Franz Schandl inspiziert Fassaden * Ernst Lohoff ... - Streifzüge
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4 FRANZ SCHANDL,FASSADENSCHAU<br />
positive gesetzt wie gedacht, was gesagt,<br />
und vor allem auch wie gefühlt werden<br />
soll.Bereits in Kindheitstagen empfangen<br />
wir die ersten Wegweiser, wofür und wogegen<br />
eins zu sein hat. Erinnerung ist<br />
nicht nur nichts Objektives, sie ist auch<br />
nichts Subjektives. Der einzelne Wille ist<br />
das Produkt der unmittelbaren Wirkmächtigkeit<br />
der Gegenwart und ihrer Beeindruckungen<br />
(die in ihrer Akzentuierung<br />
ein anderes Schwergewicht haben als Eindrücke).<br />
Am besten erinnert man sich<br />
nicht an das,woran man sich erinnert,sondern<br />
woran man erinnert wird.Aktiv und<br />
Passiv werden des öfteren verwechselt.Das<br />
mag Erinnerungsträgern oft gar nicht<br />
mehr auffallen,wenn sie etwa ganz selbstverständlich<br />
selbstbewusst sagen: „Mein<br />
Eindruck ist…“<br />
Erinnerungen werden nicht gehabt,<br />
Erinnerungen werden produziert. Vor<br />
allem in Jubeljahren ist man der Erinnerungsindustrie<br />
regelrecht ausgeliefert.Erinnerung<br />
funktioniert als Wertung und<br />
Entwertung von Vergangenem. Sie ist<br />
nicht gleich einem Schatz, der sich anhäuft,<br />
sondern etwas, das sich den Gelegenheiten<br />
entsprechend verwandelt, ja<br />
partiell austauscht. Das einmal Erinnerte<br />
kann morgen schon anderes erinnert werden,<br />
sofern es überhaupt noch erinnert<br />
wird. Jede Erinnerung kann nur wachgehalten<br />
werden,wenn sie regelmäßig angerufen<br />
wird.Nicht bediente Erinnerungen<br />
vergehen.<br />
Hegel schreibt:„Die eigentliche so genannte<br />
Erinnerung ist die Beziehung des<br />
Bildes auf eine Anschauung, und zwar als<br />
Subsumtion der unmittelbaren einzelnen<br />
Anschauung unter das der Form nach Allgemeine,unter<br />
die Vorstellung,die derselbe<br />
Inhalt ist.(…) Zu unserem wirklichen Besitztum<br />
werden die in der dunklen Tiefe<br />
unseres Inneren verborgenen liegenden<br />
Bilder der Vergangenheit dadurch,dass sie<br />
in der lichtvollen plastischen Gestalt einer<br />
daseienden Anschauung gleichen Inhalts<br />
vor die Intelligenz treten und dass wir sie,<br />
mithilfe dieser gegenwärtigen Anschauung,als<br />
bereits von uns gehabte Anschauungen<br />
erkennen.“5 Wahrlich, da hat uns<br />
das Gehabte gehabt und das Gewollte gewollt.<br />
Mehr als aus der Vergangenheit<br />
schöpft die Erinnerung ihre einleuchtende,<br />
also „lichtvolle plastische Gestalt“<br />
aus der Gegenwart, nicht nur in affirmativer,<br />
sondern auch in kritischer Absicht.<br />
Vor allem die Instrumente der Belichtung<br />
wie der Bergung sind jetzige, nicht vergangene.<br />
Geschichte wird vom Resultat<br />
aus gedacht, sie ist eine rückwärtsgewandte<br />
Option.<br />
3.<br />
Als falsche Geborgenheit wird der Mythos<br />
sich so lange behaupten, so lange die kalte<br />
Realität des Geschäfts die Geschicke der<br />
Menschen leitet,diese nicht sie selbst sind,<br />
sondern Charaktermasken gesellschaftlicher<br />
Rollen. Nur so kommt die Sucht<br />
nach Identität wie auch nach Differenz (als<br />
deren Kehrseite) in die Welt. Es ist heute<br />
unmöglich, jenseits dieser Mythen zu bestehen.Auch<br />
der Kampf gegen diesen oder<br />
jenen Mythos endet in einem alternativen<br />
Mythos,nicht jenseits davon.Staaten brauchen<br />
nicht nur Verfassungen und Gesetze,<br />
sondern auch Haltungen und Fügungen,<br />
die sie stützen. Der zentrale Antrieb einer<br />
Nation als Nation liegt nicht in ihrer ökonomischen<br />
Potenz oder ihrer militärischen<br />
Macht, sie liegt in der unbedingten und<br />
fraglosen Anhänglichkeit der Angeschlossenen.Sich<br />
ohne sie nicht denken zu können,<br />
darin besteht wahre Stärke.<br />
Günther Nenning hat das schon 1963<br />
in bemerkenswerter Offenheit angesprochen:<br />
„Geschichtslügen und Geschichtslücken<br />
sind ein probates, ja notwendiges<br />
Mittel der nationalen Biologie.Sie sichern<br />
das Weiterleben nach erworbener<br />
Schande. Jeder Deutsche, jeder Österreicher<br />
– die Opfer ausgenommen, deren<br />
Großteil ohnehin ermordet wurde –<br />
hätte, als das ganze Ausmaß der Hitlerschen<br />
Barbarei offenkundig wurde,an sich<br />
selbst, an seiner Nation, an der Menschheit<br />
verzweifeln sollen. Aber Nationen<br />
müssen weiterleben, ohne so absurde<br />
Schlussfolgerungen zu ziehen.“6<br />
Nenning wirft hier jedoch eherne<br />
Größen wie Mensch und Menschheit in<br />
einen Topf mit einem weltgeschichtlich<br />
jungen Formprinzip, der Nation. An<br />
Mensch und Menschheit ist nicht zu verzweifeln,<br />
wohl aber an der Nation. Da ist<br />
kategorisch die Frage zu stellen, ob es<br />
nicht ein Jenseits von ihr gibt, ja geben<br />
muss.Das blutige 20.Jahrhundert mit seiner<br />
nationalsozialistischen Pointe legt das<br />
nahe. Die Abschaffung der Nation schafft<br />
nicht sogleich Mensch und Menschheit<br />
mit ab. Das Gegenteil möchte ich annehmen:Jene<br />
„absurde Schlussfolgerung“ ermöglicht<br />
erst umfassende Menschlichkeit.<br />
Nenning betreibt, man sehe sich nur die<br />
Wortwahl genau an, die Biologisierung<br />
des Nationalen. Die Nation ist aber kein<br />
schützenswertes Biotop,sondern eine gemeingefährliche<br />
Drohung. Es gibt kein<br />
gesundes Nationalgefühl. „Muss man für<br />
die Nation sein?“, wird als Entscheidungsfrage<br />
gar nicht erst zugelassen.Es hat<br />
nur die schlichte Ergänzungsfrage:„Wem<br />
gehörst du?“, zu geben. Bevor man sich<br />
entscheiden kann,ist man schon entschieden:<br />
Nation kann nicht nicht gedacht<br />
werden.<br />
Unter solchen Bedingungen hat auch<br />
Österreich eine Nation werden müssen.<br />
So richtig gelungen ist das aber erst in den<br />
Siebzigerjahren,in Sapporo und Cordoba.<br />
Karl Schranz und Hans Krankl haben da<br />
großen Anteil daran.Von der Welt gedemütigt,aber<br />
über Deutschland gesiegt,das<br />
ist Österreich. Hätte Karl Schranz 1974<br />
zur Bundespräsidentschaft kandidiert,<br />
hätte dies das Österreich-Bewusstsein sicher<br />
mehr gestärkt als dieser typisch<br />
Kreiskysche Rückgriff auf den Wehrmachtshauptmann<br />
Kirchschläger.Die positive<br />
Bestätigung nationaler Existenz erfolgt(e)<br />
jedenfalls nicht auf Schlachtfeldern,<br />
sondern auf Schipisten, wo uniformierte<br />
Mannschaften Erfolge um Erfolge<br />
heimfahren, und daher auch von einer<br />
sonstwo unbegreiflichen Wichtigkeit.<br />
Dieser alpine Größenwahn ist das stabilste<br />
Fundament des Glaubens an Österreich.<br />
So betrachtet hat diese nachholende „nation<br />
building“ durchaus lächerliche und<br />
somit schon fast wieder sympathische<br />
Züge.Das wahre Staatsoberhaupt heißt ja<br />
auch Peter Schröcksnadl, seit Jahren<br />
Reichsschneeverweser der Alpenrepublik.<br />
4.<br />
Die Vergangenheit ist nicht der Schlüssel<br />
zur Zukunft. Geschichte lehrt nicht, was<br />
kommen wird, sondern höchstens von<br />
dem, was einmal gewesen ist. Das Kundigmachen<br />
über das Wesen einer Gesellschaft<br />
ist nicht durch eine Wesensschau des<br />
Gewesenen zu leisten.Die Menschen sind<br />
nicht die Lehrlinge der Geschichte, sondern<br />
die Gesellen der Gesellschaft.Ob sie<br />
jemals Meister ihrer Geschicke werden,ist<br />
offen. Den damaligen Menschen ist nicht<br />
anzukreiden,dass sie zu wenig belehrt gewesen<br />
sind und somit zu wenig gelernt<br />
haben,es ist ihnen der Vorwurf zu machen,<br />
dass sie schlicht etwas absolut Falsches<br />
wollten und es auch taten. Sie setzten auf<br />
die Karte des Faschismus, verbanden ihr<br />
Schicksal mit ihm.<br />
„Nichts schützt vor den Mitbürgern<br />
außer die Liebe“,7 schreibt Gerhard<br />
Fritsch.Wie sich Leute in verschiedenen,<br />
vor allem auch extremen Situationen verhalten,ist<br />
eine Frage von Menschenliebe,<br />
Menschenachtung und Selbstbewusstsein.<br />
Der Mangel an alledem ist beträchtlich.<br />
Oft drängt sich gerade dadurch das Faktische<br />
auf: „Die anderen sind auch nicht<br />
so“,oder „Wenn ich’s nicht tät,tät’s ein an-<br />
Streifzüge Nr. 34/Juli 2005