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La Cheyenne

Ausgefranst war mein Mund und mein Kopf musste leer sein. Mit nur kurzen Unterbrechungen hatte ich den ganzen Tag gequasselt. Diese Donnerstage waren Hundstage. Und dann auch noch die Sprechstunde zwischendurch. Jammernde junge Männer erlebte ich häufig, trotzdem freute es mich nicht. Was tat ich mir nur für Qualen an? Reich und schön musst du sein und etwas Besonderes bringen, dann kannst du glücklich werden. Die meisten Menschen sind jedoch weder schön noch reich und können auch nix. Mir ging es nicht anders. So sah ich mich jedenfalls. Nur mich als unglücklich zu empfinden, wollte mir selbst an Tagen, an denen die Sonne Ausgehverbot hatte, weil graue Wolkenteppiche ihr den Zugang zu uns versperrten, nicht gelingen. Ob ich noch erwartete, die großen Wunder dieser Welt zu entdecken, weiß ich nicht, aber die Hoffnung darauf war so früh in meiner Kindheit implementiert worden, dass sie sich wohl beim Gehirnwachstum mit angelegt hatte. Ob Charlotte, die feministische Professorin für Mathematik noch die Wunder dieser Welt entdecke, und was sie dabei alles zu bewältigen hatte, weiß die Geschichte.

Ausgefranst war mein Mund und mein Kopf musste leer sein. Mit nur kurzen Unterbrechungen hatte ich den ganzen Tag gequasselt. Diese Donnerstage waren Hundstage. Und dann auch noch die Sprechstunde zwischendurch. Jammernde junge Männer erlebte ich häufig, trotzdem freute es mich nicht. Was tat ich mir nur für Qualen an? Reich und schön musst du sein und etwas Besonderes bringen, dann kannst du glücklich werden. Die meisten Menschen sind jedoch weder schön noch reich und können auch nix. Mir ging es nicht anders. So sah ich mich jedenfalls. Nur mich als unglücklich zu empfinden, wollte mir selbst an Tagen, an denen die Sonne Ausgehverbot hatte, weil graue Wolkenteppiche ihr den Zugang zu uns versperrten, nicht gelingen. Ob ich noch erwartete, die großen Wunder dieser Welt zu entdecken, weiß ich nicht, aber die Hoffnung darauf war so früh in meiner Kindheit implementiert worden, dass sie sich wohl beim Gehirnwachstum mit angelegt hatte. Ob Charlotte, die feministische Professorin für Mathematik noch die Wunder dieser Welt entdecke, und was sie dabei alles zu bewältigen hatte, weiß die Geschichte.

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testen.“ entschuldigte ich mich. „Machen sie das mit ihren Kollegen auch? Stellen<br />

sie denen zwischendurch auch mal solche Fragen?“ erkundigte sich Herr<br />

Berger. „Die brauche ich nicht mehr zu testen, die kenne ich alle schon.“ antwortete<br />

ich. „Als Neutrum werden sie mich aber doch nicht sehen. Auch wenn<br />

es in unserer Unterhaltung keine Rolle spielt, ein Bild von mir als Frau werden<br />

sie schon haben.“ bemerkte ich. „Das möchten Frauen immer gerne wissen,<br />

wie sie von Männern gesehen werden, nicht wahr?“ vermutete Herr Berger.<br />

„Herr Berger!“ tönte ich laut mahnend, „Jetzt entwickeln sie sich doch zum<br />

Chauvi. Woher soll ihnen denn bekannt sein, was alle Frauen gerne wissen<br />

wollen. Machen sie sich niemals solche Gedanken und hüten sie sich davor,<br />

wenn es sie in Zukunft mal wieder überkommen sollte. 'Die Frauen' gibt es<br />

nicht und erst recht nicht die, über die alle Männer Bescheid wissen. Mich<br />

interessiert es auch nicht, wie sie mich sehen, sondern wie sie denken.“<br />

verdeutlichte ich. „Das war ein übler Fauxpas, frauenfeindlich. Aber sie werden<br />

mich nicht dafür steinigen.“ vermutete er und lachte, „Männern wird das in der<br />

Sozialisation vermittelt, dass sie grundsätzlich wissen, was Frauen wollen,<br />

nicht war? Bei unserer Unterhaltung spielt ihr Bild als Frau keine Rolle. Ich<br />

halte sie für einen wundervollen Menschen, und das wirkt sich natürlich auf ihr<br />

Bild als Frau aus.“ erklärte Herr Berger. „Aber sich selbst halten sie nicht mehr<br />

für so toll?“ fragte ich. „Ich kam mir schon nicht schlecht vor, hatte immer die<br />

besten Zensuren und konnte studieren, was ich wollte.“ erklärte er. „Sehr<br />

ehrgeizig sind sie, oder?“ vermutete ich. „Nein, überhaupt nicht. Ich bin eher<br />

naturfaul. Meine Eltern waren im Tennisclub, also spielten meine Schwester<br />

und ich auch. Im Prinzip fand ich Tennis gar nicht schlecht, aber immer nur<br />

verlieren, da vergeht die Lust. Ich hätte üben, trainieren müssen, aber dafür<br />

war ich zu faul. Keineswegs muss ich überall der Erste, der Gewinner, der<br />

Beste sein.“ erklärte Herr Berger. „In der Schule war es aber schon so. Da wird<br />

man sie doch nicht nur gezwungen haben.“ meinte ich. „Das hatte aber mit<br />

Ehrgeiz nichts zu tun. Wenn du etwas nicht kannst, etwas nicht verstehst,<br />

gehörst du zu den Doofen, den Dummen. Das wäre eine Horrorvorstellung<br />

gewesen. Solange ich mich erinnern kann, war das so und hat sich bis zum<br />

Abitur gehalten. Wenn meine Arbeiten alle ausreichend, mangelhaft und<br />

ungenügend gewesen wären, hätte ich mich wahrscheinlich umgebracht. Wenn<br />

du immer der Beste bist, vermittelt dir das schon ein Gefühl, als ob du etwas<br />

Tolles wärst.“ erklärte Herr Berger. „Und jetzt sehen sie das nicht mehr so?“<br />

wollte ich wissen. „Nein, ich hatte immer die besten Noten und bin im Grunde<br />

dumm und einsam geblieben.“ sagte Herr Berger. „Wie meinen sie das?“ wollte<br />

ich wissen. „Wie sie das als Kind schon gesehen haben, dass Elternhaus und<br />

Schule ihren Erziehungsauftrag an ihnen abarbeiten, auf solche Gedanken bin<br />

ich nie gekommen. Auf die eigentlich wichtigen Gedanken bin ich<br />

wahrscheinlich nie gekommen, weil ich einfach immer nur so weitergelebt<br />

habe, von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Immer nur<br />

gemacht, was gerade anlag und erforderlich war und war stolz, weil ich immer<br />

gelobt wurde.“ erläuterte Herr Berger. „Und sie selbst, der Julian Berger<br />

außerhalb der guten Schulnoten, wer war der? Hat der auch Indianer oder<br />

mehr Fußball gespielt?“ fragte ich scherzend. „Beides nicht.“ antwortete Herr<br />

Berger. Mit der Schule hatte ich schon sehr viel zu tun. Und dann erfährst du<br />

ja auch mehr, als du unbedingt wissen musst. Aber was hat das für einen<br />

<strong>La</strong> <strong>Cheyenne</strong> – Seite 12 von 30

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