Südkurier 2010 - St. Martin und Severin
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28 Südkurier August <strong>2010</strong><br />
Jüdisches Leben unter Christen<br />
Veranstaltungsreihe im Forum Albertus Magnus<br />
Von Josef Dobelke<br />
Hätten Sie das gewusst, dass die<br />
jüdische Liturgie teilweise der Liturgie<br />
des christlichen Gottesdienstes<br />
nachgebildet worden ist? Ich habe<br />
es nicht gewusst. Vielmehr habe ich<br />
dies als eine von vielen Erkenntnissen<br />
aus den beiden Vorträgen von<br />
Herrn Dr. Buchholz, die er im Forum<br />
Albertus Magnus gehalten hat, mitgenommen.<br />
Meine Kritik an den beiden Vorträgen:<br />
sie waren zu kurz. Zwar hat<br />
Herr Dr. Buchholz aus der Fülle seines<br />
Wissens ein Menge den Zuhörern<br />
mitgeteilt, <strong>und</strong> dies in einer lebendigen<br />
<strong>und</strong> mitunter zum Schmunzeln<br />
anregenden Weise, etwa wenn er von<br />
den „in inniger Abneigung einander<br />
zugewandten jüdischen Glaubensrichtungen“<br />
sprach; aber bei unserer<br />
weitgehenden Unkenntnis jüdischen<br />
Lebens <strong>und</strong> Glaubens hätten wir sicher<br />
gern noch mehr gehört. Denn<br />
wir kennen viel zu wenig vom jüdischen<br />
Glauben <strong>und</strong> von jüdischen Riten.<br />
Bei dem ersten Vortrag wendete<br />
sich Herr Dr. Buchholz dem Siddur,<br />
dem jüdischen Gebetbuch zu. Ein<br />
Schott oder Bomm ist nichts dagegen,<br />
denn die Thora, das „Gesetzbuch“<br />
der Juden, wird in ihrem ganzen<br />
Umfang einmal im „Kirchenjahr“<br />
gelesen. <strong>St</strong>ellen Sie sich bitte vor,<br />
dass die gesamte Bücher Moses in<br />
unserem Gottesdienst in einem Kirchenjahr<br />
vollständig gelesen würde;<br />
das kann dauern <strong>und</strong> unsere Priester<br />
könnten nicht an einem Wochenende<br />
vier <strong>und</strong> mehr Gottesdienste mit<br />
ihren Gemeinden feiern. Dabei wird<br />
am jüdischen Gottesdienst jede Lesung<br />
mit Liedern <strong>und</strong> Psalmen sowie<br />
Preis- <strong>und</strong> Bittgebeten eingeleitet<br />
<strong>und</strong> ausgeleitet.<br />
Ein Gottesdienst findet nur statt,<br />
wenn mindestens 10 Juden anwesend<br />
sind; das gilt auch für die Werktagsgottesdienste<br />
!!! Vorbild für uns ?<br />
In dem zweiten Vortrag ging es<br />
um die jüdischen Feste. Jeder kennt<br />
den Jom-Kipur-Krieg aus der neuesten<br />
Geschichte des israelischen<br />
<strong>St</strong>aates. Aber was ist dies für ein<br />
Fest? Denken wir nur an den Krieg<br />
oder auch an das Fest? Werden nicht<br />
oft in unseren Gedanken Israel, der<br />
<strong>St</strong>aat der Juden <strong>und</strong> Israel, das Volk<br />
Gottes verwechselt? Hätten Sie gewusst,<br />
wie die Juden den Tschabat<br />
feiern oder dass die Juden ein „Kirchenjahr“<br />
haben, das sich nach dem<br />
Mondkalender richtet <strong>und</strong> mitten in<br />
unserem Kalenderjahr beginnt <strong>und</strong><br />
endet? (Das Kirchenjahr stimmt ja<br />
auch bei uns nicht mit dem Kalenderjahr<br />
überein!)<br />
Den dritten Teil dieses Themenzyklus<br />
bildete der Besuch der Synagoge<br />
in der Roonstraße in Köln mit<br />
Führung <strong>und</strong> einem anschließenden<br />
Essen in dem angeschlossenen Restaurant.<br />
Seit der zweiten Zerstörung<br />
des Tempels in Jerusalem durch die<br />
römischen Truppen im Jahre 70 n.<br />
Chr. haben die Juden keinen religiösen<br />
Mittelpunkt mehr. Die Synagogen<br />
sind nur Bethäuser, in denen sie<br />
sich versammeln <strong>und</strong> in denen sie des<br />
einen Gottes gedenken <strong>und</strong> in denen<br />
sie die Ankunft des Erlösers herbeibitten.<br />
Mittelpunkt dieser Bethäuser<br />
ist stets die Thorarolle, die die heiligen<br />
Texte enthält <strong>und</strong> die von dem<br />
gläubigen Juden deswegen nur mit<br />
einem kostbar gestalteten „Betfinger“<br />
bei der Verlesung berührt wird. Aufbewahrt<br />
wird sie in einem Schrein,<br />
der oft prächtig ausgestattet ist <strong>und</strong><br />
-mitunter mit unserem Tabernakel<br />
verglichen- an der <strong>St</strong>irnseite des Synagoge<br />
untergebracht ist, geschmückt<br />
mit den zehn Geboten <strong>und</strong> flankiert<br />
von dem siebenarmigen Leuchter.<br />
Ebenso wie die christlichen Kirchen<br />
sehr unterschiedlich sind <strong>und</strong><br />
in ihrer Form <strong>und</strong> Ausstattung die<br />
jeweiligen Weltanschauungen <strong>und</strong><br />
Glaubensinhalte zum Ausdruck<br />
bringen, sind auch die Synagogen<br />
sehr unterschiedlich. So finden wir<br />
Synagogen, in denen nur die Männer<br />
in dem Bethaus zugelassen sind<br />
<strong>und</strong> die Frauen auf die Emporen<br />
verwiesen werden (Synagoge in der<br />
Roonstraße, Köln) <strong>und</strong> solche, in denen<br />
Männer <strong>und</strong> Frauen gemeinsam<br />
im Bethaus zusammen sitzen <strong>und</strong><br />
dem Geschehen folgen (frühere, im<br />
1000jährigen Reich zerstörte Synagoge<br />
in der Glockengasse, Köln).<br />
Diese Unterschiede sind Ausdruck<br />
der unterschiedlichen Einstellungen<br />
zum gleichen jüdischen<br />
Glauben. Seit der Vertreibung der<br />
Juden nach der Zerstörung des zweiten<br />
Tempels sind die Juden bekanntlich<br />
auf der ganzen Welt zerstreut,<br />
sie leben in der Diaspora (nach dem<br />
griechischen Wort diaspeirein = zerstreuen).<br />
Entsprechend den Regeln<br />
ihres Glauben (es gibt mehr als 600<br />
Geboten <strong>und</strong> Verbote, nach denen<br />
sich der gläubige Jude zu richten hat)<br />
waren sie stets getrennt von den anderen<br />
Menschen, in deren Siedlungsgebieten<br />
sie sesshaft geworden waren.<br />
Deswegen ist die Antwort auf die<br />
Frage, was ist ein Jude? „Anders“ eine<br />
sicher zutreffende, aber nicht umfassende<br />
Feststellung. Hielten die Juden<br />
an ihren strengen Gesetzen fest, so<br />
unterschieden sie sich sichtbar von<br />
den Menschen ihrer Umgebung. Sie<br />
konnten nur überleben, wenn sie sich<br />
zusammenschlossen <strong>und</strong> gegenseitig<br />
unterstützten. Diese Abgrenzung von<br />
den anderen Menschen führte aber<br />
auch dazu, dass die Mitbewohner in<br />
ihnen meist etwas Fremdes <strong>und</strong> mitunter<br />
auch etwas Unheimliches oder<br />
auch Böses sahen. Da lag es nahe,<br />
dass man sie nicht allzu nahe an sich<br />
herankommen lassen wollte <strong>und</strong> ihnen<br />
den Zugang zu den üblichen Berufen<br />
verweigerte, was dazu führte,<br />
dass sie sich in Nischenberufen betätigten,<br />
wie dem der Geldverleiher,<br />
weil kein Christ einen Zins nehmen<br />
durfte (die Schutzsteuern für die Juden<br />
nahmen die mittelalterlichen<br />
Kölner Bischöfe oder auch andere<br />
Herrscher aber gern an).<br />
Während ein Teil der Juden immer<br />
noch darauf hoffte, nach Jerusalem<br />
<strong>und</strong> in das von Gott den Vätern zugesagte<br />
gelobte Land zurückkehren zu<br />
können, gaben andere diese Vorstellung<br />
weitgehend auf <strong>und</strong> versuchten,<br />
sich in den „Gastländern“ zu assimilieren.<br />
Bekannt ist der auf Initiative<br />
von Raphael Löwenfeld gegründete<br />
„Central-Verein deutscher <strong>St</strong>aatsbür-