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Nr. 62 - Soziale Welt

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SOZIALES<br />

Gefühlte vs. reale Kriminalität<br />

5<br />

Hauptstadt der Kriminalität in Deutschland,<br />

hinter jeder Ecke lauert ein Gewalttäter, hinter<br />

jedem Busch ein Kinderschänder und an<br />

jedem Bildschirm ein Betrüger. Es würde<br />

immer schlimmer und jeder wäre demnächst<br />

Opfer, meint man. Nicht könnte ferner von<br />

der Realität sein.<br />

22 von 25 mal auf Platz 1 in der Polizeilichen<br />

Kriminalstatistik – das muss doch die gefährlichste<br />

Stadt in Deutschland sein? Die Stadt<br />

heißt Frankfurt, und die Statistik stimmt<br />

nicht. Sie hat zwei grobe Fehler: Die Zahl der<br />

Ein-und Auspendler ist nicht berücksichtigt.<br />

Frankfurt als räumlich kleinste Großstadt in<br />

Deutschland hat im Vergleich zur Zahl der in<br />

Frankfurt Arbeitenden eine geringe Wohnbevölkerung.<br />

Doch auch Pendler, Fluggäste,<br />

Messebesucher begehen Straftaten – z.B.<br />

Schwarzfahren, Verstöße gegen Einreisebestimmungen,<br />

gegen das Waffenrecht infolge<br />

illegal mitgeführter Souvenirs wie Messer<br />

und Dolche, Plagiate und Zollvergehen.<br />

Vieles davon sind Delikte, die nicht sicherheitsrelevant<br />

sind oder keine personifizierbaren<br />

Opfer haben, wie z.B. Schwarzfahren<br />

und Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz.<br />

Nimmt man diese „Straftaten“ aus der Gesamtzahl<br />

heraus, rutscht Frankfurt gleich von<br />

Platz 1 auf Platz 8 der Statistik: nach Bremen,<br />

Köln, Lübeck, Kiel, Magdeburg und<br />

Hamburg. Berücksichtigt man auch noch<br />

die Pendler und Besucher und legt die Zahl<br />

der Menschen dem statistischen Vergleich<br />

zugrunde, rutscht Frankfurt auf Platz 21<br />

der 38 deutschen Städte mit über 200.000<br />

Einwohnern.<br />

Je weniger je besser<br />

Jedes Jahr im Frühjahr legt das Polizeipräsidium<br />

Frankfurt die Statistik für das abgelaufene<br />

Vorjahr vor. Dabei gilt: je weniger<br />

je sicherer – außer bei Aufklärungsquote<br />

und der Anzahl der festgenommenen Tatverdächtigen.<br />

Unter diesen Gesichtspunkten<br />

kann sich das Ergebnis 2010 gut sehen lassen,<br />

denn Frankfurt ist nicht unsicherer geworden,<br />

sondern das Gegenteil ist der Fall.<br />

Die Gesamtstraftaten sind zurückgegangen<br />

(um 1,6%), der Anteil der Gewalttaten an<br />

der Gesamtkriminalität ist gleich geblieben,<br />

Straßenraub wurde nochmals um 4,8% reduziert,<br />

auch die Zahl der Betrugsdelikte<br />

sank (um 1.100 Fälle). Die Aufklärungsquote<br />

hat mit 60,0% den zweithöchsten Stand<br />

seit 1970 erreicht, über 1.500 Tatverdächtige<br />

mehr wurden ermittelt bzw. festgenommen.<br />

Wermutstropfen: auch wenn der Frankfurter<br />

auf den Straßen sicherer lebt als im Vorjahr,<br />

in seinem Heim sieht es anders aus, denn es<br />

gibt eine deutliche Zunahme bei Wohnungseinbrüchen.<br />

Dagegen allerdings könnte man<br />

sich absichern.<br />

Über den Aufbau einer Statistik kann man<br />

sich stundenlang streiten. Wichtig ist nur,<br />

dass eine Vergleichbarkeit mit den Vorjahren<br />

leicht ersichtlich ist und einen Vergleich<br />

nicht nur mit den Vorjahren, sondern auch<br />

mit anderen Städten erlaubt. Das ist der Fall,<br />

die Reihenfolge der Darstellung muss demzufolge<br />

zurücktreten. Deshalb ist die Unterscheidung<br />

in Straftaten mit und ohne personifizierbare<br />

Opfer aus der offiziellen Statistik<br />

nicht unmittelbar sichtbar, man muss eben<br />

zu Ende lesen.<br />

Das Gesamtbild<br />

107.356 Fälle sind eine ganze Menge. Aber es<br />

sind auch 1.744 gleich 1,6% weniger als im<br />

Vorjahr. Die Aufklärungsquote konnte bei<br />

60% gehalten werden, im Vorjahr waren es<br />

0,5% mehr. Nun ist eigentlich Aufgabe einer<br />

Sicherheitsbehörde, Straftaten zu verhindern.<br />

Somit sollten auch diejenigen Straftaten mitberücksichtigt<br />

werden, die verhindert werden<br />

konnten: 2010 konnten 8.240 Fälle in Ansatz<br />

vereitelt werden gleich 7,7%. Im Vorjahr<br />

waren es 7.100 Fälle gleich 6,5% der Straftaten.<br />

Nach Zahlen sind die Hauptdeliktgruppen<br />

weiterhin die Bereiche Diebstahl,<br />

Betrug, Verstöße gegen Asyl- und Aufenthaltsrecht<br />

sowie Sachbeschädigungen. Gewaltkriminalität<br />

rangiert erst an siebter Stelle<br />

mit jahrelang gleich bleibendem 3% Anteil.<br />

Schwerpunkt Diebstahl<br />

35,5% der erfassten Gesamtkriminalität<br />

entfallen auf diesen vielfältigen Bereich kriminellen<br />

Aktivitäten, vom Ladendiebstahl<br />

bis zum Fahrradklau und Entwendung von<br />

Gegenständen nach Einbruch in abgestellte<br />

Pkws. Diese Kriminalitätsgruppe ist um 411<br />

Fälle auf nunmehr 38.144 Straftaten angestiegen<br />

in 2010, gleich 0,9% und ist damit<br />

Schwerpunkt der kriminellen Aktivitäten.<br />

Die Aufgliederung folgt dem Strafrecht und<br />

ist deshalb für den hoffentlich nicht betroffenen<br />

Bürger nicht einfach nachzuvollziehen.<br />

In Einzelnen: Ladendiebstahl rückläufig auf<br />

6.353 Fälle (- 0,4%), einfacher Diebstahl<br />

und 0,53% auf 21.553 Fälle. Ebenfalls gesunken<br />

der schwere Fahrzeugdiebstahl um<br />

69 Fälle gleich 1,9%.<br />

Dagegen zunehmend der schwere Diebstahl<br />

auf 16,591 Fälle, 3,3% mehr als im<br />

Vorjahr.<br />

Rückläufig ist auch die Zahl des schweren<br />

KFZ-Diebstahls um 25,5% auf 227 Straftaten<br />

und die Zahl der schweren Diebstähle<br />

in und aus KFZs – 414 Delikte gleich 9,3%<br />

weniger auf 4.016 Fälle. Hier kommt im<br />

Berichtsjahr eine 14 köpfige Bande ermittelt<br />

werden, gegen sieben Mitglieder erging<br />

Haftbefehl.<br />

Unerfreulich ist dagegen der Entwicklung<br />

bei den Wohnungseinbrüchen: Trotz<br />

Einrichtung einer speziellen Arbeitsgruppe<br />

steigt die Zahl der Wohnungseinbrüche seit<br />

2008 ständig an. Im Berichtszeitraum waren<br />

es 8,6% mehr gleich 2.105 Straftaten. Die<br />

Polizei: „Ursache für das erhöhte Fallaufkommen<br />

sind im Jahre 2010 nicht wie in der<br />

Vergangenheit schwerpunktmäßig die Täter<br />

aus Südamerika (Chile und Kolumbien und<br />

mobile Kinderbanden aus dem Bereich Straßburg<br />

(F), sondern sehr mobile „Südosteuropäer.<br />

Dazu gehören Kinderbanden (überwiegend<br />

Mädchen) für Mehrfamilienobjekte<br />

und Erwachsene, hauptsächlich Männer, für<br />

höherwertige Einfamilienhäuser.“ 76,4% der<br />

Delikte betrafen Mehrfamilien – und Hochhäuser,<br />

23,6% Einfamilien- und Reihenhäuser<br />

und weniger als 0,4% Villen – das dürfte<br />

dem Grand der Absicherung dieser Objekte<br />

in etwa entsprechen. Auch hier gilt weiterhin<br />

die Aufforderung an die Bürger, durch eigenes<br />

Verhalten und Sicherheitsvorkehrungen<br />

den Schaden für die eigene Person zu verhindern.<br />

Polizeipräsident Dr. Thiel. „Bei 809<br />

(Vorjahr: 657) Objekten, bei denen die Täter<br />

nicht bzw. nicht schnell genug an ihr Ziel gelangen<br />

konnten, sahen sie von einer weiteren<br />

Tatausführung ab.“<br />

Schwerpunkt Betrug<br />

Zahlenmäßig zweiter Schwerpunkt in der<br />

Statistik sind die 22.954 Betrugsdelikte,<br />

21,4% der Gesamtkriminalität. Das ist ein<br />

Rückgang von 4,6% gegenüber dem Vorjahr.<br />

Dazu gehören allerdings auch 12.207 Fälle<br />

von „Leistungserschleichung“, vulgo beim<br />

Schwarzfahren erwischt. Da kaum anzunehmen<br />

ist, dass Frankfurter mehr zum Schwarzfahren<br />

neigen als z.B. die Kölner, hat die Zahl<br />

wohl mehr mit dem Kontrollverhalten von<br />

VGF und RMV zu tun als mit der tatsächlichen<br />

Kriminalität. Die Zahl der Schwarzfahrer<br />

ist bei ca. 170 Mio. Fahrgästen im Jahr<br />

wohl kaum aussagekräftig zu ermitteln.<br />

Verbesserte Kaufkraft könnte die Ursache<br />

für den Rückgang um 251 Delikte bei Waren-<br />

und Warenkreditbetrug sein (-9,8%).<br />

Davon könnten 63,6 % aufgeklärt werden.<br />

Bei Leistungsbetrug, insbesondere Gewinnspielverfahren<br />

und Abofallen im Internet,<br />

gab es eine deutliche Steigerung von 248 auf<br />

1.165 Fälle, davon konnten 85,8% aufgeklärt<br />

werden. Nebenbemerkung: Könnte es<br />

sein, dass insbesondere die Kriminalität Modeerscheinungen<br />

zeigt?<br />

Speziell gegen alte Mitbürger richten sich<br />

die „Enkeltrickbetrügereien“ mit 231 Fällen<br />

und allerdings nur 26 vollendeten Delikten<br />

Sieben Täter konnten auf frischer Tat festgenommen<br />

werden.<br />

Scheckbetrügereien und Kreditkartenbetrug,<br />

sind rückläufig, dagegen steigt die<br />

Computerkriminalität. Hier waren 2010<br />

994 Ereignisse registriert, 15,4% mehr als im<br />

Vorjahr. Die Aufklärungsquote konnten auf<br />

47,0% gesteigert werden. In allen Fällen, bei<br />

denen Banken beteiligt sind, z.B. beim Skimming<br />

am Geldautomaten und dem betrügerischen<br />

Einsatz von Debitkarten mit und<br />

ohne Pin, kritisieren die Kriminalisten das<br />

Verhalten der Banken: „Die Kriminalisten<br />

betonen, dass die Eröffnung eines Kontos für<br />

potenzielle Täter noch immer zu einfach ist.<br />

Diese Erkenntnisse haben sich 2010 erneut<br />

in zwei größeren, noch nicht abgeschlossenen<br />

Ermittlungskomplexen gegen Rumänen<br />

und Bulgaren gezeigt…. Gelegentlich gab es<br />

sogar noch für „Neukunden“ 50 € Prämie<br />

aufs eröffnete leere Konto.“<br />

Die Internetkriminalität entzieht sich in<br />

mehr als einer Richtung den Fähigkeiten einer<br />

lokalen Polizeibehörde. In Frankfurt gab<br />

es 198 Fälle, die angezeigt wurden, aber von<br />

51 Tatverdächtigen waren 24 Nichtdeutsche,<br />

die teilweise aus dem Ausland agierten. Hier<br />

ist internationale Zusammenarbeit und eine<br />

Anpassung der Gesetzes- und Speicherungsbestimmungen<br />

gefragt. Dr. Thiel: “Geschädigte<br />

bleiben auf ihren Schäden sitzen und<br />

erfahren immer weniger Gerechtigkeit, da<br />

ein wesentlicher Nachforschungsansatz, die<br />

ehemalige vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung,<br />

weggefallen ist .... Hier wird nach<br />

meiner Meinung mehr Täter- als Opferschutz<br />

betrieben.“<br />

Effekt Internationalität<br />

10,1 % der Frankfurter Gesamtkriminalität<br />

entfallen auf Aufenthalts- und Asylverfahrensdelikte.<br />

Dabei ist das Märchen vom<br />

Schwarzen, der seinen Pass wegwirft, einfach<br />

nur ein Märchen. Die Aufklärungsquote<br />

liegt bei 98,3%. Und: Von den festgestellten<br />

10.883 Fällen wurden 6,837 gleich 58,8%<br />

am Flughafen von der Bundespolizei festgestellt<br />

worden und werden der Frankfurter<br />

Statistik zugerechnet. Diesen Effekt haben<br />

andere Städte ohne internationalen Flughafen<br />

nicht.<br />

Sachbeschädigungen rückläufig<br />

Ist das wieder eine Modeerscheinung? 1.035<br />

Fälle weniger in 2010 bei den Sachbeschädigungen.<br />

Es gab „nur“ 7.857 Fälle gleich<br />

7,3% vom Gesamtaufkommen. Allerdings<br />

konnten auch nur 20,3% entsprechend<br />

1,592 Fälle aufgeklärt werden.<br />

Ähnliches ist von den Graffiti-Delikten<br />

zu vermelden: Rückgang auf 2. 0<strong>62</strong> Delikte,<br />

weniger 23,5%. Allerdings sind die Erfassungskriterien<br />

geändert wurden, sodass die<br />

Zahlen mit denen der Vorjahre nur bedingt<br />

vergleichbar sind.<br />

Drogendelikte<br />

Auf Frankfurts Straßen sind Drogendelikte besonders<br />

auffällig und auch besonders störend.<br />

Über 40% der Klientel kommen nicht aus<br />

Frankfurt, sondern reisen aus dem Umland und<br />

aus anderen Städten ein. Eine Bekämpfung ist<br />

nur langfristig Erfolg versprechend. Deshalb<br />

wurde bereits 2004 ein Konzept OSSIP = Offensive<br />

Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention<br />

und Prävention beschlossen. Die statistischen<br />

Zahlen zeigen nicht unbedingt mehr Kriminalität,<br />

sondern vor allen Dingen die intensiven<br />

Bemühungen um die Aufklärung eines<br />

„Dunkelfeldes“, die Straftaten innerhalb einer<br />

ziemlich unübersichtlichen und geschlossenen<br />

Szene. 2010 wurden 7.639 Delikte registriert,<br />

177 Fälle weniger als im Vorjahr. Die Aufklärungsquote<br />

lag bei 91,8%. Wie im Vorjahr, gab<br />

es auch 2010 wieder 35 Drogentote. >Seite 6<br />

Interessant ist die Differenzierung nach<br />

Drogenarten. In der Reihenfolge: 2.631 im<br />

Zusammenhang mit Cannabis, 1.875 mit

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