wissenstransfer als balanceakt sfb 580 - SFB 580 - Friedrich-Schiller ...
wissenstransfer als balanceakt sfb 580 - SFB 580 - Friedrich-Schiller ...
wissenstransfer als balanceakt sfb 580 - SFB 580 - Friedrich-Schiller ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wis s e n s t r a n s f e r al s Ba l a n c e a k t<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Bez i e h u n g e n zw i s c h e n de n Te i l p r o j e k t e n<br />
d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d de r<br />
u n t e r s u c h t e n ge s e l l s c h a f t l i c h e n Pr a x i s<br />
Bruno Hildenbrand, Karl <strong>Friedrich</strong> Bohler, Anna Engelstädter,<br />
Tobias Franzheld, Anja Schierbaum, Marcel Schmidt<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g e n 2009 34
34 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g<br />
Heft 34, Juni 2009<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
Wissenstransfer <strong>als</strong> Balanceakt. Beziehungen zwischen den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> und der untersuchten gesellschaftlichen Praxis<br />
Sprecher:<br />
Prof. Dr. Everhard Holtmann<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Institut für Politikwissenschaft und Japanologie<br />
Geschäftsführung <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Bachstr. 18k<br />
07743 Jena<br />
Tel.: +49 (0) 3641/ 945050<br />
Email: michael.hofman@uni-jena.de<br />
Verantwortlich für dieses Heft:<br />
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-Universität Jena<br />
Institut für Soziologie<br />
Carl-Zeiß-Straße 2<br />
07743 Jena<br />
Tel.: +49 (0) 3641/ 945551<br />
Email: bruno.hildenbrand@uni-jena.de<br />
Coverbild: http://www.generallyawesome.com<br />
Logo:<br />
Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />
Cover & Satz: Romana Lutzack<br />
Druck:<br />
Universität Jena<br />
ISSN: 1619-6171<br />
Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />
der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />
Mittel gedruckt.<br />
Alle Rechte vorbehalten.
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Wis s e n s t r a n s f e r al s Ba l a n c e a k t<br />
Bez i e h u n g e n zw i s c h e n de n Te i l p r o j e k t e n<br />
d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d<br />
d e r un t e r s u c h t e n ge s e l l s c h a f t l i c h e n Pr a x i s
Inhaltsverzeichnis<br />
References Literatur<br />
Kapitel<br />
Vorwort: Grundlagenforschung und Praxisbezug -<br />
kein widerspruchsvolles Verhältnis<br />
Everhard Holtmann ...........6<br />
Beziehungen zwischen den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> und der untersuchten gesellschaftlichen Praxis<br />
Die Ergebnisse in der Übersicht ...........8<br />
1<br />
Vorstellung des Transferprojekts im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........10<br />
1. Ziele des Transferprojekts ..........10<br />
2. Methodisches Vorgehen ..........10<br />
3. Übersicht über diesen Bericht ..........11<br />
Seite page 4<br />
2<br />
Eine Skizze der Diskussion um das Verhältnis von Sozialwissenschaften<br />
und gesellschaftlicher Praxis ..........12<br />
1. Zum Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlicher<br />
Praxis: Eine philosophische Perspektive ..........12<br />
2. Alltag, Wissenschaft und Profession: Eine soziologische<br />
Abgrenzung ..........14<br />
3. Diagnose und Prognose in der Soziologie: Kann die<br />
Medizin <strong>als</strong> Modell dienen? ..........15<br />
4. Wesentliche Herausforderungen an den Transfermodus<br />
sozialwissenschaftlichen Wissens in die gesellschaftliche<br />
Praxis ..........19
Inhaltsverzeichnis<br />
References Literatur<br />
Kapitel<br />
3<br />
Die Transferpraxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........22<br />
1. Eine Übersicht über die in den Projektanträgen formulierte<br />
Transferpraxis: Praxisrelevanz ja, aber die Transferwege<br />
bleiben unexpliziert ..........22<br />
2. Große Bedeutung und große Vielfalt des Wissenstransfers<br />
zwischen Forschung und gesellschaftlicher Praxis im <strong>SFB</strong><br />
<strong>580</strong>: Ergebnisse der Interviewanalyse ..........23<br />
3. Praxisverständnis und Wege des Wissenstransfers im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........26<br />
a. Übersicht ..........26<br />
b. Unterschiedliche Praxisbegriffe und Praxisbezüge<br />
in den Teilprojekten: Ein erster Überblick über vier<br />
Varianten ..........26<br />
c. Elemente und „kommunikative Mittel“ des<br />
Theorie-Praxis-Austausches ..........32<br />
d. Eine idealtypische Differenzierung der Kontexte<br />
und Wege des Wissenstransfers im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Acht<br />
Transfertypen ..........53<br />
4. Zusammenfassung der Ergebnisse zur Transferpraxis im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ..........76<br />
Epilog ..........82<br />
Literatur ..........84<br />
Seite page 5<br />
Anhang ..........86
Vorwort<br />
„<br />
Sonderforschungsbereiche beschäftigen<br />
sich mit Grundlagenforschung, nicht<br />
mit der Lösung praktischer Fragen<br />
und Probleme“ - Wer so urteilt, erliegt einem<br />
profunden Missverständnis. Eine solche Einschätzung,<br />
welche die Praxisbedeutung des<br />
wissenschaftlich generierten Wissenserwerbs<br />
und der wissenschaftlich angeleiteten Weitergabe<br />
dieses Wissens a priori ausblendet, geht<br />
offenkundig von einem Praxisverständnis aus,<br />
das die Relation zwischen der Erforschung<br />
grundlegender Fragestellungen und gesellschaftlicher<br />
Praxis <strong>als</strong> im Grunde fernliegend<br />
und allenfalls kontingent begreift.<br />
Seite page 6<br />
Gr u n d l a g e n f o r s c h u n g u n d Pr a x i s-<br />
b e z u g - k e i n w i d e r s p r u c h s v o l l e s<br />
Ve r h ä lt n i s<br />
Everhard Holtmann<br />
Dass es sich hierbei um ein szientistisches Vorurteil<br />
handelt (das freilich in einem theorieaversen<br />
Abwehrreflex so mancher „Praktiker“<br />
gespiegelt wird), wird deutlich, wenn das mit<br />
„Praxis“ Gemeinte auf einen angemessenen<br />
Begriff gebracht wird. Praxis meint nicht die<br />
Banalität des Normalen. Im aristotelischen<br />
Sinne benennt Praxis Vorgänge eines zielgerichteten<br />
Lebensvollzugs. Die damit bereits<br />
angedeutete handlungstheoretische Dimension<br />
lässt sich übertragen in eine auf die Gegenwartsanalyse<br />
bezogene sozialwissenschaftliche<br />
Begriffsdeutung, derzufolge Praxis für die<br />
gesamte Wirklichkeit sozialer Handlungszusammenhänge<br />
steht. Handeln bedarf im einzelnen<br />
Anwendungsfall der Orientierung. Diese<br />
kommt jedoch, erhebt sie den Anspruch, für die<br />
Bewältigung des Alltags praktisch verwendbar<br />
zu sein, ohne hinreichende Kenntnisse der Bedingungen<br />
und Hintergründe situativen Handelns<br />
nicht aus. An diesem Punkt nun kommt<br />
wissenschaftliche Grundlagenforschung ins<br />
Spiel: In einem sozialwissenschaftlichen<br />
Forschungsverbund wie dem unseren geht es<br />
darum, den - von Max Weber so apostrophier-
Vorwort<br />
ten - generellen Regeln sozialen Geschehens<br />
systematisch nachzuspüren. Die dabei gewonnenen<br />
generalisierenden Aussagen können nur<br />
dann allgemeine Geltung beanspruchen, wenn<br />
sie sich in der Anwendung auf konkrete Problemlagen<br />
„praktisch“ bewähren sowie, darüber<br />
hinaus, in mittel- und langfristiger Perspektive<br />
<strong>als</strong> „soziale Wirklichkeit verändernd“ (Sahner<br />
1989, S. 502) sich auswirken.<br />
So betrachtet, ist Grundlagenforschung <strong>als</strong>o<br />
nachweislich praxisbezogen. Diesem prinzipiellen<br />
Anwendungsbezug seiner Untersuchungsgegenstände<br />
weiß sich auch der <strong>SFB</strong><br />
<strong>580</strong> verpflichtet. Anders allerdings, <strong>als</strong> von<br />
Jürgen Habermas (1974, S. 9) zu einem früheren<br />
Zeitpunkt entfaltet, geht es nicht um die<br />
„Idee einer in praktischer Absicht entworfenen<br />
Theorie der Gesellschaft“ (Hervorhebung<br />
E. H.). Vielmehr tragen wir Bausteine zur<br />
Beschreibung und Erklärung des sozialen, politischen<br />
und kulturellen Wandels zusammen,<br />
der sich entlang der großen Entwicklungslinie<br />
Transition - Transformation - Posttransformation<br />
bewegt. Ohne dass dies durchgängig in der<br />
Form förmlich vereinbarter Politikberatung<br />
geschieht, bieten wir den Akteuren, die <strong>als</strong> verantwortlich<br />
Entscheidende wie <strong>als</strong> Betroffene<br />
an diesem Lebens- und Handlungszusammenhang<br />
beteiligt sind, mit unseren Befunden über<br />
Struktur- und Prozesswissen sowie mit darauf<br />
bezogenen, empirisch belastbaren Deutungen<br />
ein orientierendes Wissen an, das dazu beitragen<br />
kann, bei der Bewältigung transformationsbedingter<br />
Herausforderungen auftretende<br />
Unsicherheit und Ungewissheit zu reduzieren.<br />
gewiss hatten wir über das Verhältnis von<br />
Grundlagenforschung und Praxistransfer bisher<br />
jedenfalls nicht systematisch nachgedacht.<br />
Den Anstoß zur Selbstthematisierung des<br />
Praxisbezugs verdanken wir dem von Bruno<br />
Hildenbrand geleiteten Team des Teilprojekts<br />
C3 „Individuelle Ressourcen und professionelle<br />
Unterstützung bei der Bewältigung von<br />
Systemumbrüchen in kontrastierenden ländlichen<br />
Milieus in Ost- und Westdeutschland“,<br />
das, finanziell unterstützt mit Innovationsmitteln<br />
des <strong>SFB</strong>, den nachstehend abgedruckten<br />
Bericht über die Beziehungen zwischen den<br />
Teilprojekten des <strong>SFB</strong> und der untersuchten<br />
gesellschaftlichen Praxis erarbeitet hat. Dabei<br />
zeigt sich, nicht überraschend, eine reiche<br />
Varietät der Praxisbezüge, aber auch eine bemerkenswert<br />
große Dichte und Intensität von<br />
praxisgerichteter „Einwirkung“ und praktisch<br />
verwertbarer Publizität. Angesichts dieses unerwartet<br />
hohen Ausmaßes von „unerklärter“<br />
Praxisrelevanz sehen wir unseren Versuch,<br />
diese Variante von Science on Science ( J. Habermas)<br />
an uns selbst auszuprobieren, durch das<br />
Ergebnis überzeugend bestätigt.<br />
Seite page 7<br />
Indes: So selbstverständlich wir gewiss die Verwendungstauglichkeit<br />
unserer Untersuchungen<br />
implizite von vornherein unterstellten, so
Ergebnisse References Literatur in der Übersicht<br />
Die in den Anträgen zur zweiten Bewilligungsphase<br />
(2004 - 2008) angekündigte<br />
Transferpraxis<br />
Mit einer in der Sache liegenden Ausnahme<br />
beanspruchen alle Teilprojekte<br />
der zweiten Bewilligungsphase,<br />
gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu<br />
bearbeiten. Jedoch wird dieser Anspruch eher<br />
<strong>als</strong> unausgesprochene Voraussetzung formuliert<br />
und weniger explizit begründet.<br />
Be z i e h u n g e n z w i s c h e n d e n Te i l p r o j e k t e n<br />
d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s <strong>580</strong> u n d<br />
d e r u n t e r s u c h t e n g e s e l l s c h a f t l i c h e n<br />
Pr a x i s<br />
Die Er g e b n i s s e in d e r Üb e r s i c h t<br />
Was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen die<br />
Wissenschaftler selber. Einflüsse der Praxis auf<br />
die Wissenschaft bei der Definition der Forschungsfragen<br />
und der methodischen Durchführung<br />
sind allenfalls implizit vorhanden.<br />
Faktische Transferpraxis in den einzelnen<br />
Teilprojekten<br />
Bruno Hildenbrand, Karl <strong>Friedrich</strong> Bohler,<br />
Anna Engelstädter, Tobias Franzheld, <br />
Anja Schierbaum, Marcel Schmidt<br />
Die faktische Transferpraxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> geht<br />
über die in den Anträgen angekündigte weit<br />
hinaus. Wir konnten acht Transfertypen herausarbeiten.<br />
Seite page 8
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Transfertyp 1<br />
Grundlagenforschung mit aktueller gesellschaftlicher Themenrelevanz<br />
Sowohl Öffentlichkeit wie Praktiker sind an den Forschungsergebnissen interessiert,<br />
weil diese Ergebnisse von ihnen <strong>als</strong> gesellschaftlich relevant angesehen werden.<br />
Transfertyp 2<br />
Grundlagenforschung mit nicht explizit intendierten Anwendungsbezügen<br />
Die Projektergebnisse sind zwar für die Öffentlichkeit relevant, werden aber von<br />
den Wissenschaftlern nicht oder nur ansatzweise für die Praxis aufbereitet.<br />
Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleit- und Folgeprojekten<br />
Transfertyp 3<br />
Transfertyp 4<br />
In diesem Transfertyp wird Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleitund<br />
Folgeprojekten kombiniert, wobei beide Forschungstypen klar voneinander getrennt<br />
sind. Mögliche Transfers werden in die anwendungsbezogene Forschung ausgelagert.<br />
Grundlagenforschung mit praktischen Vermittlungsaufgaben von und an<br />
Entscheidungsinstanzen<br />
In dieser Forschung sind die praktischen Vermittlungsaufgaben auf Entscheidungsinstanzen<br />
konzentriert. Dagegen haben die Forschungsergebnisse für die unmittelbaren<br />
Akteure im Feld - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Relevanz.<br />
Grundlagenforschung auf der Suche nach öffentlichem Interesse<br />
Transfertyp 5<br />
In diesem Transfertyp wird vorausgesetzt, dass das Forschungsthema latent<br />
in der Öffentlichkeit präsent ist. Projektergebnisse werden dann mit dem<br />
Ziel einer gesellschaftlichen und politischen Aufklärung vorgestellt.<br />
Grundlagenforschung mit allgemeiner Datenpräsentation im Untersuchungsfeld<br />
Transfertyp 6<br />
Hier ist eine allgemeine Datenpräsentation der Forschungsergebnisse im<br />
Untersuchungsfeld zwar vorgesehen, im Weiteren bleibt es jedoch der<br />
Praxis überlassen, die Ergebnisse in angemessener Weise zu rezipieren<br />
und auf ihren eigenen Relevanzzusammenhang hin zu übertragen.<br />
Grundlagenforschung mit eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />
Transfertyp 7<br />
Diese Projekte sind so angelegt, dass es eine unmittelbare Beziehung zu den<br />
Kooperationspartnern in der Praxis gibt. Für deren Bedürfnisse werden die<br />
Ergebnisse aufbereitet und in spezifischen Gesprächsforen transferiert.<br />
Grundlagenforschung mit konkreter Theorie-Praxis-Rückkopplung<br />
Seite page 9<br />
Transfertyp 8<br />
Die Konzeption dieser Projekte setzt Kooperationsformen voraus, die auf längere<br />
Zeit angelegt sind und Interessen der Praktiker bedienen. Der Transfer erfolgt<br />
direkt an Kooperationspartner oder Entscheidungsträger im Untersuchungsfeld.
Vorstellung References Literatur des Transferprojekts<br />
1. Ge g e n s ta n d d e s Tr a n s f e r p r o j e k t s<br />
1<br />
Gegenstand des Forschungsprojekts,<br />
über das hier berichtet werden soll, ist<br />
eine Bestandsaufnahme zum geplanten<br />
und tatsächlichen Verhältnis zwischen den<br />
Forschungsprojekten im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und der von<br />
ihnen jeweils untersuchten gesellschaftlichen<br />
Praxis. Unser Auftrag bestand nicht darin, die<br />
jeweilige Transferpraxis in Bezug auf Effizienz<br />
oder soziologische Plausibilität zu evaluieren.<br />
2. Me t h o d i s c h e s Vo r g e h e n<br />
Seite page 10<br />
Vo r s t e l l u n g d e s Tr a n s f e r p r o j e k t s im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Wir haben die geplanten Transferpraktiken in<br />
den Projektanträgen aus der zweiten Förderphase<br />
des <strong>SFB</strong> (2004-2008) unter folgenden<br />
Aspekten durchgesehen: a) Finden gesellschaftlich<br />
relevante Fragestellungen Eingang<br />
in den jeweiligen Forschungsantrag? b) Findet<br />
während des laufenden Forschungsprozesses<br />
ein Austausch mit der untersuchten gesellschaftlichen<br />
Praxis zu Fragen der Steuerung<br />
des Forschungsprozesses statt? c) Werden<br />
Forschungsergebnisse mit der untersuchten<br />
gesellschaftlichen Praxis diskutiert? Sodann<br />
haben wir bei allen Teilprojekten mittels leitfadengestützter<br />
Interviews nachgefragt, ob und<br />
wie in der Forschungspraxis der ersten und<br />
zweiten Bewilligungsphase des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ein<br />
Austausch zwischen Forschern und der untersuchten<br />
gesellschaftlichen Praxis stattfand. Die<br />
bis dahin gewonnenen Ergebnisse wurden an<br />
die Projekte kommuniziert mit der Bitte, sie<br />
kritisch zu sichten und, wo nötig, Präzisierungen<br />
vorzunehmen. Die Resultate dieses Austauschs<br />
wurden in diesen Bericht eingearbeitet.<br />
Danach haben wir die Publikationstätigkeiten<br />
in den Teilprojekten (Kolloquien, Tagungen,
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Vorträge, Schriften für eine fachspezifische<br />
bzw. breitere Öffentlichkeit) <strong>als</strong> objektivierten<br />
Niederschlag eines bestimmten Praxisverhältnisses<br />
erfasst und interpretiert.<br />
3. Üb e r s i c h t ü b e r d i e s e n Be r i c h t<br />
Bevor wir zu den Ergebnissen unserer empirischen<br />
Studie kommen, werden wir auf Positionen<br />
zum Verhältnis von Wissenschaft, Alltagsleben<br />
und Professionen eingehen. Danach<br />
werden wir die Frage stellen, welchen Zielen<br />
ein Transfermodus wissenschaftlicher Ergebnisse<br />
in die gesellschaftliche Praxis dienen<br />
kann. Damit verbunden werden wir die Frage<br />
ansprechen, inwiefern die Sozialwissenschaften<br />
einen Beitrag zur Prognose gesellschaftlicher<br />
Entwicklungen leisten können. Im Anschluss<br />
an die Darstellung unserer empirischen Ergebnisse<br />
werden wir auf diese eingangs diskutierten<br />
theoretischen Themen zurückkommen.<br />
Seite page 11
Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
1. Zu m Ve r h ä lt n i s v o n Wissenschaft u n d<br />
g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s: e i n e p h i l o s o-<br />
p h i s c h e Pe r s p e k t i v e<br />
2<br />
Wir beginnen mit einer radikalen<br />
These zur Transferproblematik<br />
der Sozialwissenschaften (und der<br />
Wissenschaften generell): Es besteht ein unaufhebbarer<br />
Widerspruch zwischen Wissenschaft<br />
und (Lebens-)Praxis, denn die Wissenschaft<br />
ist wesenhaft unabgeschlossen, die Praxis<br />
verlangt Entscheidungen im Augenblick. Die<br />
Praxis behandelt das verfügbare Wissen wie ein<br />
Abgeschlossenes und Gewisses, das Wissen der<br />
Wissenschaft ist das nicht:<br />
Ei n e Sk i z z e d e r Di s k u s s i o n u m d a s Ve r-<br />
h ä lt n i s v o n So z i a lw i s s e n s c h a f t e n u n d<br />
g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s<br />
„Es gibt Wissenschaften, denen ewige Jugendlichkeit<br />
beschieden ist, und das sind alle<br />
historischen Disziplinen, alle die, denen der<br />
ewig fortschreitende Fluß der Kultur stets<br />
neue Problemstellungen zuführt. Bei ihnen<br />
liegt die Vergänglichkeit aller, aber zugleich die<br />
Unvermeidlichkeit immer neuer idealtypischer<br />
Konstruktionen im Wesen der Aufgabe“ (Weber<br />
1988a, S. 206).<br />
Seite page 12<br />
Wenn wir auch die Radikalität der Vorstellungen<br />
Max Webers zur Vergänglichkeit von<br />
Kulturphänomenen kritisch einschätzen und<br />
es vorziehen würden, von unterschiedlichen<br />
Geschwindigkeiten des Wandels auszugehen,<br />
wird hier doch deutlich, dass die Sozialwissenschaften<br />
aufgrund der Spezifik ihres Gegenstandes<br />
kein ein für alle Mal gesichertes<br />
Wissen anzubieten haben. Um dennoch die<br />
Wissenschaften für die gesellschaftliche Praxis<br />
fruchtbar zu machen, bedarf es der Einführung<br />
eines Dritten: der Professionen.<br />
Allerdings sind die bisher diskutierten Po-
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
sitionen in den Wissenschaften selbst nicht<br />
unumstritten, wie Gadamer in seinem Aufsatz<br />
über Theorie, Technik, Praxis ausführt (Gadamer<br />
1993). Mit der Verbreitung eines neuen<br />
Erfahrungsbegriffs seit dem 17. Jahrhundert<br />
gilt Erfahrung <strong>als</strong> das, was kontrollierbar<br />
ist. An der Erfahrung lassen sich Gesetzmäßigkeiten<br />
bestätigen oder widerlegen. So<br />
wird die moderne Naturwissenschaft ein auf<br />
Machen gerichtetes Wissen, eine wissende<br />
Beherrschung der Natur, d. h. Technik. Ihr<br />
Vorgehen besteht darin, auf allen Gebieten<br />
eine Abstraktion zu vollbringen, die einzelne<br />
Kausalbeziehungen isoliert. Sie muss damit die<br />
unvermeidliche Partikularität ihrer Kompetenz<br />
in Kauf nehmen. Technik, so verstanden, ist gerade<br />
nicht Praxis. Ein früherer, aristotelischer<br />
Begriff von Techne bezeichnet anderes: Es sind<br />
die von der Natur offen gelassenen Möglichkeiten<br />
weiterer Formung auszufüllen (Gadamer 1993,<br />
S. 18). Das ist gerade nicht Technik im heute<br />
verstandenen Sinne. Technik bezeichnet heute<br />
demnach die „lautlose Form, in der immer<br />
weitere Gebiete des menschlichen Lebens<br />
technischer Beherrschung unterworfen werden<br />
und rationale Automatismen an die Stelle der<br />
persönlichen Entscheidung des einzelnen und<br />
der Gruppe treten“ (Gadamer 1993, S. 21). Soziologen<br />
erkennen hier Max Webers „Gehäuse<br />
der Hörigkeit“ wieder.<br />
Andererseits lehnt es Gadamer ab, einen<br />
unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Wissenschaft<br />
und Lebenspraxis zu konstruieren:<br />
Sich theoretisch verhalten zu können sei Teil<br />
der Grundverfassung der menschlichen Praxis.<br />
Dazu gehören die wissende Beherrschung<br />
ursächlicher Zusammenhänge, die das eigene<br />
Verhalten planvoll zu leiten imstande ist, die bewusste<br />
Einordnung in ein System der Zwecke<br />
sowie das Sichtbarmachen von Sachverhalten<br />
und Sachzusammenhängen in der Sprache.<br />
Die Frage ist aber dann, wie Wissenschaft<br />
und praktisches Handeln zusammengeführt<br />
werden können. Während Technik ein Wissen<br />
verkörpert, das unabhängig von der Situation<br />
des Handelns tradiert werden kann und somit<br />
aus dem praktischen Handlungszusammenhang<br />
herauslösbar ist, aber in der jeweils<br />
neuen Situation des menschlichen Handelns<br />
zur Anwendung kommen soll, hält Gadamer<br />
daran fest, dass es die Frage der Urteilskraft<br />
(und nicht wieder eines Lehrens und Lernens)<br />
ist, dass Handelnde in einer gegebenen Situation<br />
den Anwendungsfall einer allgemeinen<br />
Regel erkennen.<br />
Dem aber stehe, so Gadamer, der moderne<br />
Wissenschaftsbetrieb entgegen. Dessen Verhältnis<br />
zwischen theoretischem Wissen und<br />
praktischem Handeln kann man wie folgt umreißen:<br />
Je rationaler die Organisationsformen<br />
des Lebens gestaltet werden, desto weniger<br />
vernünftiges Urteil wird im Einzelnen geübt<br />
und geschult. Anders formuliert: Wem das<br />
Entscheiden durch immer neue Vorschriften<br />
abgenommen wird, verlernt, selber solche<br />
Entscheidungen vernünftig zu treffen. 1<br />
Was leistet <strong>als</strong>o eine Aneignung von Wissen<br />
über den Menschen für das Wissen des Menschen<br />
von sich selbst? Was kann es bewirken?<br />
Zentral ist für Gadamer, dass es sich<br />
bei den Geisteswissenschaften um<br />
eine ganz andere Art von Belehrung<br />
handelt <strong>als</strong> bei den Naturwissenschaften.<br />
Der Unterschied liegt im<br />
Menschenbild:<br />
„Ein ‚richtiges’ Menschenbild, das ist vor allem<br />
Seite page 13
Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
ein durch Naturwissenschaft, Verhaltensforschung,<br />
Ethnologie wie durch die Vielfalt<br />
geschichtlicher Erfahrung entdogmatisiertes<br />
Menschenbild. Es wird die klare normative<br />
Profilierung schuldig bleiben, auf die sich<br />
die wissenschaftliche Anwendung auf die<br />
Praxis, etwa im Sinne des ‚social engineering’<br />
(soziale Neuordnung), stützen möchte. Aber<br />
es ist ein kritisches Maß, das das Handeln des<br />
Menschen vor vorschnellen Wertungen und<br />
Abwertungen befreit und seinen Zivilisationsweg<br />
an sein Ziel erinnern hilft, der - sich selbst<br />
überlassen - weniger und weniger ein Weg zur<br />
Beförderung der Humanität zu werden droht.<br />
So, und nur so, dient die Wissenschaft über<br />
den Menschen dem Wissen des Menschen<br />
von sich selbst und damit der Praxis“ (Gadamer<br />
1993, S. 49).<br />
2. Al lta g, Wissenschaft u n d Profession:<br />
e i n e s o z i o l o g i s c h e Ab g r e n z u n g<br />
Wir gehen nun über zu soziologischen Perspektiven.<br />
Wir beginnen mit einer phänomenologisch<br />
orientierten Wissenssoziologie,<br />
deren Ton wir bereits mit einer Erwähnung<br />
Hans Georg Gadamers angeschlagen haben.<br />
Alltagsmenschen, Wissenschaftler und Professionelle<br />
haben demnach eines gemeinsam:<br />
dass sie Wirklichkeit deutend erschließen<br />
(Berger & Luckmann 1969). In ihren Zielsetzungen<br />
unterscheiden sie sich<br />
allerdings erheblich:<br />
Seite page 14<br />
• Für den Alltagsmenschen ist die<br />
Deutungsanstrengung erledigt,<br />
wenn das das Handeln blockierende Problem<br />
erschlossen und durch entsprechende<br />
Aktionen beseitigt ist. Würde er jedem<br />
Problem auf den Grund gehen wollen,<br />
wäre er bald handlungsunfähig (Schütz<br />
1971, Mead 1972).<br />
• Anders sieht es in der Wissenschaft aus.<br />
Hier ist das Problem <strong>als</strong> ausschließlich<br />
Einzelnes nicht bedeutsam. Stattdessen<br />
geht es darum, wissenschaftliche Erfahrung<br />
auf ein Allgemeines hin zu gewinnen.<br />
Je nach wissenschaftlicher Richtung<br />
ist das Einzelne unter das Allgemeine zu<br />
subsumieren oder aber, wie in der fallrekonstruktiven<br />
Forschung, Ausgangspunkt<br />
für die Gewinnung allgemeiner Erkenntnisse.<br />
Wissenschaft ist darüber hinaus<br />
prinzipiell unabgeschlossen - immer geht<br />
es darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen<br />
und damit frühere Erkenntnisse zu überbieten.<br />
Während <strong>als</strong>o die Wissenschaft<br />
ihrer Natur nach kein gesichertes bzw.<br />
immer nur vorläufig gesichertes Wissen<br />
zu bieten hat, zielt die Lebenspraxis auf<br />
Entscheidungen im Hier und Jetzt.<br />
Wenn aber Alltag und Wissenschaft so weit<br />
auseinander liegen: wo ist dann die Brücke<br />
zwischen beiden zu suchen? In ihrer Studie<br />
über die amerikanische Universität und die<br />
„professional schools“ führen Parsons und<br />
Platt (Parsons und Platt 1990) folgendes aus:<br />
Die alte Universität bestand zunächst aus den<br />
Fachgebieten Theologie, Philosophie, Recht<br />
und Medizin. Sie veränderte sich, <strong>als</strong> die Ausbildung<br />
von Wissenschaftlern für Forschung<br />
und Lehre von der Ausbildung für praktische<br />
akademische Berufe getrennt wurde. Damit<br />
bildete sich folgende Differenzierung heraus:
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Institutionalisierung<br />
des kognitiven<br />
Komplexes<br />
Nutzung kognitiver<br />
Ressourcen<br />
Erkenntnis „um ihrer selbst willen“<br />
Der Kern mit kognitivem Primat<br />
(Forschung und graduate-Ausbildung)<br />
Allgemeinbildung für „gebildete<br />
Bürger“ (undergraduate-Studenten<br />
<strong>als</strong> „Generalisten“)<br />
Erkenntnis zum Zweck der<br />
„Problemlösung“<br />
Beiträge zu gesellschaftlichen<br />
Situationsdefinitionen durch „Intellektuelle“<br />
<strong>als</strong> „Generalisten“<br />
Ausbildung für praktische akademische<br />
Berufe (von „Spezialisten“)<br />
In der Folge traten zwei parallele und gleichzeitig<br />
paradoxe Entwicklungen ein: Einerseits<br />
differenzierte sich der kognitive Komplex und<br />
seine Institutionalisierung (= Universität) immer<br />
stärker gegenüber anderen Komplexen aus,<br />
andererseits zog die Universität zugleich andere<br />
institutionelle Komplexe in ihren Bereich (z. B.<br />
die berufliche Praxis), wobei das Ziel verfolgt<br />
wurde, die berufliche Praxis zu verbessern.<br />
Parsons und Platt prognostizieren:<br />
„Das Schwergewicht wird sich von der Beherrschung<br />
spezifischer Wissensbestände, selbst<br />
solcher von zentraler Bedeutung, hin zur Entwicklung<br />
der Fähigkeit verschieben, kognitive<br />
Ressourcen effektiv für die Lösung eines unbegrenzten<br />
Spektrums von Lebensproblemen<br />
einzusetzen“ (Parsons und Platt 1990, S. 302).<br />
Weil aber ein grundlegender Unterschied zwischen<br />
den grundlagentheoretischen Wissenskomplexen<br />
und den praktischen Zielsetzungen<br />
besteht (Parsons und Platt 1990, S. 303), bedarf<br />
es der Übersetzung zwischen beiden Bereichen.<br />
Diese Leistung erbringen die Professionen.<br />
Von einer Verwissenschaftlichung der Lebenspraxis<br />
unter Verzicht auf den Komplex der<br />
„praktischen akademischen Berufe“, <strong>als</strong>o der<br />
Professionellen, ist bei Parsons und Platt nicht<br />
die Rede.<br />
Professionelle stehen dem Alltag wie auch der<br />
Wissenschaft gleich nah wie auch entfernt.<br />
Ihnen geht es darum, „beschädigter“ Lebenspraxis<br />
- einer Lebenspraxis <strong>als</strong>o, die sich<br />
in Krisensituationen mit eigenen Mitteln nicht<br />
mehr zu helfen weiß - durch stellvertretende<br />
Deutung wieder aufzuhelfen. Dabei bedienen<br />
sich die Professionellen der Wissenschaft,<br />
jedoch ordnen sie weder Lebenspraxis noch<br />
professionelle Praxis der Wissenschaft unter.<br />
Denn Lebenspraxis ist partikular, die Wissenschaft<br />
ist universell. Professionelle Praxis ist<br />
am Einzelfall orientiert und lässt sich durch<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse unterstützen,<br />
aber nicht bestimmen (Oevermann 1996,<br />
Welter-Enderlin und Hildenbrand 2004).<br />
3. Di a g n o s e u n d Pr o g n o s e in d e r So z i o-<br />
l o g i e: k a n n d i e Me d i z i n a l s Mo d e l l d i e-<br />
n e n?<br />
Jürgen <strong>Friedrich</strong>s, M. Rainer Lepsius<br />
und Karl Ulrich Mayer (<strong>Friedrich</strong>s,<br />
Lepsius und Mayer 1998) handeln<br />
Seite page 15<br />
diese Frage unter den Stichworten<br />
von Diagnose und Prognose ab. Sie<br />
gehen davon aus, dass die Soziologie mit zwei<br />
Erwartungen konfrontiert ist: Sie soll gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit unter Anwendung
Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
wissenschaftlicher Prinzipien erklären, und sie<br />
soll „zum Selbstverständnis und zur Orientierung<br />
gegenwärtiger Gesellschaften sowie ihrer<br />
wahrscheinlichen (oder gar wünschenswerten)<br />
Zukunft maßgeblich beitragen“ (<strong>Friedrich</strong>s,<br />
Lepsius und Mayer 1998, S. 9). Die Autoren<br />
stellen in der Soziologie eine unterschiedliche<br />
Bereitschaft fest, dem gesellschaftlichen Orientierungsauftrag<br />
nachzukommen. Während<br />
die einen von der Diagnosefähigkeit der<br />
Soziologie und ihrem Nutzen für die Gesellschaft<br />
überzeugt seien, verträten die „Puristen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 10)<br />
die Auffassung, dass Gesellschaftsdiagnosen<br />
„prinzipiell wegen der Komplexität gesellschaftlicher<br />
Zusammenhänge und der historischen<br />
Kontingenz gesellschaftlicher Entwicklungen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998,<br />
S. 10) nicht seriös seien.<br />
Bei der Behandlung der Frage, ob die Soziologie<br />
überhaupt diagnosefähig sei, sehen sich die<br />
Autoren mit zwei widersprüchlichen Sachverhalten<br />
konfrontiert: Während es auf der<br />
einen Seite der Soziologie nicht gelungen sei,<br />
den Zusammenbruch des Sowjetreichs vorherzusagen<br />
(mit wenigen Ausnahmen, wozu<br />
Lutz Niethammer gezählt wird, der jedoch<br />
kein Soziologe, sondern Historiker ist und<br />
daher durch die Soziologie nicht in Anspruch<br />
genommen werden kann), und während die<br />
Autoren der Transformationsforschung attestieren,<br />
sie habe sich mehr durch<br />
„politische und normative Voreinstel-<br />
Seite page 16 lungen“ <strong>als</strong> durch Wissenschaft leiten<br />
lassen (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer<br />
1998, S. 13), bestehe auf der anderen<br />
Seite „ein Bedarf an gesellschaftlicher Orientierung“.<br />
Mehr noch: Es müsse eine „starke<br />
innerprofessionelle Norm Geltung besitzen,<br />
gesamte Gesellschaften und ihre dominanten<br />
Entwicklungspfade auf den Begriff bringen<br />
und ableitungsgerecht konstruieren zu sollen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 13).<br />
In dieser Situation präsentieren die Autoren<br />
einen überraschenden Vorschlag Hartmut<br />
Essers: Bei soziologischen Großdiagnosen wie<br />
„Risikogesellschaft“, „Erlebnisgesellschaft“ etc.<br />
komme es weniger auf die konkreten Ergebnisse<br />
<strong>als</strong> auf „Diskussionsimpulse“ (Esser 1987, S.<br />
811) an - nicht ohne mit Esser auf die Gefahr<br />
solcher vereinfachter Diagnosen hinzuweisen:<br />
Es handelt sich um „die Vermittlung der Illusion,<br />
<strong>als</strong> bilde die Gesellschaft <strong>als</strong> nominal benannter<br />
Typus auch eine eigene reale Einheit“<br />
(Esser 1993).<br />
Nun deutet sich hier schon ein Problem an, auf<br />
welches die Autoren in diesem Beitrag nicht<br />
eingehen: Was ist eine Diagnose wert, die zur<br />
Frage der daraus resultierenden Therapie nichts<br />
beizutragen hat? Für <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer steht die Problematik im Vordergrund,<br />
• dass die Soziologie mit massiven gesellschaftlichen<br />
Problemlagen konfrontiert<br />
ist (<strong>als</strong> Beispiel führen sie den Umbau<br />
des Sozi<strong>als</strong>taats und die Veränderung der<br />
Industriegesellschaft an),<br />
• dass von ihr sinnstiftende Orientierungsleistungen<br />
erwartet werden,<br />
• dass sie dies jedoch nur unter dem Bruch<br />
ihres soziologischen (wissenschaftlichen)<br />
Credos leisten könne: „Der gesellschaftliche<br />
‚Nutzen’ der Soziologie liegt offenbar<br />
viel weniger in zuverlässiger Beschreibung<br />
und technologisch umsetzbarem Kausal-
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
wissen <strong>als</strong> in sinnstiftenden Orientierungsleistungen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer 1998, S. 16).<br />
• Auch im fachlichen Binnenverhältnis<br />
„scheint die Soziologie in fataler Weise<br />
stärker auf ihre Diagnoseansprüche <strong>als</strong><br />
auf wissenschaftliche Geltungskriterien<br />
zu rekurrieren“ (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer 1998, S. 16f.).<br />
Mit dieser Analyse kommen <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius<br />
und Mayer auf Parsons zurück, der der<br />
Grundlagenforschung attestiert, „Erkenntnis<br />
um ihrer selbst willen“ zu generieren. Sie sprechen<br />
der Soziologie das Recht ab, zu diagnostizieren.<br />
Gleichzeitig möchten sie auf die „Sinnstiftungskomponente“<br />
nicht verzichten. Diese<br />
Sinnfindung findet statt <strong>als</strong> „Diagnostik“.<br />
Welcher Begriff von Diagnose leitet die Autoren?<br />
Vorausgesetzt sei bei der Diagnose, so<br />
führen <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer aus, ein<br />
Krankheitsbild, unter welches ein Phänomen<br />
zu subsumieren sei.<br />
Damit begegnen wir einem ersten grundlegenden<br />
Missverständnis medizinischer Diagnostik,<br />
das die Autoren leitet. Während sie <strong>als</strong> Vorbild<br />
medizinischer Diagnostik das dam<strong>als</strong> noch<br />
gültige DSM III (Diagnostic and Statistical<br />
Manual of Mental Disorders der American<br />
Psychiatric Association) der Soziologie <strong>als</strong><br />
Vorbild hinstellen, hält dieses Manual einer<br />
genaueren Betrachtung sowohl aus medizinischer<br />
<strong>als</strong> auch aus soziologischer Sicht nicht<br />
stand:<br />
Zunächst wird angenommen, dass die im<br />
DSM enthaltene Logik der Diagnostik auf<br />
Krankheitseinheiten im Sinne einer Nosologie<br />
(Krankheitslehre) abgestellt würde. Das<br />
ist nicht der Fall. Auch im aktuellen DSM IV<br />
R ist der nosologische Anspruch von vorne<br />
herein aufgegeben worden. Dies gilt auch für<br />
das in der psychiatrischen Praxis übliche ICD<br />
10 2 (International Classification of Diseases)<br />
(zur Übersicht über die aktuelle Literatur vgl.<br />
Buchholz 1998, 2008, Matthiessen 1998).<br />
Hierzu ein Beispiel: Um eine Depression<br />
zu diagnostizieren, müssen fünf von sieben<br />
Symptomen nachweisbar sein. Was eine<br />
Depression ist, hängt davon ab, ob eine Pharmafirma<br />
Interesse daran hat, ein entsprechend<br />
wirksames Medikament zu vermarkten. In<br />
den letzten Jahren wurde die Bandbreite von<br />
Verhalten, das <strong>als</strong> depressiv bezeichnet wird,<br />
erheblich ausgedehnt. Damit verschwindet<br />
das Phänomen der Trauer für die Psychiatrie<br />
allmählich und macht begrifflich der Depression<br />
Platz. Diese Kritikpunkte sind übrigens<br />
nicht aus kritischer medizinsoziologischer<br />
Analyse hervorgegangen, sondern stammen<br />
aus der Medizin selbst und sind so u. a. vom<br />
Begründer des DSM selbst formuliert worden<br />
(genaueres dazu bei Buchholz 2008).<br />
Auch das große Desaster der Psychiatrie, das<br />
durch die Rosenhan-Studie (Rosenhan 1973,<br />
dt. 1977) offenbar wurde, sollte Soziologen<br />
davon abhalten, der medizinischen Diagnostik<br />
zu vertrauen: Rosenhan, ein<br />
Psychologe, schickte sieben Gesunde<br />
mit der Instruktion in Kliniken, an-<br />
Seite page 17<br />
zugeben, sie würden Stimmen hören.<br />
Sofort nach der Aufnahme sollten<br />
sie mit der Angabe von Pseudo-Symptomen<br />
aufhören. Alle dieser Patienten (er selbst<br />
unterzog sich ebenfalls diesem Experiment)
Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
wurden aufgenommen, ihr Aufenthalt dauerte<br />
im Schnitt drei Wochen, es wurden ihnen<br />
2.100 Tabletten verabreicht, und alle wurden<br />
mit einer psychiatrischen Diagnose entlassen.<br />
Die einzigen, die bemerkten, dass es sich um<br />
Pseudo-Kranke handelte, waren die anderen<br />
Patienten (35 von 118). Rosenhan berichtete<br />
über diese Studie in der Zeitschrift Science<br />
und kündigte in einer Klinik an, er würde sie<br />
demnächst wiederholen. Dies tat er jedoch<br />
nicht, sondern er zählte die Ablehnungen von<br />
Patienten in dieser Klinik und stellte fest, dass<br />
nach seiner Ankündigung in einem Zeitraum<br />
von drei Monaten 42 von 193 Patienten <strong>als</strong><br />
Pseudo-Patienten zurückgewiesen worden<br />
waren.<br />
Im Mittelpunkt der medizinischen Diagnostik<br />
steht, anders <strong>als</strong> <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer<br />
dies annehmen, nicht die Subsumtion unter<br />
eine Kategorie, sondern die Behandlung eines<br />
Kranken. Diagnostik in der Medizin ist ein<br />
praktisches Geschehen und wird von diesem<br />
bestimmt. Sie ist eine<br />
„zeitgebundene Singuläraussage, mit der einem<br />
bestimmten Patienten für einen bestimmten<br />
Zeitraum ein bestimmter Begriff zugesprochen<br />
wird (…) Sie enthalt keine theoretische<br />
Erkenntnis, sondern eine Beurteilung im Horizont<br />
praktischer Ziele. Insofern ist sie immer<br />
in einen Handlungszusammenhang eingefügt“<br />
(Wieland 2004, S. 210).<br />
Seite page 18 Nur die erste der in diesem Zitat enthaltenen<br />
Bestimmung von Diagnostik<br />
deckt sich mit der soziologischen<br />
Forschung (für „Patient“ wäre „Gesellschaft“<br />
einzutragen). Die andere Bestimmung, die<br />
Orientierung auf praktische Ziele, gilt für die<br />
Soziologie insofern, <strong>als</strong> sie Grundlagenforschung<br />
betreibt, nicht.<br />
Es geht bei der medizinischen Diagnostik,<br />
sofern sie nicht zu Forschungszwecken, sondern<br />
zur Behandlung betrieben wird, nicht um<br />
Subsumtion, sondern um die Konfrontation<br />
eines beobachtbaren Geschehens bei einem<br />
konkreten Patienten mit möglichen diagnostischen<br />
Zuordnungen unter zu Hilfenahme von<br />
Kategorien, es handelt sich <strong>als</strong>o nicht um ein<br />
„nomothetisches, subsumtionslogisches Vorgehen“<br />
(Matthiessen 1998, S. 60).<br />
In der Soziologie sei eine dem medizinischen<br />
Vorgehen entsprechende Diagnostik nicht<br />
möglich, da „die etablierten Krankheitsbilder<br />
fehlen“. Die entsprechende Einheit sei stattdessen<br />
„eine hohe Korrelation von Merkmalen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer 1998, S. 19).<br />
An die Stelle von Krankheitsbildern trete jeweils<br />
ein „neues Konzept, das fast immer unzureichend<br />
bestimmt ist“ (<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer 1998, S. 19). Dem liegt die Auffassung<br />
zugrunde, dass medizinische Krankheitsbilder<br />
ahistorisch seien. Dies sind sie aber nicht, wie<br />
ein Blick in die Medizingeschichte zeigt:<br />
Es ist noch nicht lange her, <strong>als</strong> der Sitz der Seele<br />
in der Milz vermutet wurde. Die Hysterie war<br />
eine am Ende des 19. Jhs. gängige Krankheit,<br />
heute ist dieser Begriff aus den diagnostischen<br />
Manualen verschwunden, sie heißt jetzt „dissoziative<br />
Störung“ oder Konversionsstörung.<br />
„Borderline“ ist eine Diagnose, die Mitte der<br />
80er Jahre größere Verbreitung gewann. „Multiple<br />
Persönlichkeit“, eine von Soziologen rasch<br />
und begierig aufgenommene Diagnose, kam sie<br />
doch eigenen „Diagnosen“ der postmodernen<br />
Persönlichkeit entgegen (Wenzel 1995), ist in
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
der Psychiatrie äußerst umstritten.<br />
Zu Diagnosen (die ja in der Soziologie im<br />
klassischen Sinne nicht möglich seien) gehörten<br />
auch Prognosen, anders formuliert:<br />
Jede Diagnose zieht in der Medizin eine<br />
Behandlung nach sich, welche mit einer Prognose<br />
verbunden ist der Art, dass aufgrund<br />
einer spezifischen Behandlung ein spezifisches<br />
Ergebnis erwartet wird. Weil aber Prognosen,<br />
so <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer, in den Sozialwissenschaften<br />
deshalb nicht möglich seien,<br />
weil die künftigen Bedingungen, vor allem das<br />
Handeln anderer Akteure, nicht bekannt seien,<br />
verwende man die schwächeren Konzepte von<br />
Szenarien oder Vorhersagen. Andererseits aber<br />
bringe sich die Soziologie um einen strategischen<br />
Vorteil, wenn sie sich auf Prognosen<br />
nicht einlasse, denn diese könnten dazu dienen,<br />
Hypothesen zu testen.<br />
Ziehen wir ein Fazit: Eine soziologische<br />
Diagnostik analog einer medizinischen Diagnostik<br />
scheitert grundlegend daran, dass<br />
die Medizin - alle Irrtümer medizinischer<br />
Diagnostik von der Logik des DSM oder ICD<br />
nicht berücksichtigt - handlungsorientiert in<br />
konkreten Fällen von Leidensdruck diagnostiziert,<br />
während die Soziologie weder einen<br />
solchen Handlungsauftrag hat noch, wenn<br />
sie ihn hätte, über eine Praxeologie verfügen<br />
würde, um ihn übernehmen zu können. 3 Damit<br />
führen die Überlegungen dorthin zurück,<br />
wo wir diesen Streifzug begonnen haben, zu<br />
Parsons und Platt. <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer gestehen zwar zu, dass die Soziologie<br />
<strong>als</strong> Grundlagenforschung „Erkenntnisse um<br />
ihrer selbst willen“ produziert und über ihren<br />
Zaun hinaus allenfalls dadurch blicken kann,<br />
dass sie zu „sinnstiftenden Orientierungsleistungen“<br />
(<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer) oder<br />
„Diskursimpulsen“ fähig ist. Sie vermeiden es<br />
aber, die Soziologie zu den praktischen akademischen<br />
Berufen hin abzugrenzen. Das ist<br />
ein Mangel. Denn letztlich kann die Frage des<br />
Transfers von Wissenschaft in die Lebenspraxis<br />
nur in einem Dreieck behandelt werden:<br />
Wissenschaft - Professionen - Lebenspraxis.<br />
Wir fassen die in diesem Kapitel angesprochenen<br />
Punkte im nächsten Abschnitt zusammen.<br />
4. We s e n t l i c h e He r a u s f o r d e r u n g e n a n<br />
d e n Tr a n s f e r m o d u s s o z i a lw i s s e n s c h a f t-<br />
l i c h e n Wissens in d i e g e s e l l s c h a f t l i c h e<br />
Pr a x i s<br />
Aus den referierten Ansätzen können folgende<br />
Themen für eine Transferdiskussion<br />
erschlossen werden. Wir beginnen mit der der<br />
philosophischen Position von Hans-Georg<br />
Gadamer:<br />
• Alltagsweltliche Erfahrung ist auf die<br />
unmittelbare Problembewältigung bei<br />
Handlungsblockaden gerichtet, wissenschaftliche<br />
Erfahrung dient dem Erkennen<br />
von Allgemeinem ohne Anspruch<br />
auf unmittelbare Problembewältigung<br />
und Sicherheit. Nur im professionellen<br />
Handeln gelingt es, alltagsweltliche<br />
und wissenschaftliche<br />
Problembewältigung im Dienste<br />
Seite page 19<br />
einer individuellen Lebenspraxis<br />
zusammen zu bringen: „Die alten Professionen<br />
haben sich gebildet zur Hilfe<br />
bei ungewöhnlichen Lagen, vor allem<br />
Lebensrisiken, angesichts von Tod, nicht
Sozialwissenschaften References Literatur und<br />
gesellschaftliche Praxis<br />
eindämmbarem Streit. Sie beschaffen<br />
Sicherheit und Problemlösungen durch<br />
spezialisierte Techniken des Umgangs<br />
mit solchen Problemen“ (Luhmann 1991,<br />
S. 29). Daraus ist das Fazit zu ziehen, dass<br />
sozialwissenschaftliches Wissen dort, wo<br />
es um gesellschaftliche Zentralwerte<br />
geht, nicht direkt, sondern nur vermittelt<br />
über Professionen für die gesellschaftliche<br />
Praxis nutzbar gemacht werden kann.<br />
Das zentrale Stichwort dafür heißt stellvertretende<br />
Deutung (Oevermann 1996).<br />
<strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und Mayer stellen die folgenden<br />
Diskussionspunkte bei der Frage des<br />
Transfers sozialwissenschaftlichen Wissens in<br />
die gesellschaftliche Praxis heraus:<br />
• Der selbst gesetzte Anspruch der Soziologie<br />
an Wissenschaftlichkeit kollidiert mit<br />
gesellschaftlichen Erwartungen an sinnstiftende<br />
Orientierungen, die vorzugsweise<br />
<strong>als</strong> die Präsentation einfacher Kausalzusammenhänge<br />
dargeboten werden.<br />
• Die soziologische Diagnostik scheitert<br />
daran, dass es in der Soziologie keine<br />
Analogien zu medizinischen Krankheitsbildern,<br />
sondern lediglich jeweils neue<br />
Konzepte gibt.<br />
• Prognosen ergeben sich zwar zwangsläufig<br />
aus Diagnosen. Jedoch hat<br />
die Soziologie einen spezifischen<br />
Seite page 20 Gegenstand zu untersuchen.<br />
Er ist dadurch gekennzeichnet,<br />
dass ein zukünftiges Geschehen<br />
aufgrund eines nicht vorhersehbaren Akteurshandelns<br />
nicht zuverlässig vorhergesagt<br />
werden kann. Das gilt im Übrigen<br />
auch für die Medizin. Prognosen in der<br />
Soziologie haben daher den Status von<br />
Prophetien (Popper 1968) bzw. können<br />
nur <strong>als</strong> Szenarien bzw. <strong>als</strong> Vorhersagen<br />
angeboten werden, die jeweils mit einer<br />
ceteris-paribus-Klausel versehen sind.<br />
Die Ausführungen von <strong>Friedrich</strong>s, Lepsius und<br />
Mayer sind in folgenden Punkten diskussionswürdig:<br />
• Ihre Argumentation ist nur für jene<br />
Rezipienten schlüssig, die eine Reihe<br />
von Grundvoraussetzungen teilen: den<br />
methodologischen Individualismus; die<br />
Annahme, dass empirische Forschung nur<br />
Korrelationen, keine Hypothesen über<br />
Strukturkausalitäten zustande bringen<br />
kann; die Annahme, dass die Identifizierung<br />
von lang-, mittel- bzw. kurzfristig<br />
wirksamen Strukturen nicht möglich ist;<br />
die Gegenüberstellung von Mikro- und<br />
Makrophänomenen, ohne zuzulassen, dass<br />
auch ein dialektischer Zusammenhang<br />
angenommen werden kann; die Betonung<br />
der Konstruktion gesellschaftlicher Zusammenhänge<br />
und der entsprechenden<br />
Typenbildung und schließlich die Ignoranz<br />
gegenüber rekonstruktiven Verfahren<br />
der empirischen Sozialforschung.<br />
• Was ebenso in der Position von <strong>Friedrich</strong>s,<br />
Lepsius und Mayer übersehen wird,<br />
ist der Sachverhalt, dass in der Medizin zu<br />
Diagnose und Prognose die Therapie sich<br />
gesellt, während eine vergleichbare Triade<br />
in der Soziologie zur Sozialtechnologie<br />
führen würde, weil der Individuumsbezug<br />
(= der Bezug zu einem Analogon zum<br />
Patienten) fehlt.
Hildenbrand, References Literatur Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
• Ebenso wird die Frage des Auftraggebers<br />
nicht diskutiert. In der Medizin ist der<br />
Auftraggeber der Patient, aufgrund der<br />
Einheit von Forschung und Behandlung<br />
in der universitären Medizin entwickeln<br />
sich grundlagentheoretische Fragestellungen<br />
aus Praxisproblemen, und das<br />
Ergebnis der entsprechenden Forschung<br />
fließt zurück in die medizinische Praxis.<br />
Von solchen Zusammenhängen ist die<br />
grundlagentheoretisch orientierte Soziologie,<br />
gerade auch in einem Sonderforschungsbereich,<br />
weit entfernt. Dessen<br />
muss sich jede Behandlung der Frage<br />
nach Transferleistungen bewusst sein:<br />
Grundlagenforscherinnen und -forscher<br />
geben sich ihre Aufträge selber, suchen<br />
sich ihre Rezipienten selber, und was diese<br />
aus der Rezeption von Forschungsergebnissen<br />
machen, entzieht sich weitgehend<br />
soziologischem Zugriff.<br />
Diese Überlegungen dienen uns <strong>als</strong> Hintergrund<br />
bei der Erschließung geplanter und<br />
realisierter Transferbemühungen wissenschaftlicher<br />
Ergebnisse in die gesellschaftliche Praxis,<br />
sei es nun in die Praxis von Fachleuten oder in<br />
die von Alltagsmenschen.<br />
Seite page 21
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
3<br />
Die Tr a n s f e r p r a x i s im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
1. Ei n e Üb e r s i c h t ü b e r d i e in d e n Pr o j e k t-<br />
a n t r ä g e n f o r m u l i e rt e Tr a n s f e r p r a x i s:<br />
Pr a x i s r e l e va n z ja, a b e r d i e Tr a n s f e rw e-<br />
g e b l e i b e n u n e x p l i z i e rt<br />
Wir interpretieren in einem ersten<br />
Zugriff die Anträge der Teilprojekte<br />
in der zweiten Bewilligungsphase<br />
unter den folgenden drei Gesichtspunkten:<br />
Praktische Relevanz der Fragestellungen,<br />
Steuerung des Forschungsprozesses und Systematik<br />
des Wissenstransfers. Die Ergebnisse<br />
lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen:<br />
• Alle Teilprojekte beanspruchen, gesellschaftlich<br />
relevante Fragestellungen zu<br />
bearbeiten, jedoch wird dieser Anspruch<br />
eher <strong>als</strong> unausgesprochene Voraussetzung<br />
formuliert und weniger explizit begründet.<br />
Eine Ausnahme bietet das Projekt B7, das<br />
Laborexperimente betreibt.<br />
• Was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen<br />
erwartungsgemäß die Wissenschaftler<br />
selber. Einflüsse der Praxis auf<br />
die Wissenschaft bei der Definition der<br />
Forschungsfragen und der methodischen<br />
Durchführung sind allenfalls implizit<br />
vorhanden (vgl. die Charakterisierung<br />
der Teilprojekte aufgrund der Anträge<br />
der zweiten Bewilligungsphase hinsichtlich<br />
unserer Fragestellungen im Anhang,<br />
S. 86-98).<br />
Seite page 22
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
2. Grosse Be d e u t u n g u n d g r o s s e Vi e l-<br />
fa lt d e s Wissenstransfers z w i s c h e n Fo r-<br />
s c h u n g u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e r Pr a x i s im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Er g e b n i s s e d e r In t e rv i e wa n a ly s e<br />
In unseren Interviews mit Vertretern der einzelnen<br />
Projekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> wurden folgende<br />
Themen behandelt:<br />
• Welche Definition von gesellschaftlicher<br />
Praxis ist für das jeweilige Projekt relevant?<br />
• Ist beabsichtigt, Ergebnisse der Untersuchung<br />
in die gesellschaftliche Praxis zu<br />
transferieren?<br />
• Wenn ja, wohin sollen die Ergebnisse<br />
transferiert werden?<br />
• Ist diesbezüglich schon etwas unternommen<br />
worden?<br />
•<br />
Wenn ja: wie ist der Transfer verlaufen?<br />
Die Ergebnisse dieser Befragung stellen wir<br />
in einer Tabelle vor. Sie fasst zusammen, worüber<br />
in den Interviews mit den Mitarbeitern<br />
der einzelnen Forschungsprojekte Aussagen<br />
getroffen wurden. Wir erläutern zunächst die<br />
Kategorien der Tabelle.<br />
Definition der gesellschaftlichen Praxis: Die<br />
Definition gesellschaftlicher Praxis kann im<br />
Ungefähren verbleiben, sie kann sich zweitens<br />
auf die Akteure in einem spezifischen Feld<br />
beziehen, im Praxisverständnis kann drittens<br />
zwischen unterschiedlichen Feldern differenziert<br />
werden, und die Definition kann viertens<br />
theoretisch begründet ausfallen.<br />
Bezug zur Praxis: In Teilprojekten, die sich<br />
eher <strong>als</strong> theoretisch orientiertes Projekt sehen,<br />
wird ein Bezug zur Praxis nicht systematisch<br />
verfolgt. Hier beruht ein möglicher Praxisbezug<br />
auf den Interessen einzelner Projektmitarbeiter<br />
(„persönliche Sonderleistung“).<br />
Forschungsorientierung: Eine Forschungsorientierung<br />
kann grundlagentheoretisch oder<br />
anwendungsbezogen sein. Einige Teilprojekte<br />
treffen diese Unterscheidung nicht. Allerdings<br />
charakterisieren sich die meisten Projekte<br />
aufgrund der Zugehörigkeit zum <strong>SFB</strong> <strong>als</strong><br />
Grundlagenforschungsprojekt.<br />
Transfermodus in die Praxis: Die meisten Teilprojekte<br />
sehen ihre Aufgabe nicht darin, die<br />
untersuchten Akteure unmittelbar zu beraten.<br />
Bei der Frage, ob die Ergebnisse in die Praxis<br />
zurückgegeben werden und, wenn ja, in welcher<br />
Form, kann man danach unterscheiden,<br />
ob eine Ergebnisinformation mit Aufbereitung<br />
für die Praxis oder ohne Deutungsangebote<br />
für die untersuchte Praxis erfolgt. Anders<br />
formuliert: Müssen die untersuchten Akteure<br />
in Eigenleistung das wissenschaftliche Wissen<br />
in für sie praxisrelevantes Wissen transformieren,<br />
oder wird das Wissen für die Akteure anschlussfähig<br />
organisiert? Des Weiteren kann<br />
auch der Transfer in die wissenschaftliche<br />
oder die engere Fachöffentlichkeit <strong>als</strong> Transfer<br />
in die Praxis verstanden werden.<br />
Austausch von Wissenschaft und Praxis:<br />
Hier geht es um die Frage, ob<br />
Seite page 23<br />
Anregungen, Deutungen bzw. relevante<br />
Fragestellungen aus der Praxis<br />
wiederum Eingang in die Forschung finden.<br />
Wird zum Beispiel das Forschungsdesign<br />
nach Kontakt mit den untersuchten Akteuren
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
geändert oder modifiziert? Oder findet nur ein<br />
einseitiger Austausch von der Wissenschaft in<br />
die Praxis statt?<br />
Beziehung zur medialen Öffentlichkeit: Hier<br />
soll unterschieden werden zwischen einer eher<br />
dialogischen und einer eher monologischen<br />
Struktur. War in der Befragung die Rede von<br />
Tagungen und Konferenzen, so können wir<br />
eine dialogische Struktur mit einer starken<br />
Hinwendung des Projektes zu einer Fachöffentlichkeit<br />
oder zur scientific community<br />
annehmen. Geht es um das Thema „Verlautbarung<br />
in den Medien“, so ist strukturell<br />
eher eine einseitige Kommunikationsform zu<br />
vermuten.<br />
In der nun folgenden Tabelle kann nicht unterschieden<br />
werden, ob eine fehlende Antwort<br />
unter einer Kategorie explizit „nicht vom<br />
Projekt intendiert“ ist - <strong>als</strong>o beispielsweise<br />
Praxisberatung nicht geplant und erwünscht<br />
ist - oder diese Kategorie im Interview nicht<br />
angesprochen worden ist.<br />
Seite page 24
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Beziehung<br />
zur medialen<br />
Öffentlichkeit<br />
Austausch von Wissenschaft<br />
und Praxis<br />
Transfermodus in die Praxis<br />
Forschungsorientierung<br />
Bezug zur<br />
Praxis<br />
Definition gesellschaftlicher<br />
Praxis<br />
Projekt<br />
Für die Praxis<br />
monologisch<br />
Dialogisch<br />
Einseitig: von Praxis zu Wissenschaft<br />
Einseitig: von Wissenschaft zu Praxis<br />
reziprok<br />
Für die Wissenschaft<br />
Ergebnispräsentation<br />
mit Deutungsangeboten<br />
Ergebnispräsentation<br />
ohne Deutungsangebote<br />
Als Praxisberatung<br />
Kontinuum<br />
Anwendungsforschung<br />
Grundlagenforschung<br />
Persönliche Sonderleistung<br />
Systematisch verfolgt<br />
Lediglich in Bezug zu untersuchten<br />
Akteuren<br />
Theoretisch<br />
Konkret<br />
A1 X X X nein X X X X<br />
A2 X X X X X X<br />
A3 X X X X<br />
A4 X X nein X X X X X<br />
A5 X X X X<br />
A6 X X X X X<br />
B1 X X X X X X X<br />
B2 X X X X X X X X<br />
B5 X X X X X X<br />
B7 X nein X X<br />
B8 X X X (X) X X X X X<br />
B9 X (X) X X X X X<br />
C3 X X X X X X X X<br />
C4 X X X X X X X<br />
C5 X X X X X X<br />
C6 X X X X X X X X X X X<br />
Seite page 25
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Schon diese erste Klassifikation der Interviewaussagen<br />
veranschaulicht, dass die Interviews<br />
eine größere Vielfalt und insbesondere eine<br />
größere Bedeutung des Theorie-Praxis-Austausches<br />
zutage förderten, <strong>als</strong> dies aufgrund<br />
der Anträge zu erwarten gewesen wäre. Wir<br />
stehen deshalb vor der Aufgabe, die Komplexität<br />
dieser Mannigfaltigkeit der Aussagen<br />
auf wesentliche Elemente und grundlegende<br />
Muster zu reduzieren.<br />
3. Pr a x i s v e r s t ä n d n i s u n d We g e d e s Wissenstransfers<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
a) Übersicht<br />
Zunächst betrachten wir die Formen, in denen<br />
der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> versucht, auf die gesellschaftliche<br />
Praxis und einzelne Praxisfelder zuzugehen.<br />
Wir werden das Verständnis von sozialer<br />
Praxis in den Teilprojekten beleuchten und<br />
uns dabei auf die in den Interviews gegebenen<br />
Informationen stützen. Danach differenzieren<br />
wir bestimmte Formen des Theorie-Praxis-<br />
Austausches entlang der methodischen Elemente<br />
und „kommunikativen Mittel“, die<br />
jeweils angewandt werden, um von externen<br />
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Gruppen und Handlungsfeldern wahrgenommen<br />
zu werden. Schließlich werden wir die<br />
Wege des Transfers von Wissen aus dem <strong>SFB</strong><br />
<strong>580</strong> in die Praxis typologisch differenzieren.<br />
b) Unterschiedliche Praxisbegriffe und Praxisbezüge<br />
in den Teilprojekten: vier Varianten<br />
Wir sehen in einem ersten Überblick folgende<br />
Varianten von Praxisbegriffen und Praxisbezügen<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>:<br />
Praxisbegriff und Praxisbezug<br />
1 Praxis <strong>als</strong> black box, kein unmittelbarer Praxisbezug B7<br />
2 Globaler Praxisbegriff, differenzierte Praxisfelder A1, A4, A5, B5, B8<br />
3<br />
4<br />
Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld, Bezug zu institutionellen<br />
Akteuren<br />
Handlungs- und strukturtheoretisch begründeter Praxisbegriff,<br />
entsprechend reflektierter Praxisbezug<br />
A2, A3, A6, B1, B2, B9<br />
C3, C4, C5, C6<br />
Seite page 26<br />
Variante 1: Praxis <strong>als</strong> black box, kein<br />
unmittelbarer Praxisbezug. Zwar<br />
wird hier die Praxis <strong>als</strong> „black box“ begriffen,<br />
zu der es keine unmittelbare Beziehung<br />
gebe, die aber auf Forschungsergebnisse und<br />
deren öffentliche Bekanntgabe reagiere. Als<br />
Grund dafür, sich wenig Gedanken über den<br />
Praxisbegriff und eher einseitige über den<br />
Bezug zur Praxis gemacht zu haben, wird von<br />
dem entsprechenden Teilprojekt zur strategi-
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
schen Interaktion die konzeptionelle Fundierung<br />
der Forschungstätigkeit und der konkrete<br />
Auftrag des Drittmittelgebers Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
genannt. Die befragten<br />
Mitarbeiter dieses Teilprojekts charakterisieren<br />
einen möglichen „direkten Transfer in die Praxis“<br />
- und damit einen konkreten Begriff von<br />
gesellschaftlicher Praxis, wie umfassend auch<br />
immer - <strong>als</strong> „die Elemente der leeren Menge“.<br />
Deshalb sprechen wir in diesem Kontext auch<br />
von Praxis <strong>als</strong> „black box“.<br />
Variante 2: Globaler Praxisbegriff, differenzierte<br />
Praxisfelder. Ließ das erste Teilprojekt den<br />
Praxisbezug unbestimmt, weil er für seine<br />
Forschung ohne hinreichende Relevanz war, so<br />
zeichnet sich eine zweite Gruppe von Teilprojekten<br />
dadurch aus, dass sie ihren Praxisbegriff<br />
unmittelbar über die Differenzierung unterschiedlicher<br />
Praxisfelder näher bestimmt. Als<br />
Beispiel für eine solche Orientierung sei zuerst<br />
die Erläuterung des Teilprojekts zu Führungsgruppen<br />
angeführt: Dieses analysiere konkrete<br />
historische und in der Gegenwart fortwirkende<br />
soziale Praxen bzw. das Nachwirken von<br />
DDR-Sozi<strong>als</strong>truktur, Rekrutierungsmustern<br />
und Karrierelogiken bei heutigen ostdeutschen<br />
Eliten und Subeliten. Im Interview mit den<br />
Mitarbeitern des Teilprojekts zu lokalen politischen<br />
und administrativen Eliten heißt es darüber<br />
hinausgehend fast schon programmatisch:<br />
„Jeder Handlungsvollzug ist Praxis, <strong>als</strong>o auch<br />
wissenschaftliche Handlungsbezüge“. Insofern<br />
habe Praxis keinen Gegenbegriff. Deshalb sei<br />
die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis<br />
kein Thema im Projekt, sondern das Verhältnis<br />
von verschiedenen Praxen zueinander. Darauf<br />
bezogen seien auch die projektinternen<br />
Überlegungen, in welche gesellschaftlichen<br />
„Teilpraxen“ hinein gewirkt werden könne. Es<br />
sind im Falle des lokalen Eliteprojekts drei<br />
unterschiedliche Felder: Die Praxis des Forschungsprojekts<br />
im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />
und der scientific community.<br />
„Wir sind nicht allein“, heißt es im Interview,<br />
es werde in einem Forschungsverbund gearbeitet.<br />
Der Kontext sei deshalb zuerst ein wissenschaftlicher.<br />
Des Weiteren wird zweitens<br />
die Praxis der medialen Verbreitung wichtiger<br />
Forschungsergebnisse hervorgehoben. Im Teilprojekt<br />
zu lokalen politisch-administrativen<br />
Eliten wird die Öffentlichkeit <strong>als</strong> ein Medium<br />
von Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen)<br />
gesehen, über welches die Menschen die Welt<br />
erführen und die deshalb für Orientierungsprozesse<br />
hoch bedeutsam sei. Schließlich<br />
wird von diesem Teilprojekt der Bezug zur<br />
Spezifik des Untersuchungsfelds hergestellt.<br />
Dieser sei wissenschaftlich bestimmt und<br />
aus wissenschaftlichen Motiven heraus entwickelt.<br />
Hier spielten zum Beispiel konkrete<br />
Lebensverläufe von lokalen politischen Eliten<br />
<strong>als</strong> den zu untersuchenden Elementen des<br />
Handlungskreises eine Rolle.<br />
Auch im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />
gibt es keine allgemeine Definition eines<br />
Praxisbegriffs, sondern ganz verschiedene<br />
„Praxisgruppen“ und unterschiedliche Ebenen<br />
von potentiellen Rezipienten der Forschungsergebnisse.<br />
Wie im Projekt zu lokalen Eliten<br />
wird besonders auf die „verschiedenen Rezipientengruppen<br />
im Projekt“ abgehoben:<br />
Zum einen die wissenschaftliche<br />
Öffentlichkeit und die Deutsche<br />
Seite page 27<br />
Forschungsgemeinschaft (<strong>als</strong> „Kontrolleur“<br />
der Forschungsarbeit), zum<br />
anderen die nichtwissenschaftliche, weite<br />
Öffentlichkeit, die wiederum aus ganz vielen<br />
Teilgruppen bestehe (z.B. einzelne Unterneh-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
men oder Anbieter von Personaldienstleistungen,<br />
die ihre Marktstrategien überprüfen oder<br />
mit anderen Anbietern vergleichen könnten,<br />
Betriebsräte und Arbeitnehmergruppen, die<br />
von ausgelagerten Personalfunktionen betroffen<br />
seien, oder politische Gruppen und<br />
Journalisten, die sich mit Arbeitsmarktpolitik<br />
beschäftigen). Hier liegt sozusagen ein besonders<br />
„praxisnaher“ Praxisbegriff vor.<br />
Auch das Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im<br />
öffentlichen Sektor bestimmt seinen Praxisbegriff<br />
über eine Aspektdifferenzierung. So heißt<br />
es auf unsere Frage, was im Projekt unter dem<br />
Begriff gesellschaftliche Praxis verstanden<br />
würde und wie er im Rahmen der Forschungsarbeit<br />
zur Geltung käme: Gesellschaftliche<br />
Praxis sei im wissenschaftlichen Feld zuerst<br />
einmal Wissensbildung über die Ausbildung<br />
von „Köpfen“ in der Lehre. Sie stelle auch den<br />
unmittelbaren praktischen Bezug der Projektarbeiten<br />
dar. Ein zweiter Teilaspekt sei die Beteiligung<br />
am wissenschaftlichen Diskurs über<br />
Forschungsergebnisse und die „Formierung<br />
von Wissensbeständen“. Ein dritter Aspekt<br />
stelle die Beteiligung am öffentlichen Diskurs<br />
dar. Und ein vierter Aspekt beziehe sich auf<br />
Überlegungen, wie Probleme im Untersuchungsfeld<br />
beschaffen seien und wie die Praktiker<br />
mit ihnen umgingen (konkret bedeute das<br />
für die Fragestellung des Forschungsprojekts:<br />
Wie reagieren Akteure im öffentlichen Dienst<br />
auf Herausforderungen, die aus dem<br />
demografischen Wandel resultieren).<br />
Seite page 28 An den Umgang der Praktiker mit<br />
Problemen <strong>als</strong> Praxisform schließen<br />
die Mitarbeiter im Teilprojekt zum<br />
Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor noch die<br />
Überlegung an, ob nicht auch die Datenerhebung<br />
selbst <strong>als</strong> Praxis herausgestellt werden<br />
könne und müsse. Weil es nämliche eine Form<br />
der wissenschaftlichen Praxis sei, die gleichzeitig<br />
auch für kommunale Akteure eine besondere<br />
Form der Praxis darstelle. Die Forscher des<br />
Sonderforschungsbereichs stünden nämlich<br />
stellvertretend für eine gewisse Öffentlichkeit<br />
und die Interviewsituation stelle eine bestimmte<br />
„Praxis von Öffentlichkeit“ her.<br />
Einen Schritt weiter schließlich geht bei<br />
ähnlichen theoretischen und konzeptionellen<br />
Ausgangsbedingungen das Teilprojekt zu<br />
Kultureliten. Hier heißt es im Interview zwar<br />
zunächst: „Wir haben noch nicht über gesellschaftliche<br />
Praxis (<strong>als</strong> solche) nachgedacht“.<br />
Das heißt: Eine Theorie der gesellschaftlichen<br />
Praxis wurde hier ebenfalls nicht expliziert.<br />
Hinsichtlich der eigenen Projektpraxis im<br />
Rahmen von wissenschaftlicher Praxis ändert<br />
sich allerdings die Einstellung in diesem Teilprojekt:<br />
„(Wir haben) aber auch zumindest<br />
immer ganz bewusst Öffentlichkeiten gesucht<br />
und auch zu interessieren versucht für unser<br />
Thema“. Obwohl es, wie im Interview hervorgehoben,<br />
eher keine Praxispartner im engeren<br />
und kommerziellen Sinne gebe, versuche das<br />
Projekt „die Trommel zu rühren“, um die mediale<br />
Öffentlichkeit zu interessieren und Multiplikatoren<br />
zu gewinnen. Mit dieser Form der<br />
Öffentlichkeits- und Zielgruppenorientierung<br />
erfüllt das Projekt zu Kultureliten wichtige<br />
Kriterien eines planvollen Wissenschaftsmarketings.<br />
Nicht zu unterschätzen ist bei diesem<br />
Vorgehen die durch das Untersuchungsthema<br />
gegebene Aufnahmebereitschaft auf Seiten<br />
von Deutungseliten - sie stellen auch bewusst<br />
eines der untersuchten sozialen Felder des<br />
Projekts dar - für kulturweltlich „interessante“<br />
Forschungsergebnisse.
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
In der zweiten Variante wird demnach ein<br />
ursprünglich weiter Praxisbegriff durch die<br />
konkreten Forschungsbezüge differenziert und<br />
näher bestimmt.<br />
Variante 3: Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld,<br />
Bezug zu institutionellen Akteuren. Ließ<br />
die erste Gruppe bzw. das erste Teilprojekt den<br />
Praxisbezug unbestimmt und fasste ihn die<br />
zweite Gruppe über den konkreten Feldbezug<br />
der Forschung, so zeichnet sich der dritte Praxisbegriff<br />
und -bezug dadurch aus, dass in die<br />
Konzeption der Projektarbeiten die Interaktion<br />
mit Akteuren im Feld einbezogen ist. Zwar<br />
fällt auch im Interview mit Mitarbeitern des<br />
Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel die<br />
Definition von Praxis nicht konkret aus. Eine<br />
rudimentäre Konzeption von sozialer Praxis<br />
allerdings findet Eingang in die Projektarbeiten<br />
über den Bezug auf „relevante Akteure“.<br />
Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei<br />
dem Projekt um ein theoretisch orientiertes<br />
Forschungsvorhaben handele: Das Projekt untersucht<br />
Beschäftigung im Wandel. Betrieben<br />
<strong>als</strong> den für die Analyse relevanten Einheiten<br />
sende man jedoch alle zwei Jahre einen Bericht<br />
über zentrale Ergebnisse zu. Welche Schlüsse<br />
die Unternehmen aus den in den Verlaufsdokumentationen<br />
zusammengefassten Daten<br />
ziehen, sei „zunächst einmal deren Sache“.<br />
Im Teilprojekt zu Delegationseliten wird<br />
der Praxisbegriff ebenfalls nur ansatzweise<br />
über die untersuchten - für gesellschaftliche<br />
Entscheidungsprozesse relevanten - Akteure<br />
(Parlamentsabgeordnete) konzipiert. Praxisrelevanz<br />
bezieht sich in diesem Projekt auf Informationsflüsse,<br />
deren Fließrichtung nicht näher<br />
zu bestimmen und praktisch nicht zu steuern<br />
sei. Versucht würden Wissenstransfers auf zwei<br />
Ebenen: Die Ergebnisse der Arbeit so zu präsentieren,<br />
dass sie öffentlich wahrgenommen<br />
werden und den relevanten, untersuchten<br />
Akteuren einen „Spiegel“ über ihr Tun und<br />
Selbstverständnis „vorzuhalten“. Was weiter<br />
passiere, bleibe abzuwarten.<br />
Beim Teilprojekt zu Freien Wählergemeinschaften<br />
antwortet man uns sehr offen auf die<br />
Frage nach einem Begriff von gesellschaftlicher<br />
Praxis: „Also bei uns ist der gar nicht so zentral,<br />
so dass ich jetzt nicht sagen könnte, dass<br />
wir da vom Projekt her eine klare Vorstellung<br />
hätten“. Auch gäbe es (bis zum Zeitpunkt des<br />
Interviews) keine konkreten Beobachtungen,<br />
dass sich die Praxis der Akteure durch den<br />
Transfer von Forschungsergebnissen geändert<br />
habe. Allerdings ist der Gegenstand der Untersuchung<br />
schon durch die formalen Konstitutionsbedingungen<br />
politischer Vereinigungen<br />
strukturiert - innerhalb dessen sich dann auch<br />
die Projektarbeiten bewegen.<br />
Im Teilprojekt zum Generationswechsel im<br />
Management fällt die Definition des Praxisbegriffs<br />
ebenfalls nicht konkret oder theoretisch<br />
bestimmt aus, aber über den Bezug zu den<br />
untersuchten Akteuren in ihrem institutionellen<br />
Praxisfeld expliziter. Als Beispiel sei<br />
aus dem Interview die folgende Sequenz<br />
angeführt: „Wir haben mit der Praxis in der<br />
Weise zu tun, dass wir mit Geschäftsführern<br />
(von kleinen und mittelständischen<br />
Unternehmen) zu tun haben“, und<br />
zwar unter anderem in ausgedehnten<br />
Seite page 29<br />
Leitfadeninterviews, die den Befragten<br />
möglicherweise schon dadurch<br />
nützen könnten, „dass sie über ihre Probleme<br />
reden können und das Gefühl haben, sie<br />
werden irgendwie ernst genommen, und das
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
wird in irgendeiner Form bei uns dann in eine<br />
wissenschaftliche Diskussion eingespeist“.<br />
Einen Schritt weiter geht das Teilprojekt zur<br />
Untersuchung des Fachkräftemangels. Für<br />
dessen Leiter reduzieren sich die Erzeugung<br />
sozialwissenschaftlichen Wissens und der<br />
Wissenstransfer nicht auf die Beziehung „von<br />
Forscher und seinem Gegenstand“ im gesellschaftlichen<br />
Handlungsfeld. Diese präge die<br />
Erhebungssituation. Daneben käme es beim<br />
Versuch der Einflussnahme auf die Praxis sehr<br />
oft zu einer Beziehung zu Entscheidungsträgern<br />
im Praxisfeld, „einer Personengruppe,<br />
die nicht untersucht wurde“. (Eine solche<br />
Differenzierung des Forschungsfelds und der<br />
relevanten Akteure in der „Erhebungs“- und<br />
„Anwendungssituation“ findet sich in Ansätzen<br />
zum Beispiel auch bei den „benachbarten“<br />
Teilprojekten zur Beschäftigung im Wandel<br />
und zur Entwicklung bei Personaldienstleistungen).<br />
Noch deutlicher wird jedoch eine solche Konstellation<br />
im Interview mit den Mitarbeitern<br />
des Teilprojekts zu prekärer Beschäftigung.<br />
Gerade diese Projektgruppe erachtet das Theorie-Praxis-Verhältnis<br />
explizit <strong>als</strong> für erheblich.<br />
Denn auf die Frage, inwiefern die Praxis beim<br />
Projekt eine Rolle spiele, kommt die Antwort:<br />
„Eine große Rolle, da wir an unglaublich basalen,<br />
dringenden Fragen dran sind. Wir sind<br />
dabei und können die ersten Schritte<br />
einer neuen Institution - der ARGE 4 -<br />
Seite page 30 untersuchen, bearbeiten dringende<br />
Fragen wie Langzeitarbeitslosigkeit.<br />
Alle diese Fragestellungen sind<br />
außerordentlich praxisrelevant. Wir werden<br />
durch die grundlegenden Probleme, die wir<br />
untersuchen, mit der Praxis konfrontiert.<br />
Und unsere Interviewpartner - Experten wie<br />
Vertreter von Arbeitsagenturen, ARGEn,<br />
Sozialämter, Politiker, Wirtschaftsverbände,<br />
Gewerkschaften, Beratungsinstitutionen - sind<br />
hoch interessiert an der Thematik und möchten<br />
natürlich die Ergebnisse erfahren, gespiegelt<br />
haben.“ Dabei drängt sich ein Bild auf, wonach<br />
das für die Untersuchung relevante Praxisfeld<br />
wie in konzentrischen Kreisen um den Kern<br />
der Projektforschung herum angeordnet liege.<br />
Davon werden im Interview drei hervorgehoben:<br />
Der innere Kreis an konkreten Institutionen<br />
(z.B. ARGE, Beratungsorganisationen),<br />
ein mittlerer Kreis von Interessenten, an den<br />
aggregierte region<strong>als</strong>pezifische Daten zurückgespiegelt<br />
würden, und der äußere Kreis der<br />
gesellschaftlichen Praxis, für den etwa „breite“<br />
wissenschaftliche Publikationen vorgesehen<br />
seien.<br />
Bei der dritten Variante, die ihren Forschungsgegenstand<br />
<strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld<br />
konzipiert, wird Praxis objekttheoretisch bestimmt.<br />
In den Analysen sollen Interessenkonstellationen<br />
und ihr sozi<strong>als</strong>truktureller Rahmen<br />
herausgearbeitet werden.<br />
Variante 4: Handlungs- und strukturtheoretisch<br />
begründeter Praxisbegriff, entsprechend reflektierter<br />
Praxisbezug. Sind wir bei den Vertretern der<br />
dritten Form des Praxisverständnisses auf eine<br />
differenzierte Konzeption gestoßen, so zeichnet<br />
sich die vierte Form durch eine explizite<br />
handlungs- und strukturtheoretische Fundierung<br />
des Praxisbegriffs aus. Die Differenz zum<br />
dritten, vorhergehenden Typus wollen wir mit<br />
Hilfe des Begriffs „Zurückspiegeln“, der im Interview<br />
mit den Mitarbeitern des Teilprojekts<br />
zu prekärer Beschäftigung bereits auftaucht,<br />
kurz skizzieren. Dieser Begriff zeichnet sich
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
unseres Erachtens durch eine hohe Suggestivkraft<br />
aus. Er erspart es einem <strong>als</strong> Befragten im<br />
Interview, den Begriff der Praxis zureichend<br />
definieren und die methodischen Schritte<br />
im Aufbau des „wissenschaftlichen Spiegels“<br />
darlegen zu müssen, in dem sich die Aussagen<br />
der befragten Praktiker „brechen“ und - in<br />
ein neues, spezifisch wissenschaftliches Bedeutungsspektrum<br />
integriert - wieder zurück<br />
„projiziert“ werden. Dem gegenüber stellen<br />
sich zumindest ansatzweise die Teilprojekte<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe, zum Bürgerschaftlichen<br />
Engagement, zur Rehabilitation<br />
und zu Bewältigungsressourcen von sozialem<br />
Wandel der Aufgabe einer positiven Bestimmung<br />
des Praxisbegriffs und der methodischen<br />
Schritte im Theorie-Praxis-Austausch. Für die<br />
Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />
besteht Praxis „im lebensweltlichen Entscheiden<br />
unter Handlungsdruck“. „Wir gehören <strong>als</strong><br />
Nicht-Forscher“, heißt es weiter im Interview,<br />
„der Praxis an, haben aber <strong>als</strong> Forscher die<br />
Entlastung, dass zum Beispiel Fallverläufe<br />
ohne Zeit- und Entscheidungsdruck der<br />
Handelnden nachvollzogen werden können.<br />
Dieselbe Person wechselt unter Umständen<br />
in den Bereich der Praxis und zurück. Dies<br />
ist eine Definition von Haltung, aber keine<br />
Personendefinition.“ In dieser Aussage sind<br />
zwei wichtige Bestimmungen enthalten: Praxis<br />
hängt begrifflich mit Handeln zusammen und<br />
handeln können nur Akteure, aber keine Sozi<strong>als</strong>trukturen<br />
und Systeme. Sodann gibt es keine<br />
ontologische Differenz zwischen Theorie und<br />
Praxis, sondern nur eine habituelle.<br />
Hier setzt auch die Definition des Praxisbegriffs<br />
beim Teilprojekt zur Kinder- und Jugendhilfe<br />
an. Die einschlägige Aussage im Interview<br />
schließt explizit an den Begriff des frühen,<br />
praxisphilosophischen Marx und implizit an<br />
den eher apokryphen, lebensphilosophischen<br />
Praxisbegriff von Nietzsche an, wenn es heißt:<br />
„Praxis ist alles, was dazu dient, sich am Leben<br />
zu erhalten - und zwar in sozialen Kontexten.“<br />
Dem entspricht auch der Oevermannsche<br />
Begriff der autonomen Lebenspraxis. Doch<br />
an dieser Stelle gehen die Ausführungen<br />
im Teilprojekt zur Kinder- und Jugendhilfe<br />
über die der Mitarbeiter im Teilprojekt zur<br />
Rehabilitation hinaus und greifen auf der so<br />
entwickelten Basis bzw. in dem explizierten<br />
strukturtheoretischen Rahmen den Ansatz<br />
des Differenzierungsparadigmas auf, wie er<br />
im letzten Konzepttyp zu sehen war. Leben<br />
<strong>als</strong> Erkennen und Bewältigen von Problemen<br />
und Krisen sei zusammengenommen eine<br />
Praxis - „aber jetzt nur auf der Ebene von Individuen.<br />
Auf der Ebene von Organisationen<br />
ist dies nochm<strong>als</strong> anders. Da geht es um die<br />
Problemstellung im Zuge der gesellschaftlichen<br />
Arbeitsteilung, mit der Organisationen<br />
zu tun haben“. Das Projekt zur Kinder- und<br />
Jugendhilfe zum Beispiel untersuche ein institutionelles<br />
Feld (das der Kinder- und Jugendhilfe),<br />
„wo sich Routinen einstellen, wo sich<br />
Deutungsmuster einstellen darüber, wie man<br />
die Aufgaben erledigt, wo es einen Gesetzesapparat<br />
gibt, der die Rahmenbedingungen<br />
dieses Handelns setzt, der die Aufgaben definiert“.<br />
Das alles wäre dann gesellschaftliche<br />
Praxis auf der institutionellen Ebene. Solche<br />
Institutionen müsste man wieder in<br />
eine umfassendere gesellschaftliche<br />
Organisationsform bis hin zu in-<br />
Seite page 31<br />
ternationalen Organisationsformen<br />
einbetten. Auf Nachfrage erfolgt<br />
im Interview ein weiteres „Einkreisen“ des<br />
Praxisbegriffs in diesem Teilprojekt. „Na gut,<br />
den Praxisbegriff hätte ich jetzt natürlich
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
auch noch sozialphänomenologisch <strong>als</strong> Alltag<br />
definieren können, etwa im Sinne von<br />
Alfred Schütz oder Edmund Husserl oder<br />
Harold Garfinkel oder Agnes Heller. Wir<br />
untersuchen ja quasi erst mal den Alltag der<br />
Jugendhilfe. Uns interessieren primär die<br />
gewonnenen Handlungsroutinen.“ Auf dieses<br />
Praxiskonzept bezogen ist das methodische<br />
Vorgehen, die eigene wissenschaftliche Praxis<br />
im Projekt zur Kinder- und Jugendhilfe, wenn<br />
es im Interview weiter heißt: „Wir betreiben<br />
rekonstruktive Sozialforschung. Das heißt,<br />
wir gehen dahin (in das Praxisfeld) mit der<br />
Goffmanschen Frage: Was ist da los? Insofern<br />
könnte man auch sagen, die untersuchte Praxis<br />
selegiert, was wichtig ist. Oder: Wir rekonstruieren<br />
die Relevanzstrukturen der Praxis.“<br />
In der letzten Variante eines Praxisbegriffs wird<br />
versucht, eine konstitutionstheoretische Ebene<br />
in die Überlegungen zum inneren Aufbau<br />
des Untersuchungsgegenstands <strong>als</strong> auch zum<br />
Theorie-Praxis-Austausch einzubeziehen.<br />
c) Elemente und „kommunikative Mittel“<br />
des Theorie-Praxis-Austausches<br />
Nun geht es um die Frage, wie der Theorie-<br />
Praxis-Austausch in den einzelnen Projekten<br />
durchgeführt wird.<br />
Tagungen und Kolloquien: Zum Grundbestand<br />
des Theorie-Praxis-Austausches<br />
gehören Tagungen und Kolloquien.<br />
Seite page 32 Wir stoßen dementsprechend bereits<br />
in den Anträgen auf diese Veranstaltungsformen,<br />
in denen die Ergebnisse<br />
der Analysen vorgestellt und aufgearbeitet<br />
werden sollen. So heißt es im Interview mit<br />
den Mitarbeitern des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />
im Management: „Unsere<br />
primäre Zielgruppe ist die wissenschaftliche<br />
Gemeinde, sind die Kollegen.“ Beim Projekt<br />
zu Kultureliten ist die Rede von „Tagungen<br />
und Workshops“, die wichtig seien, um die Untersuchung<br />
in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit<br />
bekannt zu machen. Das Teilprojekt zu<br />
Freien Wählergemeinschaften berichtet unter<br />
anderem von „Workshops bei den europäischen<br />
und internationalen Politologenvereinigungen“.<br />
Für die Mitarbeiter des Teilprojekts zum<br />
Wandel der Beschäftigung stellen Tagungen<br />
einen der beiden wichtigsten Wege dar, um<br />
neues Wissen aus der Forschung in der scientific<br />
community publik zu machen. Im Gespräch<br />
mit den Mitarbeitern des Teilprojekts zum<br />
Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor werden<br />
Tagungen <strong>als</strong> Element der „Beteiligung am<br />
wissenschaftlichen Diskurs“ bezeichnet. Das<br />
Projekt habe zum Beispiel „eine Tagung mit<br />
polnischen Kollegen gemacht, das ist insofern<br />
auch eine Intervention. (Denn) in Polen gibt<br />
es keinen demografischen Diskurs, wie er hier<br />
geführt wird. Da gibt es ganz wenig. Aber alle<br />
Daten, die wir haben, deuten darauf hin, dass<br />
es in vier Jahren der Fall sein wird.“ In diesem<br />
Zusammenhang lassen sich fünf typische<br />
Realisierungsmuster von Tagungen und Kolloquien<br />
mit je unterschiedlicher Zusammensetzung<br />
von Wissenschaftlern und Praktikern<br />
identifizieren:<br />
Veranstaltungen im Rahmen der scientific community:<br />
Im internen Bereich von Theorie und<br />
Wissenschaft verbleiben Kolloquien, die sich,<br />
wie das Beispiel des Teilprojekts zur Beschäftigung<br />
im Wandel bereits zeigte, ausschließlich<br />
an die scientific community des konkreten Forschungsfelds<br />
wenden. Sie antworten auf eine<br />
generalisierte Erwartung des Wissenschafts-
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
systems an Grundlagenforschung. Viele interne<br />
Tagungen des Sonderforschungsbereichs in<br />
der ersten Phase seiner Tätigkeit zum Beispiel<br />
entsprechen diesem Modell. Dieser Austausch<br />
findet in einem ausgesprochen engen Rahmen<br />
statt. Jedoch ist der Interessentenkreis konkret<br />
bestimmt, so dass man den Bedürfnissen nach<br />
Projektprofilierung gerecht werden kann. Wie<br />
sich dieser Veranstaltungstyp auf die einzelnen<br />
Teilprojekte verteilt - Zahlen auf der Grundlage<br />
der Tätigkeitsberichte von 2004 bis 2007 -<br />
zeigt die folgende Übersicht:<br />
Wissenschaftliche Tagungen und Kolloquien Projektphase II<br />
B7<br />
B9<br />
A1<br />
C4<br />
B5<br />
A5<br />
A2<br />
C6<br />
C3<br />
A4<br />
A6<br />
B8<br />
B1<br />
B2<br />
C5<br />
A3<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Interdisziplinäre Veranstaltungen: Bezogen auf<br />
den Teilnehmerkreis offener sind Tagungen,<br />
die sich sowohl an die eigene wissenschaftliche<br />
Fachöffentlichkeit <strong>als</strong> auch an die<br />
einschlägigen Nachbardisziplinen wenden.<br />
Sie sind „breiter“ <strong>als</strong> interne Tagungen und<br />
Kolloquien angelegt Außerdem helfen sie,<br />
das Forschungsanliegen und (später) die Projektergebnisse<br />
bekannt zu machen.<br />
Von daher müsste dieser Tagungstyp<br />
in der zweiten Phase häufiger geworden<br />
sein <strong>als</strong> in der ersten. Diese<br />
Annahme wird anhand der folgenden<br />
Übersicht bestätigt:<br />
Seite page 33
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Vergleich: I. und II. Projektphase nach internen und externen Tagungen und Kolloquien<br />
Projektphase I<br />
19 9<br />
Projektphase II<br />
52 272<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
<strong>SFB</strong>-interne Tagungen<br />
Externe Tagungen<br />
Aus dem letzten Schaubild geht hervor: Waren<br />
in der ersten Projektphase von 2001 bis<br />
2004 <strong>SFB</strong>-interne Tagungen noch doppelt so<br />
häufig <strong>als</strong> externe, so hat sich das Verhältnis in<br />
der zweiten Projektphase zwischen 2004 und<br />
2007 deutlich mehr <strong>als</strong> verkehrt. Nun sind<br />
etwa 5,5 mal häufiger externe Veranstaltungen<br />
angegeben <strong>als</strong> interne im Rahmen des Sonderforschungsbereichs.<br />
Veranstaltungen für Wissenschaftler und Praktiker:<br />
Sie stellen in dieser Reihe den ersten<br />
expliziten Versuch dar, Theorie und Praxis<br />
miteinander in Kontakt zu bringen. So führen<br />
die Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />
den Personaldienstleistungen ein<br />
Seite page 34 „Expertenkolloquium“ an, an dem<br />
Personaldienstleister <strong>als</strong> Vertreter der<br />
untersuchten Praxis teilgenommen<br />
haben. Die Forschungsergebnisse seien auf<br />
„diesem Kolloquium gut angekommen“. Und<br />
weiter heißt es: „Diejenigen aus der Praxis<br />
sahen ihren Alltag bestätigt. Die Experten<br />
haben die Ergebnisse der <strong>SFB</strong>-Forschung <strong>als</strong><br />
Bestätigung, Erklärung und Strukturierung ihrer<br />
eigenen Erfahrungen aufgefasst.“ Es seien<br />
schließlich keine weitergehenden Erfahrungen<br />
mitgeteilt worden, die den Projektergebnissen<br />
widersprochen hätten. Dem Gesichtspunkt<br />
der größeren erreichbaren Zahl an potentiellen<br />
Teilnehmern am meisten entsprechen hierbei<br />
Tagungen, die sich sowohl an interessierte<br />
Fachwissenschaftler <strong>als</strong> auch an Vertreter der<br />
Praxis wenden. Das bedeutet: Auf der einen<br />
Seite vermag diese Veranstaltungsform den<br />
größten Kreis an Interessierten anzusprechen,<br />
da sie konzeptionsbedingt die sozialen und<br />
mentalen Grenzen zwischen Theorie- und<br />
Praxisfeldern - zwei soziale Kosmen i. S. Pierre<br />
Bourdieus, die ihre eigene Struktur und ihre<br />
eigenen Gesetze haben - zu übergreifen trachtet.<br />
Auf der anderen Seite zeigt sich bei dieser<br />
Veranstaltungsform die Notwendigkeit, den<br />
thematischen Fokus so eng zu spezifizieren,
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
dass das Interesse sowohl im Feld der Wissenschaft<br />
<strong>als</strong> auch in dem der gesellschaftlichen<br />
Praxis zureichend geweckt werden kann.<br />
Veranstaltungen für Praxisvertreter: Explizit unter<br />
dem Motto eines Theorie-Praxis-Austausches<br />
stehen Veranstaltungen, die sich von ihrer<br />
sozialen Rahmung und Organisationsform her<br />
ausschließlich oder schwerpunktmäßig an Interessierte<br />
der (Fach-)Öffentlichkeit außerhalb<br />
des engeren wissenschaftlichen Felds wenden.<br />
So sprechen die Vertreter des Teilprojekts<br />
zur Rehabilitation von einem „sehr engen<br />
Kontakt“ mit der „Rentenversicherung und<br />
auch der Krankenversicherung“ <strong>als</strong> wichtigen<br />
Organisationen im Untersuchungsfeld. Ein<br />
Weg für solche Kontakte stellen gemeinsame<br />
Veranstaltungen zum Informationsaustausch<br />
dar. Typischerweise ist hier <strong>als</strong> Motiv auf Seiten<br />
der beteiligten Wissenschaftler und Forscher<br />
der Versuch zu vermuten, neue Erkenntnisse<br />
unter den Praktikern bekannt zu machen, die<br />
potentielle praktische Relevanz <strong>als</strong>o in eine<br />
aktuell wirksame zu transponieren. Bei diesem<br />
Veranstaltungstyp trifft man häufig auf eine<br />
Asymmetrie im Austausch, die darin besteht,<br />
dass die Seite der Wissenschaft einseitig „aufklärt“.<br />
Hat man es dagegen - wie das Teilprojekt<br />
zur Rehabilitation - mit professionalisierten<br />
Praktikern zu tun, dann stößt man auf ein Praxisfeld,<br />
deren Fachkräfte selber beanspruchen,<br />
ihr Handeln wissenschaftlich begründen zu<br />
können. Sie trauen es sich zu, mit den Wissenschaftlern<br />
des Sonderforschungsbereichs über<br />
Projektergebnisse kompetent einen kritischen<br />
Dialog zu führen.<br />
Veranstaltungen zum Austausch von Theorie<br />
und Praxis: Vom Teilnehmerkreis her deutlich<br />
enger, von den thematischen Bezügen her dagegen<br />
deutlich breiter gefasst ist die letzte hier<br />
zu diskutierende Form des Theorie-Praxis-<br />
Austausches. Sie konzentriert sich auf interne<br />
Tagungen mit den Kooperationspartnern<br />
im zu untersuchenden Handlungsfeld. Ein<br />
Beispiel hierfür sind gemeinsame Tagungen<br />
der Mitarbeiter des Teilprojekts zur Kinderund<br />
Jugendhilfe mit Leitungskräften der<br />
untersuchten Jugendämter (vgl. weiter unten).<br />
Das Theorie-Praxis-Verhältnis hat bei diesem<br />
Veranstaltungstyp ein - im Unterschied zu den<br />
bisher herausgestellten Austauschformen -<br />
unmittelbares und spezifisches „Passungsverhältnis“<br />
zur fallrekonstruktiven Methode<br />
in der Sozialforschung. Denn der Austausch<br />
theoretischer und praktischer Argumente<br />
findet letztendlich auf konkrete Fälle bezogen<br />
statt. Ein weiteres Beispiel findet sich in<br />
der Arbeit des Teilprojekts zur Kinder- und<br />
Jugendhilfe mit den Fachkräften der kooperierenden<br />
Sozialbehörden (auch darauf wird<br />
zurück zu kommen sein).<br />
Im folgenden Schaubild (Öffentliche und praxisorientierte<br />
Veranstaltungen in der zweiten<br />
Projektphase) fassen wir wieder auf der Grundlage<br />
der Tätigkeitsberichte des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> von<br />
2004 bis 2007 alle Tagungen und Kolloquien<br />
der einzelnen Teilprojekte zusammen, die sich<br />
nicht ausschließlich an die wissenschaftliche<br />
Gemeinschaft oder Bezugsgruppe richten.<br />
Aus Gesprächen mit Mitarbeitern einzelner<br />
Teilprojekte bzw. nachgereichten Tätigkeitsdokumentationen<br />
wissen wir,<br />
dass der Umfang dieser Aktivitäten<br />
- vor allem auch was die Präsenz in<br />
den Medien anbelangt - größer ist <strong>als</strong><br />
der im Tätigkeitsbericht aufgeführte.<br />
Seite page 35
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Öffentliche, praxisorientierte Tagungen: Projektphase II<br />
C6<br />
C4<br />
B7<br />
B9<br />
B2<br />
A5<br />
A1<br />
A2<br />
B8<br />
A3<br />
A4<br />
B2<br />
C3<br />
C5<br />
B1<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18<br />
Deutlich wird bei einem Vergleich der öffentlichen<br />
und praxisorientierten Veranstaltungen<br />
mit den rein wissenschaftlichen Tagungen<br />
und Kolloquien der Teilprojekte, dass es keine<br />
einfache Komplementarität nach dem Muster<br />
gibt: Projekte, die im theoretischen Wissenschaftsbezug<br />
„stark“ sind, fallen bei an Praktiker<br />
und Öffentlichkeit adressierte Veranstaltungen<br />
entsprechend zurück. Wie<br />
ein Blick auf die beiden Schaubilder<br />
Seite page 36 zu rein wissenschaftlichen Tagungen<br />
und Kolloquien oben und zu den öffentlichkeits-<br />
und praxisorientierten<br />
Veranstaltungen hier zeigt, gibt es nur sehr<br />
wenige Teilprojekte, die ihre Position in der<br />
Häufigkeitsverteilung der Veranstaltungen<br />
beim Übergang von den rein wissenschaftlichen<br />
auf die praktisch orientierten Tagungen<br />
merklich verändert hätten (am ehesten noch<br />
Projekt C3).<br />
In der nächsten Übersicht stellen wir auf der<br />
Basis der Tätigkeitsberichte alle Veranstaltungen<br />
aller Teilprojekte zwischen 2004 und<br />
2007 binär kodiert nach dem Ort (Arena<br />
und Publikum) und den Adressaten (scientific<br />
community oder Praxis bzw. Öffentlichkeit)<br />
zusammen. Gemessen an den Antragstexten<br />
zur zweiten Bewilligungsphase des Sonderforschungsbereichs<br />
ist der praxisorientierte<br />
Anteil bei Tagungen und Kolloquien eher <strong>als</strong><br />
hoch einzuschätzen - die rein wissenschaft-
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
lichen Veranstaltungen sind „nur“ um den<br />
Faktor 2,5 häufiger genannt <strong>als</strong> die praktisch<br />
ausgerichteten Tagungen (wie das folgende<br />
Schaubild zeigt).<br />
Tagungen und Kolloquien nach Scientific Community und Öffentlichkeit: Projektphase II gesamt<br />
Öffentlichkeit<br />
91<br />
Scientific Community<br />
233<br />
0 50 100 150 200 250<br />
Zur weiteren Differenzierung der Ergebnisse<br />
fassen wir im Folgenden alle Tagungsaktivitäten<br />
der Teilprojekte des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> mit einem<br />
Wissenschafts- oder Öffentlichkeitsbezug in<br />
drei Schaubildern, gesondert nach den drei<br />
Teilbereichen des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, zusammen (die<br />
Reihenfolge der Teilprojekte folgt wieder der<br />
Anzahl, die in den Geschäftsberichten 2004-<br />
2007 jeweils angegebenen wird):<br />
Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich A<br />
A1<br />
A5<br />
A2<br />
A6<br />
A4<br />
Seite page 37<br />
A3<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Die relativ geringe Anzahl an praxisorientierten<br />
Tagungen und Kolloquien im Teilprojekt<br />
A1 zu Führungsgruppen in der DDR wird im<br />
Antrag mit dem Hinweis auf die Besonderheit<br />
des historischen Gegenstands bereits vorweg<br />
genommen und begründet. Es fällt noch das<br />
besonders aktive Projekt A3 zu den Delegationseliten<br />
im A-Bereich auf.<br />
Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich B<br />
B7<br />
B9<br />
B5<br />
B8<br />
B2<br />
B1<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit<br />
Zu Teilprojekt B7 ist anzumerken, dass die<br />
geringe Anzahl von Veranstaltungsteilnahmen<br />
mit einem öffentlichen und nicht wissenschaftlichen<br />
Bezug im Antrag bereits durch<br />
die Methodik der Untersuchung zu strategischer<br />
Interaktion nahe gelegt wird. Bei Projekt<br />
B9 zu prekärer Beschäftigung ist die kürzere<br />
Bewilligungsdauer zu berücksichtigen.<br />
Anzahl und Ausrichtung der Tagungen Bereich C<br />
C4<br />
C6<br />
Seite page 38<br />
C3<br />
C5<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Bei der Übersicht zum C-Bereich fällt auf, dass<br />
die Teilprojekte C4 zum Bürgerschaftlichen<br />
Engagement und C6 zu Bewältigungsressourcen<br />
keine (rein) praxisorientierten Tagungen<br />
durchführen oder sich an solchen beteiligen.<br />
Sie fallen dagegen dadurch auf (vgl. unten),<br />
dass sie <strong>als</strong> einzige projektförmige Praxisberatung<br />
gemacht oder verabredet haben - sie <strong>als</strong>o<br />
auf diesem Weg den Praxisbezug herstellen.<br />
Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit: Veröffentlichungen<br />
stellen entsprechend den<br />
Konventionen und Erwartungen des Wissenschaftssystems<br />
ein weiteres Element des<br />
Theorie-Praxis-Austausches dar. Diskurslogisch<br />
gesehen handelt es sich jedoch um ein<br />
mittelbares Element des Austausches. Wir<br />
unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen<br />
(1) dem „klassischen“ Weg des Artikels<br />
und Aufsatzes oder der Monografie, (2) den<br />
„Kommunikationskanälen“ des Radios, Fernsehens<br />
und Internets sowie (3) besonderen,<br />
„kommunikativen Mitteln“ im Sonderforschungsbereich<br />
<strong>580</strong> (zum Beispiel eine Wanderausstellung<br />
sowie Präsentationen in Foren<br />
wie „Nacht der Wissenschaften“ etc.), die sich<br />
insbesondere im Bereich von Öffentlichkeitsarbeit<br />
zeigen.<br />
Einen einführenden Überblick liefern uns<br />
wieder die jährlichen Tätigkeitsberichte der<br />
Teilprojekte an die Geschäftsführung des<br />
Sonderforschungsbereichs für den Zeitraum<br />
2004 bis 2007, die wir hier bezüglich der Publikationen<br />
der einzelnen Projekte auswerten.<br />
Im nächsten Schaubild fassen wir die Veröffentlichungen<br />
aller Teilprojekte zusammen,<br />
die hauptsächlich oder ausschließlich an die<br />
scientific community oder die fachwissenschaftliche<br />
Bezugsgruppe adressiert sind.<br />
Veröffentlichungen Scientific Community: Projektphase II<br />
B7<br />
C6<br />
A6<br />
C3<br />
B9<br />
A1<br />
A5<br />
C4<br />
B8<br />
B5<br />
C5<br />
A3<br />
A2<br />
Seite page 39<br />
B1<br />
A4<br />
B2<br />
0 10 20 30 40 50 60 70
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Wir können nach unseren Eindrücken bei<br />
Nachfragen in einzelnen Teilprojekten davon<br />
ausgehen, dass diese Aufstellung ziemlich<br />
komplett ist. Anders sieht es bei den Veröffentlichungen<br />
aus, die sich an Praktiker oder eine<br />
breite Öffentlichkeit richten (siehe nächstes<br />
Schaubild). Hier müssen wir davon ausgehen,<br />
dass ein Teil der nicht primär wissenschaftlichen<br />
Texte, die in populären Medien verbreitet<br />
wurden, im Tätigkeitsbericht keinen Eingang<br />
fand.<br />
Praxisorientierte Veröffentlichungen: Projektphase II<br />
C6<br />
B7<br />
A2<br />
A1<br />
C4<br />
B9<br />
B5<br />
A6<br />
A4<br />
B8<br />
A3<br />
C3<br />
B2<br />
B1<br />
C5<br />
0 5 10 15 20 25<br />
Betrachten wir mit dem Vorbehalt, dass nicht<br />
alles Praktische und an die Öffentlichkeit<br />
Gerichtete seinen Niederschlag<br />
Seite page 40 in den Tätigkeitsberichten gefunden<br />
hat, diese statistischen Aufstellungen,<br />
so zeigt sich bei den Veröffentlichungen<br />
etwas häufiger eine Komplementarität<br />
von Wissenschaft und Praxis <strong>als</strong> im Feld der<br />
Tagungen und Kolloquien. Wir finden hier<br />
nämlich mehr Teilprojekte, die entweder relativ<br />
wenig rein wissenschaftliche Texte in Fachorganen<br />
und -verlagen publizierten, dafür aber<br />
relativ viele mit einem Bezug zu Öffentlichkeit<br />
und spezifischen Praxisfeldern, oder solche, die<br />
umgekehrt relativ viel Wissenschaftliches veröffentlichten,<br />
aber wenig, was sich an Praktiker<br />
oder ein breites Publikum richtet.
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Veröffentlichungen nach Scientific Community und Öffentlichkeit: Projektphase II gesamt<br />
Öffentlichkeit<br />
99<br />
Scientific Community<br />
449<br />
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450<br />
Zu diesem letzten Schaubild, das alle Veröffentlichungen<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen 2004 und<br />
2007 erfasst, die in den Tätigkeitsberichten der<br />
Teilprojekte angegeben wurden, fällt uns im<br />
Vergleich zur Situation bei den Veranstaltungen<br />
Folgendes auf: Waren innerwissenschaftliche<br />
Veranstaltungen im Sonderforschungsbereich<br />
um den Faktor 2,5 häufiger <strong>als</strong> solche,<br />
die sich an die Praxis bzw. die Öffentlichkeit<br />
wenden, so ist es bei den Veröffentlichungen<br />
der Faktor 4,5, um den rein wissenschaftliche<br />
Veröffentlichungen zahlreicher sind <strong>als</strong> populäre<br />
Artikel und Bücher. Aber hier steht immer<br />
die Frage im Hintergrund, in welchem Maße<br />
bei Veranstaltungen, jedoch - so vermuten wir -<br />
tendenziell häufiger bei Veröffentlichungen,<br />
populäre Aktivitäten in den Tätigkeitsberichten<br />
zur Grundlagenforschung nicht dokumentiert<br />
sind.<br />
Paradigmatisch für populäre Veröffentlichungen<br />
sind Artikel und Aufsätze in Tages- und<br />
Wochenzeitungen, Zeitschriften und Journalen,<br />
die sich an ein breites Publikum wenden.<br />
Dagegen beschränken sich Veröffentlichungen<br />
in reinen Fachzeitschriften darauf, die scientific<br />
community oder Fachöffentlichkeit im<br />
engeren Sinne zu erreichen. Erstere versuchen<br />
deutlich mehr, aber unspezifisch, Interessierte<br />
in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern zu<br />
mobilisieren, letztere erreichen fast nur spezifisch<br />
Interessierte im Wissenschaftssystem.<br />
Bei Büchern und Monografien unterscheiden<br />
wir vier Formen. Am meisten eingeschränkt,<br />
wenn überhaupt möglich, ist ein Theorie-<br />
Praxis-Austausch im Fall reiner Fachbücher,<br />
die sich wieder nur an die scientific community<br />
wenden. Weiter verbreitet in der Fachöffentlichkeit<br />
werden Forschungsergebnisse, wenn<br />
sie sich zum Beispiel in den Inhalten von<br />
Lehrbüchern niederschlagen. Von einer Form<br />
des Theorie-Praxis-Austausches im engeren<br />
Sinne dieses Begriffs kann man aber<br />
erst bei den nächsten beiden Publikationsweisen<br />
sprechen. Dazu gehören<br />
Seite page 41<br />
Handbücher, die sich dezidiert an<br />
die Praktiker im Feld wenden und<br />
entsprechend verfasst und gestaltet wurden,<br />
sowie populäre bzw. populärwissenschaftliche<br />
Bücher, die versuchen, beruflich Tätigen wis-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
senschaftliche Erkenntnisse in den konkreten<br />
Relevanzstrukturen des Praxisfelds nahe zu<br />
bringen oder ihnen die Möglichkeit geben,<br />
an gesellschaftlich aktuellen Themen oder an<br />
sozialpolitischen Diskussionen teilzuhaben.<br />
Stehen Handbücher vor dem Anerkennungsproblem<br />
populärer „Wissenschaft in kleiner<br />
Münze“, so letztere vor der Gefahr des Verlusts<br />
an wissenschaftlicher Objektivität und<br />
Qualität, weil sie sich auf konkrete Interessen<br />
der „Zielgruppe“ einlassen und mit Differenzierungen<br />
„sehr sparsam“ sein müssen.<br />
Unsere Gesprächspartner im Teilprojekt A2<br />
zum Generationswechsel im Management<br />
sprechen an dieser Stelle geradezu von einer<br />
„wissenschaftlichen Überforderung“: Denn<br />
dem Wissenschaftler seien Grenzen gesetzt in<br />
der Form, dass er „einerseits gute Forschung<br />
nach allen Maßgaben des Objektivitätside<strong>als</strong><br />
abliefern soll. Andererseits ist er in der heutigen<br />
Zeit mehr und mehr gefordert, seine<br />
Ergebnisse öffentlichkeitswirksam zu bewerben“.<br />
Um dieser „systematischen Diskrepanz“<br />
zu entgehen, bleibe aus Sicht von A2 lediglich<br />
die Entscheidung für die Wissenschaft. „Also<br />
<strong>als</strong> Wissenschaftler Wissen für den wissenschaftlichen<br />
Diskurs zur Verfügung zu stellen<br />
und sich damit abzufinden, dass er über alles<br />
weitere, was mit diesem Wissen dann in der<br />
Folge geschieht, nicht mehr verfügen könne“.<br />
Von Interesse ist in diesem Zusammenhang<br />
eine Differenzierung zwischen Publikationen,<br />
die ausschließlich oder vordringlich an die<br />
Wissenschaftsgemeinschaft adressiert sind,<br />
und solchen, die sich in erster Linie an eine<br />
(interessierte) Öffentlichkeit wenden. Wir<br />
fassen alle Veröffentlichungen der Teilprojekte<br />
des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> mit einem Wissenschafts- oder<br />
Öffentlichkeitsbezug in drei Schaubildern,<br />
gesondert nach den drei Teilbereichen des <strong>SFB</strong><br />
<strong>580</strong>, zusammen (die Reihenfolge der Teilprojekte<br />
folgt wieder der Anzahl an Publikationen,<br />
die in den Geschäftsberichten 2004-2007 angegebenen<br />
wird):<br />
Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich A<br />
A6<br />
A1<br />
A5<br />
A2<br />
Seite page 42<br />
A3<br />
A4<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Vergleichen wir dieses Profil an Anzahl und<br />
Adressaten der Veröffentlichungen im A-<br />
Bereich mit der Reihenfolge bei der Anzahl an<br />
Veranstaltungen in diesem Bereich, dann zeigt<br />
sich, dass sich das Bild ziemlich verändert. So<br />
finden sich z.B. im obigen Schaubild zu den<br />
Veröffentlichungen neue Teilprojekte mit den<br />
wenigsten und meisten Aktivitäten. Das heißt,<br />
es gibt im A-Bereich einzelne Projekte mit<br />
einem eher ausgeprägten Veranstaltungsprofil<br />
und solche mit einem Schwerpunkt bei Veröffentlichungen.<br />
Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich B<br />
B7<br />
B9<br />
B8<br />
B5<br />
B1<br />
B2<br />
0 10 20 30 40 50 60 70 80<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit<br />
Aus dem letzten Schaubild zu Anzahl und Adressaten<br />
der Veröffentlichungen im B-Bereich<br />
wird ersichtlich, dass sich im Unterschied zum<br />
A-Bereich im B-Bereich die Reihenfolge der<br />
Aktivitäten bei den Teilprojekten wenig verändert<br />
hat. Es gibt hier kein so ausgeprägtes<br />
Veranstaltungs- oder Veröffentlichungsprofil<br />
bei den einzelnen Teilprojekten.<br />
Seite page 43
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Anzahl und Adressaten der Veröffentlichungen Bereich Bereich C<br />
C6<br />
C4<br />
C3<br />
C5<br />
0 10 20 30 40 50 60<br />
Scientific Community<br />
Öffentlichkeit<br />
Auch im C-Bereich hat sich bei der Betrachtung<br />
des obigen Schaubilds im Vergleich zu<br />
den Tagungsaktivitäten relativ wenig geändert.<br />
Doch sind weitergehende Interpretationen wenig<br />
valide, da gerade die Teilprojekte C4 zum<br />
Bürgerschaftlichen Engagement und C6 zur<br />
Frage der Bewältigungsressourcen bei unseren<br />
Nachfragen angaben, nicht alle praktischen<br />
Veranstaltungen und Veröffentlichungen im<br />
Tätigkeitsbericht vermerkt zu haben.<br />
Bei der Analyse der Tagungen und Kolloquien<br />
hatten wir die erste und zweite Projektphase<br />
verglichen und uns gefragt, ob sich das Verhältnis<br />
zwischen <strong>SFB</strong>-internen und externen<br />
Veranstaltungen verändert hat. Die überaus<br />
deutliche Zunahme an externen<br />
Tagungen bzw. Teilnahme an Ver-<br />
Seite page 44 anstaltungen außerhalb des Sonderforschungsbereichs<br />
in der zweiten<br />
Phase zeigte etwas von der inneren<br />
Konsolidierung der Teilprojekte und des<br />
Forschungsverbunds und der zunehmenden<br />
Öffnung nach außen. Wir fragen uns nun<br />
im Bereich der Veröffentlichungen, ob es<br />
zwischen der ersten und zweiten Phase eine<br />
Verschiebung zwischen dem Anteil an innerwissenschaftlichen<br />
und an Öffentlichkeit bzw.<br />
Praxis adressierten Publikationen gegeben<br />
hat. Das Ergebnis - basierend auf dem Tätigkeitsbericht<br />
der einzelnen Projekte über die<br />
erste Bewilligungsphase im Antrag zur zweiten<br />
Phase und den Tätigkeitsberichten zwischen<br />
2004 und 2007 für die zweite Phase - spiegelt<br />
sich im folgenden Schaubild wider:
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Vergleich: Veröffentlichungen der I. und II. Projektphase nach Adressaten<br />
Projektphase I<br />
19 136<br />
Projektphase II<br />
99 449<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
Öffentlichkeit<br />
Scientific Community<br />
Wir sehen dieselbe Tendenz wie bei den Veranstaltungen,<br />
allerdings ist sie weniger ausgeprägt:<br />
Waren in der ersten Phase die internen<br />
Tagungen zwei Mal häufiger <strong>als</strong> die externen,<br />
so in der zweiten Phase die externen Veranstaltungen<br />
um den Faktor von ca. 5,5 zahlreicher<br />
<strong>als</strong> die <strong>SFB</strong>-internen. Etwas anders ist die Situation<br />
bei den Veröffentlichungen: Waren in der<br />
ersten Phase die im Rahmen der scientific community<br />
publizierten Projekttexte etwa um den<br />
Faktor 7,0 häufiger <strong>als</strong> die an Öffentlichkeit<br />
und Praxis gerichteten, so hat sich dieser Faktor<br />
in der zweiten Phase auf 4,5 vermindert. Das<br />
heißt, die Publikationen, die sich an Praktiker<br />
oder das allgemeine Publikum wenden, haben<br />
zugenommen, der Sonderforschungsbereich<br />
hat sich auch in diesem Bereich in der zweiten<br />
Phase weiter geöffnet. Doch angesichts der relativen<br />
Unvollständigkeit der Angaben in den<br />
Tätigkeitsberichten gerade im Feld der Publikationen<br />
ist die Aussagekraft der vorliegenden<br />
Zahlen entsprechend eingeschränkt.<br />
Kommen wir nach diesen hauptsächlich statistisch<br />
orientierten Ausführungen ausführlich<br />
zu den Eindrücken, die wir bei unseren<br />
Befragungen in den einzelnen Teilprojekten<br />
gesammelt haben. Vielfach fiel uns auf: Ein<br />
besonders krisenträchtiges Feld im Kontext<br />
des Theorie-Praxis-Austausches ist das der<br />
Interviews für Zeitungen oder Fernsehsender.<br />
Das ist der Tenor aller Interviewaussagen zu<br />
diesem speziellen Thema, die wir im Folgenden<br />
zusammenfassen. Schon der zeitliche<br />
oder räumliche Rahmen sei für differenzierte<br />
wissenschaftliche Aussagen ungünstig oder<br />
ungeeignet. Er zwinge zu einer starken Verkürzung,<br />
die entweder vom Wissenschaftler selbst<br />
geleistet werden müsse oder von den Journalisten<br />
vorgenommen werde - was<br />
zur Folge haben könne, dass vor der<br />
Veröffentlichung oder Ausstrahlung<br />
Seite page 45<br />
der Sendung durch das Interesse des<br />
„Auftraggebers“ motiviert Kürzungen<br />
der wissenschaftlichen Aussage so vorgenommen<br />
würden, dass sich der Gehalt dieser Aussage<br />
im schlimmsten Falle in sein Gegenteil
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
verkehre. Relativ ausführlich beschreiben im<br />
Interview die Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />
lokalen politisch-administrativen Eliten die<br />
Bedeutsamkeit der medialen Veröffentlichung.<br />
Auf der einen Seite suchten die Medien nach<br />
Leuten in der Wissenschaft, die in der Lage<br />
seien, „einen vollständigen Satz zu formulieren“<br />
und den „in drei Minuten unterzubringen“.<br />
Wenn sie den finden, heißt es weiter,<br />
dann werde „der weitergereicht“. Bestimmte<br />
Redakteure kämen dann immer wieder. Auf<br />
der anderen Seite könne man sich <strong>als</strong> Wissenschaftler<br />
größtmöglicher Genauigkeit<br />
befleißigen, problematisch sei aber trotzdem,<br />
dass die Medien einer „eigenen Logik von Selektion“<br />
folgten, die der Wissenschaft entgegen<br />
liefe, „weil ein Wissenschaftler eben nicht<br />
immer alles in drei Minuten sagen könne“. Im<br />
Gespräch mit Mitarbeitern des Teilprojekts<br />
zur Beschäftigung im Wandel heißt es dazu:<br />
In den Medien könne man zwar „wissender<br />
Wissenschaftler“ sein, weil ein direkter Kontakt<br />
zum Publikum nicht hergestellt werde.<br />
Damit erreiche man natürlich nicht diejenigen<br />
(in der Praxis), die die untersuchte Thematik<br />
wirklich etwas angehe. Stattdessen treffe man<br />
auf Journalisten, die eher auf „reißerische<br />
Argumente“ aus seien. Gerade solche Journalisten<br />
aber wären auch mehr am Publikum<br />
<strong>als</strong> am Wissenschaftler interessiert. Auch im<br />
Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />
Sektor berichtet man uns von Radio- und<br />
Zeitungsinterviews, in denen „klare,<br />
übersichtliche Aussagen“ gefordert<br />
Seite page 46 wurden - und damit undifferenzierte,<br />
plakative Aussagen von „dem Typus,<br />
der bei Wissenschaftlern nicht beliebt<br />
ist, weil er dem wissenschaftlichen Denken<br />
nicht gerecht wird“.<br />
Den Zwängen zur Verkürzung unterliegen<br />
auch die Darstellungen der Forschungsergebnisse<br />
im Internet und auf der Homepage. Diese<br />
Problematik ist Gegenstand eines eigenen<br />
Teilprojekts in der zweiten Bewilligungsphase<br />
des <strong>SFB</strong> und wird von uns an dieser Stelle<br />
nicht weiter verfolgt.<br />
Bei unseren Gesprächen zeigt sich des<br />
Weiteren, dass bei einigen Teilprojekten im<br />
Sonderforschungsbereich Sonderfälle der Öffentlichkeitsarbeit<br />
vorkommen. So bereiten zum<br />
Zeitpunkt des Interviews Mitarbeiter des Teilprojekts<br />
zu Führungsgruppen eine Wanderausstellung<br />
über ihr Thema der Elitenkontinuität<br />
in Ostdeutschland - „eine Thematik, die in<br />
Teilen auch wirklich prekär ist“ - vor, um der<br />
„geschichtspädagogischen Seite“ der Projektarbeiten<br />
gerecht zu werden. (Diese Seite bezieht<br />
sich in den Aussagen der befragten Mitarbeiter<br />
auf den öffentlichen Diskurs über den Charakter<br />
der DDR-Gesellschaft und den Umgang<br />
in Ostdeutschland mit der Vergangenheit.)<br />
Allerdings weisen Mitarbeiter des Teilprojekts<br />
zum Generationswechsel im Management im<br />
Interview anhand von Beispielen auf die engen<br />
Grenzen dieser Form des Theorie-Praxis-<br />
Austausches hin. Denn auf die Frage, wie sich<br />
das Projekt in der Öffentlichkeit mit seinen<br />
Forschungsergebnissen präsentiere, erfahren<br />
wir im Interview Folgendes: Eine Ausstellung<br />
in der Goethe-Galerie in Jena, in der im Verbund<br />
mit anderen Teilprojekten des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Forschungsergebnisse präsentiert wurden, habe<br />
nicht wesentlich „zum Diskurs zwischen Wissenschaftlern<br />
und interessiertem Publikum“<br />
geführt. „Dies könnte damit zu tun gehabt haben,<br />
dass die Ergebnisse zwar medienwirksam<br />
präsentiert wurden, die jeweilige Tragweite<br />
ihrer Erklärungskraft aber nicht immer ver-
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
mittelt werden konnte.“ Auch sei die Resonanz<br />
eher gering gewesen. Daraus habe man im<br />
Projekt den generellen Schluss gezogen: Die<br />
Präsentation der Projektergebnisse auf Postern<br />
erfülle nur sehr bedingt die Anforderungen eines<br />
dialogischen Theorie-Praxis-Austausches.<br />
Ähnliche Erfahrungen habe es auf dem Thüringentag<br />
gegeben, auf dem dieses Teilprojekt<br />
im „Wissenschaftszelt“ mit Befragungen<br />
vertreten war. Bei den „Unternehmertagen“ sei<br />
es, so berichtet der Vertreter des Teilprojekts<br />
zum Generationswechsel im Management,<br />
zu einem „absoluten Flop“ gekommen, da die<br />
Bandbreite der Interessenten zu groß gewesen<br />
sei und man deshalb dort mit der Ergebnispräsentation<br />
„keine richtigen Referenten“ bzw.<br />
Adressaten gehabt habe. Das würde allgemein<br />
bedeuten, dass zu breit angelegte Versuche,<br />
Forschungsergebnisse in einer „unbestimmten“<br />
Öffentlichkeitsarbeit publik zu machen, an<br />
mangelnder Spezifik und thematischer Bündelung<br />
des Interesses regelmäßig zu scheitern<br />
drohen.<br />
Wendet sich diese letztgenannte Form der<br />
Publikation an ein unspezifiziertes, politisch<br />
interessiertes Publikum, so kontrastiert mit ihr<br />
nahezu maximal ein Vorgehen, wie es insbesondere<br />
von den Teilprojekten zu lokalen politischadministrativen<br />
Eliten, zur Beschäftigung im<br />
Wandel und zur Entwicklung der Personaldienstleistungen<br />
in den Interviews beschrieben<br />
wurde. Die Zwischenberichte würden demnach<br />
so verfasst, dass sie die Kooperationspartner in<br />
der Praxis über den Fortgang der Projektarbeit<br />
informierten. Die im Projekt zu lokalen Eliten<br />
Befragten sprechen im Interview explizit von<br />
„Panelpflege“, was auf den Zusammenhang von<br />
Untersuchungsmethoden (in diesem Fall: einer<br />
Längsschnittuntersuchung) bzw. -design und<br />
dazu je affinen spezifischen Publikationsformen<br />
hinweist. Vergleichbares bzw. der Begriff<br />
der „Panelpflege“ findet sich auch in den Interviews<br />
mit Mitarbeitern des Teilprojekts zum<br />
Generationswechsel im Management und des<br />
Projekts zur Beschäftigung im Wandel. In den<br />
Teilprojekten zur Beschäftigung im Wandel<br />
und im Projekt zu Personaldienstleistungen<br />
spricht man explizit „vom Versuch einer Feed-<br />
Back-Broschüre“, welche die untersuchten<br />
Betriebe über wichtige Forschungsergebnisse<br />
informieren solle. Die Mitarbeiter des Projekts<br />
zur Beschäftigung im Wandel stellten<br />
sich laut Interview bei der Zusammenstellung<br />
der zu präsentierenden Daten die Frage: „Was<br />
könnte die Betriebe interessieren?“ Darauf hin<br />
wurden Themen für das Heft gewählt (wie der<br />
befragte Mitarbeiter im Interview mit leicht<br />
(selbst-)ironischem Unterton berichtet), „von<br />
denen wir glaubten, dass sie interessant für<br />
700 Betriebe sind“. Bei diesem Versuch sei<br />
man „allerdings zwischen Baum und Borke<br />
geraten“. Das heißt, dass die Ergebnisse einerseits<br />
für den einzelnen der 700 Betriebe nicht<br />
spezifisch genug, andererseits aber auch nicht<br />
so allgemein formuliert waren, dass sie jeden<br />
der Betriebe auf gleiche oder ähnliche Weise<br />
betrafen.<br />
Beteiligung an Diskursen und Diskussionen: Ein<br />
besonderes „kommunikatives Mittel“ in einem<br />
schon mehrfach angesprochenen Feld des<br />
Theorie-Praxis-Austausches stellt die<br />
Beteiligung an (fach-)öffentlichen<br />
Diskursen und Diskussionen dar. Ge-<br />
Seite page 47<br />
wünscht oder <strong>als</strong> Wunsch wenigstens<br />
implizit angedeutet wird in einigen<br />
Gesprächen mit Mitarbeitern einzelner Teilprojekte<br />
die Möglichkeit einer Teilnahme an<br />
thematisch einschlägigen wissenschaftlichen
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Diskussionen, die nicht zuletzt dazu verhelfen<br />
könnten, die Reputation des Teilprojekts - und<br />
damit mittelbar des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> insgesamt - zu heben. Allerdings (so äußern<br />
sich die Vertreter des Teilprojekts zum<br />
Generationswechsel im Management) dürfe<br />
man nicht vergessen, dass es im Wissenschaftssystem<br />
Konkurrenz zwischen Disziplinen (im<br />
Fall des Projekts zum Management: Ökonomie<br />
und Soziologie) und Schulen, die ihre jeweiligen<br />
„Vorurteile“ pflegten, gebe. So müsse<br />
man mit der Verbreitung seiner Ergebnisse<br />
auch unter dem Aspekt der missbräuchlichen<br />
Nutzung durch andere Mitglieder des Fachs<br />
bzw. der scientific community eher vorsichtig<br />
umgehen. Das gelte insbesondere dann, wenn<br />
sich das Projekt „auf umkämpftem Terrain“<br />
bewege. Als Beispiel führen die Mitarbeiter<br />
des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />
im Management den Globalisierungsdiskurs<br />
an: In diesem Kontext „müssen wir uns auch<br />
immer überlegen, wo wir einen Diskurs sozusagen<br />
affirmativ beschreiben und wo wir uns<br />
davon vielleicht ein bisschen absetzen, weil wir<br />
nun mal Managementsoziologen und keine<br />
Ökonomen sind“.<br />
Noch seltener - ausgeprägt laut Tätigkeitsbericht<br />
bei den Teilprojekten zum Fachkräftemangel<br />
und zur prekären Beschäftigung - ist im<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> die Bereitschaft<br />
anzutreffen, sich an öffentlichen Diskussionen<br />
zu beteiligen, die in das politische Feld<br />
hinein reichen. Die von den Mitar-<br />
Seite page 48 beitern des Teilprojekt zum Generationswechsel<br />
im Management schon<br />
für wissenschaftliche Diskussionen<br />
angemerkten Probleme einer „missbräuchlichen<br />
Nutzung“ potenzieren sich hier (worauf<br />
im Weiteren noch zurückzukommen sein<br />
wird). Dazu äußern sich auch die Mitarbeiter<br />
des Teilprojekts zu Führungsgruppen, wenn es<br />
die Aufgabe des Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong><br />
hervorhebt, in bereits „laufenden praktischen<br />
Diskursen“ Anstöße im Sinne deskriptiver<br />
Aufklärung zu geben, „ohne dass die Fortsetzung<br />
der Diskurse (mit ihren Dominoeffekten)<br />
kontrolliert werden könnten“. Dann erreiche<br />
man Wirkungen, die sich sowohl der Kontrolle<br />
<strong>als</strong> auch der bloßen Wahrnehmung durch<br />
das Projekt entzögen. Auch mit Büchern, die<br />
sich mit „öffentlichen Reizthemen“ befassten,<br />
bekäme man (nach Aussage von Mitarbeitern<br />
aus diesem Teilprojekt) „Reaktionen aus der<br />
Mitte der Gesellschaft“. Diese Reaktionen<br />
können im Einzelfall recht „unmittelbar“, und<br />
aus wissenschaftlicher Sicht „unangemessen“,<br />
sein. Das habe - zum Beispiel im Kontext der<br />
Stiftung „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“<br />
- sicher auch damit zu tun, dass noch „Rechnungen<br />
offen sind“. Darin verwickelt zu werden<br />
„sei einem <strong>als</strong> Wissenschaftler manchmal<br />
unangenehm“.<br />
Ein weiteres Forum sind praktische Fachdiskurse,<br />
die in Arenen geführt werden, welche für interessierte<br />
Praktiker unmittelbar zugänglich sind.<br />
Auf entsprechenden Veranstaltungen, aber auch<br />
durch spezifisch adressierte Publikationen - so<br />
zum Beispiel im Teilprojekt zur Kinder- und<br />
Jugendhilfe, wo es im Interview heißt, der<br />
Projektleiter habe definitiv für die Praxis „ein<br />
Buch geschrieben“ 5 - lässt sich ein Transferweg<br />
für Projektergebnisse des Sonderforschungsbereichs<br />
in die Praxis eröffnen, denn „dann habe<br />
ich (<strong>als</strong> Wissenschaftler) schon einmal eine<br />
Eintrittskarte für dieses Praxisfeld“. Damit ist<br />
jedoch, so die übereinstimmende Auffassung<br />
unserer Interviewpartner, eine Einschränkung<br />
verbunden: „Dann muss man sich anders
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
verkaufen, <strong>als</strong> wir dies jetzt im Sonderforschungsbereich<br />
oder im soziologischen Institut<br />
tun“ (wie es ein Mitarbeiter des Projekts zur<br />
Kinder- und Jugendhilfe ausdrückt).<br />
Ein Beispiel dafür, dass im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />
auch gesellschaftspraktisch<br />
folgenreiche und politisch „wirkungsvolle“<br />
Veranstaltungen möglich sind, führen die<br />
Mitarbeiter des Teilprojekts zum Fachkräftemangel<br />
ins Feld: „Das Land Sachsen-Anhalt<br />
war dam<strong>als</strong> sehr daran interessiert, dass man<br />
die Ergebnisse den zuständigen Personalverantwortlichen<br />
direkt vorstellt. Es wurden dann<br />
vier regionale Konferenzen durchgeführt. Wie<br />
Wanderprediger haben wir da gesungen und<br />
haben Aha-Erlebnisse erzeugt, die im Gegensatz<br />
zum Bundestrend in Sachsen-Anhalt eine<br />
messbare Verbesserung der Situation herbeigeführt<br />
haben“ - das sei aber „ein Glücksfall“<br />
im Rahmen des Theorie-Praxis-Austausches<br />
gewesen.<br />
Eine letzte Austauschform in diesem Rahmen<br />
des Wissenstransfers stellen durch das Projekt<br />
initiierte kleine, interne Diskurse mit den Kooperationspartnern<br />
in der Praxis dar, die - wie<br />
schon erwähnt - regelmäßig an ein fallrekonstruktives<br />
Vorgehen in der Forschung anschließen.<br />
Am deutlichsten wird das im Teilprojekt<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe. Wie in allen<br />
Projekten des Sonderforschungsbereichs (mit<br />
Ausnahme des Teilprojekts zu Bewältigungsressourcen,<br />
in welchen ein Interventionsteil<br />
vorgesehen ist) beinhalte die Forschung auch<br />
hier kein „Praxisinterventionsdesign“: „Dass<br />
das, was wir herausbekommen, sowohl von den<br />
Inhalten wie auch von den Methoden her, für<br />
die Praxis relevant ist, hängt damit zusammen,<br />
dass die Jugendhilfepraxis und wir ungefähr<br />
identisch arbeiten. Denn wenn die Praxis gut<br />
arbeitet, arbeitet sie hermeneutisch-fallverstehend<br />
- und das machen wir auch, nur die<br />
Relevanzsetzung ist unterschiedlich. Daraus<br />
ergibt sich naturwüchsig die Möglichkeit,<br />
die Praxis an unseren Ergebnissen teilhaben<br />
zu lassen. Das sieht unter Umständen so aus,<br />
dass wir mit den Mitarbeitern in den Jugendämtern<br />
Fallsupervisionen durchführen.“ Auch<br />
das Teilprojekt zur Rehabilitation bezieht sich<br />
in Besprechungen mit Professionsgruppen auf<br />
reale Fälle (beim internationalen Vergleich unter<br />
Hinzuziehung von Fallvignetten ähnlicher<br />
praktischer Fälle des anderen Landes). Davon<br />
versprechen sich die Kooperationspartner<br />
Rückschlüsse für ihre Arbeit. Allerdings<br />
handele es sich eher um Kolloquien <strong>als</strong> um<br />
Fallsupervisionen, „weil es dafür einen Auftrag<br />
(incl. Bezahlung) durch das Team - ausgehend<br />
von deren Leidensdruck - geben müsste, mit<br />
dem Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />
arbeiten. Und einen solchen Auftrag<br />
gibt es nicht.“<br />
Im Gespräch mit Mitarbeitern aus diesem<br />
Teilprojekt, das mit dem Teilprojekt zur Kinder-<br />
und Jugendhilfe den Professionsbegriff<br />
teilt, werden wir des Weiteren auf die generell<br />
affinen Strukturbedingungen bestimmter Praxisfelder<br />
für diese Form des Theorie-Praxis-<br />
Austausches hingewiesen: Alle akademischen<br />
Professionen im therapeutischen und (sozial-)<br />
pädagogischen Sektor würden für sich<br />
anerkennen, „dass es eine Begründungspflicht<br />
für ihre Entscheidungen<br />
Seite page 49<br />
gibt, der zum Zeitpunkt der Entscheidung<br />
zwar nicht entsprochen, die<br />
aber sofort verständlich wird, wenn man sich<br />
einmal hinsetzt und sich die abgeschlossene<br />
Handlung anschaut“. Die Unterscheidung Le-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
benswelt und Forschung (Theorie und Praxis)<br />
funktioniere zwar, „aber man muss immer sehen,<br />
dass diese (untersuchte) Lebenswelt eine<br />
Lebenswelt von Professionen ist, welche für<br />
sich die Begründungspflicht akzeptiert“. Die<br />
Mitarbeiter des Projekts zur Rehabilitation<br />
sprechen auf ihren Forschungsbereich bezogen<br />
des Weiteren von „breiten Diskussionen“ und<br />
„Weiterbildungen“, in denen viele Ergebnisse<br />
weitergegeben würden. Als Beispiel führen die<br />
befragten Mitarbeiter an: „In dem Bereich des<br />
Projekts, in welchem individuelle Verläufe von<br />
Reha-Maßnahmen hermeneutisch untersucht<br />
wurden, haben wir sehr früh festgestellt: Hier<br />
gibt es Versorgungsabbrüche und danach ist<br />
es ein relatives Zufallsprinzip, was mit den<br />
Leuten weiter passiert“. Über die Frage, ob<br />
es überhaupt noch jemanden gäbe, der sich<br />
in den zuständigen Institutionen kontinuierlich<br />
für den Fall interessiere und ihn weiter<br />
verfolge, sei ein „praktischer Diskurs“ eröffnet<br />
worden, aus dem sich eine Intervention „in<br />
die Praxis der Uni-Klinik“ herleitete. Das war<br />
in diesem Fall „die Antwort der Praxis auf<br />
das Forschungsergebnis des Defizits in der<br />
Betreuung“, lautete das Resümee zu dieser<br />
Fallgeschichte im Interview.<br />
Spezifische Formen der praktischen Umsetzung:<br />
Das Beispiel des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />
verweist auf den Umschlag von Diskurs in<br />
Praxis. Im Rahmen von Interventionsstudien<br />
werden hier Interventionen durchgeführt,<br />
die von der Ethikkommis-<br />
Seite page 50 sion kontrolliert werden. Praktische<br />
Interventionen sind im Projekt zu<br />
den Bewältigungsressourcen von<br />
sozialem Wandel für die nächste, dritte<br />
Bewilligungsphase intendiert, während eine<br />
solche ursprünglich nicht intendierte Chance<br />
für „praktische Anwendungen“ - anhand derer<br />
zugleich wieder Material für weitere Analysen<br />
generiert werden könne - von einem Mitarbeiter<br />
des Teilprojekts zum Bürgerschaftlichen<br />
Engagement bereits in dieser zweiten Phase<br />
genutzt wurde. Im Projekt zu den Bewältigungsressourcen<br />
steht dieses Vorgehen im<br />
Kontext der psychologischen Methodologie,<br />
für die Experimente zum festen Kanon der<br />
empirischen Untersuchungsweise gehören.<br />
Als translational research - im Unterschied zu<br />
Grundlagenforschung, Auftragsforschung oder<br />
advocacy-research und Anwendungs- oder policy-related-Forschung<br />
- habe dieses Vorgehen<br />
in der Entwicklungspsychologie seinen festen<br />
Platz, heißt es im Interview. Der Theorie-<br />
Praxis-Transfer <strong>als</strong> soziale Intervention hat in<br />
diesem Zusammenhang für die Forschungspraxis<br />
dieses Projekts den Sinn, im Rahmen<br />
der projektförmigen Anwendung „praktische<br />
Maßnahmen anbieten und die Ergebnisse<br />
erkenntnistheoretisch härter überprüfen zu<br />
können“. Diese praktischen Maßnahmen würden<br />
„für bestimmte Gruppen - Risikogruppen<br />
mit besonders vielen Anforderungen und ganz<br />
besonders wenig Ressourcen - angeboten, um<br />
deren Lage zu verbessern.“ Zu diesem Zweck<br />
wurde bereits 2007 ein Vertrag mit einem<br />
„Schulsystem in Jena“ geschlossen. Die wichtigsten<br />
Inhalte seien: „Jugendliche ein Jahr vor<br />
dem Schulaustritt in Nicht-Gymnasien nehmen<br />
teil; Lehrer werden trainiert; Jugendliche<br />
sollen nach dem Life Skills Konzept Selbstdarstellung,<br />
Selbstwirksamkeit, Denken in<br />
Alternativen lernen. Das wird beobachtet und<br />
evaluiert.“ Bereits jetzt sei das Interesse „riesengroß,<br />
alle möglichen Leute wollen Ergebnisse<br />
sehen“. Der forschungspraktische Nutzeffekt<br />
dieser Kombination von sozialer Intervention<br />
und Längsschnittuntersuchung sei: „Am Ende
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
wissen wir mehr darüber, wie verbreitet sind<br />
bestimmte Anforderungen, wie verbreitet sind<br />
bestimmte Bewältigungsmuster, was sind die<br />
Kosten, welche Interventionsmöglichkeiten<br />
und welche Resultate gibt es dabei“. Soweit<br />
die Pläne eines Theorie-Praxis-Austausches<br />
im Teilprojekt zu den Bewältigungsressourcen<br />
von sozialem Wandel.<br />
Exkurs: Grundlagenforschung und Praxisberatung<br />
im Bereich von C4<br />
In diesem Exkurs behandeln wir exemplarisch<br />
die Frage, welche Erkenntnisse eine „praktische<br />
Anwendung“ in einem Teilprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
zeitigt. Auf der Grundlage der teilnehmenden<br />
Beobachtung eines unserer Projektmitarbeiter<br />
schildern wir im Folgenden kurz den Hergang.<br />
Ein in der Stadtteilarbeit bürgerschaftlich Engagierter,<br />
der von der fraglichen Untersuchung<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Kenntnis erhielt, bat einen Mitarbeiter<br />
des Projekts zum Bürgerschaftlichen<br />
Engagement, ihn bei seiner gemeinnützigen<br />
Arbeit zu unterstützen. Er mache seit fünf<br />
Jahren im Stadtteilbüro „breit gefächerte Netzwerkarbeit“.<br />
Darauf bezogen beschreibt er in<br />
einem Gespräch seinen Hilfewunsch wie folgt:<br />
„Vom Prinzip her hätte ich gern eine Hilfe, die<br />
auf das, was ich da mache <strong>als</strong> Netzwerkarbeit,<br />
einen Blick darauf hat, die die blinden Flecken<br />
von mir entdeckt, die über die Qualität dessen,<br />
was an Beziehungen läuft, nachdenkt. Solche<br />
Fragen hätte ich gern beleuchtet.“ Wie aus dem<br />
weiteren Gespräch zu ersehen ist, verspricht<br />
sich der „Netzwerker“ neben der konkreten<br />
Hilfe auch mehr Reputation für seine Stelle<br />
durch eine „wissenschaftliche Referenz.“ Der<br />
Mitarbeiter des Teilprojekts schlägt daraufhin<br />
vor, das Analyseinstrument der „kognitiven<br />
Karten sozialer Vernetzung“ für die Untersuchung<br />
der Stadtteilarbeit anzuwenden.<br />
Darauf geht der in der Stadtteilarbeit Engagierte<br />
zunächst nicht ein, sondern schildert<br />
noch einmal sein Problem: Dies bestünde darin,<br />
„die Leute überhaupt zu aktivieren“. Trotz<br />
all seiner Mühen gingen die Reaktionen auf<br />
seine Impulse gegen Null. Die eine Frage sei<br />
dann, wie die Leute die Arbeit sähen, und die<br />
andere, welche Instrumente und Möglichkeiten<br />
er habe bzw. welche neuen Wege er gehen<br />
könne. Denn das, was anfangs angestoßen<br />
wurde, habe sich nicht weiter entwickelt. Er<br />
könne fünf bis zehn Leute aktivieren, aber<br />
nicht mehr. Er finde im Moment auch nichts<br />
Neues mehr.<br />
Auf die Frage des Projektmitarbeiters, woran<br />
das liegen könne, kommt die Antwort: Es sei<br />
problematisch, dass die Leute die eigenen Interessen<br />
nicht nach außen tragen, die quasi <strong>als</strong><br />
Input für Stadtteilarbeit fungieren könnten.<br />
Aber Fernsehen, Garten, Bekanntschaften<br />
hätten einen so starken Eigenwert, den man<br />
ihnen nicht nehmen könnte. Wichtig sei bei<br />
seinen „Aktivierungsbemühungen“ auch, ob<br />
man die ehrenamtliche Arbeit <strong>als</strong> freiwillige<br />
Sonderleistung oder <strong>als</strong> Pflichtleistung deklariere.<br />
An der Antwort auf die Frage, was<br />
konkret gemacht werde, wird deutlich, dass die<br />
Maßnahmen der Stadtteilarbeit fast durchgängig<br />
<strong>als</strong> Partizipationsprojekt konzipiert<br />
werden. Angesichts der im Quartier<br />
herrschenden Mentalität ist es nicht<br />
unbedingt erstaunlich, dass solche<br />
Seite page 51<br />
Ideen zwar zuerst für gut befunden<br />
werden. Wenn der Initiator aber die<br />
Arbeit abgibt, komme sie ins Stocken, und<br />
auch die „Vernetzung“ der durchgeführten<br />
Projekte funktioniere „nicht richtig“. Zudem
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
gebe es Leute, so heißt es im Interview weiter,<br />
die sich engagieren wollten, aber die fänden<br />
„nicht das Richtige für sich“. Es komme dann<br />
nichts zustande.<br />
An dieser Stelle schlägt der Projektmitarbeiter<br />
eine quantitative Qualitäts- und Potenzialanalyse<br />
vor, um Kapazitäten zu eruieren und Inputs<br />
von außen (z.B. über Frequentierungsraten) zu<br />
erheben. Das sei etwas anderes, stimmt der Engagierte<br />
bei. Denn bisher sei das einzige, was<br />
komme, „immer so ein bisschen Gemeckere“.<br />
Auch sei die Frage wichtig, so der Mitarbeiter<br />
weiter, „wann der richtige Zeitpunkt“ sei,<br />
an welchem man „Mitbestimmung macht“:<br />
F<strong>als</strong>ch sei es, „wenn noch gar nichts konzipiert<br />
ist, da kann der Bürger überhaupt nichts sagen.<br />
Und auch nicht, wenn schon alle Tatsachen<br />
geschaffen sind und die Meinung der Bürger<br />
<strong>als</strong> Störung der Pläne empfunden wird“. Die<br />
nächste Frage des Projektmitarbeiters richtet<br />
sich auf mögliche Arbeitsmarktprojekte im<br />
Rahmen der Jugendarbeit. In diesem Quartier,<br />
so der Stadtteilarbeiter, sei das Problem<br />
der Jugendlichen weniger, überhaupt eine<br />
Lehrstelle zu bekommen, sondern die richtige.<br />
Außerdem gäbe es mehrere Problemgruppen.<br />
Zunächst die Gruppe, die grundsätzlich ein<br />
Problem hat, „eine Ausbildung“ zu finden.<br />
Dann gäbe es die Gruppe der f<strong>als</strong>ch Beratenen,<br />
woraus „riesige Resignationen resultieren“<br />
könnten. Und ein weiteres Problem seien die<br />
„vagabundierenden Jugendlichen“:<br />
„Wie bekommt man diese dazu, die<br />
Seite page 52 Aufmerksamkeit auf etwas Ernsthaftes<br />
zu richten?“ Das konkrete<br />
„Stadtteilproblem“ im Allgemeinen<br />
schließlich habe lange Zeit im Vorhandensein<br />
zweier Gruppen bestanden: Den „Säufern“<br />
und den „Glatzen“. Der Befragte erhoffe sich<br />
von den Mitarbeitern des <strong>SFB</strong> eine Erklärung.<br />
Auch hätte man im Stadtteilbüro noch gerne<br />
ein kleines „Netzwerk“-Projekt evaluiert - was<br />
aber nichts kosten dürfe -, das bereits seit vier<br />
Jahren „läuft“. Es habe die zwei Zielstellungen:<br />
Einerseits die Dienstleistungen zu fördern „in<br />
Richtung Unterstützung bei Antragsstellungen,<br />
Öffentlichkeitsarbeit usw.“ und andererseits<br />
Netzwerkarbeit - „in der Richtung, dass die<br />
einzelnen Projekte am Stadtteilbüro andocken<br />
und sich auch untereinander vernetzen“ - zu<br />
initiieren und zu stabilisieren. Man möchte<br />
hier in der Praxis zu gerne wissen, was man in<br />
diesen Punkten „geschafft“ habe, „was stark war,<br />
was schwach war“ - immer mit der Fragestellung,<br />
ob man über die (formale) Bilanzierung<br />
hinaus angeben könne, „wie fruchtbar das war<br />
und gegebenenfalls noch ist“.<br />
Angesichts der Eingangserzählung über die<br />
Situation der Stadtteilarbeit stellt insbesondere<br />
das letzte Anliegen eine Herausforderung für<br />
das Teilprojekt zum Bürgerschaftlichen Engagement<br />
dar: Wie ist angesichts der gehäuften<br />
Hinweise auf das Misslingen dieser Netzwerkarbeit<br />
eine längerfristige, die „Erhebungsbeziehung“<br />
stabilisierende informelle Beratung und<br />
Evaluation möglich? Der Projektmitarbeiter<br />
hebt so zunächst einmal die Schwierigkeiten<br />
einer Rekonstruktion der derzeitigen Problemsituation<br />
heraus. Zum einen müsse man<br />
die „Urszene“ kennen, um Erfolg und Misserfolg<br />
„abschätzen“ zu können. Zum anderen<br />
müsste die Komplexität im Gesamten einmal<br />
angeschaut werden, um das Potenzial ernsthaft<br />
benennen zu können. So etwas „gehe nun mal<br />
nicht ad hoc“. Deshalb plädiere er zuerst für<br />
die quantitative Qualitäts- und Potenzialanalyse,<br />
dann dafür, die Netzwerkperspektiven<br />
der unterschiedlichen beteiligten Akteure zu
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
rekonstruieren, um schließlich den Prozess der<br />
Vernetzung nachzuzeichnen. Vielleicht könne<br />
man auch noch den Versuch einer „bescheidenen<br />
Prognose“ anschließen.<br />
Der engagierte Stadtteilarbeiter reagiert etwas<br />
verblüfft auf diese Vorschläge. Das sei ein<br />
„seltsamer Lösungsweg“. Er könne sich weder<br />
vorstellen, dass ein Projektmitarbeiter „das<br />
ganz selbstlos“ machen wolle, noch verstehe<br />
er, warum seine Probleme beim <strong>SFB</strong>-Projekt<br />
so „angekommen“ seien. Seine Vorstellungen<br />
zielten auf praktische „Handlungsrezepte“ und<br />
eine „positive wissenschaftliche Referenz“ für<br />
die Öffentlichkeitsarbeit. Doch der Projektmitarbeiter<br />
zeigt die Grenzen professionellen<br />
wissenschaftlichen Arbeitens auf: „Nur was<br />
in unseren Möglichkeiten steckt, können wir<br />
machen“. Daraufhin lehnt der Stadtteilarbeiter<br />
eine Untersuchung der „Urszene“ mittels Interviews<br />
mit den ursprünglichen Initiatoren ab<br />
und beschränkt sein Interesse auf eine Rekonstruktion<br />
der Netzwerkstruktur mit Hilfe des<br />
kognitiven Kartenspiels: Mein Stadtteil und Ich.<br />
Dieser Untersuchungsschritt wird im Weiteren<br />
durchgeführt. Jetzt wird <strong>als</strong>o ein methodisches<br />
Erhebungsverfahren nicht zur Gewinnung<br />
sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern<br />
zu einer Form der Beratung eingesetzt. Diese<br />
Beratung hat dann den Sinn, dabei zu helfen,<br />
die (kognitiven) Voraussetzungen für praktische<br />
Schlüsse bei der Lösung konkreter Probleme in<br />
der ehrenamtlichen Arbeit zu schaffen.<br />
Wir ziehen aus diesem exemplarischen „Beratungsfall“<br />
hinsichtlich des Verhältnisses von<br />
Grundlagenforschung im Sonderforschungsbereich<br />
und „Beratungsbedürfnis“ der Praxis<br />
folgende Schlüsse:<br />
• Eine „offene“ Interviewführung scheint<br />
Vertrauen zu bilden und eine „Beratungswilligkeit“<br />
hervorzurufen.<br />
• Praktische Problemanfragen können eine<br />
neue Erhebungsphase initiieren.<br />
• Die professionelle Differenz von Wissenschaft,<br />
die an Wahrheit orientiert<br />
ist, einerseits und von Beratung, die auf<br />
praktische Erfolge abzielt, anderseits ist<br />
zu wahren.<br />
• Manche Erhebungsverfahren und methodischen<br />
Schritte sind multifunktional:<br />
Über ihre Zulässigkeit und ihren Handlungssinn<br />
entscheiden keine formalen<br />
Kriterien, sondern der Verwendungskontext<br />
mit seinen Relevanzstrukturen.<br />
• Der Wissenschaftler kann in die Situation<br />
geraten, unter der Hand zum „Lakaien“<br />
zu werden. Im konkreten Fall soll er auf<br />
der Grundlage eines technokratischen<br />
Verständnisses der Rolle von Wissenschaft<br />
Legitimation für ein wissenschaftlich<br />
nicht weiter zu problematisierendes<br />
Handeln „beschaffen“.<br />
d) Eine idealtypische Differenzierung der<br />
Kontexte und Wege des Wissenstransfers<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Acht Transfertypen<br />
Bis jetzt haben wir bedeutungsvolle<br />
Elemente des Praxisverständnisses<br />
Seite page 53<br />
und wichtige „kommunikative Mittel“<br />
des Theorie-Praxis-Austausches analysiert,<br />
wie sie in den Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> auf der Grundlage<br />
der Anträge und insbesondere der Aussagen
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
in den Interviews eruiert werden konnten.<br />
Nun wenden wir uns der Rekonstruktion von<br />
konkreten Transferkontexten und Transferwegen<br />
zwischen empirischer Wissenschaft<br />
und gesellschaftlicher Praxis zu. Die für uns<br />
maßgeblichen Fragen an dieser Stelle sind:<br />
Mit welchem Verständnis können die Möglichkeiten<br />
und Probleme eines Wissenstransfers<br />
aus dem Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> in<br />
die untersuchten Praxisfelder wahrgenommen<br />
werden? Und welche möglichen praktischen<br />
Konsequenzen ergeben sich auf der Basis der<br />
Interviewaussagen daraus?<br />
Um diese Fragen zu beantworten, greifen wir<br />
auf die typenbildende Methodologie Max<br />
Webers zurück. Für Max Weber gründet bekanntermaßen<br />
die „verstehende“ Soziologie in<br />
der Bildung von Typen-Begriffen. Mit ihrer<br />
Hilfe versucht er generelle Regeln des sozialen<br />
Geschehens zu rekonstruieren. Das Material<br />
für diese Begriffsbildung entnimmt Weber<br />
den relevanten Realitäten des Handelns. Vor<br />
diesem Hintergrund haben wir bei unserer<br />
Typenbildung von Transfermodi darauf<br />
geachtet, dass die Rekonstruktion und die<br />
begriffliche Fassung gegenüber der konkreten<br />
Wirklichkeit der Aussagen und des Handelns<br />
nicht zu inhaltsleer bleiben. Deshalb stellen<br />
unsere Begriffsbildungen im Folgenden<br />
gewissermaßen deskriptive Typen dar, die<br />
allerdings auch darauf abzielen, der Eigenart<br />
jeder generalisierenden Wissenschaft,<br />
ihrem Abstraktionsgrad, ein Stück<br />
Seite page 54 weit gerecht zu werden und für die<br />
Arbeit im <strong>SFB</strong> typische Elemente<br />
des Argumentierens sowie typische<br />
Haltungen im Handeln herauszuarbeiten. Die<br />
Kehrseite dieser Strategie einer konkreten,<br />
materialnahen Typenbildung ist, dass wir die<br />
„Eindeutigkeit der Begriffe“, wie Weber sagen<br />
würde, nicht bis in die „höchsten Abstraktionsgrade“<br />
hinein gesteigert haben.<br />
Trotzdem stellen auch unsere Transfertypen<br />
„ideale“ Konstruktionen dar. Deshalb sei in<br />
diesem Kontext ausdrücklich darauf hingewiesen,<br />
dass alle Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
mehrere Transferwege kombinieren oder sie je<br />
nach Situation variieren. Das heißt, auch wenn<br />
unsere Typen vergleichsweise material gesättigt<br />
und konkret sind, stellt ein Transfertyp doch<br />
immer noch ein „Gedankengebilde“ dar, das<br />
bestimmte Beziehungen und Vorgänge der<br />
Projektforschung sowie des Wissenstransfers<br />
zu einer in sich widerspruchsfreien Gestalt<br />
gedachter Zusammenhänge vereinigt. 6 „Denn<br />
Zweck der idealtypischen Begriffsbildung ist<br />
es überall, nicht das Gattungsmäßige, sondern<br />
umgekehrt die Eigenart von Kulturerscheinungen<br />
scharf zum Bewusstsein zu bringen.“ (Weber<br />
1988a: 202) Damit tritt Max Weber dem<br />
„naturalistischen Vorurteil“ entgegen, dass das<br />
Ziel der Sozialwissenschaften die Reduktion<br />
auf „Gesetze“ sein müsse. Für unsere Untersuchung<br />
hieße das zum Beispiel, dass aus einem<br />
Praxisbegriff, der im „kollektiven Gedächtnis“<br />
eines Forschungsprojekts verankert ist, ein<br />
bestimmter Transferweg oder ein distinktes<br />
Transferverständnis szientifischen Wissens<br />
„gesetzmäßig“ folgt. Der Idealtypus, wie wir<br />
ihn hier verstehen, dagegen ist, um noch einmal<br />
Weber (1988a: 194) zu zitieren, nicht dazu<br />
da, „<strong>als</strong> ein Schema zu dienen, in welches die<br />
Wirklichkeit <strong>als</strong> Exemplar eingeordnet werden<br />
sollte. (…) Solche Begriffe sind Gebilde, in welchen<br />
wir Zusammenhänge unter Verwendung<br />
der Kategorie der objektiven Möglichkeiten<br />
konstruieren, die unsere, an der Wirklichkeit<br />
orientierte und geschulte Phantasie <strong>als</strong> adäquat
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
beurteilt.“ In diesem Sinne konstruieren wir<br />
deshalb typische Transferwege aus Elementen,<br />
auf die wir in unterschiedlichen Interviews<br />
mit Mitarbeitern der einzelnen Teilprojekte<br />
gestoßen sind.<br />
Zunächst geben wir eine Übersicht über die<br />
Kontexte und Wege des Wissenstransfers im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>:<br />
Transfertyp 1<br />
Grundlagenforschung mit aktueller gesellschaftlicher Themenrelevanz<br />
Transfertyp 2<br />
Grundlagenforschung mit nicht explizit intendierten Anwendungsbezügen.<br />
Transfertyp 3<br />
Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen Begleit- und Folgeprojekten<br />
Transfertyp 4<br />
Grundlagenforschung mit praktischen Vermittlungsaufgaben von und an Entscheidungsinstanzen<br />
Transfertyp 5<br />
Grundlagenforschung auf der Suche nach öffentlichem Interesse<br />
Transfertyp 6<br />
Grundlagenforschung mit allgemeiner Datenpräsentation im Untersuchungsfeld<br />
Transfertyp 7<br />
Grundlagenforschung mit eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />
Transfertyp 8<br />
Grundlagenforschung mit konkreter Theorie-Praxis-Rückkopplung<br />
Im Folgenden charakterisieren wir die einzelnen<br />
Typen des Wissenstransfers unter<br />
Rückgriff auf konkrete Aussagen in unseren<br />
Interviews.<br />
Transfertyp 1: Grundlagenforschung mit aktueller<br />
gesellschaftlicher Themenrelevanz. Behandelt<br />
ein Forschungsprojekt ein Thema,<br />
das unmittelbar anschlussfähig ist an ein<br />
bereits vorhandenes gesellschaftliches Interesse<br />
oder an eine soziale Problemlage, dann<br />
konstituiert dies einen spezifischen Kontext<br />
des Wissenstransfers. Wie die Erfahrungen<br />
im Sonderforschungsbereich zeigen, spielt<br />
dabei die „Bildungsgesetzlichkeit“ dieses Interesses<br />
eine erhebliche Rolle. So kann ein tief<br />
sitzendes gesellschaftliches Interesse, das sich<br />
selbst noch im Stand der „virulenten Latenz“<br />
durch Forschungsergebnisse „angesprochen“<br />
fühlt, mit einer Form des sozialen Interesses<br />
kontrastiert werden, das durch aktuelle<br />
„Skandale“ hervorgebracht wird und mit dem<br />
zeitlichen Abstand zu dieser „Erregungsszene“<br />
wieder verschwindet.<br />
Das Teilprojekt zu Führungsgruppen<br />
beschäftigt sich retrospektiv mit den<br />
Seite page 55<br />
Ausgangsbedingungen des Transformationsprozesses<br />
in Ostdeutschland.<br />
Auf den ersten Blick mag deshalb kein Praxisbezug<br />
erkennbar sein - aber hinsichtlich<br />
konkreter Fragen zu gegenwärtigen Elite-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
strukturen besteht dieser ohne Frage: „Funktionseliten<br />
der DDR bilden ja einen nicht<br />
unerheblichen Anteil an der Elitenstruktur<br />
im vereinigten Deutschland“, heißt es im<br />
Interview. Dabei gehe es um die „aufsummierte<br />
Vergangenheit“ der „Vorprägungen,<br />
Kompetenzen, Kapazitäten der DDR-Eliten,<br />
die heute noch nachwirken.“ Deren auch nur<br />
quantitativ orientierte Auswertung „besitze“<br />
- aus leicht nachvollziehbaren Gründen -<br />
„hohe öffentliche Aufmerksamkeit“. Ihre<br />
„Resonanzen“ seien zum Teil „heftig“, zum<br />
Beispiel deshalb, weil „die Elitenkontinuität<br />
(im Osten) gar nicht wahrgenommen wurde<br />
und wird und man bis heute davon ausgeht,<br />
dass die DDR-Eliten einfach verschwunden<br />
und durch westdeutsche ersetzt wurden.“ Für<br />
solche Forschungsergebnisse müsse nicht „die<br />
Trommel gerührt werden“ - sie träfen auf<br />
einen durch den Systemumbruch gegebenen<br />
„gesellschaftlichen Resonanzboden“. Die Mitarbeiter<br />
im Projekt zu Delegationseliten betonen<br />
entsprechend, dass Sozialforscher nicht<br />
ihr Thema „aus eigener Machtvollkommenheit“<br />
der Öffentlichkeit „aufzwingen“ können.<br />
Denn Aufmerksamkeit zu erzeugen sei nur<br />
möglich, wenn in der öffentlichen Diskussion<br />
„das Thema sowieso gerade diskutiert“ werde.<br />
Die Mitarbeiter des Teilprojekts zu Kultureliten<br />
sagen im Interview, dass sie mit ihren<br />
Forschungsergebnissen mit jenen Teilen der<br />
Öffentlichkeit „in ein Gespräch eintreten“<br />
könnten, in denen das Thema<br />
Seite page 56 „Generation“ (bereits) aktuell sei. Auf<br />
diese Weise wird wieder auf eine soziale<br />
Differenzierungsdimension der<br />
Untersuchungsthematik verwiesen. Es gibt in<br />
diesem Zusammenhang aber auch eine zeitliche<br />
Dimension, wie der Fall des Teilprojekts<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe zeigt. Die ersten<br />
fünf Jahre forschte dieses Projekt mehr oder weniger<br />
abseits vom Blick der Öffentlichkeit. Mit<br />
der Verlagerung des Forschungsschwerpunkts<br />
auf das Thema der Kindeswohlgefährdung änderte<br />
sich dies, <strong>als</strong> (nach der Ausarbeitung des<br />
Projektantrags für die dritte Förderphase im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>) einige öffentlichkeitswirksame Fälle<br />
von Kindeswohlgefährdung in den Medien behandelt<br />
und vor Gerichten verhandelt wurden.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung erhöht<br />
die Langfristigkeit von Forschungsprozessen<br />
die Chance auf das Zusammentreffen von<br />
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanzen.<br />
Wir fassen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />
dieses ersten Typus eines Theorie-Praxis-<br />
Austausches zusammen:<br />
• Der erste typische Transferweg von<br />
Forschungsergebnissen in die Praxis ist<br />
dadurch gekennzeichnet, dass Öffentlichkeit<br />
und Praktiker an den Ergebnissen<br />
bereits „vorinteressiert“ sind,<br />
• weil das Thema in der Gesellschaft und<br />
im Praxisfeld <strong>als</strong> relevant „besetzt“ ist,<br />
• entweder aus sozialhistorischen und<br />
-strukturellen Gründen, womit ein eher<br />
langfristiges Interesse verbunden ist,<br />
• oder aufgrund aktueller Skandale, die nur<br />
kurzfristig die öffentliche Aufmerksamkeit<br />
erregen.<br />
Transfertyp 2: Grundlagenforschung mit nicht<br />
explizit intendierten Anwendungsbezügen.<br />
Ein zweiter möglicher Transferweg von For-
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
schungsergebnissen der Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> besteht darin, dass<br />
die Praxis die Resultate der wissenschaftlichen<br />
Analysen aufgreift, weil ihr die Forschung<br />
Daten zur Verfügung stellen kann, welche die<br />
Praktiker interessant finden und für ihr Tun<br />
„brauchen“, aber nicht selbst erheben und für<br />
praktische Entscheidungen „bereitstellen“<br />
können.<br />
Wir nähern uns diesem Transferkontext mit<br />
folgendem Beispiel: Das Teilprojekt zu Delegationseliten<br />
stellt wichtige Projektergebnisse<br />
einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten in<br />
Berlin vor. In der Diskussion sei unter anderem<br />
das Bestreben der Politiker zu merken gewesen,<br />
die Ergebnisse „direkt in politisches Handeln<br />
umzumünzen“. Daran könne man sehen, so<br />
der befragte Mitarbeiter, wie „Politik sozialwissenschaftliche<br />
Ergebnisse in ihren Code<br />
umdenkt“. Daraus ziehe dieses Teilprojekt für<br />
sich die Konsequenz: „Wir geben keine Handlungsanweisungen.“<br />
Denn man könne nicht<br />
erwarten, „dass das in der wissenschaftlichen<br />
Lesart gelesen wird, aber es wird geguckt, welche<br />
Ergebnisse kann ich gebrauchen, welche<br />
Ergebnisse sind mir politisch nützlich.“ Auf den<br />
Wissenstransfer in die Praxis bezogen deuten<br />
sich, so der Interviewte, folgende Konsequenzen<br />
an: Wegen der Theorie-Praxis-Differenz<br />
müsse man auf die Fähigkeit der Praktiker<br />
(hier der professionellen Politiker) vertrauen,<br />
die sozialwissenschaftlichen Ergebnisse für das<br />
Handeln im polischen System so recodieren zu<br />
können, dass sie praxisrelevant werden, ohne<br />
dass man <strong>als</strong> Wissenschaftler im Feld direkte<br />
Deutungen und Anleitungen mitgeben könne<br />
und solle.<br />
Die Mitarbeiter des Teilprojekts zum Fachkräftemangel<br />
bringen im Gespräch mit uns<br />
sehr deutlich die konkrete Vorstellung zum<br />
Ausdruck, es sei eine wichtige Aufgabe der<br />
Sozialforschung, relevantes Wissen zu „produzieren“,<br />
das im praktischen Feld „nützlich“<br />
werden könne, aber dort weder vorhanden<br />
noch „unmittelbar generierbar“ sei. Auch die<br />
im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />
Befragten sprechen davon, dass die Praktiker<br />
immer über Forschungsergebnisse informiert<br />
würden, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen,<br />
auf eine breitere Wissensbasis gestützt<br />
praktische Entscheidungen treffen zu können.<br />
Dieser Wissenstransfer geschehe aber nur<br />
indirekt, während eine direkte Praxisrelevanz<br />
des Projekts gar nicht erwünscht sei und so<br />
auch nicht angestrebt werden könne. „Es ist<br />
alles möglich, aber man kann nicht sagen,<br />
was tatsächlich (in der Praxis) konkret rauskommt“.<br />
Es könnten aus der Forschung zum<br />
Beispiel Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz<br />
erwachsen. Damit würden im Projekt<br />
regulierungsrelevante Inhalte thematisiert, für<br />
deren Umsetzung zu sorgen aber nicht das<br />
zentrale Ziel des Projekts sei. Anwendungsbezüge<br />
ergäben sich aber mittelbar dadurch, dass<br />
die wesentlichen Interessenpositionen selbst<br />
zum Gegenstand der Analyse werden und<br />
Forschungsergebnisse zum Teil „bewusst entsprechend<br />
dieser Positionen kommuniziert“<br />
würden. Insofern sei im Teilprojekt zu Personaldienstleistungen<br />
die klassische Trennung<br />
zwischen Grundlagenforschung und<br />
Anwendungsforschung in solchen<br />
Fragen nicht mehr möglich.<br />
Noch weiter gehen die Aussagen<br />
der Mitarbeiter des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt<br />
im öffentlichen Sektor, wo es im<br />
Interview heißt: Im Sonderforschungsbereich<br />
Seite page 57
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
<strong>580</strong> sei man natürlich im Bereich der Grundlagenforschung<br />
tätig. So sehe man sich auf<br />
der einen Seite verpflichtet, gute theoretische<br />
Konzepte und Methoden zu entwickeln. „Die<br />
andere Seite ist, dass man auch sieht, dass es<br />
Probleme gibt. Probleme haben ihre eigene<br />
Logik, sie drängen danach, dass man etwas<br />
macht. Diesen Handlungsdruck muss man<br />
aufgreifen, indem man zumindest in Teilen<br />
des Projekts systematisch fragt: Was sind<br />
die Handlungskonstellationen der Akteure,<br />
die ich untersuche und in welcher Richtung<br />
könnte man Handlungsoptionen entwickeln?<br />
Wir können hier auch in Richtung Umbau<br />
von Institutionen denken, das kann ein normaler<br />
Akteur nicht.“ Insofern würden dann<br />
Daten bereitgestellt, die der Praxis sonst nicht<br />
zugänglich wären. Aber: „Die Akteure müssen<br />
dann selbst etwas ändern beziehungsweise<br />
handeln“.<br />
Ein letztes Beispiel zur Veranschaulichung<br />
dieses Transferwegs finden wir im Interview<br />
mit den Mitarbeitern des Teilprojekts zur<br />
Rehabilitation. Dort wird - ähnlich wie im<br />
Gespräch mit den Mitarbeitern des Teilprojekts<br />
zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />
Sektor - darauf hingewiesen, dass die Projektarbeiten<br />
einen „Reflexionsraum“ schaffen<br />
würden, in dem Ergebnisse „gelesen und sofort<br />
verstanden werden“ könnten. Die daraus<br />
möglichen praktischen Schlüsse und deren<br />
Umsetzung allerdings könnten aus<br />
Sicht der Projektgruppe fraglich sein.<br />
Seite page 58 Folgendes Beispiel wird dafür herangezogen:<br />
„Im Gesundheitswesen ist<br />
die Zersplitterung so groß, dass ein<br />
Handelnder, ein Mitglied der behandelnden<br />
Professionen, gar nicht weiß, was aus dem<br />
(Patienten) auf der nächsten Station wird. Er<br />
sieht aus der Forschung - zum Teil zum ersten<br />
Mal -, was aus den Fällen wird.“ Derartige<br />
Forschungsergebnisse seien deshalb „ein Reflexionsangebot<br />
für die Praxis“, was für viele<br />
Praktiker „spannend“ sei.<br />
Fassen wir noch einmal die wesentlichen<br />
Bestandteile dieses zweiten Typus eines Praxistransfers<br />
zusammen:<br />
• Die Projektergebnisse sind aufgrund der<br />
Thematisierungsweise und des methodischen<br />
Vorgehens auch für Praktiker von<br />
Interesse.<br />
• Sie werden in den Projekten nur bedingt<br />
für Praktiker aufbereitet, da dies nicht<br />
zum „Auftrag“ eines <strong>SFB</strong>-Projekts gehört<br />
und die Ergebnisse des Projekts von der<br />
Praxis ohnehin im Licht ihrer eigenen<br />
Interessen recodiert werden.<br />
• Im positiven Fall schafft diese Form des<br />
Wissenstransfers für die Praxis einen neuen<br />
oder erweiterten Reflexionsraum<br />
• oder sie ermöglicht sogar praktische<br />
Konsequenzen aufgrund der durch die<br />
Forschung veränderten entscheidungsrelevanten<br />
Datenlage.<br />
Transfertyp 3: Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen<br />
Begleit- und Folgeprojekten.<br />
Bei diesem dritten Typus werden grundlagentheoretische<br />
Ergebnisse nicht direkt, sondern<br />
vermittelt über jene Teile des Wissenschaftssystems<br />
und der Forschungspraxis, die einen<br />
unmittelbaren Praxisbezug haben, in die Lebenswelt<br />
„eingespeist“. Diese Praxisforschungsund<br />
Beratungsprojekte sind auf der einen Seite
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
auf die Ergebnisse der Grundlagenforschung<br />
angewiesen, stellen dann aber auf der anderen<br />
Seite <strong>als</strong> vermittelnde oder intermediäre Analyseschritte<br />
die Verbindung zwischen Theorie<br />
bzw. Grundlagenforschung und Praxis her.<br />
Eine erste Annäherung an diesen Transferweg<br />
zeigt sich uns in den Gesprächen mit Mitarbeitern<br />
des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt<br />
im öffentlichen Sektor. Die Befragten sehen<br />
einerseits große Probleme im Transfer von<br />
Projektwissen aus der Grundlagenforschung<br />
in die Praxis. Andererseits gebrauchen sie das<br />
Bild von „Kaskaden“ im Fluss des Austausches<br />
von Theorie (oben) und Praxis (unten). Eine<br />
Form, diese „Kaskaden“ zu überbrücken - so<br />
die Erfahrungen im Projekt -, seien anwendungsbezogene<br />
Abschluss- und Qualifizierungsarbeiten,<br />
die ihren Ausgang von den<br />
Fragestellungen des Sonderforschungsbereichs<br />
bzw. des Teilprojekts zum Arbeitsmarkt im öffentlichen<br />
Sektor nähmen, dann aber konkrete<br />
Praxiskontakte herstellten, in denen sich auch<br />
ein Wissenstransfer ereigne. Zum Beispiel<br />
ergaben sich in einem Fall zuerst, so wird uns<br />
erzählt, über eine Projektmitarbeiterin Kontakte<br />
im politischen Feld, „dann gehen Studenten<br />
dort in die Praxis und machen entsprechende<br />
Diplomarbeiten“, deren Ergebnisse dann die<br />
Praktiker unmittelbar interessierten.<br />
Die Idee einer „schrittweisen Vermittlung“<br />
von Theorie und Praxis durch angewandte<br />
und Auftragsforschung taucht aber - vielleicht<br />
gerade - auch beim sich völlig <strong>als</strong> „unpraktisch“<br />
verstehenden Teilprojekts zur strategischen<br />
Interaktion auf, von dem die Mitarbeiter im<br />
Interview sagen, es sei „wahrscheinlich im<br />
<strong>SFB</strong> sehr viel extremer grundlagentheoretisch<br />
angelegt“ <strong>als</strong> alle anderen Projekte. Für dieses<br />
Teilprojekt sei vielleicht die Interdisziplinarität<br />
typisch, aber auf keinen Fall seien es<br />
„Transferleistungen in die Praxis“. Denn<br />
die ökonomischen Modelle, mit denen das<br />
Projekt bei seinen Experimenten arbeite,<br />
„sind sehr weit von der Realität entfernt. Wir<br />
formalisieren und mathematisieren die Dinge<br />
sehr stark und gehen damit in die Labore.<br />
Deshalb sind wir nicht die direkten Transferierer“.<br />
Die „Überbrückung“ könne eigentlich<br />
nur indirekt „gehen“, und zwar über Stufen<br />
der Anwendungsforschung und der Beratung.<br />
Die Ansatzstellen dazu würden jedoch bei<br />
entsprechender Fortführung der Experimente<br />
und Auswertung ihrer Ergebnisse mehr<br />
und mehr deutlich. So heißt es im Interview<br />
weiter: Auch anwendungsorientierte Forschungsfragen<br />
könnten die Mitarbeiter dieses<br />
Teilprojekts „spieltheoretisch analysieren“ und<br />
„experimentell umsetzen“. Man entwickele<br />
dann erst einmal „einen Prototyp und den<br />
kann man dann allmählich variieren“. Dann<br />
müsse aber erst noch „eine ganze Sequenz von<br />
Studien kommen, um dann robust postulieren<br />
zu können, was (praktisch) wichtig ist“.<br />
Die Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />
sprechen direkter von einem<br />
„Reflexionsangebot an die Praxis“, das im<br />
Rahmen der Grundlagenforschung möglich<br />
sei, verweisen aber auch auf die vielen anderen<br />
„Interventionsprojekte“ im Rahmen der Auftragsforschung,<br />
die am medizinsoziologischen<br />
Lehrstuhl durchgeführt<br />
würden. Stoße man im Rahmen der<br />
Seite page 59<br />
<strong>SFB</strong>-Forschung auf ein wichtiges<br />
praktisches Problem, sei es durchaus<br />
möglich, dass aus der Grundlagenforschung<br />
ein Interventionsprojekt „abgeleitet werde“,<br />
das versuche, „vernünftige“ Lösungen für die-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
ses Problem anzuregen oder zu unterstützen.<br />
Für das Teilprojekt zur Rehabilitation stellt<br />
deshalb die anwendungsorientierte Interventionsforschung<br />
eine der wichtigsten „Brücken“<br />
im Theorie-Praxis-Austausch dar.<br />
Das gilt organisatorisch in fast noch stärkerem<br />
Maße für das Teilprojekt zum Fachkräftemangel.<br />
Dessen „primordiale“ Praxisorientierung<br />
kommt nicht nur dadurch zur Geltung, dass<br />
es seinen Untersuchungsgegenstand nach<br />
Maßgabe der gesellschaftspraktischen Relevanz<br />
auswählt, sondern auch dadurch, dass<br />
die Integration der Grundlagenforschung<br />
in einen Verbund mit Anwendungs- und<br />
Auftragsprojekten erfolgt. So erfahren wir im<br />
Interview: Wenn ein gesellschaftspraktisches<br />
Problem Gegenstand sozialwissenschaftlicher<br />
Forschung werde, dann versuchten die Projektverantwortlichen,<br />
hier „einiges“ zu tun.<br />
„Aber nicht so sehr im unmittelbaren Kontext<br />
des <strong>SFB</strong>, der eher im Sinne des grundlagentheoretischen<br />
Forschungsauftrages der DFG<br />
auf Wissenserzeugung angelegt ist, sondern<br />
eher in parallelen Projekten“. In solchen anwendungsorientierten<br />
Projekten analysierten<br />
dann Arbeitsgruppen praktische Problemlagen,<br />
um daraus den potentiellen Handlungsbedarf<br />
zu antizipieren, den sie in der jeweiligen<br />
Öffentlichkeit bzw. Fachöffentlichkeit publik<br />
zu machen versuchten. Dieses Vorgehen<br />
setze allerdings einen institutionellen „Unterbau“<br />
voraus, der speziell durch die<br />
„Anbindung“ des Teilprojekts zum<br />
Seite page 60 Fachkräftemangel an das Zentrum<br />
für Sozialforschung Halle gegeben<br />
sei. Deshalb werde es möglich, „auf<br />
Synergien zwischen verschiedenen Projekten<br />
zu setzen“. So bildeten der Sonderforschungsbereich<br />
und dieses Teilprojekt „in ihrer grundlagentheoretischen<br />
Orientierung die Basis, auf<br />
der ergänzende Projekte anwendungsorientiert<br />
aufsatteln“. Konkrete Beispiele hierfür seien<br />
Projekte zur „demografischen Falle“ auf dem<br />
ostdeutschen Arbeitsmarkt, „wo es darum geht,<br />
Nachwuchskräftepools in bestimmten Branchen<br />
zu organisieren“, oder eine Befragung<br />
von ostdeutschen Betrieben zur betrieblichen<br />
Berufsausbildung. Diese Befragung im Teilprojekt<br />
zum Fachkräftemangel wurde 2006<br />
durch Landesmittel um eine praxisorientierte<br />
Zusatzbefragung in Sachsen-Anhalt ergänzt,<br />
deren Ergebnisse „heute gezielt in die Politik<br />
des Landes eingespeist“ würden. Insgesamt<br />
zeige die Erfahrung in diesem Projekt seit Bestehen<br />
des Sonderforschungsbereichs, „dass es<br />
sinnvoll ist, parallel zum <strong>SFB</strong> anwendungsbezogene<br />
Projekte zu installieren, die stärker auf<br />
die Handlungsprobleme der einzelnen Betriebe<br />
zugeschnitten sind, <strong>als</strong> das im <strong>SFB</strong> möglich<br />
ist“. Die Forschung (im Bereich des Fachkräftemangels)<br />
sei deshalb dreistufig: Grundlagen-,<br />
Anwendungsforschung, „Einfließen in<br />
die gesellschaftliche Praxis“. Aber das gehe<br />
nur unter der Voraussetzung, dass das <strong>SFB</strong>-<br />
Projekt in einem größeren Forschungskontext<br />
laufe, „weil man sich nicht zerreißen kann“.<br />
Allerdings zeigten sich bei einem solchen Forschungsverbund<br />
Vorteile wie Gefahren. Auf<br />
der einen Seite könnten <strong>SFB</strong>-Mitarbeiter in<br />
der Praxisforschung mehr über konkrete Problemlagen<br />
erfahren, ihre Sachkenntnis vertiefen<br />
und neue Fragestellungen kennen lernen. Auf<br />
der anderen Seite sei die Kombination von<br />
Grundlagen- und Auftragsforschung in einem<br />
Institut „natürlich ein Spiel, das nicht einfach<br />
zu spielen ist. Denn das Risiko, dass man in<br />
die reine Auftragsforschung abwandert, abdriftet<br />
sozusagen, ist genau so existent wie das<br />
Komplementärrisiko, dass man sich sozusagen
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
in der Grundlagenforschung einigelt. Und dazwischen<br />
in der Mitte, das muss immer wieder<br />
ausgehandelt werden, auch intern“. Darüber<br />
hinaus dürfe aber bei einem breit angelegten<br />
Forschungsverbund auch nicht der Schein<br />
erweckt werden, „man würde <strong>SFB</strong>-Mittel nutzen,<br />
um Auftragsforschung zu subventionieren.<br />
Das Interessante ist das Zusammenspiel, ein<br />
kontrolliertes Zusammenspiel von zwei Typen<br />
wissenschaftlichen Arbeitens, die sich auf<br />
das gleiche Objekt richten, die sich insofern<br />
wechselseitig befruchten und die bei diesem<br />
Projekt zur Folge haben, dass wir mit relativ<br />
bescheidenen Ressourcen die empirische Basis<br />
unseres <strong>SFB</strong> deutlich erweitern, und haben<br />
gleichzeitig aus dem <strong>SFB</strong> eine Menge Ideen,<br />
Hypothesen, Fragestellungen gewissermaßen,<br />
die in der praktischen, anwendungsorientierten<br />
Forschung von Nutzen waren“.<br />
Schließlich wird noch die „offene“ Grenze zwischen<br />
Sozialwissenschaft und Sozialtechnokratie<br />
(Gadamer bezeichnet diesen Bereich oben<br />
<strong>als</strong> social engineering) angesprochen, die bei<br />
diesem Transferweg aus strukturellen Gründen<br />
besonders „offen“ sein muss. Denn bei dieser<br />
Präferenz für den „Theorie-Praxis-Verbund“<br />
gehe es auch um das Selbstverständnis der Mitarbeiter<br />
des Projekts zum Fachkräftemangel <strong>als</strong><br />
Sozialwissenschaftler im Spannungsfeld von<br />
Aufklärung und Sozialtechnologie einerseits<br />
sowie Beratung und Handlungsempfehlung<br />
andererseits. Beides sei wesentlich für die Existenz<br />
der Soziologie. „Die Spannung ist wohl<br />
überhaupt das Reizvolle, weil die Trennung<br />
vom reinen Wissenschaftler und Ingenieur<br />
nicht vollzogen ist. Es ist vorstellbar, dass es<br />
einen guten Forscher gibt, der auch ein bisschen<br />
noch ingenieurmäßig denken kann. Oder<br />
gute Ingenieure, erfolgreiche Ingenieure, die<br />
noch in der Lage sind zu verfolgen, was in der<br />
Forschung vor sich geht.“ Aber alles in allem<br />
sei es schon „ein Risikospiel, weil man immer<br />
in der Gefahr ist, in eine der beiden Rollen<br />
zu fallen“.<br />
Wir fassen die wesentlichen Merkmale dieses<br />
dritten Transfertyps zusammen:<br />
• Die Projektergebnisse sind aufgrund der<br />
Praxisferne von Grundlagenforschung<br />
einerseits und der Bezogenheit auf<br />
gesellschaftliche Probleme andererseits<br />
für Anwendungs- und Interventionsforschung<br />
von Interesse, die von der Grundlagenforschung<br />
abgeleitet werden.<br />
• Erst mit diesem zweiten Schritt einer<br />
Auftragsforschung wird ein mittelbarer<br />
Kontakt zwischen der Grundlagenforschung<br />
des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und der sozialen<br />
Praxis im Untersuchungsfeld hergestellt.<br />
• Werden die professionellen Grenzen<br />
zwischen Grundlagen-, Anwendungsforschung<br />
und Praxisberatung respektiert,<br />
können sich Wissenstransfers einstellen,<br />
welche die Autonomie und das Selbstverständnis<br />
der jeweiligen Handlungsstufe<br />
zwischen Theorie und Praxis nicht<br />
tangieren, und die Trennung von Sozialwissenschaft<br />
und Sozialtechnokratie<br />
nicht „einreißen“.<br />
• Bei einem zu engen Verbund<br />
Seite page 61<br />
von Grundlagen- und anwendungsbezogener<br />
Forschung<br />
besteht die Gefahr, dass die Grundlagenforschung<br />
nicht mehr zu „grundsätzlichen<br />
Erkenntnissen“ gelangt (welche die
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Anwendungsforschung anzuregen in der<br />
Lage sind) und die Praxisforschung zu<br />
abstrakt bleibt, so dass sie das geforderte<br />
Maß an konkreter Problemrelevanz nicht<br />
mehr gewährleisten kann. Forschung<br />
genügt in diesem Fall weder den rein<br />
wissenschaftlichen noch den technokratischen<br />
Ansprüchen i. S. eines social<br />
engineering.<br />
Transfertyp 4: Grundlagenforschung mit<br />
praktischen Vermittlungsaufgaben von und an<br />
Entscheidungsinstanzen. Ein wichtiger Weg<br />
der Wissensübermittlung und Praxisrelevanz<br />
der Forschung im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> stellt der folgende<br />
vierte Typus dar, der sich in etwa so charakterisieren<br />
lässt: Die Teilprojekte erheben Daten<br />
aus einem Praxisfeld X und stellen sie Akteuren<br />
bzw. Verantwortlichen in einem Praxisfeld<br />
P zur Verfügung, damit diese Konsequenzen<br />
für ihr Handeln ziehen können. Verbunden<br />
damit ist die Erwartung oder Hoffnung, mit<br />
dieser Interventionsform von Wissenschaft die<br />
materiale Rationalität von Entscheidungen in<br />
gesellschaftlichen Organisationen verbessern<br />
zu können.<br />
Dieser Transferweg kann verdeckt und nach<br />
außen unauffällig sein. So orientieren sich die<br />
Mitarbeiter des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />
im Management am „Weberschen<br />
Ideal der zweckfreien Forschung“. Denn es<br />
gehe ihnen nicht darum, „unter der<br />
Perspektive des Anwendungsbezugs<br />
Seite page 62 Design, Fokus und Interessen (der<br />
Untersuchung) zu verändern, sondern<br />
lediglich und in der Hauptsache um<br />
die Produktion neuen wissenschaftlichen<br />
Wissens, das Anschlüsse für weitere wissenschaftliche<br />
Forschungsfragen bieten kann“.<br />
Die praktische Relevanz liege dagegen eher<br />
implizit in der Formulierung des Forschungsinteresses.<br />
Deshalb denken die Mitarbeiter dieses<br />
Teilprojekts, wenn sie explizit von der Frage<br />
der „Übersetzungssphären“ sprechen, zunächst<br />
an den Transfer von konkreten Erkenntnissen<br />
der Projektforschung in den allgemeinen<br />
wissenschaftlichen Diskurs (Theorietransfer)<br />
und erst in zweiter Linie an den Transfer in<br />
die relevanten Organisationen des Untersuchungsfelds<br />
wie z.B. Gewerkschaften, für<br />
welche die Forschungsergebnisse - auch, wenn<br />
sie allgemein formuliert sind - von Interesse<br />
sein könnten. Noch weitergehend berichten<br />
die Mitarbeiter vom Wunsch der untersuchten<br />
Praxis, das Projekt möge ihre Ergebnisse im<br />
öffentlichen Feld publik machen, weil sie sich<br />
dadurch eine Stärkung ihres „politischen Gewichts“<br />
versprächen. Im Falle des Teilprojekts<br />
zum Generationswechsel im Management<br />
sind das Mittelständler, die sich in ihrer „politischen<br />
Wirksamkeit gehandicapt“ sähen. Hier<br />
geht es aber im eigentlichen Sinne nicht mehr<br />
um Wissenstransfer, sondern um politische<br />
Interessenfragen. Im Kontext der „Pflege des<br />
Untersuchungsfelds“ ist diese Transferpraxis<br />
aus dem konkreten Untersuchungsfeld in das<br />
jeweils relevante politische Feld bei einigen<br />
Teilprojekten von Bedeutung, auch könne<br />
sie - so mehrfach die Aussage - die Akzeptanz<br />
neuen „sachlichen“ Wissens auf Seiten der<br />
Praktiker beeinflussen.<br />
Findet im Fall des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />
im Management der Transfer eher<br />
mittelbar statt, so sieht das beim Teilprojekt<br />
zum Fachkräftemangel programmatisch ganz<br />
anders aus. Dieses Projekt, so heißt es im<br />
Interview, verstünde unter Transfer von Forschungsergebnissen<br />
in die Praxis nicht primär,
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
diejenigen Personengruppen anzusprechen, die<br />
auch untersucht werden. So gehe es zum Beispiel<br />
nicht darum, die Befunde einer Untersuchung<br />
zur Generationenlage den Angehörigen<br />
geburtenstarker Jahrgänge nahe zu bringen,<br />
sondern den entsprechenden institutionellen<br />
Akteuren, welche die Ergebnisse in ihr Entscheidungskalkül<br />
mit einbeziehen sollten.<br />
Ähnliches berichten die Mitarbeiter des<br />
Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel.<br />
Auch hier würden Themen wie „demografischer<br />
Wandel“ und „Vorsorgemöglichkeiten“<br />
relevant. Adressaten der Publikationen seien<br />
nicht die untersuchten Akteure (Betriebe),<br />
sondern die Verantwortlichen für „praktische<br />
Steuerungsoptionen politischer Regulierungsstrategien“.<br />
Wir können auf Grund weiterer<br />
Interviewaussagen den Transferweg in diesem<br />
Teilprojekt insgesamt so rekonstruieren: Aus<br />
Panelbefragungen der Betriebe werden die<br />
konkreten Ergebnisse in abstrakte übersetzt,<br />
womit sie für die Befragten nicht mehr „anschlussfähig<br />
organisiert“ sind. Für übergreifende<br />
Institutionen dagegen, wie Interessenverbände,<br />
Gewerkschaften, Parteien, ist dieses<br />
Wissen anschlussfähig organisiert und kann bei<br />
politischen Entscheidungen hilfreich sein. Die<br />
praktische Relevanz der Forschungsergebnisse<br />
wird <strong>als</strong>o über einen Umweg erreicht. Wissen<br />
wird demnach in Auseinandersetzung mit der<br />
konkreten betrieblichen Praxis generiert, dann<br />
von den Forschern ins Allgemeine „übersetzt“<br />
und <strong>als</strong> solches an die (wissenschaftliche und)<br />
politische Praxis „weitergegeben“.<br />
Praxisnäher formuliert - aber in dieselbe Richtung<br />
deutend - sind in diesem Zusammenhang<br />
die Vorstellungen der Mitarbeiter des Teilprojekts<br />
zum Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor.<br />
Auch hier geht es darum, die konkrete Praxis<br />
in Organisationen zu eruieren, die gewonnenen<br />
Ergebnisse über den wissenschaftlichen<br />
Diskurs hinaus für Politikberater „fruchtbar“<br />
zu machen. Die Nähe zur Praxis rühre auch<br />
daher, dass die Berater von kommunalen<br />
Verwaltungen selbst Teil der Erhebung dieses<br />
Teilprojekts sind. Es sei offen, ob und welches<br />
Interesse diese Berater an den Forschungsergebnissen<br />
hätten.<br />
Die Mitarbeiter des Teilprojekts zur Rehabilitation<br />
sprechen im Interview weitergehend<br />
von der „möglichen Funktion“ der <strong>SFB</strong>-<br />
Arbeit, eine „Beobachtung der Beobachtung“<br />
zu leisten: Eine Vielzahl der Erhebungen<br />
orientiere sich zwar am Akteur mit seiner individuellen<br />
Perspektive, die Erkenntnis jedoch<br />
zielte nicht nur auf die Reflexionsebene des<br />
individuellen Akteurs, der beteiligten Professionen<br />
usw., sondern gerade auch auf die kollektiven<br />
Akteure, die das kollektive Handeln<br />
im Gesundheitswesen rahmen. Gerade für<br />
Leistungserbringer (vor allem Krankenkassen)<br />
seien die Ergebnisse interessant: „Aus<br />
unseren Ergebnissen können die kollektiven<br />
Akteure ihre Handlungsmuster für zukünftige<br />
Entscheidungen ableiten“. So die Aussage der<br />
Mitarbeiter aus dem Teilprojekt zur Rehabilitation,<br />
die zu diesem Typus des Theorie-<br />
Praxis-Austausches befragt wurden.<br />
In seiner Programmatik optimistisch<br />
gibt sich im Interview das Teilprojekt<br />
zu Bewältigungsressourcen. Hier<br />
Seite page 63<br />
wird gesagt, der „langfristige modus<br />
operandi für dieses Projekt“ sei es,<br />
(politische) Entscheidungsträger auf Anfrage<br />
zu beraten. Deshalb betreibe diese Teilprojekt<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> seine Forschung mit grundlagen-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
wissenschaftlichen Methoden über ein Thema<br />
von hoher sozialer, politischer und menschlicher<br />
Relevanz. „Ich verbinde damit am Ende<br />
das Ziel“, so lautet eine entsprechende Aussage<br />
des Projektleiters im Interview, „Informationen,<br />
Technologien, Wissen, Empfehlungen“<br />
bereit zu stellen, die dann „von Leuten, die<br />
Programme machen, und von Leuten, die<br />
Politik machen“ benutzt werden könnten.<br />
Fassen wir diesen vierten Typus zusammen:<br />
• Viele praktische Bezüge der Forschungsergebnisse<br />
beziehen sich nicht auf die<br />
untersuchten Akteure im Feld, sondern<br />
auf relevante Personen und Institutionen,<br />
die für das untersuchte Handlungsfeld<br />
Entscheidungen treffen müssen.<br />
• Praxisrelevanz resultiert dann daraus, dass<br />
die Verantwortlichen kollektiver Handlungseinheiten<br />
besser informiert agieren<br />
können.<br />
• Das Interesse an wissenschaftlichen<br />
Informationen wird in der Praxis <strong>als</strong> gegeben<br />
oder nicht gegeben vorausgesetzt<br />
bzw. hingenommen.<br />
• Der Praxisbezug wird über einen Umweg<br />
„hergestellt“, indem weniger die<br />
eigentlich untersuchten Akteure von den<br />
Projektarbeiten „profitieren“,<br />
sondern eher die „Zielgruppe“<br />
Seite page 64 der politischen Entscheidungsfindung<br />
„angesprochen“ wird.<br />
Transfertyp 5: Grundlagenforschung auf der<br />
Suche nach öffentlichem Interesse. Die bisherigen<br />
Transferwege, die wir typologisch differenziert<br />
und anhand von Beispielen charakterisiert<br />
und veranschaulicht haben, zeichneten sich<br />
dadurch aus, dass die Teilprojekte, die diese<br />
Übermittlungswege beschritten, ein Interesse<br />
in der Öffentlichkeit, im Untersuchungsfeld<br />
oder bei den Entscheidungsträgern an der Forschung<br />
voraussetzen (konnten). Die folgende<br />
skizzierte fünfte Form des Theorie-Praxis-<br />
Austausches zeichnet sich nun dadurch aus,<br />
dass die Forschenden sich aktiv darum bemühen,<br />
eine interessierte (Teil-)Öffentlichkeit mit<br />
den Projektergebnissen zu erreichen.<br />
Im Hintergrund dieses Typus steht paradigmatisch<br />
das Teilprojekt zu Kultureliten. Der in<br />
diesem Zusammenhang einschlägige, zentrale<br />
Satz im Interview mit Mitarbeitern aus diesem<br />
Teilprojekt lautet: „Wir haben immer ganz<br />
bewusst Öffentlichkeiten gesucht und auch<br />
zu interessieren versucht für unser Thema“.<br />
Ein Grund sei, dass das Untersuchungsthema<br />
sich <strong>als</strong> zu „breit“ für ein spezifisches - durch<br />
Berufsrolle und Arbeitsauftrag „gegebenes“<br />
- Interesse auf Seiten der Praktiker zeige.<br />
Deutlich wird das in der Interviewpassage,<br />
welche auf die Frage nach den wesentlichen<br />
Bezügen des Projekts folgt. Der wesentliche<br />
Aspekt des Teilprojekts zu Kultureliten sei<br />
der, dass Hartmut Rosas (2005) Diagnose, der<br />
zufolge in einer beschleunigten Welt keine<br />
Generationenkonflikte entstehen können, weil<br />
sie (die Generationen) nebeneinander existierten<br />
und nichts oder kaum etwas voneinander<br />
wüssten, in die Konzeption der Untersuchung<br />
aufgenommen werden müsse. Vor diesem<br />
Hintergrund sei es die Aufgabe dieses Teilprojekts,<br />
„die unausgesprochenen Differenzen“<br />
deutlich zu machen, „sowohl den Betroffenen,<br />
<strong>als</strong> auch der Gesellschaft klar zu machen: Da<br />
wird ein Konflikt nicht mehr ausgetragen, aber
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
er existiert“ latent weiter. Konkret gehe es in<br />
der Projektforschung aber hauptsächlich auch<br />
um Kulturforschung, und hier bekomme man<br />
immer wieder einen impliziten Auftrag. Denn<br />
die Befragten in den „Szenen“ interessierten<br />
sich schon dafür, sich selbst zu äußern und sich<br />
einzuordnen in ein „Bild der Zeit“, welches<br />
das Projekt für die ganze Generation entwerfe<br />
- „wo stehen sie da“. Sie hätten aber auch ein<br />
großes Interesse daran, dass man das, woran sie<br />
arbeiten, auch zur Kenntnis nehme. So werde<br />
der Wissenschaftler zum Ansprechpartner,<br />
„um das (die Bedeutung der „Szene“) in Kreise<br />
zu tragen, wo das ansonsten nicht kommuniziert<br />
wird, was sich da entwickelt“. Wenn diese<br />
Situationsbeschreibungen zutreffen, dann hat<br />
das Teilprojekt zu Kultureliten ein doppeltes<br />
Interesse an der Suche nach interessierten<br />
Teilöffentlichkeiten für ihre Forschungsergebnisse:<br />
Einmal wäre dieses Interesse motiviert<br />
durch einen eigenen „geschichtspädagogischen<br />
Impuls“, der darin bestehen kann, die „Hintergrundskulturen<br />
und Erfahrungsmuster der<br />
Eltern, die sich in spezifischen Orientierungen<br />
niedergeschlagen haben“, zu rekonstruieren<br />
und damit die Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis<br />
zu verbessern. Zum andern aber<br />
ergibt sich ein Interesse aus dem „Auftrag“<br />
der befragten Akteure selbst, ihre Äußerungen<br />
durch entsprechende Veranstaltungen und Publikationen<br />
einem größeren Publikum bekannt<br />
zu machen.<br />
Schließlich gelte es, die politische Frage zu<br />
beantworten, „weshalb sich die heutige Jugend<br />
so schwer damit tut“, eigene „politische Konzepte“<br />
zu finden. Hier zwischen herrschenden<br />
Deutungseliten und nachwachsenden Kohorten<br />
zu vermitteln sei eine zentrale Aufgabe,<br />
wofür aber Vermittlungsräume oder intermediäre<br />
Institutionen gefunden werden müssten.<br />
Bezogen auf den „Vermittlungsraum“<br />
sieht sich das Teilprojekt zu Kultureliten in<br />
dieser Frage ebenfalls herausgefordert, den<br />
„passenden“ sozialen Raum und die adäquate<br />
„Transfersituation“ zu finden. Dies hieße, auf<br />
ein öffentliches Interesse zu stoßen, das mit<br />
der Präsentation von Forschungsergebnissen<br />
„zufrieden gestellt“ werden kann.<br />
Elemente oder Aspekte dieses fünften Transfermodus<br />
werden - allerdings spezifiziert auf<br />
professionelle Handlungsfelder und Berufe -<br />
auch bei den Teilprojekten zur Kinder- und<br />
Jugendhilfe und zur Rehabilitation sichtbar,<br />
wenn versucht wird, wichtige Forschungsergebnisse<br />
wenigstens <strong>als</strong> „Reflexionswissen“<br />
oder <strong>als</strong> „Orientierungswissen“ in relevanten<br />
Praxisfeldern bekannt zu machen, um dort<br />
(wie es im Interview mit Mitarbeitern des<br />
Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe<br />
heißt) „das Deutungsarsenal zu erweitern“.<br />
Die Mitarbeiter des Teilprojekts zu lokalen<br />
politischen und administrativen Eliten sprechen<br />
in diesem Zusammenhang ebenfalls<br />
explizit von der „Produktion so genannter<br />
Orientierungshilfen“ und damit der Möglichkeit,<br />
„den Eliten Orientierungswissen an<br />
die Hand zu geben, über das, was aus unserer<br />
Sicht bedeutsam ist für die Fragen, die wir (im<br />
Projekt) stellen“. Orientierung wird in diesem<br />
Projekt aber nur in dem Sinne verstanden,<br />
dass man die Sicht der Praxis auf die<br />
Welt „erweitere“ und die Praktiker<br />
auf „wichtige, nicht bemerkte Dinge<br />
Seite page 65<br />
aufmerksam“ mache. Ähnlich heißt es<br />
auch im Interview mit Mitarbeitern<br />
des Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe<br />
hinsichtlich des Orientierungswissens, das aus<br />
soziologischer Grundlagenforschung herge-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
leitet sei: Dieses tauge für Professionelle nur<br />
<strong>als</strong> Hilfe, „sich selbst das Handlungsfeld besser<br />
erschließen zu können“. Die Teilnahme an<br />
oder die Veranstaltung von Weiterbildungen<br />
für Praktiker (hervorgehoben insbesondere<br />
von Mitarbeitern des Teilprojekts zur Rehabilitation)<br />
stellen in diesen Kontexten konkrete<br />
Formen des Aufsuchens relevanter Adressaten<br />
von Orientierungswissen in der Praxis dar.<br />
Insgesamt ergibt sich für diesen fünften Typus<br />
des Wissenstransfers das folgende Bild:<br />
• Das Thema muss <strong>als</strong> latentes in der Gesellschaft<br />
„präsent sein“, damit es in bestimmten<br />
Teilöffentlichkeiten mit Hilfe<br />
der Präsentation von Projektergebnissen<br />
manifest und zur Diskussion gestellt<br />
werden kann.<br />
• Die Forschungsmethode muss eine<br />
verstehend-interaktive sein.<br />
• Die Praxisrelevanz bezieht sich nicht auf<br />
die Lösung konkreter Probleme in der<br />
alltäglichen Praxis, sondern bezieht sich<br />
auf Formen der gesellschaftlichen und<br />
politischen „Bewusstseinserweiterung“<br />
im Sinne einer Aufklärung der sozialkulturellen<br />
Praxis.<br />
• Im Kontext spezifischer Handlungsfelder<br />
dient dieser Transferweg in erster<br />
Linie dazu, entweder beispiel-<br />
Seite page 66 haft zu wirken oder relevantes<br />
neues Orientierungswissen zu<br />
vermitteln.<br />
Transfertyp 6: Grundlagenforschung mit allgemeiner<br />
Datenpräsentation im Untersuchungsfeld.<br />
Die Forschungspraxis, die der sechsten typischen<br />
Form des Theorie-Praxis-Austausches<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zugrunde liegt, zeichnet sich dadurch<br />
aus, dass sie (wie vor allem schon bei Typ<br />
3 gesehen) Daten nicht nur erhebt, sondern<br />
auch aggregiert und dann dem untersuchten<br />
Praxisfeld und seinen Akteuren „zur Verfügung<br />
stellt“, die durch das methodische Vorgehen an<br />
das Projekt „gebunden“ sind. Deshalb muss<br />
dieser Modus seine relevanten Adressaten für<br />
die Rezeption der Forschungsergebnisse nicht<br />
aktiv suchen, wie es beim letzten Transferweg<br />
der Fall war.<br />
Einen ersten Eindruck über das Vorgehen und<br />
das Selbstverständnis in diesem Typus vermittelt<br />
uns das Interview mit Mitarbeitern des<br />
Teilprojekts zu Führungsgruppen. Hier heißt<br />
es: Das Projekt stelle deshalb seine Ergebnisse<br />
in allgemeiner Form zur Verfügung, weil es<br />
den Versuch unternehme, durch „eine objektive<br />
Datenerhebung Aufklärung über vergangene<br />
Sachverhalte“ zu betreiben. Man will damit<br />
nicht beeinflussen, sondern zur „Versachlichung<br />
von Diskussionen“ beitragen. An anderer Stelle<br />
heißt es im Interview: Praktische Bezüge bezögen<br />
sich konkret auf den öffentlichen Diskurs<br />
über den Charakter der DDR-Gesellschaft<br />
und den Umgang mit dieser Vergangenheit.<br />
Daraus resultiere eine „geschichtspädagogische<br />
Seite“ des Projekts (neben der „funktionalinstrumentellen“<br />
der Datensicherung).<br />
Aber schon auf Grund des jeweiligen methodischen<br />
Vorgehens bei der Erhebung und Analyse<br />
sehen die Mitarbeiter des Teilprojekts zum<br />
Generationswechsel im Management diesem<br />
Transferweg enge Grenzen gezogen. Denn<br />
direkte Bezüge, „<strong>als</strong>o für den einzelnen Fall<br />
spezifisch zugeschnittene Formate“, könnten
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
mit einer „dokumentarischen Methode“ nicht<br />
geliefert werden. Auf dem Wege der „deskriptiven<br />
Idiographie“ seien letztlich nur „vorsichtige<br />
Antworten“ möglich. Das Argument in diesem<br />
Teilprojekt (ähnlich wie bei den Mitarbeitern<br />
des Teilprojekts zur Beschäftigung im Wandel)<br />
für den anderen Weg einer „generalisierenden<br />
Wissensgenerierung“ ist, dass einerseits zwar<br />
an Fällen geforscht werden könne, in der Auswertung<br />
der Ergebnisse es aber dann zu einer<br />
Abstraktion und aggregierenden Zusammenfassung<br />
kommen müsse. Nach dieser Operation<br />
sei keine „direkte Umkehr des Wissensflusses“<br />
für die Spezifik bzw. Problembearbeitung<br />
des einzelnen Falles (in den Projekten zum<br />
Generationswechsel im Management und zur<br />
Beschäftigung im Wandel sind das Betriebe)<br />
mehr „zu leisten“.<br />
Positiver sehen die Mitarbeiter des Teilprojekts<br />
zu Delegationseliten das Potential dieser Form<br />
des Wissenstransfers. Für sie steht wieder die<br />
„Aufklärungsfunktion“ wirklichkeitsdeskriptiver<br />
Forschung im Vordergrund. In diesem<br />
Sinne versuchen die Mitarbeiter in diesem<br />
Teilprojekt zum Beispiel mit einer Publikation,<br />
den (untersuchten) Politikern „einen Spiegel<br />
vorzuhalten“. Dabei gehe es darum, wird uns im<br />
Interview gesagt, „den Politikern mit scharfem<br />
Blick zu zeigen, wo Diskrepanzen zwischen<br />
Selbstwahrnehmung - Rollenverständnis, Zielstellung,<br />
wichtige Entscheidungen im politischen<br />
Feld - und wissenschaftlichem Blick<br />
vorhanden sind“. Ziel sei es weiter, die (latenten)<br />
Strukturen, in denen Parlamentarier agieren,<br />
für diese wahrnehmbar zu machen: „Die<br />
Leute denken da, sie machen viel selbst, aber<br />
in Wirklichkeit gibt es eben Strukturen, die<br />
einfach mal bestehen und durchaus auch durch<br />
das politische System und die Sozi<strong>als</strong>trukturen<br />
schon vorgezeichnet sind“. An solchen Stellen<br />
bestehe dann „Aufklärungsbedarf“.<br />
Ein besonders eindringliches Beispiel für<br />
diesen Typus der Theorie-Praxis-Interaktion<br />
stellt das Teilprojekt zu Freien Wählergemeinschaften<br />
dar. Schon zu Beginn der Untersuchung<br />
in diesem Teilprojekt fiel den Mitarbeitern<br />
„ein großes Interesse der kommunalen<br />
Wählergemeinschaften (KWG) auf, sich zum<br />
Objekt der Forschung machen zu lassen, weil<br />
sie noch nicht Gegenstand von Forschung<br />
waren“. Es bestehe ein großes Interesse an den<br />
Befunden, es gebe konkrete Rückfragen von<br />
Mandatsträgern der KWG. Beispielsweise<br />
wurden diese gebeten, ihre Wahlprogramme<br />
dem <strong>SFB</strong>-Projekt zuzuschicken, was sie gleich<br />
zum Anlass genommen hätten, noch mehr<br />
Informationen zur Wahlvorbereitung zur Verfügung<br />
zu stellen. Auch wäre das Projekt überrascht<br />
gewesen, dass die KWG den Forschern<br />
mit Anfragen „zuvorgekommen“ wären, ob<br />
man nicht ein Interview mit ihnen machen<br />
wolle. Auf das große Interesse hin präsentierte<br />
das Projekt die ersten Ergebnisse auf 10 bis<br />
15 Seiten „abgekocht“. Da es die Größe der<br />
Studie verbiete, Beteiligten (in der ersten<br />
Befragung wurden 3.500 Ratsmitglieder einbezogen)<br />
ein Heft zuzusenden, habe man ein<br />
Online-Dokument erstellt, das per e-mail zugeschickt<br />
werde. Die „abgekochte“ Präsentation<br />
sei zwar allgemein gehalten, aber doch so<br />
aufbereitet, dass die KWG mit den Ergebnissen<br />
„etwas anfangen könnten“.<br />
Seite page 67<br />
Das Teilprojekt zur Beschäftigung im<br />
Wandel schickt „seinen Betrieben“<br />
alle zwei Jahre einen Bericht über zentrale<br />
Ergebnisse, „allerdings ohne explizite Anweisungen,<br />
wie die betriebliche Praxis verbessert
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
werden kann“. Diese Berichte hätten deshalb<br />
eher den Charakter einer allgemeinen<br />
Problembeschreibung des Handlungsfelds.<br />
Welche Schlüsse die Unternehmen aus diesen<br />
Ergebnissen ziehen, sei zuerst einmal „deren<br />
Sache“. Denn nur allgemeine Parameter einer<br />
erfolgreichen Innovation oder Organisation<br />
von Unternehmen würden „zurückgespiegelt“.<br />
In einem solchen Ergebnisbericht - das wurde<br />
bereits erwähnt - können Forschungsergebnisse<br />
nicht „fallspezifisch organisiert“ sein. So<br />
dass sich jeder untersuchte Betrieb das für ihn<br />
Relevante „jeweils herausziehen“ müsse. Dies<br />
habe für den Theorie-Praxis-Austausch wiederum<br />
zur Konsequenz, dass einerseits die Herausforderung<br />
der Betriebe darin bestehe, mit<br />
den wissenschaftlichen Ergebnissen autonom<br />
verfahren zu können, ohne dass ein Dritter<br />
(von Außen: zum Beispiel Unternehmensberater)<br />
Hilfestellung leisten muss und damit die<br />
ursprünglichen Intentionen des praktisch Interessierten<br />
„verfälscht“ werden. Andererseits<br />
sei mit dieser Herausforderung die Gefahr<br />
verbunden, dass die Übersetzungsleistung von<br />
allgemeinem wissenschaftlichem Wissen in<br />
betrieblich relevantes Wissen von letzteren<br />
selbst erbracht werden müsse. Darüber hinaus<br />
könne offen bleiben, ob diese Situation und<br />
eine solche Anforderung im Einzelfall „von<br />
Nutzen oder eine Zumutung“ seien.<br />
Auch die Arbeitsgruppe im Teilprojekt zu<br />
Personaldienstleistungen erarbeitete<br />
eine Broschüre mit den wichtigsten<br />
Seite page 68 Ergebnissen der Untersuchung, die<br />
an jene der befragten Experten verschickt<br />
wurde, die dies wünschten.<br />
Des Weiteren werde ein Großteil der Auswertungen<br />
auf der Homepage des Lehrstuhls<br />
veröffentlicht und könne dort jederzeit eingesehen<br />
werden. Das ist dann im Wesentlichen<br />
der Modus, mit dem bei dieses Teilprojekt der<br />
Transferweg der Forschungsergebnisse in die<br />
Praxis über den „Aufstieg“ vom Besonderen<br />
zum Allgemeinen gestaltet wird.<br />
Die wichtigsten Elemente dieses sechsten<br />
Transfertyps der Forschungsergebnisse sind:<br />
• Die Grundoperation dieser Form der<br />
Wissensvermittlung für die untersuchte<br />
Praxis besteht in der Datenaggregation.<br />
• Die Rezeption der Ergebnisse hängt von<br />
der „Auffassungsgabe“ der Praktiker im<br />
Feld ab.<br />
• Das methodische Vorgehen stellt einen<br />
Gang vom Besonderen zum Allgemeinen<br />
dar und kann deshalb nicht in einem engeren<br />
Sinne „fallspezifisch“ sein.<br />
• Die Praxisrelevanz muss von den Praktikern<br />
im Untersuchungsfeld selbst „erzeugt“<br />
werden.<br />
Transfertyp 7: Grundlagenforschung mit eigener<br />
„Übersetzung“ relevanter Ergebnisse für die Praxis.<br />
Dieser Weg des Transfers wissenschaftlichen<br />
Wissens aus dem Sonderforschungsbereich<br />
in die Praxis teilt mit dem vorhergehenden<br />
das zentrale Element, dass die Adressaten der<br />
Wissensübermittlung die Akteure im Untersuchungsfeld<br />
selbst sind. Die Besonderheit<br />
besteht bei diesem Typus des Wissenstransfers<br />
vor allem darin, dass die Forschenden große<br />
Anstrengungen unternehmen, die wichtigsten<br />
Ergebnisse der Analysen für die Praxis<br />
in deren „Sprache“ und Relevanzsystem zu<br />
„übersetzen“. Allerdings ist die „Zielgruppe“
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
durch die Anlage und die Durchführung der<br />
Projektarbeiten „gegeben“ und muss nicht erst<br />
„aktiviert“ werden.<br />
Bei diesem Typus ist zunächst das allgemeine<br />
„Übersetzungsproblem“ anzusprechen, das<br />
jedes Forschungsprojekt im Rahmen von<br />
Öffentlichkeitsarbeit und populären Publikationen<br />
hat. Hierzu erläutern die Mitarbeiter<br />
aus dem Teilprojekt zum Arbeitsmarkt im<br />
öffentlichen Sektor: Übersetzungsprobleme<br />
beim Wissenstransfer ergäben sich schon daraus,<br />
„weil man sich auf die Sprachlogik von<br />
Praxis einlassen muss“. Diese Sprachlogik sei<br />
einerseits „unterkomplex“, weil strukturell eng<br />
begrenzt, andererseits aus Gründen des breiten<br />
Fach- und Faktenwissens von Praktikern aber<br />
auch „überkomplex“. Man müsse sich in dieser<br />
Situation überlegen, was man der Praxis „bieten<br />
könne“, und müsse versuchen, je nach „Rezipient“<br />
oder Praxisfeld „andere Sachen in den<br />
Vordergrund zu rücken“. Dabei sei den Projektmitarbeitern<br />
klar, dass sie im Zusammenhang<br />
ihrer Forschungstätigkeit den Anforderungen<br />
verschiedener Rollen zu genügen hätten. So<br />
sagt einer der Befragten: „Ich versuche (in<br />
diesem Kontext) die verschiedenen Rollen zu<br />
lernen. Zum Beispiel den Umgang mit Presse<br />
und Medien muss man lernen. Da darf man<br />
nicht naiv sein. Man muss sich hier vorher sehr<br />
genau überlegen, wie sieht jeder Satz aus, den<br />
ich sage. Dann hängt das auch vom Forum<br />
ab. Man muss immer übersetzen. Man muss<br />
im Forschungsprojekt immer von der offenen<br />
Forschungsfrage ausgehend die Ergebnisse<br />
übersetzen. Bei Tagungen mit anderen Disziplinen<br />
muss wieder anders übersetzt werden.<br />
Zum Beispiel mit Politikwissenschaftlern oder<br />
Politikern, die auf bestimmte Sachen, die sie<br />
hören wollen, geeicht sind.“<br />
Doch ist das Übersetzungsproblem von<br />
Projektwissen für die Praxis und deren<br />
unterschiedliche Relevanzsysteme und Interessenmuster<br />
zu allgemein, <strong>als</strong> dass es einen<br />
besonderen Transfertypus charakterisieren<br />
könnte. Zu einem besonderen Modus mit<br />
einem besonderen Transferweg wird die<br />
Anlage eines Projekts hier, wenn sich die<br />
„Übersetzung“ der Forschungsergebnisse auf<br />
das spezifische untersuchte Praxisfeld und<br />
seine spezifischen Akteure konzentriert. Wir<br />
führen zur besseren Charakterisierung einige<br />
paradigmatische Aussagen aus dem Gespräch<br />
mit Mitarbeitern des Teilprojekts zu prekärer<br />
Beschäftigung an, das hier einen Schwerpunkt<br />
seiner Arbeit sieht. Denn es heißt an einer<br />
Stelle im Interview: „Priorität haben natürlich<br />
wissenschaftliche Publikationen, aber das<br />
kann es nicht alleine sein. Man muss auch<br />
die Ergebnisse alltagstauglich vermitteln“.<br />
Als Vehikel dieser Übersetzung szientifischen<br />
Wissens in „alltagstaugliches“ dienen nach<br />
Aussage des Projekts insbesondere Expertengespräche<br />
und Workshops. So „nützten“ diese<br />
Expertengespräche dem direkten Wissensaustausch<br />
in dem Maße, wie eine „Wechselwirkung“<br />
stattfinde. Die Experten seien „keine<br />
Versuchskaninchen“, das „sind Experten<br />
ihrer Selbst und das nehmen wir sehr ernst.<br />
Ich liefere nicht nur Wissen (von Projektseite),<br />
sondern auch die liefern von sich aus<br />
(eigene) Interpretationen“. Bei einem solchen<br />
Vorgehen der „Wechselwirkung“ im<br />
Theorie-Praxis-Austausch ist es<br />
auch plausibel anzunehmen, dass die<br />
untersuchte Praxis - <strong>als</strong> gleichsam inkludierte<br />
- an den Projektergebnissen<br />
interessiert ist.<br />
Die Mitarbeiter im Teilprojekt zum Generati-<br />
Seite page 69
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
onswechsel im Management zeigen Grenzen<br />
dieser Form der „Wechselwirkung“ auf, wenn<br />
sie davon sprechen, dass die praktische Relevanz<br />
ihres Forschungsinteresses vor allem<br />
in der Gesprächssituation selbst liege. (Diese<br />
Aussage bezieht sich nicht explizit auf Gadamer.)<br />
Der praktische Effekt sei in diesem Sinne<br />
gerade die Herstellung einer „erzwungenen“<br />
Reflexion der eigenen Perspektive im Verhältnis<br />
zu anderen. Allerdings würden in diesem<br />
Gespräch auch die Grenzen dieser diskursiven<br />
Form des Wissenstransfers angesprochen:<br />
Erstens sollten direkte Bezugnahmen der<br />
Forscher zu konkreten praktischen Problemen<br />
vermieden werden, denn das sei Aufgabe von<br />
Consulting, zweitens würde es die unabhängige<br />
„Nutzenebene“ der Praxis und die „Umwegsproblematik“<br />
des Wissenstransfers von<br />
sich aus verbieten, dauerhafte Diskurse mit<br />
den Untersuchten „einzurichten“ (wie es für<br />
nachhaltige Beratungsprozesse typisch sei).<br />
Exkurs: Formen von Praxisberatung im Bereich<br />
des Teilprojekts zu prekärer Beschäftigung.<br />
Näher an die Praxis „gerückt“ <strong>als</strong> die große<br />
Mehrzahl der Projekte im Sonderforschungsbereich<br />
sieht sich das Teilprojekt zu prekärer<br />
Beschäftigung. Um möglichst viele „Zielgruppen“<br />
zu erreichen, werden von ihm die Veranstaltungen<br />
entsprechend variiert. Während bei<br />
Expertengesprächen der wechselseitige Austausch<br />
von Wissen und Informationen<br />
hervorgehoben wird, steht bei Work-<br />
Seite page 70 shops der Transfergedanke von Forschungsergebnissen<br />
in die Praxis im<br />
Vordergrund: Relevante Forschungsergebnisse<br />
sollten genutzt werden, heißt es im<br />
Interview, „um Ergebnisse vorzustellen, aber<br />
auch, um auf erfolgreiche Praktiken hinzuweisen,<br />
sprich im entferntesten Sinne Beratung<br />
der Praktiker zu leisten“. Um dieses Vorgehen<br />
verständlich zu machen, wird uns im Interview<br />
folgendes Beispiel erzählt: Eine ARGE, die<br />
man im Rahmen der Erhebung besuchte, habe<br />
„eine ganz spezifische Form von Transparenz.<br />
Und zwar unterscheidet die sich sehr stark von<br />
den allgemein üblichen ARGE-Strategien. Es<br />
stehen zum Beispiel auf der Homepage alle<br />
Mitarbeiter mit Telefonnummer und Zimmernummer,<br />
man kann die <strong>als</strong>o jederzeit anrufen,<br />
jede Person von außen. Das ist bei einer<br />
ARGE in vielen Fällen nicht möglich. Da gibt<br />
es keine Telefonnummer, die sind geheim. Es<br />
läuft alles über Call-Center. Und dieses Fehlen<br />
von Transparenz wird <strong>als</strong> unglaublich negativ<br />
eingeschätzt, <strong>als</strong> Burg-Mentalität verstanden,<br />
<strong>als</strong> Abschottung. Die Idee, Serviceeinrichtung<br />
zu sein, kundenfreundlich zu sein, wird dadurch<br />
ins Gegenteil verkehrt - zumindest in<br />
der Wahrnehmung der Kunden. Es wäre zum<br />
Beispiel ein Ergebnis (der Untersuchung), das<br />
man beratend weitergeben könnte.“ Allerdings<br />
legten die Mitarbeiter des Projekts zu prekärer<br />
Beschäftigung großen Wert darauf, sich mit<br />
dem alltagstauglichen Vermitteln der Ergebnisse<br />
von Organisationsberatung klar zu unterscheiden.<br />
Ergebnisse könnten und würden - das<br />
ist das generelle Spezifikum dieses Transferwegs<br />
- nur an die Kooperationspartner aus der<br />
Praxis „zurückgegeben“ werden. Der jeweiligen<br />
ARGE bzw. den kommunalen Trägern könnte<br />
man etwas sagen, zum einen aus der Sicht des<br />
Projekts, aber auch etwas „zur Sichtweise ihrer<br />
Kunden“. Ähnlich sei es bei den Trägern und<br />
Vermittlern von Ein-Euro-Jobs. Den reinen<br />
Beratungsinstitutionen, „<strong>als</strong>o den Anlaufstellen<br />
für die Kunden“, schließlich könnte das Projekt<br />
sagen, „wo diese Leute überhaupt hingehen,<br />
wo muss man deshalb seine Informationen
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
platzieren, damit diese die Kunden und nicht<br />
nur die Insider wahrnehmen“. So heißt es zu<br />
dieser Sequenz abschließend im Interview:<br />
„Wir können (<strong>als</strong>o) zu den unmittelbaren Akteuren<br />
in diesem Prozess etwas sagen, die mit<br />
den Kunden zu tun haben.“<br />
Einen Schritt näher zum Beratungsfeld steht<br />
das Teilprojekt zu Bewältigungsressourcen<br />
hinsichtlich sozialen Wandels mit dem Ziel,<br />
am Ende der Analysephase „Informationen,<br />
Technologien, Wissen, Empfehlungen“ bereitzustellen,<br />
die dann von der Praxis unmittelbar<br />
benützt werden könnten. Hier ist für diesen<br />
Transfertypus wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
die Grenze zum Consulting erreicht.<br />
Eine solche Grenze wird auch vom Leiter<br />
dieses Teilprojekts markiert und auf eine für<br />
das Selbstverständnis der Arbeitsgruppe instruktiven<br />
Weise charakterisiert: Das Ziel des<br />
Projekts sei es, eine wissenschaftliche Beratung<br />
im Unterschied zu kommerzieller Beratung zu<br />
leisten. Diese Beratungsform wäre aber auch<br />
in dem Sinne eine „Beratung aus erster Hand“,<br />
weil sie sich auf konkrete und aktuelle Forschung<br />
stützt, während die Wissensbasis von<br />
Organisations- und Unternehmensberatung<br />
vielfach auf der „Zweit- und Drittverwertung“<br />
nicht mehr ganz aktueller Konzepte und nicht<br />
konkret auf die in Rede stehende Problematik<br />
bezogener Lösungsansätze beruhe.<br />
Wir stellen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />
dieses siebten Transferwegs abschließend heraus:<br />
• Aufgrund der Anlage der Erhebung und<br />
der Durchführung der Analyse besteht<br />
eine Beziehung zu konkreten, interessierten<br />
Kooperationspartnern in der Praxis.<br />
• Für deren Bedürfnisse und Interessen<br />
- sowohl aus Sicht der Wissenschaft<br />
<strong>als</strong> auch aus Sicht der Akteure im Untersuchungsfeld<br />
- werden die Ergebnisse<br />
aufbereitet.<br />
• Für diese Form des Theorie-Praxis-<br />
Austausches ist es hilfreich, spezifische<br />
Gesprächsforen zu finden, in denen eine<br />
Dialogsituation konstituiert wird.<br />
• Eine Gefahr für die professionelle<br />
Sozialforschung in einem Sonderforschungsbereich<br />
besteht bei dieser Form<br />
des Transfers darin, dass sozialtechnokratische<br />
Impulse die Oberhand gewinnen<br />
und die Werturteilsfreiheit der sozialwissenschaftlichen<br />
Forschung durch das<br />
Übergewicht unmittelbar praktischer,<br />
„parteiischer“, Interessen in den Hintergrund<br />
tritt.<br />
Transfertyp 8: Grundlagenforschung mit konkreter<br />
Theorie-Praxis-Rückkopplung. Die letzte,<br />
achte Form der Wissensvermittlung zwischen<br />
Theorie und Praxis schließt an den vorigen<br />
Typus an. Jedoch bezieht sich die dialogische<br />
Beziehung zwischen Forschungsprojekt<br />
und untersuchter Praxis nicht nur auf die<br />
Erhebungssituation, sondern umfasst auch<br />
das generelle methodische Vorgehen in den<br />
Teilprojekten, die rekonstruktionslogische<br />
und fallverstehende Methoden zur<br />
Grundlage ihrer Forschungsarbeit<br />
machen. Der Transfermodus der<br />
Seite page 71<br />
Forschungsergebnisse ist hier wegen<br />
des fallrekonstruktiven Verfahrens<br />
integriert in einen kontinuierlichen Austausch<br />
zwischen Forschenden und Akteuren im untersuchten<br />
Praxisfeld.
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Einen ersten Hinweis auf die Bedeutung der<br />
fallrekonstruktiven Anlage der Forschungsarbeiten<br />
finden wir im Gespräch mit Mitarbeitern<br />
des Teilprojekts zum Fachkräftemangel.<br />
Dort führen die befragten Mitarbeiter aus,<br />
dass Juristen, deren berufliche Praxis durch<br />
die professionelle Bearbeitung von Fällen<br />
geprägt wird, „einen sehr gut eingespielten<br />
Prozess der Umsetzung von Erkenntnissen<br />
in handlungsrelevante Normen“ besäßen. Die<br />
könnten sich „gar nicht vorstellen, dass Forschung<br />
nicht handlungsrelevant“ sein könne.<br />
Bei den Soziologen sei „das weniger der Fall“.<br />
Die Befragten in diesem Teilprojekt leiten<br />
daraus die Notwendigkeit einer „Projektförmigkeit“<br />
der Sozialforschung ab. Im Kontext<br />
dieses letzten Transferwegs bedeutet dann<br />
„Projektförmigkeit“ nicht nur einen konkreten<br />
Bezug zur Praxis und eine gewisse Dauer und<br />
Tiefe der Analyse, sondern die Untersuchung<br />
von Fällen <strong>als</strong> individuellen und kollektiven<br />
Handlungseinheiten. Im Teilprojekt zur Kinder-<br />
und Jugendhilfe zum Beispiel können<br />
Fälle einzelne Klientinnen und Klienten, Familien,<br />
Einrichtungen (wie Beratungsstellen<br />
oder Heime), Trägerorganisationen (vor allem<br />
Jugendämter oder freie Wohlfahrtsverbände)<br />
sein. Das fallrekonstruktive Verfahren ist deshalb<br />
geeignet, eine dauerhafte und intensive<br />
Form des Austausches zwischen Theorie und<br />
Praxis zu initiieren.<br />
Das Kriterium der Dauer erfüllt<br />
auch eine Panelbefragung, wie sie<br />
Seite page 72 in einigen Projekten im A- und<br />
B-Bereich durchgeführt werden.<br />
Doch dieses Vorgehen erfüllt nicht<br />
das Kriterium der Intensität, wie das Beispiel<br />
des offenen Interviews zeigt. Die Bedeutung<br />
dieser Interviewform wird zwar in zahlreichen<br />
Gesprächen angedeutet - jedoch zumeist nur<br />
im Kontext der Vorbereitung der „eigentlichen“<br />
Erhebung im Sinne von: Praktiker regen<br />
zum Nachdenken an. So führen beispielsweise<br />
die Mitarbeiter des Teilprojekts zum Generationswechsel<br />
im Management aus, befragte<br />
Praktiker „fungierten <strong>als</strong> Stichwortgeber“, aber<br />
der „eigentliche Diskurs über die Relevanz<br />
der Forschungsergebnisse“ finde in der Forschergemeinschaft,<br />
„unter Soziologen“ statt.<br />
Aus diesen methodischen Überlegungen und<br />
Feststellungen zum Theorie-Praxis-Austausch<br />
ziehen wir deshalb für den hier explizierten<br />
Transferweg den Schluss: Ein dauerhafter und<br />
symmetrischer Austausch findet erst im Kontext<br />
fallrekonstruktiver Sozialforschung statt.<br />
In „Reinkultur“ findet sich ein solcher Theorie-<br />
Praxis-Austausch beim Teilprojekt zur Kinderund<br />
Jugendhilfe, wenn regelmäßig (ein Mal<br />
im Jahr) Fallbesprechungen von Mitarbeitern<br />
des Forschungsprojekts und Praktikern aus<br />
den kooperierenden Jugendämtern gemeinsam<br />
durchgeführt und damit drei Zwecke auf ein<br />
Mal realisiert werden: (1) Es werden Daten<br />
zum Thema professionelles Handeln generiert,<br />
wenn zum Beispiel Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Diensts<br />
im Jugendamt gebeten werden, einen schwebenden<br />
Fall der Kindeswohlgefährdung in der<br />
Fallbesprechung vorzustellen. (2) Dann werden<br />
Daten zu den Klienten generiert, die im Erhebungsschema<br />
„gemeinsame Fallbesprechung“<br />
dichter und unmittelbarer zugänglich werden<br />
<strong>als</strong> im Interview. (3) Schließlich wird diese<br />
Form der Veranstaltung von den Teilnehmenden<br />
<strong>als</strong> Fortbildung (Fallsupervision im Team)<br />
gerahmt, und damit <strong>als</strong> eine Veranstaltung, die<br />
im Bereich der Professionen <strong>als</strong> regelmäßige,<br />
berufsbegleitende Weiterbildung üblich ist.<br />
Die letztgenannte Komponente setzt allerdings
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
voraus, dass die Projektmitarbeiter Erfahrung<br />
<strong>als</strong> Fallsupervisoren in einschlägigen Praxisfeldern<br />
haben. An dieser Stelle grenzt der<br />
Theorie-Praxis-Austausch an ein Konzept der<br />
Klinischen Soziologie (Hildenbrand 1999a).<br />
Dieses Vorgehen ist nur im Bereich professionellen<br />
Handelns einerseits, hermeneutischer<br />
Sozialwissenschaft andererseits möglich, <strong>als</strong>o<br />
in Kontexten, die dadurch gekennzeichnet<br />
sind, dass Allgemeines und Besonderes in<br />
der Beschäftigung mit dem einzelnen Fall<br />
zusammenfließen (Oevermann 2000, Welter-<br />
Enderlin und Hildenbrand 2004). Daher<br />
erstaunt auch nicht, dass außer dem Teilprojekt<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe nur noch die<br />
Mitarbeiter des Projekts zur Rehabilitation von<br />
diesem Vorgehen berichten. So formuliert ein<br />
Mitarbeiter des Teilprojekts zur Kinder- und<br />
Jugendhilfe: Die Ergebnisse der fallrekonstruktiven<br />
Forschung seien immer irgendwie in<br />
praktische Relevanzsysteme übersetzbar. „Man<br />
muss nur so vorgehen, dass man den soziologischen<br />
Jargon vermeidet. Dann kann man<br />
die Ergebnisse in beiden Kontexten, dem<br />
soziologischen und dem professionellen, verwenden<br />
- nur der Verwendungszusammenhang<br />
ist ein völlig anderer“.<br />
Wenn aber im hermeneutischen Fallverstehen<br />
„eine gemeinsame Sprache“ von Forschern und<br />
Praktikern gegeben ist, dann ist der nächste<br />
Schritt, die gemeinsame Formulierung relevanter<br />
Forschungsthemen, erwartbar. Dies lässt<br />
sich anhand einer Präsentations- und Diskussionsveranstaltung<br />
mit Sozialdezernenten und<br />
Amtsleitern aus den untersuchten Kreisgebieten,<br />
in der Forschungsergebnisse des <strong>SFB</strong>-<br />
Projekts vorgestellt wurden, veranschaulichen:<br />
„Wir haben unsere Ergebnisse im September<br />
(2007) den Leitern vorgestellt, die uns dann<br />
zurückgespiegelt haben, wie unsere Ergebnisse<br />
bei ihnen ankommen und was sie glauben,<br />
was wichtig wäre - was dann, ohne dass wir<br />
uns zum Büttel der Praxis machen lassen, Eingang<br />
gefunden hat in unser neues Design (für<br />
die dritte Bewilligungsphase). Wobei ich das<br />
nicht <strong>als</strong> ein unbedingtes Muss ansehe, dass<br />
jetzt unbedingt die gesellschaftliche Praxis<br />
alle Probleme sieht und angeben kann, welche<br />
zu bearbeiten sind. Das sehen wir Soziologen<br />
manchmal besser.“<br />
Aber auch Projekte, die nicht dem hermeneutischen<br />
Paradigma verpflichtet sind,<br />
sprechen diesen Punkt des „Wissenstransfers<br />
<strong>als</strong> Rückkoppelung“ an. So berichten die<br />
befragten Mitarbeiter des Teilprojekts zu<br />
Personaldienstleistungen, dass ihre Forschung<br />
vor allem bei den qualitativen Interviews Hinweise<br />
bekomme: „Welche Wirkung, welche<br />
Effekte der beiden Marktseiten da sind, was<br />
für die Praxis relevant ist. Das wird dann <strong>als</strong><br />
inhaltlicher Baustein bei der Theorieentwicklung,<br />
beim Theorieentwurf genommen“. Auch<br />
die Mitarbeiter des Teilprojekts zu prekärer<br />
Beschäftigung berichten im Interview, dass<br />
sie zum Beispiel die befragten Experten „sehr<br />
ernst nehmen“. Und weiter heißt es: „Ich<br />
möchte nicht nur Wissen von denen haben,<br />
sondern auch die liefern von sich aus Interpretationen<br />
oder diskutieren mit uns Ergebnisse<br />
in den Interviews und geben hilfreiche<br />
Anregungen. Unsere Modelle<br />
und Theorien werden dadurch immer<br />
Seite page 73<br />
wieder geschärft.“ Aber, so heißt es<br />
auf Nachfrage unsererseits, „man<br />
muss natürlich auch gucken, dass man die<br />
Deutungshoheit über seine Ergebnisse behält.<br />
Und da steckt eine gewisse Gefahr dahinter“.
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Diese Gefahr sehen die Mitarbeiter des<br />
Teilprojekts zur Kinder- und Jugendhilfe <strong>als</strong><br />
methodisch „beherrschbar“ an. „Zwar“, so lautet<br />
eine einschlägige Stelle im Interview, „zerlegen<br />
mir die Praktiker manchmal dermaßen<br />
unsere Hypothesen, dass ich dann ordentlich<br />
Mühe habe, sie wieder zusammenzusetzen.<br />
Aber wenn wir eine Hypothese mit der Praxis<br />
konfrontieren, ist das keine Betroffenenvalidierung<br />
oder was es sonst für Unsinn gibt in<br />
der so genannten Aktionsforschung. Mir kann<br />
keine Landfrau sagen, ob ich richtig liege mit<br />
meinen Hypothesen oder nicht. Sondern die<br />
Landfrau kann mir Fragen stellen, ans Material<br />
Fragen stellen, die mich provozieren, mein<br />
Material unter anderem Licht zu sehen. Und<br />
auf diese Weise gibt sie mir den Auftrag: Also<br />
da musst du noch mal genauer drüber nachdenken.“<br />
Das sei dann schon ein wichtiger<br />
Vermittlungsschritt, aber dass man - wie es in<br />
„vielfach aufgelegten“ Lehrbüchern der Qualitativen<br />
Sozialforschung heiße - mit seinen<br />
Ergebnissen zu den betreffenden Akteuren<br />
gehen solle, die diese Ergebnisse validieren,<br />
erscheint dem befragten Mitarbeiter „lächerlich“<br />
Dem gegenüber besage „discovery of a<br />
grounded theory“ (der methodische Leitfaden<br />
im Projekt zur Kinder- und Jugendhilfe) im<br />
Kern, „dass die Datenerhebung gemeinsam<br />
wächst mit ihrer Datenanalyse und dass aus<br />
den schrittweise entstehenden Ergebnissen<br />
der Analyse folgt, was ich <strong>als</strong> nächstes zu erheben<br />
habe. Und manchmal funktioniert<br />
das im Austausch mit der Praxis,<br />
Seite page 74 indem man der Praxis so erzählt, was<br />
man macht, welcher Idee man gerade<br />
auf der Spur ist, und dann sagen die:<br />
Oh, da hätten wir noch eine Idee, was Sie<br />
machen könnten. Und schon ist man in einem<br />
wechselseitigen Mikrosteuerungsprozess des<br />
Forschungsgeschehens. Was jetzt, wenn man<br />
das mit einem konventionellen Methodologen<br />
diskutieren würde, natürlich sofort erhebliche<br />
Probleme der Neutralität, der Distanz und<br />
der Variablenkontrolle und so was aufwerfen<br />
würde“. „Mikrosteuerung“ bedeute in dieser<br />
Sichtweise, Empfehlungen aus der Praxis zu<br />
folgen, „ohne unsere Generallinie“ zu verlassen.<br />
„Wir sitzen schon noch am Ruder. Aber die<br />
Feinkalibrierung des Kompasses beispielsweise,<br />
die diskutieren wir mit den Leuten, die wir<br />
untersuchen“.<br />
Das Bisherige zusammenfassend, stellen wir<br />
fest, dass im Wissenstransfer das Teilprojekt<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe zunächst in zwei<br />
Schritten vorgeht. Der erste Schritt besteht<br />
im Austausch der Ergebnisse mit verantwortlichen<br />
Leitungskräften. Im zweiten Schritt<br />
werden dann auf dieser Ebene die Fragen<br />
diskutiert, „welche Fortbildungsmaßnahmen<br />
ein Allgemeiner Sozialer Dienst im Jugendamt<br />
braucht, um dem Personal auf die Sprünge zu<br />
helfen“, <strong>als</strong>o „Fortbildungsanstöße zu geben“<br />
(wie es ähnlich im Interview mit Mitarbeitern<br />
des Projekts zur Rehabilitation heißt). Das ist<br />
wichtig, weil Praktiker nach allgemeiner Erfahrung<br />
im <strong>SFB</strong> immer „Neues“ hören wollen.<br />
Dies hebt aber weiter auf den Gesichtspunkt<br />
der möglichen Prognostik ab. Da man Soziologie<br />
auch <strong>als</strong> „Krisenwissenschaft“ verstehen<br />
könne, so eine Aussage wieder aus dem Interview<br />
mit Mitarbeitern des Teilprojekts zur<br />
Kinder- und Jugendhilfe, gehe Sozialforschung<br />
immer mit gesellschaftlichen Problemdiagnosen<br />
einher. „Natürlich stellen wir Diagnosen.<br />
Wir machen keine Fallbeschreibung, sondern<br />
eine Fallrekonstruktion - und das heißt: eine<br />
Diagnose“. Aus einer Diagnose, die strukturelle<br />
Gründe für praktische Probleme im
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
untersuchten Handlungsfeld expliziert, folge<br />
deren Prognosekraft. Die Begründung hierfür<br />
lautet: „Weil Strukturen eine bestimmte Dauer<br />
haben - sonst wären es keine Strukturen - ist<br />
es möglich, Entwicklungen in die Zukunft zu<br />
verlängern. Weil aber die Welt eine Welt im<br />
Wandel ist, sind das Diagnosen bis auf weiteres.<br />
Von daher ist die Prognosefähigkeit der<br />
Soziologie definitiv eingeschränkt.“ Klare Aussagen<br />
könne sie „am besten noch in Statistiken,<br />
Grafiken und Schaubildern organisieren“.<br />
Diese stoßen nach einer generellen Erfahrung<br />
im Sonderforschungsbereich regelmäßig auf<br />
großes Interesse in der Praxis. Ihre Prognosekraft<br />
ist aber deutlich eingeschränkt.<br />
Wenn Forschungsergebnisse so nahe mit praktischen<br />
Problemlagen „zusammenhängen“,<br />
wird jedoch nicht nur die Klarheit, sondern<br />
auch die Neutralität, die Webersche Werturteilsfreiheit<br />
zu einer „reflexionspflichtigen“<br />
Frage. Wenn Soziologie - und das gilt gerade<br />
auch für fallrekonstruktive Sozialforschung -<br />
Orientierungswissen für die Praxis „erzeuge“,<br />
dann solle sie nicht vorschreiben, was in der<br />
Praxis zu tun sei. Besser wäre es zu versuchen,<br />
eine „Landkarte“ des Problemfelds <strong>als</strong> praktische<br />
Orientierungshilfe zu zeichnen. Diese<br />
Einstellung vertritt die große Mehrzahl der<br />
Projekte im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong>,<br />
jedenfalls alle, die im Kern oder überwiegend<br />
fallrekonstruktiv arbeiten (das sind in erster<br />
Linie die Teilprojekte zur Kinder- und Jugendhilfe,<br />
zum Bürgerschaftlichen Engagement und<br />
zur Rehabilitation). So heißt es exemplarisch<br />
im Interview mit Mitarbeitern des Teilprojekts<br />
zur Kinder- und Jugendhilfe: „Mit dem, was<br />
wir (an Forschungsergebnissen) entwickelt haben,<br />
kann man sich das Feld besser erschließen.<br />
Aber wo der Weg hin gehen soll in der Kinder-<br />
und Jugendhilfe, ist eine Wertentscheidung<br />
und entzieht sich der wissenschaftlichen<br />
Einflussnahme. So würde das Max Weber<br />
formulieren, und wir sind ebenfalls dieser<br />
Auffassung.“ Aber „ganz so simpel“ sei es mit<br />
der Neutralität im Wissenstransfer auch nicht.<br />
Denn engagiert in der Diskussion, im Vortrag<br />
zu sein und gleichzeitig an der Sache oder<br />
am Material zu bleiben, komme bei der Praxis<br />
besser an, <strong>als</strong> wenn man einen nüchtern-distanzierten<br />
Vortrag halte. Jedoch benötige man<br />
<strong>als</strong> Soziologe klare theoretische Maßstäbe in<br />
Bezug auf professionelles Handeln und müsse<br />
berücksichtigen, „was Howard Becker gesagt<br />
hat im Schlusskapitel von ‚Außenseiter’: Wir<br />
stehen umso besser auf der Seite der Entrechteten,<br />
je nüchterner wir ihre Lage betrachten.<br />
Und wir helfen den Entrechteten überhaupt<br />
nicht, wenn wir umstandslos und blindlings<br />
für sie Partei ergreifen. Und das sehe ich für<br />
unser <strong>SFB</strong>-Projekt auch so.“ 7<br />
Wir fassen die wichtigsten Gesichtspunkte<br />
dieser letzten Form des Wissenstransfers im<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zusammen:<br />
• Die Forschungsergebnisse stoßen von<br />
Beginn an auf Interesse, weil die Projektarbeiten<br />
- aus Gründen des Erkenntnisinteresses<br />
und der methodischen Anlage<br />
<strong>als</strong> qualitative - informelle Kooperationsformen<br />
oder formale Kooperationsvereinbarungen<br />
mit Akteuren<br />
und Institutionen der Praxis<br />
voraussetzen. Darauf würden<br />
Seite page 75<br />
sich die Akteure in der Praxis<br />
nicht einlassen, wenn sie nicht<br />
ein eigenes Interesse an der Forschung<br />
und ihren Ergebnissen hätten.
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
• Eine so verfahrende Forschung muss von<br />
Beginn an dieses Eigeninteresse im Blick<br />
haben und sich darauf einrichten, ihm<br />
in einer Weise zu entsprechen, die dem<br />
Anliegen der Forschung gerecht wird.<br />
• Der Wissenstransfer konzentriert sich<br />
auf die Kooperationspartner im Projekt.<br />
Weil aber die rekonstruierten Strukturgesetzlichkeiten<br />
nicht nur fallspezifisch<br />
sind, sondern am Fall entwickelt auf<br />
allgemeine Themen verweisen, kann ein<br />
Transfer über die konkreten Kooperationspartner<br />
im Feld hinaus an größere<br />
Gemeinschaften, zum Beispiel an Fachverbände,<br />
erfolgen.<br />
• In dem Maße, wie durch die Fallrekonstruktion<br />
die wesentlichen Elemente<br />
einer praktischen Problemlage expliziert<br />
werden, vermag die Forschung den Wissenstransfer<br />
um prognostische Einschätzungen<br />
über mögliche oder wahrscheinliche<br />
Entwicklungspfade „anzureichern“.<br />
4. Zu s a m m e n fa s s u n g d e r Er g e b n i s s e z u r<br />
Tr a n s f e r p r a x i s im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Zunächst haben wir beobachtet, dass in allen<br />
Projektanträgen (mit einer Ausnahme, dem<br />
Teilprojekt zur strategischen Interaktion) der<br />
Anspruch, gesellschaftlich relevante<br />
Fragestellungen zu bearbeiten, for-<br />
Seite page 76 muliert wird. Er wird jedoch nicht<br />
explizit begründet. Dabei bestimmen<br />
die Wissenschaftler selbst, was für<br />
sie „gesellschaftlich relevante Praxis“ heißt.<br />
Entsprechend enthalten die Projektanträge<br />
auch keine Angaben darüber, ob, und wenn ja,<br />
welche allfälligen Projektergebnisse an eine wie<br />
auch immer geartete „gesellschaftliche Praxis“<br />
transferiert werden sollen.<br />
Wollen wir etwas über die Transferpraxis des<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> erfahren, müssen andere Quellen<br />
herangezogen werden. Dazu gehören die im<br />
Verlauf der Projektarbeit tatsächlich geübten<br />
und objektivierten Transferpraktiken wie Publikationen,<br />
Tagungen, Präsentationen und ihre<br />
jeweiligen Adressaten sowie die in Form von<br />
Interviews gegebenen Selbstbeschreibungen<br />
der Projektmitarbeiter über ihre Forschung.<br />
Es besteht <strong>als</strong>o eine Kluft zwischen der öffentlichen<br />
Ankündigung eines Projekts in<br />
der Beantragung und der tatsächlichen Praxis<br />
der Projektarbeiten. Ein Praxistransfer wird<br />
im Projektantrag nicht versprochen, aber in<br />
fast allen Projekten mit einigem Aufwand<br />
praktiziert. Welche Erklärungen können für<br />
diesen Widerspruch zwischen Antrag und<br />
Projektarbeit gefunden werden? Wir bieten<br />
drei Erklärungsversuche an:<br />
• Der eine besteht darin, dass Sonderforschungsbereiche<br />
sich der „Grundlagenforschung“<br />
widmen sollen, während ein<br />
expliziter Praxisbezug der „angewandten<br />
Forschung“ vorbehalten bleibe. „Zweckfreie“<br />
Forschung wird so „zweckbezogener“<br />
Forschung gegenübergestellt.<br />
Diese Trennung ist in der Soziologie, im<br />
Unterschied zu den Naturwissenschaften,<br />
umstritten. Immerhin gab (und gibt) es<br />
Strömungen in der Soziologie, die dem<br />
Marxschen Utopiedenken verbunden<br />
sind, das zum einen chiliastische Wurzeln<br />
hat und so Erlösungshoffnungen pflegt,<br />
zum anderen die Vorstellung hegt, die
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Utopien durch Herstellung von „neuen“<br />
Menschen und „neuen“ Gesellschaften<br />
Wirklichkeit werden zu lassen (Pohlmann<br />
2008). Theodor W. Adorno hat dies in<br />
einem viel beachteten Aufsatz folgendermaßen<br />
formuliert: „Zugleich obliegt es<br />
der eigentlichen Theorie der Gesellschaft,<br />
ihre Konzeption unermüdlich an den<br />
tatsächlichen Verhältnissen zu messen. …<br />
Gerade eine Theorie der Gesellschaft, der<br />
die Veränderung keine Sonntagsphrase<br />
bedeutet, muss die ganze Gewalt der widerstrebenden<br />
Faktizität in sich aufnehmen,<br />
wenn sie nicht ohnmächtiger Traum<br />
bleiben will, dessen Ohnmacht wiederum<br />
bloß der Macht des Bestehenden zugute<br />
kommt. Die Affinität der empirischen<br />
Sozialforschung zur Praxis, deren negative<br />
Momente man gewiss nicht leichtfertig<br />
einschätzen darf, schließt in sich das Potential,<br />
gleichermaßen den Selbstbetrug<br />
auszuschalten und präzis, wirksam in<br />
die Realität einzugreifen. Die endliche<br />
Legitimation des Verfahrens wird in einer<br />
Einheit von Theorie und Praxis liegen, die<br />
weder an den freischwebenden Gedanken<br />
sich verliert, noch in die befangene<br />
Betriebsamkeit abgleitet. Technisches<br />
Spezialistentum lässt sich nicht durch<br />
gewissermaßen ergänzend hinzutretende,<br />
abstrakte und unverbindliche humanistische<br />
Forderungen überwinden. Der Weg<br />
des realen Humanismus führt mitten<br />
durch die spezialistischen und technischen<br />
Probleme hindurch, wofern es<br />
gelingt, ihres Sinnes im gesellschaftlichen<br />
Ganzen inne zu werden und aus ihnen die<br />
Konsequenz zu ziehen“ (Adorno 1974, S.<br />
114f.). Wenn in den Projektanträgen des<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ein wie auch immer gearteter<br />
„Anwendungsbezug“ von Forschungsergebnissen<br />
unthematisiert bleibt, „unter<br />
der Hand“ sich aber eine rege Transfertätigkeit<br />
entwickelt, dann könnte<br />
dies ein Hinweis darauf sein, dass ein<br />
Großteil der Projekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> eine<br />
Trennung zwischen Grundlagen- und<br />
Anwendungsforschung nicht für sinnvoll<br />
erachtet, gleichzeitig aber die Aufhebung<br />
dieser Trennung nicht offensiv vertritt,<br />
sondern unausgesprochen realisiert. Ob<br />
damit gesellschaftsverändernde Ideen<br />
Marxscher oder anderer Provenienz verbunden<br />
sind, muss offen bleiben.<br />
• In der Medizin, so Johann Behrens<br />
(vom Teilprojekt zur Rehabilitation),<br />
meint „Grundlagenforschung immer<br />
und eindeutig „naturwissenschaftliche<br />
Laborforschung“ (z.B. Zellbiologie<br />
bis hin zu Forschung an Fliegen und<br />
Regenwürmern). Der Gegenbegriff zu<br />
Grundlagenforschung ist hier „klinische<br />
Forschung“. Sie hat mit Patienten bzw.<br />
Personen zu tun und ist ihrem Typus<br />
nach immer angewandte Forschung.<br />
Wenn sich klinische Forschung des<br />
Weiteren auf das Wohl von Patienten<br />
und Patientinnen bezieht, spricht man in<br />
der Medizin von „patientenorientierter<br />
klinischer Forschung“. Wenn sie sich<br />
darüber hinaus noch am ICF (Internationale<br />
Klassifikation der Funktionsfähigkeit,<br />
Behinderung und<br />
Gesundheit) orientiert, handelt<br />
Seite page 77<br />
es sich um „partizipationsorientierte<br />
klinische Forschung“.<br />
Erklärt man einem Referenten einer<br />
Förderinstitution in diesem Forschungsfeld,<br />
das Teilprojekt im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> betreibe
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Seite page 78<br />
„Grundlagenforschung“, so stößt man auf<br />
völliges Unverständnis und Kopfschütteln<br />
bzw. die Frage, „ob man jetzt neuerdings<br />
in zellbiologischen Laboren arbeite“.<br />
• Eine andere Deutung bestünde darin, dass<br />
Transferfragen zwar nicht <strong>als</strong> genuine<br />
Aufgabe soziologischer Forschung angesehen<br />
werden, dass aber die Sache selbst<br />
bzw. der Untersuchungsgegenstand einen<br />
irgendwie gearteten Transfer erfordert,<br />
dem sich die Forschung nicht entziehen<br />
kann. Insbesondere - aber nicht nur -<br />
dort, wo face-to-face-Datenerhebungen<br />
durchgeführt werden, erwarten in der<br />
Regel die Interviewpartner Auskünfte<br />
darüber, „was denn herausgekommen<br />
ist“. Bei der fallrekonstruktiv verfahrenden<br />
empirischen Sozialforschung ist das<br />
aufgrund der Intensität und der Dauer<br />
der Datenerhebung in gesteigertem<br />
Maße der Fall, weshalb es dort zu einer<br />
„Reziprozitätslücke“ (Hildenbrand 1999)<br />
kommt, die aus strukturellen Gründen<br />
nicht aufhebbar ist - der Forscher kann<br />
dem Beforschten nicht das in gleicher<br />
Münze zurück geben, das er von ihm<br />
erhalten hat. Wenden wir diese Beobachtung<br />
ins Allgemeine, dann kommen wir<br />
zu einer weiteren Deutung der Differenz<br />
zwischen grundlagenforschungskompatibler<br />
Antragsformulierung und konkreter<br />
Transferpraxis:<br />
• Nicht der konkrete Akteur in Gestalt<br />
eines Interviewpartners, der<br />
dem Interviewer Zeit und Aufmerksamkeit<br />
schenkt, sondern ein idealer<br />
Akteur in Gestalt der Gesellschaft, die<br />
dem Forscher Ressourcen zukommen<br />
lässt, bringt den Forscher in eine Situation,<br />
die Marcel Mauss <strong>als</strong> „Erwiderung einer<br />
Gabe“ beschreiben würde. Geben und<br />
Nehmen ist ein „’totales’ gesellschaftliches<br />
Phänomen“ (Mauss 1968, S. 17), dem sich<br />
auch die Sozialforschung nicht entziehen<br />
kann. Dieser unabweisbar bestehende<br />
Druck der Erwiderung einer Gabe wird<br />
dadurch verstärkt, dass die Soziologie <strong>als</strong><br />
Krisenwissenschaft in besonderer Weise<br />
dazu aufgefordert ist, ihre Forschungsergebnisse<br />
nicht für sich zu behalten,<br />
sondern der Gesellschaft zur Verfügung<br />
zu stellen. Als „Engagement und Distanzierung“<br />
bezeichnet Norbert Elias die<br />
typische Haltung des Intellektuellen in<br />
der modernen Gesellschaft, namentlich<br />
des Soziologen. Zur forschungslogischen<br />
Haltung der Distanzierung tritt untrennbar<br />
das Engagement, dessen Wirken<br />
umso effizienter ausfällt, je größer die<br />
Distanz zum praktischen Eingreifen ist.<br />
Reine Rationalität gibt es nicht - Elias<br />
verwendet hier den Begriff der „Doppelbindung“,<br />
den er bei der Schizophrenieforschung<br />
ausgeliehen hat und der<br />
die widersprüchliche Einheit von Affekt<br />
und Rationalität bezeichnet (Elias 1987,<br />
S. 83). Weniger voraussetzungsvoll, dafür<br />
umso erfahrungsgesättigter fällt der Begriff<br />
des Psychiaters Luc Ciompi aus, der<br />
denselben Zusammenhang <strong>als</strong> „Affektlogik“<br />
beschreibt: Affekt und Logik „bilden<br />
eine Art Doppelsystem, oder vielmehr ein<br />
zusammenhängendes System mit zwei<br />
Polen“ (Ciompi 1982, S. 81, Hervorh. i.<br />
O.). Soziologen ist dieser Zusammenhang<br />
von Max Webers Formel „mit Augenmaß<br />
und Leidenschaft“ (Weber 1988, S. 560)<br />
bekannt, welche zwar für die Politik <strong>als</strong>
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
Beruf geprägt worden ist, aber ebenso für<br />
die Wissenschaft in Anschlag gebracht<br />
werden kann. Denn dort ist von einem<br />
„Sehnen und Harren“ die Rede, mit dem<br />
es aber nicht getan sei, sondern es gelte,<br />
„an unsere Arbeit zu gehen und der<br />
‚Forderung des Tages’ gerecht zu werden,<br />
menschlich wie beruflich“ (Weber 1988b,<br />
S. 613). In diesem Zusammenhang erteilt<br />
Weber übrigens jeder Form von Prophetie<br />
eine harsche Absage.<br />
• Norbert Elias verdeutlicht anhand einer<br />
Figur aus Edgar Allan Poes Erzählung<br />
„Die Fischer im Mahlstrom“, wie er sich<br />
die Figur des Intellektuellen in der Moderne<br />
vorstellt. Jener Fischer bewahrt in<br />
der Situation des Schiffbruchs, <strong>als</strong>o in einer<br />
Situation, in der die Furcht überhand<br />
nimmt, die Ruhe und beginnt, „mit einer<br />
gewissen Neugierde um sich zu schauen“<br />
(Elias 1987, S. 79). Gerade ein Sonderforschungsbereich,<br />
der sich mit Transformationsprozessen<br />
moderner Gesellschaften<br />
und in der Folge mit Krise unter dem<br />
Vorzeichen des Konstrukts von challenge<br />
& response befasst, ist in besonderer Weise<br />
mit Erwartungen der Gesellschaft konfrontiert,<br />
sein Wissen nicht für sich zu<br />
behalten, sondern über die Grenzen der<br />
Wissenschaft hinaus mitzuteilen.<br />
Was allerdings unter gesellschaftlicher Praxis<br />
verstanden wird, ist im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> vielfältig. Angesichts<br />
der disziplinären Bandbreite und der<br />
Breite theoretischer sowie methodologischer<br />
Positionen im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ist dies nicht weiter<br />
erstaunlich. Die Bandbreite des Verständnisses<br />
von Praxis im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> reicht von einem Begriff,<br />
der Praxis nicht weiter expliziert und <strong>als</strong><br />
black box behandelt, zu einem handlungs- und<br />
strukturtheoretisch begründeten Praxisbegriff.<br />
Dazwischen liegen Projekte, die das von ihnen<br />
untersuchte Feld sowie die dort für sie<br />
ansprechbereiten institutionellen Akteure <strong>als</strong><br />
Praxis definieren, während andere Projekte<br />
alles, auch die wissenschaftliche Aktivität, <strong>als</strong><br />
Praxis ansehen, woraus sich die Aufgabe ableitet,<br />
konkrete Praxisfelder in und außerhalb der<br />
wissenschaftlichen Praxis auszudifferenzieren.<br />
Entsprechend heterogen fallen die Praxisbezüge<br />
aus. Für wen die Praxis eine black box<br />
ist, der benötigt keinen Praxisbezug. Wer<br />
sich auf handlungs- und strukturtheoretische<br />
Praxisbegriffe bezieht, wird entsprechend den<br />
Praxisbezug seiner Forschung reflektieren<br />
und ihn entsprechend definieren. Für wen<br />
alles Praxis ist, kann sich auf jenen Ausschnitt<br />
gesellschaftlichere Wirklichkeit begrenzen,<br />
den er gerade untersucht, und das <strong>als</strong> Praxis<br />
verstehen, was ihm in Gestalt institutioneller<br />
Akteure in der Forschung entgegentritt,<br />
was auch für jene gilt, die Praxis von vorne<br />
herein auf ihr konkretes Untersuchungsfeld<br />
beschränken.<br />
Man könnte nun die Frage stellen, welcher<br />
Praxisbegriff und -bezug welchem Transfertyp<br />
entspricht. Dabei ist Vorsicht geboten.<br />
Eine 1:1-Beziehung kann nicht angenommen<br />
werden, weil ein bestimmtes Praxisverständnis<br />
bei der Weitergabe von Projektergebnissen<br />
zu unterschiedlichen<br />
Transferwegen führen kann. Was wir<br />
Seite page 79<br />
aber erwarten können, ist, dass es ein<br />
jeweils größeres Passungsverhältnis<br />
zwischen einem jeweiligen Praxisbegriff<br />
und -bezug einerseits und einem jeweiligen<br />
Transfertyp andererseits gibt. Anders formu-
Vorstellung Transferpraxis References Literatur des Transferprojekts<br />
im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
liert: dass Wahlverwandtschaftsverhältnisse<br />
zwischen Praxisbegriffen bzw. -bezügen und<br />
Transfertypen bestehen. Demnach würde<br />
ein Projekt, das über einen handlungs- und<br />
strukturtheoretisch ausformulierten Praxisbegriff<br />
verfügt und daraus eine spezifische<br />
Vorstellung von einem Praxisbezug entwickelt<br />
hat, nicht in erster Linie zu Transfertyp 1 oder<br />
5 greifen, sondern Transfertyp 8 favorisieren.<br />
Und umgekehrt: Wer die Praxis <strong>als</strong> eine black<br />
box ansieht, wird nicht mit eigenen Übersetzungen<br />
relevanter Ergebnisse für die Praxis<br />
(Transfertyp 7) aufwarten, sondern sich für<br />
Transfertyp 1, 2 oder 3 entscheiden. Und<br />
schließlich: Ein Projekt, das im Transfer von<br />
Forschungsergebnissen kein bedeutendes Ziel<br />
sieht, wird nicht gerade Transferbemühungen<br />
über alle Transfertypen hinweg aufweisen.<br />
Welches sind die Relationen zwischen Praxisbegriff<br />
und -bezug sowie Transfertyp in<br />
den einzelnen Teilprojekten tatsächlich? Wir<br />
stellen die Ergebnisse zunächst tabellarisch vor<br />
und interpretieren sie dann:<br />
Praxisbezug und -begriff<br />
1 Praxis <strong>als</strong> black box, kein unmittelbarer<br />
Praxisbezug<br />
In den Projekten verwendete<br />
Transfertypen<br />
B7: 3 1,0<br />
Durchschnitt Transfertypen<br />
pro Projekt<br />
2 Differenzierte Praxisfelder<br />
A1: 1, 6<br />
A4: 5<br />
A5: 5, 1<br />
B5: 6<br />
B8: 2, 3, 7<br />
1,8<br />
3 Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld,<br />
Bezug zu institutionellen Akteuren<br />
A2: 4, 6, 7, 8<br />
A3: 1, 2, 6<br />
A6: 6<br />
B1: 2, 3, 4, 8<br />
B2: 4, 6<br />
B9: 7<br />
2,5<br />
4 Expliziter Praxisbegriff<br />
C3: 5, 8<br />
C4: 8<br />
C5: 2, 3, 4, 5, 8<br />
C6: 4, 7<br />
2,5<br />
Seite page 80<br />
Diese Gegenüberstellung zeigt:<br />
• Wo die Praxis <strong>als</strong> black box begriffen<br />
wird, finden wir den Transfertypus 3<br />
(Grundlagenforschung mit anwendungsbezogenen<br />
Begleit- und Folgeprojekten).<br />
Dies entspricht unseren Erwartungen<br />
auch in der Hinsicht, was die Breite der<br />
Transferaktivitäten anbelangt: Wir haben<br />
nur ein Projekt im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> gefunden,<br />
auf das nur ein Typ des Wissenstransfers<br />
in die Praxis entfällt, der zudem nur <strong>als</strong>
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
potentieller skizziert, aber im Rahmen<br />
des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> nicht realisiert wird. Dass<br />
in diesem Projekt die Praxis <strong>als</strong> black box<br />
angesehen wird, ist damit konsistent.<br />
• Ein globaler Praxisbegriff mit ausdifferenzierten<br />
Praxisfeldern geht einher mit einer<br />
geringen Bandbreite von Transferwegen<br />
(1,8 im Durchschnitt pro Projekt).<br />
• Schließlich zeigt sich eine Affinität der<br />
Praxisbegriffe zu den Forschungsgegenständen.<br />
So finden wir einen expliziten<br />
Praxisbegriff lediglich im Bereich C<br />
(Akteure und Institutionen im sozialen<br />
Sektor) vor, <strong>als</strong>o dort, wo es unmittelbar<br />
um die Bewältigung sozialer Probleme<br />
geht.<br />
• Wo die Praxis <strong>als</strong> konkretes Untersuchungsfeld<br />
begriffen wird und entsprechend<br />
die Wissenschaft den Bezug zu den<br />
in der Praxis vorfindlichen institutionellen<br />
Akteuren sucht, beobachten wir alle<br />
Transfertypen, und hier finden wir auch<br />
mit die höchste durchschnittliche Anzahl<br />
von Transferwegen pro Projekt, nämlich<br />
2,5.<br />
• Wo ein handlungs- und strukturtheoretisch<br />
ausformulierter Praxisbegriff<br />
vorliegt, finden wir einen Schwerpunkt<br />
bei Transfertypen, bei denen der Transfer<br />
vorstrukturiert ist. (Dazu gehören<br />
der Typ 7, Grundlagenforschung mit<br />
eigener „Übersetzung“ relevanter Ergebnisse<br />
für die Praxis, sowie der Typ<br />
8, Grundlagenforschung mit konkreter<br />
Theorie-Praxis-Rückkopplung.) Ebenso<br />
beobachten wir hier den Transfertyp 5<br />
(Grundlagenforschung auf der Suche<br />
nach öffentlichem Interesse), bei welchem<br />
der zu transferierende Inhalt bekannt, der<br />
Adressat aber offen ist. Auch bei einem<br />
handlungs- und strukturtheoretisch formulierten<br />
Praxisbegriff finden wir eine<br />
sehr große Bandbreite an Transferwegen<br />
vor: im Durchschnitt 2,5 pro Projekt.<br />
Seite page 81
Vorstellung References Literatur des Epilog Transferprojekts<br />
Ep i l o g<br />
Jenseits einer einfachen Gegenüberstellung<br />
von Grundlagenforschung vs. angewandter<br />
Forschung, von Erkenntnis um ihrer selbst<br />
Willen vs. Erkenntnis zum Zweck einer Problemlösung<br />
fördert unsere Bestandsaufnahme<br />
der Beziehungen der Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
zur gesellschaftlichen Praxis eine große Vielfalt<br />
an Möglichkeiten zutage, von Seiten einer<br />
empirisch verfahrenden Wissenschaft mit dem<br />
Untersuchungsgegenstand ins Gespräch zu<br />
kommen. Diese Möglichkeiten zu evaluieren<br />
war nicht unser Auftrag und entspricht nicht<br />
unserem Interesse. Wir können jedoch abschließend<br />
unsere Einschätzung zu Protokoll<br />
geben, dass der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zuerst die Mühen<br />
der Ebene auf sich nimmt, bevor der hohe Ton<br />
der Gesellschaftsdiagnose, Orientierung und<br />
Sinngebung angeschlagen wird.<br />
Seite page 82
Hildenbrand, References Literatur<br />
Bohler, Engelstädter,<br />
Franzheld, Schierbaum, Schmidt<br />
En d n o t e n<br />
1<br />
Die weite Verbreitung von Navigationssystemen und skurrile<br />
Beispiele davon, wie das Vertrauen in solche Systeme zu Irrfahrten<br />
(ggf. ins Wasser, wenn das System eine Brücke mit einer<br />
Fähre verwechselt) sind augenfällige Beispiele für diese These.<br />
2<br />
Die Zählung bei DSM und ICD ändern sich ständig. Es wird<br />
verworfen, revidiert, Neues eingebracht. Wohlmeinende können<br />
dies <strong>als</strong> Reaktion auf ständigen wissenschaftlichen Fortschritt,<br />
Kritische <strong>als</strong> Verunsicherung interpretieren.<br />
7<br />
Tatsächlich heißt es bei Becker: „Wir sollten es (das abweichende<br />
Verhalten) nicht <strong>als</strong> etwas Besonderes ansehen, <strong>als</strong> verkommen<br />
oder in irgendeiner magischen Weise besser <strong>als</strong> andere Verhaltensweisen.<br />
Wir sollten es einfach <strong>als</strong> eine Art von Verhalten<br />
ansehen, das einige missbilligen und andere schätzen, und<br />
sollten die Prozesse untersuchen, in deren Verlauf einer von beiden<br />
oder beide Blickrichtungen eingestellt werden und erhalten<br />
bleiben“ (Becker 1981, S. 158). Vgl. auch Thomas Luckmann<br />
im Vorwort zu Hildenbrands Studie einer Familie mit einem<br />
<strong>als</strong> schizophren diagnostizierten Sohn: „Mit dem Erklären und<br />
erst recht mit den Vorschriften für die Praxis wollen wir hingegen<br />
vorsichtig verfahren. Vielleicht verscherzen wir uns auf<br />
diese Weise nicht ganz die Möglichkeit, die Praxis vernünftig<br />
zu beeinflussen“ (Luckmann 1983, S. 13).<br />
3<br />
Eine Ausnahme könnte die Klinische Soziologie sein. Vgl. <strong>als</strong><br />
Übersicht Hildenbrand 1999a.<br />
4<br />
Was eine ARGE ist, wird von der Bundesagentur für Arbeit<br />
wie folgt erläutert: „Seit dem 1.1.2005 gibt es das neue Arbeitslosengeld<br />
II. Ausgezahlt wird die Geldleistung meistens von<br />
Kommunen und Agenturen für Arbeit gemeinsam. Beide Partner<br />
haben dafür Arbeitsgemeinschaften gegründet. Diese oft ARGEn<br />
oder Jobcenter genannten Einrichtungen sind für Ihre Beratung<br />
und Vermittlung und für die Auszahlung der Geldleistungen<br />
(Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Kosten der Unterkunft) zuständig“<br />
(www.arge-sgb2.de vom 23.7.2008).<br />
5<br />
Hildenbrand 2005.<br />
6<br />
Vgl. Weber 1988a, S. 191: Ein Idealtypus werde gewonnen<br />
„durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte<br />
und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret,<br />
hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen<br />
Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen<br />
Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde.“<br />
Werden solche Erscheinungen in irgend einem Grade<br />
in einem Handlungszusammenhang <strong>als</strong> wirksam festgestellt,<br />
dann könnten wir uns „die Eigenart dieses Zusammenhangs an<br />
einem Idealtypus pragmatisch veranschaulichen und verständlich<br />
machen“ (Weber 1988a, S. 190).<br />
Seite page 83
Literatur<br />
Li t e r at u r<br />
Adorno, Theodor W. (1974) Soziologie und empirische Sozialforschung.<br />
In: Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. Soziologische<br />
Exkurse. Frankfurt a. M.: EVA (3. Aufl.), S. 106 - 115.<br />
Gadamer, Hans-Georg (1993) Über die Verborgenheit der Gesundheit.<br />
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Habermas, Jürgen (1974) Theorie und Praxis. Sozialphilosophische<br />
Studien. Neuwied/Berlin: Luchterhand (3. Aufl.).<br />
Becker, Howard (1981) Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden<br />
Verhaltens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Berger, Peter; Luckmann, Thomas (1969) Die gesellschaftliche<br />
Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a. M.: Fischer.<br />
Buchholz, Michael B. (1998) Sprachliche Interaktion und Diagnosen.<br />
Überlegungen zu einem System-Umwelt-Verhältnis der<br />
Profession anhand einiger empirischer Befunde. System Familie<br />
Jg. 11 Heft 2, S. 47 - 59.<br />
Buchholz, Michael B. (2008) Psycho-News-Letter Nr. 68,<br />
verfasst im Auftrag des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für<br />
Psychoanalyse Psychotherapie. (Mitte Juni 2008).<br />
Ciompi, Luc (1982) Affektlogik. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
Elias, Norbert (1987) Engagement und Distanzierung. Frankfurt<br />
a. M.: Suhrkamp.<br />
Hildenbrand, Bruno (1999) Was ist für wen der Fall? Problemlagen<br />
bei der Weitergabe von Ergebnissen von Fallstudien an<br />
die Untersuchten und mögliche Lösungen. Psychotherapie und<br />
Sozialwissenschaft Band 1 Heft 4, S. 265 - 280.<br />
Hildenbrand, Bruno (1999a) Psychiatrische Soziologie <strong>als</strong> Klinische<br />
Soziologie - ein Erfahrungsbericht. Als download zugänglich<br />
unter http://www.soziologie.uni-jena.de/LSHildenbrand/<br />
Publikationen.html.<br />
Hildenbrand, Bruno (2005) Einführung in die Genogrammarbeit.<br />
Heidelberg: Carl Auer Systeme Verlag (2. Aufl.).<br />
Luckmann, Thomas (1983) Vorwort. In: Hildenbrand, Bruno<br />
Alltag und Krankheit - Ethnographie einer Familie. Stuttgart:<br />
Klett-Cotta, S. 9 - 14.<br />
Luhmann, Niklas (1991) Soziologische Aufklärung 2. Opladen:<br />
Westdeutscher Verlag.<br />
Esser, Hartmut (1987) Literaturbesprechung „Ulrich Beck,<br />
Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.“<br />
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Jg. 39,<br />
S. 806 - 811.<br />
Esser, Hartmut (1993) Soziologie. Allgemeine Grundlagen.<br />
Frankfurt a. M., New York: Campus.<br />
Matthiessen, Peter (1998) Die Diagnose: eine prognoseorientierte<br />
individuelle Therapieentscheidung. System Familie Jg. 11<br />
Heft 2, S. 60 - 69.<br />
Mauss, Marcel (1968) Die Gabe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Mead, George Herbert (1972) Philosophy of the Act. Chicago &<br />
London: The University of Chicago Press.<br />
Seite page 84<br />
<strong>Friedrich</strong>s, Jürgen; Lepsius, M. Rainer und Mayer,<br />
Karl Ulrich (1998) Diagnose und Prognose in der<br />
Soziologie. In: dieselben Hrsg. Die Diagnosefähigkeit<br />
der Soziologie. Sonderheft der Kölner Zeitschrift<br />
für Soziologie und Sozialpsychologie 1998,<br />
S. 9 - 31.<br />
Oevermann, Ulrich (1996) Theoretische Skizze einer revidierten<br />
Theorie professionellen Handelns. In: Combe, Arno; Helsper,<br />
Werner Hrsg. Pädagogische Professionalität. Frankfurt a. M.:<br />
Suhrkamp, S. 70 - 182.
Literatur<br />
Oevermann, Ulrich (2000) Die Methode der Fallrekonstruktion<br />
in der Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen<br />
Praxis. In: Kraimer, Klaus Hrsg. Die Fallrekonstruktion.<br />
Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 58 - 156.<br />
Parsons, Talcott; Platt, Gerald M. (1990) Die Amerikanische<br />
Universität - Ein Beitrag zur Soziologie der Erkenntnis.<br />
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Pohlmann, <strong>Friedrich</strong> (2008) Das Elend der Utopien. Merkur Jg.<br />
62 Heft 5, S. 399 - 409.<br />
Welter-Enderlin, Rosmarie; Hildenbrand, Bruno (2004) Systemische<br />
Therapie <strong>als</strong> Begegnung. Stuttgart: Klett-Cotta (4.,<br />
erheblich überarbeitete und erweiterte Auflage).<br />
Wenzel, Harald (1995) Gibt es ein postmodernes Selbst? Neuere<br />
Theorien und Diagnosen der Identität in fortgeschrittenen Gesellschaften.<br />
Berliner Journal 5, S. 113 ff.<br />
Wieland, Wolfgang (2004) Diagnose - Überlegungen zur Medizintheorie.<br />
Warendorf: Verlag Johannes G. Hoof (Nachruck<br />
der Erstfassung von 1975).<br />
Popper, Karl (1968) Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften.<br />
In: Topitsch, Ernst Hrsg. Logik der Sozialwissenschaften.<br />
Köln, Berlin: Kiepenheuer und Witsch, S. 113 - 125.<br />
Wulff, Erich (2004) Sozialpsychiatrische Informationen Heft 3.<br />
Rosa, Hartmut (2005) Beschleunigung. Die Veränderung der<br />
Zeitstruktur in der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Rosenhan, D. L. (1973) On being insane in insane places.<br />
Science 179 (70), S. 250 - 258.<br />
Sahner, Heinz (1989) „Praxis“. In: Wörterbuch der Soziologie,<br />
hrsg. von Endruweit, Günter und Trommsdorff, Gisela Bd. 2.<br />
Stuttgart: Enke, S. 502f.<br />
Schütz, Alfred (1971) Gesammelte Aufsätze 1. Den Haag:<br />
Nijhoff.<br />
Weber, Max (1988) Politik <strong>als</strong> Beruf. In: ders. Gesammelte<br />
politische Schriften. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) (5.<br />
Aufl.), S. 505 - 560.<br />
Weber, Max (1988a) Die ‚Objektivität’ sozialwissenschaftlicher<br />
und sozialpolitischer Erkenntnis. In: ders. Gesammelte Aufsätze<br />
zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)<br />
(5. Aufl.), S. 146 - 214.<br />
Seite page 85<br />
Weber, Max (1988b) Wissenschaft <strong>als</strong> Beruf. In: ders. Gesammelte<br />
Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul<br />
Siebeck) (5. Aufl.), S. 582 - 613.
Literatur Anhang<br />
An h a n g: Ch a r a k t e r i s i e r u n g d e r Te i l p r o j e k t e d e s So n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h s a u f<br />
d e r Ba s i s i h r e r An t r a g s t e x t e f ü r d i e z w e i t e Be w i l l i g u n g s p h a s e<br />
Zur besseren Orientierung für Leserinnen und Leser fassen wir in diesem Anhang die wichtigsten<br />
Charakteristika der Anträge der einzelnen Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs<br />
<strong>580</strong> für die zweite Bewilligungsphase (2004-2008) zusammen. Leitend für diese Zusammenfassungen<br />
sind die folgenden fünf Fragen:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Welcher Bereich von gesellschaftlicher Praxis ist für das jeweilige Projekt relevant?<br />
Ist beabsichtigt, Ergebnisse der Untersuchung in die gesellschaftliche Praxis zu transferieren?<br />
Wie wird im Projekt methodisch vorgegangen?<br />
Wie sieht die Zielstellung des Projekts aus?<br />
Welche praktischen Bezüge sind zu erkennen und wohin sollen Ergebnisse transferiert<br />
werden?<br />
Seite page 86<br />
Projekt A1: Heinrich Best (FSU)<br />
Führungsgruppen und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse in der DDR<br />
• Das Projekt A1 hatte in der vorigen Bewilligungsphase <strong>als</strong> Datenbasis den zentralen<br />
Kaderdatenspeicher des Ministerrats, den Arbeitskräftedatenspeicher der Zentralen<br />
Staatsorgane der DDR und den Datenspeicher Gesellschaftliches Arbeitsvermögen<br />
(prozessproduzierte Massendatenspeicher der DDR-Verwaltung). Selbst im Rahmen<br />
des Projekts erhoben wurden die Kaderdaten zu den Sekretären der Bezirks- und Kreisleitungen<br />
der SED (regionale Vollerhebung in den thüringischen Bezirken) sowie für<br />
die Offiziere der Nationalen Volksarmee. Diese sollen weiter ausgewertet werden. In der<br />
zweiten Phase kommen der Arbeitskräftedatenspeicher des Ministeriums für Volksbildung<br />
und die Kaderdatenspeicherbank der Deutschen Volkspolizei<br />
hinzu, mit deren Auswertung begonnen werden soll.<br />
• Mit Hilfe der Projektarbeiten werden die Datensätze erstm<strong>als</strong> einer<br />
sozialwissenschaftlichen Nutzung zugänglich gemacht. Längerfristig<br />
soll ein Beitrag zur Sicherung und zum Fortbestand der wertvollen Datenquellen geleistet<br />
werden.
Literatur Anhang<br />
•<br />
•<br />
Das Projekt stellt methodenpraktisch einen Sonderfall dar, weil es sich der quantitativen<br />
historischen Sozialforschung verpflichtet fühlt.<br />
Ein Ziel ist es, der DDR- und Transformationsforschung Impulse zu verleihen (Servicefunktion<br />
für scientific community und interessierte Öffentlichkeit).<br />
• Im Sinne eines konkreten Transfers sollen Antworten auf Fragen aus anderen <strong>SFB</strong>-<br />
Projekten gegeben bzw. durch Bereitstellen von entsprechenden Daten ermöglicht<br />
werden (Servicefunktion innerhalb des <strong>SFB</strong>).<br />
Projekt A2: Rudi Schmidt/Katharina Blum (FSU)<br />
Generationswechsel im Management - Persistenz oder Wandel der Managementstrategien<br />
in Ost- und Westdeutschland<br />
• Das Projekt A2 untersucht den Zusammenhang des Generationswechsels im Management<br />
mittelständischer Unternehmen mit dem Wandel von Managementkonzepten<br />
unter der zentralen Forschungsfrage: Weist die Nachfolgegeneration eine höhere Affinität<br />
gegenüber den Prämissen und Folgen der radikalen Marktliberalisierung auf oder<br />
wahrt sie mehr die Kontinuität zur traditionellen deutschen Unternehmenskultur?<br />
•<br />
•<br />
Formen des Praxisaustausches sind nicht explizit und systematisch vorgesehen.<br />
Es ist geplant, der Fragestellung mit Hilfe einer Kombination qualitativer und quantitativer<br />
Forschungsmethoden in einer longitudinalen Perspektive nachzugehen.<br />
• Wenn auch kein direkter Bezug zur gesellschaftlichen Praxis zu sehen ist, so könnte ein<br />
solcher Bezug mittelbar hergestellt werden, da es sich bei der zentralen Forschungsfrage<br />
um eine relevante Orientierungsfrage für die Leitung eines mittelstädischen Unternehmens<br />
handelt.<br />
• Schlüsse auf die Erfolgsaussichten von Maßnahmen der Unternehmensleitung sind im<br />
Projekt nicht explizit vorgesehen.<br />
Seite page 87
Literatur Anhang<br />
Projekt A3: Heinrich Best/Karl Schmitt (FSU)<br />
Delegationseliten nach dem Systemumbruch. Rekrutierung, Zirkulation und Orientierungen<br />
der parlamentarischen Führungsgruppen Ostdeutschlands im Vergleich<br />
• Im Zentrum des Projekts steht eine zwischen Ost- und Westdeutschland vergleichende<br />
Analyse von Rekrutierungsmustern, Karrierepfaden und politischen Orientierungen<br />
von Delegationseliten nach dem Systemumbruch.<br />
•<br />
Es sind keine expliziten Austauschformen zwischen Theorie und Praxis vorgesehen.<br />
• Bei der Erhebung werden prosopographische Methoden zu Karriereverläufen und<br />
sozialer Herkunft mit einer Panelerhebung zu Einstellungen hinsichtlich des Mandatsverständnisses<br />
und der politischen Ambitionen kombiniert. Die Forschung des Projekts<br />
folgt dem Paradigma der komparatistischen Politik- und Elitenforschung.<br />
• Das besondere Interesse gilt einer möglichen Konvergenz ost- und westdeutscher Rekrutierungs-<br />
und Karrieremuster bei gleichzeitiger Persistenz ostspezifischer Einstellungen<br />
und Deutungsmuster.<br />
•<br />
Die eigentliche Zielgruppe der Forschungsergebnisse ist die Fachöffentlichkeit, die mit<br />
entsprechenden Publikationen erreicht werden soll.<br />
Projekt A4: Heinz Sahner/Sören Petermann (MLU)<br />
Lokale politisch-administrative Eliten - Lebensverläufe zwischen Ungewissheit, Professionalisierung<br />
und Legitimation<br />
• Das Projekt analysiert (1) Divergenzen und Konvergenzen der Lebenslaufmuster<br />
ost- und westdeutscher lokaler politisch-administrativer Eliten, (2) die Einstellungen<br />
dieser Eliten zu politischen Institutionen und (3) legitimationstheoretische Themen im<br />
Verhältnis von Elite und Bevölkerung.<br />
Seite page 88<br />
• Ein Austausch mit den befragten Akteuren im Feld während der Projektarbeiten<br />
ist im Antrag nicht vorgesehen.<br />
• Das verlaufsanalytische und vergleichende Untersuchungsdesign<br />
(Panelbefragungen) erlaube grundsätzliche Einsichten in die Auswirkungen<br />
von Institutionenwandel auf politische Akteure, in die Bereiche ursprünglicher<br />
Strukturbildung, den Übergang von Top-Down-Kaderplanung zur Bürgergesellschaft<br />
und (lokalen) Selbstverwaltung sowie den von einer rein repräsentativen Demokratie zu
Literatur Anhang<br />
einer Demokratie mit plebiszitären Elementen. Ergänzende Methoden sind: Standardisierte<br />
Telefoninterviews, biographisch-narrative Interviews, Expertenbefragungen.<br />
•<br />
In Kooperation mit Projekt A3 sei eine umfassende Analyse bundesdeutscher Politiker<br />
von der kommunalen bis zur Europaebene möglich.<br />
• Praktische Bezüge (v.a. Fragen nach der Professionalisierung der Akteure und Bewältigung<br />
von Unsicherheit in einem Konkurrenzsystem) lassen sich für den „geübten Blick“<br />
erkennen, sind aber nicht ausgeführt.<br />
Projekt A5: Lutz Niethammer (FSU)<br />
Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte im Generationenumbruch. Beteiligungschancen<br />
und Deutungssysteme ausgewählter Kultureliten<br />
• Das Projekt thematisiert den intergenerationellen Erfahrungstransfer nach dem Systemumbruch<br />
in Ostdeutschland. Die Projektgruppe sucht nach Merkmalen einer<br />
kommenden, potenziellen Deutungselite.<br />
• Ein Fokus sind der hochwirksame institutionelle Faktor Schule und die sozialisatorischen<br />
Auswirkungen der weitgehenden Kontinuität in der ostdeutschen Lehrerschaft<br />
über den politischen Umbruch hinweg auf die Schüler der Wendejahre. Der andere<br />
Fokus ist der Erfahrungstransfer in informellen Kulturszenen.<br />
•<br />
Das methodische Vorgehen orientiert sich am Paradigma der oral history.<br />
• Ein besonderer Bezug der Untersuchung ist die Zukunftsforschung - und damit könnte<br />
die Forschung mittelbar sowohl eine Bedeutung für die politische wie eine Fachöffentlichkeit<br />
haben.<br />
• Historische Forschung hat typischerweise keinen direkten Praxisbezug. Dagegen geht<br />
ihr ein gewisser Ehrgeiz, sich an der „Produktion“ kultureller Deutungsmuster zu beteiligen,<br />
nicht ab.<br />
Seite page 89
Literatur Anhang<br />
Projekt A6: Everhard Holtmann (LMU)<br />
Freie Wählergemeinschaften <strong>als</strong> kommunalpolitische Akteure in Ost- und Westdeutschland<br />
- Ortsgesellschaftliche Vernetzung und Stellung im Parteiensystem, soziales Profil,<br />
Programmatik, politisches Selbstverständnis und Politikstil eines Segments der kommunalen<br />
Positionseliten<br />
• Das Projekt untersucht komparativ und longitudinal parteifreie Kommunale Wählergemeinschaften<br />
darauf hin, wie sich ihre Vernetzung mit der Sozialgemeinde, ihre Position<br />
im lokalen und überörtlichen Parteiensystem, ihr programmatisches Profil, ihre soziale<br />
Zusammensetzung und ihr Politikstil ausformt.<br />
• Die maßgebliche Untersuchungsebene ist der Bereich der akteursnahen „Micropolitics“<br />
und nicht der der systemtheoretischen „Makropolitik“. Die Praxisrelevanz ergibt sich<br />
aus der Fokussierung der Untersuchung auf das Akteurshandeln, <strong>als</strong>o der gewählten<br />
kommunalen Repräsentanten.<br />
• Die Untersuchungsfelder werden in Querschnitts- und Längsschnittsdimensionen in<br />
unterschiedlicher Gewichtung und mit unterschiedlichen Kombinationen statistischquantitativer,<br />
qualitativer bzw. textbezogener Dokumentenanalyse bearbeitet.<br />
• Als theoretische Ziele werden im Antrag hervorgehoben: Eine typologisch ausgerichtete<br />
Parteientheorie, Partizipationsforschung im politischen Sektor und lokale Politikforschung.<br />
In longitudinaler Perspektive wird dabei Prozessen der Professionalisierung,<br />
Politisierung, Parlamentarisierung sowie des Strukturwandels besonderes Augenmerk<br />
zugewandt.<br />
•<br />
Die relevante Zielgruppe für die Rezeption der Projektergebnisse ist in erster Linie die<br />
Fachöffentlichkeit.<br />
Projekt B1: Holle Grünert/Wolfhard Kohte (LMU)<br />
Massenarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel - zwischenbetrieblicher Arbeitsmarkt<br />
zwischen Instabilität und Neustrukturierung<br />
Seite page 90<br />
• Das Projekt nimmt wegen des demographischen und strukturellen<br />
Wandels an, dass erhebliche qualitative und quantitative Ungleichgewichte<br />
auf verschiedenen Teilarbeitsmärkten Ostdeutschlands, neuartige<br />
Herausforderungen für die individuellen und kollektiven Arbeitsmarktakteure und<br />
tiefgreifende Veränderungen in Struktur und Funktionsweise zwischenbetrieblicher<br />
Arbeitsmärkte für Fach- und Führungskräfte auftreten werden. Zentrale Absicht des
Literatur Anhang<br />
Projekts ist es, bereits beobachtbare sowie zukünftig zu erwartende Veränderungen in<br />
den Funktionsvoraussetzungen und der Funktionsweise zwischenbetrieblicher Arbeitsmärkte<br />
für wichtige Gruppen möglichst zeitnah, verlässlich und detailliert zu beschreiben<br />
und zu analysieren.<br />
•<br />
Datenbasis sollen amtliche Datenbestände und eigene Erhebungen sein. Die Steuerung<br />
des Forschungsprozesses erfolgt „autopoietisch“.<br />
• Methodische Grundlagen der Erhebungen im Projekt: Empirisch-statistische Analysen,<br />
Weiterführung eines Expertenpanels, Betriebsbefragung zu Ausbildung und Rekrutierungsverhalten,<br />
vertiefte Experteninterviews und Dokumentenanalyse.<br />
• Die wesentlichen Fragen des Projekts richten sich nach eigener Aussage weniger auf<br />
vergangene Entwicklungen, <strong>als</strong> vielmehr auf Prozesse, die sich noch im Stadium der<br />
Emergenz befinden. Deshalb sollen die wichtigsten Ergebnisse der Projektforschung<br />
möglichst rasch der gesellschaftlichen Praxis zugänglich gemacht werden, ohne hierdurch<br />
ihren Grundlagencharakter in Frage zu stellen.<br />
• Die offenkundige gesellschaftspolitische Bedeutung der Projektbefunde verlangt laut<br />
Antrag eine „aktive Publikationspolitik“. Mit dieser werden zwei Absichten verfolgt:<br />
(1) Wichtige Befunde möglichst breit und rasch in die fachpolitische & öffentliche<br />
Diskussion „einzubringen“ und (2) insbesondere den paradigmatischen Charakter der<br />
ostdeutschen Entwicklung für die gesamtdeutsche und -europäische Ebenen herauszustellen.<br />
Projekt B2: Christoph Köhler/Olaf Struck (FSU)<br />
Betrieb und Beschäftigung im Wandel II: Beschäftigungsstabilität und betriebliche Beschäftigungssysteme<br />
im west-ost-deutschen Vergleich<br />
•<br />
Die Untersuchung des Projekts wird auf drei Ebenen durchgeführt: Auf der ersten strukturellen<br />
Ebene geht es um die generelle Entwicklung betrieblicher Beschäftigungsstabilität<br />
und -sicherheit; auf der zweiten Ebene werden Erklärungsmodelle<br />
stabiler und instabiler Beschäftigung entwickelt; auf der dritten Ebene<br />
geht es vergleichend um die Struktur und Funktionsweise geschlos-<br />
Seite page 91<br />
sener, offener und marktförmiger Beschäftigungssysteme.<br />
• Zum Austausch mit der untersuchten gesellschaftlichen Praxis und zu Fragen der Steuerung<br />
des Forschungsprozesses durch praktischen Austausch finden sich im Antrag keine<br />
Angaben.
Literatur Anhang<br />
• Die empirische Umsetzung der Forschungsziele stützt sich auf drei Datengrundlagen<br />
und methodische Paradigmen: erstens Ergänzung eines Betriebspanels; zweitens ca. 100<br />
qualitative Interviews mit Beschäftigten; drittens statistische Analysen in Kooperation<br />
mit dem IAB Nürnberg und dessen für die Fragestellung des Projekts einschlägigen<br />
Daten.<br />
• Ziel des Projekts ist es, Entwicklungen betrieblicher Beschäftigungsstabilität und<br />
-sicherheit in Ost- und Westdeutschland zu erfassen und in ihren Ursachen und Wirkungen<br />
zu erklären. Das Projekt hat eine starke Stellung im engeren, internen Feld der<br />
Arbeitsmarktforschung. Die Kooperation mit dem IAB vermittelt die Grundlagenforschung<br />
des <strong>SFB</strong>-Projekts mit dem Feld der angewandten und Auftragsforschung.<br />
•<br />
Statistisch gestützte Modellbildungen sind lt. Antrag nicht auf betriebliche Problemstellungen<br />
bezogen und damit höchstens mittelbar praxisrelevant.<br />
Projekt B5: Dorothea Alewell (FSU)<br />
Personaldienstleistungen im Spannungsfeld von ökonomischen und rechtlichen Determinanten<br />
• Das Teilprojekt B5 untersucht die Nachfrage nach Personaldienstleistungen durch Unternehmen.<br />
Fragen nach den Wirkungen institutioneller Veränderungen am Arbeitsmarkt<br />
und damit konkret auch der Personaldienstleistungen im Ost-West-Vergleich<br />
sollen mit den Untersuchungen beantwortet werden.<br />
• Das Projekt soll einen Beitrag zur Entwicklung leistungsfähiger Theorieansätze leisten<br />
und empirisches Wissen zu Angebot und Nachfrage generieren. Es geht darum, bestehende<br />
Wissenslücken zu schließen, indem die Nachfrage nach Personaldienstleistungen<br />
theoretisch und empirisch untersucht wird. Während des laufenden Forschungsprozesses<br />
ist der Austausch mit den untersuchten Unternehmen zu Fragen der Steuerung<br />
des Forschungsprozesses nicht vorgesehen.<br />
Seite page 92<br />
• Methodisch werden die empirischen Untersuchungen mittels Experteninterviews<br />
mit explorativem Charakter und einer telefonischen<br />
Befragung (CATI-Befragungen) von 800 Betrieben umgesetzt. Es<br />
soll des Weiteren ein theoretischer Rahmen entwickelt und empirisch<br />
überprüft werden.<br />
• Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong> (Kooperation): Das Projekt B5 ist inhaltlich<br />
sehr eng mit den Projekten B1, B2 und B7 verbunden, weshalb Kooperationen bei den
Literatur Anhang<br />
empirischen Erhebungen geplant sind. Darüber hinaus wird mit dem IAB in Nürnberg<br />
zusammengearbeitet. In diesem Projekt geht es um Grundlagenforschung theoretischer<br />
Art, die jedoch nicht ohne frühzeitige Spiegelung an empirischem Wissen vorgenommen<br />
werden soll. Allerdings wird eine Diskussion der Forschungsergebnisse mit den<br />
untersuchten Unternehmen nicht angestrebt.<br />
• Während des laufenden Forschungsprozesses soll jedoch von den Projektmitarbeitern<br />
die Kooperation mit Anbietern von Personaldienstleistungen gesucht werden, um Wege<br />
auszuloten, wie deren Kunden direkt angesprochen werden können.<br />
Projekt B7: Werner Güth/Matthias Sutter (MPI Jena)<br />
Strategische Interaktion, Reziprozität und Fairness<br />
• Mit diesem Forschungsprojekt sollen zwei maßgebliche Forschungsfragen beantwortet<br />
werden: Erstens die Frage nach der Funktion von sozialmoralischen Handlungsorientierungen<br />
in der Beschäftigungsbeziehung, insbesondere den wirtschaftlich relevanten<br />
Aspekten von Investitions- und Leistungsbereitschaft, und nach der Entwicklung dieser<br />
Orientierungen unter unterschiedlichen sozialen und gesamtgesellschaftlichen Bedingungen;<br />
zweitens die Frage, wie sozialmoralische Dispositionen im Zusammenspiel mit<br />
institutionell-gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren die Vertragsgestaltung<br />
in der Beschäftigungsbeziehung beeinflussen.<br />
• Das Projekt B7 möchte sowohl einen grundlagentheoretischen Beitrag zur Erforschung<br />
der Beschäftigungsbeziehungen leisten <strong>als</strong> auch die anderen historisch-empirisch orientierten<br />
Teilprojekte des B-Bereichs in der Analyse von Ursachen, Folgen und Problemen<br />
der anhaltenden Externalisierungsprozesse unterstützen.<br />
• Mit Labor- und Feldexperimenten (Befragung via Telefon) sollen die entwickelten<br />
Theoriebausteine, die in der Lage sind, einen Beitrag zur Erklärung der Varianz von<br />
Vertragsformen in Ost- und Westdeutschland zu leisten, untersucht bzw. überprüft<br />
werden.<br />
• B7 beschreibt sich <strong>als</strong> „Dienstleistungsprojekt“ für andere Projekte im<br />
B-Bereich. Der Öffentlichkeitsbezug konzentriert sich deshalb auf die<br />
engere scientific community.<br />
Seite page 93<br />
• In diesem Projekt geht es um grundlagentheoretische Forschung, die während des<br />
laufenden Forschungsprozesses einen Austausch mit der gesellschaftlichen Praxis nicht<br />
vorsieht.
Literatur Anhang<br />
Projekt B8: Reinhold Sackmann (MLU)<br />
Demographischer Wandel und Arbeitsmarkt des öffentlichen Sektors<br />
• Das Projekt untersucht den gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem demographischer<br />
Alterung im Personalwesen des öffentlichen Sektors. Es zielt darauf, die Art<br />
der personalrelevanten Bewältigungsstrategien des öffentlichen Arbeitgebers auf demographische<br />
Veränderungen, die Ursachen hierfür, sowie deren Folgen zu untersuchen.<br />
•<br />
Der Praxisbezug ist unmittelbar erkennbar, wird im Antrag aber nicht näher expliziert.<br />
• Die Untersuchung sieht eine qualitative und quantitative Untersuchung der Bewältigungsstrategien<br />
auf verschiedenen Ebenen des Staatshandelns (Kommune, Zwischenebene,<br />
Zentr<strong>als</strong>taat) in zwei Transformationsländern (Ostdeutschland und Polen) und<br />
in Westdeutschland vor. Es werden Leitfadeninterviews mit Experten geführt. Um die<br />
Ergebnisse der Experteninterviews zu validieren, soll ergänzend die Erarbeitung eines<br />
quantitativ-längsschnittlichen Erhebungsinstruments für eine quantitative Beschäftigungsbefragung<br />
hinzukommen (Konzeption eines Panels).<br />
• Mit der Schaffung einer objektiven Datenbasis soll eine empirisch gestützte Theorie<br />
der Zusammenhänge zwischen demographischem Wandel und personalrelevanten<br />
Beschäftigungsstrategien des öffentlichen Sektors entwickelt werden.<br />
• Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong>: Besonders enge zu B1, B2 und B5 - den Projekten<br />
des B-Bereichs, die sich mit der Transformation von Arbeitsmärkten beschäftigen.<br />
Auf Kooperationsbeziehungen zu den Projekten A4 und A6 des <strong>SFB</strong> wird verwiesen<br />
sowie auf die „Interessenüberschneidungen“ mit den Projekten C3 und C5. Zwischen<br />
den Forschungsinstitutionen in Polen und Deutschland soll ein regelmäßiger Informations-<br />
und Diskussionszusammenhang hergestellt werden. Zu diesem Zweck sind<br />
beispielsweise ein Workshop und eine internationale Konferenz geplant.<br />
Projekt B9: Klaus Dörre (FSU)<br />
Eigensinnige „Kunden“. Der Einfluss strenger Zumutbarkeit auf die<br />
Erwerbsorientierungen Arbeitsloser und prekär Beschäftigter - ein in-<br />
Seite page 94<br />
terregionaler Vergleich<br />
• Das Projekt beschäftigt sich mit der Transformation subjektiver Erwerbsorientierungen<br />
in den unteren Schichten der Arbeitsgesellschaft. Im Fokus des Forschungsvorhabens<br />
stehen die Wechselbeziehungen zwischen solchen Orientierungen<br />
und einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Aus der Perspektive von Arbeitslosen und
Literatur Anhang<br />
prekär Beschäftigten soll diese Transformation von Erwerbsorientierungen im interregionalen<br />
Vergleich rekonstruiert werden.<br />
•<br />
Dem Antrag liegt qua Forschungsfrage ein Praxisbezug zugrunde. Ein konkreter Transferweg<br />
in die Praxis (nicht in die Wissenschaft - vgl. unten) wird nicht expliziert.<br />
• Die vom Projekt angestrebte Arbeitsmarkt- und Prekarisierungsforschung wird mit<br />
Expertengesprächen (problemzentrierte Interviews) und regionalen Fallstudien durchgeführt<br />
und soll wesentlich zur Profilbildung des Lehrstuhls beitragen.<br />
• Der konkrete Nutzen für den <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> besteht in der Schließung einer gravierenden<br />
Forschungslücke im B-Bereich, denn Erwerbsorientierungen, regionale Arbeitsmarktpolitik<br />
und institutioneller Wandel werden dort bislang nicht untersucht.<br />
• Ergebnisse der Fallstudien zu regionalen Arbeitsmarktprofilen und Arbeitsmarktpolitik<br />
werden in einem ersten Workshop diskutiert. Mit den Projekten A2 und B2 ist ein<br />
Methodenworkshop anvisiert sowie eine international besetzte Abschlusskonferenz.<br />
Eine themenzentrierte Kooperation mit dem B-Bereich wird im Antrag ausgewiesen,<br />
eine Kooperation mit C4 (Giegel/Rosa) und C3 (Hildenbrand) sei „denkbar“. Generell<br />
sollen Untersuchungsergebnisse mit entsprechenden Forschergruppen des <strong>SFB</strong> diskutiert<br />
werden. Kooperationen innerhalb der scientific community sind angestrebt: Mit dem<br />
französischen Arbeitsministerium, dänischen Kooperationspartnern, FORBA Wien<br />
und der Cornell University. Das Netzwerk soll im Verlauf der ersten Projektphase ausgebaut<br />
und kontinuierlich an der Diskussion der Forschungsergebnisse beteiligt werden.<br />
In Deutschland bestehen entwickelte Kooperationen u.a. mit Forschergruppen aus dem<br />
Verbund „Desintegrationspotentiale“. Zu nennen ist auch eine im Entstehen begriffene<br />
Kooperation mit dem IAB in Nürnberg.<br />
Projekt C3: Bruno Hildenbrand (FSU)<br />
Individuelle Ressourcen und professionelle Unterstützung bei der Bewältigung von Systemumbrüchen<br />
in kontrastierenden ländlichen Milieus in Ost- und Westdeutschland<br />
• Das Teilprojekt C3 führt einen innerdeutschen Vergleich zur Entwicklung<br />
der Kinder- und Jugendhilfe durch: Vier kontrastierende<br />
Seite page 95<br />
Kreisgebiete in Ost- und Westdeutschland, die in ehemaligen Güterprovinzen<br />
oder alten Gewerbelandschaften gelegen sind, werden<br />
hinsichtlich Klientenprofile, Institutionengefüge der Jugendhilfe und Struktur des<br />
professionellen Handelns sozialpädagogischer Fachkräfte untersucht.
Literatur Anhang<br />
•<br />
Praktische Bezüge finden sich implizit aufgrund des methodischen Vorgehens einer<br />
Klinischen Soziologie.<br />
• Die Forschungsmethode wird <strong>als</strong> fallrekonstruktiv und vergleichend charakterisiert.<br />
Eine Vielfalt von Datentypen und Erhebungsmethoden sollen integriert werden: Dokumentenanalyse,<br />
Auswertung von Interviews mit Experten und Klienten, Analyse von<br />
Beobachtungsprotokollen. Zentrale Untersuchungsverfahren sind die Sequenzanalyse<br />
in Form der Objektiven Hermeneutik und die Grounded Theory.<br />
• Das Projekt beschäftigt sich mit dem Institutionentransfer im Bereich der Kinder- und<br />
Jugendhilfe und der Professionalisierung ihrer Fachkräfte. Kooperationen bestehen im<br />
Forschungsfeld mit vier Jugendämtern. Ein Austausch erfolgt über gemeinsame Fallbesprechungen<br />
mit den Sozialen Diensten. Eine Vernetzung im <strong>SFB</strong> ist sowohl <strong>als</strong> Folge<br />
inhaltlicher Überschneidungen (B9, C4, C5, C6) <strong>als</strong> auch methodischer Konvergenzen<br />
(B2, B9, C4) gegeben.<br />
•<br />
Spezifische Transferwege in die Praxis sind im Antrag nicht angeführt.<br />
Projekt C4: Hans-Joachim Giegel, Hartmut Rosa (FSU)<br />
Politische Kultur und bürgerschaftliches Engagement<br />
• Das Projekt untersucht bürgerschaftliches Engagement (BE) in vier deutschen Städten.<br />
Makrosoziale Einflussfaktoren wie Soziales Kapital und Politische Kultur sollen<br />
systematisch bestimmt und die Verlaufsformen des BE vor dem Hintergrund sich dynamisch<br />
verändernder biographischer Konstellationen und gesellschaftlicher Umwelten<br />
analysiert werden.<br />
• Eine - allerdings eher einseitige - Rückkopplung findet auf der Basis einer Zweitbefragung<br />
der in der ersten Erhebungswelle bereits interviewten Engagierten und Nicht-<br />
Engagierten statt.<br />
Seite page 96<br />
• Die im Antrag vorgestellten Methoden sind: Longitudinale Analyse der<br />
Entwicklung von BE, Durchführung von Interviews (biographische<br />
Narration, Leitfadenfragen) und multiple Regressionsanalyse.<br />
• Mit Hilfe der Analysen sei zu einer angemessenen Form der Modellierung<br />
des BE und seiner relevanten Einflussfaktoren zu kommen.
Literatur Anhang<br />
• Formen der Öffentlichkeitsarbeit oder andere Formen des Wissenstransfers sind im Antrag<br />
nicht ausgewiesen. Dagegen vielfältige Bezüge innerhalb des <strong>SFB</strong> wie zu den Teilprojekten<br />
C3 und C5. Gegenstandsbezüge und Analyseinteressen teilt das Projekt auch<br />
mit A4 und A6. Weitere Überschneidungen ergeben sich zu A2, A5, B1, B2 sowie C6.<br />
Projekt C5: Johann Behrens (MLU)<br />
Rehabilitation zwischen Transformation und Weiterentwicklung<br />
• Das Projekt untersucht zwei sich überlagernde Challenges: Die westdeutschen Rehabilitations-<br />
und Pflegeanstalten zur Bewältigung von Inklusionsrisiken ersetzen die<br />
betriebszentrierten Einrichtungen der DDR. Zugleich sind diese westdeutschen Einrichtungen<br />
durch den demographischen Wandel und zu erbringende Effektivitätsnachweise<br />
nach SGB IX herausgefordert. In diesem Rahmen geht es um die Problematik der<br />
Frühverrentung, um die Analyse medizinischer und beruflicher Rehabilitation und um<br />
Fragen der Erwartungen, Motivationen von Klienten im Rahmen der Institutionen mit<br />
ihrer Spezifik von Autonomie- bzw. Heteronomieorientierung.<br />
•<br />
Wohl um den Grundlagencharakter eines vom Thema her praxisnahen Projekts nicht zu<br />
gefährden, werden zum Wissenstransfer keine expliziten Angaben gemacht.<br />
• Analysiert werden sollen dann die individuellen Akteursperspektiven von Klienten,<br />
Leistungsträgern (LVA) und Leistungserbringern (Reha-Kliniken). Die angeführten<br />
Methoden sind: Längsschnittanalyse, Hermeneutische Verfahren (Grounded Theory),<br />
Fallvignetten zur Untersuchung unterschiedlicher Individualisierungsgrade.<br />
• Insoweit es Ziel der Untersuchung ist, das Verhältnis von Akteuren und Institutionen <strong>als</strong><br />
Institutionenbildungsprozess lokaler, hypothetisch von Erwerbs- und Arbeitslosigkeitsquoten<br />
und kulturellen Traditionen beeinflusster lokaler Akteure in ihren Professionalisierungspotentialen<br />
zu analysieren, lassen sich potentielle Formen des Austausches mit<br />
der Praxis erkennen. Im Kontext des <strong>SFB</strong> wird insbesondere auf eine Kooperation mit<br />
den Teilprojekten B2, C3, C4 und C6 verwiesen.<br />
• Eine systematische Öffentlichkeitsarbeit ist nicht ausgewiesen, dagegen<br />
eine gute - auch internationale - Vernetzung in der scientific<br />
community.<br />
Seite page 97
Literatur Anhang<br />
Projekt C6: Rainer K. Silbereisen (FSU)<br />
Individuelle und soziale Ressourcen zur Bewältigung des sozialen Wandels: Entwicklung<br />
und psychosoziale Effekte<br />
• Das Teilprojekt C6 untersucht die Entwicklung von individuellen und sozialen Ressourcen<br />
bei der Bewältigung der längerfristigen Folgen des sozialen Wandels vom Jugendalter<br />
bis zum mittleren Erwachsenenalter. Im Rahmen der Analysen soll untersucht werden,<br />
welche Ost-West, regionale und interindividuelle Unterschiede in der Ausprägung der<br />
Bewältigungsressourcen bestehen.<br />
• Schon auf Grund der gewählten Methode findet in der Forschung kein direkter<br />
Austausch zwischen Theorie und Praxis statt. Deshalb fehlen explizite Aussagen zum<br />
Wissenstransfer.<br />
• Die Methode besteht aus der Kombination eines querschnittlichen und längsschnittlichen<br />
Designs - repräsentative Befragung und Befragung im Längsschnitt; Querschnittsstudie,<br />
Strukturgleichungsverfahren, hierarchische Mehrebenenanalysen; Interventionsstudien<br />
(univariate Analysen, multivariate Modellprüfung).<br />
• Ziel des Projekts ist es, Informationen, Technologien und Empfehlungen bereitzustellen,<br />
die von der interessierten Praxis übernommen werden können. So ist u.a. ein Interventionsprogramm<br />
geplant, das an Schulen eingesetzt werden soll.<br />
Festzustellen sind eine systematische Vernetzung in der internationalen<br />
• scientific community<br />
und Bezüge zu anderen Projekten des <strong>SFB</strong>. Im Rahmen des Projektes in gemeinsamen<br />
Untersuchungsregionen erhobene Daten sollen von anderen Teilprojekten (z.B.<br />
C3) genutzt werden. Gemeinsame Analysen sind mit dem Teilprojekt C4 vorgesehen.<br />
Seite page 98
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
Systemumbruch<br />
Strukturbildun<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> - Geschäftsführung (2009) ISSN 1619-6171