Franz Schandl inspiziert Fassaden * Ernst Lohoff ... - Streifzüge
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FRANZ SCHANDL,FASSADENSCHAU 3<br />
<strong>Fassaden</strong>schau *<br />
INSPEKTIONSREISEN DURCH GESCHICHTE UND GEGENWART EINES DOCH SELTSAMEN LANDES (1.TEIL)<br />
von <strong>Franz</strong> <strong>Schandl</strong><br />
„Die Renovierung der Vergangenheits-<br />
Fassade mittels Provokation ist ein<br />
periodisch wiederkehrendes, reinigendes<br />
Ereignis in der nationalen Geistesgeschichte,<br />
nur mit Nutzen verknüpft<br />
und gänzlich ohne Gefahr.“<br />
(Günther Nenning, 1963)1<br />
„Die wahre Ordnung auf Erden muss<br />
im Herzen von ihrer Nichtswürdigkeit<br />
überzeugt, ihre <strong>Fassaden</strong> müssen<br />
sauber sein wie fabrikneuer Battist.“<br />
(Gerhard Fritsch, 1967)2<br />
Die Fassade, die darf wahrlich nicht<br />
runterfallen. Dir nicht, mir nicht,<br />
aber auch dem Staat nicht.Auf unsere Fassade<br />
verlässt sich der Blick, der zur Sicht<br />
wird, ja zur Sichtweise. Egal, was in uns<br />
steckt,es versteckt sich hinter der Fassade.<br />
Zu bestimmten Anlässen muss die Fassade<br />
gereinigt, verputzt und bemalt werden.<br />
Das ist gerade wieder einmal der Fall.<br />
Auch am Staatsgebäude der Zweiten Republik<br />
finden sich neue Ornamente,werden<br />
Inschriften verändert.<br />
1.<br />
Kein Staat, der sich nicht bejubelt. Ein<br />
Staatsjubiläum ist eine säkularisierte<br />
Messe, die alle heiligen Zeiten aufgeführt<br />
wird. Sein Zweck erfüllt sich, wenn sich<br />
die Selbstbestätigung bestätigt.Es geht um<br />
Überprüfung und Vergewisserung des<br />
Staates. Um die Ausbildung einer Einbildung.<br />
Um die Politur der Identität. Gelegentlich<br />
muss nachjustiert werden.Insgesamt<br />
ist aber nicht Kritik angesagt, sondern<br />
Beipflichtung. „Der Staat, den alle<br />
wollen“, heißt es dieser Tage, oder „Ganz<br />
Österreich feiert“.Wer vermag sich schon<br />
dieser Pflichterfüllung zu entziehen? Sie<br />
wird als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.Es<br />
ist ein totales Szenario.Staatsbürgerschaft<br />
definiert nicht nur Zugehörigkeit,<br />
sondern auch gleich Hörigkeit mit.<br />
Bevor wir denken, haben wir zu gedenken.Das<br />
Gedenken freilich ist religiös<br />
besetzt, es meint eine andächtige Form,in<br />
der spezifische Akzente zelebriert werden<br />
und eine positive Ausstrahlung entwickeln.<br />
„Wir hoffen, dass Sie unserer Meinung<br />
sind, dass wir die Pflicht haben, im<br />
Jahr 2005 besonders stolz auf Österreich<br />
zu sein“, schreiben Hannes Androsch,<br />
Herbert Krejci und Peter Weiser in einem<br />
offenen Brief.3 Hoffen.Pflicht.Stolz.Österreich<br />
meint nicht Kenntnis von, sondern<br />
Bekenntnis zu.Der freie Wille ist der<br />
Wille zum Staat,dem man gehört.So weiß<br />
der Staat, wovon nicht einmal ich weiß,<br />
nämlich dass ich ihn will.Wahrscheinlich<br />
weiß der Staat sowieso mehr als ich, und<br />
auch wenn es nicht stimmt, er bestimmt.<br />
Wollten die Nazis ihre Feinde vernichten,<br />
so wollen die real existierenden Staatsdemokraten<br />
ihre Gegner nicht einmal mehr<br />
erwähnen, sie sind a priori schon genichtet.Es<br />
hat sie schlicht und einfach nicht zu<br />
geben.Wir sind niemand, wo doch alle…<br />
Immer wenn von „niemand“ oder<br />
„alle“ die Rede ist, beginnt es mich zu<br />
fürchten. Der ultimative Einschluss und<br />
der ultimative Ausschluss sind identisch.<br />
Beide Male bleibt nichts übrig.Der Jargon<br />
der Eingemeindung löscht das Ich in<br />
einem Wir aus, in dem er dieses ganz einfach<br />
als eherne Kraft voraussetzt. Es erscheint<br />
als unhintergehbare Größe. Es<br />
nicht anzuerkennen, stellt eine Verrücktheit<br />
dar, und zweifellos es ist auch eine<br />
große Verrückung. Doch erst dieser Perspektivenwechsel<br />
lässt das Allmächtige als<br />
das auftreten was es ist:Durchgesetztes,das<br />
einem historischem Ablauf folgt, keinem<br />
biologischen Kreislauf. Kein Staat redet<br />
von seinem Ablaufdatum.<br />
Das kumpelhafte „Wir sind doch alle<br />
Österreicher!“ impliziert Gefolgschaft,<br />
nimmt einen in Geiselhaft,und wenn man<br />
nicht spurt, gerät man gleich allen so gescholtenen<br />
„Nestbeschmutzern“ in<br />
ideelle Schubhaft. Dieses aggressive Wir<br />
umschließt nicht nur die Sprecher, sondern<br />
auch die Angesprochenen,macht sie<br />
zu patriotischen Komplizen.Anstatt mit<br />
Rollen und ihren Klischees zu brechen,<br />
werden sie dekliniert:Wir-unser-uns-uns.<br />
Wie kommt dieses Wir in die Menschen,<br />
was ist sein Inhalt? Es geht doch<br />
nicht an, dass die Menschen nur als eine<br />
den Staaten zugeordnete Spezies von<br />
Staatsbürgern fungieren dürfen.Man kann<br />
auch nicht zu irgendeiner Geschichte stehen,<br />
gleich einem Bekenntnis zur Herkunft,<br />
der Heideggersche Käfig4 ist zu<br />
sprengen.Seine Stärke liegt in der kollektiven<br />
Einbildung.Geschichte muss aufhören,identitätsstiftende<br />
Instanz zu sein.Das<br />
Sich-aus-der-Herkunft-Definieren lässt<br />
einen nicht frei, sondern legt einen fest.<br />
Der Zufall der Geworfenheit ist kein Kriterium<br />
einer vorgegebenen Verbindlichkeit.<br />
Herkunft und Zukunft sind keine<br />
normativen Zusammengehörigkeiten!<br />
Die Zwangsvergemeinschaftungen haben<br />
aufzuhören und freiwilligen Assoziationen<br />
zu weichen.Nicht woher jemand kommt<br />
ist von entscheidender Bedeutung, sondern<br />
wohin jemand geht,was jemand will<br />
und tut.<br />
2.<br />
Gegenwart folgt der Vergangenheit, aber<br />
Geschichte folgt der Gegenwart. Geschichte<br />
ist nicht das,was gewesen ist,sondern<br />
stets das, was man aus der Vergangenheit<br />
macht.Was sich uns als Geschichte<br />
darstellt,ist also keine Ablagerung der Vergangenheit,<br />
sondern ein Abbau. Da wird<br />
selektiv zugegriffen. Geschichte ist kein<br />
Heraustreten,das sich gleich einer objektiven<br />
Wirklichkeit aufdrängt und erkannt<br />
werden kann, nein sie entsteht vielmehr<br />
mittels einer absichtsvoll angelegten Schablone.Durch<br />
unablässiges Verwenden wird<br />
sie zu einem festen Maßstab,ja es erscheint<br />
so, als gäbe es keinen anderen. Am prägendsten<br />
ist zweifellos das beharrliche<br />
Wiederholen von Essentials. Nichts ist so<br />
hartnäckig wie das Gerücht, das sich verdichtet<br />
hat,auch bedichtet wird,auf jeden<br />
Fall aber abgedichtet werden muss. So<br />
wird dicht gemacht, was nicht dicht ist.<br />
Geschichte demonstriert,was Gegenwart<br />
von der Vergangenheit will.<br />
Gegenwart als Vollzug des Geschehenen<br />
verfügt eben nicht über das Geschehene<br />
(wie sollte sie auch),aber sie verfügt<br />
über die Erinnerung. Da werden die Dis-<br />
* Vorabdruck aus: Physiognomie der Zweiten<br />
Republik hg. von Gerbert Frodl, Paul<br />
Kruntorad, Manfried Rauchensteiner,<br />
Czernin-Verlag,Wien, Herbst 2005<br />
Streifzüge Nr. 34/Juli 2005