<br />

B8 X X X (X) X X X X X<br />

B9 X (X) X X X X X<br />

C3 X X X X X X X X<br />

C4 X X X X X X X<br />

C5 X X X X X X<br />

C6 X X X X X X X X X X X<br />

Seite page 25


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Schon diese erste Klassifikation der Interviewaussagen<br />

veranschaulicht, dass die Interviews<br />

eine größere Vielfalt und insbesondere eine<br />

größere Bedeutung des Theorie-Praxis-Austausches<br />

zutage förderten, <strong>als</strong> dies aufgrund<br />

der Anträge zu erwarten gewesen wäre. Wir<br />

stehen deshalb vor der Aufgabe, die Komplexität<br />

dieser Mannigfaltigkeit der Aussagen<br />

auf wesentliche Elemente und grundlegende<br />

Muster zu reduzieren.<br />

3. Pr a x i s v e r s t ä n d n i s u n d We g e d e s Wissenstransfers<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

a) Übersicht<br />

Zunächst betrachten wir die Formen, in denen<br />

der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> versucht, auf die gesellschaftliche<br />

Praxis und einzelne Praxisfelder zuzugehen.<br />

Wir werden das Verständnis von sozialer<br />

Praxis in den Teilprojekten beleuchten und<br />

uns dabei auf die in den Interviews gegebenen<br />

Informationen stützen. Danach differenzieren<br />

wir bestimmte Formen des Theorie-Praxis-<br />

Austausches entlang der methodischen Elemente<br />

und „kommunikativen Mittel“, die<br />

jeweils angewandt werden, um von externen<br />

wissenschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Gruppen und Handlungsfeldern wahrgenommen<br />

zu werden. Schließlich werden wir die<br />

Wege des Transfers von Wissen aus dem <strong>SFB</strong><br />

<strong>580</strong> in die Praxis typologisch differenzieren.<br />

b) Unterschiedliche Praxisbegriffe und Praxisbezüge<br />

in den Teilprojekten: vier Varianten<br />

Wir sehen in einem ersten Überblick folgende<br />

Varianten von Praxisbegriffen und Praxisbezügen<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>:<br />

Praxisbegriff und Praxisbezug<br />

1 Praxis <strong>als</strong> black box, kein unmittelbarer Praxisbezug B7<br />

2 Globaler Praxisbegriff, differenzierte Praxisfelder A1, A4, A5, B5, B8<br />

3<br />

4<br />

Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld, Bezug zu institutionellen<br />

Akteuren<br />

Handlungs- und strukturtheoretisch begründeter Praxisbegriff,<br />

entsprechend reflektierter Praxisbezug<br />

A2, A3, A6, B1, B2, B9<br />

C3, C4, C5, C6<br />

Seite page 26<br />

Variante 1: Praxis <strong>als</strong> black box, kein<br />

unmittelbarer Praxisbezug. Zwar<br />

wird hier die Praxis <strong>als</strong> „black box“ begriffen,<br />

zu der es keine unmittelbare Beziehung<br />

gebe, die aber auf Forschungsergebnisse und<br />

deren öffentliche Bekanntgabe reagiere. Als<br />

Grund dafür, sich wenig Gedanken über den<br />

Praxisbegriff und eher einseitige über den<br />

Bezug zur Praxis gemacht zu haben, wird von<br />

dem entsprechenden Teilprojekt zur strategi-


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

schen Interaktion die konzeptionelle Fundierung<br />

der Forschungstätigkeit und der konkrete<br />

Auftrag des Drittmittelgebers Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

genannt. Die befragten<br />

Mitarbeiter dieses Teilprojekts charakterisieren<br />

einen möglichen „direkten Transfer in die Praxis“<br />

- und damit einen konkreten Begriff von<br />

gesellschaftlicher Praxis, wie umfassend auch<br />

immer - <strong>als</strong> „die Elemente der leeren Menge“.<br />

Deshalb sprechen wir in diesem Kontext auch<br />

von Praxis <strong>als</strong> „black box“.<br />

Variante 2: Globaler Praxisbegriff, differenzierte<br />

Praxisfelder. Ließ das erste Teilprojekt den<br />

Praxisbezug unbestimmt, weil er für seine<br />

Forschung ohne hinreichende Relevanz war, so<br />

zeichnet sich eine zweite Gruppe von Teilprojekten<br />

dadurch aus, dass sie ihren Praxisbegriff<br />

unmittelbar über die Differenzierung unterschiedlicher<br />

Praxisfelder näher bestimmt. Als<br />

Beispiel für eine solche Orientierung sei zuerst<br />

die Erläuterung des Teilprojekts zu Führungsgruppen<br />

angeführt: Dieses analysiere konkrete<br />

historische und in der Gegenwart fortwirkende<br />

soziale Praxen bzw. das Nachwirken von<br />

DDR-Sozi<strong>als</strong>truktur, Rekrutierungsmustern<br />

und Karrierelogiken bei heutigen ostdeutschen<br />

Eliten und Subeliten. Im Interview mit den<br />

Mitarbeitern des Teilprojekts zu lokalen politischen<br />

und administrativen Eliten heißt es darüber<br />

hinausgehend fast schon programmatisch:<br />

„Jeder Handlungsvollzug ist Praxis, <strong>als</strong>o auch<br />

wissenschaftliche Handlungsbezüge“. Insofern<br />

habe Praxis keinen Gegenbegriff. Deshalb sei<br />

die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis<br />

kein Thema im Projekt, sondern das Verhältnis<br />

von verschiedenen Praxen zueinander. Darauf<br />

bezogen seien auch die projektinternen<br />

Überlegungen, in welche gesellschaftlichen<br />

„Teilpraxen“ hinein gewirkt werden könne. Es<br />

sind im Falle des lokalen Eliteprojekts drei<br />

unterschiedliche Felder: Die Praxis des Forschungsprojekts<br />

im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />

und der scientific community.<br />

„Wir sind nicht allein“, heißt es im Interview,<br />

es werde in einem Forschungsverbund gearbeitet.<br />

Der Kontext sei deshalb zuerst ein wissenschaftlicher.<br />

Des Weiteren wird zweitens<br />

die Praxis der medialen Verbreitung wichtiger<br />

Forschungsergebnisse hervorgehoben. Im Teilprojekt<br />

zu lokalen politisch-administrativen<br />

Eliten wird die Öffentlichkeit <strong>als</strong> ein Medium<br />

von Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen)<br />

gesehen, über welches die Menschen die Welt<br />

erführen und die deshalb für Orientierungsprozesse<br />

hoch bedeutsam sei. Schließlich<br />

wird von diesem Teilprojekt der Bezug zur<br />

Spezifik des Untersuchungsfelds hergestellt.<br />

Dieser sei wissenschaftlich bestimmt und<br />

aus wissenschaftlichen Motiven heraus entwickelt.<br />

Hier spielten zum Beispiel konkrete<br />

Lebensverläufe von lokalen politischen Eliten<br />

<strong>als</strong> den zu untersuchenden Elementen des<br />

Handlungskreises eine Rolle.<br />

Auch im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />

gibt es keine allgemeine Definition eines<br />

Praxisbegriffs, sondern ganz verschiedene<br />

„Praxisgruppen“ und unterschiedliche Ebenen<br />

von potentiellen Rezipienten der Forschungsergebnisse.<br />

Wie im Projekt zu lokalen Eliten<br />

wird besonders auf die „verschiedenen Rezipientengruppen<br />

im Projekt“ abgehoben:<br />

Zum einen die wissenschaftliche<br />

Öffentlichkeit und die Deutsche<br />

Seite page 27<br />

Forschungsgemeinschaft (<strong>als</strong> „Kontrolleur“<br />

der Forschungsarbeit), zum<br />

anderen die nichtwissenschaftliche, weite<br />

Öffentlichkeit, die wiederum aus ganz vielen<br />

Teilgruppen bestehe (z.B. einzelne Unterneh-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

men oder Anbieter von Personaldienstleistungen,<br />

die ihre Marktstrategien überprüfen oder<br />

mit anderen Anbietern vergleichen könnten,<br />

Betriebsräte und Arbeitnehmergruppen, die<br />

von ausgelagerten Personalfunktionen betroffen<br />

seien, oder politische Gruppen und<br />

Journalisten, die sich mit Arbeitsmarktpolitik<br />

beschäftigen). Hier liegt sozusagen ein besonders<br />

„praxisnaher“ Praxisbegriff vor.<br />

Auch das Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im<br />

öffentlichen Sektor bestimmt seinen Praxisbegriff<br />

über eine Aspektdifferenzierung. So heißt<br />

es auf unsere Frage, was im Projekt unter dem<br />

Begriff gesellschaftliche Praxis verstanden<br />

würde und wie er im Rahmen der Forschungsarbeit<br />

zur Geltung käme: Gesellschaftliche<br />

Praxis sei im wissenschaftlichen Feld zuerst<br />

einmal Wissensbildung über die Ausbildung<br />

von „Köpfen“ in der Lehre. Sie stelle auch den<br />

unmittelbaren praktischen Bezug der Projektarbeiten<br />

dar. Ein zweiter Teilaspekt sei die Beteiligung<br />

am wissenschaftlichen Diskurs über<br />

Forschungsergebnisse und die „Formierung<br />

von Wissensbeständen“. Ein dritter Aspekt<br />

stelle die Beteiligung am öffentlichen Diskurs<br />

dar. Und ein vierter Aspekt beziehe sich auf<br />

Überlegungen, wie Probleme im Untersuchungsfeld<br />

beschaffen seien und wie die Praktiker<br />

mit ihnen umgingen (konkret bedeute das<br />

für die Fragestellung des Forschungsprojekts:<br />

Wie reagieren Akteure im öffentlichen Dienst<br />

auf Herausforderungen, die aus dem<br />

demografischen Wandel resultieren).<br />

Seite page 28 An den Umgang der Praktiker mit<br />

Problemen <strong>als</strong> Praxisform schließen<br />

die Mitarbeiter im Teilprojekt zum<br />

Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor noch die<br />

Überlegung an, ob nicht auch die Datenerhebung<br />

selbst <strong>als</strong> Praxis herausgestellt werden<br />

könne und müsse. Weil es nämliche eine Form<br />

der wissenschaftlichen Praxis sei, die gleichzeitig<br />

auch für kommunale Akteure eine besondere<br />

Form der Praxis darstelle. Die Forscher des<br />

Sonderforschungsbereichs stünden nämlich<br />

stellvertretend für eine gewisse Öffentlichkeit<br />

und die Interviewsituation stelle eine bestimmte<br />

„Praxis von Öffentlichkeit“ her.<br />

Einen Schritt weiter schließlich geht bei<br />

ähnlichen theoretischen und konzeptionellen<br />

Ausgangsbedingungen das Teilprojekt zu<br />

Kultureliten. Hier heißt es im Interview zwar<br />

zunächst: „Wir haben noch nicht über gesellschaftliche<br />

Praxis (<strong>als</strong> solche) nachgedacht“.<br />

Das heißt: Eine Theorie der gesellschaftlichen<br />

Praxis wurde hier ebenfalls nicht expliziert.<br />

Hinsichtlich der eigenen Projektpraxis im<br />

Rahmen von wissenschaftlicher Praxis ändert<br />

sich allerdings die Einstellung in diesem Teilprojekt:<br />

„(Wir haben) aber auch zumindest<br />

immer ganz bewusst Öffentlichkeiten gesucht<br />

und auch zu interessieren versucht für unser<br />

Thema“. Obwohl es, wie im Interview hervorgehoben,<br />

eher keine Praxispartner im engeren<br />

und kommerziellen Sinne gebe, versuche das<br />

Projekt „die Trommel zu rühren“, um die mediale<br />

Öffentlichkeit zu interessieren und Multiplikatoren<br />

zu gewinnen. Mit dieser Form der<br />

Öffentlichkeits- und Zielgruppenorientierung<br />

erfüllt das Projekt zu Kultureliten wichtige<br />

Kriterien eines planvollen Wissenschaftsmarketings.<br />

Nicht zu unterschätzen ist bei diesem<br />

Vorgehen die durch das Untersuchungsthema<br />

gegebene Aufnahmebereitschaft auf Seiten<br />

von Deutungseliten - sie stellen auch bewusst<br />

eines der untersuchten sozialen Felder des<br />

Projekts dar - für kulturweltlich „interessante“<br />

Forschungsergebnisse.


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

In der zweiten Variante wird demnach ein<br />

ursprünglich weiter Praxisbegriff durch die<br />

konkreten Forschungsbezüge differenziert und<br />

näher bestimmt.<br />

Variante 3: Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld,<br />

Bezug zu institutionellen Akteuren. Ließ<br />

die erste Gruppe bzw. das erste Teilprojekt den<br />

Praxisbezug unbestimmt und fasste ihn die<br />

zweite Gruppe über den konkreten Feldbezug<br />

der Forschung, so zeichnet sich der dritte Praxisbegriff<br />

und -bezug dadurch aus, dass in die<br />

Konzeption der Projektarbeiten die Interaktion<br />

mit Akteuren im Feld einbezogen ist. Zwar<br />

fällt auch im Interview mit Mitarbeitern des<br />

Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel die<br />

Definition von Praxis nicht konkret aus. Eine<br />

rudimentäre Konzeption von sozialer Praxis<br />

allerdings findet Eingang in die Projektarbeiten<br />

über den Bezug auf „relevante Akteure“.<br />

Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei<br />

dem Projekt um ein theoretisch orientiertes<br />

Forschungsvorhaben handele: Das Projekt untersucht<br />

Beschäftigung im Wandel. Betrieben<br />

<strong>als</strong> den für die Analyse relevanten Einheiten<br />

sende man jedoch alle zwei Jahre einen Bericht<br />

über zentrale Ergebnisse zu. Welche Schlüsse<br />

die Unternehmen aus den in den Verlaufsdokumentationen<br />

zusammengefassten Daten<br />

ziehen, sei „zunächst einmal deren Sache“.<br />

Im Teilprojekt zu Delegationseliten wird<br />

der Praxisbegriff ebenfalls nur ansatzweise<br />

über die untersuchten - für gesellschaftliche<br />

Entscheidungsprozesse relevanten - Akteure<br />

(Parlamentsabgeordnete) konzipiert. Praxisrelevanz<br />

bezieht sich in diesem Projekt auf Informationsflüsse,<br />

deren Fließrichtung nicht näher<br />

zu bestimmen und praktisch nicht zu steuern<br />

sei. Versucht würden Wissenstransfers auf zwei<br />

Ebenen: Die Ergebnisse der Arbeit so zu präsentieren,<br />

dass sie öffentlich wahrgenommen<br />

werden und den relevanten, untersuchten<br />

Akteuren einen „Spiegel“ über ihr Tun und<br />

Selbstverständnis „vorzuhalten“. Was weiter<br />

passiere, bleibe abzuwarten.<br />

Beim Teilprojekt zu Freien Wählergemeinschaften<br />

antwortet man uns sehr offen auf die<br />

Frage nach einem Begriff von gesellschaftlicher<br />

Praxis: „Also bei uns ist der gar nicht so zentral,<br />

so dass ich jetzt nicht sagen könnte, dass<br />

wir da vom Projekt her eine klare Vorstellung<br />

hätten“. Auch gäbe es (bis zum Zeitpunkt des<br />

Interviews) keine konkreten Beobachtungen,<br />

dass sich die Praxis der Akteure durch den<br />

Transfer von Forschungsergebnissen geändert<br />

habe. Allerdings ist der Gegenstand der Untersuchung<br />

schon durch die formalen Konstitutionsbedingungen<br />

politischer Vereinigungen<br />

strukturiert - innerhalb dessen sich dann auch<br />

die Projektarbeiten bewegen.<br />

Im Teilprojekt zum Generationswechsel im<br />

Management fällt die Definition des Praxisbegriffs<br />

ebenfalls nicht konkret oder theoretisch<br />

bestimmt aus, aber über den Bezug zu den<br />

untersuchten Akteuren in ihrem institutionellen<br />

Praxisfeld expliziter. Als Beispiel sei<br />

aus dem Interview die folgende Sequenz<br />

angeführt: „Wir haben mit der Praxis in der<br />

Weise zu tun, dass wir mit Geschäftsführern<br />

(von kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen) zu tun haben“, und<br />

zwar unter anderem in ausgedehnten<br />

Seite page 29<br />

Leitfadeninterviews, die den Befragten<br />

möglicherweise schon dadurch<br />

nützen könnten, „dass sie über ihre Probleme<br />

reden können und das Gefühl haben, sie<br />

werden irgendwie ernst genommen, und das


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

wird in irgendeiner Form bei uns dann in eine<br />

wissenschaftliche Diskussion eingespeist“.<br />

Einen Schritt weiter geht das Teilprojekt zur<br />

Untersuchung des Fachkräftemangels. Für<br />

dessen Leiter reduzieren sich die Erzeugung<br />

sozialwissenschaftlichen Wissens und der<br />

Wissenstransfer nicht auf die Beziehung „von<br />

Forscher und seinem Gegenstand“ im gesellschaftlichen<br />

Handlungsfeld. Diese präge die<br />

Erhebungssituation. Daneben käme es beim<br />

Versuch der Einflussnahme auf die Praxis sehr<br />

oft zu einer Beziehung zu Entscheidungsträgern<br />

im Praxisfeld, „einer Personengruppe,<br />

die nicht untersucht wurde“. (Eine solche<br />

Differenzierung des Forschungsfelds und der<br />

relevanten Akteure in der „Erhebungs“- und<br />

„Anwendungssituation“ findet sich in Ansätzen<br />

zum Beispiel auch bei den „benachbarten“<br />

Teilprojekten zur Beschäftigung im Wandel<br />

und zur Entwicklung bei Personaldienstleistungen).<br />

Noch deutlicher wird jedoch eine solche Konstellation<br />

im Interview mit den Mitarbeitern<br />

des Teilprojekts zu prekärer Beschäftigung.<br />

Gerade diese Projektgruppe erachtet das Theorie-Praxis-Verhältnis<br />

explizit <strong>als</strong> für erheblich.<br />

Denn auf die Frage, inwiefern die Praxis beim<br />

Projekt eine Rolle spiele, kommt die Antwort:<br />

„Eine große Rolle, da wir an unglaublich basalen,<br />

dringenden Fragen dran sind. Wir sind<br />

dabei und können die ersten Schritte<br />

einer neuen Institution - der ARGE 4 -<br />

Seite page 30 untersuchen, bearbeiten dringende<br />

Fragen wie Langzeitarbeitslosigkeit.<br />

Alle diese Fragestellungen sind<br />

außerordentlich praxisrelevant. Wir werden<br />

durch die grundlegenden Probleme, die wir<br />

untersuchen, mit der Praxis konfrontiert.<br />

Und unsere Interviewpartner - Experten wie<br />

Vertreter von Arbeitsagenturen, ARGEn,<br />

Sozialämter, Politiker, Wirtschaftsverbände,<br />

Gewerkschaften, Beratungsinstitutionen - sind<br />

hoch interessiert an der Thematik und möchten<br />

natürlich die Ergebnisse erfahren, gespiegelt<br />

haben.“ Dabei drängt sich ein Bild auf, wonach<br />

das für die Untersuchung relevante Praxisfeld<br />

wie in konzentrischen Kreisen um den Kern<br />

der Projektforschung herum angeordnet liege.<br />

Davon werden im Interview drei hervorgehoben:<br />

Der innere Kreis an konkreten Institutionen<br />

(z.B. ARGE, Beratungsorganisationen),<br />

ein mittlerer Kreis von Interessenten, an den<br />

aggregierte region<strong>als</strong>pezifische Daten zurückgespiegelt<br />

würden, und der äußere Kreis der<br />

gesellschaftlichen Praxis, für den etwa „breite“<br />

wissenschaftliche Publikationen vorgesehen<br />

seien.<br />

Bei der dritten Variante, die ihren Forschungsgegenstand<br />

<strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld<br />

konzipiert, wird Praxis objekttheoretisch bestimmt.<br />

In den Analysen sollen Interessenkonstellationen<br />

und ihr sozi<strong>als</strong>truktureller Rahmen<br />

herausgearbeitet werden.<br />

Variante 4: Handlungs- und strukturtheoretisch<br />

begründeter Praxisbegriff, entsprechend reflektierter<br />

Praxisbezug. Sind wir bei den Vertretern der<br />

dritten Form des Praxisverständnisses auf eine<br />

differenzierte Konzeption gestoßen, so zeichnet<br />

sich die vierte Form durch eine explizite<br />

handlungs- und strukturtheoretische Fundierung<br />

des Praxisbegriffs aus. Die Differenz zum<br />

dritten, vorhergehenden Typus wollen wir mit<br />

Hilfe des Begriffs „Zurückspiegeln“, der im Interview<br />

mit den Mitarbeitern des Teilprojekts<br />

zu prekärer Beschäftigung bereits auftaucht,<br />

kurz skizzieren. Dieser Begriff zeichnet sich


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

unseres Erachtens durch eine hohe Suggestivkraft<br />

aus. Er erspart es einem <strong>als</strong> Befragten im<br />

Interview, den Begriff der Praxis zureichend<br />

definieren und die methodischen Schritte<br />

im Aufbau des „wissenschaftlichen Spiegels“<br />

darlegen zu müssen, in dem sich die Aussagen<br />

der befragten Praktiker „brechen“ und - in<br />

ein neues, spezifisch wissenschaftliches Bedeutungsspektrum<br />

integriert - wieder zurück<br />

„projiziert“ werden. Dem gegenüber stellen<br />

sich zumindest ansatzweise die Teilprojekte<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe, zum Bürgerschaftlichen<br />

Engagement, zur Rehabilitation<br />

und zu Bewältigungsressourcen von sozialem<br />

Wandel der Aufgabe einer positiven Bestimmung<br />

des Praxisbegriffs und der methodischen<br />

Schritte im Theorie-Praxis-Austausch. Für die<br />

Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />

besteht Praxis „im lebensweltlichen Entscheiden<br />

unter Handlungsdruck“. „Wir gehören <strong>als</strong><br />

Nicht-Forscher“, heißt es weiter im Interview,<br />

„der Praxis an, haben aber <strong>als</strong> Forscher die<br />

Entlastung, dass zum Beispiel Fallverläufe<br />

ohne Zeit- und Entscheidungsdruck der<br />

Handelnden nachvollzogen werden können.<br />

Dieselbe Person wechselt unter Umständen<br />

in den Bereich der Praxis und zurück. Dies<br />

ist eine Definition von Haltung, aber keine<br />

Personendefinition.“ In dieser Aussage sind<br />

zwei wichtige Bestimmungen enthalten: Praxis<br />

hängt begrifflich mit Handeln zusammen und<br />

handeln können nur Akteure, aber keine Sozi<strong>als</strong>trukturen<br />

und Systeme. Sodann gibt es keine<br />

ontologische Differenz zwischen Theorie und<br />

Praxis, sondern nur eine habituelle.<br />

Hier setzt auch die Definition des Praxisbegriffs<br />

beim Teilprojekt zur Kinder- und Jugendhilfe<br />

an. Die einschlägige Aussage im Interview<br />

schließt explizit an den Begriff des frühen,<br />

praxisphilosophischen Marx und implizit an<br />

den eher apokryphen, lebensphilosophischen<br />

Praxisbegriff von Nietzsche an, wenn es heißt:<br />

„Praxis ist alles, was dazu dient, sich am Leben<br />

zu erhalten - und zwar in sozialen Kontexten.“<br />

Dem entspricht auch der Oevermannsche<br />

Begriff der autonomen Lebenspraxis. Doch<br />

an dieser Stelle gehen die Ausführungen<br />

im Teilprojekt zur Kinder- und Jugendhilfe<br />

über die der Mitarbeiter im Teilprojekt zur<br />

Rehabilitation hinaus und greifen auf der so<br />

entwickelten Basis bzw. in dem explizierten<br />

strukturtheoretischen Rahmen den Ansatz<br />

des Differenzierungsparadigmas auf, wie er<br />

im letzten Konzepttyp zu sehen war. Leben<br />

<strong>als</strong> Erkennen und Bewältigen von Problemen<br />

und Krisen sei zusammengenommen eine<br />

Praxis - „aber jetzt nur auf der Ebene von Individuen.<br />

Auf der Ebene von Organisationen<br />

ist dies nochm<strong>als</strong> anders. Da geht es um die<br />

Problemstellung im Zuge der gesellschaftlichen<br />

Arbeitsteilung, mit der Organisationen<br />

zu tun haben“. Das Projekt zur Kinder- und<br />

Jugendhilfe zum Beispiel untersuche ein institutionelles<br />

Feld (das der Kinder- und Jugendhilfe),<br />

„wo sich Routinen einstellen, wo sich<br />

Deutungsmuster einstellen darüber, wie man<br />

die Aufgaben erledigt, wo es einen Gesetzesapparat<br />

gibt, der die Rahmenbedingungen<br />

dieses Handelns setzt, der die Aufgaben definiert“.<br />

Das alles wäre dann gesellschaftliche<br />

Praxis auf der institutionellen Ebene. Solche<br />

Institutionen müsste man wieder in<br />

eine umfassendere gesellschaftliche<br />

Organisationsform bis hin zu in-<br />

Seite page 31<br />

ternationalen Organisationsformen<br />

einbetten. Auf Nachfrage erfolgt<br />

im Interview ein weiteres „Einkreisen“ des<br />

Praxisbegriffs in diesem Teilprojekt. „Na gut,<br />

den Praxisbegriff hätte ich jetzt natürlich


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

auch noch sozialphänomenologisch <strong>als</strong> Alltag<br />

definieren können, etwa im Sinne von<br />

Alfred Schütz oder Edmund Husserl oder<br />

Harold Garfinkel oder Agnes Heller. Wir<br />

untersuchen ja quasi erst mal den Alltag der<br />

Jugendhilfe. Uns interessieren primär die<br />

gewonnenen Handlungsroutinen.“ Auf dieses<br />

Praxiskonzept bezogen ist das methodische<br />

Vorgehen, die eigene wissenschaftliche Praxis<br />

im Projekt zur Kinder- und Jugendhilfe, wenn<br />

es im Interview weiter heißt: „Wir betreiben<br />

rekonstruktive Sozialforschung. Das heißt,<br />

wir gehen dahin (in das Praxisfeld) mit der<br />

Goffmanschen Frage: Was ist da los? Insofern<br />

könnte man auch sagen, die untersuchte Praxis<br />

selegiert, was wichtig ist. Oder: Wir rekonstruieren<br />

die Relevanzstrukturen der Praxis.“<br />

In der letzten Variante eines Praxisbegriffs wird<br />

versucht, eine konstitutionstheoretische Ebene<br />

in die Überlegungen zum inneren Aufbau<br />

des Untersuchungsgegenstands <strong>als</strong> auch zum<br />

Theorie-Praxis-Austausch einzubeziehen.<br />

c) Elemente und „kommunikative Mittel“<br />

des Theorie-Praxis-Austausches<br />

Nun geht es um die Frage, wie der Theorie-<br />

Praxis-Austausch in den einzelnen Projekten<br />

durchgeführt wird.<br />

Tagungen und Kolloquien: Zum Grundbestand<br />

des Theorie-Praxis-Austausches<br />

gehören Tagungen und Kolloquien.<br />

Seite page 32 Wir stoßen dementsprechend bereits<br />

in den Anträgen auf diese Veranstaltungsformen,<br />

in denen die Ergebnisse<br />

der Analysen vorgestellt und aufgearbeitet<br />

werden sollen. So heißt es im Interview mit<br />

den Mitarbeitern des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />

im Management: „Unsere<br />

primäre Zielgruppe ist die wissenschaftliche<br />

Gemeinde, sind die Kollegen.“ Beim Projekt<br />

zu Kultureliten ist die Rede von „Tagungen<br />

und Workshops“, die wichtig seien, um die Untersuchung<br />

in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit<br />

bekannt zu machen. Das Teilprojekt zu<br />

Freien Wählergemeinschaften berichtet unter<br />

anderem von „Workshops bei den europäischen<br />

und internationalen Politologenvereinigungen“.<br />

Für die Mitarbeiter des Teilprojekts zum<br />

Wandel der Beschäftigung stellen Tagungen<br />

einen der beiden wichtigsten Wege dar, um<br />

neues Wissen aus der Forschung in der scientific<br />

community publik zu machen. Im Gespräch<br />

mit den Mitarbeitern des Teilprojekts zum<br />

Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor werden<br />

Tagungen <strong>als</strong> Element der „Beteiligung am<br />

wissenschaftlichen Diskurs“ bezeichnet. Das<br />

Projekt habe zum Beispiel „eine Tagung mit<br />

polnischen Kollegen gemacht, das ist insofern<br />

auch eine Intervention. (Denn) in Polen gibt<br />

es keinen demografischen Diskurs, wie er hier<br />

geführt wird. Da gibt es ganz wenig. Aber alle<br />

Daten, die wir haben, deuten darauf hin, dass<br />

es in vier Jahren der Fall sein wird.“ In diesem<br />

Zusammenhang lassen sich fünf typische<br />

Realisierungsmuster von Tagungen und Kolloquien<br />

mit je unterschiedlicher Zusammensetzung<br />

von Wissenschaftlern und Praktikern<br />

identifizieren:<br />

Veranstaltungen im Rahmen der scientific community:<br />

Im internen Bereich von Theorie und<br />

Wissenschaft verbleiben Kolloquien, die sich,<br />

wie das Beispiel des Teilprojekts zur Beschäftigung<br />

im Wandel bereits zeigte, ausschließlich<br />

an die scientific community des konkreten Forschungsfelds<br />

wenden. Sie antworten auf eine<br />

generalisierte Erwartung des Wissenschafts-


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

systems an Grundlagenforschung. Viele interne<br />

Tagungen des Sonderforschungsbereichs in<br />

der ersten Phase seiner Tätigkeit zum Beispiel<br />

entsprechen diesem Modell. Dieser Austausch<br />

findet in einem ausgesprochen engen Rahmen<br />

statt. Jedoch ist der Interessentenkreis konkret<br />

bestimmt, so dass man den Bedürfnissen nach<br />

Projektprofilierung gerecht werden kann. Wie<br />

sich dieser Veranstaltungstyp auf die einzelnen<br />

Teilprojekte verteilt - Zahlen auf der Grundlage<br />

der Tätigkeitsberichte von 2004 bis 2007 -<br />

zeigt die folgende Übersicht:<br />

Wissenschaftliche Tagungen und Kolloquien Projektphase II<br />

B7<br />

B9<br />

A1<br />

C4<br />

B5<br />

A5<br />

A2<br />

C6<br />

C3<br />

A4<br />

A6<br />

B8<br />

B1<br />

B2<br />

C5<br />

A3<br />

0 5 10 15 20 25 30<br />

Interdisziplinäre Veranstaltungen: Bezogen auf<br />

den Teilnehmerkreis offener sind Tagungen,<br />

die sich sowohl an die eigene wissenschaftliche<br />

Fachöffentlichkeit <strong>als</strong> auch an die<br />

einschlägigen Nachbardisziplinen wenden.<br />

Sie sind „breiter“ <strong>als</strong> interne Tagungen und<br />

Kolloquien angelegt Außerdem helfen sie,<br />

das Forschungsanliegen und (später) die Projektergebnisse<br />

bekannt zu machen.<br />

Von daher müsste dieser Tagungstyp<br />

in der zweiten Phase häufiger geworden<br />

sein <strong>als</strong> in der ersten. Diese<br />

Annahme wird anhand der folgenden<br />

Übersicht bestätigt:<br />

Seite page 33


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Vergleich: I. und II. Projektphase nach internen und externen Tagungen und Kolloquien<br />

Projektphase I<br />

19 9<br />

Projektphase II<br />

52 272<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

<strong>SFB</strong>-interne Tagungen<br />

Externe Tagungen<br />

Aus dem letzten Schaubild geht hervor: Waren<br />

in der ersten Projektphase von 2001 bis<br />

2004 <strong>SFB</strong>-interne Tagungen noch doppelt so<br />

häufig <strong>als</strong> externe, so hat sich das Verhältnis in<br />

der zweiten Projektphase zwischen 2004 und<br />

2007 deutlich mehr <strong>als</strong> verkehrt. Nun sind<br />

etwa 5,5 mal häufiger externe Veranstaltungen<br />

angegeben <strong>als</strong> interne im Rahmen des Sonderforschungsbereichs.<br />

Veranstaltungen für Wissenschaftler und Praktiker:<br />

Sie stellen in dieser Reihe den ersten<br />

expliziten Versuch dar, Theorie und Praxis<br />

miteinander in Kontakt zu bringen. So führen<br />

die Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />

den Personaldienstleistungen ein<br />

Seite page 34 „Expertenkolloquium“ an, an dem<br />

Personaldienstleister <strong>als</strong> Vertreter der<br />

untersuchten Praxis teilgenommen<br />

haben. Die Forschungsergebnisse seien auf<br />

„diesem Kolloquium gut angekommen“. Und<br />

weiter heißt es: „Diejenigen aus der Praxis<br />

sahen ihren Alltag bestätigt. Die Experten<br />

haben die Ergebnisse der <strong>SFB</strong>-Forschung <strong>als</strong><br />

Bestätigung, Erklärung und Strukturierung ihrer<br />

eigenen Erfahrungen aufgefasst.“ Es seien<br />

schließlich keine weitergehenden Erfahrungen<br />

mitgeteilt worden, die den Projektergebnissen<br />

widersprochen hätten. Dem Gesichtspunkt<br />

der größeren erreichbaren Zahl an potentiellen<br />

Teilnehmern am meisten entsprechen hierbei<br />

Tagungen, die sich sowohl an interessierte<br />

Fachwissenschaftler <strong>als</strong> auch an Vertreter der<br />

Praxis wenden. Das bedeutet: Auf der einen<br />

Seite vermag diese Veranstaltungsform den<br />

größten Kreis an Interessierten anzusprechen,<br />

da sie konzeptionsbedingt die sozialen und<br />

mentalen Grenzen zwischen Theorie- und<br />

Praxisfeldern - zwei soziale Kosmen i. S. Pierre<br />

Bourdieus, die ihre eigene Struktur und ihre<br />

eigenen Gesetze haben - zu übergreifen trachtet.<br />

Auf der anderen Seite zeigt sich bei dieser<br />

Veranstaltungsform die Notwendigkeit, den<br />

thematischen Fokus so eng zu spezifizieren,


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

dass das Interesse sowohl im Feld der Wissenschaft<br />

<strong>als</strong> auch in dem der gesellschaftlichen<br />

Praxis zureichend geweckt werden kann.<br />

Veranstaltungen für Praxisvertreter: Explizit unter<br />

dem Motto eines Theorie-Praxis-Austausches<br />

stehen Veranstaltungen, die sich von ihrer<br />

sozialen Rahmung und Organisationsform her<br />

ausschließlich oder schwerpunktmäßig an Interessierte<br />

der (Fach-)Öffentlichkeit außerhalb<br />

des engeren wissenschaftlichen Felds wenden.<br />

So sprechen die Vertreter des Teilprojekts<br />

zur Rehabilitation von einem „sehr engen<br />

Kontakt“ mit der „Rentenversicherung und<br />

auch der Krankenversicherung“ <strong>als</strong> wichtigen<br />

Organisationen im Untersuchungsfeld. Ein<br />

Weg für solche Kontakte stellen gemeinsame<br />

Veranstaltungen zum Informationsaustausch<br />

dar. Typischerweise ist hier <strong>als</strong> Motiv auf Seiten<br />

der beteiligten Wissenschaftler und Forscher<br />

der Versuch zu vermuten, neue Erkenntnisse<br />

unter den Praktikern bekannt zu machen, die<br />

potentielle praktische Relevanz <strong>als</strong>o in eine<br />

aktuell wirksame zu transponieren. Bei diesem<br />

Veranstaltungstyp trifft man häufig auf eine<br />

Asymmetrie im Austausch, die darin besteht,<br />

dass die Seite der Wissenschaft einseitig „aufklärt“.<br />

Hat man es dagegen - wie das Teilprojekt<br />

zur Rehabilitation - mit professionalisierten<br />

Praktikern zu tun, dann stößt man auf ein Praxisfeld,<br />

deren Fachkräfte selber beanspruchen,<br />

ihr Handeln wissenschaftlich begründen zu<br />

können. Sie trauen es sich zu, mit den Wissenschaftlern<br />

des Sonderforschungsbereichs über<br />

Projektergebnisse kompetent einen kritischen<br />

Dialog zu führen.<br />

Veranstaltungen zum Austausch von Theorie<br />

und Praxis: Vom Teilnehmerkreis her deutlich<br />

enger, von den thematischen Bezügen her dagegen<br />

deutlich breiter gefasst ist die letzte hier<br />

zu diskutierende Form des Theorie-Praxis-<br />

Austausches. Sie konzentriert sich auf interne<br />

Tagungen mit den Kooperationspartnern<br />

im zu untersuchenden Handlungsfeld. Ein<br />

Beispiel hierfür sind gemeinsame Tagungen<br />

der Mitarbeiter des Teilprojekts zur Kinderund<br />

Jugendhilfe mit Leitungskräften der<br />

untersuchten Jugendämter (vgl. weiter unten).<br />

Das Theorie-Praxis-Verhältnis hat bei diesem<br />

Veranstaltungstyp ein - im Unterschied zu den<br />

bisher herausgestellten Austauschformen -<br />

unmittelbares und spezifisches „Passungsverhältnis“<br />

zur fallrekonstruktiven Methode<br />

in der Sozialforschung. Denn der Austausch<br />

theoretischer und praktischer Argumente<br />

findet letztendlich auf konkrete Fälle bezogen<br />

statt. Ein weiteres Beispiel findet sich in<br />

der Arbeit des Teilprojekts zur Kinder- und<br />

Jugendhilfe mit den Fachkräften der kooperierenden<br />

Sozialbehörden (auch darauf wird<br />

zurück zu kommen sein).<br />

Im folgenden Schaubild (Öffentliche und praxisorientierte<br />

Veranstaltungen in der zweiten<br />

Projektphase) fassen wir wieder auf der Grundlage<br />

der Tätigkeitsberichte des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> von<br />

2004 bis 2007 alle Tagungen und Kolloquien<br />

der einzelnen Teilprojekte zusammen, die sich<br />

nicht ausschließlich an die wissenschaftliche<br />

Gemeinschaft oder Bezugsgruppe richten.<br />

Aus Gesprächen mit Mitarbeitern einzelner<br />

Teilprojekte bzw. nachgereichten Tätigkeitsdokumentationen<br />

wissen wir,<br />

dass der Umfang dieser Aktivitäten<br />

- vor allem auch was die Präsenz in<br />

den Medien anbelangt - größer ist <strong>als</strong><br />

der im Tätigkeitsbericht aufgeführte.<br />

Seite page 35


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Öffentliche, praxisorientierte Tagungen: Projektphase II<br />

C6<br />

C4<br />

B7<br />

B9<br />

B2<br />

A5<br />

A1<br />

A2<br />

B8<br />

A3<br />

A4<br />

B2<br />

C3<br />

C5<br />

B1<br />

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18<br />

Deutlich wird bei einem Vergleich der öffentlichen<br />

und praxisorientierten Veranstaltungen<br />

mit den rein wissenschaftlichen Tagungen<br />

und Kolloquien der Teilprojekte, dass es keine<br />

einfache Komplementarität nach dem Muster<br />

gibt: Projekte, die im theoretischen Wissenschaftsbezug<br />

„stark“ sind, fallen bei an Praktiker<br />

und Öffentlichkeit adressierte Veranstaltungen<br />

entsprechend zurück. Wie<br />

ein Blick auf die beiden Schaubilder<br />

Seite page 36 zu rein wissenschaftlichen Tagungen<br />

und Kolloquien oben und zu den öffentlichkeits-<br />

und praxisorientierten<br />

Veranstaltungen hier zeigt, gibt es nur sehr<br />

wenige Teilprojekte, die ihre Position in der<br />

Häufigkeitsverteilung der Veranstaltungen<br />

beim Übergang von den rein wissenschaftlichen<br />

auf die praktisch orientierten Tagungen<br />

merklich verändert hätten (am ehesten noch<br />

Projekt C3).<br />

In der nächsten Übersicht stellen wir auf der<br />

Basis der Tätigkeitsberichte alle Veranstaltungen<br />

aller Teilprojekte zwischen 2004 und<br />

2007 binär kodiert nach dem Ort (Arena<br />

und Publikum) und den Adressaten (scientific<br />

community oder Praxis bzw. Öffentlichkeit)<br />

zusammen. Gemessen an den Antragstexten<br />

zur zweiten Bewilligungsphase des Sonderforschungsbereichs<br />

ist der praxisorientierte<br />

Anteil bei Tagungen und Kolloquien eher <strong>als</strong><br />

hoch einzuschätzen - die rein wissenschaft-


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

lichen Veranstaltungen sind „nur“ um den<br />

Faktor 2,5 häufiger genannt <strong>als</strong> die praktisch<br />

ausgerichteten Tagungen (wie das folgende<br />

Schaubild zeigt).<br />

Tagungen und Kolloquien nach Scientific Community und Öffentlichkeit: Projektphase II gesamt<br />

Öffentlichkeit<br />

91<br />

Scientific Community<br />

233<br />

0 50 100 150 200 250<br />

Zur weiteren Differenzierung der Ergebnisse<br />

fassen wir im Folgenden alle Tagungsaktivitäten<br />

der Teilprojekte des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> mit einem<br />

Wissenschafts- oder Öffentlichkeitsbezug in<br />

drei Schaubildern, gesondert nach den drei<br />

Teilbereichen des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, zusammen (die<br />

Reihenfolge der Teilprojekte folgt wieder der<br />

Anzahl, die in den Geschäftsberichten 2004-<br />

2007 jeweils angegebenen wird):<br />

Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich A<br />

A1<br />

A5<br />

A2<br />

A6<br />

A4<br />

Seite page 37<br />

A3<br />

0 5 10 15 20 25 30 35<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Die relativ geringe Anzahl an praxisorientierten<br />

Tagungen und Kolloquien im Teilprojekt<br />

A1 zu Führungsgruppen in der DDR wird im<br />

Antrag mit dem Hinweis auf die Besonderheit<br />

des historischen Gegenstands bereits vorweg<br />

genommen und begründet. Es fällt noch das<br />

besonders aktive Projekt A3 zu den Delegationseliten<br />

im A-Bereich auf.<br />

Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich B<br />

B7<br />

B9<br />

B5<br />

B8<br />

B2<br />

B1<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit<br />

Zu Teilprojekt B7 ist anzumerken, dass die<br />

geringe Anzahl von Veranstaltungsteilnahmen<br />

mit einem öffentlichen und nicht wissenschaftlichen<br />

Bezug im Antrag bereits durch<br />

die Methodik der Untersuchung zu strategischer<br />

Interaktion nahe gelegt wird. Bei Projekt<br />

B9 zu prekärer Beschäftigung ist die kürzere<br />

Bewilligungsdauer zu berücksichtigen.<br />

Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich C<br />

C4<br />

C6<br />

Seite page 38<br />

C3<br />

C5<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Bei der Übersicht zum C-Bereich fällt auf, dass<br />

die Teilprojekte C4 zum Bürgerschaftlichen<br />

Engagement und C6 zu Bewältigungsressourcen<br />

keine (rein) praxisorientierten Tagungen<br />

durchführen oder sich an solchen beteiligen.<br />

Sie fallen dagegen dadurch auf (vgl. unten),<br />

dass sie <strong>als</strong> einzige projektförmige Praxisberatung<br />

gemacht oder verabredet haben - sie <strong>als</strong>o<br />

auf diesem Weg den Praxisbezug herstellen.<br />

Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit: Veröffentlichungen<br />

stellen entsprechend den<br />

Konventionen und Erwartungen des Wissenschaftssystems<br />

ein weiteres Element des<br />

Theorie-Praxis-Austausches dar. Diskurslogisch<br />

gesehen handelt es sich jedoch um ein<br />

mittelbares Element des Austausches. Wir<br />

unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen<br />

(1) dem „klassischen“ Weg des Artikels<br />

und Aufsatzes oder der Monografie, (2) den<br />

„Kommunikationskanälen“ des Radios, Fernsehens<br />

und Internets sowie (3) besonderen,<br />

„kommunikativen Mitteln“ im Sonderforschungsbereich<br />

<strong>580</strong> (zum Beispiel eine Wanderausstellung<br />

sowie Präsentationen in Foren<br />

wie „Nacht der Wissenschaften“ etc.), die sich<br />

insbesondere im Bereich von Öffentlichkeitsarbeit<br />

zeigen.<br />

Einen einführenden Überblick liefern uns<br />

wieder die jährlichen Tätigkeitsberichte der<br />

Teilprojekte an die Geschäftsführung des<br />

Sonderforschungsbereichs für den Zeitraum<br />

2004 bis 2007, die wir hier bezüglich der Publikationen<br />

der einzelnen Projekte auswerten.<br />

Im nächsten Schaubild fassen wir die Veröffentlichungen<br />

aller Teilprojekte zusammen,<br />

die hauptsächlich oder ausschließlich an die<br />

scientific community oder die fachwissenschaftliche<br />

Bezugsgruppe adressiert sind.<br />

Veröffentlichungen Scientific Community: Projektphase II<br />

B7<br />

C6<br />

A6<br />

C3<br />

B9<br />

A1<br />

A5<br />

C4<br />

B8<br />

B5<br />

C5<br />

A3<br />

A2<br />

Seite page 39<br />

B1<br />

A4<br />

B2<br />

0 10 20 30 40 50 60 70


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Wir können nach unseren Eindrücken bei<br />

Nachfragen in einzelnen Teilprojekten davon<br />

ausgehen, dass diese Aufstellung ziemlich<br />

komplett ist. Anders sieht es bei den Veröffentlichungen<br />

aus, die sich an Praktiker oder eine<br />

breite Öffentlichkeit richten (siehe nächstes<br />

Schaubild). Hier müssen wir davon ausgehen,<br />

dass ein Teil der nicht primär wissenschaftlichen<br />

Texte, die in populären Medien verbreitet<br />

wurden, im Tätigkeitsbericht keinen Eingang<br />

fand.<br />

Praxisorientierte Veröffentlichungen: Projektphase II<br />

C6<br />

B7<br />

A2<br />

A1<br />

C4<br />

B9<br />

B5<br />

A6<br />

A4<br />

B8<br />

A3<br />

C3<br />

B2<br />

B1<br />

C5<br />

0 5 10 15 20 25<br />

Betrachten wir mit dem Vorbehalt, dass nicht<br />

alles Praktische und an die Öffentlichkeit<br />

Gerichtete seinen Niederschlag<br />

Seite page 40 in den Tätigkeitsberichten gefunden<br />

hat, diese statistischen Aufstellungen,<br />

so zeigt sich bei den Veröffentlichungen<br />

etwas häufiger eine Komplementarität<br />

von Wissenschaft und Praxis <strong>als</strong> im Feld der<br />

Tagungen und Kolloquien. Wir finden hier<br />

nämlich mehr Teilprojekte, die entweder relativ<br />

wenig rein wissenschaftliche Texte in Fachorganen<br />

und -verlagen publizierten, dafür aber<br />

relativ viele mit einem Bezug zu Öffentlichkeit<br />

und spezifischen Praxisfeldern, oder solche, die<br />

umgekehrt relativ viel Wissenschaftliches veröffentlichten,<br />

aber wenig, was sich an Praktiker<br />

oder ein breites Publikum richtet.


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Veröffentlichungen nach Scientific Community und Öffentlichkeit: Projektphase II gesamt<br />

Öffentlichkeit<br />

99<br />

Scientific Community<br />

449<br />

0 50 100 150 200 250 300 350 400 450<br />

Zu diesem letzten Schaubild, das alle Veröffentlichungen<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen 2004 und<br />

2007 erfasst, die in den Tätigkeitsberichten der<br />

Teilprojekte angegeben wurden, fällt uns im<br />

Vergleich zur Situation bei den Veranstaltungen<br />

Folgendes auf: Waren innerwissenschaftliche<br />

Veranstaltungen im Sonderforschungsbereich<br />

um den Faktor 2,5 häufiger <strong>als</strong> solche,<br />

die sich an die Praxis bzw. die Öffentlichkeit<br />

wenden, so ist es bei den Veröffentlichungen<br />

der Faktor 4,5, um den rein wissenschaftliche<br />

Veröffentlichungen zahlreicher sind <strong>als</strong> populäre<br />

Artikel und Bücher. Aber hier steht immer<br />

die Frage im Hintergrund, in welchem Maße<br />

bei Veranstaltungen, jedoch - so vermuten wir -<br />

tendenziell häufiger bei Veröffentlichungen,<br />

populäre Aktivitäten in den Tätigkeitsberichten<br />

zur Grundlagenforschung nicht dokumentiert<br />

sind.<br />

Paradigmatisch für populäre Veröffentlichungen<br />

sind Artikel und Aufsätze in Tages- und<br />

Wochenzeitungen, Zeitschriften und Journalen,<br />

die sich an ein breites Publikum wenden.<br />

Dagegen beschränken sich Veröffentlichungen<br />

in reinen Fachzeitschriften darauf, die scientific<br />

community oder Fachöffentlichkeit im<br />

engeren Sinne zu erreichen. Erstere versuchen<br />

deutlich mehr, aber unspezifisch, Interessierte<br />

in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern zu<br />

mobilisieren, letztere erreichen fast nur spezifisch<br />

Interessierte im Wissenschaftssystem.<br />

Bei Büchern und Monografien unterscheiden<br />

wir vier Formen. Am meisten eingeschränkt,<br />

wenn überhaupt möglich, ist ein Theorie-<br />

Praxis-Austausch im Fall reiner Fachbücher,<br />

die sich wieder nur an die scientific community<br />

wenden. Weiter verbreitet in der Fachöffentlichkeit<br />

werden Forschungsergebnisse, wenn<br />

sie sich zum Beispiel in den Inhalten von<br />

Lehrbüchern niederschlagen. Von einer Form<br />

des Theorie-Praxis-Austausches im engeren<br />

Sinne dieses Begriffs kann man aber<br />

erst bei den nächsten beiden Publikationsweisen<br />

sprechen. Dazu gehören<br />

Seite page 41<br />

Handbücher, die sich dezidiert an<br />

die Praktiker im Feld wenden und<br />

entsprechend verfasst und gestaltet wurden,<br />

sowie populäre bzw. populärwissenschaftliche<br />

Bücher, die versuchen, beruflich Tätigen wis-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

senschaftliche Erkenntnisse in den konkreten<br />

Relevanzstrukturen des Praxisfelds nahe zu<br />

bringen oder ihnen die Möglichkeit geben,<br />

an gesellschaftlich aktuellen Themen oder an<br />

sozialpolitischen Diskussionen teilzuhaben.<br />

Stehen Handbücher vor dem Anerkennungsproblem<br />

populärer „Wissenschaft in kleiner<br />

Münze“, so letztere vor der Gefahr des Verlusts<br />

an wissenschaftlicher Objektivität und<br />

Qualität, weil sie sich auf konkrete Interessen<br />

der „Zielgruppe“ einlassen und mit Differenzierungen<br />

„sehr sparsam“ sein müssen.<br />

Unsere Gesprächspartner im Teilprojekt A2<br />

zum Generationswechsel im Management<br />

sprechen an dieser Stelle geradezu von einer<br />

„wissenschaftlichen Überforderung“: Denn<br />

dem Wissenschaftler seien Grenzen gesetzt in<br />

der Form, dass er „einerseits gute Forschung<br />

nach allen Maßgaben des Objektivitätside<strong>als</strong><br />

abliefern soll. Andererseits ist er in der heutigen<br />

Zeit mehr und mehr gefordert, seine<br />

Ergebnisse öffentlichkeitswirksam zu bewerben“.<br />

Um dieser „systematischen Diskrepanz“<br />

zu entgehen, bleibe aus Sicht von A2 lediglich<br />

die Entscheidung für die Wissenschaft. „Also<br />

<strong>als</strong> Wissenschaftler Wissen für den wissenschaftlichen<br />

Diskurs zur Verfügung zu stellen<br />

und sich damit abzufinden, dass er über alles<br />

weitere, was mit diesem Wissen dann in der<br />

Folge geschieht, nicht mehr verfügen könne“.<br />

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang<br />

eine Differenzierung zwischen Publikationen,<br />

die ausschließlich oder vordringlich an die<br />

Wissenschaftsgemeinschaft adressiert sind,<br />

und solchen, die sich in erster Linie an eine<br />

(interessierte) Öffentlichkeit wenden. Wir<br />

fassen alle Veröffentlichungen der Teilprojekte<br />

des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> mit einem Wissenschafts- oder<br />

Öffentlichkeitsbezug in drei Schaubildern,<br />

gesondert nach den drei Teilbereichen des <strong>SFB</strong><br />

<strong>580</strong>, zusammen (die Reihenfolge der Teilprojekte<br />

folgt wieder der Anzahl an Publikationen,<br />

die in den Geschäftsberichten 2004-2007 angegebenen<br />

wird):<br />

Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich A<br />

A6<br />

A1<br />

A5<br />

A2<br />

Seite page 42<br />

A3<br />

A4<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Vergleichen wir dieses Profil an Anzahl und<br />

Adressaten der Veröffentlichungen im A-<br />

Bereich mit der Reihenfolge bei der Anzahl an<br />

Veranstaltungen in diesem Bereich, dann zeigt<br />

sich, dass sich das Bild ziemlich verändert. So<br />

finden sich z.B. im obigen Schaubild zu den<br />

Veröffentlichungen neue Teilprojekte mit den<br />

wenigsten und meisten Aktivitäten. Das heißt,<br />

es gibt im A-Bereich einzelne Projekte mit<br />

einem eher ausgeprägten Veranstaltungsprofil<br />

und solche mit einem Schwerpunkt bei Veröffentlichungen.<br />

Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich B<br />

B7<br />

B9<br />

B8<br />

B5<br />

B1<br />

B2<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit<br />

Aus dem letzten Schaubild zu Anzahl und Adressaten<br />

der Veröffentlichungen im B-Bereich<br />

wird ersichtlich, dass sich im Unterschied zum<br />

A-Bereich im B-Bereich die Reihenfolge der<br />

Aktivitäten bei den Teilprojekten wenig verändert<br />

hat. Es gibt hier kein so ausgeprägtes<br />

Veranstaltungs- oder Veröffentlichungsprofil<br />

bei den einzelnen Teilprojekten.<br />

Seite page 43


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich C<br />

C6<br />

C4<br />

C3<br />

C5<br />

0 10 20 30 40 50 60<br />

Scientific Community<br />

Öffentlichkeit<br />

Auch im C-Bereich hat sich bei der Betrachtung<br />

des obigen Schaubilds im Vergleich zu<br />

den Tagungsaktivitäten relativ wenig geändert.<br />

Doch sind weitergehende Interpretationen wenig<br />

valide, da gerade die Teilprojekte C4 zum<br />

Bürgerschaftlichen Engagement und C6 zur<br />

Frage der Bewältigungsressourcen bei unseren<br />

Nachfragen angaben, nicht alle praktischen<br />

Veranstaltungen und Veröffentlichungen im<br />

Tätigkeitsbericht vermerkt zu haben.<br />

Bei der Analyse der Tagungen und Kolloquien<br />

hatten wir die erste und zweite Projektphase<br />

verglichen und uns gefragt, ob sich das Verhältnis<br />

zwischen <strong>SFB</strong>-internen und externen<br />

Veranstaltungen verändert hat. Die überaus<br />

deutliche Zunahme an externen<br />

Tagungen bzw. Teilnahme an Ver-<br />

Seite page 44 anstaltungen außerhalb des Sonderforschungsbereichs<br />

in der zweiten<br />

Phase zeigte etwas von der inneren<br />

Konsolidierung der Teilprojekte und des<br />

Forschungsverbunds und der zunehmenden<br />

Öffnung nach außen. Wir fragen uns nun<br />

im Bereich der Veröffentlichungen, ob es<br />

zwischen der ersten und zweiten Phase eine<br />

Verschiebung zwischen dem Anteil an innerwissenschaftlichen<br />

und an Öffentlichkeit bzw.<br />

Praxis adressierten Publikationen gegeben<br />

hat. Das Ergebnis - basierend auf dem Tätigkeitsbericht<br />

der einzelnen Projekte über die<br />

erste Bewilligungsphase im Antrag zur zweiten<br />

Phase und den Tätigkeitsberichten zwischen<br />

2004 und 2007 für die zweite Phase - spiegelt<br />

sich im folgenden Schaubild wider:


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Vergleich: Veröffentlichungen der I. und II. Projektphase nach Adressaten<br />

Projektphase I<br />

19 136<br />

Projektphase II<br />

99 449<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Öffentlichkeit<br />

Scientific Community<br />

Wir sehen dieselbe Tendenz wie bei den Veranstaltungen,<br />

allerdings ist sie weniger ausgeprägt:<br />

Waren in der ersten Phase die internen<br />

Tagungen zwei Mal häufiger <strong>als</strong> die externen,<br />

so in der zweiten Phase die externen Veranstaltungen<br />

um den Faktor von ca. 5,5 zahlreicher<br />

<strong>als</strong> die <strong>SFB</strong>-internen. Etwas anders ist die Situation<br />

bei den Veröffentlichungen: Waren in der<br />

ersten Phase die im Rahmen der scientific community<br />

publizierten Projekttexte etwa um den<br />

Faktor 7,0 häufiger <strong>als</strong> die an Öffentlichkeit<br />

und Praxis gerichteten, so hat sich dieser Faktor<br />

in der zweiten Phase auf 4,5 vermindert. Das<br />

heißt, die Publikationen, die sich an Praktiker<br />

oder das allgemeine Publikum wenden, haben<br />

zugenommen, der Sonderforschungsbereich<br />

hat sich auch in diesem Bereich in der zweiten<br />

Phase weiter geöffnet. Doch angesichts der relativen<br />

Unvollständigkeit der Angaben in den<br />

Tätigkeitsberichten gerade im Feld der Publikationen<br />

ist die Aussagekraft der vorliegenden<br />

Zahlen entsprechend eingeschränkt.<br />

Kommen wir nach diesen hauptsächlich statistisch<br />

orientierten Ausführungen ausführlich<br />

zu den Eindrücken, die wir bei unseren<br />

Befragungen in den einzelnen Teilprojekten<br />

gesammelt haben. Vielfach fiel uns auf: Ein<br />

besonders krisenträchtiges Feld im Kontext<br />

des Theorie-Praxis-Austausches ist das der<br />

Interviews für Zeitungen oder Fernsehsender.<br />

Das ist der Tenor aller Interviewaussagen zu<br />

diesem speziellen Thema, die wir im Folgenden<br />

zusammenfassen. Schon der zeitliche<br />

oder räumliche Rahmen sei für differenzierte<br />

wissenschaftliche Aussagen ungünstig oder<br />

ungeeignet. Er zwinge zu einer starken Verkürzung,<br />

die entweder vom Wissenschaftler selbst<br />

geleistet werden müsse oder von den Journalisten<br />

vorgenommen werde - was<br />

zur Folge haben könne, dass vor der<br />

Veröffentlichung oder Ausstrahlung<br />

Seite page 45<br />

der Sendung durch das Interesse des<br />

„Auftraggebers“ motiviert Kürzungen<br />

der wissenschaftlichen Aussage so vorgenommen<br />

würden, dass sich der Gehalt dieser Aussage<br />

im schlimmsten Falle in sein Gegenteil


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

verkehre. Relativ ausführlich beschreiben im<br />

Interview die Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />

lokalen politisch-administrativen Eliten die<br />

Bedeutsamkeit der medialen Veröffentlichung.<br />

Auf der einen Seite suchten die Medien nach<br />

Leuten in der Wissenschaft, die in der Lage<br />

seien, „einen vollständigen Satz zu formulieren“<br />

und den „in drei Minuten unterzubringen“.<br />

Wenn sie den finden, heißt es weiter,<br />

dann werde „der weitergereicht“. Bestimmte<br />

Redakteure kämen dann immer wieder. Auf<br />

der anderen Seite könne man sich <strong>als</strong> Wissenschaftler<br />

größtmöglicher Genauigkeit<br />

befleißigen, problematisch sei aber trotzdem,<br />

dass die Medien einer „eigenen Logik von Selektion“<br />

folgten, die der Wissenschaft entgegen<br />

liefe, „weil ein Wissenschaftler eben nicht<br />

immer alles in drei Minuten sagen könne“. Im<br />

Gespräch mit Mitarbeitern des Teilprojekts<br />

zur Beschäftigung im Wandel heißt es dazu:<br />

In den Medien könne man zwar „wissender<br />

Wissenschaftler“ sein, weil ein direkter Kontakt<br />

zum Publikum nicht hergestellt werde.<br />

Damit erreiche man natürlich nicht diejenigen<br />

(in der Praxis), die die untersuchte Thematik<br />

wirklich etwas angehe. Stattdessen treffe man<br />

auf Journalisten, die eher auf „reißerische<br />

Argumente“ aus seien. Gerade solche Journalisten<br />

aber wären auch mehr am Publikum<br />

<strong>als</strong> am Wissenschaftler interessiert. Auch im<br />

Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />

Sektor berichtet man uns von Radio- und<br />

Zeitungsinterviews, in denen „klare,<br />

übersichtliche Aussagen“ gefordert<br />

Seite page 46 wurden - und damit undifferenzierte,<br />

plakative Aussagen von „dem Typus,<br />

der bei Wissenschaftlern nicht beliebt<br />

ist, weil er dem wissenschaftlichen Denken<br />

nicht gerecht wird“.<br />

Den Zwängen zur Verkürzung unterliegen<br />

auch die Darstellungen der Forschungsergebnisse<br />

im Internet und auf der Homepage. Diese<br />

Problematik ist Gegenstand eines eigenen<br />

Teilprojekts in der zweiten Bewilligungsphase<br />

des <strong>SFB</strong> und wird von uns an dieser Stelle<br />

nicht weiter verfolgt.<br />

Bei unseren Gesprächen zeigt sich des<br />

Weiteren, dass bei einigen Teilprojekten im<br />

Sonderforschungsbereich Sonderfälle der Öffentlichkeitsarbeit<br />

vorkommen. So bereiten zum<br />

Zeitpunkt des Interviews Mitarbeiter des Teilprojekts<br />

zu Führungsgruppen eine Wanderausstellung<br />

über ihr Thema der Elitenkontinuität<br />

in Ostdeutschland - „eine Thematik, die in<br />

Teilen auch wirklich prekär ist“ - vor, um der<br />

„geschichtspädagogischen Seite“ der Projektarbeiten<br />

gerecht zu werden. (Diese Seite bezieht<br />

sich in den Aussagen der befragten Mitarbeiter<br />

auf den öffentlichen Diskurs über den Charakter<br />

der DDR-Gesellschaft und den Umgang<br />

in Ostdeutschland mit der Vergangenheit.)<br />

Allerdings weisen Mitarbeiter des Teilprojekts<br />

zum Generationswechsel im Management im<br />

Interview anhand von Beispielen auf die engen<br />

Grenzen dieser Form des Theorie-Praxis-<br />

Austausches hin. Denn auf die Frage, wie sich<br />

das Projekt in der Öffentlichkeit mit seinen<br />

Forschungsergebnissen präsentiere, erfahren<br />

wir im Interview Folgendes: Eine Ausstellung<br />

in der Goethe-Galerie in Jena, in der im Verbund<br />

mit anderen Teilprojekten des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Forschungsergebnisse präsentiert wurden, habe<br />

nicht wesentlich „zum Diskurs zwischen Wissenschaftlern<br />

und interessiertem Publikum“<br />

geführt. „Dies könnte damit zu tun gehabt haben,<br />

dass die Ergebnisse zwar medienwirksam<br />

präsentiert wurden, die jeweilige Tragweite<br />

ihrer Erklärungskraft aber nicht immer ver-


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

mittelt werden konnte.“ Auch sei die Resonanz<br />

eher gering gewesen. Daraus habe man im<br />

Projekt den generellen Schluss gezogen: Die<br />

Präsentation der Projektergebnisse auf Postern<br />

erfülle nur sehr bedingt die Anforderungen eines<br />

dialogischen Theorie-Praxis-Austausches.<br />

Ähnliche Erfahrungen habe es auf dem Thüringentag<br />

gegeben, auf dem dieses Teilprojekt<br />

im „Wissenschaftszelt“ mit Befragungen<br />

vertreten war. Bei den „Unternehmertagen“ sei<br />

es, so berichtet der Vertreter des Teilprojekts<br />

zum Generationswechsel im Management,<br />

zu einem „absoluten Flop“ gekommen, da die<br />

Bandbreite der Interessenten zu groß gewesen<br />

sei und man deshalb dort mit der Ergebnispräsentation<br />

„keine richtigen Referenten“ bzw.<br />

Adressaten gehabt habe. Das würde allgemein<br />

bedeuten, dass zu breit angelegte Versuche,<br />

Forschungsergebnisse in einer „unbestimmten“<br />

Öffentlichkeitsarbeit publik zu machen, an<br />

mangelnder Spezifik und thematischer Bündelung<br />

des Interesses regelmäßig zu scheitern<br />

drohen.<br />

Wendet sich diese letztgenannte Form der<br />

Publikation an ein unspezifiziertes, politisch<br />

interessiertes Publikum, so kontrastiert mit ihr<br />

nahezu maximal ein Vorgehen, wie es insbesondere<br />

von den Teilprojekten zu lokalen politischadministrativen<br />

Eliten, zur Beschäftigung im<br />

Wandel und zur Entwicklung der Personaldienstleistungen<br />

in den Interviews beschrieben<br />

wurde. Die Zwischenberichte würden demnach<br />

so verfasst, dass sie die Kooperationspartner in<br />

der Praxis über den Fortgang der Projektarbeit<br />

informierten. Die im Projekt zu lokalen Eliten<br />

Befragten sprechen im Interview explizit von<br />

„Panelpflege“, was auf den Zusammenhang von<br />

Untersuchungsmethoden (in diesem Fall: einer<br />

Längsschnittuntersuchung) bzw. -design und<br />

dazu je affinen spezifischen Publikationsformen<br />

hinweist. Vergleichbares bzw. der Begriff<br />

der „Panelpflege“ findet sich auch in den Interviews<br />

mit Mitarbeitern des Teilprojekts zum<br />

Generationswechsel im Management und des<br />

Projekts zur Beschäftigung im Wandel. In den<br />

Teilprojekten zur Beschäftigung im Wandel<br />

und im Projekt zu Personaldienstleistungen<br />

spricht man explizit „vom Versuch einer Feed-<br />

Back-Broschüre“, welche die untersuchten<br />

Betriebe über wichtige Forschungsergebnisse<br />

informieren solle. Die Mitarbeiter des Projekts<br />

zur Beschäftigung im Wandel stellten<br />

sich laut Interview bei der Zusammenstellung<br />

der zu präsentierenden Daten die Frage: „Was<br />

könnte die Betriebe interessieren?“ Darauf hin<br />

wurden Themen für das Heft gewählt (wie der<br />

befragte Mitarbeiter im Interview mit leicht<br />

(selbst-)ironischem Unterton berichtet), „von<br />

denen wir glaubten, dass sie interessant für<br />

700 Betriebe sind“. Bei diesem Versuch sei<br />

man „allerdings zwischen Baum und Borke<br />

geraten“. Das heißt, dass die Ergebnisse einerseits<br />

für den einzelnen der 700 Betriebe nicht<br />

spezifisch genug, andererseits aber auch nicht<br />

so allgemein formuliert waren, dass sie jeden<br />

der Betriebe auf gleiche oder ähnliche Weise<br />

betrafen.<br />

Beteiligung an Diskursen und Diskussionen: Ein<br />

besonderes „kommunikatives Mittel“ in einem<br />

schon mehrfach angesprochenen Feld des<br />

Theorie-Praxis-Austausches stellt die<br />

Beteiligung an (fach-)öffentlichen<br />

Diskursen und Diskussionen dar. Ge-<br />

Seite page 47<br />

wünscht oder <strong>als</strong> Wunsch wenigstens<br />

implizit angedeutet wird in einigen<br />

Gesprächen mit Mitarbeitern einzelner Teilprojekte<br />

die Möglichkeit einer Teilnahme an<br />

thematisch einschlägigen wissenschaftlichen


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Diskussionen, die nicht zuletzt dazu verhelfen<br />

könnten, die Reputation des Teilprojekts - und<br />

damit mittelbar des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> insgesamt - zu heben. Allerdings (so äußern<br />

sich die Vertreter des Teilprojekts zum<br />

Generationswechsel im Management) dürfe<br />

man nicht vergessen, dass es im Wissenschaftssystem<br />

Konkurrenz zwischen Disziplinen (im<br />

Fall des Projekts zum Management: Ökonomie<br />

und Soziologie) und Schulen, die ihre jeweiligen<br />

„Vorurteile“ pflegten, gebe. So müsse<br />

man mit der Verbreitung seiner Ergebnisse<br />

auch unter dem Aspekt der missbräuchlichen<br />

Nutzung durch andere Mitglieder des Fachs<br />

bzw. der scientific community eher vorsichtig<br />

umgehen. Das gelte insbesondere dann, wenn<br />

sich das Projekt „auf umkämpftem Terrain“<br />

bewege. Als Beispiel führen die Mitarbeiter<br />

des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />

im Management den Globalisierungsdiskurs<br />

an: In diesem Kontext „müssen wir uns auch<br />

immer überlegen, wo wir einen Diskurs sozusagen<br />

affirmativ beschreiben und wo wir uns<br />

davon vielleicht ein bisschen absetzen, weil wir<br />

nun mal Managementsoziologen und keine<br />

Ökonomen sind“.<br />

Noch seltener - ausgeprägt laut Tätigkeitsbericht<br />

bei den Teilprojekten zum Fachkräftemangel<br />

und zur prekären Beschäftigung - ist im<br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> die Bereitschaft<br />

anzutreffen, sich an öffentlichen Diskussionen<br />

zu beteiligen, die in das politische Feld<br />

hinein reichen. Die von den Mitar-<br />

Seite page 48 beitern des Teilprojekt zum Generationswechsel<br />

im Management schon<br />

für wissenschaftliche Diskussionen<br />

angemerkten Probleme einer „missbräuchlichen<br />

Nutzung“ potenzieren sich hier (worauf<br />

im Weiteren noch zurückzukommen sein<br />

wird). Dazu äußern sich auch die Mitarbeiter<br />

des Teilprojekts zu Führungsgruppen, wenn es<br />

die Aufgabe des Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong><br />

hervorhebt, in bereits „laufenden praktischen<br />

Diskursen“ Anstöße im Sinne deskriptiver<br />

Aufklärung zu geben, „ohne dass die Fortsetzung<br />

der Diskurse (mit ihren Dominoeffekten)<br />

kontrolliert werden könnten“. Dann erreiche<br />

man Wirkungen, die sich sowohl der Kontrolle<br />

<strong>als</strong> auch der bloßen Wahrnehmung durch<br />

das Projekt entzögen. Auch mit Büchern, die<br />

sich mit „öffentlichen Reizthemen“ befassten,<br />

bekäme man (nach Aussage von Mitarbeitern<br />

aus diesem Teilprojekt) „Reaktionen aus der<br />

Mitte der Gesellschaft“. Diese Reaktionen<br />

können im Einzelfall recht „unmittelbar“, und<br />

aus wissenschaftlicher Sicht „unangemessen“,<br />

sein. Das habe - zum Beispiel im Kontext der<br />

Stiftung „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“<br />

- sicher auch damit zu tun, dass noch „Rechnungen<br />

offen sind“. Darin verwickelt zu werden<br />

„sei einem <strong>als</strong> Wissenschaftler manchmal<br />

unangenehm“.<br />

Ein weiteres Forum sind praktische Fachdiskurse,<br />

die in Arenen geführt werden, welche für interessierte<br />

Praktiker unmittelbar zugänglich sind.<br />

Auf entsprechenden Veranstaltungen, aber auch<br />

durch spezifisch adressierte Publikationen - so<br />

zum Beispiel im Teilprojekt zur Kinder- und<br />

Jugendhilfe, wo es im Interview heißt, der<br />

Projektleiter habe definitiv für die Praxis „ein<br />

Buch geschrieben“ 5 - lässt sich ein Transferweg<br />

für Projektergebnisse des Sonderforschungsbereichs<br />

in die Praxis eröffnen, denn „dann habe<br />

ich (<strong>als</strong> Wissenschaftler) schon einmal eine<br />

Eintrittskarte für dieses Praxisfeld“. Damit ist<br />

jedoch, so die übereinstimmende Auffassung<br />

unserer Interviewpartner, eine Einschränkung<br />

verbunden: „Dann muss man sich anders


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

verkaufen, <strong>als</strong> wir dies jetzt im Sonderforschungsbereich<br />

oder im soziologischen Institut<br />

tun“ (wie es ein Mitarbeiter des Projekts zur<br />

Kinder- und Jugendhilfe ausdrückt).<br />

Ein Beispiel dafür, dass im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />

auch gesellschaftspraktisch<br />

folgenreiche und politisch „wirkungsvolle“<br />

Veranstaltungen möglich sind, führen die<br />

Mitarbeiter des Teilprojekts zum Fachkräftemangel<br />

ins Feld: „Das Land Sachsen-Anhalt<br />

war dam<strong>als</strong> sehr daran interessiert, dass man<br />

die Ergebnisse den zuständigen Personalverantwortlichen<br />

direkt vorstellt. Es wurden dann<br />

vier regionale Konferenzen durchgeführt. Wie<br />

Wanderprediger haben wir da gesungen und<br />

haben Aha-Erlebnisse erzeugt, die im Gegensatz<br />

zum Bundestrend in Sachsen-Anhalt eine<br />

messbare Verbesserung der Situation herbeigeführt<br />

haben“ - das sei aber „ein Glücksfall“<br />

im Rahmen des Theorie-Praxis-Austausches<br />

gewesen.<br />

Eine letzte Austauschform in diesem Rahmen<br />

des Wissenstransfers stellen durch das Projekt<br />

initiierte kleine, interne Diskurse mit den Kooperationspartnern<br />

in der Praxis dar, die - wie<br />

schon erwähnt - regelmäßig an ein fallrekonstruktives<br />

Vorgehen in der Forschung anschließen.<br />

Am deutlichsten wird das im Teilprojekt<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe. Wie in allen<br />

Projekten des Sonderforschungsbereichs (mit<br />

Ausnahme des Teilprojekts zu Bewältigungsressourcen,<br />

in welchen ein Interventionsteil<br />

vorgesehen ist) beinhalte die Forschung auch<br />

hier kein „Praxisinterventionsdesign“: „Dass<br />

das, was wir herausbekommen, sowohl von den<br />

Inhalten wie auch von den Methoden her, für<br />

die Praxis relevant ist, hängt damit zusammen,<br />

dass die Jugendhilfepraxis und wir ungefähr<br />

identisch arbeiten. Denn wenn die Praxis gut<br />

arbeitet, arbeitet sie hermeneutisch-fallverstehend<br />

- und das machen wir auch, nur die<br />

Relevanzsetzung ist unterschiedlich. Daraus<br />

ergibt sich naturwüchsig die Möglichkeit,<br />

die Praxis an unseren Ergebnissen teilhaben<br />

zu lassen. Das sieht unter Umständen so aus,<br />

dass wir mit den Mitarbeitern in den Jugendämtern<br />

Fallsupervisionen durchführen.“ Auch<br />

das Teilprojekt zur Rehabilitation bezieht sich<br />

in Besprechungen mit Professionsgruppen auf<br />

reale Fälle (beim internationalen Vergleich unter<br />

Hinzuziehung von Fallvignetten ähnlicher<br />

praktischer Fälle des anderen Landes). Davon<br />

versprechen sich die Kooperationspartner<br />

Rückschlüsse für ihre Arbeit. Allerdings<br />

handele es sich eher um Kolloquien <strong>als</strong> um<br />

Fallsupervisionen, „weil es dafür einen Auftrag<br />

(incl. Bezahlung) durch das Team - ausgehend<br />

von deren Leidensdruck - geben müsste, mit<br />

dem Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />

arbeiten. Und einen solchen Auftrag<br />

gibt es nicht.“<br />

Im Gespräch mit Mitarbeitern aus diesem<br />

Teilprojekt, das mit dem Teilprojekt zur Kinder-<br />

und Jugendhilfe den Professionsbegriff<br />

teilt, werden wir des Weiteren auf die generell<br />

affinen Strukturbedingungen bestimmter Praxisfelder<br />

für diese Form des Theorie-Praxis-<br />

Austausches hingewiesen: Alle akademischen<br />

Professionen im therapeutischen und (sozial-)<br />

pädagogischen Sektor würden für sich<br />

anerkennen, „dass es eine Begründungspflicht<br />

für ihre Entscheidungen<br />

Seite page 49<br />

gibt, der zum Zeitpunkt der Entscheidung<br />

zwar nicht entsprochen, die<br />

aber sofort verständlich wird, wenn man sich<br />

einmal hinsetzt und sich die abgeschlossene<br />

Handlung anschaut“. Die Unterscheidung Le-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

benswelt und Forschung (Theorie und Praxis)<br />

funktioniere zwar, „aber man muss immer sehen,<br />

dass diese (untersuchte) Lebenswelt eine<br />

Lebenswelt von Professionen ist, welche für<br />

sich die Begründungspflicht akzeptiert“. Die<br />

Mitarbeiter des Projekts zur Rehabilitation<br />

sprechen auf ihren Forschungsbereich bezogen<br />

des Weiteren von „breiten Diskussionen“ und<br />

„Weiterbildungen“, in denen viele Ergebnisse<br />

weitergegeben würden. Als Beispiel führen die<br />

befragten Mitarbeiter an: „In dem Bereich des<br />

Projekts, in welchem individuelle Verläufe von<br />

Reha-Maßnahmen hermeneutisch untersucht<br />

wurden, haben wir sehr früh festgestellt: Hier<br />

gibt es Versorgungsabbrüche und danach ist<br />

es ein relatives Zufallsprinzip, was mit den<br />

Leuten weiter passiert“. Über die Frage, ob<br />

es überhaupt noch jemanden gäbe, der sich<br />

in den zuständigen Institutionen kontinuierlich<br />

für den Fall interessiere und ihn weiter<br />

verfolge, sei ein „praktischer Diskurs“ eröffnet<br />

worden, aus dem sich eine Intervention „in<br />

die Praxis der Uni-Klinik“ herleitete. Das war<br />

in diesem Fall „die Antwort der Praxis auf<br />

das Forschungsergebnis des Defizits in der<br />

Betreuung“, lautete das Resümee zu dieser<br />

Fallgeschichte im Interview.<br />

Spezifische Formen der praktischen Umsetzung:<br />

Das Beispiel des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />

verweist auf den Umschlag von Diskurs in<br />

Praxis. Im Rahmen von Interventionsstudien<br />

werden hier Interventionen durchgeführt,<br />

die von der Ethikkommis-<br />

Seite page 50 sion kontrolliert werden. Praktische<br />

Interventionen sind im Projekt zu<br />

den Bewältigungsressourcen von<br />

sozialem Wandel für die nächste, dritte<br />

Bewilligungsphase intendiert, während eine<br />

solche ursprünglich nicht intendierte Chance<br />

für „praktische Anwendungen“ - anhand derer<br />

zugleich wieder Material für weitere Analysen<br />

generiert werden könne - von einem Mitarbeiter<br />

des Teilprojekts zum Bürgerschaftlichen<br />

Engagement bereits in dieser zweiten Phase<br />

genutzt wurde. Im Projekt zu den Bewältigungsressourcen<br />

steht dieses Vorgehen im<br />

Kontext der psychologischen Methodologie,<br />

für die Experimente zum festen Kanon der<br />

empirischen Untersuchungsweise gehören.<br />

Als translational research - im Unterschied zu<br />

Grundlagenforschung, Auftragsforschung oder<br />

advocacy-research und Anwendungs- oder policy-related-Forschung<br />

- habe dieses Vorgehen<br />

in der Entwicklungspsychologie seinen festen<br />

Platz, heißt es im Interview. Der Theorie-<br />

Praxis-Transfer <strong>als</strong> soziale Intervention hat in<br />

diesem Zusammenhang für die Forschungspraxis<br />

dieses Projekts den Sinn, im Rahmen<br />

der projektförmigen Anwendung „praktische<br />

Maßnahmen anbieten und die Ergebnisse<br />

erkenntnistheoretisch härter überprüfen zu<br />

können“. Diese praktischen Maßnahmen würden<br />

„für bestimmte Gruppen - Risikogruppen<br />

mit besonders vielen Anforderungen und ganz<br />

besonders wenig Ressourcen - angeboten, um<br />

deren Lage zu verbessern.“ Zu diesem Zweck<br />

wurde bereits 2007 ein Vertrag mit einem<br />

„Schulsystem in Jena“ geschlossen. Die wichtigsten<br />

Inhalte seien: „Jugendliche ein Jahr vor<br />

dem Schulaustritt in Nicht-Gymnasien nehmen<br />

teil; Lehrer werden trainiert; Jugendliche<br />

sollen nach dem Life Skills Konzept Selbstdarstellung,<br />

Selbstwirksamkeit, Denken in<br />

Alternativen lernen. Das wird beobachtet und<br />

evaluiert.“ Bereits jetzt sei das Interesse „riesengroß,<br />

alle möglichen Leute wollen Ergebnisse<br />

sehen“. Der forschungspraktische Nutzeffekt<br />

dieser Kombination von sozialer Intervention<br />

und Längsschnittuntersuchung sei: „Am Ende


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

wissen wir mehr darüber, wie verbreitet sind<br />

bestimmte Anforderungen, wie verbreitet sind<br />

bestimmte Bewältigungsmuster, was sind die<br />

Kosten, welche Interventionsmöglichkeiten<br />

und welche Resultate gibt es dabei“. Soweit<br />

die Pläne eines Theorie-Praxis-Austausches<br />

im Teilprojekt zu den Bewältigungsressourcen<br />

von sozialem Wandel.<br />

Exkurs: Grundlagenforschung und Praxisberatung<br />

im Bereich von C4<br />

In diesem Exkurs behandeln wir exemplarisch<br />

die Frage, welche Erkenntnisse eine „praktische<br />

Anwendung“ in einem Teilprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

zeitigt. Auf der Grundlage der teilnehmenden<br />

Beobachtung eines unserer Projektmitarbeiter<br />

schildern wir im Folgenden kurz den Hergang.<br />

Ein in der Stadtteilarbeit bürgerschaftlich Engagierter,<br />

der von der fraglichen Untersuchung<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Kenntnis erhielt, bat einen Mitarbeiter<br />

des Projekts zum Bürgerschaftlichen<br />

Engagement, ihn bei seiner gemeinnützigen<br />

Arbeit zu unterstützen. Er mache seit fünf<br />

Jahren im Stadtteilbüro „breit gefächerte Netzwerkarbeit“.<br />

Darauf bezogen beschreibt er in<br />

einem Gespräch seinen Hilfewunsch wie folgt:<br />

„Vom Prinzip her hätte ich gern eine Hilfe, die<br />

auf das, was ich da mache <strong>als</strong> Netzwerkarbeit,<br />

einen Blick darauf hat, die die blinden Flecken<br />

von mir entdeckt, die über die Qualität dessen,<br />

was an Beziehungen läuft, nachdenkt. Solche<br />

Fragen hätte ich gern beleuchtet.“ Wie aus dem<br />

weiteren Gespräch zu ersehen ist, verspricht<br />

sich der „Netzwerker“ neben der konkreten<br />

Hilfe auch mehr Reputation für seine Stelle<br />

durch eine „wissenschaftliche Referenz.“ Der<br />

Mitarbeiter des Teilprojekts schlägt daraufhin<br />

vor, das Analyseinstrument der „kognitiven<br />

Karten sozialer Vernetzung“ für die Untersuchung<br />

der Stadtteilarbeit anzuwenden.<br />

Darauf geht der in der Stadtteilarbeit Engagierte<br />

zunächst nicht ein, sondern schildert<br />

noch einmal sein Problem: Dies bestünde darin,<br />

„die Leute überhaupt zu aktivieren“. Trotz<br />

all seiner Mühen gingen die Reaktionen auf<br />

seine Impulse gegen Null. Die eine Frage sei<br />

dann, wie die Leute die Arbeit sähen, und die<br />

andere, welche Instrumente und Möglichkeiten<br />

er habe bzw. welche neuen Wege er gehen<br />

könne. Denn das, was anfangs angestoßen<br />

wurde, habe sich nicht weiter entwickelt. Er<br />

könne fünf bis zehn Leute aktivieren, aber<br />

nicht mehr. Er finde im Moment auch nichts<br />

Neues mehr.<br />

Auf die Frage des Projektmitarbeiters, woran<br />

das liegen könne, kommt die Antwort: Es sei<br />

problematisch, dass die Leute die eigenen Interessen<br />

nicht nach außen tragen, die quasi <strong>als</strong><br />

Input für Stadtteilarbeit fungieren könnten.<br />

Aber Fernsehen, Garten, Bekanntschaften<br />

hätten einen so starken Eigenwert, den man<br />

ihnen nicht nehmen könnte. Wichtig sei bei<br />

seinen „Aktivierungsbemühungen“ auch, ob<br />

man die ehrenamtliche Arbeit <strong>als</strong> freiwillige<br />

Sonderleistung oder <strong>als</strong> Pflichtleistung deklariere.<br />

An der Antwort auf die Frage, was<br />

konkret gemacht werde, wird deutlich, dass die<br />

Maßnahmen der Stadtteilarbeit fast durchgängig<br />

<strong>als</strong> Partizipationsprojekt konzipiert<br />

werden. Angesichts der im Quartier<br />

herrschenden Mentalität ist es nicht<br />

unbedingt erstaunlich, dass solche<br />

Seite page 51<br />

Ideen zwar zuerst für gut befunden<br />

werden. Wenn der Initiator aber die<br />

Arbeit abgibt, komme sie ins Stocken, und<br />

auch die „Vernetzung“ der durchgeführten<br />

Projekte funktioniere „nicht richtig“. Zudem


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

gebe es Leute, so heißt es im Interview weiter,<br />

die sich engagieren wollten, aber die fänden<br />

„nicht das Richtige für sich“. Es komme dann<br />

nichts zustande.<br />

An dieser Stelle schlägt der Projektmitarbeiter<br />

eine quantitative Qualitäts- und Potenzialanalyse<br />

vor, um Kapazitäten zu eruieren und Inputs<br />

von außen (z.B. über Frequentierungsraten) zu<br />

erheben. Das sei etwas anderes, stimmt der Engagierte<br />

bei. Denn bisher sei das einzige, was<br />

komme, „immer so ein bisschen Gemeckere“.<br />

Auch sei die Frage wichtig, so der Mitarbeiter<br />

weiter, „wann der richtige Zeitpunkt“ sei,<br />

an welchem man „Mitbestimmung macht“:<br />

F<strong>als</strong>ch sei es, „wenn noch gar nichts konzipiert<br />

ist, da kann der Bürger überhaupt nichts sagen.<br />

Und auch nicht, wenn schon alle Tatsachen<br />

geschaffen sind und die Meinung der Bürger<br />

<strong>als</strong> Störung der Pläne empfunden wird“. Die<br />

nächste Frage des Projektmitarbeiters richtet<br />

sich auf mögliche Arbeitsmarktprojekte im<br />

Rahmen der Jugendarbeit. In diesem Quartier,<br />

so der Stadtteilarbeiter, sei das Problem<br />

der Jugendlichen weniger, überhaupt eine<br />

Lehrstelle zu bekommen, sondern die richtige.<br />

Außerdem gäbe es mehrere Problemgruppen.<br />

Zunächst die Gruppe, die grundsätzlich ein<br />

Problem hat, „eine Ausbildung“ zu finden.<br />

Dann gäbe es die Gruppe der f<strong>als</strong>ch Beratenen,<br />

woraus „riesige Resignationen resultieren“<br />

könnten. Und ein weiteres Problem seien die<br />

„vagabundierenden Jugendlichen“:<br />

„Wie bekommt man diese dazu, die<br />

Seite page 52 Aufmerksamkeit auf etwas Ernsthaftes<br />

zu richten?“ Das konkrete<br />

„Stadtteilproblem“ im Allgemeinen<br />

schließlich habe lange Zeit im Vorhandensein<br />

zweier Gruppen bestanden: Den „Säufern“<br />

und den „Glatzen“. Der Befragte erhoffe sich<br />

von den Mitarbeitern des <strong>SFB</strong> eine Erklärung.<br />

Auch hätte man im Stadtteilbüro noch gerne<br />

ein kleines „Netzwerk“-Projekt evaluiert - was<br />

aber nichts kosten dürfe -, das bereits seit vier<br />

Jahren „läuft“. Es habe die zwei Zielstellungen:<br />

Einerseits die Dienstleistungen zu fördern „in<br />

Richtung Unterstützung bei Antragsstellungen,<br />

Öffentlichkeitsarbeit usw.“ und andererseits<br />

Netzwerkarbeit - „in der Richtung, dass die<br />

einzelnen Projekte am Stadtteilbüro andocken<br />

und sich auch untereinander vernetzen“ - zu<br />

initiieren und zu stabilisieren. Man möchte<br />

hier in der Praxis zu gerne wissen, was man in<br />

diesen Punkten „geschafft“ habe, „was stark war,<br />

was schwach war“ - immer mit der Fragestellung,<br />

ob man über die (formale) Bilanzierung<br />

hinaus angeben könne, „wie fruchtbar das war<br />

und gegebenenfalls noch ist“.<br />

Angesichts der Eingangserzählung über die<br />

Situation der Stadtteilarbeit stellt insbesondere<br />

das letzte Anliegen eine Herausforderung für<br />

das Teilprojekt zum Bürgerschaftlichen Engagement<br />

dar: Wie ist angesichts der gehäuften<br />

Hinweise auf das Misslingen dieser Netzwerkarbeit<br />

eine längerfristige, die „Erhebungsbeziehung“<br />

stabilisierende informelle Beratung und<br />

Evaluation möglich? Der Projektmitarbeiter<br />

hebt so zunächst einmal die Schwierigkeiten<br />

einer Rekonstruktion der derzeitigen Problemsituation<br />

heraus. Zum einen müsse man<br />

die „Urszene“ kennen, um Erfolg und Misserfolg<br />

„abschätzen“ zu können. Zum anderen<br />

müsste die Komplexität im Gesamten einmal<br />

angeschaut werden, um das Potenzial ernsthaft<br />

benennen zu können. So etwas „gehe nun mal<br />

nicht ad hoc“. Deshalb plädiere er zuerst für<br />

die quantitative Qualitäts- und Potenzialanalyse,<br />

dann dafür, die Netzwerkperspektiven<br />

der unterschiedlichen beteiligten Akteure zu


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

rekonstruieren, um schließlich den Prozess der<br />

Vernetzung nachzuzeichnen. Vielleicht könne<br />

man auch noch den Versuch einer „bescheidenen<br />

Prognose“ anschließen.<br />

Der engagierte Stadtteilarbeiter reagiert etwas<br />

verblüfft auf diese Vorschläge. Das sei ein<br />

„seltsamer Lösungsweg“. Er könne sich weder<br />

vorstellen, dass ein Projektmitarbeiter „das<br />

ganz selbstlos“ machen wolle, noch verstehe<br />

er, warum seine Probleme beim <strong>SFB</strong>-Projekt<br />

so „angekommen“ seien. Seine Vorstellungen<br />

zielten auf praktische „Handlungsrezepte“ und<br />

eine „positive wissenschaftliche Referenz“ für<br />

die Öffentlichkeitsarbeit. Doch der Projektmitarbeiter<br />

zeigt die Grenzen professionellen<br />

wissenschaftlichen Arbeitens auf: „Nur was<br />

in unseren Möglichkeiten steckt, können wir<br />

machen“. Daraufhin lehnt der Stadtteilarbeiter<br />

eine Untersuchung der „Urszene“ mittels Interviews<br />

mit den ursprünglichen Initiatoren ab<br />

und beschränkt sein Interesse auf eine Rekonstruktion<br />

der Netzwerkstruktur mit Hilfe des<br />

kognitiven Kartenspiels: Mein Stadtteil und Ich.<br />

Dieser Untersuchungsschritt wird im Weiteren<br />

durchgeführt. Jetzt wird <strong>als</strong>o ein methodisches<br />

Erhebungsverfahren nicht zur Gewinnung<br />

sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern<br />

zu einer Form der Beratung eingesetzt. Diese<br />

Beratung hat dann den Sinn, dabei zu helfen,<br />

die (kognitiven) Voraussetzungen für praktische<br />

Schlüsse bei der Lösung konkreter Probleme in<br />

der ehrenamtlichen Arbeit zu schaffen.<br />

Wir ziehen aus diesem exemplarischen „Beratungsfall“<br />

hinsichtlich des Verhältnisses von<br />

Grundlagenforschung im Sonderforschungsbereich<br />

und „Beratungsbedürfnis“ der Praxis<br />

folgende Schlüsse:<br />

• Eine „offene“ Interviewführung scheint<br />

Vertrauen zu bilden und eine „Beratungswilligkeit“<br />

hervorzurufen.<br />

• Praktische Problemanfragen können eine<br />

neue Erhebungsphase initiieren.<br />

• Die professionelle Differenz von Wissenschaft,<br />

die an Wahrheit orientiert<br />

ist, einerseits und von Beratung, die auf<br />

praktische Erfolge abzielt, anderseits ist<br />

zu wahren.<br />

• Manche Erhebungsverfahren und methodischen<br />

Schritte sind multifunktional:<br />

Über ihre Zulässigkeit und ihren Handlungssinn<br />

entscheiden keine formalen<br />

Kriterien, sondern der Verwendungskontext<br />

mit seinen Relevanzstrukturen.<br />

• Der Wissenschaftler kann in die Situation<br />

geraten, unter der Hand zum „Lakaien“<br />

zu werden. Im konkreten Fall soll er auf<br />

der Grundlage eines technokratischen<br />

Verständnisses der Rolle von Wissenschaft<br />

Legitimation für ein wissenschaftlich<br />

nicht weiter zu problematisierendes<br />

Handeln „beschaffen“.<br />

d) Eine idealtypische Differenzierung der<br />

Kontexte und Wege des Wissenstransfers<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Acht Transfertypen<br />

Bis jetzt haben wir bedeutungsvolle<br />

Elemente des Praxisverständnisses<br />

Seite page 53<br />

und wichtige „kommunikative Mittel“<br />

des Theorie-Praxis-Austausches analysiert,<br />

wie sie in den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> auf der Grundlage<br />

der Anträge und insbesondere der Aussagen


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

in den Interviews eruiert werden konnten.<br />

Nun wenden wir uns der Rekonstruktion von<br />

konkreten Transferkontexten und Transferwegen<br />

zwischen empirischer Wissenschaft<br />

und gesellschaftlicher Praxis zu. Die für uns<br />

maßgeblichen Fragen an dieser Stelle sind:<br />

Mit welchem Verständnis können die Möglichkeiten<br />

und Probleme eines Wissenstransfers<br />

aus dem Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> in<br />

die untersuchten Praxisfelder wahrgenommen<br />

werden? Und welche möglichen praktischen<br />

Konsequenzen ergeben sich auf der Basis der<br />

Interviewaussagen daraus?<br />

Um diese Fragen zu beantworten, greifen wir<br />

auf die typenbildende Methodologie Max<br />

Webers zurück. Für Max Weber gründet bekanntermaßen<br />

die „verstehende“ Soziologie in<br />

der Bildung von Typen-Begriffen. Mit ihrer<br />

Hilfe versucht er generelle Regeln des sozialen<br />

Geschehens zu rekonstruieren. Das Material<br />

für diese Begriffsbildung entnimmt Weber<br />

den relevanten Realitäten des Handelns. Vor<br />

diesem Hintergrund haben wir bei unserer<br />

Typenbildung von Transfermodi darauf<br />

geachtet, dass die Rekonstruktion und die<br />

begriffliche Fassung gegenüber der konkreten<br />

Wirklichkeit der Aussagen und des Handelns<br />

nicht zu inhaltsleer bleiben. Deshalb stellen<br />

unsere Begriffsbildungen im Folgenden<br />

gewissermaßen deskriptive Typen dar, die<br />

allerdings auch darauf abzielen, der Eigenart<br />

jeder generalisierenden Wissenschaft,<br />

ihrem Abstraktionsgrad, ein Stück<br />

Seite page 54 weit gerecht zu werden und für die<br />

Arbeit im <strong>SFB</strong> typische Elemente<br />

des Argumentierens sowie typische<br />

Haltungen im Handeln herauszuarbeiten. Die<br />

Kehrseite dieser Strategie einer konkreten,<br />

materialnahen Typenbildung ist, dass wir die<br />

„Eindeutigkeit der Begriffe“, wie Weber sagen<br />

würde, nicht bis in die „höchsten Abstraktionsgrade“<br />

hinein gesteigert haben.<br />

Trotzdem stellen auch unsere Transfertypen<br />

„ideale“ Konstruktionen dar. Deshalb sei in<br />

diesem Kontext ausdrücklich darauf hingewiesen,<br />

dass alle Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

mehrere Transferwege kombinieren oder sie je<br />

nach Situation variieren. Das heißt, auch wenn<br />

unsere Typen vergleichsweise material gesättigt<br />

und konkret sind, stellt ein Transfertyp doch<br />

immer noch ein „Gedankengebilde“ dar, das<br />

bestimmte Beziehungen und Vorgänge der<br />

Projektforschung sowie des Wissenstransfers<br />

zu einer in sich widerspruchsfreien Gestalt<br />

gedachter Zusammenhänge vereinigt. 6 „Denn<br />

Zweck der idealtypischen Begriffsbildung ist<br />

es überall, nicht das Gattungsmäßige, sondern<br />

umgekehrt die Eigenart von Kulturerscheinungen<br />

scharf zum Bewusstsein zu bringen.“ (Weber<br />

1988a: 202) Damit tritt Max Weber dem<br />

„naturalistischen Vorurteil“ entgegen, dass das<br />

Ziel der Sozialwissenschaften die Reduktion<br />

auf „Gesetze“ sein müsse. Für unsere Untersuchung<br />

hieße das zum Beispiel, dass aus einem<br />

Praxisbegriff, der im „kollektiven Gedächtnis“<br />

eines Forschungsprojekts verankert ist, ein<br />

bestimmter Transferweg oder ein distinktes<br />

Transferverständnis szientifischen Wissens<br />

„gesetzmäßig“ folgt. Der Idealtypus, wie wir<br />

ihn hier verstehen, dagegen ist, um noch einmal<br />

Weber (1988a: 194) zu zitieren, nicht dazu<br />

da, „<strong>als</strong> ein Schema zu dienen, in welches die<br />

Wirklichkeit <strong>als</strong> Exemplar eingeordnet werden<br />

sollte. (…) Solche Begriffe sind Gebilde, in welchen<br />

wir Zusammenhänge unter Verwendung<br />

der Kategorie der objektiven Möglichkeiten<br />

konstruieren, die unsere, an der Wirklichkeit<br />

orientierte und geschulte Phantasie <strong>als</strong> adäquat


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

beurteilt.“ In diesem Sinne konstruieren wir<br />

deshalb typische Transferwege aus Elementen,<br />

auf die wir in unterschiedlichen Interviews<br />

mit Mitarbeitern der einzelnen Teilprojekte<br />

gestoßen sind.<br />

Zunächst geben wir eine Übersicht über die<br />

Kontexte und Wege des Wissenstransfers im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>:<br />

Transfertyp 1<br />

Grundlagenforschung mit aktueller gesellschaftlicher Themenrelevanz<br />

Transfertyp 2<br />

Grundlagenforschung mit nicht explizit intendierten Anwendungsbezügen.<br />

Transfertyp 3<br />

Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleit- und Folgeprojekten<br />

Transfertyp 4<br />

Grundlagenforschung mit praktischen Vermittlungsaufgaben von und an Entscheidungsinstanzen<br />

Transfertyp 5<br />

Grundlagenforschung auf der Suche nach öffentlichem Interesse<br />

Transfertyp 6<br />

Grundlagenforschung mit allgemeiner Datenpräsentation im Untersuchungsfeld<br />

Transfertyp 7<br />

Grundlagenforschung mit eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />

Transfertyp 8<br />

Grundlagenforschung mit konkreter Theorie-Praxis-Rückkopplung<br />

Im Folgenden charakterisieren wir die einzelnen<br />

Typen des Wissenstransfers unter<br />

Rückgriff auf konkrete Aussagen in unseren<br />

Interviews.<br />

Transfertyp 1: Grundlagenforschung mit aktueller<br />

gesellschaftlicher Themenrelevanz. Behandelt<br />

ein Forschungsprojekt ein Thema,<br />

das unmittelbar anschlussfähig ist an ein<br />

bereits vorhandenes gesellschaftliches Interesse<br />

oder an eine soziale Problemlage, dann<br />

konstituiert dies einen spezifischen Kontext<br />

des Wissenstransfers. Wie die Erfahrungen<br />

im Sonderforschungsbereich zeigen, spielt<br />

dabei die „Bildungsgesetzlichkeit“ dieses Interesses<br />

eine erhebliche Rolle. So kann ein tief<br />

sitzendes gesellschaftliches Interesse, das sich<br />

selbst noch im Stand der „virulenten Latenz“<br />

durch Forschungsergebnisse „angesprochen“<br />

fühlt, mit einer Form des sozialen Interesses<br />

kontrastiert werden, das durch aktuelle<br />

„Skandale“ hervorgebracht wird und mit dem<br />

zeitlichen Abstand zu dieser „Erregungsszene“<br />

wieder verschwindet.<br />

Das Teilprojekt zu Führungsgruppen<br />

beschäftigt sich retrospektiv mit den<br />

Seite page 55<br />

Ausgangsbedingungen des Transformationsprozesses<br />

in Ostdeutschland.<br />

Auf den ersten Blick mag deshalb kein Praxisbezug<br />

erkennbar sein - aber hinsichtlich<br />

konkreter Fragen zu gegenwärtigen Elite-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

strukturen besteht dieser ohne Frage: „Funktionseliten<br />

der DDR bilden ja einen nicht<br />

unerheblichen Anteil an der Elitenstruktur<br />

im vereinigten Deutschland“, heißt es im<br />

Interview. Dabei gehe es um die „aufsummierte<br />

Vergangenheit“ der „Vorprägungen,<br />

Kompetenzen, Kapazitäten der DDR-Eliten,<br />

die heute noch nachwirken.“ Deren auch nur<br />

quantitativ orientierte Auswertung „besitze“<br />

- aus leicht nachvollziehbaren Gründen -<br />

„hohe öffentliche Aufmerksamkeit“. Ihre<br />

„Resonanzen“ seien zum Teil „heftig“, zum<br />

Beispiel deshalb, weil „die Elitenkontinuität<br />

(im Osten) gar nicht wahrgenommen wurde<br />

und wird und man bis heute davon ausgeht,<br />

dass die DDR-Eliten einfach verschwunden<br />

und durch westdeutsche ersetzt wurden.“ Für<br />

solche Forschungsergebnisse müsse nicht „die<br />

Trommel gerührt werden“ - sie träfen auf<br />

einen durch den Systemumbruch gegebenen<br />

„gesellschaftlichen Resonanzboden“. Die Mitarbeiter<br />

im Projekt zu Delegationseliten betonen<br />

entsprechend, dass Sozialforscher nicht<br />

ihr Thema „aus eigener Machtvollkommenheit“<br />

der Öffentlichkeit „aufzwingen“ können.<br />

Denn Aufmerksamkeit zu erzeugen sei nur<br />

möglich, wenn in der öffentlichen Diskussion<br />

„das Thema sowieso gerade diskutiert“ werde.<br />

Die Mitarbeiter des Teilprojekts zu Kultureliten<br />

sagen im Interview, dass sie mit ihren<br />

Forschungsergebnissen mit jenen Teilen der<br />

Öffentlichkeit „in ein Gespräch eintreten“<br />

könnten, in denen das Thema<br />

Seite page 56 „Generation“ (bereits) aktuell sei. Auf<br />

diese Weise wird wieder auf eine soziale<br />

Differenzierungsdimension der<br />

Untersuchungsthematik verwiesen. Es gibt in<br />

diesem Zusammenhang aber auch eine zeitliche<br />

Dimension, wie der Fall des Teilprojekts<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe zeigt. Die ersten<br />

fünf Jahre forschte dieses Projekt mehr oder weniger<br />

abseits vom Blick der Öffentlichkeit. Mit<br />

der Verlagerung des Forschungsschwerpunkts<br />

auf das Thema der Kindeswohlgefährdung änderte<br />

sich dies, <strong>als</strong> (nach der Ausarbeitung des<br />

Projektantrags für die dritte Förderphase im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>) einige öffentlichkeitswirksame Fälle<br />

von Kindeswohlgefährdung in den Medien behandelt<br />

und vor Gerichten verhandelt wurden.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung erhöht<br />

die Langfristigkeit von Forschungsprozessen<br />

die Chance auf das Zusammentreffen von<br />

wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanzen.<br />

Wir fassen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />

dieses ersten Typus eines Theorie-Praxis-<br />

Austausches zusammen:<br />

• Der erste typische Transferweg von<br />

Forschungsergebnissen in die Praxis ist<br />

dadurch gekennzeichnet, dass Öffentlichkeit<br />

und Praktiker an den Ergebnissen<br />

bereits „vorinteressiert“ sind,<br />

• weil das Thema in der Gesellschaft und<br />

im Praxisfeld <strong>als</strong> relevant „besetzt“ ist,<br />

• entweder aus sozialhistorischen und<br />

-strukturellen Gründen, womit ein eher<br />

langfristiges Interesse verbunden ist,<br />

• oder aufgrund aktueller Skandale, die nur<br />

kurzfristig die öffentliche Aufmerksamkeit<br />

erregen.<br />

Transfertyp 2: Grundlagenforschung mit nicht<br />

explizit intendierten Anwendungsbezügen.<br />

Ein zweiter möglicher Transferweg von For-


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

schungsergebnissen der Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> besteht darin, dass<br />

die Praxis die Resultate der wissenschaftlichen<br />

Analysen aufgreift, weil ihr die Forschung<br />

Daten zur Verfügung stellen kann, welche die<br />

Praktiker interessant finden und für ihr Tun<br />

„brauchen“, aber nicht selbst erheben und für<br />

praktische Entscheidungen „bereitstellen“<br />

können.<br />

Wir nähern uns diesem Transferkontext mit<br />

folgendem Beispiel: Das Teilprojekt zu Delegationseliten<br />

stellt wichtige Projektergebnisse<br />

einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten in<br />

Berlin vor. In der Diskussion sei unter anderem<br />

das Bestreben der Politiker zu merken gewesen,<br />

die Ergebnisse „direkt in politisches Handeln<br />

umzumünzen“. Daran könne man sehen, so<br />

der befragte Mitarbeiter, wie „Politik sozialwissenschaftliche<br />

Ergebnisse in ihren Code<br />

umdenkt“. Daraus ziehe dieses Teilprojekt für<br />

sich die Konsequenz: „Wir geben keine Handlungsanweisungen.“<br />

Denn man könne nicht<br />

erwarten, „dass das in der wissenschaftlichen<br />

Lesart gelesen wird, aber es wird geguckt, welche<br />

Ergebnisse kann ich gebrauchen, welche<br />

Ergebnisse sind mir politisch nützlich.“ Auf den<br />

Wissenstransfer in die Praxis bezogen deuten<br />

sich, so der Interviewte, folgende Konsequenzen<br />

an: Wegen der Theorie-Praxis-Differenz<br />

müsse man auf die Fähigkeit der Praktiker<br />

(hier der professionellen Politiker) vertrauen,<br />

die sozialwissenschaftlichen Ergebnisse für das<br />

Handeln im polischen System so recodieren zu<br />

können, dass sie praxisrelevant werden, ohne<br />

dass man <strong>als</strong> Wissenschaftler im Feld direkte<br />

Deutungen und Anleitungen mitgeben könne<br />

und solle.<br />

Die Mitarbeiter des Teilprojekts zum Fachkräftemangel<br />

bringen im Gespräch mit uns<br />

sehr deutlich die konkrete Vorstellung zum<br />

Ausdruck, es sei eine wichtige Aufgabe der<br />

Sozialforschung, relevantes Wissen zu „produzieren“,<br />

das im praktischen Feld „nützlich“<br />

werden könne, aber dort weder vorhanden<br />

noch „unmittelbar generierbar“ sei. Auch die<br />

im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />

Befragten sprechen davon, dass die Praktiker<br />

immer über Forschungsergebnisse informiert<br />

würden, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen,<br />

auf eine breitere Wissensbasis gestützt<br />

praktische Entscheidungen treffen zu können.<br />

Dieser Wissenstransfer geschehe aber nur<br />

indirekt, während eine direkte Praxisrelevanz<br />

des Projekts gar nicht erwünscht sei und so<br />

auch nicht angestrebt werden könne. „Es ist<br />

alles möglich, aber man kann nicht sagen,<br />

was tatsächlich (in der Praxis) konkret rauskommt“.<br />

Es könnten aus der Forschung zum<br />

Beispiel Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz<br />

erwachsen. Damit würden im Projekt<br />

regulierungsrelevante Inhalte thematisiert, für<br />

deren Umsetzung zu sorgen aber nicht das<br />

zentrale Ziel des Projekts sei. Anwendungsbezüge<br />

ergäben sich aber mittelbar dadurch, dass<br />

die wesentlichen Interessenpositionen selbst<br />

zum Gegenstand der Analyse werden und<br />

Forschungsergebnisse zum Teil „bewusst entsprechend<br />

dieser Positionen kommuniziert“<br />

würden. Insofern sei im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />

die klassische Trennung<br />

zwischen Grundlagenforschung und<br />

Anwendungsforschung in solchen<br />

Fragen nicht mehr möglich.<br />

Noch weiter gehen die Aussagen<br />

der Mitarbeiter des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt<br />

im öffentlichen Sektor, wo es im<br />

Interview heißt: Im Sonderforschungsbereich<br />

Seite page 57


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

<strong>580</strong> sei man natürlich im Bereich der Grundlagenforschung<br />

tätig. So sehe man sich auf<br />

der einen Seite verpflichtet, gute theoretische<br />

Konzepte und Methoden zu entwickeln. „Die<br />

andere Seite ist, dass man auch sieht, dass es<br />

Probleme gibt. Probleme haben ihre eigene<br />

Logik, sie drängen danach, dass man etwas<br />

macht. Diesen Handlungsdruck muss man<br />

aufgreifen, indem man zumindest in Teilen<br />

des Projekts systematisch fragt: Was sind<br />

die Handlungskonstellationen der Akteure,<br />

die ich untersuche und in welcher Richtung<br />

könnte man Handlungsoptionen entwickeln?<br />

Wir können hier auch in Richtung Umbau<br />

von Institutionen denken, das kann ein normaler<br />

Akteur nicht.“ Insofern würden dann<br />

Daten bereitgestellt, die der Praxis sonst nicht<br />

zugänglich wären. Aber: „Die Akteure müssen<br />

dann selbst etwas ändern beziehungsweise<br />

handeln“.<br />

Ein letztes Beispiel zur Veranschaulichung<br />

dieses Transferwegs finden wir im Interview<br />

mit den Mitarbeitern des Teilprojekts zur<br />

Rehabilitation. Dort wird - ähnlich wie im<br />

Gespräch mit den Mitarbeitern des Teilprojekts<br />

zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />

Sektor - darauf hingewiesen, dass die Projektarbeiten<br />

einen „Reflexionsraum“ schaffen<br />

würden, in dem Ergebnisse „gelesen und sofort<br />

verstanden werden“ könnten. Die daraus<br />

möglichen praktischen Schlüsse und deren<br />

Umsetzung allerdings könnten aus<br />

Sicht der Projektgruppe fraglich sein.<br />

Seite page 58 Folgendes Beispiel wird dafür herangezogen:<br />

„Im Gesundheitswesen ist<br />

die Zersplitterung so groß, dass ein<br />

Handelnder, ein Mitglied der behandelnden<br />

Professionen, gar nicht weiß, was aus dem<br />

(Patienten) auf der nächsten Station wird. Er<br />

sieht aus der Forschung - zum Teil zum ersten<br />

Mal -, was aus den Fällen wird.“ Derartige<br />

Forschungsergebnisse seien deshalb „ein Reflexionsangebot<br />

für die Praxis“, was für viele<br />

Praktiker „spannend“ sei.<br />

Fassen wir noch einmal die wesentlichen<br />

Bestandteile dieses zweiten Typus eines Praxistransfers<br />

zusammen:<br />

• Die Projektergebnisse sind aufgrund der<br />

Thematisierungsweise und des methodischen<br />

Vorgehens auch für Praktiker von<br />

Interesse.<br />

• Sie werden in den Projekten nur bedingt<br />

für Praktiker aufbereitet, da dies nicht<br />

zum „Auftrag“ eines <strong>SFB</strong>-Projekts gehört<br />

und die Ergebnisse des Projekts von der<br />

Praxis ohnehin im Licht ihrer eigenen<br />

Interessen recodiert werden.<br />

• Im positiven Fall schafft diese Form des<br />

Wissenstransfers für die Praxis einen neuen<br />

oder erweiterten Reflexionsraum<br />

• oder sie ermöglicht sogar praktische<br />

Konsequenzen aufgrund der durch die<br />

Forschung veränderten entscheidungsrelevanten<br />

Datenlage.<br />

Transfertyp 3: Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen<br />

Begleit- und Folgeprojekten.<br />

Bei diesem dritten Typus werden grundlagentheoretische<br />

Ergebnisse nicht direkt, sondern<br />

vermittelt über jene Teile des Wissenschaftssystems<br />

und der Forschungspraxis, die einen<br />

unmittelbaren Praxisbezug haben, in die Lebenswelt<br />

„eingespeist“. Diese Praxisforschungsund<br />

Beratungsprojekte sind auf der einen Seite


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

auf die Ergebnisse der Grundlagenforschung<br />

angewiesen, stellen dann aber auf der anderen<br />

Seite <strong>als</strong> vermittelnde oder intermediäre Analyseschritte<br />

die Verbindung zwischen Theorie<br />

bzw. Grundlagenforschung und Praxis her.<br />

Eine erste Annäherung an diesen Transferweg<br />

zeigt sich uns in den Gesprächen mit Mitarbeitern<br />

des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt<br />

im öffentlichen Sektor. Die Befragten sehen<br />

einerseits große Probleme im Transfer von<br />

Projektwissen aus der Grundlagenforschung<br />

in die Praxis. Andererseits gebrauchen sie das<br />

Bild von „Kaskaden“ im Fluss des Austausches<br />

von Theorie (oben) und Praxis (unten). Eine<br />

Form, diese „Kaskaden“ zu überbrücken - so<br />

die Erfahrungen im Projekt -, seien anwendungsbezogene<br />

Abschluss- und Qualifizierungsarbeiten,<br />

die ihren Ausgang von den<br />

Fragestellungen des Sonderforschungsbereichs<br />

bzw. des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />

Sektor nähmen, dann aber konkrete<br />

Praxiskontakte herstellten, in denen sich auch<br />

ein Wissenstransfer ereigne. Zum Beispiel<br />

ergaben sich in einem Fall zuerst, so wird uns<br />

erzählt, über eine Projektmitarbeiterin Kontakte<br />

im politischen Feld, „dann gehen Studenten<br />

dort in die Praxis und machen entsprechende<br />

Diplomarbeiten“, deren Ergebnisse dann die<br />

Praktiker unmittelbar interessierten.<br />

Die Idee einer „schrittweisen Vermittlung“<br />

von Theorie und Praxis durch angewandte<br />

und Auftragsforschung taucht aber - vielleicht<br />

gerade - auch beim sich völlig <strong>als</strong> „unpraktisch“<br />

verstehenden Teilprojekts zur strategischen<br />

Interaktion auf, von dem die Mitarbeiter im<br />

Interview sagen, es sei „wahrscheinlich im<br />

<strong>SFB</strong> sehr viel extremer grundlagentheoretisch<br />

angelegt“ <strong>als</strong> alle anderen Projekte. Für dieses<br />

Teilprojekt sei vielleicht die Interdisziplinarität<br />

typisch, aber auf keinen Fall seien es<br />

„Transferleistungen in die Praxis“. Denn<br />

die ökonomischen Modelle, mit denen das<br />

Projekt bei seinen Experimenten arbeite,<br />

„sind sehr weit von der Realität entfernt. Wir<br />

formalisieren und mathematisieren die Dinge<br />

sehr stark und gehen damit in die Labore.<br />

Deshalb sind wir nicht die direkten Transferierer“.<br />

Die „Überbrückung“ könne eigentlich<br />

nur indirekt „gehen“, und zwar über Stufen<br />

der Anwendungsforschung und der Beratung.<br />

Die Ansatzstellen dazu würden jedoch bei<br />

entsprechender Fortführung der Experimente<br />

und Auswertung ihrer Ergebnisse mehr<br />

und mehr deutlich. So heißt es im Interview<br />

weiter: Auch anwendungsorientierte Forschungsfragen<br />

könnten die Mitarbeiter dieses<br />

Teilprojekts „spieltheoretisch analysieren“ und<br />

„experimentell umsetzen“. Man entwickele<br />

dann erst einmal „einen Prototyp und den<br />

kann man dann allmählich variieren“. Dann<br />

müsse aber erst noch „eine ganze Sequenz von<br />

Studien kommen, um dann robust postulieren<br />

zu können, was (praktisch) wichtig ist“.<br />

Die Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />

sprechen direkter von einem<br />

„Reflexionsangebot an die Praxis“, das im<br />

Rahmen der Grundlagenforschung möglich<br />

sei, verweisen aber auch auf die vielen anderen<br />

„Interventionsprojekte“ im Rahmen der Auftragsforschung,<br />

die am medizinsoziologischen<br />

Lehrstuhl durchgeführt<br />

würden. Stoße man im Rahmen der<br />

Seite page 59<br />

<strong>SFB</strong>-Forschung auf ein wichtiges<br />

praktisches Problem, sei es durchaus<br />

möglich, dass aus der Grundlagenforschung<br />

ein Interventionsprojekt „abgeleitet werde“,<br />

das versuche, „vernünftige“ Lösungen für die-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

ses Problem anzuregen oder zu unterstützen.<br />

Für das Teilprojekt zur Rehabilitation stellt<br />

deshalb die anwendungsorientierte Interventionsforschung<br />

eine der wichtigsten „Brücken“<br />

im Theorie-Praxis-Austausch dar.<br />

Das gilt organisatorisch in fast noch stärkerem<br />

Maße für das Teilprojekt zum Fachkräftemangel.<br />

Dessen „primordiale“ Praxisorientierung<br />

kommt nicht nur dadurch zur Geltung, dass<br />

es seinen Untersuchungsgegenstand nach<br />

Maßgabe der gesellschaftspraktischen Relevanz<br />

auswählt, sondern auch dadurch, dass<br />

die Integration der Grundlagenforschung<br />

in einen Verbund mit Anwendungs- und<br />

Auftragsprojekten erfolgt. So erfahren wir im<br />

Interview: Wenn ein gesellschaftspraktisches<br />

Problem Gegenstand sozialwissenschaftlicher<br />

Forschung werde, dann versuchten die Projektverantwortlichen,<br />

hier „einiges“ zu tun.<br />

„Aber nicht so sehr im unmittelbaren Kontext<br />

des <strong>SFB</strong>, der eher im Sinne des grundlagentheoretischen<br />

Forschungsauftrages der DFG<br />

auf Wissenserzeugung angelegt ist, sondern<br />

eher in parallelen Projekten“. In solchen anwendungsorientierten<br />

Projekten analysierten<br />

dann Arbeitsgruppen praktische Problemlagen,<br />

um daraus den potentiellen Handlungsbedarf<br />

zu antizipieren, den sie in der jeweiligen<br />

Öffentlichkeit bzw. Fachöffentlichkeit publik<br />

zu machen versuchten. Dieses Vorgehen<br />

setze allerdings einen institutionellen „Unterbau“<br />

voraus, der speziell durch die<br />

„Anbindung“ des Teilprojekts zum<br />

Seite page 60 Fachkräftemangel an das Zentrum<br />

für Sozialforschung Halle gegeben<br />

sei. Deshalb werde es möglich, „auf<br />

Synergien zwischen verschiedenen Projekten<br />

zu setzen“. So bildeten der Sonderforschungsbereich<br />

und dieses Teilprojekt „in ihrer grundlagentheoretischen<br />

Orientierung die Basis, auf<br />

der ergänzende Projekte anwendungsorientiert<br />

aufsatteln“. Konkrete Beispiele hierfür seien<br />

Projekte zur „demografischen Falle“ auf dem<br />

ostdeutschen Arbeitsmarkt, „wo es darum geht,<br />

Nachwuchskräftepools in bestimmten Branchen<br />

zu organisieren“, oder eine Befragung<br />

von ostdeutschen Betrieben zur betrieblichen<br />

Berufsausbildung. Diese Befragung im Teilprojekt<br />

zum Fachkräftemangel wurde 2006<br />

durch Landesmittel um eine praxisorientierte<br />

Zusatzbefragung in Sachsen-Anhalt ergänzt,<br />

deren Ergebnisse „heute gezielt in die Politik<br />

des Landes eingespeist“ würden. Insgesamt<br />

zeige die Erfahrung in diesem Projekt seit Bestehen<br />

des Sonderforschungsbereichs, „dass es<br />

sinnvoll ist, parallel zum <strong>SFB</strong> anwendungsbezogene<br />

Projekte zu installieren, die stärker auf<br />

die Handlungsprobleme der einzelnen Betriebe<br />

zugeschnitten sind, <strong>als</strong> das im <strong>SFB</strong> möglich<br />

ist“. Die Forschung (im Bereich des Fachkräftemangels)<br />

sei deshalb dreistufig: Grundlagen-,<br />

Anwendungsforschung, „Einfließen in<br />

die gesellschaftliche Praxis“. Aber das gehe<br />

nur unter der Voraussetzung, dass das <strong>SFB</strong>-<br />

Projekt in einem größeren Forschungskontext<br />

laufe, „weil man sich nicht zerreißen kann“.<br />

Allerdings zeigten sich bei einem solchen Forschungsverbund<br />

Vorteile wie Gefahren. Auf<br />

der einen Seite könnten <strong>SFB</strong>-Mitarbeiter in<br />

der Praxisforschung mehr über konkrete Problemlagen<br />

erfahren, ihre Sachkenntnis vertiefen<br />

und neue Fragestellungen kennen lernen. Auf<br />

der anderen Seite sei die Kombination von<br />

Grundlagen- und Auftragsforschung in einem<br />

Institut „natürlich ein Spiel, das nicht einfach<br />

zu spielen ist. Denn das Risiko, dass man in<br />

die reine Auftragsforschung abwandert, abdriftet<br />

sozusagen, ist genau so existent wie das<br />

Komplementärrisiko, dass man sich sozusagen


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

in der Grundlagenforschung einigelt. Und dazwischen<br />

in der Mitte, das muss immer wieder<br />

ausgehandelt werden, auch intern“. Darüber<br />

hinaus dürfe aber bei einem breit angelegten<br />

Forschungsverbund auch nicht der Schein<br />

erweckt werden, „man würde <strong>SFB</strong>-Mittel nutzen,<br />

um Auftragsforschung zu subventionieren.<br />

Das Interessante ist das Zusammenspiel, ein<br />

kontrolliertes Zusammenspiel von zwei Typen<br />

wissenschaftlichen Arbeitens, die sich auf<br />

das gleiche Objekt richten, die sich insofern<br />

wechselseitig befruchten und die bei diesem<br />

Projekt zur Folge haben, dass wir mit relativ<br />

bescheidenen Ressourcen die empirische Basis<br />

unseres <strong>SFB</strong> deutlich erweitern, und haben<br />

gleichzeitig aus dem <strong>SFB</strong> eine Menge Ideen,<br />

Hypothesen, Fragestellungen gewissermaßen,<br />

die in der praktischen, anwendungsorientierten<br />

Forschung von Nutzen waren“.<br />

Schließlich wird noch die „offene“ Grenze zwischen<br />

Sozialwissenschaft und Sozialtechnokratie<br />

(Gadamer bezeichnet diesen Bereich oben<br />

<strong>als</strong> social engineering) angesprochen, die bei<br />

diesem Transferweg aus strukturellen Gründen<br />

besonders „offen“ sein muss. Denn bei dieser<br />

Präferenz für den „Theorie-Praxis-Verbund“<br />

gehe es auch um das Selbstverständnis der Mitarbeiter<br />

des Projekts zum Fachkräftemangel <strong>als</strong><br />

Sozialwissenschaftler im Spannungsfeld von<br />

Aufklärung und Sozialtechnologie einerseits<br />

sowie Beratung und Handlungsempfehlung<br />

andererseits. Beides sei wesentlich für die Existenz<br />

der Soziologie. „Die Spannung ist wohl<br />

überhaupt das Reizvolle, weil die Trennung<br />

vom reinen Wissenschaftler und Ingenieur<br />

nicht vollzogen ist. Es ist vorstellbar, dass es<br />

einen guten Forscher gibt, der auch ein bisschen<br />

noch ingenieurmäßig denken kann. Oder<br />

gute Ingenieure, erfolgreiche Ingenieure, die<br />

noch in der Lage sind zu verfolgen, was in der<br />

Forschung vor sich geht.“ Aber alles in allem<br />

sei es schon „ein Risikospiel, weil man immer<br />

in der Gefahr ist, in eine der beiden Rollen<br />

zu fallen“.<br />

Wir fassen die wesentlichen Merkmale dieses<br />

dritten Transfertyps zusammen:<br />

• Die Projektergebnisse sind aufgrund der<br />

Praxisferne von Grundlagenforschung<br />

einerseits und der Bezogenheit auf<br />

gesellschaftliche Probleme andererseits<br />

für Anwendungs- und Interventionsforschung<br />

von Interesse, die von der Grundlagenforschung<br />

abgeleitet werden.<br />

• Erst mit diesem zweiten Schritt einer<br />

Auftragsforschung wird ein mittelbarer<br />

Kontakt zwischen der Grundlagenforschung<br />

des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und der sozialen<br />

Praxis im Untersuchungsfeld hergestellt.<br />

• Werden die professionellen Grenzen<br />

zwischen Grundlagen-, Anwendungsforschung<br />

und Praxisberatung respektiert,<br />

können sich Wissenstransfers einstellen,<br />

welche die Autonomie und das Selbstverständnis<br />

der jeweiligen Handlungsstufe<br />

zwischen Theorie und Praxis nicht<br />

tangieren, und die Trennung von Sozialwissenschaft<br />

und Sozialtechnokratie<br />

nicht „einreißen“.<br />

• Bei einem zu engen Verbund<br />

Seite page 61<br />

von Grundlagen- und anwendungsbezogener<br />

Forschung<br />

besteht die Gefahr, dass die Grundlagenforschung<br />

nicht mehr zu „grundsätzlichen<br />

Erkenntnissen“ gelangt (welche die


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Anwendungsforschung anzuregen in der<br />

Lage sind) und die Praxisforschung zu<br />

abstrakt bleibt, so dass sie das geforderte<br />

Maß an konkreter Problemrelevanz nicht<br />

mehr gewährleisten kann. Forschung<br />

genügt in diesem Fall weder den rein<br />

wissenschaftlichen noch den technokratischen<br />

Ansprüchen i. S. eines social<br />

engineering.<br />

Transfertyp 4: Grundlagenforschung mit<br />

praktischen Vermittlungsaufgaben von und an<br />

Entscheidungsinstanzen. Ein wichtiger Weg<br />

der Wissensübermittlung und Praxisrelevanz<br />

der Forschung im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> stellt der folgende<br />

vierte Typus dar, der sich in etwa so charakterisieren<br />

lässt: Die Teilprojekte erheben Daten<br />

aus einem Praxisfeld X und stellen sie Akteuren<br />

bzw. Verantwortlichen in einem Praxisfeld<br />

P zur Verfügung, damit diese Konsequenzen<br />

für ihr Handeln ziehen können. Verbunden<br />

damit ist die Erwartung oder Hoffnung, mit<br />

dieser Interventionsform von Wissenschaft die<br />

materiale Rationalität von Entscheidungen in<br />

gesellschaftlichen Organisationen verbessern<br />

zu können.<br />

Dieser Transferweg kann verdeckt und nach<br />

außen unauffällig sein. So orientieren sich die<br />

Mitarbeiter des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />

im Management am „Weberschen<br />

Ideal der zweckfreien Forschung“. Denn es<br />

gehe ihnen nicht darum, „unter der<br />

Perspektive des Anwendungsbezugs<br />

Seite page 62 Design, Fokus und Interessen (der<br />

Untersuchung) zu verändern, sondern<br />

lediglich und in der Hauptsache um<br />

die Produktion neuen wissenschaftlichen<br />

Wissens, das Anschlüsse für weitere wissenschaftliche<br />

Forschungsfragen bieten kann“.<br />

Die praktische Relevanz liege dagegen eher<br />

implizit in der Formulierung des Forschungsinteresses.<br />

Deshalb denken die Mitarbeiter dieses<br />

Teilprojekts, wenn sie explizit von der Frage<br />

der „Übersetzungssphären“ sprechen, zunächst<br />

an den Transfer von konkreten Erkenntnissen<br />

der Projektforschung in den allgemeinen<br />

wissenschaftlichen Diskurs (Theorietransfer)<br />

und erst in zweiter Linie an den Transfer in<br />

die relevanten Organisationen des Untersuchungsfelds<br />

wie z.B. Gewerkschaften, für<br />

welche die Forschungsergebnisse - auch, wenn<br />

sie allgemein formuliert sind - von Interesse<br />

sein könnten. Noch weitergehend berichten<br />

die Mitarbeiter vom Wunsch der untersuchten<br />

Praxis, das Projekt möge ihre Ergebnisse im<br />

öffentlichen Feld publik machen, weil sie sich<br />

dadurch eine Stärkung ihres „politischen Gewichts“<br />

versprächen. Im Falle des Teilprojekts<br />

zum Generationswechsel im Management<br />

sind das Mittelständler, die sich in ihrer „politischen<br />

Wirksamkeit gehandicapt“ sähen. Hier<br />

geht es aber im eigentlichen Sinne nicht mehr<br />

um Wissenstransfer, sondern um politische<br />

Interessenfragen. Im Kontext der „Pflege des<br />

Untersuchungsfelds“ ist diese Transferpraxis<br />

aus dem konkreten Untersuchungsfeld in das<br />

jeweils relevante politische Feld bei einigen<br />

Teilprojekten von Bedeutung, auch könne<br />

sie - so mehrfach die Aussage - die Akzeptanz<br />

neuen „sachlichen“ Wissens auf Seiten der<br />

Praktiker beeinflussen.<br />

Findet im Fall des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />

im Management der Transfer eher<br />

mittelbar statt, so sieht das beim Teilprojekt<br />

zum Fachkräftemangel programmatisch ganz<br />

anders aus. Dieses Projekt, so heißt es im<br />

Interview, verstünde unter Transfer von Forschungsergebnissen<br />

in die Praxis nicht primär,


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

diejenigen Personengruppen anzusprechen, die<br />

auch untersucht werden. So gehe es zum Beispiel<br />

nicht darum, die Befunde einer Untersuchung<br />

zur Generationenlage den Angehörigen<br />

geburtenstarker Jahrgänge nahe zu bringen,<br />

sondern den entsprechenden institutionellen<br />

Akteuren, welche die Ergebnisse in ihr Entscheidungskalkül<br />

mit einbeziehen sollten.<br />

Ähnliches berichten die Mitarbeiter des<br />

Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel.<br />

Auch hier würden Themen wie „demografischer<br />

Wandel“ und „Vorsorgemöglichkeiten“<br />

relevant. Adressaten der Publikationen seien<br />

nicht die untersuchten Akteure (Betriebe),<br />

sondern die Verantwortlichen für „praktische<br />

Steuerungsoptionen politischer Regulierungsstrategien“.<br />

Wir können auf Grund weiterer<br />

Interviewaussagen den Transferweg in diesem<br />

Teilprojekt insgesamt so rekonstruieren: Aus<br />

Panelbefragungen der Betriebe werden die<br />

konkreten Ergebnisse in abstrakte übersetzt,<br />

womit sie für die Befragten nicht mehr „anschlussfähig<br />

organisiert“ sind. Für übergreifende<br />

Institutionen dagegen, wie Interessenverbände,<br />

Gewerkschaften, Parteien, ist dieses<br />

Wissen anschlussfähig organisiert und kann bei<br />

politischen Entscheidungen hilfreich sein. Die<br />

praktische Relevanz der Forschungsergebnisse<br />

wird <strong>als</strong>o über einen Umweg erreicht. Wissen<br />

wird demnach in Auseinandersetzung mit der<br />

konkreten betrieblichen Praxis generiert, dann<br />

von den Forschern ins Allgemeine „übersetzt“<br />

und <strong>als</strong> solches an die (wissenschaftliche und)<br />

politische Praxis „weitergegeben“.<br />

Praxisnäher formuliert - aber in dieselbe Richtung<br />

deutend - sind in diesem Zusammenhang<br />

die Vorstellungen der Mitarbeiter des Teilprojekts<br />

zum Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor.<br />

Auch hier geht es darum, die konkrete Praxis<br />

in Organisationen zu eruieren, die gewonnenen<br />

Ergebnisse über den wissenschaftlichen<br />

Diskurs hinaus für Politikberater „fruchtbar“<br />

zu machen. Die Nähe zur Praxis rühre auch<br />

daher, dass die Berater von kommunalen<br />

Verwaltungen selbst Teil der Erhebung dieses<br />

Teilprojekts sind. Es sei offen, ob und welches<br />

Interesse diese Berater an den Forschungsergebnissen<br />

hätten.<br />

Die Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />

sprechen im Interview weitergehend<br />

von der „möglichen Funktion“ der <strong>SFB</strong>-<br />

Arbeit, eine „Beobachtung der Beobachtung“<br />

zu leisten: Eine Vielzahl der Erhebungen<br />

orientiere sich zwar am Akteur mit seiner individuellen<br />

Perspektive, die Erkenntnis jedoch<br />

zielte nicht nur auf die Reflexionsebene des<br />

individuellen Akteurs, der beteiligten Professionen<br />

usw., sondern gerade auch auf die kollektiven<br />

Akteure, die das kollektive Handeln<br />

im Gesundheitswesen rahmen. Gerade für<br />

Leistungserbringer (vor allem Krankenkassen)<br />

seien die Ergebnisse interessant: „Aus<br />

unseren Ergebnissen können die kollektiven<br />

Akteure ihre Handlungsmuster für zukünftige<br />

Entscheidungen ableiten“. So die Aussage der<br />

Mitarbeiter aus dem Teilprojekt zur Rehabilitation,<br />

die zu diesem Typus des Theorie-<br />

Praxis-Austausches befragt wurden.<br />

In seiner Programmatik optimistisch<br />

gibt sich im Interview das Teilprojekt<br />

zu Bewältigungsressourcen. Hier<br />

Seite page 63<br />

wird gesagt, der „langfristige modus<br />

operandi für dieses Projekt“ sei es,<br />

(politische) Entscheidungsträger auf Anfrage<br />

zu beraten. Deshalb betreibe diese Teilprojekt<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> seine Forschung mit grundlagen-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

wissenschaftlichen Methoden über ein Thema<br />

von hoher sozialer, politischer und menschlicher<br />

Relevanz. „Ich verbinde damit am Ende<br />

das Ziel“, so lautet eine entsprechende Aussage<br />

des Projektleiters im Interview, „Informationen,<br />

Technologien, Wissen, Empfehlungen“<br />

bereit zu stellen, die dann „von Leuten, die<br />

Programme machen, und von Leuten, die<br />

Politik machen“ benutzt werden könnten.<br />

Fassen wir diesen vierten Typus zusammen:<br />

• Viele praktische Bezüge der Forschungsergebnisse<br />

beziehen sich nicht auf die<br />

untersuchten Akteure im Feld, sondern<br />

auf relevante Personen und Institutionen,<br />

die für das untersuchte Handlungsfeld<br />

Entscheidungen treffen müssen.<br />

• Praxisrelevanz resultiert dann daraus, dass<br />

die Verantwortlichen kollektiver Handlungseinheiten<br />

besser informiert agieren<br />

können.<br />

• Das Interesse an wissenschaftlichen<br />

Informationen wird in der Praxis <strong>als</strong> gegeben<br />

oder nicht gegeben vorausgesetzt<br />

bzw. hingenommen.<br />

• Der Praxisbezug wird über einen Umweg<br />

„hergestellt“, indem weniger die<br />

eigentlich untersuchten Akteure von den<br />

Projektarbeiten „profitieren“,<br />

sondern eher die „Zielgruppe“<br />

Seite page 64 der politischen Entscheidungsfindung<br />

„angesprochen“ wird.<br />

Transfertyp 5: Grundlagenforschung auf der<br />

Suche nach öffentlichem Interesse. Die bisherigen<br />

Transferwege, die wir typologisch differenziert<br />

und anhand von Beispielen charakterisiert<br />

und veranschaulicht haben, zeichneten sich<br />

dadurch aus, dass die Teilprojekte, die diese<br />

Übermittlungswege beschritten, ein Interesse<br />

in der Öffentlichkeit, im Untersuchungsfeld<br />

oder bei den Entscheidungsträgern an der Forschung<br />

voraussetzen (konnten). Die folgende<br />

skizzierte fünfte Form des Theorie-Praxis-<br />

Austausches zeichnet sich nun dadurch aus,<br />

dass die Forschenden sich aktiv darum bemühen,<br />

eine interessierte (Teil-)Öffentlichkeit mit<br />

den Projektergebnissen zu erreichen.<br />

Im Hintergrund dieses Typus steht paradigmatisch<br />

das Teilprojekt zu Kultureliten. Der in<br />

diesem Zusammenhang einschlägige, zentrale<br />

Satz im Interview mit Mitarbeitern aus diesem<br />

Teilprojekt lautet: „Wir haben immer ganz<br />

bewusst Öffentlichkeiten gesucht und auch<br />

zu interessieren versucht für unser Thema“.<br />

Ein Grund sei, dass das Untersuchungsthema<br />

sich <strong>als</strong> zu „breit“ für ein spezifisches - durch<br />

Berufsrolle und Arbeitsauftrag „gegebenes“<br />

- Interesse auf Seiten der Praktiker zeige.<br />

Deutlich wird das in der Interviewpassage,<br />

welche auf die Frage nach den wesentlichen<br />

Bezügen des Projekts folgt. Der wesentliche<br />

Aspekt des Teilprojekts zu Kultureliten sei<br />

der, dass Hartmut Rosas (2005) Diagnose, der<br />

zufolge in einer beschleunigten Welt keine<br />

Generationenkonflikte entstehen können, weil<br />

sie (die Generationen) nebeneinander existierten<br />

und nichts oder kaum etwas voneinander<br />

wüssten, in die Konzeption der Untersuchung<br />

aufgenommen werden müsse. Vor diesem<br />

Hintergrund sei es die Aufgabe dieses Teilprojekts,<br />

„die unausgesprochenen Differenzen“<br />

deutlich zu machen, „sowohl den Betroffenen,<br />

<strong>als</strong> auch der Gesellschaft klar zu machen: Da<br />

wird ein Konflikt nicht mehr ausgetragen, aber


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

er existiert“ latent weiter. Konkret gehe es in<br />

der Projektforschung aber hauptsächlich auch<br />

um Kulturforschung, und hier bekomme man<br />

immer wieder einen impliziten Auftrag. Denn<br />

die Befragten in den „Szenen“ interessierten<br />

sich schon dafür, sich selbst zu äußern und sich<br />

einzuordnen in ein „Bild der Zeit“, welches<br />

das Projekt für die ganze Generation entwerfe<br />

- „wo stehen sie da“. Sie hätten aber auch ein<br />

großes Interesse daran, dass man das, woran sie<br />

arbeiten, auch zur Kenntnis nehme. So werde<br />

der Wissenschaftler zum Ansprechpartner,<br />

„um das (die Bedeutung der „Szene“) in Kreise<br />

zu tragen, wo das ansonsten nicht kommuniziert<br />

wird, was sich da entwickelt“. Wenn diese<br />

Situationsbeschreibungen zutreffen, dann hat<br />

das Teilprojekt zu Kultureliten ein doppeltes<br />

Interesse an der Suche nach interessierten<br />

Teilöffentlichkeiten für ihre Forschungsergebnisse:<br />

Einmal wäre dieses Interesse motiviert<br />

durch einen eigenen „geschichtspädagogischen<br />

Impuls“, der darin bestehen kann, die „Hintergrundskulturen<br />

und Erfahrungsmuster der<br />

Eltern, die sich in spezifischen Orientierungen<br />

niedergeschlagen haben“, zu rekonstruieren<br />

und damit die Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis<br />

zu verbessern. Zum andern aber<br />

ergibt sich ein Interesse aus dem „Auftrag“<br />

der befragten Akteure selbst, ihre Äußerungen<br />

durch entsprechende Veranstaltungen und Publikationen<br />

einem größeren Publikum bekannt<br />

zu machen.<br />

Schließlich gelte es, die politische Frage zu<br />

beantworten, „weshalb sich die heutige Jugend<br />

so schwer damit tut“, eigene „politische Konzepte“<br />

zu finden. Hier zwischen herrschenden<br />

Deutungseliten und nachwachsenden Kohorten<br />

zu vermitteln sei eine zentrale Aufgabe,<br />

wofür aber Vermittlungsräume oder intermediäre<br />

Institutionen gefunden werden müssten.<br />

Bezogen auf den „Vermittlungsraum“<br />

sieht sich das Teilprojekt zu Kultureliten in<br />

dieser Frage ebenfalls herausgefordert, den<br />

„passenden“ sozialen Raum und die adäquate<br />

„Transfersituation“ zu finden. Dies hieße, auf<br />

ein öffentliches Interesse zu stoßen, das mit<br />

der Präsentation von Forschungsergebnissen<br />

„zufrieden gestellt“ werden kann.<br />

Elemente oder Aspekte dieses fünften Transfermodus<br />

werden - allerdings spezifiziert auf<br />

professionelle Handlungsfelder und Berufe -<br />

auch bei den Teilprojekten zur Kinder- und<br />

Jugendhilfe und zur Rehabilitation sichtbar,<br />

wenn versucht wird, wichtige Forschungsergebnisse<br />

wenigstens <strong>als</strong> „Reflexionswissen“<br />

oder <strong>als</strong> „Orientierungswissen“ in relevanten<br />

Praxisfeldern bekannt zu machen, um dort<br />

(wie es im Interview mit Mitarbeitern des<br />

Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe<br />

heißt) „das Deutungsarsenal zu erweitern“.<br />

Die Mitarbeiter des Teilprojekts zu lokalen<br />

politischen und administrativen Eliten sprechen<br />

in diesem Zusammenhang ebenfalls<br />

explizit von der „Produktion so genannter<br />

Orientierungshilfen“ und damit der Möglichkeit,<br />

„den Eliten Orientierungswissen an<br />

die Hand zu geben, über das, was aus unserer<br />

Sicht bedeutsam ist für die Fragen, die wir (im<br />

Projekt) stellen“. Orientierung wird in diesem<br />

Projekt aber nur in dem Sinne verstanden,<br />

dass man die Sicht der Praxis auf die<br />

Welt „erweitere“ und die Praktiker<br />

auf „wichtige, nicht bemerkte Dinge<br />

Seite page 65<br />

aufmerksam“ mache. Ähnlich heißt es<br />

auch im Interview mit Mitarbeitern<br />

des Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe<br />

hinsichtlich des Orientierungswissens, das aus<br />

soziologischer Grundlagenforschung herge-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

leitet sei: Dieses tauge für Professionelle nur<br />

<strong>als</strong> Hilfe, „sich selbst das Handlungsfeld besser<br />

erschließen zu können“. Die Teilnahme an<br />

oder die Veranstaltung von Weiterbildungen<br />

für Praktiker (hervorgehoben insbesondere<br />

von Mitarbeitern des Teilprojekts zur Rehabilitation)<br />

stellen in diesen Kontexten konkrete<br />

Formen des Aufsuchens relevanter Adressaten<br />

von Orientierungswissen in der Praxis dar.<br />

Insgesamt ergibt sich für diesen fünften Typus<br />

des Wissenstransfers das folgende Bild:<br />

• Das Thema muss <strong>als</strong> latentes in der Gesellschaft<br />

„präsent sein“, damit es in bestimmten<br />

Teilöffentlichkeiten mit Hilfe<br />

der Präsentation von Projektergebnissen<br />

manifest und zur Diskussion gestellt<br />

werden kann.<br />

• Die Forschungsmethode muss eine<br />

verstehend-interaktive sein.<br />

• Die Praxisrelevanz bezieht sich nicht auf<br />

die Lösung konkreter Probleme in der<br />

alltäglichen Praxis, sondern bezieht sich<br />

auf Formen der gesellschaftlichen und<br />

politischen „Bewusstseinserweiterung“<br />

im Sinne einer Aufklärung der sozialkulturellen<br />

Praxis.<br />

• Im Kontext spezifischer Handlungsfelder<br />

dient dieser Transferweg in erster<br />

Linie dazu, entweder beispiel-<br />

Seite page 66 haft zu wirken oder relevantes<br />

neues Orientierungswissen zu<br />

vermitteln.<br />

Transfertyp 6: Grundlagenforschung mit allgemeiner<br />

Datenpräsentation im Untersuchungsfeld.<br />

Die Forschungspraxis, die der sechsten typischen<br />

Form des Theorie-Praxis-Austausches<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zugrunde liegt, zeichnet sich dadurch<br />

aus, dass sie (wie vor allem schon bei Typ<br />

3 gesehen) Daten nicht nur erhebt, sondern<br />

auch aggregiert und dann dem untersuchten<br />

Praxisfeld und seinen Akteuren „zur Verfügung<br />

stellt“, die durch das methodische Vorgehen an<br />

das Projekt „gebunden“ sind. Deshalb muss<br />

dieser Modus seine relevanten Adressaten für<br />

die Rezeption der Forschungsergebnisse nicht<br />

aktiv suchen, wie es beim letzten Transferweg<br />

der Fall war.<br />

Einen ersten Eindruck über das Vorgehen und<br />

das Selbstverständnis in diesem Typus vermittelt<br />

uns das Interview mit Mitarbeitern des<br />

Teilprojekts zu Führungsgruppen. Hier heißt<br />

es: Das Projekt stelle deshalb seine Ergebnisse<br />

in allgemeiner Form zur Verfügung, weil es<br />

den Versuch unternehme, durch „eine objektive<br />

Datenerhebung Aufklärung über vergangene<br />

Sachverhalte“ zu betreiben. Man will damit<br />

nicht beeinflussen, sondern zur „Versachlichung<br />

von Diskussionen“ beitragen. An anderer Stelle<br />

heißt es im Interview: Praktische Bezüge bezögen<br />

sich konkret auf den öffentlichen Diskurs<br />

über den Charakter der DDR-Gesellschaft<br />

und den Umgang mit dieser Vergangenheit.<br />

Daraus resultiere eine „geschichtspädagogische<br />

Seite“ des Projekts (neben der „funktionalinstrumentellen“<br />

der Datensicherung).<br />

Aber schon auf Grund des jeweiligen methodischen<br />

Vorgehens bei der Erhebung und Analyse<br />

sehen die Mitarbeiter des Teilprojekts zum<br />

Generationswechsel im Management diesem<br />

Transferweg enge Grenzen gezogen. Denn<br />

direkte Bezüge, „<strong>als</strong>o für den einzelnen Fall<br />

spezifisch zugeschnittene Formate“, könnten


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

mit einer „dokumentarischen Methode“ nicht<br />

geliefert werden. Auf dem Wege der „deskriptiven<br />

Idiographie“ seien letztlich nur „vorsichtige<br />

Antworten“ möglich. Das Argument in diesem<br />

Teilprojekt (ähnlich wie bei den Mitarbeitern<br />

des Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel)<br />

für den anderen Weg einer „generalisierenden<br />

Wissensgenerierung“ ist, dass einerseits zwar<br />

an Fällen geforscht werden könne, in der Auswertung<br />

der Ergebnisse es aber dann zu einer<br />

Abstraktion und aggregierenden Zusammenfassung<br />

kommen müsse. Nach dieser Operation<br />

sei keine „direkte Umkehr des Wissensflusses“<br />

für die Spezifik bzw. Problembearbeitung<br />

des einzelnen Falles (in den Projekten zum<br />

Generationswechsel im Management und zur<br />

Beschäftigung im Wandel sind das Betriebe)<br />

mehr „zu leisten“.<br />

Positiver sehen die Mitarbeiter des Teilprojekts<br />

zu Delegationseliten das Potential dieser Form<br />

des Wissenstransfers. Für sie steht wieder die<br />

„Aufklärungsfunktion“ wirklichkeitsdeskriptiver<br />

Forschung im Vordergrund. In diesem<br />

Sinne versuchen die Mitarbeiter in diesem<br />

Teilprojekt zum Beispiel mit einer Publikation,<br />

den (untersuchten) Politikern „einen Spiegel<br />

vorzuhalten“. Dabei gehe es darum, wird uns im<br />

Interview gesagt, „den Politikern mit scharfem<br />

Blick zu zeigen, wo Diskrepanzen zwischen<br />

Selbstwahrnehmung - Rollenverständnis, Zielstellung,<br />

wichtige Entscheidungen im politischen<br />

Feld - und wissenschaftlichem Blick<br />

vorhanden sind“. Ziel sei es weiter, die (latenten)<br />

Strukturen, in denen Parlamentarier agieren,<br />

für diese wahrnehmbar zu machen: „Die<br />

Leute denken da, sie machen viel selbst, aber<br />

in Wirklichkeit gibt es eben Strukturen, die<br />

einfach mal bestehen und durchaus auch durch<br />

das politische System und die Sozi<strong>als</strong>trukturen<br />

schon vorgezeichnet sind“. An solchen Stellen<br />

bestehe dann „Aufklärungsbedarf“.<br />

Ein besonders eindringliches Beispiel für<br />

diesen Typus der Theorie-Praxis-Interaktion<br />

stellt das Teilprojekt zu Freien Wählergemeinschaften<br />

dar. Schon zu Beginn der Untersuchung<br />

in diesem Teilprojekt fiel den Mitarbeitern<br />

„ein großes Interesse der kommunalen<br />

Wählergemeinschaften (KWG) auf, sich zum<br />

Objekt der Forschung machen zu lassen, weil<br />

sie noch nicht Gegenstand von Forschung<br />

waren“. Es bestehe ein großes Interesse an den<br />

Befunden, es gebe konkrete Rückfragen von<br />

Mandatsträgern der KWG. Beispielsweise<br />

wurden diese gebeten, ihre Wahlprogramme<br />

dem <strong>SFB</strong>-Projekt zuzuschicken, was sie gleich<br />

zum Anlass genommen hätten, noch mehr<br />

Informationen zur Wahlvorbereitung zur Verfügung<br />

zu stellen. Auch wäre das Projekt überrascht<br />

gewesen, dass die KWG den Forschern<br />

mit Anfragen „zuvorgekommen“ wären, ob<br />

man nicht ein Interview mit ihnen machen<br />

wolle. Auf das große Interesse hin präsentierte<br />

das Projekt die ersten Ergebnisse auf 10 bis<br />

15 Seiten „abgekocht“. Da es die Größe der<br />

Studie verbiete, Beteiligten (in der ersten<br />

Befragung wurden 3.500 Ratsmitglieder einbezogen)<br />

ein Heft zuzusenden, habe man ein<br />

Online-Dokument erstellt, das per e-mail zugeschickt<br />

werde. Die „abgekochte“ Präsentation<br />

sei zwar allgemein gehalten, aber doch so<br />

aufbereitet, dass die KWG mit den Ergebnissen<br />

„etwas anfangen könnten“.<br />

Seite page 67<br />

Das Teilprojekt zur Beschäftigung im<br />

Wandel schickt „seinen Betrieben“<br />

alle zwei Jahre einen Bericht über zentrale<br />

Ergebnisse, „allerdings ohne explizite Anweisungen,<br />

wie die betriebliche Praxis verbessert


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

werden kann“. Diese Berichte hätten deshalb<br />

eher den Charakter einer allgemeinen<br />

Problembeschreibung des Handlungsfelds.<br />

Welche Schlüsse die Unternehmen aus diesen<br />

Ergebnissen ziehen, sei zuerst einmal „deren<br />

Sache“. Denn nur allgemeine Parameter einer<br />

erfolgreichen Innovation oder Organisation<br />

von Unternehmen würden „zurückgespiegelt“.<br />

In einem solchen Ergebnisbericht - das wurde<br />

bereits erwähnt - können Forschungsergebnisse<br />

nicht „fallspezifisch organisiert“ sein. So<br />

dass sich jeder untersuchte Betrieb das für ihn<br />

Relevante „jeweils herausziehen“ müsse. Dies<br />

habe für den Theorie-Praxis-Austausch wiederum<br />

zur Konsequenz, dass einerseits die Herausforderung<br />

der Betriebe darin bestehe, mit<br />

den wissenschaftlichen Ergebnissen autonom<br />

verfahren zu können, ohne dass ein Dritter<br />

(von Außen: zum Beispiel Unternehmensberater)<br />

Hilfestellung leisten muss und damit die<br />

ursprünglichen Intentionen des praktisch Interessierten<br />

„verfälscht“ werden. Andererseits<br />

sei mit dieser Herausforderung die Gefahr<br />

verbunden, dass die Übersetzungsleistung von<br />

allgemeinem wissenschaftlichem Wissen in<br />

betrieblich relevantes Wissen von letzteren<br />

selbst erbracht werden müsse. Darüber hinaus<br />

könne offen bleiben, ob diese Situation und<br />

eine solche Anforderung im Einzelfall „von<br />

Nutzen oder eine Zumutung“ seien.<br />

Auch die Arbeitsgruppe im Teilprojekt zu<br />

Personaldienstleistungen erarbeitete<br />

eine Broschüre mit den wichtigsten<br />

Seite page 68 Ergebnissen der Untersuchung, die<br />

an jene der befragten Experten verschickt<br />

wurde, die dies wünschten.<br />

Des Weiteren werde ein Großteil der Auswertungen<br />

auf der Homepage des Lehrstuhls<br />

veröffentlicht und könne dort jederzeit eingesehen<br />

werden. Das ist dann im Wesentlichen<br />

der Modus, mit dem bei dieses Teilprojekt der<br />

Transferweg der Forschungsergebnisse in die<br />

Praxis über den „Aufstieg“ vom Besonderen<br />

zum Allgemeinen gestaltet wird.<br />

Die wichtigsten Elemente dieses sechsten<br />

Transfertyps der Forschungsergebnisse sind:<br />

• Die Grundoperation dieser Form der<br />

Wissensvermittlung für die untersuchte<br />

Praxis besteht in der Datenaggregation.<br />

• Die Rezeption der Ergebnisse hängt von<br />

der „Auffassungsgabe“ der Praktiker im<br />

Feld ab.<br />

• Das methodische Vorgehen stellt einen<br />

Gang vom Besonderen zum Allgemeinen<br />

dar und kann deshalb nicht in einem engeren<br />

Sinne „fallspezifisch“ sein.<br />

• Die Praxisrelevanz muss von den Praktikern<br />

im Untersuchungsfeld selbst „erzeugt“<br />

werden.<br />

Transfertyp 7: Grundlagenforschung mit eigener<br />

„Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis.<br />

Dieser Weg des Transfers wissenschaftlichen<br />

Wissens aus dem Sonderforschungsbereich<br />

in die Praxis teilt mit dem vorhergehenden<br />

das zentrale Element, dass die Adressaten der<br />

Wissensübermittlung die Akteure im Untersuchungsfeld<br />

selbst sind. Die Besonderheit<br />

besteht bei diesem Typus des Wissenstransfers<br />

vor allem darin, dass die Forschenden große<br />

Anstrengungen unternehmen, die wichtigsten<br />

Ergebnisse der Analysen für die Praxis<br />

in deren „Sprache“ und Relevanzsystem zu<br />

„übersetzen“. Allerdings ist die „Zielgruppe“


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

durch die Anlage und die Durchführung der<br />

Projektarbeiten „gegeben“ und muss nicht erst<br />

„aktiviert“ werden.<br />

Bei diesem Typus ist zunächst das allgemeine<br />

„Übersetzungsproblem“ anzusprechen, das<br />

jedes Forschungsprojekt im Rahmen von<br />

Öffentlichkeitsarbeit und populären Publikationen<br />

hat. Hierzu erläutern die Mitarbeiter<br />

aus dem Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im<br />

öffentlichen Sektor: Übersetzungsprobleme<br />

beim Wissenstransfer ergäben sich schon daraus,<br />

„weil man sich auf die Sprachlogik von<br />

Praxis einlassen muss“. Diese Sprachlogik sei<br />

einerseits „unterkomplex“, weil strukturell eng<br />

begrenzt, andererseits aus Gründen des breiten<br />

Fach- und Faktenwissens von Praktikern aber<br />

auch „überkomplex“. Man müsse sich in dieser<br />

Situation überlegen, was man der Praxis „bieten<br />

könne“, und müsse versuchen, je nach „Rezipient“<br />

oder Praxisfeld „andere Sachen in den<br />

Vordergrund zu rücken“. Dabei sei den Projektmitarbeitern<br />

klar, dass sie im Zusammenhang<br />

ihrer Forschungstätigkeit den Anforderungen<br />

verschiedener Rollen zu genügen hätten. So<br />

sagt einer der Befragten: „Ich versuche (in<br />

diesem Kontext) die verschiedenen Rollen zu<br />

lernen. Zum Beispiel den Umgang mit Presse<br />

und Medien muss man lernen. Da darf man<br />

nicht naiv sein. Man muss sich hier vorher sehr<br />

genau überlegen, wie sieht jeder Satz aus, den<br />

ich sage. Dann hängt das auch vom Forum<br />

ab. Man muss immer übersetzen. Man muss<br />

im Forschungsprojekt immer von der offenen<br />

Forschungsfrage ausgehend die Ergebnisse<br />

übersetzen. Bei Tagungen mit anderen Disziplinen<br />

muss wieder anders übersetzt werden.<br />

Zum Beispiel mit Politikwissenschaftlern oder<br />

Politikern, die auf bestimmte Sachen, die sie<br />

hören wollen, geeicht sind.“<br />

Doch ist das Übersetzungsproblem von<br />

Projektwissen für die Praxis und deren<br />

unterschiedliche Relevanzsysteme und Interessenmuster<br />

zu allgemein, <strong>als</strong> dass es einen<br />

besonderen Transfertypus charakterisieren<br />

könnte. Zu einem besonderen Modus mit<br />

einem besonderen Transferweg wird die<br />

Anlage eines Projekts hier, wenn sich die<br />

„Übersetzung“ der Forschungsergebnisse auf<br />

das spezifische untersuchte Praxisfeld und<br />

seine spezifischen Akteure konzentriert. Wir<br />

führen zur besseren Charakterisierung einige<br />

paradigmatische Aussagen aus dem Gespräch<br />

mit Mitarbeitern des Teilprojekts zu prekärer<br />

Beschäftigung an, das hier einen Schwerpunkt<br />

seiner Arbeit sieht. Denn es heißt an einer<br />

Stelle im Interview: „Priorität haben natürlich<br />

wissenschaftliche Publikationen, aber das<br />

kann es nicht alleine sein. Man muss auch<br />

die Ergebnisse alltagstauglich vermitteln“.<br />

Als Vehikel dieser Übersetzung szientifischen<br />

Wissens in „alltagstaugliches“ dienen nach<br />

Aussage des Projekts insbesondere Expertengespräche<br />

und Workshops. So „nützten“ diese<br />

Expertengespräche dem direkten Wissensaustausch<br />

in dem Maße, wie eine „Wechselwirkung“<br />

stattfinde. Die Experten seien „keine<br />

Versuchskaninchen“, das „sind Experten<br />

ihrer Selbst und das nehmen wir sehr ernst.<br />

Ich liefere nicht nur Wissen (von Projektseite),<br />

sondern auch die liefern von sich aus<br />

(eigene) Interpretationen“. Bei einem solchen<br />

Vorgehen der „Wechselwirkung“ im<br />

Theorie-Praxis-Austausch ist es<br />

auch plausibel anzunehmen, dass die<br />

untersuchte Praxis - <strong>als</strong> gleichsam inkludierte<br />

- an den Projektergebnissen<br />

interessiert ist.<br />

Die Mitarbeiter im Teilprojekt zum Generati-<br />

Seite page 69


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

onswechsel im Management zeigen Grenzen<br />

dieser Form der „Wechselwirkung“ auf, wenn<br />

sie davon sprechen, dass die praktische Relevanz<br />

ihres Forschungsinteresses vor allem<br />

in der Gesprächssituation selbst liege. (Diese<br />

Aussage bezieht sich nicht explizit auf Gadamer.)<br />

Der praktische Effekt sei in diesem Sinne<br />

gerade die Herstellung einer „erzwungenen“<br />

Reflexion der eigenen Perspektive im Verhältnis<br />

zu anderen. Allerdings würden in diesem<br />

Gespräch auch die Grenzen dieser diskursiven<br />

Form des Wissenstransfers angesprochen:<br />

Erstens sollten direkte Bezugnahmen der<br />

Forscher zu konkreten praktischen Problemen<br />

vermieden werden, denn das sei Aufgabe von<br />

Consulting, zweitens würde es die unabhängige<br />

„Nutzenebene“ der Praxis und die „Umwegsproblematik“<br />

des Wissenstransfers von<br />

sich aus verbieten, dauerhafte Diskurse mit<br />

den Untersuchten „einzurichten“ (wie es für<br />

nachhaltige Beratungsprozesse typisch sei).<br />

Exkurs: Formen von Praxisberatung im Bereich<br />

des Teilprojekts zu prekärer Beschäftigung.<br />

Näher an die Praxis „gerückt“ <strong>als</strong> die große<br />

Mehrzahl der Projekte im Sonderforschungsbereich<br />

sieht sich das Teilprojekt zu prekärer<br />

Beschäftigung. Um möglichst viele „Zielgruppen“<br />

zu erreichen, werden von ihm die Veranstaltungen<br />

entsprechend variiert. Während bei<br />

Expertengesprächen der wechselseitige Austausch<br />

von Wissen und Informationen<br />

hervorgehoben wird, steht bei Work-<br />

Seite page 70 shops der Transfergedanke von Forschungsergebnissen<br />

in die Praxis im<br />

Vordergrund: Relevante Forschungsergebnisse<br />

sollten genutzt werden, heißt es im<br />

Interview, „um Ergebnisse vorzustellen, aber<br />

auch, um auf erfolgreiche Praktiken hinzuweisen,<br />

sprich im entferntesten Sinne Beratung<br />

der Praktiker zu leisten“. Um dieses Vorgehen<br />

verständlich zu machen, wird uns im Interview<br />

folgendes Beispiel erzählt: Eine ARGE, die<br />

man im Rahmen der Erhebung besuchte, habe<br />

„eine ganz spezifische Form von Transparenz.<br />

Und zwar unterscheidet die sich sehr stark von<br />

den allgemein üblichen ARGE-Strategien. Es<br />

stehen zum Beispiel auf der Homepage alle<br />

Mitarbeiter mit Telefonnummer und Zimmernummer,<br />

man kann die <strong>als</strong>o jederzeit anrufen,<br />

jede Person von außen. Das ist bei einer<br />

ARGE in vielen Fällen nicht möglich. Da gibt<br />

es keine Telefonnummer, die sind geheim. Es<br />

läuft alles über Call-Center. Und dieses Fehlen<br />

von Transparenz wird <strong>als</strong> unglaublich negativ<br />

eingeschätzt, <strong>als</strong> Burg-Mentalität verstanden,<br />

<strong>als</strong> Abschottung. Die Idee, Serviceeinrichtung<br />

zu sein, kundenfreundlich zu sein, wird dadurch<br />

ins Gegenteil verkehrt - zumindest in<br />

der Wahrnehmung der Kunden. Es wäre zum<br />

Beispiel ein Ergebnis (der Untersuchung), das<br />

man beratend weitergeben könnte.“ Allerdings<br />

legten die Mitarbeiter des Projekts zu prekärer<br />

Beschäftigung großen Wert darauf, sich mit<br />

dem alltagstauglichen Vermitteln der Ergebnisse<br />

von Organisationsberatung klar zu unterscheiden.<br />

Ergebnisse könnten und würden - das<br />

ist das generelle Spezifikum dieses Transferwegs<br />

- nur an die Kooperationspartner aus der<br />

Praxis „zurückgegeben“ werden. Der jeweiligen<br />

ARGE bzw. den kommunalen Trägern könnte<br />

man etwas sagen, zum einen aus der Sicht des<br />

Projekts, aber auch etwas „zur Sichtweise ihrer<br />

Kunden“. Ähnlich sei es bei den Trägern und<br />

Vermittlern von Ein-Euro-Jobs. Den reinen<br />

Beratungsinstitutionen, „<strong>als</strong>o den Anlaufstellen<br />

für die Kunden“, schließlich könnte das Projekt<br />

sagen, „wo diese Leute überhaupt hingehen,<br />

wo muss man deshalb seine Informationen


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

platzieren, damit diese die Kunden und nicht<br />

nur die Insider wahrnehmen“. So heißt es zu<br />

dieser Sequenz abschließend im Interview:<br />

„Wir können (<strong>als</strong>o) zu den unmittelbaren Akteuren<br />

in diesem Prozess etwas sagen, die mit<br />

den Kunden zu tun haben.“<br />

Einen Schritt näher zum Beratungsfeld steht<br />

das Teilprojekt zu Bewältigungsressourcen<br />

hinsichtlich sozialen Wandels mit dem Ziel,<br />

am Ende der Analysephase „Informationen,<br />

Technologien, Wissen, Empfehlungen“ bereitzustellen,<br />

die dann von der Praxis unmittelbar<br />

benützt werden könnten. Hier ist für diesen<br />

Transfertypus wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

die Grenze zum Consulting erreicht.<br />

Eine solche Grenze wird auch vom Leiter<br />

dieses Teilprojekts markiert und auf eine für<br />

das Selbstverständnis der Arbeitsgruppe instruktiven<br />

Weise charakterisiert: Das Ziel des<br />

Projekts sei es, eine wissenschaftliche Beratung<br />

im Unterschied zu kommerzieller Beratung zu<br />

leisten. Diese Beratungsform wäre aber auch<br />

in dem Sinne eine „Beratung aus erster Hand“,<br />

weil sie sich auf konkrete und aktuelle Forschung<br />

stützt, während die Wissensbasis von<br />

Organisations- und Unternehmensberatung<br />

vielfach auf der „Zweit- und Drittverwertung“<br />

nicht mehr ganz aktueller Konzepte und nicht<br />

konkret auf die in Rede stehende Problematik<br />

bezogener Lösungsansätze beruhe.<br />

Wir stellen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />

dieses siebten Transferwegs abschließend heraus:<br />

• Aufgrund der Anlage der Erhebung und<br />

der Durchführung der Analyse besteht<br />

eine Beziehung zu konkreten, interessierten<br />

Kooperationspartnern in der Praxis.<br />

• Für deren Bedürfnisse und Interessen<br />

- sowohl aus Sicht der Wissenschaft<br />

<strong>als</strong> auch aus Sicht der Akteure im Untersuchungsfeld<br />

- werden die Ergebnisse<br />

aufbereitet.<br />

• Für diese Form des Theorie-Praxis-<br />

Austausches ist es hilfreich, spezifische<br />

Gesprächsforen zu finden, in denen eine<br />

Dialogsituation konstituiert wird.<br />

• Eine Gefahr für die professionelle<br />

Sozialforschung in einem Sonderforschungsbereich<br />

besteht bei dieser Form<br />

des Transfers darin, dass sozialtechnokratische<br />

Impulse die Oberhand gewinnen<br />

und die Werturteilsfreiheit der sozialwissenschaftlichen<br />

Forschung durch das<br />

Übergewicht unmittelbar praktischer,<br />

„parteiischer“, Interessen in den Hintergrund<br />

tritt.<br />

Transfertyp 8: Grundlagenforschung mit konkreter<br />

Theorie-Praxis-Rückkopplung. Die letzte,<br />

achte Form der Wissensvermittlung zwischen<br />

Theorie und Praxis schließt an den vorigen<br />

Typus an. Jedoch bezieht sich die dialogische<br />

Beziehung zwischen Forschungsprojekt<br />

und untersuchter Praxis nicht nur auf die<br />

Erhebungssituation, sondern umfasst auch<br />

das generelle methodische Vorgehen in den<br />

Teilprojekten, die rekonstruktionslogische<br />

und fallverstehende Methoden zur<br />

Grundlage ihrer Forschungsarbeit<br />

machen. Der Transfermodus der<br />

Seite page 71<br />

Forschungsergebnisse ist hier wegen<br />

des fallrekonstruktiven Verfahrens<br />

integriert in einen kontinuierlichen Austausch<br />

zwischen Forschenden und Akteuren im untersuchten<br />

Praxisfeld.


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Einen ersten Hinweis auf die Bedeutung der<br />

fallrekonstruktiven Anlage der Forschungsarbeiten<br />

finden wir im Gespräch mit Mitarbeitern<br />

des Teilprojekts zum Fachkräftemangel.<br />

Dort führen die befragten Mitarbeiter aus,<br />

dass Juristen, deren berufliche Praxis durch<br />

die professionelle Bearbeitung von Fällen<br />

geprägt wird, „einen sehr gut eingespielten<br />

Prozess der Umsetzung von Erkenntnissen<br />

in handlungsrelevante Normen“ besäßen. Die<br />

könnten sich „gar nicht vorstellen, dass Forschung<br />

nicht handlungsrelevant“ sein könne.<br />

Bei den Soziologen sei „das weniger der Fall“.<br />

Die Befragten in diesem Teilprojekt leiten<br />

daraus die Notwendigkeit einer „Projektförmigkeit“<br />

der Sozialforschung ab. Im Kontext<br />

dieses letzten Transferwegs bedeutet dann<br />

„Projektförmigkeit“ nicht nur einen konkreten<br />

Bezug zur Praxis und eine gewisse Dauer und<br />

Tiefe der Analyse, sondern die Untersuchung<br />

von Fällen <strong>als</strong> individuellen und kollektiven<br />

Handlungseinheiten. Im Teilprojekt zur Kinder-<br />

und Jugendhilfe zum Beispiel können<br />

Fälle einzelne Klientinnen und Klienten, Familien,<br />

Einrichtungen (wie Beratungsstellen<br />

oder Heime), Trägerorganisationen (vor allem<br />

Jugendämter oder freie Wohlfahrtsverbände)<br />

sein. Das fallrekonstruktive Verfahren ist deshalb<br />

geeignet, eine dauerhafte und intensive<br />

Form des Austausches zwischen Theorie und<br />

Praxis zu initiieren.<br />

Das Kriterium der Dauer erfüllt<br />

auch eine Panelbefragung, wie sie<br />

Seite page 72 in einigen Projekten im A- und<br />

B-Bereich durchgeführt werden.<br />

Doch dieses Vorgehen erfüllt nicht<br />

das Kriterium der Intensität, wie das Beispiel<br />

des offenen Interviews zeigt. Die Bedeutung<br />

dieser Interviewform wird zwar in zahlreichen<br />

Gesprächen angedeutet - jedoch zumeist nur<br />

im Kontext der Vorbereitung der „eigentlichen“<br />

Erhebung im Sinne von: Praktiker regen<br />

zum Nachdenken an. So führen beispielsweise<br />

die Mitarbeiter des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />

im Management aus, befragte<br />

Praktiker „fungierten <strong>als</strong> Stichwortgeber“, aber<br />

der „eigentliche Diskurs über die Relevanz<br />

der Forschungsergebnisse“ finde in der Forschergemeinschaft,<br />

„unter Soziologen“ statt.<br />

Aus diesen methodischen Überlegungen und<br />

Feststellungen zum Theorie-Praxis-Austausch<br />

ziehen wir deshalb für den hier explizierten<br />

Transferweg den Schluss: Ein dauerhafter und<br />

symmetrischer Austausch findet erst im Kontext<br />

fallrekonstruktiver Sozialforschung statt.<br />

In „Reinkultur“ findet sich ein solcher Theorie-<br />

Praxis-Austausch beim Teilprojekt zur Kinderund<br />

Jugendhilfe, wenn regelmäßig (ein Mal<br />

im Jahr) Fallbesprechungen von Mitarbeitern<br />

des Forschungsprojekts und Praktikern aus<br />

den kooperierenden Jugendämtern gemeinsam<br />

durchgeführt und damit drei Zwecke auf ein<br />

Mal realisiert werden: (1) Es werden Daten<br />

zum Thema professionelles Handeln generiert,<br />

wenn zum Beispiel Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Diensts<br />

im Jugendamt gebeten werden, einen schwebenden<br />

Fall der Kindeswohlgefährdung in der<br />

Fallbesprechung vorzustellen. (2) Dann werden<br />

Daten zu den Klienten generiert, die im Erhebungsschema<br />

„gemeinsame Fallbesprechung“<br />

dichter und unmittelbarer zugänglich werden<br />

<strong>als</strong> im Interview. (3) Schließlich wird diese<br />

Form der Veranstaltung von den Teilnehmenden<br />

<strong>als</strong> Fortbildung (Fallsupervision im Team)<br />

gerahmt, und damit <strong>als</strong> eine Veranstaltung, die<br />

im Bereich der Professionen <strong>als</strong> regelmäßige,<br />

berufsbegleitende Weiterbildung üblich ist.<br />

Die letztgenannte Komponente setzt allerdings


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

voraus, dass die Projektmitarbeiter Erfahrung<br />

<strong>als</strong> Fallsupervisoren in einschlägigen Praxisfeldern<br />

haben. An dieser Stelle grenzt der<br />

Theorie-Praxis-Austausch an ein Konzept der<br />

Klinischen Soziologie (Hildenbrand 1999a).<br />

Dieses Vorgehen ist nur im Bereich professionellen<br />

Handelns einerseits, hermeneutischer<br />

Sozialwissenschaft andererseits möglich, <strong>als</strong>o<br />

in Kontexten, die dadurch gekennzeichnet<br />

sind, dass Allgemeines und Besonderes in<br />

der Beschäftigung mit dem einzelnen Fall<br />

zusammenfließen (Oevermann 2000, Welter-<br />

Enderlin und Hildenbrand 2004). Daher<br />

erstaunt auch nicht, dass außer dem Teilprojekt<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe nur noch die<br />

Mitarbeiter des Projekts zur Rehabilitation von<br />

diesem Vorgehen berichten. So formuliert ein<br />

Mitarbeiter des Teilprojekts zur Kinder- und<br />

Jugendhilfe: Die Ergebnisse der fallrekonstruktiven<br />

Forschung seien immer irgendwie in<br />

praktische Relevanzsysteme übersetzbar. „Man<br />

muss nur so vorgehen, dass man den soziologischen<br />

Jargon vermeidet. Dann kann man<br />

die Ergebnisse in beiden Kontexten, dem<br />

soziologischen und dem professionellen, verwenden<br />

- nur der Verwendungszusammenhang<br />

ist ein völlig anderer“.<br />

Wenn aber im hermeneutischen Fallverstehen<br />

„eine gemeinsame Sprache“ von Forschern und<br />

Praktikern gegeben ist, dann ist der nächste<br />

Schritt, die gemeinsame Formulierung relevanter<br />

Forschungsthemen, erwartbar. Dies lässt<br />

sich anhand einer Präsentations- und Diskussionsveranstaltung<br />

mit Sozialdezernenten und<br />

Amtsleitern aus den untersuchten Kreisgebieten,<br />

in der Forschungsergebnisse des <strong>SFB</strong>-<br />

Projekts vorgestellt wurden, veranschaulichen:<br />

„Wir haben unsere Ergebnisse im September<br />

(2007) den Leitern vorgestellt, die uns dann<br />

zurückgespiegelt haben, wie unsere Ergebnisse<br />

bei ihnen ankommen und was sie glauben,<br />

was wichtig wäre - was dann, ohne dass wir<br />

uns zum Büttel der Praxis machen lassen, Eingang<br />

gefunden hat in unser neues Design (für<br />

die dritte Bewilligungsphase). Wobei ich das<br />

nicht <strong>als</strong> ein unbedingtes Muss ansehe, dass<br />

jetzt unbedingt die gesellschaftliche Praxis<br />

alle Probleme sieht und angeben kann, welche<br />

zu bearbeiten sind. Das sehen wir Soziologen<br />

manchmal besser.“<br />

Aber auch Projekte, die nicht dem hermeneutischen<br />

Paradigma verpflichtet sind,<br />

sprechen diesen Punkt des „Wissenstransfers<br />

<strong>als</strong> Rückkoppelung“ an. So berichten die<br />

befragten Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />

Personaldienstleistungen, dass ihre Forschung<br />

vor allem bei den qualitativen Interviews Hinweise<br />

bekomme: „Welche Wirkung, welche<br />

Effekte der beiden Marktseiten da sind, was<br />

für die Praxis relevant ist. Das wird dann <strong>als</strong><br />

inhaltlicher Baustein bei der Theorieentwicklung,<br />

beim Theorieentwurf genommen“. Auch<br />

die Mitarbeiter des Teilprojekts zu prekärer<br />

Beschäftigung berichten im Interview, dass<br />

sie zum Beispiel die befragten Experten „sehr<br />

ernst nehmen“. Und weiter heißt es: „Ich<br />

möchte nicht nur Wissen von denen haben,<br />

sondern auch die liefern von sich aus Interpretationen<br />

oder diskutieren mit uns Ergebnisse<br />

in den Interviews und geben hilfreiche<br />

Anregungen. Unsere Modelle<br />

und Theorien werden dadurch immer<br />

Seite page 73<br />

wieder geschärft.“ Aber, so heißt es<br />

auf Nachfrage unsererseits, „man<br />

muss natürlich auch gucken, dass man die<br />

Deutungshoheit über seine Ergebnisse behält.<br />

Und da steckt eine gewisse Gefahr dahinter“.


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Diese Gefahr sehen die Mitarbeiter des<br />

Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe <strong>als</strong><br />

methodisch „beherrschbar“ an. „Zwar“, so lautet<br />

eine einschlägige Stelle im Interview, „zerlegen<br />

mir die Praktiker manchmal dermaßen<br />

unsere Hypothesen, dass ich dann ordentlich<br />

Mühe habe, sie wieder zusammenzusetzen.<br />

Aber wenn wir eine Hypothese mit der Praxis<br />

konfrontieren, ist das keine Betroffenenvalidierung<br />

oder was es sonst für Unsinn gibt in<br />

der so genannten Aktionsforschung. Mir kann<br />

keine Landfrau sagen, ob ich richtig liege mit<br />

meinen Hypothesen oder nicht. Sondern die<br />

Landfrau kann mir Fragen stellen, ans Material<br />

Fragen stellen, die mich provozieren, mein<br />

Material unter anderem Licht zu sehen. Und<br />

auf diese Weise gibt sie mir den Auftrag: Also<br />

da musst du noch mal genauer drüber nachdenken.“<br />

Das sei dann schon ein wichtiger<br />

Vermittlungsschritt, aber dass man - wie es in<br />

„vielfach aufgelegten“ Lehrbüchern der Qualitativen<br />

Sozialforschung heiße - mit seinen<br />

Ergebnissen zu den betreffenden Akteuren<br />

gehen solle, die diese Ergebnisse validieren,<br />

erscheint dem befragten Mitarbeiter „lächerlich“<br />

Dem gegenüber besage „discovery of a<br />

grounded theory“ (der methodische Leitfaden<br />

im Projekt zur Kinder- und Jugendhilfe) im<br />

Kern, „dass die Datenerhebung gemeinsam<br />

wächst mit ihrer Datenanalyse und dass aus<br />

den schrittweise entstehenden Ergebnissen<br />

der Analyse folgt, was ich <strong>als</strong> nächstes zu erheben<br />

habe. Und manchmal funktioniert<br />

das im Austausch mit der Praxis,<br />

Seite page 74 indem man der Praxis so erzählt, was<br />

man macht, welcher Idee man gerade<br />

auf der Spur ist, und dann sagen die:<br />

Oh, da hätten wir noch eine Idee, was Sie<br />

machen könnten. Und schon ist man in einem<br />

wechselseitigen Mikrosteuerungsprozess des<br />

Forschungsgeschehens. Was jetzt, wenn man<br />

das mit einem konventionellen Methodologen<br />

diskutieren würde, natürlich sofort erhebliche<br />

Probleme der Neutralität, der Distanz und<br />

der Variablenkontrolle und so was aufwerfen<br />

würde“. „Mikrosteuerung“ bedeute in dieser<br />

Sichtweise, Empfehlungen aus der Praxis zu<br />

folgen, „ohne unsere Generallinie“ zu verlassen.<br />

„Wir sitzen schon noch am Ruder. Aber die<br />

Feinkalibrierung des Kompasses beispielsweise,<br />

die diskutieren wir mit den Leuten, die wir<br />

untersuchen“.<br />

Das Bisherige zusammenfassend, stellen wir<br />

fest, dass im Wissenstransfer das Teilprojekt<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe zunächst in zwei<br />

Schritten vorgeht. Der erste Schritt besteht<br />

im Austausch der Ergebnisse mit verantwortlichen<br />

Leitungskräften. Im zweiten Schritt<br />

werden dann auf dieser Ebene die Fragen<br />

diskutiert, „welche Fortbildungsmaßnahmen<br />

ein Allgemeiner Sozialer Dienst im Jugendamt<br />

braucht, um dem Personal auf die Sprünge zu<br />

helfen“, <strong>als</strong>o „Fortbildungsanstöße zu geben“<br />

(wie es ähnlich im Interview mit Mitarbeitern<br />

des Projekts zur Rehabilitation heißt). Das ist<br />

wichtig, weil Praktiker nach allgemeiner Erfahrung<br />

im <strong>SFB</strong> immer „Neues“ hören wollen.<br />

Dies hebt aber weiter auf den Gesichtspunkt<br />

der möglichen Prognostik ab. Da man Soziologie<br />

auch <strong>als</strong> „Krisenwissenschaft“ verstehen<br />

könne, so eine Aussage wieder aus dem Interview<br />

mit Mitarbeitern des Teilprojekts zur<br />

Kinder- und Jugendhilfe, gehe Sozialforschung<br />

immer mit gesellschaftlichen Problemdiagnosen<br />

einher. „Natürlich stellen wir Diagnosen.<br />

Wir machen keine Fallbeschreibung, sondern<br />

eine Fallrekonstruktion - und das heißt: eine<br />

Diagnose“. Aus einer Diagnose, die strukturelle<br />

Gründe für praktische Probleme im


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

untersuchten Handlungsfeld expliziert, folge<br />

deren Prognosekraft. Die Begründung hierfür<br />

lautet: „Weil Strukturen eine bestimmte Dauer<br />

haben - sonst wären es keine Strukturen - ist<br />

es möglich, Entwicklungen in die Zukunft zu<br />

verlängern. Weil aber die Welt eine Welt im<br />

Wandel ist, sind das Diagnosen bis auf weiteres.<br />

Von daher ist die Prognosefähigkeit der<br />

Soziologie definitiv eingeschränkt.“ Klare Aussagen<br />

könne sie „am besten noch in Statistiken,<br />

Grafiken und Schaubildern organisieren“.<br />

Diese stoßen nach einer generellen Erfahrung<br />

im Sonderforschungsbereich regelmäßig auf<br />

großes Interesse in der Praxis. Ihre Prognosekraft<br />

ist aber deutlich eingeschränkt.<br />

Wenn Forschungsergebnisse so nahe mit praktischen<br />

Problemlagen „zusammenhängen“,<br />

wird jedoch nicht nur die Klarheit, sondern<br />

auch die Neutralität, die Webersche Werturteilsfreiheit<br />

zu einer „reflexionspflichtigen“<br />

Frage. Wenn Soziologie - und das gilt gerade<br />

auch für fallrekonstruktive Sozialforschung -<br />

Orientierungswissen für die Praxis „erzeuge“,<br />

dann solle sie nicht vorschreiben, was in der<br />

Praxis zu tun sei. Besser wäre es zu versuchen,<br />

eine „Landkarte“ des Problemfelds <strong>als</strong> praktische<br />

Orientierungshilfe zu zeichnen. Diese<br />

Einstellung vertritt die große Mehrzahl der<br />

Projekte im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong>,<br />

jedenfalls alle, die im Kern oder überwiegend<br />

fallrekonstruktiv arbeiten (das sind in erster<br />

Linie die Teilprojekte zur Kinder- und Jugendhilfe,<br />

zum Bürgerschaftlichen Engagement und<br />

zur Rehabilitation). So heißt es exemplarisch<br />

im Interview mit Mitarbeitern des Teilprojekts<br />

zur Kinder- und Jugendhilfe: „Mit dem, was<br />

wir (an Forschungsergebnissen) entwickelt haben,<br />

kann man sich das Feld besser erschließen.<br />

Aber wo der Weg hin gehen soll in der Kinder-<br />

und Jugendhilfe, ist eine Wertentscheidung<br />

und entzieht sich der wissenschaftlichen<br />

Einflussnahme. So würde das Max Weber<br />

formulieren, und wir sind ebenfalls dieser<br />

Auffassung.“ Aber „ganz so simpel“ sei es mit<br />

der Neutralität im Wissenstransfer auch nicht.<br />

Denn engagiert in der Diskussion, im Vortrag<br />

zu sein und gleichzeitig an der Sache oder<br />

am Material zu bleiben, komme bei der Praxis<br />

besser an, <strong>als</strong> wenn man einen nüchtern-distanzierten<br />

Vortrag halte. Jedoch benötige man<br />

<strong>als</strong> Soziologe klare theoretische Maßstäbe in<br />

Bezug auf professionelles Handeln und müsse<br />

berücksichtigen, „was Howard Becker gesagt<br />

hat im Schlusskapitel von ‚Außenseiter’: Wir<br />

stehen umso besser auf der Seite der Entrechteten,<br />

je nüchterner wir ihre Lage betrachten.<br />

Und wir helfen den Entrechteten überhaupt<br />

nicht, wenn wir umstandslos und blindlings<br />

für sie Partei ergreifen. Und das sehe ich für<br />

unser <strong>SFB</strong>-Projekt auch so.“ 7<br />

Wir fassen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />

dieser letzten Form des Wissenstransfers im<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zusammen:<br />

• Die Forschungsergebnisse stoßen von<br />

Beginn an auf Interesse, weil die Projektarbeiten<br />

- aus Gründen des Erkenntnisinteresses<br />

und der methodischen Anlage<br />

<strong>als</strong> qualitative - informelle Kooperationsformen<br />

oder formale Kooperationsvereinbarungen<br />

mit Akteuren<br />

und Institutionen der Praxis<br />

voraussetzen. Darauf würden<br />

Seite page 75<br />

sich die Akteure in der Praxis<br />

nicht einlassen, wenn sie nicht<br />

ein eigenes Interesse an der Forschung<br />

und ihren Ergebnissen hätten.


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

• Eine so verfahrende Forschung muss von<br />

Beginn an dieses Eigeninteresse im Blick<br />

haben und sich darauf einrichten, ihm<br />

in einer Weise zu entsprechen, die dem<br />

Anliegen der Forschung gerecht wird.<br />

• Der Wissenstransfer konzentriert sich<br />

auf die Kooperationspartner im Projekt.<br />

Weil aber die rekonstruierten Strukturgesetzlichkeiten<br />

nicht nur fallspezifisch<br />

sind, sondern am Fall entwickelt auf<br />

allgemeine Themen verweisen, kann ein<br />

Transfer über die konkreten Kooperationspartner<br />

im Feld hinaus an größere<br />

Gemeinschaften, zum Beispiel an Fachverbände,<br />

erfolgen.<br />

• In dem Maße, wie durch die Fallrekonstruktion<br />

die wesentlichen Elemente<br />

einer praktischen Problemlage expliziert<br />

werden, vermag die Forschung den Wissenstransfer<br />

um prognostische Einschätzungen<br />

über mögliche oder wahrscheinliche<br />

Entwicklungspfade „anzureichern“.<br />

4. Zu s a m m e n fa s s u n g d e r Er g e b n i s s e z u r<br />

Tr a n s f e r p r a x i s im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Zunächst haben wir beobachtet, dass in allen<br />

Projektanträgen (mit einer Ausnahme, dem<br />

Teilprojekt zur strategischen Interaktion) der<br />

Anspruch, gesellschaftlich relevante<br />

Fragestellungen zu bearbeiten, for-<br />

Seite page 76 muliert wird. Er wird jedoch nicht<br />

explizit begründet. Dabei bestimmen<br />

die Wissenschaftler selbst, was für<br />

sie „gesellschaftlich relevante Praxis“ heißt.<br />

Entsprechend enthalten die Projektanträge<br />

auch keine Angaben darüber, ob, und wenn ja,<br />

welche allfälligen Projektergebnisse an eine wie<br />

auch immer geartete „gesellschaftliche Praxis“<br />

transferiert werden sollen.<br />

Wollen wir etwas über die Transferpraxis des<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> erfahren, müssen andere Quellen<br />

herangezogen werden. Dazu gehören die im<br />

Verlauf der Projektarbeit tatsächlich geübten<br />

und objektivierten Transferpraktiken wie Publikationen,<br />

Tagungen, Präsentationen und ihre<br />

jeweiligen Adressaten sowie die in Form von<br />

Interviews gegebenen Selbstbeschreibungen<br />

der Projektmitarbeiter über ihre Forschung.<br />

Es besteht <strong>als</strong>o eine Kluft zwischen der öffentlichen<br />

Ankündigung eines Projekts in<br />

der Beantragung und der tatsächlichen Praxis<br />

der Projektarbeiten. Ein Praxistransfer wird<br />

im Projektantrag nicht versprochen, aber in<br />

fast allen Projekten mit einigem Aufwand<br />

praktiziert. Welche Erklärungen können für<br />

diesen Widerspruch zwischen Antrag und<br />

Projektarbeit gefunden werden? Wir bieten<br />

drei Erklärungsversuche an:<br />

• Der eine besteht darin, dass Sonderforschungsbereiche<br />

sich der „Grundlagenforschung“<br />

widmen sollen, während ein<br />

expliziter Praxisbezug der „angewandten<br />

Forschung“ vorbehalten bleibe. „Zweckfreie“<br />

Forschung wird so „zweckbezogener“<br />

Forschung gegenübergestellt.<br />

Diese Trennung ist in der Soziologie, im<br />

Unterschied zu den Naturwissenschaften,<br />

umstritten. Immerhin gab (und gibt) es<br />

Strömungen in der Soziologie, die dem<br />

Marxschen Utopiedenken verbunden<br />

sind, das zum einen chiliastische Wurzeln<br />

hat und so Erlösungshoffnungen pflegt,<br />

zum anderen die Vorstellung hegt, die


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Utopien durch Herstellung von „neuen“<br />

Menschen und „neuen“ Gesellschaften<br />

Wirklichkeit werden zu lassen (Pohlmann<br />

2008). Theodor W. Adorno hat dies in<br />

einem viel beachteten Aufsatz folgendermaßen<br />

formuliert: „Zugleich obliegt es<br />

der eigentlichen Theorie der Gesellschaft,<br />

ihre Konzeption unermüdlich an den<br />

tatsächlichen Verhältnissen zu messen. …<br />

Gerade eine Theorie der Gesellschaft, der<br />

die Veränderung keine Sonntagsphrase<br />

bedeutet, muss die ganze Gewalt der widerstrebenden<br />

Faktizität in sich aufnehmen,<br />

wenn sie nicht ohnmächtiger Traum<br />

bleiben will, dessen Ohnmacht wiederum<br />

bloß der Macht des Bestehenden zugute<br />

kommt. Die Affinität der empirischen<br />

Sozialforschung zur Praxis, deren negative<br />

Momente man gewiss nicht leichtfertig<br />

einschätzen darf, schließt in sich das Potential,<br />

gleichermaßen den Selbstbetrug<br />

auszuschalten und präzis, wirksam in<br />

die Realität einzugreifen. Die endliche<br />

Legitimation des Verfahrens wird in einer<br />

Einheit von Theorie und Praxis liegen, die<br />

weder an den freischwebenden Gedanken<br />

sich verliert, noch in die befangene<br />

Betriebsamkeit abgleitet. Technisches<br />

Spezialistentum lässt sich nicht durch<br />

gewissermaßen ergänzend hinzutretende,<br />

abstrakte und unverbindliche humanistische<br />

Forderungen überwinden. Der Weg<br />

des realen Humanismus führt mitten<br />

durch die spezialistischen und technischen<br />

Probleme hindurch, wofern es<br />

gelingt, ihres Sinnes im gesellschaftlichen<br />

Ganzen inne zu werden und aus ihnen die<br />

Konsequenz zu ziehen“ (Adorno 1974, S.<br />

114f.). Wenn in den Projektanträgen des<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ein wie auch immer gearteter<br />

„Anwendungsbezug“ von Forschungsergebnissen<br />

unthematisiert bleibt, „unter<br />

der Hand“ sich aber eine rege Transfertätigkeit<br />

entwickelt, dann könnte<br />

dies ein Hinweis darauf sein, dass ein<br />

Großteil der Projekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> eine<br />

Trennung zwischen Grundlagen- und<br />

Anwendungsforschung nicht für sinnvoll<br />

erachtet, gleichzeitig aber die Aufhebung<br />

dieser Trennung nicht offensiv vertritt,<br />

sondern unausgesprochen realisiert. Ob<br />

damit gesellschaftsverändernde Ideen<br />

Marxscher oder anderer Provenienz verbunden<br />

sind, muss offen bleiben.<br />

• In der Medizin, so Johann Behrens<br />

(vom Teilprojekt zur Rehabilitation),<br />

meint „Grundlagenforschung immer<br />

und eindeutig „naturwissenschaftliche<br />

Laborforschung“ (z.B. Zellbiologie<br />

bis hin zu Forschung an Fliegen und<br />

Regenwürmern). Der Gegenbegriff zu<br />

Grundlagenforschung ist hier „klinische<br />

Forschung“. Sie hat mit Patienten bzw.<br />

Personen zu tun und ist ihrem Typus<br />

nach immer angewandte Forschung.<br />

Wenn sich klinische Forschung des<br />

Weiteren auf das Wohl von Patienten<br />

und Patientinnen bezieht, spricht man in<br />

der Medizin von „patientenorientierter<br />

klinischer Forschung“. Wenn sie sich<br />

darüber hinaus noch am ICF (Internationale<br />

Klassifikation der Funktionsfähigkeit,<br />

Behinderung und<br />

Gesundheit) orientiert, handelt<br />

Seite page 77<br />

es sich um „partizipationsorientierte<br />

klinische Forschung“.<br />

Erklärt man einem Referenten einer<br />

Förderinstitution in diesem Forschungsfeld,<br />

das Teilprojekt im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> betreibe


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Seite page 78<br />

„Grundlagenforschung“, so stößt man auf<br />

völliges Unverständnis und Kopfschütteln<br />

bzw. die Frage, „ob man jetzt neuerdings<br />

in zellbiologischen Laboren arbeite“.<br />

• Eine andere Deutung bestünde darin, dass<br />

Transferfragen zwar nicht <strong>als</strong> genuine<br />

Aufgabe soziologischer Forschung angesehen<br />

werden, dass aber die Sache selbst<br />

bzw. der Untersuchungsgegenstand einen<br />

irgendwie gearteten Transfer erfordert,<br />

dem sich die Forschung nicht entziehen<br />

kann. Insbesondere - aber nicht nur -<br />

dort, wo face-to-face-Datenerhebungen<br />

durchgeführt werden, erwarten in der<br />

Regel die Interviewpartner Auskünfte<br />

darüber, „was denn herausgekommen<br />

ist“. Bei der fallrekonstruktiv verfahrenden<br />

empirischen Sozialforschung ist das<br />

aufgrund der Intensität und der Dauer<br />

der Datenerhebung in gesteigertem<br />

Maße der Fall, weshalb es dort zu einer<br />

„Reziprozitätslücke“ (Hildenbrand 1999)<br />

kommt, die aus strukturellen Gründen<br />

nicht aufhebbar ist - der Forscher kann<br />

dem Beforschten nicht das in gleicher<br />

Münze zurück geben, das er von ihm<br />

erhalten hat. Wenden wir diese Beobachtung<br />

ins Allgemeine, dann kommen wir<br />

zu einer weiteren Deutung der Differenz<br />

zwischen grundlagenforschungskompatibler<br />

Antragsformulierung und konkreter<br />

Transferpraxis:<br />

• Nicht der konkrete Akteur in Gestalt<br />

eines Interviewpartners, der<br />

dem Interviewer Zeit und Aufmerksamkeit<br />

schenkt, sondern ein idealer<br />

Akteur in Gestalt der Gesellschaft, die<br />

dem Forscher Ressourcen zukommen<br />

lässt, bringt den Forscher in eine Situation,<br />

die Marcel Mauss <strong>als</strong> „Erwiderung einer<br />

Gabe“ beschreiben würde. Geben und<br />

Nehmen ist ein „’totales’ gesellschaftliches<br />

Phänomen“ (Mauss 1968, S. 17), dem sich<br />

auch die Sozialforschung nicht entziehen<br />

kann. Dieser unabweisbar bestehende<br />

Druck der Erwiderung einer Gabe wird<br />

dadurch verstärkt, dass die Soziologie <strong>als</strong><br />

Krisenwissenschaft in besonderer Weise<br />

dazu aufgefordert ist, ihre Forschungsergebnisse<br />

nicht für sich zu behalten,<br />

sondern der Gesellschaft zur Verfügung<br />

zu stellen. Als „Engagement und Distanzierung“<br />

bezeichnet Norbert Elias die<br />

typische Haltung des Intellektuellen in<br />

der modernen Gesellschaft, namentlich<br />

des Soziologen. Zur forschungslogischen<br />

Haltung der Distanzierung tritt untrennbar<br />

das Engagement, dessen Wirken<br />

umso effizienter ausfällt, je größer die<br />

Distanz zum praktischen Eingreifen ist.<br />

Reine Rationalität gibt es nicht - Elias<br />

verwendet hier den Begriff der „Doppelbindung“,<br />

den er bei der Schizophrenieforschung<br />

ausgeliehen hat und der<br />

die widersprüchliche Einheit von Affekt<br />

und Rationalität bezeichnet (Elias 1987,<br />

S. 83). Weniger voraussetzungsvoll, dafür<br />

umso erfahrungsgesättigter fällt der Begriff<br />

des Psychiaters Luc Ciompi aus, der<br />

denselben Zusammenhang <strong>als</strong> „Affektlogik“<br />

beschreibt: Affekt und Logik „bilden<br />

eine Art Doppelsystem, oder vielmehr ein<br />

zusammenhängendes System mit zwei<br />

Polen“ (Ciompi 1982, S. 81, Hervorh. i.<br />

O.). Soziologen ist dieser Zusammenhang<br />

von Max Webers Formel „mit Augenmaß<br />

und Leidenschaft“ (Weber 1988, S. 560)<br />

bekannt, welche zwar für die Politik <strong>als</strong>


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

Beruf geprägt worden ist, aber ebenso für<br />

die Wissenschaft in Anschlag gebracht<br />

werden kann. Denn dort ist von einem<br />

„Sehnen und Harren“ die Rede, mit dem<br />

es aber nicht getan sei, sondern es gelte,<br />

„an unsere Arbeit zu gehen und der<br />

‚Forderung des Tages’ gerecht zu werden,<br />

menschlich wie beruflich“ (Weber 1988b,<br />

S. 613). In diesem Zusammenhang erteilt<br />

Weber übrigens jeder Form von Prophetie<br />

eine harsche Absage.<br />

• Norbert Elias verdeutlicht anhand einer<br />

Figur aus Edgar Allan Poes Erzählung<br />

„Die Fischer im Mahlstrom“, wie er sich<br />

die Figur des Intellektuellen in der Moderne<br />

vorstellt. Jener Fischer bewahrt in<br />

der Situation des Schiffbruchs, <strong>als</strong>o in einer<br />

Situation, in der die Furcht überhand<br />

nimmt, die Ruhe und beginnt, „mit einer<br />

gewissen Neugierde um sich zu schauen“<br />

(Elias 1987, S. 79). Gerade ein Sonderforschungsbereich,<br />

der sich mit Transformationsprozessen<br />

moderner Gesellschaften<br />

und in der Folge mit Krise unter dem<br />

Vorzeichen des Konstrukts von challenge<br />

& response befasst, ist in besonderer Weise<br />

mit Erwartungen der Gesellschaft konfrontiert,<br />

sein Wissen nicht für sich zu<br />

behalten, sondern über die Grenzen der<br />

Wissenschaft hinaus mitzuteilen.<br />

Was allerdings unter gesellschaftlicher Praxis<br />

verstanden wird, ist im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> vielfältig. Angesichts<br />

der disziplinären Bandbreite und der<br />

Breite theoretischer sowie methodologischer<br />

Positionen im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ist dies nicht weiter<br />

erstaunlich. Die Bandbreite des Verständnisses<br />

von Praxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> reicht von einem Begriff,<br />

der Praxis nicht weiter expliziert und <strong>als</strong><br />

black box behandelt, zu einem handlungs- und<br />

strukturtheoretisch begründeten Praxisbegriff.<br />

Dazwischen liegen Projekte, die das von ihnen<br />

untersuchte Feld sowie die dort für sie<br />

ansprechbereiten institutionellen Akteure <strong>als</strong><br />

Praxis definieren, während andere Projekte<br />

alles, auch die wissenschaftliche Aktivität, <strong>als</strong><br />

Praxis ansehen, woraus sich die Aufgabe ableitet,<br />

konkrete Praxisfelder in und außerhalb der<br />

wissenschaftlichen Praxis auszudifferenzieren.<br />

Entsprechend heterogen fallen die Praxisbezüge<br />

aus. Für wen die Praxis eine black box<br />

ist, der benötigt keinen Praxisbezug. Wer<br />

sich auf handlungs- und strukturtheoretische<br />

Praxisbegriffe bezieht, wird entsprechend den<br />

Praxisbezug seiner Forschung reflektieren<br />

und ihn entsprechend definieren. Für wen<br />

alles Praxis ist, kann sich auf jenen Ausschnitt<br />

gesellschaftlichere Wirklichkeit begrenzen,<br />

den er gerade untersucht, und das <strong>als</strong> Praxis<br />

verstehen, was ihm in Gestalt institutioneller<br />

Akteure in der Forschung entgegentritt,<br />

was auch für jene gilt, die Praxis von vorne<br />

herein auf ihr konkretes Untersuchungsfeld<br />

beschränken.<br />

Man könnte nun die Frage stellen, welcher<br />

Praxisbegriff und -bezug welchem Transfertyp<br />

entspricht. Dabei ist Vorsicht geboten.<br />

Eine 1:1-Beziehung kann nicht angenommen<br />

werden, weil ein bestimmtes Praxisverständnis<br />

bei der Weitergabe von Projektergebnissen<br />

zu unterschiedlichen<br />

Transferwegen führen kann. Was wir<br />

Seite page 79<br />

aber erwarten können, ist, dass es ein<br />

jeweils größeres Passungsverhältnis<br />

zwischen einem jeweiligen Praxisbegriff<br />

und -bezug einerseits und einem jeweiligen<br />

Transfertyp andererseits gibt. Anders formu-


Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />

im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

liert: dass Wahlverwandtschaftsverhältnisse<br />

zwischen Praxisbegriffen bzw. -bezügen und<br />

Transfertypen bestehen. Demnach würde<br />

ein Projekt, das über einen handlungs- und<br />

strukturtheoretisch ausformulierten Praxisbegriff<br />

verfügt und daraus eine spezifische<br />

Vorstellung von einem Praxisbezug entwickelt<br />

hat, nicht in erster Linie zu Transfertyp 1 oder<br />

5 greifen, sondern Transfertyp 8 favorisieren.<br />

Und umgekehrt: Wer die Praxis <strong>als</strong> eine black<br />

box ansieht, wird nicht mit eigenen Übersetzungen<br />

relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />

(Transfertyp 7) aufwarten, sondern sich für<br />

Transfertyp 1, 2 oder 3 entscheiden. Und<br />

schließlich: Ein Projekt, das im Transfer von<br />

Forschungsergebnissen kein bedeutendes Ziel<br />

sieht, wird nicht gerade Transferbemühungen<br />

über alle Transfertypen hinweg aufweisen.<br />

Welches sind die Relationen zwischen Praxisbegriff<br />

und -bezug sowie Transfertyp in<br />

den einzelnen Teilprojekten tatsächlich? Wir<br />

stellen die Ergebnisse zunächst tabellarisch vor<br />

und interpretieren sie dann:<br />

Praxisbezug und -begriff<br />

1 Praxis <strong>als</strong> black box, kein unmittelbarer<br />

Praxisbezug<br />

In den Projekten verwendete<br />

Transfertypen<br />

B7: 3 1,0<br />

Durchschnitt Transfertypen<br />

pro Projekt<br />

2 Differenzierte Praxisfelder<br />

A1: 1, 6<br />

A4: 5<br />

A5: 5, 1<br />

B5: 6<br />

B8: 2, 3, 7<br />

1,8<br />

3 Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld,<br />

Bezug zu institutionellen Akteuren<br />

A2: 4, 6, 7, 8<br />

A3: 1, 2, 6<br />

A6: 6<br />

B1: 2, 3, 4, 8<br />

B2: 4, 6<br />

B9: 7<br />

2,5<br />

4 Expliziter Praxisbegriff<br />

C3: 5, 8<br />

C4: 8<br />

C5: 2, 3, 4, 5, 8<br />

C6: 4, 7<br />

2,5<br />

Seite page 80<br />

Diese Gegenüberstellung zeigt:<br />

• Wo die Praxis <strong>als</strong> black box begriffen<br />

wird, finden wir den Transfertypus 3<br />

(Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen<br />

Begleit- und Folgeprojekten).<br />

Dies entspricht unseren Erwartungen<br />

auch in der Hinsicht, was die Breite der<br />

Transferaktivitäten anbelangt: Wir haben<br />

nur ein Projekt im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> gefunden,<br />

auf das nur ein Typ des Wissenstransfers<br />

in die Praxis entfällt, der zudem nur <strong>als</strong>


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

potentieller skizziert, aber im Rahmen<br />

des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> nicht realisiert wird. Dass<br />

in diesem Projekt die Praxis <strong>als</strong> black box<br />

angesehen wird, ist damit konsistent.<br />

• Ein globaler Praxisbegriff mit ausdifferenzierten<br />

Praxisfeldern geht einher mit einer<br />

geringen Bandbreite von Transferwegen<br />

(1,8 im Durchschnitt pro Projekt).<br />

• Schließlich zeigt sich eine Affinität der<br />

Praxisbegriffe zu den Forschungsgegenständen.<br />

So finden wir einen expliziten<br />

Praxisbegriff lediglich im Bereich C<br />

(Akteure und Institutionen im sozialen<br />

Sektor) vor, <strong>als</strong>o dort, wo es unmittelbar<br />

um die Bewältigung sozialer Probleme<br />

geht.<br />

• Wo die Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld<br />

begriffen wird und entsprechend<br />

die Wissenschaft den Bezug zu den<br />

in der Praxis vorfindlichen institutionellen<br />

Akteuren sucht, beobachten wir alle<br />

Transfertypen, und hier finden wir auch<br />

mit die höchste durchschnittliche Anzahl<br />

von Transferwegen pro Projekt, nämlich<br />

2,5.<br />

• Wo ein handlungs- und strukturtheoretisch<br />

ausformulierter Praxisbegriff<br />

vorliegt, finden wir einen Schwerpunkt<br />

bei Transfertypen, bei denen der Transfer<br />

vorstrukturiert ist. (Dazu gehören<br />

der Typ 7, Grundlagenforschung mit<br />

eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse<br />

für die Praxis, sowie der Typ<br />

8, Grundlagenforschung mit konkreter<br />

Theorie-Praxis-Rückkopplung.) Ebenso<br />

beobachten wir hier den Transfertyp 5<br />

(Grundlagenforschung auf der Suche<br />

nach öffentlichem Interesse), bei welchem<br />

der zu transferierende Inhalt bekannt, der<br />

Adressat aber offen ist. Auch bei einem<br />

handlungs- und strukturtheoretisch formulierten<br />

Praxisbegriff finden wir eine<br />

sehr große Bandbreite an Transferwegen<br />

vor: im Durchschnitt 2,5 pro Projekt.<br />

Seite page 81


Vorstellung References Literatur des Epilog Transferprojekts<br />

Ep i l o g<br />

Jenseits einer einfachen Gegenüberstellung<br />

von Grundlagenforschung vs. angewandter<br />

Forschung, von Erkenntnis um ihrer selbst<br />

Willen vs. Erkenntnis zum Zweck einer Problemlösung<br />

fördert unsere Bestandsaufnahme<br />

der Beziehungen der Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

zur gesellschaftlichen Praxis eine große Vielfalt<br />

an Möglichkeiten zutage, von Seiten einer<br />

empirisch verfahrenden Wissenschaft mit dem<br />

Untersuchungsgegenstand ins Gespräch zu<br />

kommen. Diese Möglichkeiten zu evaluieren<br />

war nicht unser Auftrag und entspricht nicht<br />

unserem Interesse. Wir können jedoch abschließend<br />

unsere Einschätzung zu Protokoll<br />

geben, dass der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zuerst die Mühen<br />

der Ebene auf sich nimmt, bevor der hohe Ton<br />

der Gesellschaftsdiagnose, Orientierung und<br />

Sinngebung angeschlagen wird.<br />

Seite page 82


Hildenbrand, References Literatur<br />

Bohler, Engelstädter,<br />

Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />

En d n o t e n<br />

1<br />

Die weite Verbreitung von Navigationssystemen und skurrile<br />

Beispiele davon, wie das Vertrauen in solche Systeme zu Irrfahrten<br />

(ggf. ins Wasser, wenn das System eine Brücke mit einer<br />

Fähre verwechselt) sind augenfällige Beispiele für diese These.<br />

2<br />

Die Zählung bei DSM und ICD ändern sich ständig. Es wird<br />

verworfen, revidiert, Neues eingebracht. Wohlmeinende können<br />

dies <strong>als</strong> Reaktion auf ständigen wissenschaftlichen Fortschritt,<br />

Kritische <strong>als</strong> Verunsicherung interpretieren.<br />

7<br />

Tatsächlich heißt es bei Becker: „Wir sollten es (das abweichende<br />

Verhalten) nicht <strong>als</strong> etwas Besonderes ansehen, <strong>als</strong> verkommen<br />

oder in irgendeiner magischen Weise besser <strong>als</strong> andere Verhaltensweisen.<br />

Wir sollten es einfach <strong>als</strong> eine Art von Verhalten<br />

ansehen, das einige missbilligen und andere schätzen, und<br />

sollten die Prozesse untersuchen, in deren Verlauf einer von beiden<br />

oder beide Blickrichtungen eingestellt werden und erhalten<br />

bleiben“ (Becker 1981, S. 158). Vgl. auch Thomas Luckmann<br />

im Vorwort zu Hildenbrands Studie einer Familie mit einem<br />

<strong>als</strong> schizophren diagnostizierten Sohn: „Mit dem Erklären und<br />

erst recht mit den Vorschriften für die Praxis wollen wir hingegen<br />

vorsichtig verfahren. Vielleicht verscherzen wir uns auf<br />

diese Weise nicht ganz die Möglichkeit, die Praxis vernünftig<br />

zu beeinflussen“ (Luckmann 1983, S. 13).<br />

3<br />

Eine Ausnahme könnte die Klinische Soziologie sein. Vgl. <strong>als</strong><br />

Übersicht Hildenbrand 1999a.<br />

4<br />

Was eine ARGE ist, wird von der Bundesagentur für Arbeit<br />

wie folgt erläutert: „Seit dem 1.1.2005 gibt es das neue Arbeitslosengeld<br />

II. Ausgezahlt wird die Geldleistung meistens von<br />

Kommunen und Agenturen für Arbeit gemeinsam. Beide Partner<br />

haben dafür Arbeitsgemeinschaften gegründet. Diese oft ARGEn<br />

oder Jobcenter genannten Einrichtungen sind für Ihre Beratung<br />

und Vermittlung und für die Auszahlung der Geldleistungen<br />

(Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Kosten der Unterkunft) zuständig“<br />

(www.arge-sgb2.de vom 23.7.2008).<br />

5<br />

Hildenbrand 2005.<br />

6<br />

Vgl. Weber 1988a, S. 191: Ein Idealtypus werde gewonnen<br />

„durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte<br />

und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret,<br />

hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen<br />

Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen<br />

Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde.“<br />

Werden solche Erscheinungen in irgend einem Grade<br />

in einem Handlungszusammenhang <strong>als</strong> wirksam festgestellt,<br />

dann könnten wir uns „die Eigenart dieses Zusammenhangs an<br />

einem Idealtypus pragmatisch veranschaulichen und verständlich<br />

machen“ (Weber 1988a, S. 190).<br />

Seite page 83


Literatur<br />

Li t e r at u r<br />

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in der Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen<br />

Praxis. In: Kraimer, Klaus Hrsg. Die Fallrekonstruktion.<br />

Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 58 - 156.<br />

Parsons, Talcott; Platt, Gerald M. (1990) Die Amerikanische<br />

Universität - Ein Beitrag zur Soziologie der Erkenntnis.<br />

Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />

Pohlmann, <strong>Friedrich</strong> (2008) Das Elend der Utopien. Merkur Jg.<br />

62 Heft 5, S. 399 - 409.<br />

Welter-Enderlin, Rosmarie; Hildenbrand, Bruno (2004) Systemische<br />

Therapie <strong>als</strong> Begegnung. Stuttgart: Klett-Cotta (4.,<br />

erheblich überarbeitete und erweiterte Auflage).<br />

Wenzel, Harald (1995) Gibt es ein postmodernes Selbst? Neuere<br />

Theorien und Diagnosen der Identität in fortgeschrittenen Gesellschaften.<br />

Berliner Journal 5, S. 113 ff.<br />

Wieland, Wolfgang (2004) Diagnose - Überlegungen zur Medizintheorie.<br />

Warendorf: Verlag Johannes G. Hoof (Nachruck<br />

der Erstfassung von 1975).<br />

Popper, Karl (1968) Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften.<br />

In: Topitsch, Ernst Hrsg. Logik der Sozialwissenschaften.<br />

Köln, Berlin: Kiepenheuer und Witsch, S. 113 - 125.<br />

Wulff, Erich (2004) Sozialpsychiatrische Informationen Heft 3.<br />

Rosa, Hartmut (2005) Beschleunigung. Die Veränderung der<br />

Zeitstruktur in der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />

Rosenhan, D. L. (1973) On being insane in insane places.<br />

Science 179 (70), S. 250 - 258.<br />

Sahner, Heinz (1989) „Praxis“. In: Wörterbuch der Soziologie,<br />

hrsg. von Endruweit, Günter und Trommsdorff, Gisela Bd. 2.<br />

Stuttgart: Enke, S. 502f.<br />

Schütz, Alfred (1971) Gesammelte Aufsätze 1. Den Haag:<br />

Nijhoff.<br />

Weber, Max (1988) Politik <strong>als</strong> Beruf. In: ders. Gesammelte<br />

politische Schriften. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) (5.<br />

Aufl.), S. 505 - 560.<br />

Weber, Max (1988a) Die ‚Objektivität’ sozialwissenschaftlicher<br />

und sozialpolitischer Erkenntnis. In: ders. Gesammelte Aufsätze<br />

zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)<br />

(5. Aufl.), S. 146 - 214.<br />

Seite page 85<br />

Weber, Max (1988b) Wissenschaft <strong>als</strong> Beruf. In: ders. Gesammelte<br />

Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul<br />

Siebeck) (5. Aufl.), S. 582 - 613.


Literatur Anhang<br />

An h a n g: Ch a r a k t e r i s i e r u n g d e r Te i l p r o j e k t e d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s a u f<br />

d e r Ba s i s i h r e r An t r a g s t e x t e f ü r d i e z w e i t e Be w i l l i g u n g s p h a s e<br />

Zur besseren Orientierung für Leserinnen und Leser fassen wir in diesem Anhang die wichtigsten<br />

Charakteristika der Anträge der einzelnen Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs<br />

<strong>580</strong> für die zweite Bewilligungsphase (2004-2008) zusammen. Leitend für diese Zusammenfassungen<br />

sind die folgenden fünf Fragen:<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Welcher Bereich von gesellschaftlicher Praxis ist für das jeweilige Projekt relevant?<br />

Ist beabsichtigt, Ergebnisse der Untersuchung in die gesellschaftliche Praxis zu transferieren?<br />

Wie wird im Projekt methodisch vorgegangen?<br />

Wie sieht die Zielstellung des Projekts aus?<br />

Welche praktischen Bezüge sind zu erkennen und wohin sollen Ergebnisse transferiert<br />

werden?<br />

Seite page 86<br />

Projekt A1: Heinrich Best (FSU)<br />

Führungsgruppen und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse in der DDR<br />

• Das Projekt A1 hatte in der vorigen Bewilligungsphase <strong>als</strong> Datenbasis den zentralen<br />

Kaderdatenspeicher des Ministerrats, den Arbeitskräftedatenspeicher der Zentralen<br />

Staatsorgane der DDR und den Datenspeicher Gesellschaftliches Arbeitsvermögen<br />

(prozessproduzierte Massendatenspeicher der DDR-Verwaltung). Selbst im Rahmen<br />

des Projekts erhoben wurden die Kaderdaten zu den Sekretären der Bezirks- und Kreisleitungen<br />

der SED (regionale Vollerhebung in den thüringischen Bezirken) sowie für<br />

die Offiziere der Nationalen Volksarmee. Diese sollen weiter ausgewertet werden. In der<br />

zweiten Phase kommen der Arbeitskräftedatenspeicher des Ministeriums für Volksbildung<br />

und die Kaderdatenspeicherbank der Deutschen Volkspolizei<br />

hinzu, mit deren Auswertung begonnen werden soll.<br />

• Mit Hilfe der Projektarbeiten werden die Datensätze erstm<strong>als</strong> einer<br />

sozialwissenschaftlichen Nutzung zugänglich gemacht. Längerfristig<br />

soll ein Beitrag zur Sicherung und zum Fortbestand der wertvollen Datenquellen geleistet<br />

werden.


Literatur Anhang<br />

•<br />

•<br />

Das Projekt stellt methodenpraktisch einen Sonderfall dar, weil es sich der quantitativen<br />

historischen Sozialforschung verpflichtet fühlt.<br />

Ein Ziel ist es, der DDR- und Transformationsforschung Impulse zu verleihen (Servicefunktion<br />

für scientific community und interessierte Öffentlichkeit).<br />

• Im Sinne eines konkreten Transfers sollen Antworten auf Fragen aus anderen <strong>SFB</strong>-<br />

Projekten gegeben bzw. durch Bereitstellen von entsprechenden Daten ermöglicht<br />

werden (Servicefunktion innerhalb des <strong>SFB</strong>).<br />

Projekt A2: Rudi Schmidt/Katharina Blum (FSU)<br />

Generationswechsel im Management - Persistenz oder Wandel der Managementstrategien<br />

in Ost- und Westdeutschland<br />

• Das Projekt A2 untersucht den Zusammenhang des Generationswechsels im Management<br />

mittelständischer Unternehmen mit dem Wandel von Managementkonzepten<br />

unter der zentralen Forschungsfrage: Weist die Nachfolgegeneration eine höhere Affinität<br />

gegenüber den Prämissen und Folgen der radikalen Marktliberalisierung auf oder<br />

wahrt sie mehr die Kontinuität zur traditionellen deutschen Unternehmenskultur?<br />

•<br />

•<br />

Formen des Praxisaustausches sind nicht explizit und systematisch vorgesehen.<br />

Es ist geplant, der Fragestellung mit Hilfe einer Kombination qualitativer und quantitativer<br />

Forschungsmethoden in einer longitudinalen Perspektive nachzugehen.<br />

• Wenn auch kein direkter Bezug zur gesellschaftlichen Praxis zu sehen ist, so könnte ein<br />

solcher Bezug mittelbar hergestellt werden, da es sich bei der zentralen Forschungsfrage<br />

um eine relevante Orientierungsfrage für die Leitung eines mittelstädischen Unternehmens<br />

handelt.<br />

• Schlüsse auf die Erfolgsaussichten von Maßnahmen der Unternehmensleitung sind im<br />

Projekt nicht explizit vorgesehen.<br />

Seite page 87


Literatur Anhang<br />

Projekt A3: Heinrich Best/Karl Schmitt (FSU)<br />

Delegationseliten nach dem Systemumbruch. Rekrutierung, Zirkulation und Orientierungen<br />

der parlamentarischen Führungsgruppen Ostdeutschlands im Vergleich<br />

• Im Zentrum des Projekts steht eine zwischen Ost- und Westdeutschland vergleichende<br />

Analyse von Rekrutierungsmustern, Karrierepfaden und politischen Orientierungen<br />

von Delegationseliten nach dem Systemumbruch.<br />

•<br />

Es sind keine expliziten Austauschformen zwischen Theorie und Praxis vorgesehen.<br />

• Bei der Erhebung werden prosopographische Methoden zu Karriereverläufen und<br />

sozialer Herkunft mit einer Panelerhebung zu Einstellungen hinsichtlich des Mandatsverständnisses<br />

und der politischen Ambitionen kombiniert. Die Forschung des Projekts<br />

folgt dem Paradigma der komparatistischen Politik- und Elitenforschung.<br />

• Das besondere Interesse gilt einer möglichen Konvergenz ost- und westdeutscher Rekrutierungs-<br />

und Karrieremuster bei gleichzeitiger Persistenz ostspezifischer Einstellungen<br />

und Deutungsmuster.<br />

•<br />

Die eigentliche Zielgruppe der Forschungsergebnisse ist die Fachöffentlichkeit, die mit<br />

entsprechenden Publikationen erreicht werden soll.<br />

Projekt A4: Heinz Sahner/Sören Petermann (MLU)<br />

Lokale politisch-administrative Eliten - Lebensverläufe zwischen Ungewissheit, Professionalisierung<br />

und Legitimation<br />

• Das Projekt analysiert (1) Divergenzen und Konvergenzen der Lebenslaufmuster<br />

ost- und westdeutscher lokaler politisch-administrativer Eliten, (2) die Einstellungen<br />

dieser Eliten zu politischen Institutionen und (3) legitimationstheoretische Themen im<br />

Verhältnis von Elite und Bevölkerung.<br />

Seite page 88<br />

• Ein Austausch mit den befragten Akteuren im Feld während der Projektarbeiten<br />

ist im Antrag nicht vorgesehen.<br />

• Das verlaufsanalytische und vergleichende Untersuchungsdesign<br />

(Panelbefragungen) erlaube grundsätzliche Einsichten in die Auswirkungen<br />

von Institutionenwandel auf politische Akteure, in die Bereiche ursprünglicher<br />

Strukturbildung, den Übergang von Top-Down-Kaderplanung zur Bürgergesellschaft<br />

und (lokalen) Selbstverwaltung sowie den von einer rein repräsentativen Demokratie zu


Literatur Anhang<br />

einer Demokratie mit plebiszitären Elementen. Ergänzende Methoden sind: Standardisierte<br />

Telefoninterviews, biographisch-narrative Interviews, Expertenbefragungen.<br />

•<br />

In Kooperation mit Projekt A3 sei eine umfassende Analyse bundesdeutscher Politiker<br />

von der kommunalen bis zur Europaebene möglich.<br />

• Praktische Bezüge (v.a. Fragen nach der Professionalisierung der Akteure und Bewältigung<br />

von Unsicherheit in einem Konkurrenzsystem) lassen sich für den „geübten Blick“<br />

erkennen, sind aber nicht ausgeführt.<br />

Projekt A5: Lutz Niethammer (FSU)<br />

Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte im Generationenumbruch. Beteiligungschancen<br />

und Deutungssysteme ausgewählter Kultureliten<br />

• Das Projekt thematisiert den intergenerationellen Erfahrungstransfer nach dem Systemumbruch<br />

in Ostdeutschland. Die Projektgruppe sucht nach Merkmalen einer<br />

kommenden, potenziellen Deutungselite.<br />

• Ein Fokus sind der hochwirksame institutionelle Faktor Schule und die sozialisatorischen<br />

Auswirkungen der weitgehenden Kontinuität in der ostdeutschen Lehrerschaft<br />

über den politischen Umbruch hinweg auf die Schüler der Wendejahre. Der andere<br />

Fokus ist der Erfahrungstransfer in informellen Kulturszenen.<br />

•<br />

Das methodische Vorgehen orientiert sich am Paradigma der oral history.<br />

• Ein besonderer Bezug der Untersuchung ist die Zukunftsforschung - und damit könnte<br />

die Forschung mittelbar sowohl eine Bedeutung für die politische wie eine Fachöffentlichkeit<br />

haben.<br />

• Historische Forschung hat typischerweise keinen direkten Praxisbezug. Dagegen geht<br />

ihr ein gewisser Ehrgeiz, sich an der „Produktion“ kultureller Deutungsmuster zu beteiligen,<br />

nicht ab.<br />

Seite page 89


Literatur Anhang<br />

Projekt A6: Everhard Holtmann (LMU)<br />

Freie Wählergemeinschaften <strong>als</strong> kommunalpolitische Akteure in Ost- und Westdeutschland<br />

- Ortsgesellschaftliche Vernetzung und Stellung im Parteiensystem, soziales Profil,<br />

Programmatik, politisches Selbstverständnis und Politikstil eines Segments der kommunalen<br />

Positionseliten<br />

• Das Projekt untersucht komparativ und longitudinal parteifreie Kommunale Wählergemeinschaften<br />

darauf hin, wie sich ihre Vernetzung mit der Sozialgemeinde, ihre Position<br />

im lokalen und überörtlichen Parteiensystem, ihr programmatisches Profil, ihre soziale<br />

Zusammensetzung und ihr Politikstil ausformt.<br />

• Die maßgebliche Untersuchungsebene ist der Bereich der akteursnahen „Micropolitics“<br />

und nicht der der systemtheoretischen „Makropolitik“. Die Praxisrelevanz ergibt sich<br />

aus der Fokussierung der Untersuchung auf das Akteurshandeln, <strong>als</strong>o der gewählten<br />

kommunalen Repräsentanten.<br />

• Die Untersuchungsfelder werden in Querschnitts- und Längsschnittsdimensionen in<br />

unterschiedlicher Gewichtung und mit unterschiedlichen Kombinationen statistischquantitativer,<br />

qualitativer bzw. textbezogener Dokumentenanalyse bearbeitet.<br />

• Als theoretische Ziele werden im Antrag hervorgehoben: Eine typologisch ausgerichtete<br />

Parteientheorie, Partizipationsforschung im politischen Sektor und lokale Politikforschung.<br />

In longitudinaler Perspektive wird dabei Prozessen der Professionalisierung,<br />

Politisierung, Parlamentarisierung sowie des Strukturwandels besonderes Augenmerk<br />

zugewandt.<br />

•<br />

Die relevante Zielgruppe für die Rezeption der Projektergebnisse ist in erster Linie die<br />

Fachöffentlichkeit.<br />

Projekt B1: Holle Grünert/Wolfhard Kohte (LMU)<br />

Massenarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel - zwischenbetrieblicher Arbeitsmarkt<br />

zwischen Instabilität und Neustrukturierung<br />

Seite page 90<br />

• Das Projekt nimmt wegen des demographischen und strukturellen<br />

Wandels an, dass erhebliche qualitative und quantitative Ungleichgewichte<br />

auf verschiedenen Teilarbeitsmärkten Ostdeutschlands, neuartige<br />

Herausforderungen für die individuellen und kollektiven Arbeitsmarktakteure und<br />

tiefgreifende Veränderungen in Struktur und Funktionsweise zwischenbetrieblicher<br />

Arbeitsmärkte für Fach- und Führungskräfte auftreten werden. Zentrale Absicht des


Literatur Anhang<br />

Projekts ist es, bereits beobachtbare sowie zukünftig zu erwartende Veränderungen in<br />

den Funktionsvoraussetzungen und der Funktionsweise zwischenbetrieblicher Arbeitsmärkte<br />

für wichtige Gruppen möglichst zeitnah, verlässlich und detailliert zu beschreiben<br />

und zu analysieren.<br />

•<br />

Datenbasis sollen amtliche Datenbestände und eigene Erhebungen sein. Die Steuerung<br />

des Forschungsprozesses erfolgt „autopoietisch“.<br />

• Methodische Grundlagen der Erhebungen im Projekt: Empirisch-statistische Analysen,<br />

Weiterführung eines Expertenpanels, Betriebsbefragung zu Ausbildung und Rekrutierungsverhalten,<br />

vertiefte Experteninterviews und Dokumentenanalyse.<br />

• Die wesentlichen Fragen des Projekts richten sich nach eigener Aussage weniger auf<br />

vergangene Entwicklungen, <strong>als</strong> vielmehr auf Prozesse, die sich noch im Stadium der<br />

Emergenz befinden. Deshalb sollen die wichtigsten Ergebnisse der Projektforschung<br />

möglichst rasch der gesellschaftlichen Praxis zugänglich gemacht werden, ohne hierdurch<br />

ihren Grundlagencharakter in Frage zu stellen.<br />

• Die offenkundige gesellschaftspolitische Bedeutung der Projektbefunde verlangt laut<br />

Antrag eine „aktive Publikationspolitik“. Mit dieser werden zwei Absichten verfolgt:<br />

(1) Wichtige Befunde möglichst breit und rasch in die fachpolitische & öffentliche<br />

Diskussion „einzubringen“ und (2) insbesondere den paradigmatischen Charakter der<br />

ostdeutschen Entwicklung für die gesamtdeutsche und -europäische Ebenen herauszustellen.<br />

Projekt B2: Christoph Köhler/Olaf Struck (FSU)<br />

Betrieb und Beschäftigung im Wandel II: Beschäftigungsstabilität und betriebliche Beschäftigungssysteme<br />

im west-ost-deutschen Vergleich<br />

•<br />

Die Untersuchung des Projekts wird auf drei Ebenen durchgeführt: Auf der ersten strukturellen<br />

Ebene geht es um die generelle Entwicklung betrieblicher Beschäftigungsstabilität<br />

und -sicherheit; auf der zweiten Ebene werden Erklärungsmodelle<br />

stabiler und instabiler Beschäftigung entwickelt; auf der dritten Ebene<br />

geht es vergleichend um die Struktur und Funktionsweise geschlos-<br />

Seite page 91<br />

sener, offener und marktförmiger Beschäftigungssysteme.<br />

• Zum Austausch mit der untersuchten gesellschaftlichen Praxis und zu Fragen der Steuerung<br />

des Forschungsprozesses durch praktischen Austausch finden sich im Antrag keine<br />

Angaben.


Literatur Anhang<br />

• Die empirische Umsetzung der Forschungsziele stützt sich auf drei Datengrundlagen<br />

und methodische Paradigmen: erstens Ergänzung eines Betriebspanels; zweitens ca. 100<br />

qualitative Interviews mit Beschäftigten; drittens statistische Analysen in Kooperation<br />

mit dem IAB Nürnberg und dessen für die Fragestellung des Projekts einschlägigen<br />

Daten.<br />

• Ziel des Projekts ist es, Entwicklungen betrieblicher Beschäftigungsstabilität und<br />

-sicherheit in Ost- und Westdeutschland zu erfassen und in ihren Ursachen und Wirkungen<br />

zu erklären. Das Projekt hat eine starke Stellung im engeren, internen Feld der<br />

Arbeitsmarktforschung. Die Kooperation mit dem IAB vermittelt die Grundlagenforschung<br />

des <strong>SFB</strong>-Projekts mit dem Feld der angewandten und Auftragsforschung.<br />

•<br />

Statistisch gestützte Modellbildungen sind lt. Antrag nicht auf betriebliche Problemstellungen<br />

bezogen und damit höchstens mittelbar praxisrelevant.<br />

Projekt B5: Dorothea Alewell (FSU)<br />

Personaldienstleistungen im Spannungsfeld von ökonomischen und rechtlichen Determinanten<br />

• Das Teilprojekt B5 untersucht die Nachfrage nach Personaldienstleistungen durch Unternehmen.<br />

Fragen nach den Wirkungen institutioneller Veränderungen am Arbeitsmarkt<br />

und damit konkret auch der Personaldienstleistungen im Ost-West-Vergleich<br />

sollen mit den Untersuchungen beantwortet werden.<br />

• Das Projekt soll einen Beitrag zur Entwicklung leistungsfähiger Theorieansätze leisten<br />

und empirisches Wissen zu Angebot und Nachfrage generieren. Es geht darum, bestehende<br />

Wissenslücken zu schließen, indem die Nachfrage nach Personaldienstleistungen<br />

theoretisch und empirisch untersucht wird. Während des laufenden Forschungsprozesses<br />

ist der Austausch mit den untersuchten Unternehmen zu Fragen der Steuerung<br />

des Forschungsprozesses nicht vorgesehen.<br />

Seite page 92<br />

• Methodisch werden die empirischen Untersuchungen mittels Experteninterviews<br />

mit explorativem Charakter und einer telefonischen<br />

Befragung (CATI-Befragungen) von 800 Betrieben umgesetzt. Es<br />

soll des Weiteren ein theoretischer Rahmen entwickelt und empirisch<br />

überprüft werden.<br />

• Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong> (Kooperation): Das Projekt B5 ist inhaltlich<br />

sehr eng mit den Projekten B1, B2 und B7 verbunden, weshalb Kooperationen bei den


Literatur Anhang<br />

empirischen Erhebungen geplant sind. Darüber hinaus wird mit dem IAB in Nürnberg<br />

zusammengearbeitet. In diesem Projekt geht es um Grundlagenforschung theoretischer<br />

Art, die jedoch nicht ohne frühzeitige Spiegelung an empirischem Wissen vorgenommen<br />

werden soll. Allerdings wird eine Diskussion der Forschungsergebnisse mit den<br />

untersuchten Unternehmen nicht angestrebt.<br />

• Während des laufenden Forschungsprozesses soll jedoch von den Projektmitarbeitern<br />

die Kooperation mit Anbietern von Personaldienstleistungen gesucht werden, um Wege<br />

auszuloten, wie deren Kunden direkt angesprochen werden können.<br />

Projekt B7: Werner Güth/Matthias Sutter (MPI Jena)<br />

Strategische Interaktion, Reziprozität und Fairness<br />

• Mit diesem Forschungsprojekt sollen zwei maßgebliche Forschungsfragen beantwortet<br />

werden: Erstens die Frage nach der Funktion von sozialmoralischen Handlungsorientierungen<br />

in der Beschäftigungsbeziehung, insbesondere den wirtschaftlich relevanten<br />

Aspekten von Investitions- und Leistungsbereitschaft, und nach der Entwicklung dieser<br />

Orientierungen unter unterschiedlichen sozialen und gesamtgesellschaftlichen Bedingungen;<br />

zweitens die Frage, wie sozialmoralische Dispositionen im Zusammenspiel mit<br />

institutionell-gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren die Vertragsgestaltung<br />

in der Beschäftigungsbeziehung beeinflussen.<br />

• Das Projekt B7 möchte sowohl einen grundlagentheoretischen Beitrag zur Erforschung<br />

der Beschäftigungsbeziehungen leisten <strong>als</strong> auch die anderen historisch-empirisch orientierten<br />

Teilprojekte des B-Bereichs in der Analyse von Ursachen, Folgen und Problemen<br />

der anhaltenden Externalisierungsprozesse unterstützen.<br />

• Mit Labor- und Feldexperimenten (Befragung via Telefon) sollen die entwickelten<br />

Theoriebausteine, die in der Lage sind, einen Beitrag zur Erklärung der Varianz von<br />

Vertragsformen in Ost- und Westdeutschland zu leisten, untersucht bzw. überprüft<br />

werden.<br />

• B7 beschreibt sich <strong>als</strong> „Dienstleistungsprojekt“ für andere Projekte im<br />

B-Bereich. Der Öffentlichkeitsbezug konzentriert sich deshalb auf die<br />

engere scientific community.<br />

Seite page 93<br />

• In diesem Projekt geht es um grundlagentheoretische Forschung, die während des<br />

laufenden Forschungsprozesses einen Austausch mit der gesellschaftlichen Praxis nicht<br />

vorsieht.


Literatur Anhang<br />

Projekt B8: Reinhold Sackmann (MLU)<br />

Demographischer Wandel und Arbeitsmarkt des öffentlichen Sektors<br />

• Das Projekt untersucht den gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem demographischer<br />

Alterung im Personalwesen des öffentlichen Sektors. Es zielt darauf, die Art<br />

der personalrelevanten Bewältigungsstrategien des öffentlichen Arbeitgebers auf demographische<br />

Veränderungen, die Ursachen hierfür, sowie deren Folgen zu untersuchen.<br />

•<br />

Der Praxisbezug ist unmittelbar erkennbar, wird im Antrag aber nicht näher expliziert.<br />

• Die Untersuchung sieht eine qualitative und quantitative Untersuchung der Bewältigungsstrategien<br />

auf verschiedenen Ebenen des Staatshandelns (Kommune, Zwischenebene,<br />

Zentr<strong>als</strong>taat) in zwei Transformationsländern (Ostdeutschland und Polen) und<br />

in Westdeutschland vor. Es werden Leitfadeninterviews mit Experten geführt. Um die<br />

Ergebnisse der Experteninterviews zu validieren, soll ergänzend die Erarbeitung eines<br />

quantitativ-längsschnittlichen Erhebungsinstruments für eine quantitative Beschäftigungsbefragung<br />

hinzukommen (Konzeption eines Panels).<br />

• Mit der Schaffung einer objektiven Datenbasis soll eine empirisch gestützte Theorie<br />

der Zusammenhänge zwischen demographischem Wandel und personalrelevanten<br />

Beschäftigungsstrategien des öffentlichen Sektors entwickelt werden.<br />

• Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong>: Besonders enge zu B1, B2 und B5 - den Projekten<br />

des B-Bereichs, die sich mit der Transformation von Arbeitsmärkten beschäftigen.<br />

Auf Kooperationsbeziehungen zu den Projekten A4 und A6 des <strong>SFB</strong> wird verwiesen<br />

sowie auf die „Interessenüberschneidungen“ mit den Projekten C3 und C5. Zwischen<br />

den Forschungsinstitutionen in Polen und Deutschland soll ein regelmäßiger Informations-<br />

und Diskussionszusammenhang hergestellt werden. Zu diesem Zweck sind<br />

beispielsweise ein Workshop und eine internationale Konferenz geplant.<br />

Projekt B9: Klaus Dörre (FSU)<br />

Eigensinnige „Kunden“. Der Einfluss strenger Zumutbarkeit auf die<br />

Erwerbsorientierungen Arbeitsloser und prekär Beschäftigter - ein in-<br />

Seite page 94<br />

terregionaler Vergleich<br />

• Das Projekt beschäftigt sich mit der Transformation subjektiver Erwerbsorientierungen<br />

in den unteren Schichten der Arbeitsgesellschaft. Im Fokus des Forschungsvorhabens<br />

stehen die Wechselbeziehungen zwischen solchen Orientierungen<br />

und einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Aus der Perspektive von Arbeitslosen und


Literatur Anhang<br />

prekär Beschäftigten soll diese Transformation von Erwerbsorientierungen im interregionalen<br />

Vergleich rekonstruiert werden.<br />

•<br />

Dem Antrag liegt qua Forschungsfrage ein Praxisbezug zugrunde. Ein konkreter Transferweg<br />

in die Praxis (nicht in die Wissenschaft - vgl. unten) wird nicht expliziert.<br />

• Die vom Projekt angestrebte Arbeitsmarkt- und Prekarisierungsforschung wird mit<br />

Expertengesprächen (problemzentrierte Interviews) und regionalen Fallstudien durchgeführt<br />

und soll wesentlich zur Profilbildung des Lehrstuhls beitragen.<br />

• Der konkrete Nutzen für den <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> besteht in der Schließung einer gravierenden<br />

Forschungslücke im B-Bereich, denn Erwerbsorientierungen, regionale Arbeitsmarktpolitik<br />

und institutioneller Wandel werden dort bislang nicht untersucht.<br />

• Ergebnisse der Fallstudien zu regionalen Arbeitsmarktprofilen und Arbeitsmarktpolitik<br />

werden in einem ersten Workshop diskutiert. Mit den Projekten A2 und B2 ist ein<br />

Methodenworkshop anvisiert sowie eine international besetzte Abschlusskonferenz.<br />

Eine themenzentrierte Kooperation mit dem B-Bereich wird im Antrag ausgewiesen,<br />

eine Kooperation mit C4 (Giegel/Rosa) und C3 (Hildenbrand) sei „denkbar“. Generell<br />

sollen Untersuchungsergebnisse mit entsprechenden Forschergruppen des <strong>SFB</strong> diskutiert<br />

werden. Kooperationen innerhalb der scientific community sind angestrebt: Mit dem<br />

französischen Arbeitsministerium, dänischen Kooperationspartnern, FORBA Wien<br />

und der Cornell University. Das Netzwerk soll im Verlauf der ersten Projektphase ausgebaut<br />

und kontinuierlich an der Diskussion der Forschungsergebnisse beteiligt werden.<br />

In Deutschland bestehen entwickelte Kooperationen u.a. mit Forschergruppen aus dem<br />

Verbund „Desintegrationspotentiale“. Zu nennen ist auch eine im Entstehen begriffene<br />

Kooperation mit dem IAB in Nürnberg.<br />

Projekt C3: Bruno Hildenbrand (FSU)<br />

Individuelle Ressourcen und professionelle Unterstützung bei der Bewältigung von Systemumbrüchen<br />

in kontrastierenden ländlichen Milieus in Ost- und Westdeutschland<br />

• Das Teilprojekt C3 führt einen innerdeutschen Vergleich zur Entwicklung<br />

der Kinder- und Jugendhilfe durch: Vier kontrastierende<br />

Seite page 95<br />

Kreisgebiete in Ost- und Westdeutschland, die in ehemaligen Güterprovinzen<br />

oder alten Gewerbelandschaften gelegen sind, werden<br />

hinsichtlich Klientenprofile, Institutionengefüge der Jugendhilfe und Struktur des<br />

professionellen Handelns sozialpädagogischer Fachkräfte untersucht.


Literatur Anhang<br />

•<br />

Praktische Bezüge finden sich implizit aufgrund des methodischen Vorgehens einer<br />

Klinischen Soziologie.<br />

• Die Forschungsmethode wird <strong>als</strong> fallrekonstruktiv und vergleichend charakterisiert.<br />

Eine Vielfalt von Datentypen und Erhebungsmethoden sollen integriert werden: Dokumentenanalyse,<br />

Auswertung von Interviews mit Experten und Klienten, Analyse von<br />

Beobachtungsprotokollen. Zentrale Untersuchungsverfahren sind die Sequenzanalyse<br />

in Form der Objektiven Hermeneutik und die Grounded Theory.<br />

• Das Projekt beschäftigt sich mit dem Institutionentransfer im Bereich der Kinder- und<br />

Jugendhilfe und der Professionalisierung ihrer Fachkräfte. Kooperationen bestehen im<br />

Forschungsfeld mit vier Jugendämtern. Ein Austausch erfolgt über gemeinsame Fallbesprechungen<br />

mit den Sozialen Diensten. Eine Vernetzung im <strong>SFB</strong> ist sowohl <strong>als</strong> Folge<br />

inhaltlicher Überschneidungen (B9, C4, C5, C6) <strong>als</strong> auch methodischer Konvergenzen<br />

(B2, B9, C4) gegeben.<br />

•<br />

Spezifische Transferwege in die Praxis sind im Antrag nicht angeführt.<br />

Projekt C4: Hans-Joachim Giegel, Hartmut Rosa (FSU)<br />

Politische Kultur und bürgerschaftliches Engagement<br />

• Das Projekt untersucht bürgerschaftliches Engagement (BE) in vier deutschen Städten.<br />

Makrosoziale Einflussfaktoren wie Soziales Kapital und Politische Kultur sollen<br />

systematisch bestimmt und die Verlaufsformen des BE vor dem Hintergrund sich dynamisch<br />

verändernder biographischer Konstellationen und gesellschaftlicher Umwelten<br />

analysiert werden.<br />

• Eine - allerdings eher einseitige - Rückkopplung findet auf der Basis einer Zweitbefragung<br />

der in der ersten Erhebungswelle bereits interviewten Engagierten und Nicht-<br />

Engagierten statt.<br />

Seite page 96<br />

• Die im Antrag vorgestellten Methoden sind: Longitudinale Analyse der<br />

Entwicklung von BE, Durchführung von Interviews (biographische<br />

Narration, Leitfadenfragen) und multiple Regressionsanalyse.<br />

• Mit Hilfe der Analysen sei zu einer angemessenen Form der Modellierung<br />

des BE und seiner relevanten Einflussfaktoren zu kommen.


Literatur Anhang<br />

• Formen der Öffentlichkeitsarbeit oder andere Formen des Wissenstransfers sind im Antrag<br />

nicht ausgewiesen. Dagegen vielfältige Bezüge innerhalb des <strong>SFB</strong> wie zu den Teilprojekten<br />

C3 und C5. Gegenstandsbezüge und Analyseinteressen teilt das Projekt auch<br />

mit A4 und A6. Weitere Überschneidungen ergeben sich zu A2, A5, B1, B2 sowie C6.<br />

Projekt C5: Johann Behrens (MLU)<br />

Rehabilitation zwischen Transformation und Weiterentwicklung<br />

• Das Projekt untersucht zwei sich überlagernde Challenges: Die westdeutschen Rehabilitations-<br />

und Pflegeanstalten zur Bewältigung von Inklusionsrisiken ersetzen die<br />

betriebszentrierten Einrichtungen der DDR. Zugleich sind diese westdeutschen Einrichtungen<br />

durch den demographischen Wandel und zu erbringende Effektivitätsnachweise<br />

nach SGB IX herausgefordert. In diesem Rahmen geht es um die Problematik der<br />

Frühverrentung, um die Analyse medizinischer und beruflicher Rehabilitation und um<br />

Fragen der Erwartungen, Motivationen von Klienten im Rahmen der Institutionen mit<br />

ihrer Spezifik von Autonomie- bzw. Heteronomieorientierung.<br />

•<br />

Wohl um den Grundlagencharakter eines vom Thema her praxisnahen Projekts nicht zu<br />

gefährden, werden zum Wissenstransfer keine expliziten Angaben gemacht.<br />

• Analysiert werden sollen dann die individuellen Akteursperspektiven von Klienten,<br />

Leistungsträgern (LVA) und Leistungserbringern (Reha-Kliniken). Die angeführten<br />

Methoden sind: Längsschnittanalyse, Hermeneutische Verfahren (Grounded Theory),<br />

Fallvignetten zur Untersuchung unterschiedlicher Individualisierungsgrade.<br />

• Insoweit es Ziel der Untersuchung ist, das Verhältnis von Akteuren und Institutionen <strong>als</strong><br />

Institutionenbildungsprozess lokaler, hypothetisch von Erwerbs- und Arbeitslosigkeitsquoten<br />

und kulturellen Traditionen beeinflusster lokaler Akteure in ihren Professionalisierungspotentialen<br />

zu analysieren, lassen sich potentielle Formen des Austausches mit<br />

der Praxis erkennen. Im Kontext des <strong>SFB</strong> wird insbesondere auf eine Kooperation mit<br />

den Teilprojekten B2, C3, C4 und C6 verwiesen.<br />

• Eine systematische Öffentlichkeitsarbeit ist nicht ausgewiesen, dagegen<br />

eine gute - auch internationale - Vernetzung in der scientific<br />

community.<br />

Seite page 97


Literatur Anhang<br />

Projekt C6: Rainer K. Silbereisen (FSU)<br />

Individuelle und soziale Ressourcen zur Bewältigung des sozialen Wandels: Entwicklung<br />

und psychosoziale Effekte<br />

• Das Teilprojekt C6 untersucht die Entwicklung von individuellen und sozialen Ressourcen<br />

bei der Bewältigung der längerfristigen Folgen des sozialen Wandels vom Jugendalter<br />

bis zum mittleren Erwachsenenalter. Im Rahmen der Analysen soll untersucht werden,<br />

welche Ost-West, regionale und interindividuelle Unterschiede in der Ausprägung der<br />

Bewältigungsressourcen bestehen.<br />

• Schon auf Grund der gewählten Methode findet in der Forschung kein direkter<br />

Austausch zwischen Theorie und Praxis statt. Deshalb fehlen explizite Aussagen zum<br />

Wissenstransfer.<br />

• Die Methode besteht aus der Kombination eines querschnittlichen und längsschnittlichen<br />

Designs - repräsentative Befragung und Befragung im Längsschnitt; Querschnittsstudie,<br />

Strukturgleichungsverfahren, hierarchische Mehrebenenanalysen; Interventionsstudien<br />

(univariate Analysen, multivariate Modellprüfung).<br />

• Ziel des Projekts ist es, Informationen, Technologien und Empfehlungen bereitzustellen,<br />

die von der interessierten Praxis übernommen werden können. So ist u.a. ein Interventionsprogramm<br />

geplant, das an Schulen eingesetzt werden soll.<br />

Festzustellen sind eine systematische Vernetzung in der internationalen<br />

• scientific community<br />

und Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong>. Im Rahmen des Projektes in gemeinsamen<br />

Untersuchungsregionen erhobene Daten sollen von anderen Teilprojekten (z.B.<br />

C3) genutzt werden. Gemeinsame Analysen sind mit dem Teilprojekt C4 vorgesehen.<br />

Seite page 98


<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Diskontinuität<br />

Entwicklungen<br />

Tradition<br />

Systemumbruch<br />

Strukturbildun<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> - Geschäftsführung (2009) ISSN 1619-6171

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