Franz Schandl inspiziert Fassaden * Ernst Lohoff ... - Streifzüge
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34 STEFAN MERETZ,WISSENSALLMENDE<br />
Wissensallmende<br />
WIEVIEL RAUB IST ERLAUBT? REZENSION EINES ATTAC-BUCHES<br />
Immaterial World<br />
von Stefan Meretz<br />
Ein Autoren-Trio hat ein Büchlein vorgelegt,<br />
in dem die Arbeitsergebnisse<br />
der Attac-AG „Wissensallmende“ (BRD)<br />
zusammengetragen werden.1 Ziel der<br />
Schrift ist es, bislang getrennt behandelte<br />
Themen aus dem breiten Feld des so genannten<br />
„geistigen Eigentums“ zusammenzuführen.<br />
Gleich zu Beginn stellen<br />
die Autoren klar, dass es sich beim<br />
„geistigen Eigentum“ um einen „Kampfbegriff<br />
der Befürworter der Ausweitung<br />
geistiger Monopole“ (9) handelt,und verwenden<br />
in der Folge den treffenden Begriff<br />
der „geistigen Monopolrechte“.2<br />
Der positive Gegenbegriff ist die „Wissensallmende“,<br />
womit der „gemeinsame<br />
Schatz frei verfügbaren Wissens (Texte,<br />
Photos, Computer-Code oder Saatgut)“<br />
(10) gemeint ist. „Allmende“ ist eine<br />
mittelalterliche Form des Gemeineigentums,<br />
das in der Durchsetzungsphase des<br />
Kapitalismus mehr oder weniger gewaltförmig<br />
abgeschafft und privatisiert wurde.<br />
Diese Analogie verweist darauf,dass die Autoren<br />
die gegenwärtige Phase des Kapitalismus<br />
als zweite historische „Enteignungswelle“<br />
ansehen – nur gehe es jetzt um<br />
das kumulierte Wissen der Menschheit.<br />
Mit Hilfe der Biotechnologie werden<br />
Gencodes von Pflanzen,Tieren und Menschen<br />
entschlüsselt, die die Basis für neue<br />
Produkte bilden.Gentechnisch produzierte<br />
Güter wie Arzneimittel, Saatgut, Lebensmittel,<br />
Zusatzstoffe etc. werden in naher<br />
Zukunft traditionell hergestellte Produkte<br />
in ihrer ökonomischen Bedeutung ablösen.<br />
Patent- und Sortenschutzrechte garantieren<br />
zeitlich befristete Nutzungsmonopole.<br />
Die noch nicht kapitalisierten Bereiche der<br />
Natur werden der Verwertungslogik unterworfen.<br />
Die Folgen sind gravierend: „96%<br />
der angemeldeten Patente entfallen … auf<br />
die OECD-Länder… Durch die Zahlungen<br />
von Lizenzgebühren für Patente entstehen<br />
hohe Nettotransfers aus den Ländern<br />
des Südens in den Norden…“ (20).<br />
Dazu kommen die Werttransfers aufgrund<br />
der Monopolpreise, die für patentgeschützte<br />
Produkte gezahlt werden müssen<br />
– sofern die Länder dazu überhaupt in der<br />
Lage sind.Das Beispiel patentierter AIDS-<br />
Medikamente zeigt,dass Patente täglich das<br />
Leben von Menschen kosten.<br />
Im Bereich des Saatguts wurde das Sortenschutzrecht<br />
aufgerüstet, so dass es in<br />
seiner Wirkung Patenten gleichkommt.<br />
Genmanipuliertes Saatgut wird nun nicht<br />
mehr im klassischen Sinne „verkauft“,<br />
sondern ein Lizenzvertrag regelt die eingeschränkten<br />
„Nutzungsrechte“. Dazu<br />
gehört häufig das Verbot der Nutzung der<br />
Ernte zur Wiederaussaat.In einem spektakulären<br />
Verfahren wurden der Firma<br />
Monsanto sogar Kontrollrechte an durch<br />
Windverwehung ausgesätem Genraps auf<br />
fremden Feldern zugesprochen. Mehr<br />
noch:Dem betroffenen Bauern wurde die<br />
Wiederaussaat der eigenen Ernte verboten,<br />
da diese mit patentiertem Genraps<br />
vermischt sei.<br />
Im Internet sorgt die digitale Form für<br />
die Entwicklung von vielfältigen Anwendungen.<br />
Als globale Kopiermaschine<br />
überträgt das Internet alles, was sich digitalisieren<br />
lässt: Musik, Filme, Software,<br />
Landkarten etc. Bei den traditionellen<br />
Rundfunkmedien sind die Rollen von<br />
Sender und Empfänger klar festgelegt.Bei<br />
neuen internetbasierten Kommunikationsformen<br />
wie Peer-to-Peer, bei denen<br />
die NutzerInnen direkt miteinander kommunizieren<br />
und Inhalte austauschen, ist<br />
diese eindeutige Zuweisung und damit<br />
die Kontrolle nicht vorhanden. Mit der<br />
Freien Software hat sich zudem eine neue<br />
Produktionsweise entwickelt, die jenseits<br />
der Warenform nützliche Produkte entwickelt<br />
und zur Verfügung stellt.<br />
Ein verschärftes Urheberrecht, Softwarepatente<br />
und hardwarebasierte Kontrollmechanismen<br />
(DRM3) sollen die entglittene<br />
Kontrolle über die Inhalte und entgangene<br />
Profite wieder zurückbringen.<br />
Eine massive Klagewelle gegen so genannte<br />
„Raubkopierer“ soll, begleitet von einer<br />
breiten Propagandakampagne, die NutzerInnen<br />
zur Räson bringen. Mit der neuen<br />
Windows-Version („Longhorn“) erscheint<br />
2006 ein DRM-fähiges Betriebssystem,<br />
mit dem die volle Kontrolle des individuellen<br />
PCs möglich werden soll.<br />
Theoretisch argumentieren die Autoren<br />
aus zwei (verwandten) Perspektiven. Der<br />
neoklassischen Theorie wird versucht<br />
nachzuweisen,dass die proklamierten Ziele<br />
nicht erreicht werden können. Ein Restriktionsregime<br />
wird dennoch für legitim<br />
gehalten: „Die meisten geistigen Monopolrechte<br />
haben massive Nachteile,die nur<br />
zu rechtfertigen sind,wenn ihnen entsprechende<br />
Vorteile gegenüberstehen.“ (72)<br />
In einer zweiten Argumentationslinie<br />
wird die globale Etablierung geistiger Eigentumsrechte<br />
als Versuch großer Konzerne<br />
verstanden, „rentenartige Einkommen<br />
einzustreichen“ (77).Begleitet werde<br />
diese „Enteignungsökonomie“ von einer<br />
Welle der Privatisierungen öffentlicher<br />
Infrastrukturen: „Aber auch Raubkriege<br />
… sind Teil der gegenwärtig ablaufenden<br />
Enteignungswelle.“ Als Alternative schlagen<br />
die Autoren eine „Kulturflatrate“<br />
(Abgabe auf Internetanschlüsse und Hardware)<br />
oder am besten gleich eine „Kultursteuer“<br />
vor. Staatliche Umverteilung<br />
soll die Einkommen der „Kreativen“ sichern.<br />
Dass der Vormarsch geistiger<br />
Monopolrechte genau Ausdruck der Verwertungskrise<br />
ist, die auch die staatlichen<br />
Umverteilungsmöglichkeiten zunehmend<br />
reduziert, wird jedoch ausgeblendet.<br />
Das Buch gibt einen sehr guten Überblick<br />
über das breite Themenfeld der geistigen<br />
Monopolrechte.Trotz der Klarheit in<br />
den beschreibenden Passagen können sich<br />
die Autoren nicht zur Forderung nach Abschaffung<br />
aller geistigen Monopolrechte<br />
durchringen. Stattdessen sollen diese in<br />
„sinnvolle Schranken“ verwiesen werden<br />
um „wieder eine Balance zwischen den<br />
Interessen der ProduzentInnen und der<br />
KonsumentInnen“ (81) zu finden. Einer<br />
„falschen“ (neoliberalen) Politik müsse<br />
eine „richtige“ (staatsbasierte) entgegengesetzt<br />
werden um die Verwerfungen zu<br />
beseitigen. Obwohl ansatzweise richtig<br />
analysiert, wird damit nicht begriffen, dass<br />
es sich um einen objektiven Prozess des<br />
zerfallenden Kapitalismus handelt, der im<br />
Zerfall sein destruktives Potenzial entfaltet.<br />
Anmerkungen<br />
1 Bödeker, S.; Moldenhauer, O.; Rubbel, B.,<br />
Wissensallmende. Gegen die Privatisierung<br />
des Wissens der Welt durch „geistige Eigentumsrechte“,<br />
Hamburg, die Seitenangaben im<br />
Text beziehen sich auf das Buch. Online:<br />
http://www.attac.de/wissensallmende/basistext<br />
2 Vgl. Meretz, S., Geistiges Eigentum. Rechtsfetisch<br />
sui generis, in: Streifzüge 31/2004,<br />
S. 19.<br />
3 Vgl. Meretz, S., Digital Restriction Management,<br />
in: Streifzüge 33/2004, S. 28.<br />
Streifzüge Nr. 34/Juli 2005