01.08.2014 Aufrufe

La Cheyenne

Ausgefranst war mein Mund und mein Kopf musste leer sein. Mit nur kurzen Unterbrechungen hatte ich den ganzen Tag gequasselt. Diese Donnerstage waren Hundstage. Und dann auch noch die Sprechstunde zwischendurch. Jammernde junge Männer erlebte ich häufig, trotzdem freute es mich nicht. Was tat ich mir nur für Qualen an? Reich und schön musst du sein und etwas Besonderes bringen, dann kannst du glücklich werden. Die meisten Menschen sind jedoch weder schön noch reich und können auch nix. Mir ging es nicht anders. So sah ich mich jedenfalls. Nur mich als unglücklich zu empfinden, wollte mir selbst an Tagen, an denen die Sonne Ausgehverbot hatte, weil graue Wolkenteppiche ihr den Zugang zu uns versperrten, nicht gelingen. Ob ich noch erwartete, die großen Wunder dieser Welt zu entdecken, weiß ich nicht, aber die Hoffnung darauf war so früh in meiner Kindheit implementiert worden, dass sie sich wohl beim Gehirnwachstum mit angelegt hatte. Ob Charlotte, die feministische Professorin für Mathematik noch die Wunder dieser Welt entdecke, und was sie dabei alles zu bewältigen hatte, weiß die Geschichte.

Ausgefranst war mein Mund und mein Kopf musste leer sein. Mit nur kurzen Unterbrechungen hatte ich den ganzen Tag gequasselt. Diese Donnerstage waren Hundstage. Und dann auch noch die Sprechstunde zwischendurch. Jammernde junge Männer erlebte ich häufig, trotzdem freute es mich nicht. Was tat ich mir nur für Qualen an? Reich und schön musst du sein und etwas Besonderes bringen, dann kannst du glücklich werden. Die meisten Menschen sind jedoch weder schön noch reich und können auch nix. Mir ging es nicht anders. So sah ich mich jedenfalls. Nur mich als unglücklich zu empfinden, wollte mir selbst an Tagen, an denen die Sonne Ausgehverbot hatte, weil graue Wolkenteppiche ihr den Zugang zu uns versperrten, nicht gelingen. Ob ich noch erwartete, die großen Wunder dieser Welt zu entdecken, weiß ich nicht, aber die Hoffnung darauf war so früh in meiner Kindheit implementiert worden, dass sie sich wohl beim Gehirnwachstum mit angelegt hatte. Ob Charlotte, die feministische Professorin für Mathematik noch die Wunder dieser Welt entdecke, und was sie dabei alles zu bewältigen hatte, weiß die Geschichte.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Inga war Soziologin. Die Tiefe unserer Freundschaft zeigte sich vornehmlich<br />

darin, wie heftig wir uns stundenlang auseinandersetzen konnten. Sie war<br />

engagierte Feministin. Bei aktuellen politischen Themen gab es wenig<br />

Differenzen. Interessant wurde es für mich erst, wenn wir zu<br />

erkenntnistheoretischen Grundsatzfragen kamen, und das war in der Regel der<br />

Fall. Im Grunde war es fast immer ein Streit darum, wer die fundierteren<br />

philosophischen Kenntnisse hatte, einig waren wir uns aber immer darin, dass<br />

sonst niemand auf dem Niveau wie wir darüber diskutieren könnte. Im Café<br />

standen wir an der Theke und suchten Kuchen aus. Neben mir stand ein Mann,<br />

dessen Totensonntagsmine zu diesem tristen Herbsttag passte. Ich blinzelte<br />

ihm zu und lächelte. Seine Mimik wachte plötzlich auf. Er lächelte zurück. Als<br />

ich nochmal zu ihm blickte, lächelte er wieder. „So ist es doch besser.“ hätte<br />

ich ihm sagen können und drückte es mit einem Kussmündchen aus. Ich wollte<br />

zum Platz gehen, er war noch nicht fertig. „Warten sie doch mal, bitte, einen<br />

Moment.“ sagte er. Er druckste und meinte: „Sie wollten mir doch einen Kuss<br />

geben. Also ich, von mir aus, ich hätte nichts dagegen. Ich würde mich sehr<br />

über einen Kuss von ihnen freuen.“ „Junger Mann, sie spinnen wohl. Ich wollte<br />

nur ihr trübes Gesicht ein wenig aufheitern. <strong>La</strong>ssen sie so einen Blödsinn.“<br />

machte ich klar. „Nur einmal. Das ist doch nicht schlimm. Dann kommt das<br />

trübe Gesicht den ganzen Tag nicht wieder.“ bettelte er. So ein Unfug. Ich<br />

musterte ihn, lachte, und gab ihm den ersehnten Kuss. Später kam er zu Inga<br />

und mir an den Tisch. „Ich würde sie gern mal wiedersehen.“ meinte er, „Nicht<br />

wegen des Kusses. Ich würde gern mal mit ihnen reden. Ich kenne sie ja gar<br />

nicht, aber irgendwie müssen sie mich wohl beeindruckt haben.“ „Was soll das<br />

denn? Wir haben doch nichts miteinander zu tun. Sprechen sie auf der Straße<br />

irgendeine Frau an, dass sie sich mit ihr treffen möchten.“ empfahl ich ihm.<br />

„<strong>La</strong>ss dir doch seine Telefonnummer geben, dann kannst du ihn ja anrufen,<br />

wenn du wieder ein Bedürfnis zum Küssen verspüren solltest.“ feixte Inga,<br />

aber wir machten es so.<br />

Männer<br />

Natürlich würde ich diesen Mann nicht anrufen. Prinzipiell hatte ich ja nichts<br />

gegen Männer an sich, nur gegen die überall unverbrüchlich existierenden<br />

Machtstrukturen und das immerwährende Fortbestehen ihrer Dominanz in allen<br />

Bereichen. Kriminell war das schon. In weitesten Bereichen existierte die gesetzlich<br />

vorgeschriebene Gleichberechtigung von Frauen und Männern schlicht<br />

nicht. Feministin brauchtest du nicht zu sein, um dies feststellen zu können.<br />

Besonders bei uns am Institut bekam man es zu spüren. Frauen kamen in der<br />

Mathematik nicht vor. Inga schimpfte auf die Politik, die in Wirklichkeit keine<br />

Gleichberechtigung anstrebe. 90 % der Beschäftigten Frauen, aber Chef ist ein<br />

Mann, so etwas ließe sich doch verbieten. Ich sah das Problem mehr soziokulturell<br />

im Männerbild unserer Gesellschaft und in der damit verbundenen Sozialisation<br />

der Jungen und jungen Männer. Keineswegs war ich arm, hässlich und<br />

dumm, sodass bislang noch kein Mann Interesse an mir gehabt hätte, aber<br />

einen Chauvi oder Macho brauchte ich weder in meinem Haus noch als engen<br />

Freund. Liebe basiert auf dem Prinzip der Freude am selbstlosen Geben und<br />

Schenken, aber es gibt keinen Mann, der Interesse an dir hätte, weil er nicht<br />

<strong>La</strong> <strong>Cheyenne</strong> – Seite 4 von 30

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!